02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031030026
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Die offinöse Meldung, daß die in Berlin versammelt gewesenen Frnanzminister sich mit bestimmten Vorschlägen veschaftigt haben, die auf Vorschlag des Reichskanz ler- vom Reichsschatzsekretär ausgearbeitet waren und den Aweck haben, die Einzelstaaten noch vor der finanziellen Wirkung der abzuschließenden neuen Handelsverträge vor einer ruinösen Steigerung der Matrikularbeiträge zu schützen, — diese Meldung hat in den Kreisen des Zentrums hochgradige Erregung ber- voraerufen. Die klerikalen Politiker hatten das Planchen, ihre Zustimmung zu einer gründlichen Reicksfinanzreform von der Zustimmung der Einrelstaaten zur Aufhebung oder wenigstens rur Abbröckelung des Jesuitengesetzes abhängig zu machen, so fein ausgearbeitet, und nun kommt der dem Zentrum sonst so gefällige Reichskanzler und läßt von dem neuen, dem Zentrum nicht fernstehenden Reichsschatzsekretär Vorschläge auSarbeiten, deren Annahme die Einzelstaaten vielleicht sckon im nächsten Etatsjahre von einer übergroßen finanziellen Last befreien und mithin auch dem kirchenpolitischen Drucke de- Zentrums entziehen würde. Freilich hängt die An nahme dieser Vorschläge ganz wesentlich von der im Reichstage regierenden Fraktion ab, aber diese Fraktion hat denn doch auch einige Rücksicht auf ihre einzel staatlichen Wähler zu nehmen und muß befürchten, diese vor den Kopf zu stoßen, wenn sie eine die Finanznot der Einzelstaaten mildernde Maßregel bekämpft oder zum Objekte einer Schacherpolitik macht. Die Erregung der Zentrumspresse ist also sehr begreiflich. Aber auffallen muß doch die Art, in der diefe Erregung sich äußert. Die „Korrespondenz für Zentrumsblättcr" verhöhnt die Finanzministerkonferenz, indem sie von der Einschmugge- brng einer Extratour in den verfassungsmäßigen BundeS- ratSball spricht, „zur Ehre des Reichskanzlers und des neuen Schatzsekretär-" annimmt, daß sie nicht die Ab sicht hätten, „um nichts und wieder nichts" (!) einen Streit im Reichstage zu entfesseln, der nur verwirrend und lähmend auf die positive Mehrheit wirken könnte, und schließlich dem Grafen Bülow rät, vor einem folgenschweren Schritte „wirk liche Politiker", nicht bloß „Finanzkünstler", zu hören. Ruhe ist die erste staatsmännische Pflicht betreffs der Reichsfinanzcn — in dieser Weisheit gipfelt der Ratschlag der Zentrums- korresponder» an die „nichtwirklichen Politiker", d. h. an den Reichskanzler und die Finanzminister. Die Ueber- bebung der „regierenden" Partei kommt in solchen Aus lassungen drastisch zum Ausdrucke. Da aber gleichzeitig daS leitende rheinische Zentrumsorgan dafür ein tritt, daß die Matrikularbeiträge nicht nach der Kopf zahl, sondern nach der Leistungsfähigkeit erhoben wer den sollen, so kann eS keinem Zweifel unterliegen, daß das Zentrum von einem Ruhebedürfnisse weit entfernt ist und den Reichskanzler und die Finanzminister nur deshalb ver söhnen läßt, um die verbündeten Regierungen von der Er greifung der Initiative auf dem Gebiete der Reichsfinanz- rrform und von einer Störung der Zirkel des Zentrums abzu schrecken. Gerade die Furcht vor einer solchen Störung sollte den Reichskanzler veranlassen, mit allem Nachdrucke den Plan xr verfolgen, dem die Finanzminister ihre Zustimmung erteilt haben. Wenn daS Zentrum sich fürchtet, ist eS am unge fährlichsten. „Aus -cm Wege zur Macht" betitelt die „Köln. Ztg." eine interessante Darlegung der Anstrengungen, die auf feiten der Zentrumspartei gemacht werden, um dem seinen Paritätsklagen gegenüber häufig ge machten Hinweise zu begegnen, dafl die verhältnismäßig geringe Zahl der