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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031012027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903101202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903101202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-12
- Monat1903-10
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Sollte sie sich bewahrheiten, so fragt es sich noch immer, welche Bedeutung ihr beizumessen ist. Nach Meldungen aus Tschifu vom 10. Oktober hätte die russische Flotte am 8. Oktober Port Arthur mit versiegelten Ordres verlassen. Es heißt, daß es vor Korea zwischen den Kommandanten der russischen und der japanischen Flotte zu einer Auseinandersetzung kommen werde, welche einen Lloclus vivsnäi zur Folge haben könnte. Eine gleichzeitige Landung russischer und japanischer Truppen an verschiedenen Punkten Koreas sei nicht ausge schlossen. Man erwarte allerdings einen Protest Koreas, der aber an den Ereignissen nichts ändern werde. Nach den wiederholten, ganz bestimmten, durchaus friedlich lauten den Erklärungen des japanischen Gesandten in London, Vicomte Hayashi, könnte eS sich um eine gemeinsame Aktion Rußlands und Japans handeln, dem beide Mächte den Krieg zu erklären im Begriffe wären, um Korea unter sich aufzuteilen. Dem steht nur entgegen, daß Hayashi noch am 8. Oktober äußerte, er halte die Meldung von einer Aufteilung Koreas für phantastisch und ernsthafter Erwägung nicht wert. Andernfalls läge ein gesonderte- Vorgehen Japans vor, das auf die Besetzung Koreas abzielte als Schadloshaltung für die Nichträumung der Mandschurei durch Rußland. DaS wäre dann selbst verständlich eine Provokation des Zarenreiches, die schwerlich anders als mit einer Kriegserklärung Rußlands an Japan beantwortet werden könnte. Dieser Auffassung stehen wieder die Erklärungen dcS japanischen Gesandten gegenüber, denen zufolge Anlaß zu kriegerischen Ver wickelungen zwischen Japan und Rußland nicht vorläge. Ob die um acht Tage früher als beabsichtigt war erfolgte Rückkehr des Reichskanzler- Grafen Bülow nach Berlin mit den wirklichen oder angeblichen Ereignissen in den koreanischen Gewässern und auf Korea selbst zusammen hängt, bleibt abzuwarten. Nicht unmöglich ist, daß damit auch die Nachrichten über einen Aufschub der Zaren reise nach Rom in Verbindung stehen. — Wie man in Rußland über eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Korea denkt, zeigt folgende Auslassung der „PetersburgS- kija Wjedomosti": „In unserem fernen Osten hat die Regierung immer wieder damit zu tun, das Feuer der Japaner zu dämpfen und ihre kriegerische Torheit zu mäßigen, aber man kann doch wahrhaftig nicht einfach deshalb, weil es einem leid tut, sie zu vernichten, ihren geradezu unglaublichen Anforderungen Vorschub leisten! Abgesehen von der ziemlich scherzhaften Seite der Ausfälle dieser wilden Tumultuanten, kann ihre Hand lungsweise schließlich den ernsten Zorn de- russischen Volkes Hervorrufen, da man ihretwegen viel Geld ausgeben muß. Die Ersparnisse des Volkes könnten eine unvergleichlich viel nütz lichere Anwendung finden, als zu Rüstungen, die einzig und allein durch den schlechten Charakter unverträglicher Nachbarn bedingt werden. Obgleich wir in Port Arthur schon beinahe IM Wimpel und keine unbedeutende Landmacht konzentriert haben, können sich die Japaner doch nicht enthalten, in der Umgegend von Korea verdächtige Manöver mit einer fertigen Landungs mannschaft auszuführen. Alles dieses ist einem so zuwider ge worden, daß man beinahe den Wunsch hat, sie möchten wirklich landen, in die Klemme kommen und so eine gute Lehre erhalten, die ihnen im Gedächtnis bliebe. Vielleicht wäre das schließlich sogar wohlfeiler, als die beständige Kampfbereitschaft, die so viel Geld kostet. Prüft mau die militärischen Chancen Japans — eigent lich lohnt sich das gar nicht, um aber sein Gewissen zu be ruhigen, tut man es doch — so muß man sagen, daß sich die Japaner allerdings einer guten Flotte rühmen