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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031023029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903102302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903102302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-23
- Monat1903-10
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Und wie solche erschnappte Neuigkeiten fast immer unvollständig und einander wider sprechend sind, so auch in diesem Falle. Nur darin stimmt daS, waS gemeldet wird, überein, daß ein mixtum com positum geschaffen, d. h. die Mitglieder der Zweiten Kammer auf zweierlei Weise gewählt werden sollen: ein Teil in 16 Wahlkreisen so, daß jede Klasse für sich in direkter und geheimer Wahl ihren Ab geordneten wählt, ein anderer Teil soll sich ständisch zu- sammensetzen. Darüber aber, wie dieser ständische Teil der Kammer gewählt werden und wie daS Stärkenverhältnis der Berufsvertreter sein soll, gehen die Meldungen ausein ander, sofern sie nicht völlig versagen. Während nämlich von einer Seite behauptet wird, den 48 aus Klassenwahlen hervor gegangenen Abgeordneten sollten ebenso viel Berufsvcrtreter an die Seite gestellt werden, von denen die Hälfte der Land wirtschaft Vorbehalten bliebe, 12 von den Handels- und 12 von den Gewerbekammern zu wählen sein würden, wird von der anderen Seite die Zahl der ständischen Ver treter auf nur 35 beziffert und hinzugefügt, von diesen 35 Man daten sollten 20 für Handel, Industrie und Handwerfk, 15 für die Landwirtschaft reserviert werden mit der Maßgabe, daß auch die Arbeiterschaft berücksichtigt werde. Völlig unklar ist in der letzteren Meldung, wie eine solche Berücksichtigung der Arbeiterschaft bewirkt werden soll. Aber auch wenn man von dieser Frage ganz absieht und es völlig dahingestellt sein läßt, wie die starke der aus Klassen- und auS Berufswahlen hervorgehenden Abgeordneten sich verhalten soll, muß man sich, selbst wenn man aus dem Standpunkte des gemäßigtsten Liberalismus steht, vou dem Uetzereinstimmenden der Meldungen sehr enttäuscht fühlen. Daß die indirekte Wahl be seitigt werden, aber die geheime Wahl bestehen bleiben soll, ist ein Fortschritt, der nicht verkannt werden darf; auch ist wohl anzunehmen, daß bei der Bildung der 16 Wahlkreise nicht nur die Bewohnerzahl, sondern auch die vorwiegenden Inter essen dieser Kreise besser als bisher berücksichtigt werden. Aber diesen Fortschritten steht durch die Verquickung von Klassenwahlen und ständischen Wahlen ein Rückschritt entgegen, der jenen Fortschritt völlig aufhebt. Man braucht sich nur an die Zeiten zu erinnern, in denen ständische Ver tretungen die Regel bildeten, um das zu begreifen. Es liegt auch ganz in der Natur der Dinge, daß ständische Vertreter sich geradezu verpflichtet fühlen, nicht das Gesamtwohl, sondern das Interesse ihres besonderen Standes im Auge zu halten und selbst politisch widernatürliche Bündnisse nicht zu scheuen, um dieses Interesse zu fördern. Davon, daß z. B. bei den Wahlen zu den Handels- und den Gewerbekammern, wenn diesen besondere Mandate Vorbehalten werden, politische Gesichtspunkte in den Vordergrund treten und daß bei diesen Wahlen nicht mehr sachliche, sondern politische Rücksichten den Ausschlag geben werden, weil jede Partei umsomehr Kammermandale zu erringen hofft, je mehr sie Anhänger in die Handels- und in die Gewerbekammern bringt — davon wollen wir gar nicht reden, denn eS ist schließ lich Cache dieser Kammern. Aber wenn für die Zusammen setzung der Zweiten Kammer auch ständische Interessen mit maß gebend sein sollen, welches Ringen muß entstehen, um auch solchen Interessen eine gesonderte Vertretung zu fckzaffen, die in dem