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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031022028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903102202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903102202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-22
- Monat1903-10
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Bei der Begrenztheit des Programms hätte sich die Beratung früher erledigen lassen, wenn nicht Wert darauf gelegt worden wäre, jeden Teilnehmer zu Worte kommen zu lassen. Das Programm der Finanzminister-Konferenz ist insofern ein „begrenztes" zu nennen, als auf ihm zunächst die Konstatierung der leidigen Tatsache ter Mißlich leit der augenblicklichen Finanzlage im Reiche und deren Rück wirkung aus die Finanzaebahrung in den Einzelstaaten steht. In zweiter Linie handelt es sich darum, ru erwägen, was in der Zwischenzeit bis zum Inkrafttreten der neuen Handelsverträge und des neuen Zolltarifs zur Besserung der Finanzlage zu tun ist. Tie Ansichten darüber, wie die finanziellen Wirkungen des dem- nächstigen Inkrafttretens des neuen Zolltarifs einzu schätzen sind, gehen bei den Teilnehmern der Konferenz aus einander. Der Meinung, es seien aus den agrarischen Zöllen verhältnismäßig hohe Einnahmen zu erwarten, be gegnet die andere, sicher nicht minder berechtigte, die finan zielle Wirkung der Zollerböhung werde durch die Prohibitiv zölle stark beeinträchtigt werden. Uebereinsti m inenv fprachen sich die Teilnehmer der Konferenz dafür aus, es möge zunächst das Aeuß erste versucht werden, um bei der Ausstellung des Etats Sparsamkeit walten zu lassen und die Möglichkeit zu gewähren, die Pflicht der Schuldentilgung mehr in den Vordergrund treten zu lassen, ^als bislang geschehen ist. Es liegt in der Natur der Sache begründet, daß Abstimmungen in der Konferenz nicht vvrgenommcn wurden. Die Vorschläge werden ack rokoroiuiuin genommen, sie werden den Einzel regierungen unterbreitet und des weiteren zum Gegenstände der Beratung im Bundesräte gemacht werden." — Das klingt sehr wenig tröstlich, selbst wenn man annimmt, die Herren Finanzminister wünschten die Pflicht der Schulden tilgung im Reiche erst nach dem Eintritte der finanziellen Wirkung der neuen Handelsverträge in den Vordergrund gestellt zu sehen. Denn wenn eine Ucbcrcinstiminnng darüber, was in der Zwischenzeit geschehen soll, um die Matrikular- beiträge auf gleicher Höhe mit den ttcberweisungen des Reiches zu halten, nicht erzielt worden ist, so wird mau im besten Falle auf die Wirkung der Konferenz noch lange warten müssen. Leider ist eS auch höchst fraglich, ob ter Reichstag sich darauf einlassen wird, bis zur Durch führung einer gründlichen Rcichsfinanzrcform das Reich auf Deckung seiner Defizits durch Anleihen zu ver weisen. Das Zentrum wenigstens wird ohne Kon zessionen der Einzelstaaten ans kirchcnpolitischem Ge biete (Iesuitengesetz und Toleranzantrag) sich schwerlich bereit finden lassen, diese Staaten zn entlasten, und Herr Eugen Richter kämpft schon jetzt in seiner „Freis. Ztg." gegen das Bestreben an, die Matrikularbeiträge mit den Ueber- weisungen des Reiches auf gleicher Höbe zu halten. Er nennt dieses Bestreben „bayerische Finanzpolitik im Reiche" nnd meint, es sei für Preußen und Bayern eine ganz leichte Sache 15 bezw. 2,4 Millionen Mark an Matrikularbeiträgen zur Balanzierung des Reichsetats für 1'303 aufzubringen. Das mag richtig sein; wenn aber gerade diese beiden größten Staaten durch die Schwankungen zwischen Ueberweisungeu und Matrikular beiträgen nickt besonders schmerzlich empfinden, so bilden sie dock nicht das Reich. Wiesebr;. B. Sachsen dieseSchwankungen empfinden muß, ergibt sich daraus, daß eS in den Jahren 1884/85 