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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031029022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903102902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903102902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-29
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7srv Damm SS im August verboten und sogar eine Strafverfügung wegen Uebertretung dieses Verbotes erlassen hat. In dieser Kellerhöhle mußte der Geselle täglich durch» ffch sittlich 16 Stunden arbeiten. Nachdem er die- »och in einer Besprechung vorbrachte, wurde ibn, kurz daraus vom Geschäftsführer gekündigt mit den Worte»: „Wenn Ihne» das nicht patzt, können Sie geben!" Wegen angeblicher Denunziation des schlechten Arbeitsraumes wurde ein Geselle plötzlich ent lassen, die Herausgabe seiner Papiere verweigert und ihm die Tür gewiesen. Wegen dieses, sowie zweier anderer Fälle find Lohnklagea in Höhe von je über 50 „L anhängig ge macht. Die organisierten Gesellen zogen sich den Haß meist dadurch zu, wert sie mit der Wahrheit nur allzu sehr auf traten und auch »ichtiede Sorte Fleisch verarbeite» wollten. Die Befürchtungen, daß diese Ver hältnisse ans Tageslicht treten könnten, führten dahin, daß ei» „Genosse" einem Vertreter unserer Organisation, als dieser sich in einer Versammlung des Konsumvereins „Berlin- Rixdorf" zum Wort meldete, zuflüsterte: „Quatsch mal nick vom „Süd-Ost". Neben der ungeheuer langen Arbeitszeit an Werktagen ist dir Sonntagsarbeit eine ebenso auSgedebnte." Die Erklärung schließt: „Man sollte sich nicht als Arbeitnehmer zum Kampfe für bessere Ver hältnisse hergeben, wenn mau auf der anderen «Seite als Arbeitgeber daS Umgekehrte tut." — So muß es kommen, daß die Arbeit nehmer-„Genossen" vor den profitbungrigen Arbeit geb er-„Genossen" durch die Polizei geschützt werden müssen. Wenn das noch keine politische Satire ist, so hat eS nie eine gegeben. — Die Kommission für die Reform des Strafprozesses tritt am 10. November d. I. im Reichö-Justtzamte wieder zusammen. Sie setzt die Be ratung über das Vorverfahren, welche in der letzten Tagung begonnen hat, fort. Insbesondere werden die Ausgestaltung der Voruntersuchung und die Vorschriften über die Eröffnung des Hauptverfahrens Gegenstand der Erörterung bilden. Als neuer Gegenstand ist die Erörte- rung über die Einführung eines abgekürzten Ver fahrens auf die Tagesordnung gesetzt. Die Reichs- tagskommiffion hat in dem Bericht, erstattet in der zweiten Session 1900/1901, ein abgekürztes Verfahren sorge- schlagen, gegen Personen, die auf frischer Tat betroffen oder verfolgt und vorläufig festgenommen worden sind, ferner vor «den Schöffengerichten, wenn -er Beschuldigte sich freiwillig stellt, und bei Nebertretungen. Weiter war damals vorgefchlagen, dem.Amtsrichter das Recht einzu räumen, den vorgsführten Beschuldigten ohne Zuziehung von Schöffen abzuurteilen, wenn dieser geständig ist und, falls es sich um Vergehen handelt, auf die Zuziehung von Schöffen zu verzichten. Die diesmaligen Verhandlungen werden eine Woche in Anspruch nehmen. — Der dem Obergenossen Bebel psychologisch so rätsel hafte vr. Franz Mebring hat in seiner Verteidigungs broschüre die größten Kleinigkeiten benutzt, wenn er glaubte, sie zu seinem Gunsten deuten zu können — aber auf den Vorwurf der „literarischen Ehrlosigkeit" bat der sonst so beredte Mebring nur durch Schweigen geantwortet. „Genosse" Bernhard schreibt darüber im „Vorw.": „Nun aber beschuldigte