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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.10.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190310182
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19031018
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19031018
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-18
- Monat1903-10
- Jahr1903
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.10.1903
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Druck und Verlag von S. Pol, in Leipzig. 97. Jahrgang Sonntag den 18. Oktober 1903. Nr. 531 von H.' 1 ver- aus die s. L s. s. L S. L I. >. I. I. >. 83 5L d»O- O. vr. der UloL Unrkr » ü. >. I. >. Hort Haupt-Filinle Dresden: Martenstraße 54. Fernsprecher Amt I Nr. 1715. a. L Hauvt-Fitiale Lerlin: Earl Duncker, Herzgl. vayr. Hofbuchhanblg. Lützowstraßr 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4505. o. <L 6. <j. O. L «. L ä. 5. 6. S. Nrdaktto« und LrpedMon: Johannisgaffr 8. Fernsprecher 155 und SSL VIftkedHah», vnchhandlg, Universitütsstr.^ U. Lösch«, Katharinen str. Ich «. Söntgspl. 7. u. s. L s. sinnungSgenoffen reklamieren, die freisinnig en, die Koalition mit der Sozialdemokratie betreiben. Dem Parteitage der Freisinnigen Bereinigung ist „da, wo wir den Wabl- sieg nicht aus eigener Kraft erringen können . . ., trotz der prinzipiellen Gegensätze, die uns von der Sozialdemokratie trennen, eine Verständigung auch mit dieser angezeigt." Diese Erklärung wurde mit großer Mehrheit angenommen. Es hat in der Partei aber auch eine bedeutende Minderheit gegeben, die unter der Führung Barths sebr gern noch weiter gegangen wäre. „Nein, eS ist ein Unrecht", so sagte er, „daß die Sozialdemokraten nicht in den Landtag kommen. Wir als Liberale müssen dieses Unrecht in jedem Falle bekämpfen, selbst wenn seine Be seitigung uns praktisch wider den Strich ginge." Wir brauchen bei diesem hinlänglich besprochenen EntgleisungS- falle nicht länger zu verweilen. Selbst wenn wir aber dem Kampfe gegen die Reaktion weitesten Spielraum lassen, kommen wir nicht hinweg über die Geschmacklosigkeit, ja Würdelosigkeit des Werbens um die Gunst derselben Sozial demokratie, die soeben erst ihre Verachtung gegen die bürger liche Gesellschaft nicht laut genug hinauskreischen konnte und eine Berechtigung des Freisinns nur insofern gelten läßt, als dieser sich zum Stimmvieh für so zialdemokratische Kandidaten herabwürdigt. IhresGleichenfindetsolchePolitik nur in denGesinnungen,mit denen jetzt daS rheinische Organ deS UltramontaniSmuS nicht von den geliebten Polen lassen will. „Das Zentrum saßt die Polenpolitik der prenßischen Regierung als ein Un recht gegen die Polen ans". Diesen Satz bringt ein Wort führer deS Zentrums über die Lippen zu derselben Zeit, da das Polentum sich von dieser Partei lossagt, weil sie ihm noch immer zu deutsch ist. Man hört gar oft selbst liberalem Munde ein Loblied auf die Wandlung, seit Jahren mit dem Zentrum vorgegangcn sei, das sich zu einer nationalen Partei entwickelt habe. WaS wir dieser nationalen Wandlung zu halten haben, dafür ist die Polenliebe so recht ein sprechendes Beispiel Wir verstehen die nationalen Pflichten anders. Wir verlangen, daß sie auf allen Gebieten des politischen Lebens erfüllt werden. Und wie groß die Gefahr auf ostmärkischem Boden ist, dafür haben selbst preußische Minister jetzt bei der Enthüllung deS Posener Bismarck-Denkmals scharfe Worte gefunden. Wir enthalten den Herren das Lob nicht vor, daß sie gut gesprochen