können, ihr Landheer aber den Vergleich mit dem un serigen nicht aushält: der japanische Soldat ist nicht ausdauernd, kann weder große Märsche, noch die Unbilden der Witterung ertragen. Die Kavallerie ist so schlecht, daß man sie unberücksichtigt lassen kann. Einen andauernden Krieg können die Javaner nicht wagen, da ihnen die Geldmittel fehlen. In einer Beziehung sind jedoch die Japaner reicher al» wir, — sie sind reicher an Kohlen. Die Frage ist sehr wichtig und bildet unsere Achillesferse. Aus unverzeihlicher Sorg losigkeit behelfen wir uns bis jetzt mit japanischen Kohlen und haben für die ordentliche Ausbeutung der mandschurischen Lager nicht gesorgt, das ist eine Frage von staatlicher Wichtig keit. Ohne die Kosten zu scheuen, mußte der Fiskus zur Aus beutung der mandschurischen Kohle schreiten und mit ihr die Schiffe versorgen. Der jetzige Modus, bei dem die Schiffskommandeure und Admirale die Kohle kaufen, müßte aufgegeben werden. Es würde dann weniger Borwürfe geben, und ein gewinnbringender Zweig der Staatswirtschaft könnte sich entwickeln." Die „Norddeutsche Allgem. Ztg." gewährt dieser russischen Preßstimme unter anderen, die sich aber weit friedfertiger äußern, einen auffallend breiten Raum, und bezeichnet diese Auslassungen als Symptome, ohne aus ihnen den Schluß zu ziehen, daß die Krisis unabwendbar eine ernste Entwickelung nehmen müßte. Sie stellt fest, daß noch keine Bestätigung der Nachricht vorliege, daß Japan bezüglich der Räumung der Mandschurei an Rußland ein Ultimatum gestellt habe, bas in zwei Tagen ablaufe. Daß aber die Lage in Ostasien in jüngster Zeit eine ernstere Wendung genommen habe, könne wohl aus dem Umstande geschlossen werden, daß russische Blätter sich eingehend mit dem Verhältnis zwischen Rußland und Japan befassen. — Aufklärung muß ja baldigst erfolgen. Aus Berlin wird uns noch geschrieben: Die japanischen Staatsmänner, der Minister des Aeußeren Komura und der Kriegsminister Tcradschi, die als die Häupter der japanischen Kriegspartei hingestellt werden, sind durchaus ruhige und sachlich denkende Männer, die sehr Wohl die gegenseitigen Streitkräfte abmessen können. Die russische Position wird sehr unterschätzt und zwar nicht nur in Beziehung auf die Landstreitkräfte, die es ja mit großer Leichtigkeit heranwerfen kann, sondern auch in Be ziehung auf die Seestreitkräfte. Den 10 russischenLinienschiffen in Ostasien, die alle erstklassig sind, können die Japaner nur 7 gegenüberstellen, von denen „Tschin Jen", der bereits 1882 zu Wasser lief und nur 7330 t Deplazement hat, kaum ins Gewicht fällt, zumal da er auch nur 14,5 Seemeilen läuft. Die drei japanischen Küstenpanzerschiffe, kleine Dinger, können mit den 5 russischen Panzerkreuzern absolut nicht konkurrieren. „Hei Jen" hat nur 2200 t, „Sei Jen" nur 2480 t und beide sind sehr langsam und fast ohne Gefechtswert. Den 6 russischen großen geschützten Kreuzern können die Japaner ebenso viel entgegen- stellenl und „Atzuma" mit 9500 t, „Jwati", „Jdzuma", „Asama", „Tokiwo", „Jekumo" mit ihren 9900 t sind nicht schlechter als die russischen. Den großen japanischen Manöver vor dem Mikado haben objektiven Beurteiler« den Beweis nicht erbringen können, daß die japanischen Komman danten ihren russischen Kollegen die Stange halten könnten. (Unser Berliner Mitarbeiter taxiert also den !Wert der japanischen Flotte etwas niedriger, als die „Wjedomosti". D. Red.) Die vom Mikado in der Thronrede am 12. Mai d. I. angeküudigten Maßregeln zur weiteren Vervollkommnung der materiellen Verteidigung sind ja bewilligt worden, aber die neu bewilligten 115 Millionen, Den gleich 241»/» Millionen Mark für die Flotte sollen sich auf 11 Jahre verteilen; da hat die Verstärkung der Flotte vorläufig noch nichts zu bedeuten. An die englische Hülfe glaubt hier niemand; mit dem furchtbaren Donner in den englischen Blättern wirft man nicht einen einzigen Kosaken um. In Singapore sollte ja wohl eine Konferenz zwischen den kommandierenden Admiralen des ostasiatischen, ostindischen