ich ihn einer literarischen Ehr losigkeit und — Mehring schwieg und schweigt weiter. Ich hatte ausgeführt, Mehring speie sich damit ins Gesicht, daß er einzelne Stellen aus seiner alten Schrift gegen die Sozialdemokratie fast wörtlich in die neue über nommen habe, indem er nur einzelne Worte änderte, zum Beispiel aus „wahr" „unwahr" machte. Ich habe eine Fülle von Belegstellen dafür beigebracht, die auf dem Parteitage stürmische Heiterkeit und gleichzeitig auch stürmische Empörung hervorgerufen haben. Man konnte auch wirklich im Zweifel darüber sein, ob man diese Schmockleistungen Prima Qualität belachen oder beweinen sollte. Mehring regaliert mich als Quittung dafür mit dem perfiden Witz: Ich „schacherte mit der alten Garderobe, die er vor mehr als zwanzig Jahren abgelegt habe." Ter Witz — es steckt immerhin beachtens- werter Galgenhumor darin — trifft vorbei. Ich schacherte nicht mit Mebrings alten abgelegten Kleidern, sondern deckte die bis dahin in Parteikreisen anscheinend nicht genügend bekannte Tatsache aus, daß Mehrings neue literarische Gewandung zu einem Teil aus den alten Fetzen besteht, die er hat wenden lassen. Leider ist diese Tatsache für die bürgerlichen Zuschauer unserer Parteitätigkeit bereits 1899 durch Len Partei gegner Professor Adler aufgcdeckt worden. Mehring nennt den diesbezüglichen Artikel der „Zukunft" einen „Schmutzartikel". Der Bezeichnung möchte ich zustimmen. Nur hat das Parteimitglied Mehring und leider nicht der angreifende Parteigcgner den Schmutz dazu geliefert." — Zwei j u ng e Russen sind dem „Vorw." zufolge in Charlottenbnrg kürzlich verhaftet worden. In Charlottenburg wohnte ein Russe namens Pvpoff. Dieser bekam am 13. d. Mts. Besuch von einem aus Genf kom menden Russen, der sich Kramkoff nannte. Am Tage nach der Ankunft des letzteren erhielten beide den Besuch von mehreren Kriminalbeamten, die eine Haussuchung bet ihnen abhielten. Es stellte sich heraus, daß 'beide Russen falsche Pässe hatten, sie hatten sogar mehrere falsche Pässe. Sie stoben beide unter dem Verdacht des Schriftenschmuggels, und offenbar ist die hiesig« Polizei auf sie von der russischen aufinerksam ge- nmcht worden. Vorgestern hatte sich nun Krafsikoff vor Gericht zu verantworten. Er gab an. er sei wegen feiner politischen Tätigkeit in Rußland administrativ mit drei Jahren Sibirien und einem Jahre Zusatz bestraft und erhalte keinen russischen Paß mehr. Während er in der Schweiz, in Frankreich und England eines Passes nicht bedürfe, fordere man ihn in Deutschland. So sei er zur Verwendung des falschen Passes gewissermaßen genötigt gewesen. Als der Verteidiger, Rechtsanwalt Karl Lieb knecht, den Zeugen Kriminalkommissar Bieneck fragte, warum der Angeklagte nicht nach Gesetzesvvrschrift binnen 24 Stunden nach der Verhaftung dem Richter vorgeführt worden sei, gab der Kriminalkommissar die eigentümliche Antwort: „Es hat sich doch um ein administratives Ver fahren gehandelt", worauf der Verteidiger antwortete: „Wir sind doch nicht in Rußland, was soll denn das heißen, administrativesVerfahren ?" Daraus schwieg der Zeuge. Der «Angeklagte Krassikoff wurde zu 8 Wochen Haft verurteilt. Gegen seinen Landsmann, der sich noch in Haft befindet, wird in den nächsten Tagen verhandelt werden. — Ein Vergleich der gegenwärtigen Gesamtausgaben der preußischen Generalordenskommission mit denen früherer Jabre ergibt folgende Ziffern: 1849 57 600, 1870 299 908, 1885/86 201 910, 1903 194 280 Mark. Vergleichbar werden diese Ziffern erst, wenn man die auf den früheren Etats aufgeführten Beträge für Ebrensolde an Inhaber kriegerischer Ehrenzeichen in Abzug bringt. Zur Bestreitung derartiger Ebrensolde standen 1849 21 600 ^e, 1870 192 208 -6, 1885/86 noch 5500 auf dem Etat der General-Ordenskommission. Der letzte Betrag siel mit 300 1891^92 fort. Nach Abzug der betreffenden Beträge stellten sich die Gesamtausgaben 1849 auf 36 000 .