haben. Minister v. Hammer- stein appellierte nicht etwa an die nationale Abneigung gegen den polnischen Volkscharakter, er betonte vielmehr den preußischen und den deutschen Staatsgedanken mit dem Ver langen nach einer „deutschlreuen, wenn nicht deutschen Bevöl kerung". Vor allem aber rief er den Deutschen zu, abzulassen von kleinlicher innerer Fehde, von unfruchtbarerNörgelei, zusammcn- zuhalten und immer auf das Ganze zu sehen. Er wies darauf hin, daß die Deutschen PosenS „nicht allein und vereinzelt, nicht von den StammeSgenossen abgesondert und verlassen.. auf der Bresche stehen, sondern daß das gesamte deutsche Volk und die Regierung an der Spitze schützend und fördernd ihnen zur Seite stehen". In diesen Worten und ähnlichen deS MinisterS v. Rheinbaben sind Wesen und Umfang des polnischen Problems richtig und vollständig gekennzeichnet. Und da Reden heutiger Minister oft so beurteilt werden, wie wenn sie Taten wären, so wollen wir das Symptom einer kräftigen Politik durchaus nicht gering anschlagen. Aber in diesem Falle das Wort für die Tat zu nehmen, dazu reicht selbst ein gutes Teil Optimismus nicht hin. Die Gesamtphystognomie derBerlinerStaatSkunst behält ihr schwäch liche- Aussehen. In ganz, ganz anderem Sinne, als es 1875 der größte Ministerpräsident, den Preußen je hatte, gemeint hat, gilt heute dessen Wort: „Der Ministerpräsident kann nicht einen Nachtwächter ernennen, er hat immer nur zu bitten, zu beschwören und zu vermitteln, wenn Meinungs verschiedenheiten sind, aber zu sagen hat er eben gar nichts." >. * »«at a. Extra-Bettagen (gesalzt), »nr mit der Morgeu-Ausgabe, ohne Postbrsörderung ÜO.—, mit Postbefördernng ^l 70.—. o. L »S >L 0. S. >.rr.vL7:1VS,- S. L g. L L S. L L ti 1 S. L s Aus der Woche. Am heutigen Sonntag, der in Leipzig nun schon znm neun zigsten Male die Erinnerung an die ewig denkwürdige Völkerschlacht erneuert, fällt in Berlin die Hülle von den Denk mälern, die dem Brandenburger Tore gegenüber dem Kaiser Friedrich und seiner Gemahlin errichtet worden sind. Das Monument der Kaiserin ist auf Befehl ihres jetzt regierenden SohneS geschaffen worden, während des Kaisers Friedrich Marmorbild einem Beschlüsse des Reichstags zufolge vom deutschen Volke errichtet wird. Der Unterschied hat seine Berechtigung. Ohne Unrecht gegen daS Andenken der Kaiserin Victoria, ohne Verkennung ihrer Verdienste um da- geistige, künstlerische und soziale Leben ihrer Zeit kann ausgesprochen werden, daß eigentliche Volkstümlichkeit ihr nickt beschieden gewesen ist. Mancher Akt wahrer Herzen-güte wird von ihr berichtet. Sie übte den Zauber einer ganz besonder- holden Liebenswürdigkeit auch als ältere Frau noch auf alte und neue Freunde. Aber ihr Wesen hat nie zum Herzen de- Volkes gesprochen, wie ja auch ihres Charakters Schwerpunkt zu den Leistungen de» Ver stände« und der Vernunft stärker neigte, al- zu Aeußerungen des Gefühl-, geschweige denn der Leidenschaft. Die Gestalt ihres Gemahles dagegen hat sich in unser aller Herzen für immer tief eingegraben. Mag die psychologische Analyse von Ge schichtsforschern und Politikern in ihm noch so viel Wider sprüche und Mängel entdecken oder der schmeichelnde Hofhistorio graph noch soviel Mühe darauf verwenden, das Gewicht der Verdienste des Kronprinzen Friedrich um daS Werl der Einheit um einige Unzen zu erhöhen, die er dem genialen Schöpfer des Reiches entwendet: von solchem Feilschen und Krämern will das deutsche Volk nicht» wissen. Seine Liebe gehört nun einmal dem männlich schönen Königssohne, der