bis 1898/9!) beinahe 29 Millionen Mark mehr an Ueberweisungeu erhalten hatte, als es Matrikularbeiträge zahlte. Aber diese Ueberschüsse wurden wegen ihres Schwankens zu dem bedenklichsten Geschenke. Geheimrat I)r. Georgi sagt darüber in seiner bereits besprockenen Schrift: „Der Staatshaushalt des Königreichs Sachseu": „Schwankungen wie die von 11230 000 ./6 (i. I. 1890 91) auf 882 000 )i. I. 1894,95) fallend, dann wieder auf 3 325 000 (1896/97) steigend und wieder auf 1.39000 ./6 (i. I. 1898 99) fallend, stehen zu einer normalen Budgetentwickelnng eines Landes wie Sachsen in gar keinem Verhältnisse. Sie können eigentlich nur als außerordentliche Einnahmen behandelt werden, aber das ist doch nicht der Gedanke, der den Ueberweisungen zu Grunde gelegen hat, und deshalb ist eben die Gefahr groß, daß auf hohe Ueberweisungen hohe dauernde Ausgaben gegründet werden, oder daß mit Rücksicht auf sie auf regelmäßige Einnahmen verzichtet wird. Dieser Gefahr ist man in Sachsen in beiden Richtungen erlegen; und mit Rücksicht darauf hat man in Sachsen seit der Periode 1896 97 eine» Ausgleichsfonds in sich gebildet; aber es ist doch grund sätzlich unrichtig, den Einzclstaat zu nötigen, sich gegen solche Stöße aus der Reichsfinanzverwaltung in sich zu versichern. Namentlich aber wird die Maßregel dann ungenügend, wenn, wie dies in den letzten beiden Butgetperiodrn der Fall gewesen, das Ueberwiegen der Matrikularbeiträge konstant, der angcsammelte Fonds aufgezehrt wird und das Defizit aus den Landessteuern gedeckt werden muß." Dagegen wird auch Herr Eugen Richter nichts Stich haltiges einzuwenden wissen. Aber was ist ihm Sachsen, das seiner Partei keine NeichStagsmandate verschafft? Und bas Zentrum wird sich sicherlich die Gelegenheit nicht ent gehen lassen, gerade Sachsen, daö von der Aufhebung des 8 2 des IesuitengesetzeS nichts wissen will, seine Macht an einer Stelle fühlen zu lassen, wo der Schuh am meisten drückt. Dunkle Andeutungen über eine angeblich in bürgerlichen Kreisen ins Leben gerufene B eweg» ng gegen d cu Er la ß eines neue u Sozia listen- gesetzes macht die „Saale-Ztg.", indem sie schreibt: Erfreulicherweise scheint man innerhalb der Regierung keine Neigung zu habe», ihren «der „Scharfmacher") Wünschen und Forde rungen Rechnung zu tragen. In diesem Falle hat Graf Bülow an den Fehlern feines ersten Vorgängers und Meisters gelernt, und auch die allerhöchste Stelle, der Träger der Krone, hat neuerdings erkennen lassen, daß er hinsichtlich der Mittel, die zur Bekämpfung der Sozialdemokratie dienlich erscheinen könnten, seinen früheren Standpunkt anscheinend erheblich modifiziert hat. Ein Vergleich der Essener mit der Da nziger Rede au die Arbeiter läßt der Annahme Raum, daß sich an leitender Stelle die Ideen, in welcher Weise die immer mehr anschwcllende sozialistische Höchst» wirksam einzudämmen sei, in wesentlich anderer Richtung bewegen als seither, in einer Richtung, die jedenfalls eher zur Gesundung der modernen Arbeiterbewegung führen könnte, als es die Politik der Macht und Gewalt, wie sie sich im Sozialistengesetz charakteri sierte, zu tun vermöchte. Vielleicht hängen damit jene geheimen Konferenzen zu sammen, die seit einiger Zeit hier und da abgehalten werden und den ausgesprochenen Zweck verfolgen, Mittel und Wege zur Einleitung dieses Gesundungsprozesses ausfindig zu machen. Hier in Halle haben sie begonnen und in Berlin sollen sie demnächst, wie wir in Erfahrung gebracht haben, fort gesetzt werden. Männer aus allen Kreisen sind es, die an ihnen teilnchmen, Männer vom Hofe und von der Regie rung, von der Hochfinanz und von der Großindustrie, ans Handel nnd Gewerbe und aus dem Beamtentum', Männer auch, die inmitten der nationalen Arbeiterbewegung