02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.11.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031111026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903111102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903111102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-11
- Tag1903-11-11
- Monat1903-11
- Jahr1903
-
-
-
7834
-
7835
-
7836
-
7837
-
7838
-
7839
-
7840
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis t» der Hauptexpedttton oder deren Au-gabe- ffelle» abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in-Haus ^l 3.7k. Durch di« Post bezogen stlr Deutsch» land u. Oesterreich vierteljährlich .s! 4.50, für di« übrigen Länder laut ZeitungspreisUst«. Üe-aktiou und Lrpeditio«: Iohanntsgaste 8. Kernfprecher 1K3 und 222. Fitt»levprditis«e«r Alfred Hahn, Vuchhandlg., Uutversitätsstr.8» L Lösche, «atharinenstr. 14, u. Köuigspl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marien straß« SL. Ferusprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serliu: Carl vlmcker, Herzgl. Bayr. Hofbuchhaudlg» Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 460». Abend-Ausgabe. WMcr TaMall Anzeiger. Amtsblatt des Hömglichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Polizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redaktionsstrich (sgespaUen) 7K H, vor den Familieanach» richten («gespalten) KO L,. Dabellarischer und Ziffernsatz entsprechend Häher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 2K H stxcl. Porto). Grtra - Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderung SO.—, mit Postbeförderung 70.—. ^nnahmeschluß für Änzeigeu: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen stad stet« an die Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bi» abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol« in Leipzig. 97. Jahrgang. Nr. 57L Mittwoch den 11. November 1903. politische Tagesschau. * Leipzig, 11. November. Zentrum uud Reichsfinanzreform. Ueber die unentwegte Durchführbarkeit seiner Methode, dem dringenden Verlangen nach einer Reichs- ftnanzresorm immer nur ein nacktes non possuraus ent gegenzustellen, scheint das Zentrum nachgerade selbst be denklich geworden zu sein. Die formale Achillesferse des Zentrumsgedankens, die ursprünglich nur als vorüber gehender Notbehelf gedachten Matrikularbeiträge zu verewigen, ja, sie zum Grund, und Eckstein des Reichs finanzsystems zu machen, liegt in der prinzipiellen Unge rechtigkeit dieser Einrichtung. Die Matrikularbeiträge werden auf die Einelstaaten nach der Kopfzahl ihrer Be völkerung umgelegt, bilden also eine Kopfsteuer in der krassesten Form. Dem will die Zentrumspresse jetzt durch einen andern Umlegungsmodus abhelsen, für den nicht die Bevölkerungszfffer, sondern die Leistungsfähig keit maßgebend sein soll. Das Organ des Abgeordneten Richter zollt diesem Vorschläge Befall und fügt ihm seinerseits einen weiteren Vorschlag hinzu, nach welchem Ueberweisungen aus den Zöllen an die Einzclstaaten nicht mehr stattfinden sollen, wogegen die bisher dem Reiche verbliebenen Einnahmen ans einigen indirekten Steuern unter die Ueberweisungen ausgenommen werden könnten. Damit, meint man, würde den berechtigten Klagen der Einzelstaaten Genüge geschehen sein. Auf den ersten Blick mag eine solche „Reform" manchem plausibel erscheinen. Aber wie würde sich in der Praxis der Erfolg einer solchen Aenderung gestalten? Auf diese Frage erteilt der „Tchwäb. Merkur" die allein richtige Antwort, indem er ausführt: Nach dem Richterschen Gedanken soll die einzelstaatliche Finanzwirtschaft gegen die unvermeidlichen starken Schwankungen der Ueberweisungen geschützt werden. An sich wäre ein solcher Schutz gewiß sehr wertvoll, denn die Sicherheit und Solidität der einzelstaatlichen Finanzwirtschast leidet auf das Schwerste unter oer Unge wißheit, mit welchen Einnahmen aus dem Reiche sie rechnen kann. Aber würde diese Ungewißheit nach dem Richterschen Vorschlag gehoben sein? Ohne Zweifel sind die Zölle ihrer Natur nach der am meisten dem Schwanken ausgesetzte Faktor in den Reichseinnahmen. Aber in nicht erheblich geringerem Grade muß das auch von den indirekten Stenern bezw. den Stempelabgaben gesagt werden. Werden diese, nm die Franckensteinsche Klausel beibehalten