-e, 1870 107 700 , 1885 86 196 410 1903 194 280 Den weitaus größten Anteil an dieser Steigerung bat der Posten Anschaffung und Unterhaltung von Ordensinsignien. Dieser Posten betrug 1849 18 000 Mitte der 60 er Jahre 36 000 1870 betrug er 72 000 Eine weitere Steigerung auf 130 000 erfuhr er sodann 1883,84, nachdem schon seit einer Reibe von Jahren erhebliche Ueberschreitungen stattgefunden hatten. Auch heute reicht der Betrag meist nicht mehr aus. — Der antisemitische Reichstagsabgeordnete Krösell hat, wie amtlich bekannt gegeben wird, nicht bloß auf sein Pfarramt in Kloxin in Pommern, sondern auch auf die Rechte des geist lichen Standes verzichtet. — Dem preußischen Justizminister vr. Schönstedt, der sein SOjähriges Dienstjubiläum in aller Stille auf dem Gute seines Schwiegersohnes, Les Herrn v. Zitzewitz in Beßwitz bei Stolp feierte, wurden dorthin die ihm verliehenen Brillanten zum Großkreuz dcS Roten Adlerordcns mit Eichenlaub vom Kaiser übersandt. — Der frühere preußische Finanzminister Adolf Wilhelm v. Scholz wird am 1. November d. I. 70 Jahre alt. Zu Schweidnitz geboren, widmete er sich der Verwaltungslaufbahn, wurde 1864 in das preußische Kultusministerium berufen, trat 1871 in daS Finanzministerium über, wurde 1879 Unter staatssekretär im neu gründeten ReichSschatzamt und 1880 Staatssekretär dieses NeichSamtes. 1882 wurde er als Finanzminister in den preußischen Staatsdienst zurü<K>erufen, nahm im Juni 1890 wegen eines Augenleidens seinen Ab schied und zog sich auf sein Landgut Seeheim bei Konstanz zurück. — Dem bisherigen Dramaturgen des königlichen Theaters in Wiesbaden, Major a. D. Laufs, wurde der Rote Adlerorden dritter Klaffe mit der Schleife ver liehen. — Bon hier abgereist sind der Bevollmächtigte zum BundeSrat, mecklenburgische Oberzolldirektor Kunckel, der Ministerialdirektor im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Wirkt. Geh. Ober- regierungsrat Wehrmann, in dienstlichen Angelegenheiten, der amerikanische Gesandte in Atben, Mr. Jackson, nach Paris. Der hiesige türkische Botschafter Tewfik Pascha, der vor etwa vier zehn Tagen nach Konstantinopel abgereist ist, wird von dort in Len nächsten Tagen auf seinen hiesigen Posten zurückkehren. * Aus Königsberg geben anläßlich des Wechsels im ostpreußischen Oberpräsidium dem „Hannos. Kur." einige interessante geschichtliche Erinnerungen zu: Graf Udo zu Stolberg-Wernigerode würde voraussichtlich noch heute an der Spitze unserer Provinzialverwaltuna stehen, wenn er nicht zu Anfang des Jahres 1895 jenen verhängnis vollen, durch eine Indiskretion an die Oeffentlichkeit gelangten Brief abgesendet hätte, durch den er sich — entgegen seinem früheren Verhalten — dem agrarischen Teufel verschrieb. Er wurde damals durch eine Depesche aus dem königlichen Livilkabinett zur sofortigen Einreichung seines Ab schiedsgesuches aufgefordert. Er hatte sein Amt kaum vier Jahre innegehabt. Die Ernennung seines Nachfolgers vollzog sich I nicht glatt. Auf der Vorschlagsliste, die aus dem Ministerium des Innern an» Tivilkabinett ging, stand neben zwei anderen Namen der des Regierungspräsidenten