02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.11.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031102027
- PURL
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903110202
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- LDP: Zeitungen
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
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Tabellarisch« und Ziffernsatz entsprechend Häher. — Gebühren für Nachweisungen uud Ostertrvannahmr üb L, (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgeu-Au-gabe, ohne PostbrfSrderuog SO.—, mit Postbrsördrrung 70.—» Äuuahmeschluß für Anzeige«: Ab end »Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgeu-AuSgab«: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen siud stets an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pelz iu Leipzig 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. November. Die preußische «euernlsynode und »aS Jesutlengesetz. Die Nachricht, daß ein Teil der preußischen Generalsynode einem gegen die Aufhebung de- 8 2 des Jesuitengesetzcs gerichteten Anträge gegenüber eine schwankende Haltung ein nehme, hat eine weit über die Grenzen des führenden deutschen Staates hinauSgehende Bewegung hervorgerufen. Besonders in Süddeutschland ist man empört, wie folgende Zuschrift beweist, die der „Tägl. Rundsch." von einem hervorragenden süddeutschen Parlamentarier zugeht und in der eS heißt: „DaS fehlte gerade noch, nm das Maß des Mißtrauens und der Befürchtungen, die weiteste Kreise deS Südens gegen die neueste preußische Kirchenstaatspolitik bewegen, voll zu machen. Und zwar sind es in allererster Linie die in kirchlichen und politischen Dingen konservativen Kreise, in denen diese Stimmung herrscht; man braucht nur im Gespräch auf diese Dinge leise zu kommen, um ganze Zornesentladungen zu erleben; man braucht nur einen Blick in eine beliebige Nummer der konservativen Sonntags blätter zu werfen, um sich von der tiefen Mißstimmung zu überzeugen. Man hat in Bayer» und Württemberg, in Baden und den ReichSlanden, soweit kirchlich gesinnte Protestanten in Frage kommen, schlechterdings kein Verständnis für preußische Zentrums neigungen. Und wenn man sie im politischen Getriebe der Parteien uud der Regierung auS allerhand parlamentarischen und Partei- taktischen Rücksichten, so wie die Dinge nun einmal liegen, wenigstens begreiflich findet, so findet man diese Rücksichten bei einer: rein kirchlichen Vertretung, wie e» die preußische Generalsynode doch mindestens sein soll, rein unentschuldbar. Was hat eine evangelische Synode nach den opportunistischen Er wägungen politischer Parteien, nach parlamentarisch - taktischen Schachzügen der Regierungspolitiker zu fragen" Gibt es für sie ei» anderes Leitmotiv in der Frage des aitengesetzes, als jenes alte Wort deS ehrwürdigen Frankfurter Pfarrer- Steitz, daß „jede TuUwng, die wir dem Jesuitenorden zu teil werden lasten, nicht -sti Akt der Gerechtigkeit gegen ihn, sondern der Gleichgültigkeit gegen unsere Vergangenheit und Zukunft, ein Verrat an unserer Kirche und ihrer rechtlichen Existenz" sei? Mögen Politiker eine schwankende Haltung in dieser Sache einnehmen, für evangelische Synodalen kann und darf es nur ein Geradeaus geben. Man ist in Süddeutschland auf den Gedanken eines Zusammenschlusses der deutschen evan gelischen Landeskirchen unter preußischem Vorsitz an fänglich viel freudiger eingcgangen; bei den treuesten und sachkun digsten Wortführern dieses Gedankens ist seit der verhängnis vollen Februarerklärung des preußischen Ministerpräsidenten und seit so manch anderem Schritte der preußischen Kirchenpolitik jüngster Zeit Lauheit, Zweifel, Mißtrauen gerade gegenüber dem preußischen Vorsitz an Stelle der früheren Freudigkeit und Hoffnung getreten. Will die Generalsynode