pro jektierten Wahlgesetze nicht berücksichtigt sind^ Hausbesitzer, Mieter,Beamte, Rechtsanwälte,Aerzte, Geistliche,Lehrer, Privat angestellte usw. werden u,nd müsfen, wenn in der Zweiten Kammer ständischen Interessen eine besondere Vertretung prinzipiell zugcbilligt wird, in großen Gruppen anstürmen, um auch für sich eine ständische Vertretung zu erringen und das kaum erlassene Gesetz einer abermaligen Revision zu unterwerfen. Es ist gar nicht abzusehen, welche Be wegung durch die Einführung dcS Prinzips der ständischen Vertretung jjz das Landtagswahlrecht bcraufbeschworen, welche Verwirrung m die Wahlbewegung hineingetr'agen würde. Und wo bleibt endlich die Gerechtigkeit, wenn bei einer nicht nur die Bevölkerungszahl, sondern auch das vorwiegende Interesse der Wahlkreise berücksichtigenden Neueinteilung dieser Kreise die Klassenwahlen eine dem Stärkeverhältnisse der Stände nahezu entsprechende Vertretung ergeben und dann außerdem noch einzelnen Ständen besondere Vertretungen hinzugegeben werden? Je bester das Klasfenwahlrecht reformiert wird, um so weniger verträgt sich mit rbm daS Anhängsel ständischer Vertretung. Wir müssen daher wünschen, daß die demnächst zirsammentretenden „Begutachter" des Entwurfs der Regierung dringend abraten, bei diesem mixtum com positum zu beharren. Es würde in der Zweiten Kammer sicherlich der schärfsten Kritik begegnen unp, wenn es trotzdem Gesetz werden sollte, daS ohnehin beunruhigte Land in neue Beunruhigung versetzen. Die Hydra -er Revision erhebt, unbeirrt durch die Resolution deS Dresdener Parteitages, drohend ihr vielköpfiges Haupt. Insbeson dere die „Chemnitzer Volksstimme" versündigt sich auf das ärgste am Dogma der rechtgläubigen Sozial demokratie. Tenn dieses im Wahlkreise des Reichstags abgeordneten Schippel erscheinende Blatt verlangt, daß man sich politisch auf den Boden der Tatsachen stelle, wie die Gewerkschaften cs wirtschaftlich längst getan hätten. Als Tatsache aber gilt der „Chemnitzer Volksstimme", daß die Sozialdemokratie nicht gegen den Willen der bürgerlichen Gesellschaft, sondern nur mit ihrer Zustim- znung das durchsetzen könne, was sie im Interesse der Arbeiter für notwendig l-alte. Außerdem aber sieht die „Chemnitzer Volksstimmc" es als ein dringendes Erfor dernis an, die Besorgnis vor der pomphaft «»gekündigten „Diktatur des Proletariats", d. h. vor einer neuen Klassen herrschaft, zu zerstreuen und die Aufrechterhaltung des all gemeinen Wahlrechtes vermittels der Annahme des Pro portionalwahlsystems durch die Sozialdemokratie zu zer streuen. Die orthodoxe „Leipziger Bolksztg." nennt diese Anschauungen einseitige Gewerkschafts borniertheit, die in parlamentarischen Cretinismus aus arte, und schüttet deshalb über das Chemnitzer Bruder organ die Schale ihres Zornes auS. Das Organ des Buchdruckerverbandes dagegen begrüßt die Chem nitzer Kundgebung mit der größten Zufriedenheit und stellt ihr den Umstand gegenüber, daß in Sachsen unter der Herrschaft des sozialdemokratischen Radikalismus die Verhältnisse der Sozialdemokratie immer schlechter ge worden seien und sie im politischen Leben des Landes zur Ohnmacht verurteilt sei. Einer der ehemaligen sächsischen Radikalen, „Genosse" ParouS, nimmt jetzt gegen den radikalen Obergenosten Bebel insofern Stellung, als er ihm zum Vorwürfe macht, selbst nicht zu missen, auf welche Weise die politische Macht zu erobern' sei. Ueber diese Frage, die Parvus nach dem letzten Wahlergebnis sür ein aktuelles Problem hält, will Pavvus volle Klar heit geschaffen misten und empfiehlt zum Zwecke der Feststellung, ob die Sozialdemokratie bloß ein Berg von Stimmzetteln oder eine politische Macht sei, den politischen Massenstreik, „mit dem speziellen Zwecke, die parlamentarischen Rechte zu verteidigen oder zu erobern". — Das Buchdruckerorgan will der Arbeiterschaft „solch gemeingefährliche Probleme" nicht aufhalsen lassen. „Handlanger der Partei im schlechtesten Sinne des Wortes", schreibt der „Korrespondent" katego risch, „das ist die Rolle, welche die Radikalen den Ge werkschaften zuweisen"; „man will seinen Ncvolutiona- rismus beweisen, indem man die Gewerkschaften die Ar beiten verrichten läßt, wozu der politische Radikalismus unfähig ist".