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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031105021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903110502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903110502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-11
- Tag1903-11-05
- Monat1903-11
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Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen uad Osserteuannahme 25 H (excl. Porto). Yrtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbrsörderung «0.—, mit Postbrsörderung ^4 70.—. Annahmeschlnß für Anzeigen: Abend »Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pelz in Leipzig Nr. 56Z. 97. Jahrgang. Donnerstag den 5. November 1903. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. November. Die deutsche Auslandsflotte. Unausgesetzt werden im Auslande Klagen der Deutschen darüber laut, daß so selten ein deutsches Kriegsschiff selbst in den Hafen der wichtigsten Handelsplätze sichtbar werde; noch immer ist unsere ostafrikanische Station unbesetzt und auf der westafrikanischen sind nur zwei Vermessungsschiffe ohne GefechtSwert. Daß dies nicht zum Ansehen der deutschen Flagge beiträgt, ist zweifellos. Die Flotten novellen von 1898 und 1900 haben den großen Nachteil, daß erst in 17 Jahren ein vollendetes maritimes Kampf werkzeug geschaffen sein wird. Und selbst dann noch haben wir unS nicht sowohl zu fragen, wie stark wir sind, sondern vielmehr, wie unsere Stärke sich zu der der anderen Nationen verhält. Daß wir bei dem durch die Flotten novellen gegebenen Bautempo stark in Rückstand geraten, ist zweifellos. An fertigen Linienschiffen (jünger als 25 Jahre nach dem Stapcllauf) besaßen wir am 1. Januar 1903 14, England 48, Frank reich 31, Rußland 20, die Vereinigten Staaten 12; 1907 werden besitzen England 54, Frankreich 31, Rußland 26, die Vereinigten Staaten 21, Deutschland 19. Deutschland wird also auf die fünfte Stelle zurückgedrängt sein. Die vereinigten Linienschiffe der Dreibundmächtc über treffen zwar die französische Linienschiffsflotte um 12 Schiffe mit 114 800 Tons Deplacement, sind aber einer Koalition von Frankreich und Rußland nicht gewachsen. Die vereinigten Kreuzergeschwader der Dreibundmächtc sind um 11 Schiffe mit 119 200 TonS Deplacement schwächer als die Krcuzerflotte Frankreichs allein. — Als die Flotten novelle 1900 beraten wurde, hat wohl niemand geahnt, ein wie beträchtlicher Teil unserer deutschen Flotte dauernd in Ostasten festgehalten werden würde. Seitdem hat der Streitfall mit Venezuela bewiesen, wie schwach unsere maritimen Streitkräfte im Auslande sind. Man müßte auf die Hülfe von ganz veralteten Schulschiffen (schwimmende Gymnasien) zurückgreifen. Da nun die von der Regierung geforderten Auslandsschiffe bei der letzten Flottennoveue vom Reichstag abgelehnt worden sind, so würde unsere Marineverwaltung sich einer unverant wortlichen Nachlässigkeit schuldig zu machen fürchten, wenn sie nicht mit allem Nachdruck aus eine Vermehrung unserer Auslandsflotte bestände. So wird denn eine neue Lroße Flottenvorlage nicht ausbleiben. Hat doch Staats sekretär v. Tirpitz seiner Zeit erklärt, daß über 1906 mit einer Erweiterung der Auslandsflotte nicht gewartet werden dürfte. Und tauschen nicht alle Anzeichen so wird der Reichstag sich bereits in seiner ersten Session mit einer entsprechenden Vorlage zu beschäftigen haben. Bei der Flottennovelle von 1900 wurde der Ban von 6 großen und 7 kleinen Kreuzern für das Ausland verlangt; jetzt verlautet auf das bestimmteste, in allen maritimen Kreisen sei man fest überzeugt, daß mit einer solchen Vermehrung nicht mehr auszukommen sei. Auch an den Bau von Linien- chiffen für das Ausland soll man denken, da ohne