dieser Stimmung fernere Nahrung geben? Wir können an ein solches Maß von Verblendung nicht glauben. Und auch den Politikern PrrußenS geben wir ein- zu bedenken: treuere Freundschaft und herzlichere Hingabe hat die preußische Politik seit 1866, haben Bismarck und der alte Kaiser nirgends gefunden, auch in schweren Kampfesjahren nicht, als unter den Evangelischen Süddeutschlands; gegen Partikularismus auf der einen, wie gegen Großdeutschtum auf der andern Seite sind sie Jahrzehnte hindurch eine unerschütterlich treue Wacht gewesen. Dir nachbiSmarckische Zeit hat von diesem kostbaren Kapital an freudigem Vertrauen und innerer Zuneigung schon mehr als ein Stück verschleudert. Daß aber die organisierte Vertretung des preußischen Protestantismus an dieser Verschleuderung sich mit beteiligte, daS würde ein Maß von Kurzsichtigkeit und Leicht herzigkeit in diesen ernsten Dingen vorauSsetzen, daS wir bei einer preußischen Generalsynode geradezu als unverantwortlich be zeichnen müßten. Oder sollte die alte Wahrheit deS antiken Historikers nicht mehr gelten, daß Staaten durch diejenigen Kräfte erhalten werden, die sie gegründet haben?" Inzwischen hat die PetitionSkommisfion der General synode, der zahlreiche Petitionen von KreiSsynoden um eine Kundgebung zu Gunsten der Aufrechterhaltung des Jesuiten gesetzes und nicht eine einzige um eine gegenteilige Kund gebung vorlagen, einen Beschluß im Sinne der Petenten ge faßt und ausdrücklich festgestellt, sie sei dabei von der Er wägung ausgegangen, daß die Tätigkeit deS Jesuitenorden- und seiner Mitglieder erfahrungsgemäß nach wie vor die schwersten Gefahren für die Erhaltung des konfessionellen Frieden« mit sich bringe und daß durch die Aufhebung des v 2 die Wirkung des ganzen Gesetzes in Frage gestellt wäre. Die Generalsynode, der es nicht entgangen ist, daß die anfäng lich schwankende Haltung eines Teiles ihrer Mitglieder selbst in konservativen Kreisen sebr böses Blut gemacht bat, wird nun zweifellos den Borschlag der Pelitionskommission an nehmen, dem Oberkirchenrat für sein Eintreten zu gunsten der Aufrechterhaltung des K 2 deS Jesuitengesetze- ihren wärmsten Dank ausdrücken und zugleich an die oberste kirch liche Verwaltungsbehörde die dringende Bitte richten, an ge eigneter Stelle auch ferner dafür einzutreten, daß der 8 2 des Gesetzes aufrecht erhalten und der Aufhebung oder Ab schwächung des Gesetzes vorgebeugt werde. Fraglich bleibt nur, ob da- der Redaktion der „Kreuzzeitung" angehörige Mitglied der Generalsynode der Mehrheit sich anschließen oder dieser Opposition machen werde, weil der „Kreuzztg." die Interessen der evangelischen Kirche nicht so wichtig tnd, wie das Bündnis mit den Ultramontanen zur Bekamp ung de« Liberalismus in jeder Form. Wie aber auch der Per treter der „Kreuzztg." sich verhalten möge, jedenfalls wird eS für den .Herr« Reichskanzler .:.,v preußisch.' Ministerpräsidenten sehr lehrreich sein, zu erfahren, wie die Petitionskommission der Generalsynode, diese selbst und die Süddeutschen von seiner „verhängnisvollen Februarerklärung" denken. Wahlen tn Vaden. Die Wahlmännerwahlen für die Zweite Kammer des badischen Landtages sind am Freitag erfolgt. Bon den 63 Mandaten der Kammer standen 32 zur Erneuerung, und zwar 13 nationalliberale, 10 Zentrumsmandate, 4 sozialdemokratische, 3 demokratische, je ein konserva tives und bündlerisches. Große Verschiebungen waren nicht zu erwarten und sind auch nicht eingetreten. In der Hauptsache handelte es sich um die Entscheidung zwischen den Nationalliberalen und dem Zentrum über die relative Mehrheit in der Kammer und die damit verbundene Besetzung des Präsidiums; ausschließlich auf dieses Ziel war die Taktik beider Parteien zugeschnitten, da es nach Lage der Dinge aus geschlossen War, daß eine von ihnen zur absoluten