—Während soRevisionisten und Rechtgläubige einander befehden, beteuert der „Vorwärts", daß „Andersdenkenden" innerhalb der Partei kein Maulkorb angelegt werden solle, und erklärt sich dafür, die Partei genossen lediglich durch theoretische Schulung gegen revisionistische Einflüsse zu immunisieren. „So lange der Revisionismus als Tendenz und Stimmung auftritt", schreibt der „Vorwärts", „denkt selbstverständlich l?) kein Radikaler daran, einem Revisionisten den Stuhl vor die Tür zu setzen; erst wenn der Revisionismus in Gestalt konkreter Verstöße gegen unser Programm in das Stadium der Fleischwerdung eintreten würde, könnte und müßte dann freilich auch der Ausschluß aus der Partei in Frage kommen." — Ist nun das Paktieren mit der bürgerlichen Gesellschaft, wie die „Chemnitzer Dolksstimme" es empfiehlt, ein Verstoß gegen das Partei programm? Und ist die Verwerfung des politischen Mastenstrciks behufs Eroberung der politischen Macht ein derartiger Verstoß? Klare Antworten hierauf wird man einstweilen schwerlich erhalten; der Streit zwischen Radi kalen und Revisionisten wird seinen Lauf nehmen und schließlich doch wohl zum Ausschlüsse der unsichersten Kan tonisten führen; aber wann dies geschieht, ist heute nicht abzusehen. JaurdS »nd das SiintgShoch. Die Teilnahme des französischen Sozialisten Iaurös an den Festen und Huldigungen für König Viktor Emanuel in Paris batte bei der Eröffnung der parlamentarischen Tagung schon ein erstes, zwar nur ein kleines, aber immerhin be merkenswertes Nachspiel. Nach Schluß der Sitzung traten, wie der „Köln. Ztg." berichtet wird, in den Wandelgängen des Hauses eine Anzahl sozialistischer Abgeordneter, unter denen sich auch der Sekretär des engern sozialistischen Parteiausschustes, Ory, befand, an Iaurös heran und stellten ihn über seine Teilnahme an den Festlichkeiten zur Rede. Es kam zu einer ziemlich heftigen Auseinander setzung, IauräS bemühte sich vergeblich, für seinen Opportu nismus in der auswärtigen Politik, den er als Vizepräsident der Kammer und Vertreter der sozialistischen Partei bekundet batte, bei den Genossen Verständnis und Billigung zu finden. Um diesen Opportunismus in seiner ganzen sozialistischen Selbstverleugnung zu verstehen, muß man wissen, daß Iaurcs als sozialistischer Vizepräsident sogar dem Fest mahle im Elysse beiwohnte, bei dem der Präsident der Republik seinen Trinkspruch auf den König von Italien mit den Worten schloß: „Aus ganzem Herzen erhebe ich im Namen Feuilleton. Das neue Modell. 20j Roman von Paul Oskar Höcker. NockirruU oerbolc» Donat war einverstanden. Es lag wieder ein Ueber- mut und ein Fieber in ihm. wie damals, als er das erste Modell der „Marion" konstruierte. „Es fällt mir aber nickt ein. allein in Paris zurück- zubletben", sagte Marion in nervöser Unruhe, während sich ihr Blick fest in den Donats bohrte, „ich will Zeuge unseres Lrömbes in Deutschland sein!" „Du kannst ja mit der Bahn nach Berlin fahren, Marion", schlug Capitant vor. „um dort das Eintreffen der Konkurrenten abzuwarten." „Nein, nein, mit der Bahn mag ich nicht fahren. Wie wäre es, George, wenn wir uns selbst an der Tourenfahrt beteiligten? Da treffen wir dann kurz