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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.11.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031110025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903111002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903111002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
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Wir halten solche Betrachtungen für durchaus unangebracht, schon aus Rück sicht auf den hohen Patienten selbst. Verkannt darf ja nicht werden, daß die Erinnerung an die Diagnosen de« IahreS 1887 gar leicht in ängstlichen Gemütern die Besorgnis Wecken kann, auch jetzt werde die volle Wahrheit entweder nicht erkannt oder gesagt. Aber zwischen damals und jetzt besteht ein höchst wesentlicher Unterschied insofern, als der Mann, der damals die Wahrheit erkannte und sagte, derselbe ist, der jetzt die Operation ausgeführt hat, und daß Geheimrat Orth, der jetzt die mikroskopische Unter suchung vornahm, in ungleich günstigerer Lage ist, als damals der auf die von Mackenzie ihm vorgelegten Gewebsteile ange wiesene Virchow. Uns wird darüber heute aus Berlin geschrieben: „Dem Kaiser soll schon hin und wieder die Stimme etwas versagt haben; auch soll sich manchmal eine leichte Heiserkeit bemerkbar gemacht haben. Wenn der Kaiser nun zur Kon sultation den Geh. Rat Moritz Schmidt aus Frankfurt am Main heranzog und diesen auch mit der durchaus ein fachen Operation beauftragte, so ist dies darauf zurück- ruführen, daß Moritz Schmidt nicht nur eine anerkannte Autorität unter den deutschen Laryngologen ist, sondern auch seit 1887 daS besondere Vertrauen des Kaisers gemeßt. Damals, als die Welt durch Mackenzie ge tauscht wurde, begab sich Prinz Wilhelm — eS war am 5. November — zu seinem kaiserlichen Großvater und bat um nähere Aufklärung über die Erkrankung des Kronprinzen Friedrick. Kaiser Wilhelm konnte natürlich auf Grund des vorliegenden Materials eine genaue Auskunft auch nicht geben und war deshalb durchaus damit einverstanden, daß Prinz Wilhelm den damals schon berühmten Laryngologen vr. Schmidt aus Frankfurt a. M. ersuchte, ihn nach San Remo zu begleiten. Dort erkannte vr. Schmidt sofort die Natur der Krankheit des Kronprinzen und säumte nicht, den Prinzen Wilhelm vollständig aufzuklären. Seit jener Zeit besitzt eben Geheimrat Professor vr. Schmidt das höchste Vertrauen des Kaisers. Schon vor etlichen Tagen stellte er das Vorhanden sein des durchaus gutartigen Polyps fest; schon am Mittwoch soll er, wie es heißt, im Neuen Palais eingetroffen sein und dann nach der Ankunft des Kaisers aus Darmstadt mehrfach Gelegenheit gehabt haben, erneute Untersuchungen an- rustellen. Der Polyp soll nur die Größe eines Stecknadelkopfes gehabt haben. Da aber bei solchen Wuche rungen nicht selten ein rasckes Wachstum beobacktet wird, so war es nur natürlich, daß Schmidt die sofortige Operation empfahl, die denn auch nach der üblichen Cocain-Einpinselung am Sonnabend vorgenommen wurde. Solche Operationen werden in klinischen Anstalten sehr häufig ausgeführt und die Operierten fahren dann oder gehen zumeist wohlgemut nach Hause, nur mit der Weisung, sich etliche Tage vollkommen deS Sprechens zu enthalten. Die Operation beim Kaiser vollzog sich ganz glatt und schnell und währte, wie schon bemerkt, kaum eine Minute. Gleich darauf wurde der entfernte Polyp zur mikroskopischen Untersuchung dem Geheimrat Professor Orth übergeben, dessen Gutachten so klar und bündig ist, daß jeder Zweifel an der Natur der Wuckerung ausgeschlossen erscheint. Wenn nun darauf hingewiesen wird, daß die s. Z. von Virchow vorgenommene mikroskopische Untersuchung