ein Linien- chiffsgeschwader für das Ausland und ohne Kreuzerdivisionen ür Ostasien, Amerika, Afrika und Australien die Aufgabe der Flotte unmöglich erfüllt werden könne. Für das AuS- laadSgeschwader werde Tsingtau Heimatstation werden. Sonach wäre der Bau eines dritten Doppelgeschwaders ins Auge gefaßt. Jedenfalls ist unbestreitbar, daß die Verhältnisse sich in den letzten zwanzig Jahren ganz gewaltig verändert haben; Deutschland ist immer mehr ein Industriestaat geworden, der überseeischen Absatz haben muß. Bereits 1898 wurde nachgewiesen, daß über 9 Milliarden Mark deutschen Kapitals im Auslande tätig sind. Ohne eine starke Auslandsflotte können unsere Handelsinteressen nicht genügend gewahrt werken und müssen unsere Kolonien ohne den so dringend nötigen Schutz bleiben. Rußland batte 1900 in Ostasien 30 Wimpel, zum Teil altes Zeug, jetzt 61, durchweg hochmodern. Und da nicht daran zu rütteln ist, daß unsere Stärke zur See weit weniger von unS als von anderen Mäcbtcn abbängt, so müssen wir ernstlich darauf gefaßt sein, schon bald vor die Frage gestellt zu werden, ob wir es wagen dürfen, hinter den übrigen Seemächten so weit zurückzubleiben. Hoffentlich haben die in Berlin versammelt gewesenen Herren Finanzminister auch das ins Auge ge faßt und um so energischer darauf gedrungen, daß Garantie gegen weitere Belastungen der Einzelstaalen durch steigende Verzinsung von Reichsanleihen geschaffen werde. Tas „Eingreifen" -er Sozialdemokratie in die preußischen Landtagswahlcn! Der Königsberger Wahlkreis wird im Reichstage leider nocb immer — nicht ohne Schuld der bürgerlichen Parteien — durch einen Sozialdemokraten vertreten. Da die Sozialdemokratie dort, auf sich allein angewiesen, nickt in den preußischen Landtag eindringen kann, so sucht sie wenigstens den ihr verhaßten drei liberalen Kandidaten die Wahlagitation durch Pöbelhaftigkeit sondergleichen zu er schweren oder unmöglich zu machen. Eine konservative Wahlversammlung blieb von ihnen un belästigt. Aber als am Montag die drei liberalen Kandidaten I)r. Krause, Posseldt und vr. Gyßling in einer nach der Königsberger Bürgerressource einberufenen Versammlung ihr Programm entwickeln wollten, da „griffen" die Sozialdemokraten durch Veranstaltung eines ungeheuren Tumultes ein; die Versamm lung wurde infolgedessen gesprengt, noch ehe die liberale Kandidaten zu Wort kamen. So sieht die von der Sozial demokratie auf ihre Fahnen geschriebene „politische Freiheit" aus! In ihrer Dienstag-Nummer stellt die „Königsberger Allgemeine Ztg." ernste Betrachtungen über diesen skanda lösen Vorgang an, der die Königsberger Bürgerschaft doch Wohl aus der bisher gegenüber der Sozialdemokratie ge zeigten Lässigkeit aufrütteln dürfte. Die genannte Zeitung schreibt u. a.: „Wer im politischen Leben steht und die Erscheinungen, die jede Wahlbewcgung mit sich bringt, aus langjähriger Beobachtung heraus kennt, weiß, daß zu derartigen Zellen mehr als sonst „im Raume hart die Sachen sich stoßen". Man lernt es allmählich, gewisse Dinge, die heute kommen, morgen gehen, mit Ruhe an zusehen und zu tragen. Allein Auswüchse der öffentlichen politischen Geschäftsführung, wie der gestrige Abend sie unS wieder einmal vor Augen geführt, erschüttern auch die stärksten Nerven und er füllen den, der gezwungen ist, sie aus nächster Nähe anzusehen, immer von neuem mit gerechter Empörung. Es ist daher leider auch nur zn richtig, wenn ein Beobachter der gestrigen Skandal- scenen mit tiefempfundener Entrüstung das Wort aussprach: einem derartigen Verhalten gegenüber gibt es nur ein Gefühl: das des tiefsten Ekels. Es braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden, daß die Vergewaltigung, mit der gestern die Sozialdemokraten die sehr not- wendige Aussprache