Mehrheit gelangte. Es ist denNationalliberalen gelungen, ihre Mandats ziffer zu behaupten und das Zentrum hinter fick, zu lassen, und sie können insofern mit dem Ausgange der Wahlen zufrieden sein. Ein Plus haben sie gegen ihren bisherigen Bestand allerdings nicht zu erzielen vermocht; sie werden zwar im neuen Landtage statt der bisherigen 24 Sitze deren 25 haben, aber lediglich dadurch, daß der seitherige einzige Vertreter des Bundes der Landwirte in der Kammer, der in Eppingen- Sinsheim wiedergewählt wurde, der nationalliberalen Fraktion beitritt. Besonder- erfreulich ist, daß eS den National liberalen mit konservativer und freisinniger Hälfe gelungen ist, nun auch daS zweite Mandat der Stadt Pforzheim den Sozialdemokraten abzunehmen; bedauerlich dagegen, daß sie Konstanz an die von dem Zentrum nach Kräften unterstützten Demokraten verloren. Leider konnte das erzbischöfliche Frei burg von dem Jungliberalen Schwörer nicht erobert werden, ebenso behaupteten sich trotz der nationalliberal freisinnigen Koalition die Sozialdemokraten in Mannheim. Immerhin bat nur das Zentrum Anlaß, sich enttäuscht zu fühlen, daß es ihm trotz der größten Anstrengungen nicht ge- langen ist, den Prästdentensitz zu erringen; der national liberale Oberbürgermeister von Baden-Baden wird an seinen Platz zurückkehren. Die badische Regierung aber mag sich durch den, trotz deS Rücktritts Wackers und trotz des An schlägen« einer milderen, „diplomatischeren" Tonart zu Tage getretenen Mißerfolg der Ultramontanen in ihrem Wider stände gegen die klertkalen Wünsche gestärkt fühlen. Auch die verantwortlichen badischen Staatsmänner sollten sich endgültig die bekannte Parole zu eigen machen: So lange wir wirken, nicht! Denn daS badische Volk hat trotz der kon fessionellen Zusammensetzung des Landes bis auf diesen Tag m seiner Mehrheit deutlich erklärt, daß eS keine reaktionäre Regierungs-Aera will. Eine englische Verleumdung des deutschen Kaisers. Die „Times" veröffentlichen in auffälligem Druck einen offenen Brief, in dem sich der Bischof von Gibraltar herausnimmt, dem deutschen Kaiser eine lange Predigt über die angeblichen Widerspruche zwischen den Grundsätzen seiner Konfirmationsrede und seiner orientalischen Politik zu halten. Er analysiert die Rede und fragt, wie lassen sich ihre christlichen Grundsätze mit der Haltung verein baren, die die deutsche Regierung gegenüber dem „unter drückten und niedergestampften Makedonien" einnimmt? „Man glaubt allgemein (!) (heißt es weiter), daß die Unter lassung der sogenannten christlichen Mächte, dem Blutbad und den teuflischen Greueltaten Einhalt zu gebieten, unter denen Makedonien 'chen ko lange leidet, >-,nd die grausamen (I) Anstrengnna« u, die ge macht worden sind, um die Bulgaren zu verhindern, ihrrn Bluts verwandten zu Hülfe zu kommen, hauptsächlich Deutschland zuzu schreiben sind <I). Eine Begründung erhält dieser Glaube durch die Haltung, die Deutschland dem Sultan gegenüber am Morgen der armenischen Metzeleien eingenommen hat. ES steht zu hoffen, daß Deutschland in dieser Sache verleumdet wird. Wenn aber nicht, so zeigt die Scene, ans die ich Bezug nehme, in welchem Licht eine solche Haltung selbstsüchtiger Trägheit und herzloser Apathie von Ihm betrachtet wird, dessen Beispiel der Kaiser seinen Untertanen sehr richtig als „den Kern des christlichen Lebens" hingestellt hat- Sie zeigt auch den Segen, mit dem Christus Ne belohnen wird, die den Grundsatz beobachten, nach dem er später über alle Nationen urteilen wird, und den Fluch, den er über die aussprechen wird, die ihn mißachten." Die pharisäische Heuchelei, die aus diesem mit allem anderen, nur nicht mit christlicher Liebe gesalbten Schreiben des Bischofs spricht, nimmt niemand Wunder, der den eng lischen Volkscharakter kennt: in ihm ist sie ein