stehen. Adel und Bürgertum sind gleichmäßig in diesen Konferenzen vertreten, und wenn die Ergebnisse ihrer bisherigen Beratungen auch noch streng geheim gehalten werden, so fehlt es doch nicht an Anhaltspunkten dafür, daß die wenigen Stimmen, die auf den ebenso ausgetretenen wie gefährlichen Wegen der Ausnahme, gesetzgebung beharrten und in ihrer Verfolgung die einzige Mög- lichkeit sahen, etwas zu erreichen, so gut wie völlig beiseite ge schoben worden sind. Ob und inwieweit die leitenden Kreise zu jenen Konferenzen in Beziehungen stehen, entzieht sich zunächst noch unserer Kenntnis; ihre Zusammensetzung aber läßt der Vermutung Ranm, daß es der Regierung nicht unerwünscht sein wird, aus den Verhandlungen Anregungen für ihre fernere Stellungnahme der Sozialdemokratie gegenüber zu gewinnen. Wahrscheinlich handelt eS sich um nichts anderes als um ein Gegenstück zu der viel besprochenen „Bewegung" zu Gunsten einer Beschränkung des Reichstagswablrechts. Sollte aber wirklich mehr an der Sache sein, so kann man nur wünschen, daß die Leiter der „geheimen Konferenzen" diese einschlafen lassen. Daß der jetzige Reichstag, wenn nicht Zwischenfälle ganz besonderer Art eintreten, für ein neues Sozialistengesetz nickt zu haben ist, braucht nicht noch mals betont zu werden. Und treten umstimmende Zwischen fälle ein, so bedarf eS keiner Konferenzen. Diese könnten nur, wenn mehr von ihnen bekannt würde, zu einer Be wegung für einschneidende gesetzliche Maßregeln gegen die Sozialdemokratie führen und die Folgen dieser gegen ein ander kämpfenden Bewegungen würden zweifellos den Um stürzlern zu gute kommen. Der verschobene Zarcnbesuch. Der italienische Botschafter in Petersburg, Graf Mvrra di Lauriano, sollte auf seiner Durchreise durch Paris dem dort zum Besuche anwesenden Könige von Italien Vortrag über die Verschiebung der Reise des Zaren gehalten haben. Tie Meldung wurde bereits dementiert. Jetzt geschieht dies durch den Botschafter selbst noch, und zwar in einer die ganze Angelegenheit in ein neues Licht rückenden Form. Eü wird uns berichtet: * Rom, 21. Oktober. Botschafter Graf Morra di Lauriano, der sich gegenwärtig in Viareggio aufhält, erklärte einem Redakteur des „Giornale d'Jtalia", er sei duijch Paris gcroisti ohne den König oder den Minister Morin gesehen zu haben.' Als er am 13. d. M. aus Petersburg abgcrcist sei, habe Graf Lambsdorff ihm gesagt: Auf Wiedersehen in Rom. Graf Morra bemerkte weiter, nicht in Petersburg, sondern in Rom habe sich der beklagens werte Zwischenfall ereignet, der die Ver schiebung des Besuches des Kaiser Nikolaus ver ursacht habe. Er glaube, die Mißdeutung der Verschiebung die nicht durch die sozialistische Agitation ver schuldet sei, werde leichr beseitigt werden, und der Kaiser werde demnächst den Besuch des Königs Viktor Emanuel erwidern. „Giornale d'Italia" teilt mit, daß der Bot schafter Nelidow in allernächster Zeit seinen Urlaub antrere. Also nicht die sozialistische Agitation! Das hatte bisher alle Welt angenvnmlcn. Aber welches war nun der Grund? Darüber hüllt mau sich in Nom und in Peters burg in absolutes Schweigen und es nutzt nichts, sich in allerhand Vermutungen zu ergehen. Jedenfalls liegt die Verschuldung an dem beklagenswerten „Zwischenfalle" in R o m und mit ihr hängt offenbar auch die Demission des Kabinetts Zanardelli zusammen. Ueber den zurücktrctcnderi Ministerpräsidenten wird uns'noch berichtet: * Nom, 21. Oktober. Man erwartet das Eintreffen des Königs aus Schloß San Rossore. — Zanardelli wird sich, sobald angängig, nach Maderno begeben und die begonnene Kur wieder aufnchmen. * Nom, 21. Oktober. Die „Tribuns" wendet sich in heftiger Weise gegen die Gegner Zanardellis, die versuchten, diesen für den