Katholiken, die sich den Studien widmen, eine stärkere Berücksichtigung des Katholizismus im höheren Beamtenstande erschwere. „In aller Stille" — so heißt es in dem Artikel — „ist das Zentrum daran gegangen, in dieser Hinsicht seine Aussichten für die Zukunft günstiger zu gestalten. Sein Bestreben geht jetzt dahin, eine größere Anzahl junger Leute aus „gut katholischen" Familien zum Studium zu bringen, und zu diesem Zwecke werden nicht nur zahlreiche Progymnasien im Rheinlande zu Vollgymnasien ausgebaut, sondern auch in vielen Orten, die sich bisher ohne höhere Schule überhaupt oder mit gehobenen Stadtschulen behalfen, sechs- klassige Progymnasien gegründet. Es ist ganz interessant, zu be obachten, wie in solchen kleinen Städten auf einmal, von kundiger Hand geleitet, das Bedürfnis nach einem Gymnasium oder doch nach einem Progymnasium durchbricht, und Ivie in kürzester Zeit von Stadtvertretungen, die sonst gewohnt sind, um eine Ausgabe von 20 in ihren Sitzungen ein großes Geschrei zu erheben, schlankweg eine Erhöhung der jährlichen Ausgaben um Zehntausende be willigt wird, wenn es sich um die neu zu gründende Gymnasial anstalt handelt. Auffallend im höchsten Grade ist es ferner, daß diese Gemeinden fast immer mit Sicherheit auf Gewährung eines Staatszuschusses für die beabsichtigte Neugründung oder den Ausbau rechnen können; während alle Städte, die Rcalanstaltcn gründen wollen, mit ihren Bitten um einen solchen Zuschuß unter Hinweis auf die unzureichenden Mittel der Staatskasse oder auf die Steuerkraft der Industrie rundweg abgewiesen werden, erhalten alle die kleinen Städte im Rheinlandc, die es verstehen, ihre Wünsche nach Gymnasien durch einen geeigneten Vermittler in Berlin vor tragen zn lassen, oft niit Uebergehung der Provinzialbehördcn und ohne daß die Bedürfnisfrage allzu ängstlich geprüft wird, den erbetenen Staatszuschuß für ihre Anstalt." Die offenbar genauer Kenntnis der Verhältnisse ent stammende Darlegung zeigt, wie auf diese Weise, mit staat licher Hilfe, immer mehr und mehr „alte Herren" katholischer Studentenverbindungen der höheren Verwaltungslaufbalm zugeführt, wie die Lehrerkollegien in den höheren Schulen mehr und mehr von echt ultramontanem Geiste durchsetzt werden, — eine Gefahr, der durch die auf solche Weise sich langsam verschlechternden Avancementsverhältnisse und wachsenden Wartefristen wohl kaum die Spitze ab gebrochen wird. — Das Rosormationsfest in Oesterreich. Das Kaiserlich-Königliche Ministerium für Kultus und Unterricht hat mittels Erlasses an die Schulbehörden die Verfügung getroffen, daß der 31. Oktober, auch wenn er auf eiuen Wochentag fällt, künftighin als kirchlicher Feiertag zu behandeln und für die evangelischen Schüler mit einem Gottesdienst zu begehen ist. An allen öffentlichen Unterrichtsanstalten sind Lehrpersonen und Schüler evangelischen Bekenntnisses an diesem Tage von der Teilnahme am Unterrichte enthoben. Bekanntlich lxst dasselbe Ministerium schon im vorigen Jahre den Landesschulbehörden die Freigabe des ReformationssesteS anheimgestellt. Der jetzt erfolgte Ministerialerlaß M als ein teilweiser Erfolg mannigfacher Beschwerden aus evangelischen Kreisen zu betrachten. Sv lange aber die Feier dieses einzigen evangelischen Feiertages für die evangelischen Schüler, welche die zahlreichen römisch-katho lischen Feiertage mitfeier,c müssen, nur durch ein Unter richts Versäumnis ermöglicht ist, und die Verordnung nicht wenigstens die Behandlung neuen Lehrstoffes im Unterrichte für diesen Tag ausschließt, bleibt sie eine halbe, mit dem interkonfessionellen Charakter des Öffentlichen Schulwesens im Widerspruche stehende Maßregel. Vor kurzem noch