fick nachträglich als irrig herausstellte, so ist dem entgegenzuyalten, daß der berühmte Pathologe stets betont bat, er habe nur die ihm vorgelegten Partikelchen untersucken können und diese hätten einen gutartigen Charakter gehabt. Unwidersprochen wurde damals erzählt, daß Virchow Partikelchen des ge sunden Stimmbandes untersucht hätte, lieber die Gründe dieser „Verwechselung" waren damals mehrere Versionen im Umlaufe, die glaubhafteste war wohl die, daß Mackenzie, der auch eine wenig geschickte Hand gehabt, an falscher Stelle die Abknipsungen gemacht hätte. Jedenfalls sprechen also für die Gründlichkeit der jetzt vollzogenen Operation wie für die Zuverlässigkeit des Begutachters ebensoviel Gründe, wie da mals gegen die veröffentlichten Diagnosen."—Zum Ueber- fluß bat auch Professor Orth zu seinem bereits mitgeteilten Berichte noch folgende Ergänzung gegeben: „Ich bevollmächtige Sie hiermit, so scharf wie möglich zu er klären, daß auch nicht der leiseste ' Verdacht für eine irgendwie bedenkliche Bildung vorliegt. Es handelt sich um eine Erscheinung, über die jedes laryngologische Buch als über etwas ganz Gewöhnliches Aufschluß gibt. Bei Personen, die, wie der Kaiser, durch ihre berufliche Tätigkeit ge zwungen sind, oft zu sprechen, finden sich häufig auf den Stimm bändern derartige Bildungen, die wir „Polypen" nennen. Sie sind natürlich hinderlich, und deshalb hat man die Wucherung wohl auch beim Kaiser entfernt. Im übrigen bin ich mit der klinischen Seite des Falles nicht vertraut, dagegen glaube ich sagen zu können, daß der Kaiser bereits in acht Tagen wieder im Vollbesitze seiner stimmlichen Mittel sein wird." Geheimrat Orth gedenkt, vorausgesetzt, daß der Hohr Patient die nachgesuchte Genehmigung gewähren sollte, am nächsten Mittwoch in der Medizinischen Gesellschaft über den Fall zu sprechen. — Ueber die Vorgeschichte und den Verlauf des Leidens werden noch folgende Einzelheiten mit geteilt: Wenn der Eingriff nicht vor der Zusammenkunft m Wiesbaden stattfand, so ist dies wohl damit zu erklären, daß der Kaiser selbst den Aufschub anordnete, weil ,,-r jetzt keine Zeit habe". Es wäre nicht verwunderlich zu hören daß sich trotz der ersten günstigen Diagnose eine gewisse, Nervosität vor der eigentlichen Entscheidung bei dem Patienten eingestellt hätte; aber Persönlichkeiten, die ihrer Stellung nach unzweifelhafte Beobachtungen in dieser Richtung anstellen konnten, bekunden, der Kaiser sei von einer geradezu bewunderungswürdigen Rübe gewesen. Am Tage vorher, während der Operation und nach her sei der Monarch wie ohne Nerven gewesen. Diese Ge legenheit gab ihm auch Veranlassung, sich als einen Feind jeden Vertuschens zu bekennen, das doch zwlWchts führe. So gab er strengen Befehl, daß er rückhaltlos über den Charakter seines Leidens aufzuklären sei, und ferner, daß auch die Öffentlichkeit sofort und dem Befund ent sprechend verständigt werden soll. Das Volk bat nach des Herrschers Ansicht ein Recht, wahrheitsgemäß über Erkrankungen seines Kaisers unterrichtet zu werden. — Der heute aus gegebene Krankheitsbericht über den Kaiser lautet: Neues Palais, 10. November. Die langsame Besserung im Aussehen der linken Stimm lippe hält an. Der Kaiser nimmt heute wieder seinen gewohnten Spaziergang im Freien auf. Klerikale Empfindsamkeit. Der pfälzische protestantische Pfarrverein hat Verwahrung gegen die Art eingelegt, wie das bayerische Kultusministerium eine Eingabe des PfarrvereinS be handelt hat; diese Behandlung deckte sich mit der schroffen Antwort, die der bayerische Kultusminister 0r. v. Wehner auf die Wünsche der protestantischen Geistlichen im Land tage erteilt hat. Die Mißstimmung hierüber kommt