an seine Fahnen den Sieg gefesselt, zwischen den Heeren des Norden- und des Südens ein unzerreißbares Band geschlungen hat. Sein trauriges Sterben aber bat diese liebevolle Anhänglichkeit vertieft, wie sein heldenhaftes Dulden uns sein edles Wesen verklärt, ja geheiligt hat. Der Streit nm die Richtung, di« Deutschlands Geschicke angenommen haben würden, wenn dem Sohne Wilhelm- I. eine längere Regierung vergönnt gewesen wäre, hat zum Glück keine politische Bedeutung mehr. Zweifel nicht nur an der Hochherzigkeit, sondern auch an der Größe seines Wollens hatten verstummen müssen nach der ersten Kundgebung, die er an den großen Kanzler richtete, „den langjährigen, vielbewährten ersten Diener" Kaiser Wilhelms, dessen „treuer und mutvoller Ratgeber" er gewesen sei, „der den Zielen seiner Politik die Form gegeben und deren erfolgreiche Durchführung gesichert hat". Ob er auS dem Norden oder dem Süden, vom Rheine oder von der Weichsel in de» Reiches Hauptstadt komme, — jeder Deutsche wird, dem Gewirre unbekannter Fürstengestalten aus der Hohenzollernallee entronnen, in dankbarer, wenn auch wehmutsvoller Stimmung auf Kaiser Friedrichs Denk mal blicken und mit Erhebung der Zeiten gedenken, da die Eltern Kaiser Wilhelms II. allen geistigen und künstlerischen Bestrebungen einen glanzvollen Mittelpunkt gaben. Gegen den Beschluß zur Errichtung dieses Kaiserdenk mals hat vor fünf Jahren im Reichstag nur die Sozial demokratie gestimmt. Ihr Wortführer Bebel hat da mals nicht gewagt, Mangel an Verdienst für die Vorenthaltung dieser Ehren geltend zu machen. Ge wundert hätte daS wohl niemand. Denn erst letzter Tage wieder hat ein Partei - Publizist sich nicht geschämt, den Fürsten aus dem Hause Hohen- zollern daS Verdienst der Hingabe an die Interessen deS Volkes abzusprechen. In jener Reichstagssitzung hielt aber Bebel e- doch für geratener, lediglich mit der grundsätzlichen Bekämpfung des monarchischen Prinzips die Ablehnung zu begründen. Und doch hätte er von seinem Standpunkt aus den Kaiser Friedrich ebenso al- einen Feind der Sozialdemokratie schmähen können, wie er und seine Genosse» den großen Bismarck. Denn als Stellvertreter seines von Revolu tionären schwer verwundeten Vater- hat 1878derKronprinz da» Sozialistengesetz vollzogen. Er wußte dabei sehr genau, wa- er tat. Schrieb er doch an seinen fürstlichen Vetter von Rumänien: „Hoffen wir, daß daS Sozialistengesetz den Be ginn einer Radikalkur bedeutet, durch welche das Uebel über wunden werden kann. Es wird un- jedoch viel Mühe kosten, bis wir diese Mißgeburt los sind, die mit so unglaublicher Schnelligkeit gewachsen ist, seit die Lehren dieser unheilvollen Gesellschaft ein so breites Publikum finden." Nicht Streitsucht oder da« Bedürfnis, der Sozialdemokratie etwa» Unangenehme« zu sagen, veranlaßt un- zu diesem Zitate. Wir erkennen auch die Berechtigung des Einwandes an, daß die an jene« Gesetz geknüpften Hoffnungen sich nicht erfüllt haben. Trotzdem ist der Hinweis auf Kaiser Friedrich» Auffassung gerade jetzt am Platze, da dieje-tg« Politiker, die diesen Fürste» so geflissentlich al- Ve- VezugS PreiS tn der Hanptexpedttton oder deren Ausgabe stelle« abgeholt: vierteljährlich 8.