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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.11.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031103019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903110301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903110301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
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Ertra-Beilagen (gesalzt), «ar mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbesärderung SO.—, mit Postbesärderung ^li 70.—. Anzeiger. ÄmLsUsttt des königlichen Land- «nd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Rnnahmeschluß für Anzeigern Abeud-AuSgabe: Bormtttags 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeige« sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Potz in Leipzig. Nr. 558 Dienstag den 3. November 1903. 97. Jahrgang. Streiks und Aussperrungen in Deutschland 1902. n. Geht man zu ber inneren Charakterisierung der Streiks über, so wirb man in erster Linie AngriffsstreikS und Abwehrstreiks zu unterscheiden haben, d. h. Arbeits einstellungen, bei welchen die Arbeitnehmer eine Aen- derung des bisherigen Arbeitsverhältnisses, also etwas Neues, zu erreichen suchten, und Arbeitseinstellungen, bei welchen eS sich für die Streikenden um die Abwehr einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nach irgend einer Richtung hin durch di« Arbeitgeber handelte. Die Theorie wie die Erfahrung lehren, daß günstige Verhält nisse auf dem Wirtschaftsgebiete die AngriffsstreikS ver- mehren, während bei ungünstigen Konjunkturen das Be streben der Arbeitgeber nahe liegt, die Arbeitsbedingungen für sich besser zu gestalten, wodurch die Zahl der Abwehr- streikS wächst. Bon den im Jahre 1902 beendeten 1060 AuSstänüen waren 798 Angriffsstreiks und 262 Abwehr- streik-. Im Jahre 1901 wurden 697 AngriffsstreikS und 859 Abwehrstreiks gezählt. Wenn demnach auch im letzt verflossenen Jahre da- Verhältnis -wischen den beiden Kategorien sich nicht unwesentlich zu Gunsten der An- grtffsstreikS verschoben hat, so hat es doch längst nicht den Stand erreicht, den eS in den beiden vorhergehenden, wirtschaftlich günstigeren Jahren hatte. Im Jahre 1900 standen 1127 AngriffsstreikS 806 Abwehrstreiks, im Jahre 1890 1019 AngriffsstreikS 269 Abwehrstreiks gegenüber. Im Baugewerbe kamen 1902 auf 119 AngrifsSstreiks nur 49 AbwehrstretkS, in der Textilindustrie dagegen auf 64 AngriffsstreikS schon 37 Abwehrstreiks, in der Maschtnenindustrie aus 30 AngriffsstreikS 18 Abwehr streiks. WaL die Forderungen der Streikenden betrifft, so kamen, wie leicht erklärlich, auch im Berichtsjahre in erster Linie Lohnforderungen in Betracht. Die wegen eigentlicher Lohnfragen — Erhöhung bezw. Aufrecht haltung der bestehenden Löhn«, Bezahlung bezw. höhere Bezahlung der Ueberstulrden, der Nebenarbeiten usw.