hat Minister Freiherr v. Härtel die Freigabe des Reformations'estes in einer Entscheidung als „Provo kation der römisch-katholischen Bevölkerung" bezeichnet. Die italienischen Hoffnungen ans Papst Pius X. Aus Rom, 29. Oktober, wird uns geschrieben: „Die liberale italienische Presse ist trotz ihrer grundsätzlichen Gegnerschaft zum Papsttum doch unermüdlich in der Auf findung von Punkten, welche den Anschein eines Ent gegenkommens des neuen Papstes gegenüber dem italieni schen Staate erwecken könnten. So setzt man auf die Kardinalsernennungen des nächsten Konsistoriums große Hoffnungen. Der unter den Bewerbern für den Purpur zunächst genannte Bischof von Viterbo, Mfgr. Grase lli, sollte schon längst für die Kardinalswürdc bestimmt gewesen sein; aber Papst Leo sei durch dessen sehr patriotische Trauerrede gelegentlich der Ermordung des Königs Humbert unangenehm berührt worden, weshalb Graselli auf der Bewerberliste zurückgcstellt worden sei. Indem nunmehr Papst Pius diese Zurücksetzung wieder gut mache, gebe er gleichzeitig kund, daß er die Liehe zum italienischen Baterlande und die Hochachtung gegenüber dem Königshause als wohl vereinbar mit der Stellung eines hervorragenden Kirchenfürsten ansehe. Auch ein zweiter Purpurbewerber, stvffgr. Callegari, der Bischof von Padua, gilt als Vertreter der versöhnlichen Rich tung. Derselbe hat vor einigen Jahren den Ausspruch getan, daß er für Italien die Monarchie als wertvoller erachte, als eine Republik, auch wenn sie auf die Grund sätze der christlichen Demokratie gegründet sei. Daraus folgerte man eine indirekte Anerkennung -es Königreichs Italien. Ein dritter Bewerber um den Kardinalshut, Msgr. Bonazzi, der Bischof von Benevent, gilt als Refvrmfreund, der besonders in der Ausbildung und dem Leben der Priester, sowie in der inneren Organi sation des Mönchswosens tiefgreifende Reformen em pfiehlt. Man glaubt daher, daß der Papst ihn nach seiner Erhebung zum Kardinal im Vatikan belmlten werde, da mit er dort seine Reformplätte zur Durchführung bringen könne." — Wir warnen wiederholt davor, die auf Pins X. gesetzten Hoffnungen allzu hoch zu spannen. Revnblik Kuba. Die „Befreiung" der Insel Kuba von der spanischen Herrschaft hatte die Sympathien des größten Teils der nordamcrikanischen Presse für sich, da man in den Ver einigten Staaten glaubte, das befreite Kuba würde bald in vollständige wirtschaftliche Abhängigkeit von der Union geraten. Wie sehr man sich in dieser Beziehung geirrt hat, zeigt ein Bericht des mnerikanischen Generalkonsuls in Havana, dem wir folgendes entnehmen: Seit dem Jahre 1899 ist die Ausfuhr der Vereinigten Staaten nach Kuba von 29 181 700 Dollars auf 26 053 395 Dollars heruntergegangen.und während tmJahre1899 noch83 vom Hundert der gesamten kubanischen Ausfuhr auf die Vereinigten Staaten entfielen, gilt das jetzt nur noch von 76,2 Proz. Die nordamerikantschen Handelsbeziehungen mit Kuba sind also erheblich zurückgegangen. Und das ist geschehen, obgleich Kubas Kaufkraft bedeutend gewachsen ist; denn Kubas Gesamthandel hat sich im Jahre 1900 um 12 Millionen Dollars gehoben. Zu gleicher Zeit haben sich die Finanze n der Insel gebessert. Schon in den letzten sieben Monaten des Jahres 1902 — der 20. Mai 1902 war bekanntlich der Geburtstag der Republik — übertrafen die Staatseinnahmen die Ausgaben um mehr als 1,6 Millionen Dollar und für die ersten sechs Monate des Jahres 1903 ergab sich sogar ein Ueberschuß von nahezu 3 Millionen Dollar. Während die Union in ihren Handelsbeziehungen mit Kuba eine empfindliche Einbuße erlitten hat, wuchs die Ausfuhr Deutschlands nach der Insel von 2 024 000 Dollar im Jahre 1899 auf 3 612 000 