—, bei gmeimaltger täglich«, Pu stallnug ins Haus >1 5.75. Durch die Poll bezogen für Deutsch- land u. Oesterreich vierteljährlich 450, für dt« übrige» Länder laut ZeUungSpreiSliste. Deutsches Reich. /X Berlin, 17. Oktober. (Volksrecht und ge- schriet-en cs Recht.) ForumleS Recht und das Rech:ogcsüt)t des Voiles stet-en leider häufig genug in empstnülichem Gegensätze zu einander. Wir erinnern an den kürzlich vorgetommenen Fall, wo ein Vater, der eben dazu toinmr, als ein Strolch seine noch im Kindesalter stehende Tochter zu vergeivaltigen im Begriff ist, und der nun dem Unholde eine gehörige Tracht Prügel verabfolgt. Dafür wurde er wegen >t0tperoerletzung zu einer Geld strafe verurteilt. Gerichtsafsessor Leisertng sprach I>ch in der »Deutschen Juristen-Zeitung" in der Nummer vom 1. September über diese» Urteilsspruch aus und schrieb u. a.: „Als ich diesen Fall in einem Kreise aka demisch gebildeter Laien erörtern hörte, wurde allgemein die Ansicht gebilligt, daß. wenn jener Vater in seiner Wut den Missetäter totgeschlagcn hätte und dann vor ein Schwurgericht gestellt worden wäre, er sicherlich frei gesprochen worden sein würde. Auch zwei andere, eben falls der Praxis entlehnte Fälle mögen bestätigen, daß die Meinung der Juristen in solchen Fällen von der Voltsanschauung abweicht. Es passiert mir wiederholt, daß ein zehn- oder elfjähriger Bursche mit Steinen nach mir wirft, ohne mich zu treffen. Es gelingt mir, den Jungen z» erwischen, und ich versetze ihm ein paar Ohr feigen. Der entrüstete Vater des Jungen strengt Privat klage gegen mich an und beantragt meine Bestrafung wegen Körperverletzung. Der zweite Fall: L. hat dem A., einem einfachen Manne aus dem Volke, unter falschen Vorspiegelungen eine größere Summe Geldes abgebvrgt. A. verklagt ihn schließlich auf Rückzahlung, erlangt auch ein vollstreckbares Urteil, kann aber trotzdem nicht zu seiner Befriedigung gelangen, da L. es inzwischen ver standen hat, sein pfändbares Vermögen an Verwandte zu verschieben. Dem A. reißt schließlich die Geduld, er sucht L. in seiner Wohnung auf und läßt sich dort, als er ihn nicht gleich findet, etwa zu den Worten hinrcißen: „Wo steckt denn der verfluchte Hund, der Betrüger?" L. beantragt darauf Bestrafung des A. wegen Beleidigung. Muß A. bestraft werden, weil er als ungebildeter Mann seiner Entrüstung zu kräftigen Ausdruck verliehen hat? Muß auch in den beiden anderen Fällen Bestrafung er folgen? Das gesunde Gefühl sträubt sich dagegen! . . . Geht man von dem wohl selbstverständlichen Gebote auS, -aß das Recht mit dem Volksbewußtsein, mit dem all- gemeinen Nechtsgcfühle möglichst im Einklänge stehen soll, so wird man in der Tat anerkennen müssen, baß der gegenwärtige Zustand ein daS Vertrauen zur Recht sprechung schädigender und deshalb reformbedürftig ist." Assessor Leifertng schlägt zur Aufnahme in den all- gemeinen TeU -es Strafgesetzbuches folgenden Para- graphen vor: „Wer sich gegenüber einer gegen ihn oder einen Ange hörigen verübten Kränkung auf der Stelle Vergeltung schafft, kann vom Richter für straffrei erklärt werden." Wie sich aus den Ausführungen deS Justizrates Martinius in Erfurt in der letzten Nummer „Deutschen Juristen-Zeitung" vom 15. Oktober ersehen läßt, haben die Worte LeiseringS in juristischen Kreisen lebhaften Widerhall gefunden. vr. MartiniuS er weitert aber den Vorschlag LeiseringS dahin, dem be treffenden 8 238 de- Strafgesetzbuches folgende Fassung zu geben: „Wer in der Erregung über eine fremde unsittliche oder verbotswidrig« Handlung sich einer Beleidigung, Körperver letzung. Sachbeschädigung, Freiheitsberaubung, Nötigung oder Bedrohung, eines Hausfriedensbruch» oder einer Uebertretung schuldig macht, kann für straffrei erklärt werden. Dar Gericht darf auch eine der Art oder dem Matze nach mildere Strafe als die angcdrohtc verhängen. Die