— auSgebrochenen Streiks hielten sich aber mit 780 Fällen in den gleichen Grenzen wie im Jahre 1901, während diese Fälle in den beiden vorhergehenden Jahren weit zahl- reicher (1900: 1325, 1899: 1126) waren. DaS Gleiche gilt für die auf die Verkürzung der Arbeitszeit gerichteten Forderungen. Während diese Forderung 1899 in 275 Fällen, 1900 in 34V Fällen erhoben wurde, wurde sie 1901 nur 146 mal und 1902 nur 160 mal erhoben. Neben der Ungunst der wirtschaftlichen Verhältnisse mag freilich hier die fortschreitende Verkürzung der Arbeitszeit in der In dustrie überhaupt mitsprechen. Die Forderung, betreffend Abschaffung ober Beschränkung der Ucberstunlden, gab 1900 noch zu 4S Streiks Veranlassung, 1901 nur zu 26 und 1902 nur zu 18 AuSstänben. Unter den sonst noch er- hobenen Forderungen findet sich am häufigsten die be treffend Wiederanstellung «ntlassener Arbeiter. Sie gab im Berichtsjahre in 141 Fällen Anlaß zum Streik; 1901 in 147 Füllen, 1900 in 188 Fällen, 1899 in ISS Fällen. Die wichtige Frage nach -em Erfolge oder Miß erfolge eine- Streiks ist statistisch nicht leicht zu er fassen. Die Einreihung der Fälle, in denen sämtliche Forderungen der Streikenden gänzlich burchgesetzt oder gänzlich abgelehnt wurden, unterliegt keinen Schwierig, leiten. Die letzteren beginnen erst bet der Rubrizierung deS „teilweisen Erfolges" ber Streikenden. Für eine ab- solut richtige Würdigung eine- solchen müßte man bei jedem einzelnen Streik' wissen, auf welche Forderung die Streikenden wirklich Gewicht gelegt haben, welche For- derungen hingegen in den Augen ber Arbeiter nur neben- sächliche Punkte betrafen oder gar von den Streikenden überhaupt nur aus dem Grunde geltend gemacht worden waren, um durch ihre nachträgliche Preisgabe anderen, ernstgemeinten Forderungen zum Siege zu verhelfen. Diese Unterscheidung ist aber für die Statistik so gut wie unmöglich Dieselbe muß sich daher darauf beschränken, in die Kategorie der Streiks mit „teilweisem Erfolge" alle Fälle ohne Ausnahme einzustellen, in denen die Streikenden auch nur eine der von ihnen — im Ernst oder zum Schein — gestellten Forderungen überhaupt nicht oder nicht in dem erstrebten Umfange, in ber ge wollten Art und Weife oder zu dem gewünschten Zeit- punkte durchgesetzt haben. Weiterhin mußten zu den Streiks mit „teilweisem Erfolge" alle Ausstände gezählt werden, bet welchen nur ein Teil der Streikenden Er- folg hatte, oder bei welchen nur einzelne Betriebe Erfolg erzielten, während in den anderen Betrieben die ge stellten Forderungen abgelehnt wurden. Unter diesen Voraussetzungen ergibt sich für da» Jahr 1902 folgende» Bild: Bon den sämtlichen zur Erledigung gebrachten Streik» endeten für die Streikenden mit vollem Erfolge 228 mit 8229 Streikenden in 405 Betrieben, mit teilweisem Erfolg« 285 mit 82 004 Streikenden in 1929 Btrieben und ohi»g Srfol« 697 mit »87« StrrUiwbeu t» 1108 Vs» trieben. ES hatten demnach die Streikenden vollen Er folg nur in 21,5 Pro-, aller Streiks (1901: 18,9 Proz., 1900: 19,2 Pro»., 1899 : 25,7 Proz.). Teilweisen Erfolg hatten sie in 22,2 Proz. aller AuSstände (1901: 27,0 Proz., 1900: 85,2 Proz., 1899: 33,3 Proz.), während sie keinen Erfolg hatten in 56,3 Proz. aller AuSstände (1901: 54.1 Proz., 1900: 45,6 Proz., 1899: 41,0 Proz.). Obgleich sich danach im Berichtsjahre die BerhältniSzahl für die Streiks mit vollem Erfolge etwas gehoben hat, haben sich die Dinge im ganzen fortgesetzt nicht unwesentlich zu Un- gunsten der Arbeiter verschoben. Von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob Arbeitervereinigungen (Gewerkschaften usw.) an der Vorbereitung