v. Heydebrand in Breslau. Nach einer Audienz beim Kaiser glaubte Minister v. Koeller die Er nennung des Herrn v. Heydebrand für so sicher halten zu können, daß er diesen zu seiner Beförderung telegraphisch beglück wünschte. Inzwischen halte jedoch der Monarch eine andere Ent scheidung getroffen. Der achtzigste Geburtstag des Altreichskanzlers stand bevor, und der Kaiser kam in letzter Stunde auf den Gedanken, ihm als Vater noch eine besondere Freude zu be reiten durch die Ernennung de- Grafen Wilhelm Bismarck zum LberprSsidentrn von Ostpreußen. Dieser, damals bekanntlich seit einer Reihe von Jahren Regierungspräsident in Hannover, hatte nicht auf der Vorschlagsliste gestanden, hatte auch persön lich keine Ahnung von der ihm zugedachten Auszeichnung. Er erfuhr davon erst durch ein Friedrichsruher Telegramm, welches lautete: „Ich gratuliere Dir zur Ernennung zum Ober präsidenten in Königsberg, den Du annimmst. Dein Vater." Sein Nachfolger wurde der bisherige Regierungspräsident in Köln Freiherr o. Richthofen. Diesem war einige Jahre vorher das Ministerium des Innern angeboten worden, er hatte Nachfolger des Herrn v. Koeller werden sollen. Herr v. Richthofen war zu diesem Behuf nach Berlin berufen worden, kehrte jedoch wider Er warten nach Köln zurück und gab einem dortigen Freunde auf die verwunderte Frage, ob er nicht Minister des Innern geworden sei, die hübsche Antwort: „Nein, das habe ich auf meinen Kollegen in Düsseldorf abgewälztl" So wurde Freiherr v. d. Recke Nachfolger des Herrn v. Koeller. * Danzig, 28. Oktober. Die Danziger Leib- Husaren sprachen telegraphisch durch Den General leutnant v. Mackensen den Warschauer Garde ulanen ihren „unvergeßlichen «Dank" für den Empfang aus. Das Danktelegramm schloß mit den Worten: Wir verbleiben mit aufrichtiger Freundschaft treu den teueren Leibulancn als bewährte Repräsentanten der „russisch- preußischen Waffenbrüderschaft". „Auf Wiedersehen! Und stets Schulter an Schulter!" d) Hamburg, 28. Oktober. In sämtlichen Kondi toreien haben die Gehülfen die Arbeit wegen ver weigerter Lohnerhöhung nicdergelegt. * Liegnitz, 28. Oktober. Am Montag starb hier der frühere freisinnig Abgeordnete und Herausgeber der „Preußischen Schulzeirung" Pastor Primarius vr. «eyffarth. Er ver trat eine Reihe von Jahren hindurch im preußischen Abge ordnetenhaus«: den Wahlkreis Liegnitz, in dessen Hauptstadt er Jahrzehnte hindurch, zuletzt als Pastor Primarius an der Peter-PaulSkirche, seelsorgerisch tätig war. Er nahm sich als "liberaler Abgeordneter besonders der Interessen der preußischen Schule und des Lehrcrstandes an, denen er stets ein warmer Freund und Anwalt gewesen ist. Seine Haupttätigkeit lag auf dem Gebiete der pädagogischen Wissenschaft. Metz, 28. Oktober. In der Metzer Wasserfrage scheint die Militärverwaltung in ihrem Vorgehen doch nicht so völlig Unrecht gehabt zu baden, wie es anfänglich dar gestellt wurde; wenigstens ist von der beschlossenen Imme diateingabe an den Kaiser, welche sich gegen die Militär verwaltung wendete, nichts mehr zu hören: sie soll, wie ver lautet, gar nicht abgeschickt worden sein! * München, 28. Oktober. Zu den „großen Tagen" im bayerischen Landtage wird der „Voss. Ztg." nach träglich geschrieben: Es ist unglaublich, was in diesen acht Tagen an konfessio neller Verhetzung geleistet wurde. Der Domkapitular Schädler aus Bamberg begann den Reigen und übte sich dies mal in der milderen Tonart, aber die nach ihm kamen, haben das Menschenmögliche geleistet, vi. Heim goß die