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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.10.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031027019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903102701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903102701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-27
- Monat1903-10
- Jahr1903
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Unter diesen Forderungcu stehen immer drei vorn an uud werden zu unumgänglichen Bedingungen für neue Verhandlungen gemacht: die Ein führung der freien Arztwahl, eine genügende Be, Zahlung der kaffenärztlichen Leistungen uud die Ein setzung von Kommissionen, die, zu gleichen Teilen aus Kassenvorstandsmitaliedern und aus Aerzten bestehend, von einem Unparteiischen geleitet, in allen strittigen und zweifelhaften Fragen und Fällen zu entscheiden haben. Die Berechtigung der zweiten und der dritten Forderung leuchtet wohl jedem ohne weiteres ein. Wenn man hört, daß die Aerzte an vielen Orten SO, 30, 20 Pfennig und noch weniger für einen Besuch im Hause der Kranken er halten, so sagt sich jeder, das ist ein Zustand, dem ab geholfen werden muh. Die Kasse ist durch das 'Gesetz ver pflichtet, ihren Mitgliedern ausreichende ärztliche Hülfe zur Verfügung zu stellen, und das ist bei derartigen Preisen unmöglich. Und auch dem stimmt wohl jeder Billigdenkcnde zu, baß mir Aerzte einen richtig zusammengesetzten Ge richtshof haben wollen, von dem wir uns bei -en unver meidlichen Zwistigkeiten einer gerechten Entscheidung ver sehen können. Bleibt Nr. 1: die freie Acrztemahl! Mit diesen beiden Worten wissen recht viele noch gar nichts an zusangen, sie verstehen sie gar nicht, andere wieder verstehen sie falsch, und da ist es vielleicht nützlich, einmal in der Öffentlichkeit kurz «darzuleqen, wie eS mit der freien Arztwahl bei den Krankenkassen steht, weshalb die Aerzte sie für unbedingt notwendig und für sehr wohl durchführ bar halten. Also, wenn wir von einer Kaffe die Einführung der freien Arztwahl fordern, so verlangen wir damit, daß jeder im Bereiche der Kaffe wohnende Arzt Mitglieder der Kaffe behandeln darf, wenn er sich den zwischen der Kasse und der Vertretung der Aerzte vereinbarten Bedingungen unterwirft. Bitte lesen Die diesen Satz aufmerksam durch. Es ist nicht so — wie leider von einem Manne gesagt wor *) Um Nachdruck dieses Artikels wird vom Verfasser ge beten. Feuilleton. Der vergeßliche Amtsrichter. Humoreske von Hermann Pfaender. »au e-n«5 u-rd *tkn. Die rechte Stinnnung wollte sich heute am Stammtische im „Noten Löwen" nicht einstellen. Das trostlose Regen wetter hatte den meisten die Laune verdorben, und wenn ein Ankömmling mit triefendem Regenschirm in das Lokal trat, begann immer wieder das alte Notlicd iiber das Hundewetter, das nachgerade genugsam und in allen Ton arten angesttmmt worden war. Die Runde, die sich allabendlich in dem beliebten Stammlokal versammelte, war endlich vollzählig, nur der alte Amtsrichter a. D. Brinckmann fehlte noch. Gerade seine Abwesenheit war heute umsomehr fühlbar, als er durch seinen guten Humor nicht unwesentlich zur Unter haltung und Belebung des Kreises beitrug, -em er schon leit seiner Pensionierung «„gehörte. Als man sich noch den Kopf darüber zerbrach und Ver mutungen austauschte, was Brinckmann heute in die Quere gekommen sein könnte, daß er der ihm lieb gewor denen Sitzung im „Roten Löwen" fern bleibe, hörte man einen Wagen Vorfahren, und