autochthoner Zug. Auch die Dummvreistiakeit gehört dazu, mit der der hohe geistliche Herr gerade Deutschland, das an den orientalischen Wirren am allerwenigsten interessiert ist, die Zumutung stellt, sich da einzumischen, wo andere Mächte den Vor tritt haben und die Einmischung als einen Eingriff in ihre Rechte und Pflichten betrachten müßten. Im übrigen mag der Herr Bischof sich erst genau über den wirklichen Sachverhalt erkundigen und seinen christlichen Fluch gegen den Herrscher Deutschlands nicht aus windige Hypothesen gründen. Aber auch da- ist die Art de« Ver leumders. Schließlich raten wir dem Freund der Unter drückten eine kursorische Repetition der Annalen des Süd- . afrikanischen Krieges an. Hat er damals seine Hand ,^'chend gegen die englische Regierung zu Gunsten der von dieser „unterdrückten und niedergekämpften" Boerenrepubliken er hoben? — Agitation gegen die Civilehe in Holland. Von ultramontaner Seite scheint in den Niederlanden die Eröffnung deS Feldzuges gegen die Civilehe beschlossene Sache zu sein. Kürzlich hat der ultramontane Abgeordnete Alberse, der Nachfolger SchaepmanS in der Zweiten Kammer, in seiner Jungfernrede vor der Volksvertretung den Beweis zu liefern gesucht, daß „der niederländische Gesetzgeber widerrechtlich der Freiheit der katholischen Kirche zu nahe trete." Er meinte den Artikel 449 de« Straf gesetzbuches, der den Diener einer Kirche, der eine Ehe ein segnet, ohne daß er sich über die bereits vollzogene bürgerliche Eheschließung vergewissert bat, mit einer bis zu 300 Gulden steigenden Geldbuße bestraft. Selbstverständlich ist man, so wird der „Köln. Ztg." aus Amsterdam geschrieben, im ultra montanen Lager so schlau, nicht mit der Türe ins Haus zu fallen und kurzwH die Abschaffung der Civilehe über- Haupt zu verlangen. Dazu soll eS erst nach langen, Schritt für Schritt den Widerstand brechenden Kämpfen kommen, und wenn man die in katholischen Blättern m dieser Hin sicht veröffentlichten Wünsche liest, so sehen sie auf den ersten Anblick allerdings ganz lammfromm auS. Man hat vorderhand gegen die Cwilehe nicht« einzuwenden, erkennt sie hinsichtlich ihrer vermögen-rechtlichen Wirkungen auch rück haltlos an, verlangt aber zugleich, daß es „unter gewissen Verhältnissen" erlaubt sein solle, daß die kirchliche Trauung der bürgerlichen Eheschließung vorangehe. Hat man erst einen Finger, dann folgt bald die ganze Hand und schließlich der ganze Arm. Merkwürdig, die Civilehe besteht hierzulande seit mehr als 100 Jahre», und niemals hat man an ihrem Dasein Anstoß genommen j erst in den letzten zehn Jahren versucht man auch an dreser Einrichtung zu rütteln. Die „Antirevolulionären" siud jedoch für derartrge revolutionäre ' Anläufe nicht zu haben, wenn sie auch bereit wären, auf den Artikel 449 des Strafgesetzbuches ru verzichten, da eS nach ihrer Ansicht dem Staate gleichgültig sein kann, wann die kirchliche Feier stattsindet, da er drese ja doch nicht an erkennt oder ihr keine rechtliche Wirkung verleiht. Aber sie halten ebenso wie die Liberalen, an der obligatorischen Civilehe unerschütterlich fest. Bei der katholischen Bevölke rung ist eS dem Klerus schon ohnedies gelungen, den bürger lichen Akt vor dem Standesamte in Mißkredit zu bringen. Der katholische Bauer setzt eine Ehre darein, vor den Standes beamten womöglich in den Kleidern, die er am Mistkarren trägt, zu erscheinen; und während bei protestantischen Ehe schließungen der Gebrauch herrscht, daß unmittelbar vom Standesamt aus der Weg nach der Kirche angetreten wird, legen die Katholiken in der Regel oder stets einen Zwischen raum von mehreren Tagen zwischen beide. Gäbe der Staat hier auch nur der geringsten und scheinbar bescheidensten ultramontanen Forderung nach, so bereitete er selbst die Untergrabung einer der kennzeichnendsten Einrichtungen der bürgerlichen Gesellschaft vor. Deutsches Reich. Berlin, 1. November. (Die BeitragSerstattuua des Invalidcngesetzes.) Wenn man das Recht aus Beitragserstattung rm Jnvaliden-Versicherungsgesetz bei Ver- Feuilleton. Das neue Modell. 