gleiche Behandlung darf gegen über dem Verletzten Platz greifen." und schließt seine Darlegung mit den Worten: Mir will es scheinen, al» ob cS sich um die Entscheidung einer Krage handelte, welche für die Entwickelung deS deutschen Volks charakter» von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Wir brauchen Männer, die nicht nach der Polizei ängstlich rufen, wenn Roheiten gemeinster Art sofortiges Einschreiten gebieterisch fordern. Diese müssen eine ge wiss« Freiheit des Handeln» und daS Bewußtsein haben, daß, wo alle anständig gesinnten Mitbürger ihnen vor aussichtlich Beifall zollen werden, der Richter auf Grund starrer Ltrafgescyauch - Paragraphen nicht gezwungen sein wird, st« zu -«strafen. Lücke in die Kette der Schutzmaßregeln entdecken und auS- nützen können. Direkt gemütlich - harmlo» wurde im April d. 2. der Besuch des Königs Eduard von England von der großen Menge ausgefaßt. Man amüsierte sich köstlich über die witzigen Karikaturen, die allerorten verteilt wurden und ihn darstellen, wie er dem Papste jovial ein Patsch händchen gibt. Zar Nikolaus hätte sich gewiß die Passage der engeren Straßen erspart, die Kaiser Wilhelm passierte, al» er nach der Deutschen Botschaft auf dem Kapitol oder nach dem Vatikan fuhr und durch welche er (nach dem ursprünglichen Programm) gefahren wäre, wenn er, der Kaiser Wilhelm, durch den schmalen Korso nach dem Monte Pincio sich begeben hätte, wo ja leider der römische Finstergeist dem Heiden Goethe das Denkmalsplätzchen versagt. Zar Nikolaus hätte sich gewiß auch aus der geplanten Beleidigung der sozialistischen Partei nichts zu machen brauchen, die seine Anwesenheit als Zeitpunkt aussuchte, um einen den Herrscher aller Reußen kränkenden Antrag im Parlamente einzubringen. Die Ablehnung mit glänzender Majorität hätte ihm, falls er die Sache nicht überhaupt ignorierte, eine ausgezeichnete Genugtuung sein können. Schließlich war der Zar in Italien mindestens ebenso sicher wie — in Rußland. k. O. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 2S Reklame« »»ter dem Redaktionsstrich («gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer and Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffertrnaoaahme L5 H (excl. Porto). > o. AnnalMkschluß für Anzeige«: Abe»d-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« - Uhr. Anzeigen sind stet» an di« Expedition z» richte». Die Expedition ist Wochentag» «nunterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abends 7 Uhr. Mrstenschutz in Nom. Man schreibt uns: Daran, daß die sozialistischen Agitationen gegen den Besuch de» Zaren in Rom denselben unmöglich gemacht haben, kann Wohl kaum mehr gezweifelt werden. Wenn man daraus aber den Schluß ziehen wollte, daß die polizeilichen Maßregeln in Italien mit ungenügender Energie durchgeführt würden, so daß die SickerheitSvcrhaltniffe für die fürstlichen Gäste dadurch mangelhafte wären, so würde man irren. Im Gegenteil offenbaren die Vor bereitungen bei solchen Gelegenheiten in Italien eine erstaun liche Umsicht. Bei dem Besuche deS deutschen Kaiser» im Mai diese» Jahres wurde daS bewiesen. Wenn der russische Kaiser von seiner römischen Reise noch in letzter Minute absah, so dürften zu diesem Ent schlüsse mehrere Ursachen beigetragen haben: Die ins Ungeineffene gesteigerte ängstliche Vorsicht der russischen Polizei, welcke ebensowohl durch di^ nihilistische Rührigkeit, als durch die sozialistischen Aufrufe Ferris an daS römische Volk, den absoluten Herrscher öffentlich zu beleidigen, erschreckt