kurz daraus schob sich deö Amtsrichters beleibte Gestalt durch die Türpfosten. Auf die ihn bestürmenden Fragen nach dem Grunde seines verspäteten Kommens teilte Brinckmann mit, daß er ganz einfach seinen Regenschirm zu Hause vergessen habe, vom Unwetter überrascht worden sei und nur durch das Opfer einer Wagenlahrt jetzt trocken vor Ihnen stehe. „Ja, die Vergeblichkeit!" echote es auS allen Ecken deS umfangreichen Stammtisches, teils irostisch, teils vor wurfsvoll. „Aber auch die Vergeblichkeit hat ihre guten Seiten!" antwortete schmunzelnd der alte Brinckmann, der sich auS seinem Mantel glücklich herausgeschält hatte. Allgemeiner Widerspruch erhob sich auf die Arußerang des Amtsrichters, doch dieser entgegnete mit dem Tone der Verwunderung: „Ja, habe ich Ihnen denn noch nicht er. zählt, daß ich meiner Vergeßlichkeit alles verdanke, mein Leben und mein« Iuuggcsellenfreibeit?" Da die Frage verneint wurde, fuhr er fort: „Nun, d» mub ich Ihnen wohl oder übel schon eine Episode aus meinem Leben zum besten geben, damit Sie sehen, daß alles seine gute Seite hat, sogar die Vergeßlichkeit." „Da bin ich aber gespannt", warf der Rentier Fichtner «in. und allenthalben wurde die Absicht de» Amtsrichters mit Aregüen begrüßt, dq er als guter Erzähler bekannt den ist, der eS besser wissen müßte —, daß «in Arbeiter in «iner kleinen Stadt sich einen Geheimrat aus Berlin kommen lassen könne,' es ist auch nicht so, daß die Kassen mitglieder an ihrem Wohnorte ohne weiteres zu jedem Arzte gehen können; es kommen nur diejenigen Aerzte in Betracht, die sich freiwillig dem festgesetzten Verhältnisse zwischen Kasse und Kassenärzten fügen. Nun wirb mancher sagen: „Ja, mit dieser Einschränkung ist -die Sache doch sehr schön und ganz unbedenklich: haben denn daS noch nicht alle Krankenkassen?" Nein, sie haben es nicht, die meisten arbeiten nur mit einer beschränkten Anzahl von Acrzten, denen sie entweder «in festes Gehalt zahlen, oder unter die sie, je nach ihren Leistungen, eine durch die Anzahl der Kassenmitglieder bestimmte Pauschalsumme verteilen. Diese Einrichtung hat für die Aerzte ganz erhebliche Nachteile, sowohl für diejenigen, die Kassenärzte sind, als auch für diejenigen, die eS nicht sind. Für die Kassenärzte liegt der Hauvtnachteil darin, daß sie in eine sehr bedenkliche Abhängigkeit von -dem Kassen vorstande geraten. Dieser Borstand'ist ihr Arbeitgeber, ihr Brotherr, der ihnen jeder Zeit, mit oft recht kurzer Kündigungsfrist, ihren Erwerb nehmen kann. Und die Kassenvorstände nützen diese Macht zuweilen in recht be denklicher Weise aus. Die Fälle, in denen tüchtigen, ge wissenhaften «Aerzten aus kleinlichen, persönlichen Grün den, aus politischen Rücksichten der Stuhl vor die Tür ge setzt wird, sind durchaus nicht selten. Man braucht gar nicht die besonders krassen Fälle anzuführen, cs kann ganz im allgemeinen nie und nimmer gut sein, wenn der Arzt gezwungen ist, bet allem, was er tut, aus einen ihn streng überwachenden Kassenvorstand Rücksicht zu nehmen: einen Vorstand, dessen Interessen in -vielen Dingen mit den Bestrebungen des «Arztes ganz und gar nicht über einstimmen. Für diejenigen Aerzte, die nicht Kassenärzte sind, liegt der Hauptnachteil darin, daß ihnen ihr Arbeits gebiet in der allerbedenklichsten Weise eingeschränkt wird. Die wenigen Aerzte, die in einer sogenannten guten Praxis stellen und dadurch von den Krankenkassen unabhängig sind, können wir außer Betracht lassen. Die jungen Kol legen