oder Durchführung eines Streiks beteiligt gewesen sind, nicht nur, weil sic Rückschlüsse auf das SolidaritätSgefühl der Arbeiterschaft zuläßt, sondern auch, weil sie Anhaltspunkte für die Annahme bieten kann, daß an der Durchsetzung gewisser Forderungen nicht nur die unmittelbar Beteiligten, nicht nur eng be- grenzte Arbeiterkretse, sondern vielmehr auch weitere, unter Umständen sogar sich sehr weit auSdehn«nde Kreise von Berufsgenossen ein Interesse gehabt haben dürften. Allerdings wird diese Feststellung in den meisten Fällen recht schwer sern, da der wahre Sachverhalt häufig genug verschleiert wird. Dem subjektiven Ermessen der mit den Erhebungen beauftragten Behörden und des nachträglich mit der Sichtung des Materials befaßten Bearbeiters bleibt hier ein gewisser Spielraum. Die Ermittelungen deS Statistischen Amtes gehen nun für das Jahre 1902 dahin, daß insgesamt 644 Streiks mit Intervention von Bcrufsvereinigungen gezählt wurden, während 416 Streiks ohne eine solche Intervention begonnen und durchgeführt worden sind. Der Einfluß der BerufSvcr- einigungcn aus die Streiks war demnach auch im ver- gangenen Jahre ettz unleugbar großer. Immerhin ist das Verhältnis -wischen beeinflußten uttd nicht bein- flußten Streiks im Jahre 1902 nicht wesentlich verschoben worden; im Jahre 1901 wurden 638 Streiks mit Inter- vention und 418 ohne Intervention gezählt; im Jahre 1900 stellten sich die entsprechenden Ziffern auf 869 und 564, im Jahre 1899 auf 744 und 544. Die Bedeutung und Wirksamkeit der Arbeiterorganisationen in der Streik frage dürfte sich auch darin -eigen, daß 1902 von den Streiks mit Intervention der Beruf-Vereinigungen nur 55.1 Proz. (gegen 56,8 Proz. im allgemeinen) ohne jeden Erfolg und 25,0 Proz. (gegen 22,2 Proz. im allgemeinen) mit teilweisem Erfolge endeten, während sich die ent sprechenden Ziffern bei den Ausständen ohne Inter ventionen auf 58,2 Proz. bezw. 17,8 Proz. stellen. In den drei vorhergehenden Jahren waren die Ziffern freilich den Streiks mit Intervention noch günstiger. Der Charakter deS Streiks als eines der äußersten Mittel deS wtrtschaflichen Kampfes zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern legt von vornherein die Vermutung nahe, daß bet seiner Anwendung häufig der Boden deS Arbeitsvertrages verlassen wird, d. h. daß die Streikenden kontraktbrüchig werden. Ueber den Umfang deS Kontraktbruche- bei den Streik» gibt die Statistik Auf schluß. Im Jahre 1902 sind von der insgesamt Ü3 912 Arbeiter umfassenden Höchstziffer der Streikenden nach amtlicher Zählung 18 912 oder 25,9 Proz. kontraktbrüchig geworben. Im Jahre 1901 waren eS 28,2 Proz., 1900: 29,4 Proz. und 1899: 27,5 Proz. Danach ist Kontraktbruch bei Streiks im Jahre 1902 zwar etwas zahlreicher als im Jahre 1901 vorgekommen, aber weniger als in den Jahren 1900 und 1809. Den stärksten Prozentsatz der Kontraktbrüchigen, nämlich 98,1 auf 100 Streikende, hat die Gruppe „Bergbau, Hütten- und Salinenwesen* zu verzeichnen. Ihr steht die Textilindustrie mit 13.4 Proz. nahe, während da- Baugewerbe unter 100 Streikenden nur 7,1 Kontraktbrüchige hatte, wobei freilich nicht über- sehen werben darf, baß die Beantwortung der Krage nach der Häufigkeit des KontraktbruchcS in