der Liberalen untereinander unmöglich gemacht, diese enttäuscht und mit Bedauern erfüllt hat. Wir gehören nicht zu denen, die auf derartige Vorkommnisse, gleichviel ob sie unserer Sache schaden oder nützen, mit Befriedigung blicken. Ganz ab gesehen von den lokalen Verhältnissen: schon der ganz allgemeine Gedanke und die Möglichkeit, daß heute in Deutschland große poli tische Parteien in ihrer öffentlichen Betätigung derart von dem guten oder bösen Willen der Sozialdemokratie abhängen, erfüllt uns mit Trauer und Besorgnis über die herrschenden Zustände und die im Kreise der breiten Massen zunehmende Verwilderung der politischen Sitten. Aber wie alles in dieser Welt, haben auch die gestrigen Ausschreitungen der Sozialdemokratie ihr Lehrreiches, denn sie werden manchen Elementen in bürgerlichen Kreisen, die törichterweise immer noch von der Sozialdemokratie Gutes er warten und sie mit Rücksicht auf die drohende Reaktion für bünd nisfähig halten, die Augen öffnen. Diese Elemente werden sich mehr und mehr überzeugen, daß es für vaterlandsfreundliche, für anständige Politiker, gleichviel welcher bürgerlichen Partei sie an gehören, diesen polnischen Gewalttätern, diesen Unduldsamen, diesen Erzreaktionären, diesen Aposteln der rohen, brutalen Gewalt gegen- über nur einen Standpunkt gibt: den des unerbittlichen Kampfes bis aufs Messer. Vollends aber werden sie sich endlich darüber klar werden, daß die Sozialdemokraten im politischen Kampfe nur das anslrebcn wollen, was ihre allereigensten Bestrebungen zu fördern vermag: das Niederreißen alles Bestehenden, und daß ihnen nichts ferner liegt, als etwa den Liberalismus im Kampfe gegen die Reaktion zu stützen. Alles, was sie darüber reden und schreiben, ist Geflunker und Heuchelei." Der Königsberger Vorgang, über den der „Vorwärts" sich in Schweigen hüllt, kann nur dazu dienen, der großen Zahl der Mitläufer der Sozialdemokratie rechtzeitig die Augen zu öffnen über den von den „Genossen" stets und ständig geübten Terrorismus gegen politisch anders Denkende. Die Kreise dieser rohen Schreckensherrschaft »sehen sich, wie die Dresdener Tagung uvo der ekelyafte Suceit der „Ge nossen" unter sich beweist, immer weiter und erfassen alle Regungen des geistigen und des wirtschaftlichen Lebens. Dort wird der, welcher die sozialdemokratische Heus- und „Be freiungs-Lehre nicht anerkennen will, als ein geistig und sittlich verkommener Mensch und seine ganze Gesellschafts klasse als der moralischen Fäulnis verfallen gebrandmarkt, hier werden unzählige Existenzen durch wirtschaftlichen Boy kott und tatsächlich ausgeübte Gewalt vernichtet. Und solche „Genossen" erheben den Anspruch, dem deutschen Volke „Frei heit" zu bringen! Das „Eingreifen" der Sozialdemokratie in Königsberg wird, darauf können sich die „Genoffen" fest verlassen, die Dreimillionenzahl ihrer Partei ganz gewaltig herabmindern! Revolution wegen des Panamakanals. In Columbien ist zur Abwechselung wieder ein mal eine Revolution ausgebrochcn. Die Ursache der Um wälzung ist darin zu suchen, daß das Parlament der columbischcn Republik den Vertrag über den Panamakanal, so wie ihn die Vereinigten Staaten wünschten, abgelehnt hat. Die Bewohner des Jsthmus- Dcpartcments sind natürlich an dem Kanalbau unmittel bar interessiert und waren mit jenem Beschluß sehr un zufrieden; starke Einflüsse aus Nordamerika halfen nach, und so ist es jetzt zur Proklamation eines eigenen kleinen Freistaates im Departaments Jstmo gekommen, der seinen Kanalvertrag mit der Union sehr bald fertig haben würde. Die columbiiche Zentral regierung will sich diese Amputation natürlich nicht ge fallen lassen und geht gegen die Abtrünnigen mit Waffen gewalt vor. Wie schon in einem Teile der Auflage unseres Morgenblattes