nicht nur in dem eingangs erwähnten Beschlüsse des pfälzischen pro testantischen Psarrvereins, sondern auch in dem Korrespondenz blatte für die evangelisch-lutherischen Geistlichen Bayerns zum Ausdrucke. Bezeichnenderweise glaubt das Organ der bayerischen Zentrumspartei deswegen behaupten zu können, daß „der Uebermut gewisser protestantischer Leute wohl keine Grenzen mehr kenne". Solcher Empfindsamkeit gegen über ist eS am Platze, an die Töne zu erinnern, die auf dem bayerischen Delegiertentage des Zentrums am 28. Ja nuar d. I. in München angeschlagen wurden. Damals hat der Hauptredner, Reichs- und Landtagsabg. vr. Schädler, nach dem offiziellen Berichte u. a. wörtlich gesagt: „Sie erinnern sich . . an die Schwachheit und Schlappheit des königlich bayerischen Staatsministeriums (Rufe: Sehr richtig!) . . Wir haben die Konsequenz unserer Anschauung, daß die Haltung des königlich bayerischen Staatsministeriums eine Schädigung der Staatsautorität sei (Rufe: Sehr richtig), gezogen und zwar dadurch, daß wir dem Ministerium unser Mißtrauen klipp und klar zur Kenntnis brachten (Bravo! Händeklatschen) . . . All' die Bitterkeit und all' der Schmerz, der sich seit weit über ein Dezennium hinaus aufgehäust hat, darüber, daß in einem zu °/, katholischen Lande die katholischen Teile syste matisch auf allen Gebieten zurückgesetzl werden (sehr richtig!), als quantitS oSgligeadls behandelt werden, ist aufgekocht und das katholische Volk rüst energisch: „Bis hierher und nicht weiter"." Das offizielle bayerische Zentrumsorgan hat diese Sprache durchaus nicht als Uebermut zurückgewiesen, sie vielmehr „hochbedeutsam" gefunden und das Vorgehen des bayerischen Delegiertenlage« gegen das damalige Ministerium höchlich belobt. Wenn aber ein protestantischer Pfarrverein gegen den jetzigen bayerischen Kultusminister eine Verwahrung ausspricht, danu soll das grenzenloser Uebermut und ein „Sturmzeichen" sein, das zur Abwehr heraussordere. Die Klerikalen in Bayern sind im Messen mit zweierlei Maß in der Tat ebenso Meister, wie in allen anderen deutschen Staaten. Tisza und die magyarische Opposition. In der gestrigen Sitzung des ungarischen Abgeordneten hauses wandte sich Ministerpräsident Tisza eingehend gegen die Opposition Kossuths und Hollos und erklärte: Er sei geneigt, gewissen Wünschen Kossuths dahin Folge zu geben, daß für Steuerrückstände aus der ex Ion-Zeit Ratenzahlungen bewilligt werden sollten. Bezüglich des Wahlrechts erklärte der Ministerpräsident, daß eine mechanische Gleichmachung des Zensus zu den größten Ungelegenheiten führen würde. Doch werde er die größten Ungerechtigkeiten des Wahlrechts dadurch beseitigen, daß eine Neueinteilung der Wahlkreise erfolgen solle, bei welcher die eingetretenen Veränderungen der Bevölkerungsdichtigkeit berücksichtigt werden würden. Auch werde der Zensus herab gesetzt werden. Lebhafte Unruhe erhob sich, als Tisza für die Armee ein gemeinsames Wappen ankündigte, worauf er der Kossutpartei zurief: „Ich begreife wohl, daß Sie von Ihrem Standpunkt jedes Abzeichen der Gemeinsamkeit ablehnen." Zum Schlüsse sagte Tisza: „Ich wünsche nicht, daß irgend jemand den Kampf für seine Grundsätze ausgebe; ich wünsche nur, daß dieser Kampf nicht in einer Weise geführt werde, durch welche die teuersten, wertvollsten Güter der Ver fassung leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden. Wenn Sie sagen", rief Tisza der Opposition zu, „die Nation wird Richter sein zwischen uns, so glaube ich, daß die Nation Ihnen zurufen wird: Es war genug des unfruchtbaren Kampfes. Dieser Kampf war gegen das Interesse der Nation gerichtet. Jetzt, wo inmitten' einer großen Bewegung der europäischen Politik