aber, die mohlausgerüstet mrd schaffensfreudig in die Praxis hinaustrcten, stehen heutzutage einfach vor ge schlossenen Türen. Die Hälfte aller Bewohner Deutsch lands gehören in irgend eine Kaffe, und wenn man die „gute" Praxis, in die der junge Arzt immer nur sehr all- mählich in Jahren hineinkvmmt, abrechnet, was bleibt dann übrig? Das Studium hat viel Geld gekostet, cs hat vielleicht alles verzehrt, was an Mitteln da war; der junge Arzt muß eine anständige Wohnung nehmen, er muß sich war, wenn man ihm auch nur die kleinere Hälfte von dem glaubte, was er der Tischgesellschaft zum Besten zu geben pflegte. „Als ich noch Richter in dem kleinen Neste L. war", be gann der Amtsrichter, „lernte ich auf einer Gesellschaft die Tochter eines Fabrikanten kennen, der in der Nähe von X. eine Tuchfabrik besaß. Mag sein, daß es an dem Mangel an heiratsfähigen, hübschen jungen Damen lag, oder war Liln wirklich so liebreizend, wie ich damals glaubte, kurz und gut, ich ivar mit jenem Tage in Lily bis über beide Ohren verliebt, wie ein Primaner, es fehlte nicht viel, daß ich Gedichte „an Sic" verbrochen hätte, und ich trug mich mit der felsenfesten Absicht, die Angebetete meines Herzens als eheliches Weib hetmzuführen, wenn es mir gelingen würde, Gnade vor ihren himmlischen blauen Augen zu finden. Liln beherrschte während dieser Zeit alle meine Ge danken, Tag und Nacht verfolgte mich ihr Bild, und des öfteren ertappte ich mich dabei, daß ich ein zierlich ge schwungene- L in die Akten malte, deren Inhalt oft alles eher, denn dazu geeignet war, in einem Menschen Gefühle der Liebe zu erwecken. Ich schien auch auf dem besten Wege zu sein, mir ihre Gunst zu erwerben, denn ans allen Gesellschaften unseres nicht allzu ausgedehnten Kreises hatte ich Gelegenheit, sie zu sehen und mich ihr unauffällig nähern zu können. Ich überschüttete Liln nrit Aufmerksamkeiten und glaubte auch aus vielen Kleinigkeiten zu ersehen, daß «sie meinen Huldt. gunqen nicht gleichgültig gegenüberstand, obwohl sic mit ihrem heiteren und freundlichen Wesen jeden der Herren unseres Kreises mit gleicher Liebenswürdigkeit behandelte. Ich fühlte mich im siebenten Simmel bei dein Gedanken, daß Liln meine Liebe erwidern könnte, denn, daß ihre Eltern gegen eine Verbindung mit mir nichts einwenden würden, war so sicher, wie das Amen in der Kirche; auch von den andern Bewerbern nm ihre Hand glaubte ich nichts fürchten zu müssen, denn nur in einem Kollegen von mir konnte ein Rivale für mich erstehen, doch hatte dieser mir gegenüber nie eine Absicht nach dieser Richtung hin zu erkennen gegeben. Sn ging c- den ganzen Minter hindurch, ohne daß ich meinem Ziele einen Schritt näher gekommen war. Daß Lily keine Abneigung gegen mich empfand, dafür hatte ich untrügliche Beweise, es fehlte also nur noch, daß ich ihr meine Gefühle erklärte und sie fragte, ob sie die Meine werden wolle. Aber so heiß ich eine Entscheidung ersehnte, der ich ohne Furcht entgegensetzen zu können glaubte, nie- malS vermochte ich e« über mich zu gewinnen, da- ent. scheidende Wort zu sprechen. Immer kam etwas dazwischen, oder ich hielt den Auaenblick nicht für gekommen, -er über mein fernere- Schicksal entscheiden sollte. DaS Frühjahr nahte, die Gesellschaften nahmen ein eine große Anzahl kostspieliger Instrmnente anschaffen, und nun sitzt er da und hat gar nichts zu tun. Er verdient nichts und — was oft noch weit schlimmer ist — er verlernt nach und nach manches von dem, was er gemußt und ge