Aufschub des Besuchs des Kaisers von Rußland verantwortlich zu machen, und betont, daß nicht dieser Vorfall, sondern nur Gesundheitsrück sichten Zanardelli zum Rücktritt bestimmten. Zanardellis so plötzlich und unmittelbar nach dem glänzenden Empfange des Königs in Paris auftretende Altersschwäche ist sicher diplomatischer Natur. Ein Kabi nett tritt nicht in demselben Augenblick vom Schauplätze ab, in welchem es einen so großen Erfolg in der äußeren Politik — Annäherung an Frankreich — errungen hat, wenn es nicht gleichzeitig einen Fehler begangen hat, der schwerer wiegt, als jener Erfolg. Die Entscheid»«« in der Alaska-Frage. Nach Meldungen der „Associated Preß", die jetzt von verschiedenen Seiten bcstätiat werden, kam die Alaska- grenzkommissivn am Sonnabend nachmittag dahin über ein, in der Alaskafrage sämtliche amerikanischen Forde rungen, mit Ausnalnne der auf den Portlandkanal bezüg lichen, anzuerkcnnen. Diese Nachricht erregt, wie voraus- znsehen war, in Kanada große Entrüstung und findet auch in England keineswegs ungeteilten Beifall. Der Streit in der Alaska-Angelegenheit drehte sich um einen Gebirgszug, von dem man anuahm, daß er mit der See parallel liefe. Dieser Gebirgszug war in dem Vertrage erwähnt worden, den 'England und Rußland im Jahre 1825 abschlossen. Als die Vereinigten Staaten den Russen Alaska abkauftcn, gingen die Rechte des Vertrages auf sic über und wurden von besonderem Interesse durch die Goldfundc in Klondüke. Die Schuld an der Ver wirrung trägt in erster Linie Kapitän Vancouver, der im Jahre 1792 die Küste aufuahm. Er sah in der Ferne im Norden einige hohe Bergspiven und schloß daraus aus unbekannten Gründen, daß sich diese Berge an der ganzen Küste entlang zögen. In Wirklichkeit bestand eine der artige Gebirgskette jedoch nicht. Einen ähnlichen Fehler Feuilleton. Das neue Modell. 19j Roman von Paul Oskar Höcker. Nachdrurs "erboten Auf den Boulevards vor den unzähligen Cafes werden die Terrassen zurcchtgestellt: lange Reihen von Stühlen und winzigen Marmvrtischen für die Rastbedürftigcn, die eine kleine Erfrischung nehmen und die Passanten in aller Behaglichkeit kritisieren wollen. Es ist eine un endliche Lüsterallee, die sich von Ost rmch West durch ganz Paris hindurchzicht, vom Bastillenplatz über den Mont martre, bis zur Oper, vom Evneordicnplatz durch die Champs-Elysees bis zum Bois. Und dicht vor den Lack schuhspitzen der unzähligen Damen und Herren der Lebe welt, die da die blauen Cigarettcnringlein in die Lust passt, schwatzt, lacht, liest, flirtet, spielt, rechnet, ißt und trinkt oder nippt, schiebt sich der bunt wechselnde, unauf hörliche, unerschöpfliche Strom der den Frühling ge nießenden Bummler aller Stände und sozialen Kreise vorüber. Irgendwo baut sich ein kleines italienisches Streich orchester auf, oder ein Zigcuncrtrupp, oder eine böh mische Harfenistenkapelle, oder ein Negertrio. Da wird die Geige gestrichen, die Klarinette geblasen, der schlägt die Gitarre, jener die Mandoline, die Zither. Da zwischen läßt sich ein schmelzender Straßentenor in romanischen Kehllauten vernehmen, der Dudelsack quakt seine grotesk-komische Melodie dazwischen. Eine melan cholische Ziehharmonika, meisterlich gespielt, gibt be kannte Klänge ans dem Troubadour zum besten. Und die Menge summt mit, es zirpt und trällert und flötet aus allen Plätzen, in allen Gassen. Auch über Hans Donat war der große, mächtige, sinn bestrickende Rausch gekommen, der in den ersten warmen, sonncvergvldctcn Maitagen den Pariser zum Fröhlichscin, zum Leichtsinn, zum Jungsein verführt. Er war wieder wie damals im Winter mit Feuer und Flamme bei der Arbeit: — aber nur so lange er draußen in Autcuil, in der Fabrik, weilte. Lag die Werkstatt hinter