und australischen Geschwaders stattfinden, um sich über gemeinsame Operationen der englischen Flotte im Falle eine» Krieges zu unterhalten. Aber das ist einer der bekannten englischen Schreckschüsse die, weil man sie als solche kennt, ohne jegliche Wirkung bleiben. politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Oktober Politischer Unfug. Der zwischen den „unentwegten" und den „revisio nistischen" Genossen tobende Kampf wird auch für den Reichstag und diejenigen Einzelstaateu, in deren Land tagen Sozialdemokraten Sitz und Stimme haben, von un angenehmen Folgen werden. Für den Reichstag bereiten die Bebelianer bereits radikale Anträge vor, die da» sozial demokratische Aktionsprogramm und die bisherme revolutio näre Taktik der Partei dokumentieren und die „Revisionisten" vor die Wahl stellen sollen, entweder für diese Anträge ein- rutreten oder sich selbst von der Partei auszuschließen. Im bayerischen Landtage aber ist von der socialdemokratischeu Partei bereits folgender Antrag eingebracht worden: Die Kammer wolle beschließen: Bom 1. Oktober 1904 ab ist in alle» Staatsbetrieben und auf Rechnung des Staates betriebenen Unternehmungen, soweit nicht bei besonderen der Gesundheit schädlichen Arbeitsorten eine wesentlich kürzere Arbeitszeit geboten erscheint, die täglich« Arbeitszeit auf 9 Stunden festzusetzen. In Betrieben oder Unternehmungen des Staates, die jetzt schon eine kürzere Arbeitszeit eingeführt haben, bleibt es bis zur anderweitigen Regelung dabei. Am 1. Oktober 1906 wird in allen Staatsbetrieben oder auf Rechnung des Staates betriebenen Unternehmungen die tägliche Arbeitszeit auf 8 Stunden festgesetzt. Die Arbeitszeit ist durch angemessene Zwischenpausen zu unter brechen; die Mittagspause hat mindestens 1'/, Stunden, die Früh stücks- und Besperpause mindestens je eine halbe Stunde zu be tragen. Im Forstbetriebe und bet Arbeiten im Freien find für den Aufenthalt während der Pausen, soweit diese- durch die Verhält- ntsse geboten erscheint, heizbare Unterstandshallen oder Schutzhütten für die Arbeiter bereit zu stellen. Für Staatsbetriebe, die mehr als 20 Arbeiter beschäftigen, sind Arbeiterausschüsse zu errichten, die auf Grund des unmittelbaren und geheimen Wahlrechtes von den im Betriebe beschäftigten groß jährigen Arbeitern zu wählen sind. Arbeiter und Arbeiterinnen haben das aktive und passive Wahlrecht zu den Arbeiterausschüssen; Aufseher, Vorarbeiter, Werkführer oder fonstige Vorgesetzte der Arbeiter haben für die Ausschüsse weder das aktive noch das passive Wahlrecht. Diesen Arbetterausschüssen obliegt im wesentlichen die Vertretung der Arbeiterinteressen in den betreffenden Betrieben. Die Verwendung von gesundheitsschädlichem Material, ins besondere von Bleifarben und bleihaltigen Farben, ist untersagt. Druckaufträge des Staates dürfen nur an solche Druckereien vergeben werden, die ihre Arbeiter nach dem vom Deutschen Buch druckerverband mit den Prinzipalen vereinbarten Tarife entlohnen. Diese Vorschriften gelten auch für alle der Militärverwaltung unterstellten gewerblichen Unternehmungen. Privatunternehmer, die im Auftrage oder auf Rechnung des Staates Arbeiten irgend welcher Art übertragen erhallen, haben FeurHetsn. Das neue Modell. 10s Roman von Paul Oskar Höcker. Ätachvruck verbalen. Fünftes Kapitel. In den nächsten Tagen ging Liselotte wie im Traum einher. Sie merkte gar nicht, daß Marion sie manchmal so seltsam musterte. Mit verdoppeltem Eifer übte sie. Am liebsten hatte sie'», wenn ihr die Abendstunden einmal freiblieben und sie allein dabermbleiben konnte. Dann ließ sie in der Bordermohnung kein Licht ansteckcn. Sic ging, die Geige am Kinn, ganz traumverloren spielend, von Zimmer zu Zimmer. Da war e» ihr dann in der verträumten Stille, namentlich, wenn sie das Adagio spielte, als erlebte sie die harmonische, schöne Stunde tm Walde draußen am Wasser noch einmal. Sie ivar in dieser fleißigen Zeit recht glücklich. Freilich holte Marion sie dann und wann auch wieder anS ihrem