gemeldet werden konnte, hat das columbische Kriegsschiff „Bogoto" die Stadt Panama beschossen, wodurch elf Chinesen getötet wurden. Der amerikanische Vizekonsul Ehrman wurde ange wiesen, gegen die Beschießung zu protestieren. Ueber die Haltung der Bereinigten Staaten, denen die Revolution nicht unerwünscht und wohl auch nicht unerwartet kommt, wird uns noch berichtet: * Washington, 4. November. Die Regierung der Vereinigten -Staaten erhielt heute früh ein Tele gramm auS Panama, in welchem sie ersucht wurde, die neue Regierung anzuerkennen. Die Behörden wissen hier noch nicht, wer die neue Regierung bildet, und haben deshalb auf dieses Gesuch nichts veranlaßt. Sollte der Protest des amerikanischen Vizekonsuls Ehrman in Panama gegen die Beschießung der Stadt durch das kolumbische Kriegsschiff nicht genügen, so soll das jetzt auf dem Wege nach Panama befindlich« Kriegsschiff „Boston" ein kolumbisches Kanonenboot mit Beschlag belegen. Man ist hier der Ansicht, daß das Bom bardement von Panama, das ohne die erforderliche vorherige Notifizierung erfolgte, eine Verletzung der Kriegsgebräuche tvar. Ferner wird nickst verheimlicht, daß von geheimen Agenten eingelaufene Informationen auf den schließlichen Er folg der Aufständischen Hinweisen. Die Tatsache, daß der eine Endpunkt der Panama-Eisenbahn von Regierungstruppen, der andere von Auf ständischen besetzt ist, macht die Lage noch kompli zierter. Die amerikanischen Seestreitkräfte sind angewiesen, sie amerikanischen Interessen in allen Punkten zu schützen und alles zu tun, um Blutvergießen zu verhindern. Es besteht hier kein Zweifel, daß die Vereinigten Staaten an den Endpunkten der Panama-Eisenbahn Marinemann schaften landen werden. Wenn die columbische Negierung sich nicht noch rasch cinesBcsseren besinnt und denPanamakanal-VertNag nach träglich gut heißt, wird es nicht ausbleiben, daß die Ber- einigten Staaten in irgend einer Form Hand auf das frag liche Stück Isthmus legen, denn sie -werden sich in ihren großzügigen kulturellen Bestrebungen von einer halbbar» barischenDuodezrepublik nicht au'halten lassen. JmGrunde ist aber die Auflehnung Columbias gegen den Pamama kanalvertrag nur eine Welle der allgemeinen mittelamcri- kanischeu Bewegung, die sich kurz dahin charakterisieren läßt, daß naturalistische Elemente in Nicaragua, Honduras, Costarica und Columbia gegen das Uebergewicht der Ver einigten Staaten sich auflehnen. Diese Stimmungen machen sich ehrgeizige Politiker und Offiziere zu Nutzen, um bald Hier, bald dort ein Revolutiönchen hervorzurufen. Auch die Haltung des Parlaments von Columbia bei Ver werfung des Panamavertraaes bat unter -em Eindrücke dieser Bewegung gestanden. Haupttriebfeder für Ab lehnung des Entwurfs mag das Verlangen gewesen sein, den Nordamerikanern einen höheren Preis abznpreffen. Mitgespielt hat aber auch das Motto, daß trotz An- Fenilletsn. Ein interesianler Mann. 1j Roman von Arthur Zapp. Nachdruck verboten. Erstes Kapitel. , Eine Pause zwischen zwei Tänzen. Die zahlreichen elektrischen Leuchtkörper verbreiten fast Tageshelle in dem großen Ballsaale des Kasinos. Elegante Damen in kost- baren seidenen Ballroben wandeln am Arme von Herren in blitzenden Uniformen oder in tadellos geschnittenem Krack im saale auf und ab. Andere ruhen von den Strapazen des Tanzens auf den mit Plüsch gepolsterten Bänken, welche an den Wänden entlang ausgestellt sind. Zwei jugendlich schöne Damen, von denen die eine etwas Frauenhaftes hat, obgleich sie nicht älter auSsicht, als die neben ihr sitzende junge Dame, plaudern lebhaft« sich mit ihren großen Fächern aus Straußenfedern fächelnd. „Bist du für den Walzer engagiert, Erna?" fragt die erstere, welche die Haarfrisur und ein gewisser Zug von HauSfrauenwüvde