ihm, dann waren die Gcschästssorgcn, die Bedenken, die Berechnungen, (Hcduldprvbcn und die Aufregungen des Konstrukteurs vergessen. Frühaufsteher war er noch immer. So ermüdend, so erregend die weiche Krühlingsluft war, er brauchte hier nicht halb so viel Schlaf, als daheim. Wenn sich in sein schmuckes Junggescllenquartier beim Park Monccau, auf dessen Baumwipfel seine Fenster nicdcrsahen, die ersten roten Sonnenreflexe stahlen, dann duldete es ihn nicht mehr daheim, mochte die laue Mainacht, die hinter ihm lag, ihn auch bis zur mitternächtigen Stunde draußen in ihrem Bann festgehalten haben, bei einer fröhlichen Dampferfahrt auf der Seine, bei einem Picknick draußen bei Versailles, bei Fontainebleau, bei St. Eloud, bei einem der Gartcnkonzcrte in den großen Stadtparks, wo sich alles, was jung und sorglos und elegant war, ver einigte. Es gab kein hübscheres Bild, als das eines sonnigen Morgens in Paris bei Beginn der Arbeitszeit: das Auf und Nieder der mit irgend einem kleinen koketten Putz geschmückten Arbeiterinnen, Hie in die Fabriken und Magazine schlenderten, ihc Lachen und Schwatzen, wenn sic Bekannte trafen. Für die paar Morgenstunden bis nm 9 Uhr fühlten sie sich als die Herrinnen von Paris — und anch ihrer Zeit, ihres Glückes, ihrer Jugend. Und so armselig die Erwcrbsverhältnisse der meisten sein mochten, in ihrem Anzug ließ keine eine gewisse tändelnde Sorgfalt vermissen. Viele putzten sich wohl für die kecken Flirtercicn, die sich unterwegs ergaben. Eben- svvielc aber auch bloß aus dem eigenen Bedürfnis, recht hübsch auszuschcn und es der großen Welt gleichzntnn. Die Art, wie sic das billige, aber doch elegante Schuh werk zeigten, ein Sträußchen am Gürtel trugen, mit einem Sonnenschirm oder gar einem Fächer zn han tieren wußten, war nur bei einer romanischen Rasse denk bar, der der südliche Schönheitssinn aus einer Jahr tausende alten Kultur als verlockendes Geschenk über kommen ist. Hans Donat war mit beiden Füßen zugleich in dieses neue Leben hineingcsprnnaen. Manchmal, an den Rcaentaaen — aber auch nur dann — stiegen wieder die alten Bedenken leise in ihm aus, er mußte au die ehrlichen, herben Worte Wcstcrnhagcns denken, er mußte sich Liselottens vorwurfsvolle, traurige Augen vorstcllen. Jedoch gewaltsam riß er sich dann immer wieder los. Es >uar jetzt nickt bloß Genußsucht, nicht bloß Leichtsinn, wae, ihn hier fcsthiclt; cs war jetzt cl-cr eine Art Trotz, die ihn gegen alles revolutionär stimmte, was ihn in Banden schlagen wollte. Nur einem Zwange fügte er sich, mit vollem Bewußt, sein fügte er sich ihm: das war Hie Herrschaft, die Marion über ihn, über seine Sinne, sein ganzes Dasein ausübte. Mit erstaunlicher Meisterschaft spielte sie wieder die Weltdame hier in Paris. Das kurze Intermezzo ihrer Verbannung schien sie selbst ganz vergeßen zu haben; und die andern vergaßen es, nachdem das erste Raunen und Flüstern und Achselzucken überwunden war, gleichfalls. Monsieur Hcvesn, der Brüsseler Geschäftsfreund, hatte Capitant die Möglichkeit gegeben, seine dringendsten Schulden abzutragen und fick von der dem Betriebe so hinderlichen Bevormundung durch die Vertrauensmänner der Gläubiger frei zu machen. Auf die Wiedereinrichtung ihrer großen Wohnung in der Avenue Victor Hugo leistete Marion Verzicht. Sie lebte viel lieber in einem ersten Hotel, wo sic von einem Heer von Angestellten bedient ward. Ihre einzige Trauer war die, daß ihre entzückende Charette bei den Zahlungs schwierigkeiten im März als erstes Opfer den Weg alles Irdischen gegangen war. Das Automobil, das ihr Mann ihr neuerdings zur Verfügung stellte, ließ sich nicht im entferntesten mit dem schmucken Gefährt vergleichen. Es war ein älteres Modell, das in der Fabrik nur frisch