Dollar im Jahre 1902. Selbst Spanien hat im Jahre 1902 immer noch kür 10105 000 Dollar Waren nach Kuba geliefert. Durch die neue kubanische Bahn ist die größere östliche Hälfte der Insel dem Handel erst er schlossen. Es werden jetzt daselbst die Ur-wätder gelichtet, große Massen wertvoller Hölzer ausgeführt und neue Pflanzungen angelegt. Dadurch finde» Tausende der Un zufriedenen, die im Kriege gegen Spanien bei den Auf ständischen dienten und noch heute ihren rückständigen Sold fordern, lohnende Beschäftigung. Die Unzufrieden heit dieser alten Insurgenten, die schon zu kleineren Un ruhen geführt hatte, hat sich übrigens infolge einer Rund reise, die Präsident Palmas kürzlich unternahm, wesent lich gemildert. Tic neue Republik hat eine Kommission nach den Vereinigten Staaten geschickt, um über eine Anleihe in Höbe von 35 Millionen Dollar zu verhan deln, die in erster Linie dazu dienen soll, die Offiziere und Soldaten des Jnsurgentenheeres zu bezahlen und ihnen den Schaden zu ersetzen, den sie infolge ihrer Beteiligung anr Aufstande gegen die Spanier erlitten hatten. Deutsches Reich. * Leipzig, 30. Oktober. Nach schweren Leiden ver - starb gestern abend Herr Reichsgerichtsrat Carl Braun, unmittelbar vor seinem Uebertritt in -en Ruhe- stand. Der Verewigte, der erst vor wenigen Tagen durch Verleihung des Roten Adler-Ordens 2. Klasse und des Verdienstordens der bäuerischen Kronel mit dem übrigens in Bayern der persönliche Adel verbunden ist) ausge zeichnet worden war, wurde 1832 zu Orl in Bayern ge boren, trat 1854 in den bayerischen Staatsdienst, wurde 1864 Staatsanwalt in Aichach, 1870 Bezirksgerichtsrat in Kronach, 1874 Staatsanwalt in Memmingen, 1879 in Würzburg Erster Staatsanwalt, mit dem Range eines Oberlandesgerichtsrates, und 1884 OberlaudesgerichtSrat in Bamberg. Im Jahre 1892 wurde er an das Reichs gericht berufen, dessen Erstem Sträffenate er angchörte. Berlin, 29. Oktober. « Zur Kaiserbegegnung in Wiesbaden.) Ein süddeutsches Blatt meldet, daß Kaiser Wilhelm dem Zaren einen Besuch in Darmstadt ab statten werde, bevor er den Besuch des Zaren in Wiesbaden entgegennebme. Dieser Nachricht dürften Verwechslungen zu Grunde liegen. Wobl trifft Kaiser Wilhelm vor dem Zaren in Wiesbaden ein und wohl ist eS möglich, daß er den Wiesbadener Besuch des Zaren in Darmstadt er- Feuilleton. Das neue Modell. 26j Roman von Paul Oskar Höcker. vlactwruck verbalen Als das bekannt wird, verstärkt sich der Jubel. Man will dem Führer des Wagens gratulieren, ihm die Hände schütteln, Mädchen werken Blumen in den Wagen, ein Herr vom Eomits reicht ein Brett mit kaltem Geflügel und Brötchen und ein paar Gläsern Champagner hinauf. Als bie Insassen -es Wagens die Gesichtsmasken ab nehmen, geht «ine neue Sensation durch die Reihen der Zuschauer. „Das ist sie! — Sicher! — Die auf der zweiten Bank! — Eine Dam«, wirklich! — Frau Capitant! Ganz gewiß ist sie'S!" Donat hat für seine Person abgelehnt, etwas zu sich zu nehmen. Er ist zu erschöpft, und, trotz der Nerven anspannung, auch zu deprimiert, nm essen zu können. Er will mit dem Gefährt gerade dem Radfahrer folgen, da hört er dicht hinter sich eine Frmkenftimmc. „Marion!" ruft es aus der Menge. Und die Insassen des Wagens sehen ein junges Mäd chen durch die Menge sich Bahn schaffen. „O, mein Gott", entfährt es Marion, „das ist ja Lise lotte!" Die hat sich noch gar nicht klar gemacht, daß man sich in Ehateau-Lanney befindet. Marion beugt sich hinaus. Sie will abspringen, aber der weite Mantel macht sie zu ungeschickt. Auch sind ihr die Füße wie abgestorben. So zieht sie denn die Schwester aufs Trittbrett, ihr Gatte hülft ihr, und gleich darauf sitzt Liselotte ihnen