konnt hat. Das sind Zustände, häufiger und trauriger, als das Publikum es ahnt; wir Aerzte wissen leider recht gut, wie vielen unserer Kollegen cs schlecht, herzlich schlecht geht, unverschuldet, aus Manael an Arbeit. Daß manche dieser unbeschäftigten Anfänger auf alle Weise versuchen, in die Kassenpraxis bineinzukommen. daß dabei persönliche Beziehungen zu den allmächtigen Kassenvorständen, Strcbcrci und Kriecherei eine große Rolle spielen, ja, daß einzelne schwache Seelen sich zu den bedenklichsten Mitteln hinreiben lassen, das ist bis zu einem gewissen Grade ver ständlich, aber für uns und unseren Stand ganz besonders traurig. So weit die Aerzte. Wie steht denn nun die Kasse zur freien Arztwahl? Nun, für die Kassenmitglieder ist sie selbstverständlich der einzig richtige Zustand. Die Hauptsache bei der ärzt lichen Behandlung ist. daß der «Kranke zu seinem Arzte Vertrauen hat, das ist in den meisten Fällen mehr wert, als das schönste Rezept. Und bei der freien «Arztwahl kann der Kranke sich eben einen Doktor auswählen, zu dem er Vertrauen hat. Er ist nicht auf den Kassenarzt angewiesen; er ist in derselben günstigen Lage, wie der Wohlhabende, und das kann er unserer Ansicht nach verlangen, so hat -er Gesetzgeber die genügende ärztliche Hülfe gemeint. Die Kassenmitglieder sollten also mit aller Macht auf der Ein führung der freien Arztwahl bestehen und sollten ihren Vorstand, da, wo eS nötig ist, zu ihrer «Einführung ver anlassen. Und weshalb sperren sich die Kaffenvorständc vielfach fo sehr gegen die freie Arztwahl? Ja, da werden verschiedene Gründe angeführt. Als wichtigster betonen die Vorstände meist, die freie Arztwahl sei zu kostspielig, sie richte die Kasse finanziell zu Grunde. Es ist richtig, die Gefahr liegt vor, daß einzelne Aerzte, die gern besonders schnell viel zu tun haben möchten, gar zu willfährig sind in der Beschaffung von Krankengeld, gar zu viele Besuche machen, gar zu viele Arzneien und Stärkungsmittel ver schreiben. Das geben wir zu; diese «Gefahr läßt sich aber leicht aus dem Wege räumen. Durch statistische Zusanunen- stellungen kann man einen Durchschnitt gewinnen für das Verhältnis der arbeitsunfähigen Kranken zu den arbeits fähigen, für die Zahl der Besuche, di« ein Krankheitsfall braucht, für die Höhe der Äpothckcnrechnungen usw., und diejenigen Aerzte, die ohne besonderen Grund, trotz Vor stellungen uud Vermahnungen, beständig weit über diesem Durchschnitte stehen, die sollen bestraft uud, wenn alles Ende, und da man damals das Institut der Lawn-Tennis- plätze als Mittel, die Töchter an den Mann zu «bringen, noch nicht kannte, entschloß ich mich, einen Brief an Lily zu schreiben, in dem ich ihr die Gefühle klarlcgte, die mich be herrschten, und sie bat, mir ihre Entscheidung auf dem selben Wege zukommen zu lassen. Welche schlaflosen Nächte ich durchlebte, ehe der ominiöse Brief in seiner endgültigen Form fertig gestellt umd mit edlem Schwünge ins Reine geschrieben mar, davon machen Sie sich keine Vorstellung! Tas alles aber war ein Kinderspiel gegen die Qual, die ich durchzumachen hatte in den Tagen, die darauf folgten, und in denen ich in jedem Briefträger den Richter über mein Schicksal erblickte, der mich maßlos glücklich machen und zu Tode betrüben konnte. Aber Tag für Tag verging, Briefe kamen in Menge, (sogar Rechnungen, denken Sie sich!», doch keine Postbestel lung brachte das Erivartete, die Entscheidung, mein Urteil! Ich war der Verzweiflung nahe. Ein Korb hätte