das moralische Prestige und das politische Gewicht der Nation so schwer gelitten hat, ist es die erste Aufgabe, daß wir die Wunden, die der Kampf geschlagen hat, heilen, damit wir bei jeder Wendung der Ereignisse unseren Platz behaupten können. (Lebhafter Beifall rechts.) Wenn die Nation auf meine Stimme hört, werde ich das beglückende Bewußtsein empfinden, meinem Volke einen großen Dienst geleistet zu haben; aber auch dann, wenn mein Rat nicht befolgt wird, werde ich höher erhobenen Hauptes mit dem beruhigenden Gefühl zurücktreten, daß ich in schwieriger Lage mit Aufgebot aller Kraft meine Pflicht erfüllt habe." (Stürmischer Beifall rechts.) Nach einer offiziellen Mitteilung über die gestrige Sitzung der Kossuthpartei ist die Fortsetzung der Obstruktion nicht in formeller Weise proklamiert worden. Vielmehr wurde jedem Mitgliede der Partei volle Aktionsfreihest zugestan'kea und es hängt noch von vielerlei Umständen ab, wie viel Mit-l glieder sich an der Obstruktion beteiligen werden. Kossuths äußerte sür seine Person, daß die gestrigen Erklärungen > Tiszas ihn durchaus nicht befriedigten. Las Programm Pius' X. In seiner in dem gestrigen Konsistorium gehaltenen An sprache gab der Papst einen höchst bedeutungsvollen Kommentar seiner ersten Programm-Encyklika, der manchem bisher Gut gläubigen die Augen öffnen wird. Der Papst führte auS: Er habe vergebens versucht, auf das Pontifikat zu verzichten, aber indem er sich dem Willen Gottes unterwerfe, werde er sich bemühen, das ihm anvertraute Gut des Glaubens zum Heile Aller zu bewahren. Notwendig sei, daß der Papst in der Regierung der Kirche frei und keiner Macht unter worfen sei. Demgemäß bedauere er, indem er sich seiner Pflicht und der Heiligkeit seines Eides als Priester wohl bewußt sei, die sehr schwere Beleidigung, die der Kirche in dieser Beziehung widerfahren sei. Er sei überrascht über die Neugier, die man hinsichtlich des Programms seines Ponti fikats gezeigt, da er doch keinen andern Weg gehen könne« als den, den seine Vorgänger gegangen. Zurückweisen müsse er die Meinung, daß der Papst sich nicht mit Politik beschäftigen dürfe, denn es sei unmöglich, die Politik von dem Amte des Oberhirten über den Glauben und die Sitten zu Kennen, namentlich wenn der Papst Be ziehungen zu den Fürsten und Regierungen aufrecht erhalten soll, um die Sicherheit und Freiheit der Katholiken zu schützen. Der Papst fährt dann fort, er glaube nicht, den Triumph der Wahr heit und Gerechtigkeit erleben zu können, ebensowenig wie ibn seine Vorgänger hatten sehen können, dennoch werde er sich be- F-nittetsn. Ein interessanter Mann. 6j Roman von Arthur Zapp. Nachdruck verboten. Während -er Regierungsrat noch mit seinem jungen Kollegen ein paar Worte wechselte, heftete der Rumäne seinen Blick fordernd, herrisch auf Krau Valeska, im nächsten Moment verstohlen nach dem durch den Fort gang des Assessors leer werdenden Litz blinzelnd. Und als der Baron eine Minute später Miene machte, die Loge wieder zu verlassen, wandte sie sich mit liebenswürdig ein ladender Miene an ihn: „Aber warum wollen Sie denn nicht bleiben, Herr Baron?" Zugleich deutete sie auf den leer gewordenen Stuhl. Sie bemerkte wohl, wie ihr Gatte sie erstaunt, mit ge heimer Mißbilligung ansah, und ein heißes Gefühl quälender Beschämung regte sich in ihr bei dem Bewußt sein, daß sie hinter dem Rücken ihres Gatten in heim lichem Einverständnis mit einem dritten stand, -er ihr Befehle erteilte, denen sie sich nicht zu entziehen getraute. Später, zu Haufe, fragte der Regierungsrat seine Frau: „Sage mal, Schatz, warum denn diese überraschende Liebenswürdigkeit dem Herrn gegenüber, -er uns doch ziemlich fremd