einem Gewerbe wesentlich von der Frage abhängt, ob überhaupt eine Kündigungsfrist bestand. WaS die außerordentlich schwer zu beantwortende Frage nach dem nachweisbaren Verluste au Arbeitslohn aus Anlaß von Streiks aulangt, so sind hier lückenlose Angaben auch im Berichtsjahre nicht zu erlangen gewesen. ES kommen dabei auch so zahlreiche Umstände in Betracht, daß eine absolut genaue Beant- Wertung ber Frage schwerlich jemals erreicht werden wird. Die für da» Jahr 1902 gemachten Angaben beziffern den Gcsnmtverlust auf etwa 2 400 000 während 'ü: 1901 4 501- 000 für 1900 5 400 000 un- für 1A» 4 .ll» 000 ermittelt wurden. Au Aussperrungen, d. h. zu Ausschließungen von Arbeitern von der Arbeit durch die Arbeitgeber, ist e» während de» Jahre» 1902 im ganzen Reiche öl mal ge kommen. von den 46 innerhalb de» BerichlSjahrc» wieder aufgehobenen Aussperrungen wurden insgesamt 948 Betriebe mit 18 705 Arbeit!,« betroffen. Danach ist sowohl di« Zahl der Aussperrungen wie ihr Umfang t« vergangen« Fahre wesentlich gestiegen, zweifellos al» Folg« der verschärften Koalition der Arbeitgeber in einer Reihe von Gciverben. Im Jahre 1901 wurden nämlich nur 88 Aussperrungen gezählt. Die 35 im selben Jahre wieder beendeten umfaßten 288 Betriebe mit 7980 Arbeitern. Ausgesperrt wurden im letztvergangenen Jahre im ganzen 10 305 Personen (1901: 5414); außerdem wurden infolge der Aussperrungen 207 (95) Arbeiter zum Feiern gezwungen. Während im Jahre 1001 45,7 Proz. der beendeten Aussperrungen rollen, 22,9 Prnz. teiliveisen und 81,4 Pro,, überhaupt keinen Erfolg hatten, wiesen im Berichtsjahre 65,2 Proz. aller zur Erledigung ge- langten Aussperrungen vollen, 15,2 Proz. teilweisen und nur 19,6 Proz. überhaupt keinen Erfolg auf. Hier ist dem nach eine wesentliche Verschiebung zu Gunsten der Arbeit- geber eingetrctcn. 14 Aussperrungen sind ruf Inter vention von Bcrufsvereinigungen in die Weg« geleitet und durchgeführt worden. Deutsches Reich. Berlin, 2. November. (DaS gegenwärtige preu ßische Landtagswahlrecht und das Zentrum.) Dieser Tage sind durch die Presse Mitteilungen Uber die merkwürdigen Folgen der Drittelung in den ein zelnen Urwahlbezirken gegangen; es wurde beispielsweise er wähnt, daß in Berlin in dem einen Urwahlbezirke ein Steuerbetrag von über 200 000 dazu gehört, um in der ersten Abteilung zu wählen, während man rn einem andern Bezirke schon mit 18-dieser Ehre keilyastig werden kann, und daß der Reichskanzler in seinem Bezirke in ber Wilhelmstraße in der dritten Abteilung zusammen mit einem Kutscher zu wählen habe. Die „Kölnische Volksztg." macht nun die Entrüstung über dieses Zerrbild eines Wahlrechts nicht nur nicht mit, sondern sie erinnert mit Stolz daran, daß es dem Zentrum zu ver danke r ist. Sie schreibt: „Diese Wirkung der Drittelung nach den einzelnen Urwahlbezirken war beabsichtigt. Das pluwkratische Wahlrecht sollte dadurch gemildert werden, daß auch Unbemittelten ermöglicht würde, in die erste oder zweite Abteilung zu kommen. Eine Gesetzesbestimmung, die ;o zweckentsprechend wirkt, abzuändern, liegt gar kein Grund vor. Das Zentrum, aus dessen Antrag sie einge- sührt wurde, wird jedenfalls in die Aenderung nicht willigen . . . Die Liberalen, welche Freunde des