mich zwar tief unglücklich gemacht, aber ich hätte es dieser quälenden Ungewißheit vorgezogcn, die mich dem Wahn sinne nahe brachte. Vielleicht würdigte Lily meine An frage keiner Antwort, vielleicht fühlte sie Verachtung für einen Mann, der nicht den Mut hatte, sich ihr gegenüber offen auSzusprechcn,.... vielleicht liebte sie einen andern oder machte sich sogar lächerlich über mein« Bewerbung . ... daS ivarcn die Gedanken, die mir das Leben zur Hölle machten. Nach acht Tagen dicker Tantalusqualen waren meine Nerven zerrüttet, ich fühlte mich zu keiner Arbeit mehr fähig, das Leben hatte seinen Reiz für mich verloren, und ich beschloß ein Ende zu machen. Mein Revolver, der nebst Patronen in einer Schublade lag, sollte mir diesen letzten Dienst erweisen. Meine Eltern waren damals schon lange gestorben. Ge schwister hatte ich nicht, und so hinterließ ich als einzigen Menschen, an dem mein Herz hing, nur Lily, die mich -war verschmäht hatte, von der ich aber, nicht ohne Vor- wurf, Abschied nehmen wollte, «he ich aus dieser Tränen welt schied. Leichten Herzens, mit mir im Reinen zu sein, schrieb ich ihr einen Abschiedsbrief, in dem ich ihr nochmals meine Liebe gestand, die mich jetzt in den Tod führen sollte. Ick warf diesen letzten Gruß an die vergängliche Welt in den Briefkasten und ging nach Hause. Meine Wirtin war ausgegangen, ich war in der Wohnung allein, und nichts stand mehr dem Ende im Wege. Ich ging in mein Zimmer, verschloß vorsichtshalber di« Tür, üf'ne meine Schublade, ergreife den Revolver, press« ihn an die rechte Schläfe und drücke lo». Der Hahn knarrte und ich fiel in den Sessel zurück. nichts hilft, ausgeschlossen werden. Dabei mitzuwirken, sind ivir gern bereit. Derartig« Vorsichtsmaßregeln sind bereits vielfach unter Mitwirkung der Aerzte eingefüchrt und haben sich gut bewährt. Also «das ist eS nicht, und manches andere, was angeführt wird und das wir hier nicht im einzelnen erörtern können, ist cs auch nicht. Es ist dieMacht, die Herrschaft, die der Vorstand auf seine Kassenärzte ausübt und die er nicht hergeben will. Und mit der Einführung der freien Arztwahl muß er einen guten Teil davon -ergeben, das ist richtig, das ist aber auch sehr gut. Der Arzt soll das Interesse der Kasse, ihre Geld lage so viel wie irgend möglich berücksichtigen, und tut er das nicht von selbst, so soll er dazu gezwungen werden, vor allem soll er aber der Arzt seiner Kranken sein, der nicht in ewiger Angst schwebt, nach „oben" anzustoben oder brot los gemacht zu werden, sond«rn 'der nach bestem Können und Ermessen für daS Wohl derer sorgt, «die sich mit ihren Leiden vertrauensvoll an ibn wenden. Deshalb verlangen wir di« freie -Arztwahl! Nicht seit heute oder gestern, eS ist das eine alt« Forderung der Aerzte, die seit einer Reitze von Jahren immer wieder auf unseren Aerztetagen ausgestellt ist. Aber je mehr nach und nach die Schäden des Kassenarztsystems hervortraten, desto lauter und stürmischer wurde die Forderung, und jetzt geht «S geradezu wie ein Orkan durch -die Reihen der Aerzte, d«r alten und der jungen, der gutgestellten und der notleidenden: das Verlangen nach der freien Arztwahl. Und dieser Orkan hat schon so manche Mauer eingerissen; an verschiedenen Orten, namentlich in großen Städten, ist die freie Arztwahl eingeführt worden, ja, ein« Regierung, die württembergische, hat bereit- den Kassen die freie Arztwahl als daS weitaus Veste System dringen empfohlen. Wir Aerzte sind outen MutS. Wir wissen, daß wir mit unserer Forderung etwa- Gute- wollen, nicht allein zu unserem Vorteile, sondern zum größten Nutzen der Millionen Krankenkassenmitglieder. Wenn nicht alles trügt, ist der Zeitpunkt nicht mehr fern, zu -em die große Mehrheit aller Kassen die freie Arztwahl ein geführt hat. Dr. v. Deutsches Reich. 