ist?" „Fandest du es taktlos, daß ich ihm einen Platz in unserer Loge anbot?" fragte sie kleinlaut. Er lächelte. „Nicht gerade taktlos. Ich meine nur, daß wir doch eigentlich zu einer solchen Liebenswürdigkeit keine Ber- anlassung hatten. Wir sind dem Herrn doch nicht im mindesten verpflichtet. Hauptmann von Romberg hat mich mit ihm bekannt gemacht. So viel ich weiß, ist er dem Hauptmann durch einen Berliner Kameraden em pfohlen. Aus Artigkeit gegen den Hauptmann stellte ich dir den Rumänen auf dem Ball vor. Du tanztest mit ihm und ludest ihn zu deinem Nachmittagstec. Zu wetteren Artigkeiten haben wir keinerlei Anlaß, denn über seine Persönlichkeit wissen wir doch eigentlich so gut wie gar nicht-?" Frau Valeska hob zaghaft den Blick. „Ist er dir nicht sympathisch?" fragte sie. «»Offen gestanden: nein! Er Hat etwas in seinem Wesen, das mir nicht gefällt. Ich kann es dir nicht genau erklären warum, es sind eben Eindrücke und Empfin dungen, die sich nicht näher begründen lassen. Gefällt er dir denn?" Ihr Herz klopfte lebhaft und sie vermochte nicht, ihrem Gatten in die Augen zu sehen, während sie mit er zwungener Unbefangenheit mit einer Gegenfrage ent gegnete: ,Hst er nicht sehr gewandt und liebenswürdig?" „Eher zu viel als zu wenig", lautete di« lächelnd ge gebene Erwiderung -es Negierungsrats. „Er hat etwas .Katzenartiges, Schmiegsames. Das ist niemals die Art eines Mannes von Ernst und Charakter. Freilich, ihr Frauen denkt anders darüber. Ich sehe, er hat es in der Kürze der Zeit verstanden, sich bestens bet euch zu insinuieren. Auch Erna scheint sehr von ihm ein genommen. Ich glaube, es wäre ganz gut, wenn du ihr gelegentlich empfehlen würdest, ihr Gefallen an der Unter haltung des galanten Rumänen nicht allzu deutlich zu offenbaren." „Ich habe es ihr schon gesagt", entfuhr es der jungen Frau in ihrer Bestürzung, und unter dem Tadel, den sie viel schwerer nahm, als er gemeint war. „Das hast du schon? Und was hat Erna darauf er widert ?" „Sie meinte: Baron Minolesku gefiele ihr und sie sähe keinen Grund, sich Zwang aufzuerlegen und sich anders zu geben, als sie empfinde." Der Regierungsrat wiegte nachdenklich sein Haupt. „So — so!" äußerte er mit hochgezogencr Stirn. „Das klingt ja beinahe bedenklich. Da haben wir um so mehr Veranlassung, uns dem rumänischen Herrn gegen über nicht unnötig zuvorkommend zu erweisen. Solch ein junges Mädchen denkt und empfindet natürlich roman tisch. Ich möchte nicht, daß mir uns den Vorwurf machen müßten, diesem Hang unserer verwöhnten, ein wenig exeentrischcn Cousine Nahrung geboten zu haben. Erna hat doch wahrhaftig unter den hiesigen Herren, die uns genau bekannt sind und von denen wir wissen, was mir von ihnen zu halten haben, Verehrer genug. Dieser Baron Minolesku macht mir gar keinen vertrauens würdigen Eindruck, und ich möchte nicht, daß wir dazu beitragen, ihn mit Erna in engeren Verkehr zu bringen." Frau Valeska schwieg; wie eine drückende Last wälzte es sich beklemmend auf ihre Seele, die Ahnung von schweren, verhängnisvollen Konflikten, in die sie das Ge bot ihres Gatten mit den Forderungen ihres dämonischen Peinigers bringen würde. Sechstes Kapitel. Es war an einem der nächsten Tage, als Regierungs assessor Freyhoff, stellvertretender Chef der Kriminal polizei, vom Amt ermüdet nach Hause kam. Er hatte sich eben auf das Sofa gestreckt, um ein wenig zu ruhen, bevor er zu seinem Mittagstisch aufbrach, als ihm ein Besuch gemeldet wurde. Gcrichtsassessor Helfrich! Trotz seiner Müdigkeit sprang er freudig überrascht auf unö eilte dem Eintretcnden, beide Hände nach ihm ausstreckcnö, entgegen. „Herzlich willkommen, altes Haus! Du hast dich ja so lange nicht sehen