Idyll heraus — zu Spazierfahrten, Besuchen, Theater, Gesellschaften. ^>m ganzen ging hier aber doch ein jedes seine eigenen Wege. Auffällig war es Liselotte, daß bei Tisch neuerdings so selten von Donat die Rede war. Auf ein paar größeren Empfängen traf sic ihn z'var; aber da kam es nur zu flüchtigen Begrüßungen. Marion» Jour besuchte er nicht. Das wunderte Liselotte. Und noch mehr wunderte sie », daß Marion sich jetzt fast gar nicht mehr nach dem Stand seiner Arbeit bei George erkundigte. Oft drängte sich ihr selbst eine Frage aus die Appen; aber immer wieder hielt sie sie scheu zurück. Wahrscheinlich rechnete, kombinierte, drechselte und montierte Donat wieder so intensiv an seiner Konstruk- tion, daß er für gesellige Zwecke nicht zu haben war. AlS es aber in den Dezember hineinging, ohne daß zwischen den Schwestern je wieder die Rede von dem Ningen Deutschen gewesen wäre, wagte Liselotte endlich doch einmal eine schüchterne Bemerkung. ,Hat sich dir denn George noch immer nicht verraten?" setzte sie an, indem sie, an Marion vorbeifehend, sich be mühte, eine möglichst unbefangene Miene aufzusetzen. „Ich meine — ist aus ihm denn gar nicht herauszu bringen, waS Donat eigentlich treibt?" „O natürlich — er hat sich ja selbst schon oft genug verraten, der gute Junge." Marion sah die Schwester übermütig an. „Ja, weißt du, mir bleibt nicht so leicht etwas verborgen, liebe Liselotte, man mag es noch so ge schickt anstcllen." Sie duckte leicht den Kopf. Schon mehrmals war ihr's gewesen, als spielte Marion auf ihr kleines Geheimnis an. Jetzt erschien ihr's fast gewiß, daß Marion durch irgend einen Zufall in ihren unschuldigen Ausflug vom November eingeweiht war. „Ja", fuhr Marion lächelnd fort, „gern wollte er natürlich mit der Sprache nicht heraus. So oft ich draußen in der Fabrik war, gab's immer die amüsantesten Debatten." — du warst — schon öfters dort?" fragte Lise lotte stockend. „Gewiß. Fast jedeSmal, wenn ich eine Fahrt im Automobil mache, spreche ich für ein paar Augenblicke in Autcuil vor." „Daß du mir nie davon erzählt hast —l" „Was sollte ich dir davon erzählen?" fragte Marion, ihr einen raschen Blick zuwcrfend, wie es schien, um ihren Ausdruck unvermutet zu mustern. „Ja, richtig", fuhr sie dann fort, „er hat dich ein paarmal grüßen lassen. Habe ich das auszurichten vergessen? So hole ich» alfo jetzt feterlichst nach. Er wunderte sich natürlich, daß du gar nicht zu bewegen warst, aus der llharrette mttzukommen." Sie lachte herzlich. „Da ge stand ich ihm denn endlich, was für ein kleiner Hasenfuß du bist." Liselotte war da» Wasser in die Augen getreten. Sie wußte selbst nicht, weshalb. „Aber wie gesagt, Liselotte", schloß Marion, „wenn du einmal mitkvmmen willst, dann bedarf » nur eine» Worte». SS würde mich natürlich herzlich freuen." Es lag dabet jedoch wieder etwas so Hochmütige» und Siegesbewußte» in Marion» Antlitz, daß Liselotte ver zagt schwieg. Gleich anderen Tage» bestellte Marion indessen aus eigener Initiative ihre Charrcite für vier Uhr. Sie schlug ihrer Schwester vor, zunächst eine Spazierfahrt in die Stabt zu unternehmen und dann auf einem Umwege zur Fabrik zu fahren. Pünktlich fuhr der Chauffeur, ein Angestellter der Capitantschen Fabrik, der auch Marion» Lehrer in der Steuerungskunst gewesen war, in der Avenue Viktor Hugo vor. Es war ein milder, klarer Wintertag — die Luft, das Laub der Bäume noch ganz herbstlich. „Ich verspreche dir, durch Paris selbst bloß die Ge schwindigkeit Numero eins zu nehmen", sagte Marion, als sie sich in ihrer flotten Art in den Wagen schwang, „damit du dich nach Herzenslust umschauen kannst. Du kleiner Philister kennst unser himmlisches Paris ja noch gar nicht." So ging es denn in nicht allzu raschem Tempo am großen Triumphbogen vorbei zu den Ehamps-Elysäes, der mächtigen, breiten Prachtstraßc, Lurch die sich an schönen Tagen in den Nachmittagsstunlden das ganze feiernde Paris zu Kuß, zu Pferd, zu Na- und zu Wagen schiebt und drängt. Liselotte verwirrte das