6. U. Berlin, 2K. Oktober. (Eine eigenartige Ver sammlung.) Berlin hat der eigenartigen Versammlungen schon viele gesehen, eine eigenartigere aber als die, die morgen, 27. Oktober, im großen Saal der Brauerei Königstadt abgebalten werden soll, Wohl selten. Es sind nämlich von einem Ausschüsse sämmtliche Berliner Gemeindebeamten eingeladen worden, um zu den im nächsten Monat stattfindenden Stadtverordneten wahlen Stellung zu nehmen. Schon mehrfach ist Nach wenigen Minuten wache ich aus meiner Be täubung auf und wundrc mich, daß ich noch nicht tot bin. Ich fühle mir an den Kopf . . . alles heil! Richtig, ich hatte ja vergessen zu laden! Ich reiße das Pult auf . . . aber die Patronenschachtel ist leer, ich hatte seit drei Monaten vergessen, mir Muni tion zu bestellen. Sofort greife ich zur Keder, um bei meinem Lieferanten neue zu bestellen, damit ich das Der- säumte bald nachholen könnte. Ich öffne den Kanon, in dem sich mein Briefpapier befindet.... Und wissen Sie, was meine Augen erblicken? Den Brief mit der Liebeserklärung, den ich an Lily geschrieben, und auf dessen Antwort ich seit einer Woche warte. In meiner Aufregung und Vergeßlich keit hatte ich ihn mit dein rrnbeschrtebenen Papier wieder in den Karton gelegt! Ich erwache wie aus einem bösen Traume und will den Brief sofort zur Post geben, als der Gedanke an den Abschiedsbrief mich wieder in den Zustand der Verzweif lung versetzte. Der Briefkasten war jetzt schon geleert, und keine Macht des HinnnelS konnte verhindern, daß er in die Hände Lilys gelangte. An Körper und Seele gebrochen, sinke ich zum zweiten Male in den Sessel, und infolge der ungeheueren Auf regung falle ich in einen betäubungSähnlichcn Schlaf. Wie lange ich so gelegen, weiß ich nicht. Plötzlich machte sich ein Gepolter an der Tür vernehmbar, und die Fistelstimme meiner Wirtin rief mir durch die Tür zu, ich solle doch öffnen, der Postbote wolle mich sprechen. Mit einem Ruck verschwanden Brief, Revolver und Pa- troncnkchachtel in das Gefach meine- Schreibtische-, und ich öffnete die Tür, um den Briefträger einzulassen, den ich mürrisch nach seinem Begehr fragte. „Zehn Pfennige Strafporto, Annahme wegen mangelnder Frankierung verweigert!" WaS meinen Sie, meine Herren! ... der Briefträger hielt meinen AbschiedSbriek an Lily in den Händen, den ich in der Eile vergessen hatte, zu frankieren!" „Und was wurde mit Lily?" fragten die Stammtischge- nosscn, die lachend und kopfschüttelnd einander ansahen, während Brinckmann eine Panse machte, um sich durch einen kräftigen Schluck zu stärken. „Lily? Ja, daS ist noch daS Schönste! Die hatte sich vier Tage vorher eben mit jenem Kollegen von mir ver lebt, und der Brief mit der Verlobungsanzeige lag unge öffnet auk meinem Schreibtisch, da ich zur Zeit, ak- ich Ltkys Antwort erwartete, sämtliche anderen Briefe keine- Blickes würdigte, einfach in die Ecke warf und sie ver gaß später z» lesen!" Die Stimmung am Stammtisch« war an dem Abend recht animiert, und daß draußen ein Hundewetter herrschte, das ihnen allen den Humor verdor-«n hatte, -a- hatte» jetzt die andern alle — vergessen.
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