lassen." Sie schüttelten einander kräftig die Hände. Helfrich zeigte eine etwas tragikomische Miene, während er sar kastisch meinte: „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben! Warte mal erst ab! Wer weiß, vielleicht bc- komplimcntierst du mich wieder hinaus, wenn du erst er fahren hast, warum ich dich heute in, -einer wohlverdienten Mittagsruhe störe." Der andere aber lachte und schüttelte den Kopf. ,^Was es auch sei, dein Besuch ist mir immer will- kommen. Na, mach' dir's zunächst bequem! Und dann beichte, was mir die seltene Ehre verschafft." Helfrich fetzte sich und nahm mit einer sichtlich ver legenen, betretenen Miene die Cigarre, die ihm sein alter Freund und Korpsbruder bot. „Es ist ja eine Ewigkeit her, seit ich dich nicht gesehen habe, lieber Kerl!" plauderte -er Kollege von -er Regie rung weiter, während er feinem Gast Feuer reichte. Helfrich zog noch immer mit derselben bedrückten Miene die Schustern. „Wie soll man dich sehen, wenn du wie ein Einsiedler lebst", gab er zurück, „und dich entweder zwischen den vier Wänden deines Bureaus oder deiner Wohnung ver gräbst ?" „Na, früher kamst du doch regelmäßig alle Woche mal unv suchtest mich in meiner Büde auf. Warum hast du denn diesen löblichen Brauch gebrochen? Ich glaube, eS ist ein voller Monat her, seit ich dir in meinen heiligen Hallen zum letzten Male die Honneurs gemacht habe, Frosch!" Ter so herzlich mit seinem Kncipnamen Genannte^ schien sich immer unbehaglicher zu fühlen, je liebens- würdiger der andere wurde. Er schluckte un würgte, als steckte ihm etwas in der Kehle, das ihn am Sprechen verhinderte. Er strich mit der Hand über sein rechtes Knie, das er über das linke gelegt hatte, ent wickelte ein paar kräftige Wolken aus seiner Cigarre und stieß heftig, ärgerlich über sich selbst und seine Befangenheit, heraus! „Ich habe mich eben — na ja, ich habe mich vor dir geniert." „Geniert?" Der Negicrungsassesfor lieb ein kurzes Auflachen hören. „Das wird ja immer besser. Du vor mir, Frosch? Warum denn?" „Ich habe gesump't wie'n krasser Fuchs. Gesumpft, wie sich's für meine Jahre und für einen wohlbestallten, Königlichen Gerichtsasscssor gar nicht geziemt. Ja, wenn ich noch von der Verwaltung mär'!" „Du!" Der Kollege von der Regierung hob drohend den Finger. „Na, ja", fuhr der andere fort, „ihr steht doch nun mal in dem Ruf, die flotteren, schneidigeren zu sein. Wir beide aber haben, scheint's, die Nollen getauscht. Aber daran ist bloß dieser erotische Baron schuld." Frenhofs riß seine Augen weit auf; der lächelnde, schalk hafte Ausdruck verschwand im Nu von seinem Gesicht. „Welcher Baron?" „Na der Rumäne — Minolesku. Ob's denn wirklich ein Baron ist?" „Wie kommst du zu diesem merkwürdigen Zweifel?" Der Assessor kniff seine Augen ein und schnitt eine arg wöhnische Grimasse, wie er es bei-gerichtlichen Ver nehmungen zu tun pflegte. „Weißt du^, erwiderte er, „mir macht der Mensch einen verdächtigen Eindruck. Er hat eine Art, die Karten zu mischen und die Päckchen rechts und links zu legen — ich sage dir, das gebt wie geschmiert, mit einer Fixigkeit und Eleganz, als Hütte er sein Lebtag nichts anderes gctgn. Ich kann mir nicht Helsen, aber ich habe immer den Ein druck: jetzt schlägt er die Bolte." Der Rcgicrungsassessor schüttelte mit dem Kopf und sah seinen Freund mit verwunderte», bekümmerten Blicken an. „Ja", rief dieser, in einem Ton, in dem Selbstironie und Zorn sich mischten, „so weit ist's nun mit mjr ge kommen: ich spiele. Der Rumäne lxtt cs cingefnhrt und zur stehenden Unterhaltung in unserm Kreis gemacht: fast Nacht für Nacht bauen wir im Hintcrzimmer des —"
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