vor Donat am Ziel ein." „Aber die Anstrengung, Marion", gab Capitant zu be denken. Marion lächelte und sagte spöttisch: „Monsieur ist be quem geworden!" Das traf Capitant vielleicht deshalb so empfindlich, weil ein gut Stück Wahrheit darin lag. Er liebte körper liche Strapazen durckiaus nicht. „Es ist weniger die Fahrt selbst, die so große Anforderungen an die Nerven stellt", suchte er sich gegen Marions Borwurf zu verteidigen, „als vielmehr der Umstand, daß sich bei den Empfängen in all den französischen, belgischen und deutschen Städten Fest an Fest reihen wird!" „Um so bester!" fiel Marion «in. Bälle, Soupers, Gartenfeste, Banketts, italienische Nächte mit Illumination und Feuerwerk — was gab es Schöneres für Marion? Donats Stimmung war etwas l>erabgesunken. Natür lich würde Marion auf dieser Fahrt die Gelegenheit be- nutzen, sich feiern zu lasten, die Königin aller Feste zu spielen — mit dem ganzen Aufwande ihrer Schönheit, ihrer Koketterie und ihrer luxuriösen Toiletten alle Welt zu faszinieren. Plötzlich hob er den Kopf. Marion hatte dock Trauer. Konnte sie denn im Ernste daran denken, sich an einer solchen Jubelfahrt zu bc- tetttge«? Er wollte ein Wort darüber sagen, eine Frage deshalb an sie richten — aber sie sah ihn mit funkelndem Blicke an, so befehlend, so zwingend, daß er seine Bedenken nicht über die Lippen brockte. Mehr und mehr begann sie eine Macht über ihn aus zuüben, vor der es ihm, wenn er außerhalb des Bannes ihrer Persönlichkeit weilte, selbst graute. Sie fuhren, in Paris angelangt, zunächst durch die Champs-Elysees nach dem Concordienplatze.H Hier befand sich das Klubhaus des französischen Auto mobilklubs, ein durch seine vornehme und würdige Archi tektur imponierender Bau. Herrliche Gartenanlagcn um gaben das prachtvolle Haus hüben und dzHbcn und ließen die ölrkadcngänge des Erdgeschosses und die breite Säulen halle der oberen Etage, die vor den Ko»gretzsälen lagen, wie aus einem wirkungsvollen Rahmen hervortreten. Die innere Ausstattung mit den behaglichen Sitzungs zimmern und Erfrischungsräumen, den Bureaus, Spiel- und Lesesälen entsprach der Kostbarkeit des äußeren Ein druckes. Heute boten die weiten, verschwenderisch erleuchteten Säle ein besonders glänzendes Bild. Die letzten günstigen Nachrichten, besonders die Abendtelcgramme aus Deutsch land, hatten das Jntereste für die Wettfahrt Paris-Berlin im Nu wieder aufs lebhafteste angeregt. Wer von den Klubmitgliedern es nur irgend ermöglichen konnte, stellte sich heute abend in dem eleganten Sportshause ein. Marion bewegte sich mit gewohnter graziöser Sicherheit inmitten der illustren Persönlichkeiten. Aber auch Donat fühlte fick im Verkehre mit den formgewandten Franzosen ietzt bedeutend freier, als im vorigen Winter. Uebrigens zeichnete man ihn vielfach aus. Allmählich hatte es sich auch unter den Amateuren hcrumgesprochcn, daß die Firma Cavjtant mit ihrem neuen Modell beträchtliche Chancen haben dürfte. Als kühner Chauffeur hatte Donat damals großes Aussehen erregt. Marion sagte ihm lächelnd, als sie ihm auf dem oberen Balkon begegnete: „Sie haben alle Aussicht, Fa vorit zu werden." Er sah ihr test ins Auge, ^rau Marion, ich mache das Rennen nur unter einer Bedingung mit." In leichtem Schreck zuckte sic zusammen.) „Unter der Bedingung", sagte er troyig, „daß Sie auf die Tourenfahrt verzichten!" Deshalb?" „Ich will es nicht dulden, daß Sie anderen gehören." „Sie txrannisicren mich, Donat." Verstimmt wandte sie sich ab. Einer der Herren vom Comits erschien gleich darauf auf -em Balkon. Er brachte die neuesten Tele gramme, die im Sitzungssaals eingetroffen waren. Es war ein eiliges, ein aufgeregtes Kommen und Gehen, Schwatzen, Lachen, Flirten