28j Roman von Paul Oskar Hücker. v.aLvrucl verboten. Da — dicht vor dem nächsten Dorfe — gewahrt sie einen Menschenauflauf. Ein dunkler Gegenstand liegt auf der Straße. Als sie näher herankommt, unterscheidet sie unter den Männern einige tn langen, weilen Mänteln. Ts sind Automobilisten, die mit Rcvaraturarbeiten an ihrer Ma schine beschäftigt scheinen. Das halbe Dors umsteht die Leute. Der OrtSgendarm sucht den Auflauf immer wieder zu zerstreuen; denn jeden Augenblick kann ein neuer Wagen herangesaust kommen, dem di« Neugierigen bann nicht rasch genug auSzuweichen vermögen. Marion entfährt ein freudiger Aufschrei. Sie hat einen -er Automobilisten al» einen guten Freund auS dem Pariser Klub erkannt; eS ist Monsieur d'Hauffon« ville. „O Sie müssen mir helfen, ich beschwdre Sie —!" Und ungeordnet, stockend und stammelnd, trägt sie ihm ihr Unglück vor. Höchst bestürzt hat der Sportömann sie gemustert. Er erkennt die schöne Frau, mit der er oft genug getanzt, der er oft genug den Hof gemacht hat, zunächst gar nicht wieder. Als sie ihm ihren Namen nennt, steht er sie noch überraschter an. „Aber, Madam«, da» ist ja schauderhaft, ganz schauder- haft! Capitant tot? Mein Himmel!" Plötzlich wendet er sich an seinen Genossen, der tn fieberhafter Eile, unter stützt von dem berufsmäßigen Chauffeur, soeben den neuen Pneumatikretien aufpumpt. „Lagen Sie, Rat- mond, wie war denn da» mit der Wette mit Capitant?" Allerlei Zahlen schwirren durch die Luft. Marion beginnt immer wieder von ihrem kranken Kinde, da» sie sehen müsse. „Wenn wir »nur nicht selbst bas schauderhafte Pech. gehabt hätten!" nimmt der Sportömann dann wieder auf. „Die Panne hier kostet uns gut unsere zwanzig Minuten. ! Wir sind die Zweitletzten am Start gewesen. Eine gute Leistung, waS? Aber der erste ist Fournier doch." „Fournier, so?" Sie wiederholt eS, ohne zu wissen, was sie sagt. „Ja, er ist mit 8 Stunden 28 Minuten in Aachen ein getroffen. Eben in Chateau-Lanney hörten wir e». — Und die Capttantsche Maschine hat also das Rennen auf geben müssen? Teufel, wissen Sie, gnädige Frau, daß da» von größter Bedeutung ist? Donat oder Fournier — so hieß es heute früh auf den Tipp»." Sie kann nicht mehr folgen. In ebnem plötzlichen An falle von Verzweiflung preßt sie die Hände des Sport», mann». „Ach, helfen Sie mir doch, bester Herr d'Haussonville, ich muß nach Chateau-Lanney! Haben Sie Trbarmqn, fahren Sie mich auf Ihrem Wagen zurück!" „Zurück? Nach Chateau-Lanney?!" Auch der bet der Arbeit beschäftigte Genosse hebt für einen Augenblick höchst bestürzt den Kopf. „Nein, da» geht um keinen Preis! Wir haben dort einen Unfall gehabt . . ." „Einen Unfall?" „Aber uns trifft keine Schul- daran, wirklich nicht. EV mar da nämlich ein Kind — fa, da» lief uns direkt in die Maschine. Gamz ohne Sinn und Verstand. Ich bremse natürlich auf der Stelle. Aber in dem allgemeinen Gewühl — nein, ich sage Ihnen, e» war schauderhaft, gar» schauderhaft, ich mag gar nicht mehr daran denken . . ? Noch einmal, in verzweifelten Tönen, schildert ihn» Marion ihre Not. „Cs ist nur noch ein« halbe Meile bis Chateau-Lanney, Herr d'Haussonville! DaS bedeutet für Sie kaum fünf Minuten — für mich fast eine Stund« Nirgend» bekomme ich einen Wagen. Die Leute weigern sich, mir Pferde zu geben. Meine Füße sind schon ganz wund, meine Kniee zittern, — ich kann einfach nicht mehr." Herrn d'Haussonville ist die Scene äußerst peinlich. „Ja, meine Gnädige, wie denken Sie sich La», — darf ich denn da» Rennen unterbrechen?!" „Fertig!" ruft -er Chauffeur in diesem