als junge Frau legitimieren. „Freilich", erwidert die andere und sieht ihre Nach- barin mit großen, fast erzürnt blickenden Augen an. Diese lächelt. ,Berzeihe! Die Frage war überflüssig. Du, eine der begehrtesten Tänzerinnen! Darf man fragen, wer der Glückliche ist?" „Assessor Freyhoff." „Ach so. Auch das hätte ich mir denken können." Fräulein Erna wirft ihre Lippen auf und zieht die blendend weißen Schultern ein wenig in die Höhe. Darauf fragt sie lebhaft: „Macht er mir denn so auf- fällig die Cour?" „Auffällig! Das will ich nicht sagen, aber an der Art und Weise, wie er dir huldigt, merkt man, daß es ihm ernst ist und daß ihn offenbar eine aufrichtige Neigung beherrscht." Das hübsche junge Mädchen lächelt geschmeichelt und daS Bewußtsein, schön und viel umworben zu sein, prägt sich in ihren strahlenden Mienen aus. Aber gleich darauf nehmen ihre GesichtSzüge etwas Nachdenkliche- an und sie fragt lebhaft: ,Höie findest du den Assessor eigentlich, Valeskas Die junge Frau fächelt sich. »Herbert hält viel von ihm", entgegnet sie. „Er habe noch nie einen so gewissenhaften und umsichtigen Arbeiter unter sich gehabt." Die andere macht eine geringschätzige Bewegung. „Mag sein. Aber gesellschaftlich imponiert er mir gar nicht. Ein glänzender Kavalier ist er jedenfalls nicht. Apropos, mit wem wirst du den Walzer tanzen?" Frau Valeska errötet befangen, was ihren fein gezeichneten Zügen einen allerliebsten, mädchenhaften Ausdruck gibt. „Mit Herbert." Ein moquanteS Lächeln umspielt die Mundwinkel -er anderen. „Na, höre 'mal! Ihr seid doch ein ganz unmodernes Ehepaar. Anderthalb Jahre verheiratet un- noch immer —" Die rauschenden Klänge der Musik, die jetzt eben daS Vorspiel zum Walzer intoniert, unterbrachen die Sprechende. Eine lebhafte Bewegung geht durch den Saal. Die promenierenden Paare treten zur Seite und stellen sich zum Tanz auf. Die Herren schwärmen wie kampffrohc Tirailleure aus gegen die Kette der tanz, lustigen Damen. Ein junger Mann von nahezu dreißig Jahren mit ernstem, denkendem Gesicht verbeugt sich vor Fräulein Erna und führt sie hinweg. Frau Valeska blickt sehn süchtig nach ihrem Gatten aus. Schon zwei Tänze hat sie mit ihm getanzt; am liebsten möchte sie überhaupt mit niemandem tanzen, als mit dem Manne, den sie mit aller Inbrunst ihres schwärmerischen zwanzigjährigen jungen Herzens liebt und anbetet. Da endlich taucht die hohe Gestalt ihres Gatten in der Tür des Nebenfaales auf; sein liebe- Gesicht mit den klugen, sinnenden Augen und dem langen blonden Vollbarte, der ihm etwas so Im ponierendes verleiht, blickt zu ihr hinüber. Aber wen bringt er ihr denn da? Ein Schatten huscht über die ver klärten Züge der jungen Fran. Ein fremder Herr, der in allem einen frappierenden Gegensatz zu Herbert bildet, schreitet neben ihm, klein, zierlich von Figur un tief brünett, mit gelblichem Teint. Da durchfährt sie ein eisiger Schreck, starres Staunen spricht aus ihren weit geöffneten Augen. Alles Blut strömt ihr zum Herzen zu sammen. Die Herren sind noch zehn Schritte von ihr ent fernt. Sie strengt ihre Sehkraft aufs äußerste an. Die muß sich irren. ES ist ja nicht möglich! . . . Nein, es ist nur zu wahr. Ein heftiger Widerwillen, ein grenzen- loser Abscheu erfüllt sie ganz. Aber sie faßt sich rasch mit starker Willensanstrengung uüü fächelt sich heftig, ihr Antlitz halb hinter dem breiten Fächer verbergend. „Gestatte, liebe Valeska", redete ihr Gatte sie an, „Herr Baron von Minolesku wünscht dir vorgcstcllt zu werden . . . Meine Frau!" Sie verneigt sich förmlich, mit unbewegten Mienen aus ihrem Sitze. Mit verstohlen emporhuschendem Blicke sicht sie, daß er heimlich -usammcnzuckt, daß cs in seinem Gesicht lebhaft vibriert. Zum Glück steht Herbert ein wenig hinter ihm