und Kokettieren unter den Damen und Herren. Marion sah sich wieder von einer Gruppe eleganter Kavaliere umgeben. Vielfach fragte man sie, ob sie sich mit ihrem Manne an -er Tourenfahrt beteiligen werde. Jedesmal schweifte dann ein unmutiger, saft böser Blick zu Donat hinüber, der, trotzdem er sich in eifrigem Gespräch mit ein paar Fachleuten befand, sic fortgesetzt beobachtete. „Ich nehme das brennendste Interesse an der Fahrt; aber die Ergebnisse des Rennens beschäftigen mich natür lich mehr, als die der Vergnügungstour. Dazu ist die Firma meines Mannes zu lebhaft am Nennresultat enga giert. Ich hätte die Ruhe nicht, um zum vollen Genuß zu kommen." „O, Madame", sagte einer der Herren vom Comitv, „da gäbe es ja einen vorzüglichen Ausweg aus diesem Kon flikt: melden Sie sich zur Rennfahrt selbst." „Aber wie wäre das denkbar?" „Eine Pariserin von so wundervollem Temperament, solcher Schönheit, solcher Eleganz würde den Barbaren jenseits der Vogesen einen Begriff beibringen von den größten Vorzügen, die unser Land aus,»weisen hat: weib licher Grazie, weiblichem Charm und Esprit." Lebhafte Zustimmung folgte der galanten Rede. Marion war nun doch ein wenig das Blut in die Wangen gestiegen. Lächelnd wehrte sie ab: „Ich fürchte nur, daß hinter der häßlichen Gesichtsmaske und unter Zustimmung dem abscheulichen Mantel auch das aus- drncksvollste Gesicht und die schmuckesten Pariser Toiletten nicht recht zur Geltung kommen dürften." „Um so frappierender die Wirkung, wenn dem lstch- lichcn, starren, äußercnRahmen hernach ein so faszinieren des, lebendes Bild entsteigt, wie es Madame Marion ver körpert." Eine Weile sann sie den schmeichelhaften Worten nach. „Ist eS denn überhaupt statthaft, daß Damen die Renn fahrt mitmachen?" „Aber sicher, Madame, es wäre ja das Originellste und das Hübscheste, das wir uns nur wünschen könnten." Frankreichs und seiner Regierung mein GlaS zu Ehren Eurer Majestät und trinke auf ven Ruhm Ihrer Regierung, auf Ihr Wohlergehen und das Ihrer Majestät der Königin, ter Königin-Mutter, der ganzen königlichen Familie, auf die Größe und das Gedeihen Italiens." IaurcS machte es nun keines wegs, wie seine deutschen Genossen zu tun pflegen, indem sie bei einem Hoch auf den Kaiser sich bei Zeiten drücken, sondern er erhob sein Champagnerglas wie alle andern Fest theilnehmer und leerte es — als Vertreter seiner Partei — auf das Wohl des Hauses Savoyen. Als alle Versuche, die Genossen von der Zweckmäßigkeit seines Verhaltens zu über zeugen, an ihrem mangelnden Verständnis abprallten, erklärte ihnen IaurcS schließlich: „Wahrhaftig, ick verstehe eure Be denken und eure Verwunderung über meine Anwesenheit im Elysöe nicht. Sollte vielleicht einfach nur die schöne Speise karte des MahleS die Ursache sein?" „Du hast es jedenfalls gut verdaut!" erwiderte ihm der Abgeordnete Ory. Also: Magenfrage oder Ueberzeugung, darüber werden die Genossen abrcchnen. Tas Urteil im Alaskastreit. Die Entrüstung der Kanadier über ihre Aufopferung auf dem Altäre der britisch-amerikanischen Freundschaft hält an. Die Presse in Britisch-Kolumbien empfiehlt, wie dem „Berl. Tagebl." aus New Bork depeschiert wird, den schleunigen Ausbau der Eisenbahn von Port Simson nach Klondyke, um eine Verbindung des abgeschnittenen Gebiets mit dem Ozean herzustellen. Port Simson ist als Endpunkt der neuen transkontinentalen Bahn vorgesehen. Tatsächlich ist die Mißstimmung der Kanadier gegen England um so er klärlicher, als die kanadischen Schiedsrichter von dem eng lischen Lordoberrichter Lord Alverstone völlig überrumpelt worden sind. Hierüber wird dem genannten Blatte berichtet: Die beiden kanadischen Schiedsrichter weigern sich, den Schieds