gegenüber, Rücken an Rücken mit Donat, mit dem sie nur «inen flüchtigen Gruß wechseln konnte. „Nein, ist das eine Freude!" ruft Marion, beide Hände der Schwester festhaltend. ,Hch hatte ja gar keine Ahnung, -aß wir schon da sind." Auch die beiden Herren wollen ihr die Hand reichen, aber Marion läßt sie nicht los. „Ihr seid mir doch nicht böse, Kffider?" fragt Marion in ihrer liebenswürdigen Manier. „Ach, ich muß dir ja »och ganz ausführlich erzählen, wie sich das so rasch ge macht hat. Weiht du, ich dachte unterwegs immer: wie schade, daß ihr nicht alle zusammen nach Aachen kommen könnt, wie? Oder läßt sich das doch noch arrangieren?" Der Lärm der Zuschauer, der sich steigert, als Donat jetzt die Fahrt durchs Städtchen langsam aufnimmt, er schwert die Unterhaltung. Liselotte ist verstört, geängstigt sieht sie sich nach all den Menschen um, die den Wagen wie im Triumph durch die Straßen geleiten. „Marion — ich möchte dich bitten — vielleicht wäre es dir möglich, zu uns zu kommen. . ." Nun erst fragt Marion nach der Mutter und nach ihren Kindern. Auch Capitcmt wirft lebhaft ein: „Es ist doch alles in Ordnung?" „Leider — nickst so ganz", bringt Liselotte zaudernd hervor. „Raoul ist nicht recht auf dem Posten. Es sind wieder die Mandeln, weißt du, wie damals." „Aber doch nichts Gefährliches?" „Immerhin eine starke Bräune. Der Doktor ist bei ihm. Es geht ja nicht um Leben und Tod, sagt er, aber vielleicht unterbrichst dn doch lieber die Fahrt, Marion, als daß... Jedenfalls hielt ich cs für meine Pflichk, es dir zu sagen." „Gewiß, gewiß, ei, da müssen wir natürlich . . . Ja, aber wie machen wir das am besten? In einer lxrlbcn Stunde sind wir in Aachen, dann komme ich sogleich mit der Bahn zurück. Meinen Sie nicht auch, Donat, daß wir in einer halben Stunde in Aachen sind?" Man passiert soeben den Abteiplatz. Aus allen Fenstern wird ihnen zugewinkt. Der eine hat's^em andern zuge rufen, daß dieser Wagen der voraussichtliche Sieger sei. „So ist es dir doch recht, Liselotte, wie? Aber blaß bist du wieder, mein Herzchen,. Nun, wir sprechen ja hernach über alles." „Nein, Marion, ich meine, du solltest sofort absteigen und mitkommen." Capitant, der mit halbem Ohre zugehört hat, während er Donat in ein lebhaftes Gespräch über eine technisch« Angelegenheit zu verwickeln suchte, fragt seinen Vorder mann lebhaft, Hb man die kurze Frist hier in Chatcau- Lanney nicht dazu benutzen solle, um Spiritus aufzufüllcn, denn man passiere bis Aachen nur noch einen einzigen neutralisierten Ort, St. Bith. Hastig wendet er sich dann seiner Schwägerin zu. ,/Fa, gewiß, wenn Raoul nickst wohl ist, dann wollen wir natürlich gleich nach ihm sehen. Gottlob, daß es nichts Gefährliches ist. Die Mandelgeschichte hat er schon ein paarmal gehabt. Gleich von Aachen aus werden wir znrückfahren, nicht wahr, Marion ?" „Ja, Liebchen", setzt sie hinzu, „wir hatten auch gar nicht etwa vorgchabt, das Fest heute abend in Aachen mit- zumachen. Nein, znm Vergnügen haben wir unö der Strapaze wahrhaftig nicht unterzogen, es hängt geschäft lich sehr viel für uns vom Siege ab, sonst kannst du dir doch denken . . Eine nervöse Angst liegt in ihren Zügen. Sie will durchaus verhindern, daß Donat ihr Gespräch mit der Schwester hört. Capitant errät, was in ihr vorgeht. Wiederum hebt er eine eifrige Unterhaltung mit dem Führer an. Jedes Wort ist Liselotte eine Lual. Der Lärm, der sie unrbraust, macht sie schwindlig. Als man di« Ans- gangsstation erreicht hat und sic den Wagen verläßt, wankt sie . . . Sic muß sich an dem Tische festhalten, neben dem der Ordner steht. Der vorausfahrendc Radfahrer hat die Karte dem Kontrollbeamtcn übergeben. Der hat