ganze Lauge seiner „urwüchsigen" Beredsamkeit über die Häupter der Liberalen aus, und da er die Angriffe seiner Gegner nicht widerlegen konnte, übte er sich weidlich in Beschimpfungen. Die Herren Kohl und Gerstenberger zogen gegen den evangelischen Bund zu Felde, und zwar mit einem Furor, der einer besseren Sache würdig gewesen wäre; Herr Liborius Gerstenbcrger wagte es sogar» für den Exjesuiten Götz v. Berlichingen mit dem eisernen — Mund eine Lanze zu brechen. Da durfte man sich denn nicht wundern, wenn man aus liberaler Seite vielleicht heftiger geworden ist, als man anfangs vorhatte. I)r. Casselmann, der gewandte Bayreuther Bürgermeister, hat eine Rede gehalten, die das Zentrum sicher nicht durch Maueranschlag bekannt geben wird; die maßlos heftigen Zwischenrufe von der rechten Seite her bewiesen am besten, wie sehr jeder Hieb saß. Auch der Vorsitzende der liberalen Kammerfraktion, Wagner, hat eine bemerkenswerte Rede gehalten, an der das Zentrum noch einige Zeit zu verdauen haben wird. Die Sozialdemokraten sind nicht besonders hervorgetreten — Herr v. Vollmar ist unpäß lich —, sie begnügten sich damit, kurze Kritik an allem zu üben, was die Regierung tat, tut und tun wird. Was die Minister an langt, so scheint Herr v. Riedel von Berlin noch amtsmüder heim gekehrt zu sein, als er dorthin ging; seine letzte Rede, in der er seine Zufriedenheit mit dem bisher Erreichten aussprach, klang so, als ob er Abschied nehmen wollte. Oesterreich - Ungar«. Nationale Universitäten; Sctzerstreik. * Wien, 28. Oktober. Der mährische Landtag ver handelte in der heutigen Sitzung über den Antrag der Tschechen, die Regierung aufzufordern, in Mähren eine Universität mit tschechischer Unterrichtssprache einzurichten, sowie über den Antrag der Deutschen, betreffend die Errichtung einer deutschen Universität in Mähren. Beide Anträge wurden dem Aus schüsse überwiesen. * Pest, 28. Oktober. Infolge allgemeinen Streiks der Setzer in Großwardein ist daS Erscheinen der dortigen Blätter auf unbestimmte Zeit eingestellt worden. (Derl. Tageblatt.) Frankreich. Handschreiben des Zaren; DaS Kochsche Tuberkulin. * Paris, 28. Oktober. Graf Lambsdorff hatte heute nachmittag eine Besprechung mit Delcassä und begab sich um 5 Uhr, von diesem begleitet, in das Elysee, wo er dem Präsidenten Loubet ein eigenhändiges Schreiben des Kaisers von Rußland überreichte. Die Unterredung des Grafen Lambsdorff mit dem Präsidenten Loubet dauerte nahezu eine Stunde. Morgen findet zu Ehren des Grafen ein Diner im Elysee statt. * Paris, 28. Oktober. Die in der Devutiertenkammer eingesetzte Kommission für bas öffentliche Gesundheitswesen beschäftigte sich heute mit der Frage, ob Gefahren bei An wendung des Kochschen Tuberkulins entstehen können. Eine Abordnung wird sich nach London begeben, um eine Untersuchung in dieser Hinsicht anzustellen. „Weltfrieden". * Paris, 28. Oktober. Heute nachmittag sind hier 200 Vertreter der englischen Handelswelt eingetroffen, um den von Pariser Geschäftsleuten vor einiger Zeit in London abgestatteten Besuch zu erwidern. Abends fand ein von dem republikanischen Handelscomitö zu Ehren der Gäste ver anstaltetes Bankett statt, an dem Ministerpräsident Co mbeS und mehrere Minister teilnahmen. Handelsminister Trouillot brachte hierbei einen Trinkspruch aus, in dem er betonte, daß er in der durch den Austausch von Besuchen be wirkten Annäherung für die Menschheit eine Wohltat er blicke, die geeignet fei, die gewaltigen Kämpfe auf dem Erdball unmöglich zu