spruch im Alaska-Streü zu unterzeichnen, weil darin Dinge stehen, die zwar die Zustimmung des englischen Lordoberrichters erhalten haben, um die sie aber nicht befragt wurden. Kanada waren ursprünglich die in und vor dem Portland-Kanal liegenden Inseln Wales, Pearse, Sitklan und Kannaganat zugesprochen worden; die Amerikaner verständigten sich aber mit Lord Alverstone dahin, daß sie die Wales und Pearse beherrschenden Inseln Sitklan und Kannaganat behielten. Als die kanadischen Kommissare von diesem Novum hörten, waren sie sehr erstaunt, konnten aber gegen die Majorität nichts machen. Ihr förmlicher Protest wird ihnen ebensowenig nützen, da das Votum der Mehrheit zu Reckt besteht. Das offizielle Urteil der Kommission hat folgenden Wortlaut: „Die Mehrheit des Schiedsgerichtes hat als Grenze gewählt eine Linie, die von der Spitze des Portland-Kanals am Außenrande der auf der amtlichen Karte von 1893 verzeichneten hohen Bergkette bis zum Mount Whipple entlang läuft; dann folgt die Grenze der sog. Hunter-Linie von 1875, indem sie den Stikine River 21 englische Meilen von seiner Mündung überschreitet,^ dann weiter nördlich längs einer Hügel kette bis Cates Needle und von CateS Needle bis Devil's Thumb. Von hier wendet sich die Grenze übkr den Chilkoot-Paß in westlicher Richtung zu einem Berge, der auf der dem Kommissionsberichte beigegebenen Karte mit einer Höhe von 6850 Fuß verzeichnet ist, erreicht bann einen anderen 5800 Fuß Hohen Berggipfel, führt über den Gletscher res Mount Fairweather und endet schließlich, in nördlicher Richtung über die aus der Karte „Bis jetzt liegen aber noch keine Meldungen von Damen vor?" „Sie brauchten nur -en Anfang zu machen, Madame." Nun war auchDonat wieder näher getreten.Marion hatte seine wechselnde Stimmung die ganze Zeit über in wach sendem Uimnut beobachtet. „Nun, Monsieur Donat, was würden Sie dazu sagen, würden Sie mich überhaupt mitnehmen?" „Welche Frage", sagte Donat fast atemlos, „ich wäre — unendlich glücklich." „O, das nenne ich ritterlich", warf der Franzose ein. „Und würde ich Sie nicht stören?" ,F)m Gegenteil, Ihre Gegenwart würde mir ein An sporn sein, alles daran zu setzen, um — „Marion" zum Siege zu führen." Man besprach in anderen Gruppen des Saales dann lebhaft, was Frau Capitant plante. Als ihr Gatte es hörte, kam er erregt zu seiner Frau. „Ist es wahr, was sic hier sagen, Marion ?" „Vorausgesetzt, daß die äußeren Bedingungen cs zu lasten." „Das wäre die Einwilligung deines Mannes." Marion zuckte die Achsel. „Ich werde es nie zugeben. Allein könnte ich dich dock nicht mitfahren lasten, und selbst mitzufahrcn . . ." „Dazu fehlt dir der Mut?" fragte Marion lachend, aber doch mit bewußter Herausforderung. Er wandte sich zornig ab. Als es bekannt wurde, -aß Capitant sich gegen dao Mitkommen seiner Frau sträubte, weil cs seine eigene Be teiligung bedingte, suchte man ihm die großen Vorteile auscinanderzusetzen: cs gab für ihn doch kaum ekn größeres Neklamemittel, um seiner Firma und dem von ihr konstruierten Fahrzeuge das Interesse zuzmvcndcn, als die Anmeldung seiner schönen, eleganten, vielbe wunderten Frau zu der Rennfahrt. Donat sah ihren Entschluß, auf die Vergnügungsfahrt zu verzichten und sich der Ltrapaw der Rennsahrt zn unterziehen, als einen persönlichen Triumph an. Er mar den Abend über in denkbar bester Stimmung. Aui der Heimfahrt und noch in den nächsten Tagen be stand zwischen Marion und ihrem Gatten eine merkliche Lpannnng. Sie war gesonnen, ihren Vorsatz unter allen Umständen zur AuS'übrung zu bringen und den Wider stand ihres Gatten zu brechen. Vielleicht war es hauptsächlich dieser Trotz, der sie ver-
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