montiert worden war. Andere Arbeiten, als die Kon struktion des neuen Alkohol-Modells nach Dvnats System sollten vorläufig nicht ausaeiührt werden. Sowohl Ca pitant als auch Hevcsn hatten an dem Sustem noch ein paar kleine Acnderungen vorzuschlagcn gewußt, die Donat gern acceptiert hatte. Es ward hierauf ein Patent erwirkt und der Bau dann sofort mit aller Energie ausgenommen. Der Plan ging dahin, auf der großen Automobil ausstellung in Buffalo mit je einem Mustcrwagen für Luxus- und Arbeitszweckc vertreten zu sein. Bei den Wettfahrten, die in Verbindung mit der Ausstellung statt finden sollten, gedachten sie die Leistungsfähigkeit der neuen Maschinen ausreichend darzulcgcn, und hofften für Sommer und Herbst auf starke Nachträge. Marion hatte bestimmt erklärt, daß sic nach Buffalo mitkommen werte. Sic machte auch Donat klar, von wie großem Vorteile cs für ihn sei, wenn er sich die Fach ausstellung anichcn könne; außerdem schilderte sie ihm das Lebe» da drüben in so verlockenden Farben, daß er schließ lich zu allem Ja und Amen sagte. Da brachte George Cavitant aber eines Tages aus dem Automobilklub die sensationelle Nachricht, daß man einen schon im Winter viel besprochenen, wegen allerlei politischer und technischer Schmierigkeit indessen wieder fallen ge lassenen großen Wettfahrplan soeben von neuem auf- genommen hatte, der geeignet war, alle Automobilwerke in die fieberhafteste Tätigkeit zu versetzen. Es war an einem warmen Maiabcnde; bie Herren hatten sich mit Marion dahin geeinigt, -aß man sich um eine bestimmte Stunde an der Dampferstation Her Jenaer Brücke treffen wolle, um gemeinsam nach einer der Garten vorstädte am Seineufer zu fahren und dort ein ländliches Mahl zu nehmen, wie cs Marion zur Abwechselung liebte. Hans Donat hatte fick gleich in der Fabrik in seinen Hellen Promenadenanzug geworfen und kam, eine Blume im Knopfloche und ein Vorstecksträußchen für Marion in der Hand, als erster zur Stelle. Fast gleichzeitig traf Hanu das Ehepaar ein. „Denken Sie sich", rief Capitant dem jungen Deutschen zu, „noch bevor wir über Hen Atlantique wallfahrten, wird es in Frankreich eine allgemeine „Promenade L Berlin" geben." Lachend unterbrach er sich, als er Donats verwundertes Gesicht sah; „es ist aber kein so blut dürstiger Rachezug, wie ihn unsere Väter anno 70 planten. Diesmal ist es nur eine freundschaftliche Blitzvisitc." Donat hatte über den abcnteucrlickren Plan einiger der cnragicrtcsten Sportsleute von Paris, eine Wettfahrt von Paris nach Berlin zu unternehmen, schon im vorigen Winter in den Zeitungen, dann auch zu Beginn des Früh jahrs im Automobil-RcnnkalcnHcr gelesen. Die Idee selbst war nun fast ein Jahr alt. Er hatte die Ausführung jedoch für ganz unmöglich gehalten. Bo sonders überraschte es ibn, daß man so bald nach der Fahrt Paris-Bordeaux, die im ganzen, was die 'Aufnahme beim großen Publikum betrifft, doch eindrucksloser verlaufen war, als man in Tvortskreisen erwartet hatte, den Mur zu einem solch großen, noch viel umfassenderen Unter nehmen fand. Es gab noch an Bord des Dampfers, -er in ziemlicher Geschwindigkeit die blauen, weiß überköpfenden Fluten durchschnitt, einen lebhaften Meinungsaustausch hierüber. Marion war für jede Sensation zu haben. So zeigte sie auch für dieses neue Rennen sofort den lebhaftesten Enthusiasmus. „Die Wettfahrt i^aris-Bordeaux hat das schlummernde Jntercflc erweckt", sagte Capitant. „Jetzt kommt aber erst der eigentliche Schlager, wo es sich um ein« doppelt so große Strecke bandelt nnd wo sich der Konkurrenzkampf der französischen Industrie zum ersten Male ans deutschem Bode« avspielcn wird!" „Ich halte das, her den im ganzen doch noch immer
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