machen, die die Menschheit in Trauer versetzen und einen Rückschritt in der Civilisation be deuten. * Paris, 29. Oktober. (Telegramm.) Bei dem gestrigen von dem republikanischen HandelScomits zu Ehren der hier eingclrossenen 200 Vertreter der englischen Handels welt veranstalteten Bankett dankte Ministerpräsident CombeS in einer Ansprache den Vertretern des Handels für die Unterstützung, die die Regierung der Republik bei ihnen finde. Italien. Kabinett Giolitti. * Nom, 28. Oktober. Don den Staatsmännern, mit denen Giolitti beute Besprechungen hatte, werden, den Blättern zufolge, Luzzatti und wahrscheinlich auch Sacchi ins Kabinett emtrelen, während der Radikale Marco ra ab gelehnt haben soll. Folgende Besetzungen von Minister posten werden von den Blättern für wahrscheinlich gehalten: Giolitti Vorsitz und Inneres, Luzzatti Schatz, Sacchi Justiz, Senator Titloni Auswärtiges, Rouchelti Posten, De Ma rin io Ackerbau. Spanien. Strcikrevolte. * Bilbao, 28. Oktober. Bei dem heutigen Zusammenstoß zwischen den Arbeitern und dem Militär wurden fünf Arbeiter getötet. Tie Truppen bewachen die Banken und öffentlichen Gebäude und halten die strategischen Punkte in der Umgebung der Stadt besetzt, um die ausständigen Grubenarbeiter an dem Betreten der Stadt zu verhindern. * Madrid, 28. Oktober. (Senat.) Auf eine Anfrage über die Vorgänge in Bilbao gibt der Minister des Innern eine Schilderung der von den Ausständigen verübten Ausschreitungen und rechtfertigt die getroffenen strengen Maßregeln. — In der Sitzung der Kammer gibt der Ministerpräsident eine ähnliche Erklärung ab und stellt den Antrag auf Vertagung der Verhandlung, dem die Kammer zustimmt. Nußland. * Petersburg, 28. Oktober. Der Minister des Innern von Plehwe ist nach dem AuSlande gereist. Orient. Serbisches. * Belgrad, 28. Oktober. Dem Blatte „Stampa" zufolge befindet sich der Oberstleutnant Mihailo Jankowitsch m oder Rütteln bemerkbar, es ist vielmehr nur noch ein Zittern — aber ein Zittern, das man in allen Knochen, in den Zähnen, im Magen und namentlich in den Knie gelenken fühlt. Tie Köpfe der drei Fahrer sind nach vorn geneigt. Starr blickt das Auae durch die Brille, deren Ränder sich unter dein Gegendruck der Luft mit grober Gewalt rund um die Augenhöhlen herum fest aupresfen. Es ist wie ein Saugavvarat, -er da angebracht ist. Vor Schmerz stöhnt Capitant ein paar Mal laut auf, oder eine Verwünschung dringt zwischen seinen fest zusammen gepreßten Zähnen hervor. Bon «Minute zu Minute wird das Atmen schwerer, die entsetzliche Ltaubluft dringt unter den Schleier der Maske, man mahlt den Staub zwischen den Zähnen, man wischt ihn immer wieder von den Brillengläsern, bis zu den Sitzen empor spritzt das Wasser aus den Pfützen, die Ledermäntel sind über und über mit einer Kruste von Cl>aufsceschmuv bedeckt. Jetzt geht es ein Gefälle der Straße in saufender Fahrt hinab, dann ist eine Anhöhe zu erklettern. Man nimmt sie mit nicht geringerer Geschwindigkeit. Die Chausscebäume jagen links und rechts zurück, man erkennt sie nur noch als leichte Streifen, die gewissermaßen die Luft schraffieren. Hier ein Dorf mit einem Kirchturm, eine blau-wciß-rote, ein« schwarz- weiß-rote Fahne — aber keine der gelben.Halteflaggen. In unverminderter Eile aebt es also auf den Torfeingang zu. Ein paar langgezogen«, schrille, heulende Signale warnen die Dorfbewohner, die kreischend auseinander stieben und, an die Häuserwände gedrückt, regungslos ver harren, bis die wilde Jagd vorüber ist. Da — am Ende der Dorfstraße — ein dicker, schwarzer Knäuel. Noch ein Zeichen, aber daS Volk dort bleibt lärmend, gaffend stehen. Es bemerkt das heransaufend« Gefährt nicht. Mit einem rafäieu Schwünge ist das Hebelrad der Bremse in Bewegung gesetzt. Es gibt einen gewaltigen Ruck ans dein holprigen Pilaster. Kaum zehn Meter vor der gefährlichen Stelle steht das ratternde Ungetüm, wie angewurzelt. Nun erst stiebt die Mena« auseinander. Mitten im Wege hält aber noch intmer der dunkle Koloß. Dabei bemerkt man eine Blutlache, einen regungslosen Körper, daneben ein altes, schreiendes Weib, das die .Hände ziun Himmel emrwrstrcckt, am Boden einen Mann im Anzüge der Automobilisten, neben ihm einen Gen- darmen. HanS Donat will adspringen, aber Capitant hält ihn fest. „Hülfe ist ja schon da — waS können wir nützen?" ruft er ihm zu. Das Volk schreit durckwinander. Man sieht drohend erhobene Fäuste. „Fahren Tie weiter, rasch, rasch. Geben Sie den Weg frei!" ruft der Automobilist. Auch der Mann der Polizei stimmt ein. Es bleibt nichts anderes übrig, als die Fahrt fortzusetzen, wenn mau in denn Engpässe, den das um geworfene Gefährt hier mitten im Dvrfe verursacht, nicht die nachfolgenden Wagen gefährden will. „Vorwärts, vorwärts!" drängt Capitant. Und Donat steuert weiter. 'Erst langsam, dann schneller, immer schneller. Draußen auf der Landstraße sind jetzt weniger Mensäfen zu sehen, als zuvor. Man kommt in die Torfmoorgegenden «des Hohen Venn. Eine Meile ist in ivenigen Minuten durchfahren — und doch hat man die Empfindung, daß es ein einsames, verlassenes Stück Land ist. „Jetzt sind wir an vierter Stelle; «da vor uns ist der dritte Wagen. Den haben wir nun auch bald!" Kurz ab gerissen stöbt Capitant das aus. Man kann sich nicht unterhalten, die Zähne schlagen aufeinander. Donat wüßte darauf auch nichts zu er widern. All seine Geisteskräfte sind auf die Handhabung der Steuerung gerichtet. Was er zu denken vermag, ist nur das eine, daß man bis Aachen höchstens noch 40—50 Kilometer Weges haben kann und daß man dann für hcnte erlöst ist. Das Bild, das »ran im letzten Dorfe gesehen, wo sie ven vierten Vordermann überholten, drängt sich plötzlich vor seine Sinne. Es ist wie ein Schwüchvanfall. „Ob der Mann tot war?" „Wcr?" „Der da lag — der überfahren worden ist?" Keine Antwort. Donat fühlt, daß dke Innenflächen seiner Hände vor Aufregung naß gewovden sind. ES zittert alles in ihm. Lder ist cs nur das mechanische Zittern, an das er sich nachgerade gewöhnt hat? Nein, cs ist <in konvulsivisches Zucken, da» er wie einen körper lichen Schmerz in der Brust verspürt. E» ist ihm plötzlich, als trüge er eine Mitschuld an dem Unglück. „Entsetzlich — entsetzlich!" stößt er aus Wieder eine Wegbiegung. Er läßt das heulende Signal ertönen. Dann geht cs die breite, lang sich hinztehende Rainpe empor, am Abhänge der Botranae entlang. Darauf verengert sich da- Tal und steigt. Lian geKtnnt den Paß, darauf die Wasserscheide. Nun schießt man an der Warche entlang, dicht neben einem Eisenbahnzuge her, der das Automobil eine Strecke weit begleitet. In den Wagcnfenstern erscheinen Köpfe. Man winkt, man ruft, inan jubelt, man schreit. Aber ein Wagen nach dem andern, zuletzt die Loko motive, verschwindet dann wieder zur ReiÄen hinter ihnen. Capitautö lachen «beide hell auf, wie sie so mit Leichtig keit den Zug überholen. Plötzlich ein jäher Aufschrei vor ihnen. Dicht vor ihnen, nur wenige Meter von ihnen entfernt, fährt ein anderer Rennwagen. Man ist ihm nahe gekommen, ohne cs im Staube zu