war, — obne die geheimen Fäden, welche gegenwärtig in der ita lienischen Hauptstadt zusammenlaufen, aus der Verknüpfung lösen zu können. Ferner scheint die Nervosität de» empfind lichen Zaren in Betracht zu kommen. Ja Vieser Hinsicht ist eine Stimme der römischen Presse nicht ohne Bedeutung, welche darauf hinweist, daß ehemals die Fürsten mutvoll an die Spitze sich stellten und daß der Rückzug vor der Drohung der Masse ein recht gegensätzliches Schauspiel dazu bilde. ES dürfte gewiß nicht uninteressant sein, die Arrange ments beim Besuche Kaiser Wilhelms in Rom sich in die Erinnerung zurückzurusen, um die Sorgfalt geradezu bewun dern zu müssen, mit der auAje der Faktor berücksichtigt wurde. Auch damals hingen an den Straßenecken neben den Plakaten des Bürgermeisters Fürsten Colonna, welche den Ausruf zum Willkommen deS deutschen Kaisers enthielten, die Anschläge der Sozialisten. Aber dieseNachbarschaft hat wohl kaum jemanden in Schrecken versetzt. Mit einer erstaunlichen Gründlichkeit wurde einKontrollbienst über sämtliche Fremde durchgefübrk, eine genaue Untersuchung und Bewachung der Kanalisation eingerichtet, den Hausbesitzern an der Feststraße dieVerantworllichkeit für die Be wohner und Gäste des Hauses auf die Dauer des Einzugs zudiktiert, überhaupt alles getan, um jedem verbrecherischen Plan von vornherein die Ausführungsmöglichkeit zu nehmen. Vom Bahnhof bis zum Quirinal ist nur eine einzige Straße, die Via Nazionale, zu passieren, die in stattlicher Breite ein vollkommen übersichtliche« Bild gibt. Ter Italiener, so leicht im allgemeinen seine Begeisterung sich entflammt, hat in der überwiegenden Mehrzahl keine großen Sympathien für prunkvolle Fürstenempfänge. Die Gleichgültigkeit in dieser Beziehung wurzelt tief in seinem Wesen. Er ist mehr mit den gaffenden Augen als mit dem Herzen dabei. Deshalb dürfen wir auch nicht aus den Zeitungs berichten über den damaligen Empfang Kaiser Wilhelms etwa entnehmen, daß das Volk in einem wahren Jubel taumel sich befunden habe. Im Gegenteil hatten die riesenhaften Absperrungen, die bereits in den Morgenstunden begannen, Erbitterung hervorgerusen. In mehrfachen dichten engen Reihen, Schulter an Schulter, begrenzte Militär die eigent liche Fahrstraße. Nicht nur daS, auch hinter dem Publikum waren Truppen aufgestellt, an den Straßeneinmündungen sogar Carrss der bekannten glänzend uniformirten Carabinieri. Bei der Krümmung der Bia Nazionale, ebenso wie an dem großen Straßentunnel unter den Gärten des QuirinalS, überall wehten die Federbüsche dieser Elitetruppe. Un gezählte Waffen blitzten an dem kriegerischen Spalier, da« unmöglich zu durchbrechen gewesen wäre, da ja durch die erwähnten CarrSS jeder Mcnschenzustrom aus den Nebenstraßen sofort reguliert und gegebenenfalls unterbrochen werden konnte. In den anliegenden Ge bäuden, die übrigens zum Teil öffentlichen Zwecken dienen, wie z. B. daS Palais der Schönen Künste, war Geheimpolizei stationiert. Es ist kaum denkbar, daß vielleicht von der Höhe eines Daches herab irgend ein Wurf von verbrecherischer Hand hätte ausgeführt werden können. Die Verlegung der Ankunftszeit des kaiserliche» Gastes, obgleich dieselbe mit Gleisdeseklen bei Florenz motivier! ward, geschah gewiß auch nicht ohne die tiefere Begründung einer Vorsichtsmaßregel. Der Wagen, in dem beide Monarchen, der Kaiser und der italienische König, vorüberfuhren, wurde nicht nur eskortiert von zwei Cavalcaden der wundervoll goldgerüsteten Garde, sondern von Reitern rings umgeben. Also