Reichs- tagswahlrechtS sein wollen, sollten es doch ganz billig finden, daß der Reichskanzler nicht mehr Wahlrecht hat, als sein Kutscher". ES ist ganz unlogisch, die Sympathie der Liberalen für das ReichStagöwahlrecht mit dem hier angeführten Falle in Verbindung zu bringen. Erstens handelt eö sich hier nicht um die Reichstagswahlen und zweitens besteht der gewaltige Unterschied darin, baß bei den Reichstagswahlen durchweg ein gleiches Wahlrecht vor handen ist, während hier die Laune des Zufalls die ent scheidende Rolle spielt. DaS größere oder geringere Wahl recht hängt bei oer Drittelung nach Urwahlbezirken von der Zufälligkeit der Wohnung ab; in der ^-Straße ist man Wähler I. Klasse, in der drei Minuten davon entfernten U-Straße mit demselben Einkommen Wähler III. Klasse. Gegenüber dieser unzweifelhaften Unsinnigkeit fällt die angebliche „Milderung" deö plutokratischeu Systems vollkommen weg, denn WaS nützt eS, wenn in dem einen Bezirke durch die Drittelung nach Urwahlbezirken ein oder zwei Dutzend Wähler ein größeres Wahlrecht erhalten, wenn dafür anderen Bezirken eine noch viel größere Zahl von Wählern in dem Wahlrechte verkürzt wird? Wie die Dinge jetzt liegen, wird das Wahlrecht tatsächlich zum Lotteriespiel, und die wichtigste politische Betätigung des Staatsbürgers aus die BasiS der Lotterie zu stellen, sollte der sittlichen Auffassung des Zentrums nicht ent sprechen. Will man eine Milderung des plutokratischeu L-ysiemö herbeiführcn, so ist dies in viel gerechterer Weise doch dadurch möglich, daß man für jede Wählerklasse einen bestimmten Mindestprozentsatz der Wählerschaft festseht. Die schroffe Ablehnung erner Aenderung des gegenwärtigen DrittelungSsyskemS durch die „Kölnische BolkSztg." berührt um so seltsamer, als da- Blatt zugleich erklärt, daß, wenn Graf Bülow durch den Umstand, daß er mit einem Kutscher in derselben Abteilung wählen muß, zu der Ueberzeuaung käme, daß eS Zeit wäre, das Dreiklassenwahlrecht gründlich zu refor mieren, dies dem Zentrum sehr recht sein sollte. Aus dieser Bereitwilligkeit zu Reformen geht hervor, daß da- starre Festhalten gerade an der Drittelung nach Urwahlbezirken der gesetzgeberischen Eitelkeit entspringt; das Zentrum hat diese Drittelung seinerzeit durchgesetzt, und darum muß daran fest gehalten werden, auch wenn die Unsinnigkeit de- Systems handgreiflich festgestellt wird. Bor etwas über einem Men schenalter wurde die Unfehlbarkeit de» Papste» festgelegt, jetzt scheint sich diese Unfehlbarkeit auch auf die „schwarze Garde" des Papste» in Deutschland au»dehnen zu wollen. Berlin, 2. November. (Ein Jurist al» Verfechter der Prügelstrafe.) Der „Deutschen Tage»ztg." ist große» Seil widerfabren: in der „Deutschen Juristen,tg." tritt ein Professor des Recht» für die Wiedereinführung der Prügel strafe ein. Professor vr. v. Rohland verlangt zunächst, daß m besonders schweren Fällen al» Strafverschärfung Hunger- kost und Dunkelzelle zulässig sein soll. Mit die,er Forde- runa haben wir uns von jeher einverstanden erklärt. Prof, v. Rohland gebt aber noch darüber hinaus, indem er in Fällen nach der Art deS Dippoldschen oder bei besonder« ge meinen Sachbeschädigungen die Prügelstrafe verlangt. Er motiviert dies folgendermaßen: „Wer selbst seine Menschenwürde schündet, der hat auch den Anspruch auf Achtung derselben seit»«« andrer verwirkt und kein Recht mehr daraus, daß sei, Kbrp« für di« Strafe «oll »» taa^r» sck. vor so »orroht ist, »t» d« Erzieh« Lippol-, fü, den reicht einfache Freiheitsentziehung mit ArbeitSzwang nicht hin, um die Strafe zu einem empfindlichen Uebrl zu gestalten, für den ist ein körperliches Leiden als Strafe am Platze." Die „Deutsche TageSztg." ist davon überzeugt, und zwar mit „aller Sicherheit", daß diese Auffassungen „von der weitübcrwiegenden Mehrheit deS vernünftig denkenden Volkes geteilt werden". DaS ist eine pstitto xriucipü, aber kein Beweis. Auch wir bilden un» em, der Mehrheit des vernünftig denkenden Volkes anmgehören, können aber die Durchschlagskraft deS Rohlandschen Argument» nicht an erkennen. Zunächst ist selbst daS einzige von ihm angeführte Argument, raß nämlich ein roher Verbrecher die Strafe al- besonderes körperliches Uebel empfinden solle, noch lange kein Beweis für die Notwendigkeit der Prügelstrafe, denn wir glauben, daß Dunkelzelle und Hungerkost al- nicht ge ringeres körperliches Uebel empfunden werden als etwa 25 Peitschenhiebe. Zum Zweiten soll die Strafe doch nicht nur den Verg elt ung-zweck, sondern auch den Besserungszwcck im Auge haben; daß aber ein roher Mensch durch periodische Prügelstrafe sittlich gebessert werde, daS will uns nicht einleuchten. Daim aber übersieht Prof. v. Rohland, baß bei der Prügelstrafe doch nicht nur der Verbrecher in Frage kommt, sondern auch derjenige, der die Strafe auSsührt, eventuell auch diejenigen, die der uner freulichen Exekution freiwillig oder unfreiwillig beiwohnen. Wir glauben, daß solche Personen dadurch nicht nur selbst roher werden, sondern unter Umständen auch geschlecht lich — dafür spricht gerade der Prozeß Dippold — ungünstig beeinflußtwerden können. Ueber diesen durchaus nicht unwichtigen Punkt werden beiläufig die Mediziner zu hören sei« und nicht die Juristen. H) Berit«, 2. November. (Unwahrheiten de» französischen General st abeS.) Bon der Ueber- setzung und Bearbeitung de» französischen Generalstabs werkes durch den württembergtschen Oberstleutnant von Schmid erscheint demnächst da» 2. Heft (Leipzig, Friedrich Luck Hardt). ES wird nicht verfehlen, in Deutschland d.urch die U n w a h r h a f t i g k e it der krau- zösijchen Darstellung hauptsächlich jener Kampfimomente in der Schlacht bei Wörth, in denen die süddeutschen Truppenkontingente, die Bayern, Hessen und Nassauer, einzugreifcn hatten, Aufsehen zu erregen. In all diesen Berichten tritt die tendenziöse Absicht hervor, die süddeut schen Truppen als minderwertig htnzustellen. Und daS geschieht wider besseres Wissen und wider bessere Einsicht! Denn dem französischen Generalstabe lag bei seiner Arbeit das deutsche GeneralstabSwerk zu gründe, das sonst auch sehr fleißig, oft ganz wörtlich benützt worden ist und wo überall die Motive deS Handelns der bayerischen Truppen führung klargelegt sind und der Haltung der süddeutschen Kontingente die gebührende Anerkennung nicht vorent- haltcn bleibt. Die Kritik, welche Oberstleutnant von Schmid über eine derartige tendenziöse militärische Ge schichtsschreibung fällt, trifft