zu können, auch ferner den Einzelstaaten über wiesen, so wird für diese die Unsicherheit vielleicht etwas gemildert, aber keineswegs beseitigt sein. Mit anderen Worten: es wäre eine Neuerung, die kaum der Mühe verlohnte. Nun aber die Hauptsache! Daß die Einzel- staäten zu den Reichsausgaben lediglich nach dem Maßstabe ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit herangezogen werden sollten, ist eine so selbstverständliche Forderung der Gc» rechtigkeit, daß man darüber kein Wort zn verliere» braucht. Aber so einfach sich das aussvricht, so schwer ist es getan. Nach welchem Maßstabe soll denn die Leistungs fähigkeit sestgestellt werden? Etwa — was zweifellos am nächsten läge — nach dem Ertrage der direkten Steuern? Aber da fehlt vor allen Dingen die Gleichmäßigkeit. Die Steuersysteme in den verschiedenen Staaten des Reichs sind bekanntlich noch immer sehr verschieden. Sie kurzer. Hand über einen Leisten zu schlagen, ist unmöglich, ganz abgesehen davon, daß die Rcichsgcsctzgebung dazu über haupt nicht bq*ugt wäre. Es bliebe nichts anderes übrig, als für das ganze Reich ein Einkvmmensteuerkataster auf» znstellen und die Bevölkerung der Einzelstaaten nach dem selben zu veranlagen, um so die finanzielle Leistungs fähigkeit jedes einzelnen Staates fcstzustellcn. Dem wider- streben aber die prinzipiellen Gründe, die von den Einzel staaten stets dem Gedanken einer Rcichseinkvmmcnstcuer entgegengesetzt worden sind. Eine solche würde freilich nicht erhoben werden, aber der ganze für sie erforderliche Apparat, der unter allen Umständen einen tiefen Eingriff des Reiches in die Selbständigkeit der cinzelstaatlichcn Ver- waltungen mitsichbringenwürde, müßte geschaffen werden. Daß die Einzelstaatcn sich dazu verstehen würden, wird schwerlich jemand glauben. Und dabei ist das Komische, daß auch das Zentrum, das jetzt die Forderung des ver änderten Umlegungsmodns der Matrikularbeiträge zur Parole macht, stets die gleichen Gründe gegen jenen Ein- griff in die Sphäre der Einzclstaaten geltend gemacht hat. Sodann aber: was würde bei der ganzen Umwälzung praktisch herauskommen? Gewiß, die Hansastädte würben stärker herangezogen und ein paar mitteldeutsche Klein- staaten würden etwas entlastet werden. In letzterer Be ziehung trägt man sich aber mit übertriebenen Vor- steNnngcn. Waldeck, ans das gewöhnlich cremplffizicrt wird, scheidet aus der Betrachtung aus, denn es wird von Preußen verwaltet, dem es infolgedessen auch finanziell zuzurechnen ist. Ebenso scheiden aus einige Kleinstaaten mit stark entwickelter Industrie, z. B. Anhalt und die beiden Reust. Für alle größeren Staaten aber würde der neue Veranlagnngsmodns eine wesentliche Aenderung in der Höhe des Matrikularbeitrages kaum zur Folge haben, denn in ihnen kompensieren sich leistungsfähigere und minder leistungsfähige Landesteile gegenseitig. So wurde die praktische Wirkung der großen „Reform der Ge rechtigkeit" eine äußerst geringe sein und, was das Schlimmste ist. das unerträgliche finanzielle Verhältnis zwischen dem Reiche und den Einzclstaaten wäre durch die ausdrückliche Sanktionierung der Matrikularbeiträge als einer dauernden Einrichtung verewigt. Nach alledem ist klar, daß mau dem Vorschläge der Zentrumspr-'sse viel zu viel Ehre antut, weg« man ihn ernst nimmt. Er ist Laub in die Augen. Der Kamps um die Schule in Preußen. Das preußische Zentrum läßt jetzt endlich, kurz vor den entscheidenden Wahltagen, die Maske fallen und gesteht, daß ihm das Schuldvtations- gesetz vollständig Nebensache, die konfessionelle Schule aber, die Herrschaft der Kirche, des Klerus über die Schule, das unverrückbare Ziel seines Strebens ist. Zur Erreichung dieses Zieles kommt es dem Zentrum auch gar nicht darauf an, sich mit der Sozialdemo kratie zu verbrüdern, wenn nur bei den bevor stehenden Wahlen der Liberalismus, dieses Hemmnis der konfessionellen Schule, zurückgedrängt und vernichtet wird! So sieht die Stütze der Regierung, die „staats erhaltende Partei" aus! Die Regierung gibt durch ihr offiziöses Rcgierungsorgan, die „Norddeutsche All gemeine Zeitung", die Parole zum Zusammenschließen aller Parteien gegen die Sozialdemokratie aus das Zentrum erklärt, in diesem Kampfe nicht mittun zu wollen, wenn ihm nicht die