und kann cS nicht sehen. Im nächsten Moment verbeugt sich der Frenrde tief. Nichts in seinen Mienen oder seinem Gebaren zeigt, daß er der Dame schon je in seinem Leben gcgenübergcstanden hat. „Gnädige Frau", sagt er mit einem deutlich erkenn baren fremdländischen Accent, „ich bin Ihrem Herrn Ge mahl sehr dankbar. Ich bin hier noch ein ganz Fremder. Erst seit acht Tagen in der Stadt. Ich bin sehr glücklich, die anmutige Gemahlin eines der angesehensten Männer der Stadt kennen zu lernen." Herbert lächelt hinter dem Sprechenden und zuckt leicht die Achseln, als wenn er sagen will: Er ist eben ein Ausländer, daS erklärt und entschuldigt seine schwülstige Ausdrucksweise. Der Rumäne aber fährt fort: „Darf ich fragen, gnädigste Frau, ob Sie den Walzer noch frei haben, und ob Sie mich der Ehre und des Glückes würdigen wollen ?" Die junge Frau atmet heftig. In dem Sturme -er auf sie eindringenden widerspruchsvollen Gefühle bringt sic kein Wort über ihre Lippen. Statt ihrer gibt der Gatt« die Antwort: „Meine Frau hat mir den Walzer zugesagt. Natürlich trete ich ihn Ihnen gern ab, Herr Baron." Der Rumäne dankt wieder in seiner überschwäng lichen Weise, dann verbeugt er sich tief vor der regungs los Dasitzenden, die es heiß durchschauert. Ihr bleibt nichts übrig, als sich zu erheben, und während ihr die Tränen der Empörung nahe sind und ihr das Herz vor Entsetzen und Grauen bis zum Halse hinaufpocht, legt sie ihre Hand in die seine und läßt sich von ihm hinweg führen. Nachdem sie einmal herumgetanzt haben, sagt er leis«, sich noch immer mit ibr im Dreivierteltakte herum-s schwingend: „Ich glaube, es ist drei und «in halbes Jahr her, seit wir uns nicht gesehen haben, Valeska." Sie zuckt in feinen Armen und macht eine unwillkür liche Bewegung, als wolle sie sich von ihm losrcißen. Aber seine Arme halten sie fest umschlungen und hastig wispert er ihr ins Ohr: „Ich bitte Sie, kein Aufsehen!" Endlich findet ihre Entrüstung Worte: „Wie können Sie es wagen, mir wieder gegenüberzutreten?" Ein Lächeln, das sie nicht sehen kann, gleitet über sein Gesicht. „Konnte ich denn ahnen", antwortet er, „daß ich in üer Gattin des Rcgierungsrates von Rcßtorf jene Valeska Laurin wie-erfindcn würde, die einst meinem Herzen nahe —" Ihre Füße stocken; sie wäre beinahe aus dem Takte gekommen, wenn der Rumäne sie nicht fester umfaßt und mit sich forrgezogen hätte. Nachdem si« ein paar Takte weitcrgetanzt haben, beginnt Baron Minolesku von neuem das Gespräch. ,Hch sehe mit Schmerz", sagt er und gibt seiner Stimme ein gefühlvolles Tremolo, „daß Ihnen die Erinnerung an eine der schönsten und unvergeßlichsten Perioden meines Lebens peinlich ist. Ich begreife nicht, Valeska —" Sic macht wieder ein« so heftig zusammenzuckende Be wegung, daß er sofort still schweigt und sich erschrocken umsieht. Und nun erklingt ihre Stimme in einem Tone voll flammender Empörung und schneidender Verachtung: „Wenn Sie fortfahren, in diesem Tone mit mir zu reden, so -wingen Sie mich, meinem Manne zu sagen —" Er unterbricht sie, rasch sein« volle Gewandtheit und überlegene Rühe wiedcrsindcn», mit einem spöttischen Auflachen. „Sie wollen Ihrem Gatten sagen, daß ich einst so glück lich war, Valeska Laurins Interesse zu besitzen." Die junge Krau stöhnt aus tiefster Brust. Sie begreift sich selbst nicht. Warum hat sie getan, als ob sie den ihr von ihrem Mann« Vorgcstellten nie im Leben gekannt habe. Es ist eine instinktive Handlung gewesen, von -er sie sich im Moment keine Rechenschaft gegeben und mit der sie dem Unverschämten, den sie aus voller Seele verachtet, eine Waffe gegen sich in die Hand gegeben hat. „Ich bitte", stammelt sie, „ich kann nicht mehr —" (Fortsetzung folgt.)
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