bemerken. Mit einer kleinen Drehung der Lenkstange steuert Dormt weiter nach links. Da bleibt man nun eine weite, wette Strecke lang immer in der gleichen Entfernung dicht neben einander. Man könnte dem Konkurrenten die Hand zurcichen. Es kommen Kurven, bei denen eine Berührung der beiden Wagen ein unabsehbares Unglück zur Folge haben müßte. Spielend weichen sie einander aus: mit einem Finger druck lassen sich die Kolosse regieren. Aber dann kommt die Steigung, kurz vor einem schmuck von Gärten umgebenen Städtchen, das zwei Kirchtürme besitzt und in dessen Nähe sich ein kleiner Hügel mit einer Schlotzruine erbebt. Hier scheint das Interesse der Bevölkerung wieder leb hafter: die Leute, die den Fahrern weit cntgegengezogen sind, winken und rufen. „Ah, seht, da lassen wir sie hinter uns!" frohlockt Capi tant plötzlich. Und richtig: während die „Marion" stetig und gleich mäßig im Aufsteigen bleibt, verlangsamt die Maschine der Konkurrenten ihr Temvo. Die Zuschauer haben den Kampf der beiden Wagen, so bald sie auS dem Nebel herauSgetreten sind.mit wachsendem Interesse, zugleich mit Enthusiasmus beobachtet. Und nun schwirren in französischer und deutscher Sprache und dem seltsamen gutturalen Wallonisch laute Jubelrufe durch die Luft. ./Vorwärts! — Vorwärts! — Hurra!" Eine Zeit lang geht cs auf ebenem Boden dahin. Hier folgt der Konkurrent in gleicher Entfernung. Dann aber kommt die neue Steigung, und nun vergrößert sich von Sekunde zu Sekunde der Abstand. Wieder sieht man Fahnen flattern — die franzöfffche, die deutsche — quer über die Fahrstraße aber ist hoch oben ein Draht gespannt, an dem die große gelbe Flagge Hängte „Halt, ein nentraltsierter Ort!" ruft Capitant. „Wo sind wir?" fragt Marion. Jede Vorstellung von Raum und Zeit ist ihr abhanden gekommen. Die vielen Hunderte von Städten, Städtchen und Dörfern, die sic passiert haben, schienen ihr derart -u gleichen, daß ihr nichts Charakteristisches mehr auffällt. Hier hat sich die neugierige «Menge bis auf die Renn straße selbst vorgewagt: nur eine schmale Gasse ist in der Mitte -er Chaussee freiaeblieben. Man sieht ein Zelt, einen Tisch, einen Mann mit einer Binde, «inen Arm, der das Haltesignal gibt. Mit einem kurzen Ruck wird gehalten. Hochrufe, Tusch — die Marseillaise. Es ist hier in Deutschland nicht anders, als es allerorts in Frankreich war. Der Kvntrollbcamte gibt auf Französisch die Zeit an. „10 Uhr 58 Minuten 17 Sekunden!" wiederholt Capi tant mit vor Freude zitternder Stimme. Dabei zieht er die Kontrollkarte aus der Tasche. Der Ordner nimmt sie. vermerkt darauf die Ankunftszeit, rechnet die zwölf Minuten hinzu, die für die Durchfahrtszeit festgesetzt sind, und bestimmt damit die Sekunde, zu der der Wagen von der Ausgangsstation wieder abzulassen ist. Die Karte wird darauf dem führenden Radfahrer übergeben, dem der Wagen in langsamem Temvo in einer Entfernung von etwa 30 Metern durch den neutralisierten Ort zu folgen hat. Von allen Seiten drängen sich Neugierige hinzu. Man hat die Nummer des Wagens gelesen, orientiert sich über seine Fahrzeit und berechnet seine Chancen. Die wichtigste Frage ist ja nicht die, wer heute als erster in Aachen eintrifft, sondern wer die kürzesteZeit bis da hin braucht. Fournier bat den Ort vor 32 Minuten pas siert, aber sein Start fand über eine halbe Stunde vor dem des Donatschcn Wagens statt. In diesem Augenblick ist also Donat der mutmaßliche Sieger, nicht Fournier. sFortsctzung solgt.f
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