konfessionelle Schul gewährt wird. Mit unzweideutiger Herausforderung an die Negierung schreibt die ,^löln. Volksztg.": „Der Kamps um die Volksschule, der bei den jetzigen Wahlen gekämpft wird, erfordert von uns eine viel größere Aufmerk samkeit als die Frage der Bekämpfung der Sozialdemokratie bei den preußischen Wahlen, und Eltern, welche wollen, daß ihre Kinder in den Schulen konfessionell-christlich erzogen wer den, haben viel mehr Anlaß, bei den Wahlen darauf zu achten, daß nicht der kirchcnfeindliche Liberalismus aus den Wahlen gestärkt hervorgeht, als daß speziell die Sozialdemokratie im Sinne der „Nordd. Allg. Ztg." bekämpft werde. Der Liberalis mus ist emsig an der Arbeit, lassen wir es bei den bevorstehenden Wahlen nicht an der Gegenarbeit fehlen. Es könnte sonst für die Schule vieles auf dem Spiel stehen." Gewiß, für die preußische Schule steht viel, alles aus dem Spiele! Das haben die Nationalliberalen in Preußen längst erkannt und deshalb -um Kampfe gegen die klerikalen Herrschgelüste über die Schule aufgerufen. Sowohl von konser vativer wie von ultramontaner Seite ist bis zur Stunde immer behauptet worden, dieser Ausruf sei nur elende Wahlmache und führe einen Kampf gegen Windmühlen. Jetzt bekennt der Ultramontanismus wenigstens offen Farbe und entzieht sich der Bekämpfung der Sozialdemokratie, wenn die Regierung ihm nicht die konfessionelle Schule einräumt, die doch nur eine Etappe zur unumschränkten Herrschaft des Ultramontanismus über die Schule in Preußen ist. Eine verschlafene Zentenarfeier. Mit einer Unschuldsmiene sondergleichen berichteten die Pester Blätter vor kurzem, es habe „in kommunalen Kreisen peinlich berührt", daß die zweite Jahr hundertwende der Erhebung von Pest und Ofen zu königlichen Frei st ädten (das könig liche Diplom datiert vom 23. Oktober 1703) im dortigen Zentralstadthause gänzlich verschlafen worden sei, und es werde dies um so unliebsamer empfunden, als anläßlich des 200. Jahrestages der Gründung Petersburgs — eine Festivität, die Ungarn doch weniger angeht, als die zweite Zentenarfeier der nun vereinigten Städte Pest und Ofen — die ungarische Haupt- und Residenzstadt ihren Oberbürgermeister und mehrere hohe städtische Funktionäre nach der Newa entsandte. Im Zentral stadthause, so bemerkte der „Pester Lloyd" bekümmerten Sinnes, mißt man die Schuld dem Oberarchivar bei, -er in erster Reihe dazu berufen war, diesen Tag in Evidenz zu halten und rechtzeitig, schon vor Monaten, dem Bürger meister Bericht zu erstatten, damit er Gelegenheit habe, zur würdigen Begehung des Geburtsfestes der Haupt- und Residenzstadt Vorbereitungen zu treffen. — Das Versehen des Archivars ist verzeihlicher, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Wenn nämlich die Feier mit jenem Pomp und jener Umständlichkeit in Scene ge setzt worden wäre, wie das in Ungarn landesüblich ist, so wäre man doch an der unbequemen Tatsache schwer vor- beigekommcn, daß die beiden Städte deutsche Grün dungen sind, daß ihre Erhebung zu königlichen Frei- städten zufällig gerade zu einer Zeit erfolgte, als — nach Eroberung Ofens und Verjagung -er Türken durch Prinz Eugen von Savoyen — die Städte durch starken deutschen Zuzug an Bedeutung gewonnen hatten, denn damals verfolgten die Habsburger wenigstens zeit weise eine germanisatorische Politik in Ungarn, die nicht eines gewissen großen Zuges entbehrte, — die Haupt maste des südungarischen Deutschtums wurde bekanntlich unter Maria Theresia ins Land gezogen, diesem zum Heile. Bei der Feier wäre vielleicht auch daran erinnert worden, wenn auch nicht von den Festrednern, daß noch unter König Matthias die Eidesformel, in der alle Städte Ungarns dem König und seinem Gubernator huldigten (1458), in deutscher Sprache abgefaßt war. Vielleicht hätte man sich bei der Feier der Städte Ofen und Pest nebenbei auch jener Festivität erinnert, die sich die deutschen Bürger von Ofen leisteten, als sie den ersten gegen die bisherige Uebung ihnen aufgedrängten magyarischen Stadtrichter in die Donau warfen, um auf diese Weise die Alleinberechtigung, den Stadtrichler zu stellen, anschaulich nachzuweisen. Der säumige Archivar, der „die Zentenarfeier verschlafen" hat, ist also vielleicht gar nicht so dunrm, als es scheint. Marokko und