Augenblick und erklettert mit Hast -en Bock. Sein Genosse folgt ihm und schreit im Aufsteigen: „d'Haussonville, bleiben Sie hier oder kommen Sie mit?" „Natürlich komme ich mit. Ja, meine Gnädige, weein ich nicht so verteufelte Wetten eingcgangen wäre —!" Ziemlich unsanft macht er sich frei, denn Marion hat sich an seinen Arm angeklammert. Ein letzter höflicher Gruß und das Fahrzeug schießt fauchend und knatternd davon. In der nächsten Sekunde ist es schon in der Staubbahn, die es hinter sich herzieht, nicht mehr zu unter scheiden. Marion weint vor sich hin. Wankend nimmt sie den Weg über die staubige, heiße Chaussee wieder auf. Das Hurra der Dorfkinder, wenn ein neuer Wagen die Straße passiert, das Heulyn der Warnsignale, das Knat tern und Klirren vermischt sich in ihrem Ohr mit ihren eigenen schluchzenden Lauten, die sich aus ihrer wunden Kehle hervordrängen. Da, endlich, — im letzten Dorfe hat e» drei Uhr ge- schlagen —, sieht sie die beiden Kirchtürme von Chateau- Lanney vor sich. Nun kommt neue Kraft in sie: sie muß e» burchsctzan, sie muß sich bi» zum Städtchen schleppen, bis zu ihren Kindern Indem sie die ersten Häuser erreicht, -ringen viel halb vergessene Ktn-heitSerinnerungen auf sie ein. Sie ist so weich gestimmt, wie noch nie in ihrem Lebem Al» sie von weitem da» Elterhau» erblickt, schlägt sie die Hände ineinander, und wie in ei>n«m Stoßgebet kommt es von ihren Lippen: „Lieber Gott, lieber, guter Gott!" Eine Bitte wagt sie nicht zu formen. Nur daS eine einzige steht ihr vor Augen: sie könnte zu spät kommen, ihren Jungen nicht mehr am Leben antreffen! So gelangt sie, scheu gemustert von den wenigen Passanten, die ihr begegnen, in die -auStür. Mit zittern der Hand drückt sie die Türklinke nieder. Lantes Schluchzen dringt aus der Küche an ihr Ohr. Während sie über den Flur schreitet, erkennt sie, baß e» ihre Mutter nnd die Magd sind, die in der Küche so verzweiflungsvoll weinen. „Mama —!" stößt sie au». Das alte Frauchen fährt empor. Mit den ängstlich auf. gerissenen, stark geröteten Augen sieht sie sich verwirrt um. Die bestaubte, verwahrloste Gestalt erscheint ihr zunächst fremd. Al» sie die Tochter daun erkennt, stürzt sie auf sie zu, sich ganz haltlos an ihre Brust werfend. „O, meine arme Marion — meine arme, arme Marion.. . Die Magd hat den Schürzenzipfel von den Augen ge- nommen. Beim Anblick der jungen Frau schwillt ihr Schluchzen noch mehr an. „Mama", bringt Marion zitternd hervor, „wo ist Raoul -?" „Ach Marion — weißt du denn nicht — ?" „Um Christi willen, Mama, sag, was ist mit Raoul? Wo ist er? Ich will ihn sehen!" „Es geht ihm ja gut, ganz gut wieder!" „Ist der Arzt noch da?" „Ach, so glücklich könnte man jetzt fein " „Spannt mich nicht auf die Folter! — Er liegt oben?7 „Ja, er schläft; störe ihn nur nicht - Liselotte ist bet ihml^ Marion zittern noch immer die Knie. Sie hält sich am Herde fest. Argwöhnisch mustert sie die leichenblassen Mienen mit den vcrwetnten Augen. „Ich glaub Euch nicht! Ich will die Wahrheit,... Er ist operiert worden?" Wieder beginnt Frau Kerkhövt zu schluchzen. „Ach, Marion, und so still bat er gehalten! DaS gute, kleine Kerlchen! Der SanttätSrat lagt'» auch. — Und tn der selben Minute ist es geschehen " „WaS denn? Warum sprecht Ihr nicht weiter? — Mama, wie stehst b« mich an?" In diesem Augenblick hört man Schritte auf der Treppe. Marion wendet sich um, sie sieht Liselotte herab- kommen. Amb ihre Miene ist verstört, vergrärnt, ihr Teint bleich. „Liselotte — barmherziger Gott, so sagt mir -och — was ist geschehen?" Tie Hellen Tränen stehen in Liselotten» Augen; sie kann keinen lauten Ton bervorbringcn, nur flüstern. Mit einem Mal löst sich ein fast unartikulierter Lau sus Marion» Brust. „Cdith — ?!^ schreit sie auf,
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