durchaus das Nichtige. Er sagt n. a.: „Diese nachträgliche Verleumdung der bayeri schen Truppen gereicht dem französischen Generalstabe nicht zur Ehre, sie ist unwürdig eines ernsthaften Geschichts schreibers und bat lediglich den Zweck, von neuem Miß- tränen und Mißstimmnng zwischen den deutschen Stämmen zu erregen und anderseits durch Verschleierung der Wahr heit der französischen Eitelkeit zu schmeicheln, und durch er fundene teilweise Erfolge der französischen Truppen über die schwere Niederlage hirrwegzntäwchen." — Es mutet allerdings seltsam an, von den bcrnsschen siegreichen „letzten Vorstößen" der Zuaven und der TurkoS. die alle deutschen Truppen über den Hanken rennen, sn dem kran»ö>ischen Generalstabswerke zu lesen, während die eigene Regi- mentsgesck'-chte der Zuaven von den mit solcher Gcnania- kcit geschilderten „letzten Vorstößen" selbst nichts weiß. Jedenfalls isi eS ein Verdienst des Oberstleutnants a. D. von Schmid, solche Unwahrheiten deS französischen Gene- ralßabeS, durch welche die süddeutschen Truppen bloßge stellt werden sollen, richtig gekennzeichnet zn haben. V derltn, 2. November. (Telegramm.) Zur gestrigen Mittagstafel beim Kaiserpaare waren geladen Herzog Ernst Günther von Schleswig-Holstein und Prinzessin Feodora von Schleswig-Holstein, zur Abendtafel der Kron prinz. Heute morgen unternahmen der Kaiser und die Kaiserin einen Spaziergang. Um 11 Ukr hörte der Kaiser den Vortrag des CkefS des CivilkabinettS vr. v. Lucanus und empfing später zur Meldung den mit» Führung des 9. Armeekorps beauftragten Generalleutnant v. Bock und Polach, sowie den bisverigen argentinischen Militär-Attgchö Oberst Rgmon und seinen Nachfolger Oberst leutnant Dellepiane. — In Begleitung des Kaisers auf seiner Reise nach der Saalburg und Wiesbaden werden sich befinden Reichskanzler Graf von Bülow, Oberbof- marschall Graf zu Eulenburg, Hofmarschall Graf von Zedlitz - Trützschler, Chef deS CivilkabinettS vr. v. Lucamr-, Ckef deS Marinekabinetts Vize-Admiral Freiherr v. Scnden-Bcbran, Chef deS MilitärkabinettS Graf v. Hülsen-Häseler, ferner in Vertretung deS Kommandanten deS Hauptquartier» Generaladjutant v. Scholl, sowie General ä la «uit» Generalmajor v. Löwenfeld, Flügeladjutant Oberst leutnant v. PlüSkow und Major v. Frietcdurg und Leibarzt Oberstabsarzt vr. Jlberg. (v Berlin, 2. November. «Telegramm.) Anläßlich des 50 jährigen DienstjubilaumS deS ReichSbankpräsideiiten vr. Koch überbrachte der Staatssekretär deS Innern Freiherr v. Richthofen dem Jubilar den Roten Adler-Orden I. Klaffe mit Eichenlaub. Der großherzoalich hessische Gesandte vr. Neid Hardt überreichte da» Großkreu^ des hessischen VerdienstortensPbilipp» de-Großmütiaen. DerLenat von Br em en ließ einen Ehrentrunk au» dem Ratskeller über reichen, der Senat von Hamburg die hamburgische Ehrendenk- münze in Gold. Im Laufe deS Taaes erschienen zur Beglückwün schung u. a. der Fingnzminister Frhr. v. Rheinbaden, der Handelsmiiiistcr Möller, der Staatssekretär des Reichsschatz- amtsFrhr.v.Stcngel und die Präsidenten dcsReichseisenbabn- amte-, der Stthandlung und der Zentralaenossenschaft-kafle. Name«» de, Mitglied«, de- Zeutralantschuss^ der Reich»-
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