direkt neben dem Schlage begleiteten hohe Offiziere zu Pferde die Herrscher. Da der Italiener viel kühleres Temperament offenbart, wenn er Fürsten zurufen und grüßen soll, als wir, — er pflegt eher . ' vo" i die Truppen- ,.ang prachtvoÜ rauschend, als alle grellen. Die ganze gewaltige von den mächtigen Accorden des „Heu Dir im Siegerkranz". Die russische Nationalhymne würde beim Zarenbesuch nicht minder kraftvoll erklungen kein. Herr Ferri und Freunde Härten vergeblich die tüchtigsten Lungen verbraucht, um mit den schmetternden Tuben pfeifend zu konkurrieren. zu klatschen, — so hatte man eine ganz eminente Militär-Mustkkorps längs der Straße in die linien eingereiht. Es klang prachtvoll rau'" diese Musikkorps rusammenspielten. Straße war erfüllt von den im Siegerkranr". Die russische Nationalhymne wurde lZarenbesuch nicht minder kraftvoll erklungen rein. Herr Ferri Freunde hätten vergeblich die tüchtigsten Lungen verbraucht, Uebrigcns, begreiflich genug, wenn der Italiener die fest liche Musik hört, gehts ihm so wie allen anderen Leuten, er kommt in vergnügte Stimmung und möglicherweise hätten vereinzelte Schreier und Pfeifer tüchtige Rippen stöße riskiert. In der Nähe des Ouirinals kam beim Besuche Kaiser Wilhelms eine Zugstockung vor, aber auch dies war nicht von Belang; womit jedoch nicht gesagt sein soll, daß der Präsident der Polizei und der Kommandeur der Truppen nicht erleichtert aufgeatmet haben werden, als die Herrscher glücklich in die schützenden Mauern de« Königs- palasteS eingetreten waren. Es ist gewiß keineswegs in Abrede zu stellen, daß der Person des absoluten Monarchen, des Zaren Nikolaus, in er höhtem Maße Gefahren drohen. Aber auch Kaiser Wilhelm ist von Fürstenseinden, von Anarchisten gehaßt und be droht. Sicherlich ist sein Einzug in Rom ein Beweis des MuteS und der Unerschrockenheit. An ihn kann man den Vorwurf nicht adressieren, den jenes obenerwähnte Journal in den Hinweis kleidet, daß ehemals die Fürsten an die Spitze sich stellten. Ein noch größeres Militäraufgebot würde die völlige Ausschließung des Publikums bedeuten, ohne gegen etwa aus politischen Konspirationen gereifte verbrecherische Taten einen noch wirksameren Sckutz gewäbren zu können. Es sind eben schon jetzt alle möglichen Vorsichtsmaßregeln getroffen und nur der Unvollkommenheit aller menschlichen Berechnungen würde die Schuld gegeben werden müssen, wenn trotzdem der Scharfsinn oder die verwegene Kühnheit deö Anarchisten, unter Selbst aufopferung des Betreffenden, einen fluchwürdigen Anschlag auSzuüben vermöchte. Der König von Italien selbst, der doch wahrlich unter erschütternden Eindrücken steht, da sich die frevlerische Mörder faust auch gegen sein Haus erhoben, umgibt sich bei seinen Reisen im Lande mit auffällig geringen SicherheitSmaß- regeln. Bei seinem ersten Besuche in dem wenig monarchisch gesinnten und liberalen Mailand vor zwei Jabren sprengte das Publikum leicht den Truppenlordon und umwogte den Galawagen des KönigSpaares. Als der Ver treter de« Monarchen, der Graf von Turin, der Grundstein legung des Campanile zu Venedig beiwohnte — freundlich begrüßt von dem damaligen Patriarchen, dem jetzigen Papst« —, waren zwar sämtliche Brücken militärisch besetzt, doch auch hier hätte verbrecherische Intelligenz leicht eine »II «»non. S L KipMcr. TaMlÄ Anzeiger. Ämtslitatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Rolizeiamtes -er Ltadt Leipzig. L a L <L 6. w.Op.87 ü. S. L L I.0.ILA
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