Straßenbild; sie konnte sich aber doch nicht seiner faszinierenden Wirkung entziehen. Es mußten immer mehrere Reihen Equipagen neben einander fahren, dazwischen rollten schwerfällige Omni busse, deren beschirmte Dächer stets vollbesetzt waren. Da und dort gewahrte man ein Ziegengespann, da» von ge putzten Kindern gewandt durch das dickste Gewühl ge lenkt ward. Auf den seitlichen Promenaden unter den mehrfachen Baumrethen wogte ein Heer eleganter Spaziergänger, Ammen in bunten Trachten schoben ihre Kinderwagen, spielende Kinder vergrößerten da» Tohu wabohu mit ihrem ausgelassenen Rufen und Rennen. Fauchend und knatternd erzwangen sich da und dort inmitten de» Rädergewühls die Automobitwagen mit rücksichtsloser Schnelligkeit ihre Bahn. Bor den Eafös, -en Restaurants und Lhantant» und auf den lang sich binziehenden Stuhlreihen der Promenaden sah man die Herren Cigaretten rauchen, die vorüberflanierende Damenwelt mustern und einen „Bock" trinken. DaS bunte Seer der schreienden Camelot», der Straßenhändler und Zettungsverkäufer, säbelrasselnde Offiziere und Soldaten, sowie Trupps von Studenten wogten da zwischen auf und nieder. „Ist e» nicht wundervoll?" fragte Marion in einer Art lokalpatriotischen Stolze». Die junge Frau zog mit ihrem eleganten und leicht zn lenkenden Gefährt, ihrer auffallenden, aber stets ge- fchmackvollen Toilette, ihrer ganzen noch so jugendfrischen Erscheinung, die den echten Pariser Ehie atmete, überall bewundernde Blicke auf sich. Sie wußte da» und «» steigerte ihr Wohlbefinden. Auch Liselotte imponiert» der hübsche, gewissermaßen festliche Anblick ihrer schönen Schwester. Lic konnte sich selbst nicht an ihr satt sehen. Und doch beängstigte sie auch wieder die zudringliche Art, in der die Herren in den daneben fahrenden Wagen ihre Schwester musterten. Marion warb häufig gegrüßt und dankte mit einem leichten, überlegenen Kopfnicken. Man schien sie schon vielfach zu kennen. Da und dort schlug Liselotte der Name ihrer Schwester ans Ohr. Es lag stets lebhaftes Interesse in dem Tone, in dem man sie be zeichnete, sogar unverhohlene Bewunderung, — aber wenig Ehrfurcht. Sie gelangten soeben auf den majestätischen Con cordienplatz, dessen geschickte Durchquerung bei der un aufhörlichen Kreuzung der Menschenströme und rollenden Wagenparks eine wahre Kunst erforderte. „Siehst du, hier hat sich im letzten Jahre der Eingang zur Weltausstellung erhoben", erklärte Marion, für ein paar Augenblicke anhaltend. „DaS ist da» Zentrum des eleganten Part», wenn du willst, der ganzen fashionablen Welt." Nach Osten und Westen hin begrenzten den mächtigen Platz die im letzten bunten Herbstlaub prangenden Baumgruppcn der Tuilerien und der ElysSeischen Ge filde. DaS prunkvolle Monumentalgebäude de» Auto mobilklub« schloß ihn auf der anderen Sette ab. Ueber den Setnefluß hin blickte man auf die Jnvaliden^Ls- planade mit dem Riesendom, vor dem sich noch das Ge wirr der vielverästelten Etfengerippe der entschwundenen AuSstellnngspracht erhob. Durch alle Straßen, die sich von dem Platz aus nach den verschiedenen Himmels, richtungen wandten, öffnete sich die Aussicht auf wunder bare Denkmäler, Kirchen und monumental« Profan bauten, die Zeugen von dem LuruS, der Pracht und der altehrwürdigen Kunst dieser Riesenstadt. Marion imponierten di« Bauten längst nicht mehr. Für sie war da» interessanteste das lärmende Tcwoge, da» die Straßen und Plätze erfüllte, die kostbaren, manchmal ge wagten Toiletten die e» in den Equipagen au sehen gab. Und da» stolze Gefühl machte sie trunken: daß sie inmitten der tausend illuftr«n Erscheinungen, denen die „j«uns»a ckorSs" ihr Interesse zuwandte, selbst mit zu den Bestaun- ten gehörte. Der ganze Horizont hatt« sich inzwischen im Weste« blutrot gefärbt. Die Sonn« ging unter. Liselotten» Be wunderung galt dem ganz einzigen Farbenspiel, da» sich nun entwickelte. Die Kuppel de» Jnvalidendome» erglühte wie lautere» Gold. Lrch vom Pdsr»feld« her sah «an»
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