die Fahrzeit in seiner Liste vermerkt. Nun hält er, die Uhr in der Hand, dicht neben dem Wagest, die gelbe Flagge cmporhebend. „Aber daß du nicht wenigstens Mama und Klein- Edith mitgebracht hast", sagt Marion in vorwurfsvollem Ton. „Nun, ick sehe sie ja gleich nachher. Vielleicht ist cs besser so. Tic Kleine hätte sich am Ende gefürchtet, wie? — Ja, man sicht ganz abscheulich aus. Und Raoul soll mein kleiner artiger Junge sein, hörst du, sag ihm das. Ich bin also hernach sofort bei dir, mein Liebling. Un grüße Mama und meine beiden kleinen Trabanten!" Das kommt alles so leicht und sprudelnd über ihre Lippen. Liselotte faßte es nicht —, sic weiß nun gar nicht, ob sic der Schwester denn nicht klar nnd deutlich gesagt hat, um was es sich bei dem kleinen Kranken handelt? „Sie haben noch anderthalb Minuten", sagt der Ordner, indem er Donat die Karte zurückreicht. Vom andern Ende der Ortschaft tönt neuer Lärm herüber: der folgende Wagen ist dort eingetrofsen und wird mit ähnlicher Begeisterung empfangen wie sein Vor gänger. Mit schlaff herabhängenden Armen steht Liselotte da. Die Tränen sind ihr in die Augen getreten. HttlfloS sielst sie sich nm. Ihr Herz ist so voll, sic ist so verängstigt — findet aber doch die Worte nicht, um ihrer Verzweiflung Ausdruck zu geben. — Ta fühlt sie plötzlich Dvnats Blick in dem ihren brennen. Er sieht bleich und verstört aus. Sie bemerkt, daß er eine Frage an sic richten will, daß er selbst mit sich ringt und kämpft. Endlich flößt er aus: „Es ist schlimmer, als Sie eiingestehcn wollen, Fräulein Liselotte?" Sie weiß sofort, daß er, trotz der Versuche Marions und ihres Gatten, zu übertönen, was sie berichten wollte, orientiert ist. Mutlos zuckt sie die Achseln. Donat hat sein Gesicht den beiden anderen Insassen des Wagens zu gewendet, die sich soeben wieder die Masken vvrbindcn. „Wenn Sie absteigen wollen, um nach ihrem Kinde zu sehen, Fran Capitant, ich halte Sie nicht. Ich — fahre auch allein . . ." Ter Ordner erhebt die Flagge. Trotzig preßt Marion die Lippen aufeinander. Die letzten Stunden über kam ihr die Haltung des Führers so unsicher und erregt vor, daß sic das Vertrauen zu ihm verloren hat. Seine wachsende Nervosität kann unter Umständen dem Erfolge gefährlich werden. Und sie weiß, daß ihr Mann nicht die Fähigkeit besitzt, das Fahrzeug zu steuern, wenn ein anderer für Donat einspringen müßte Noch immer wartet Liselotte auf die Entscheidung. Im allgemeinen Lärm hört sie nicht mehr, was sie mit ein ander besprechen. Sie bemerkt nnr, daß Do>nats Gcsichts- ausdrnck innncr eisiger geworden ist. Sekunde nm Sekunde verstreicht. Jetzt senkt der Ordner blitzschnell die Flagge. „Abfuhren! Abfuhren!" drängt die Menge, die den Startplatz nmstcht. Noch eben gemährt Liselotte don verächtlichen Blick, den Donat dem Ehepaar znwirst. Dann schießt das 6K fährt davon. Sie sielst die knvzc runde Staubwolke, in die das Fahrzeug sofort cingebüllt ist, sich entfernen — eine lange, dicke, hellgraue Bahn bleibt ani der Chaussee zurück. Ein paar Bekannte drängen sich nm sic. „Ist cs wahr, Fräulein, waren das wirklich Capitants?" Man erhalt keine Antwort. Liselotte reißt sich los — noch ganz ver wirrt nnd erschüttert. Endlich hat sic die leere Nebengasse erreicht, durch die sie an den Gartenzäuncn vorbei hcimgelangt. Es ist ihr lieb, daß der SanitätSrat nicht oben am Fenster sieht und nach ihr ansblickt, denn sic empfindet eine grenzenlose Besckämnng darüber, daß sic allein zn- rückkchrt - ohne die Schwester. Vor dem fragenden Blick des alten Mannes graut cs ihr geradezu. Unsicheren Fußes gewinnt sie das Haus, fast wankend,
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