die Juteresten der europäische« Mächte. Mit Rücksicht auf die dem englischen Ministerium deS Auswärtigen überreichte Denkschrift gegen die Ue ver macht eines fremden Staates (d. h. Frank- re i ch s) in Marokko dürften die nachstehenden, mit dieser Auffassung übereinstimmenden «Ausführungen unseres Mitarbeiters inTanger vom 1. November von Interesse sein: Der Rückzug des Sultans nach Fez wird von dem die französischen Interessen vertretenden Jour nal de Maroc" mit Freuden begrüßt, bezeichnenderweise. Die französische lokale Presse plaudert offenbar aus der Schule, wenn sie merken läßt, daß Frankreich den Sieg des Sultans, die Rückkehr geordneter Zustände nicht wünscht. Es kommt immer mehr an den Tag, wie plan mäßig es Marokko umgarnt hat, wie schnell sein Einfluß zunimmt. Daß die marokkanische Frage eines Tages in französischem Sinne geregelt werden wird, ist wohl zweifellos. Den hiesigen Heißspornen geht es aber nicht schnell genug, sie haben ja alle Mitbewerber längst befrie digt, indem sie ihnen Aegypten, Tripolis, die Presvdios, die Neutralität von Tanger geschenkt bezw. gelosten haben. Deutschland beiläufig kommt schlecht dabei weg, es be kommt garnichts, der Sultan hingegen wird, aber wohl sehr mit Unrecht, als quantitL u^glixoablo betrachtet. England widersetzt sich im geheimen dem ungestümen Vorgehen Frankreichs. Eine Drahtmeldung des „Heraldo" aus London bringt heute die Nachricht, daß der Sultan große Aussicht hat, die pro jektierte neue 25 MillionenMnleihe zu erhalten) dadurch wäre dem Sultan ivieder für lange Zeit, vielleicht endgül tig, geholfen. Er braucht nur den begangenen großen Fehler gut zu machen, indem er die nie beherrschten Kaby- len sich selbst überläßt. Unter «Abd-el-Aziz würde das Feld «wieder frei sein und bleiben, wie bisher, auch für den deutschen Handel. Dieser aber darf sich durch die derzeitigen schlimmen Umstände nicht entmutigen lasten, wie es der Fall zu sein scheint, wir haben wenigstens nicht gehört, daß, wie cs von englischer Seite geschehen, deutsche Industrielle oder deutsche Handelskammern Vertrauens personen hergeschickt hätten, um die augenblickliche Lage zu studieren. Es kann nicht oft genug gesagt werden, daß Marokko ein ganz ungemein fruchtbares, an Hülfsquellen reiches Land ist, mit dem es sich lohnt, Handel zu treiben, und daß Deutschland gut daran täte, seine Interessen, die es einst zu vertreten haben wird, so schnell als möglich zu vergrößern. Fririlletpn. Em interessanter Mann. 7j Roman von Arthur Zapp. Nachdruck verboten. GiebentesKapitel. Es war gegen Mitte März, als im Sarnowschen Hause die letzte große Gesellschaft der Saison vorbereitet wurde. Erna Sarnow stellte in Gemeinschaft mit ihrem Vater — die Mutter war schon vor Jahren gestorben und die Leitung des großen Haushalts war einer älteren Dame anvertraut — die Liste der Eingeladenen fest. Da man zuguterletzt noch einmal alle, die in gesellschaftlicher Be ziehung zu der Familie standen, einladen wollte, nahm die Liste eine Ausdehnung an, über die der Kommerzien rat schließlich den Kopf schüttelte. „Das geht nicht, Kind", sagte er.' „Wir müssen Streichungen vornehmen. Ta ist zuerst der rumänische Baron. Schwamm drüber!" „Aber Papa, er hat doch feinen Besuch gemacht." ,Zöenn auch. Den Sommer über verreisen wir und im Herbst ist er wahrscheinlich nicht mehr hier." Doch Erna Sarnows Widerstand ließ sich auch durch diese Argumente nicht überzeugen, um so weniger als sie bei ihrem letzten Zusammensein mit Baron Minoleskn in Frau Valeskas Gegenwart von der «bevorstehenden Gesellschaft erzählt und sich von ihm zum Kotillon und zum ersten Rundtanz hatte engagieren lasten. Freilich, davon sprach sic ihrem Vater nicht, sondern vor ihm hatte sie «ne andere Einwendung. . ,LSir haben ihn durch Reßtorfs kennen gelernt. Meinst du nicht, daß sich Herbert verletzt fühlen könnte, wenn wir den Baron nun übergehen?" D» machte der Kommerzieckrat ein bedenkliches Gesicht, nyff seinen Neffen, den Rcgierungsrat und präsumtiven ?.«^iprasidenten hielt er große Stücke und er legte den zu stehe» e" ^rauf, mit ihm im guten Einvernehmen „Meinst du? Dann freilich", gab er nach. „Dann müssen wir ihn laden . . ." Und so geschah «s. Erna Sarnow konnte sich im' Gttlle» eine- Gefühls freudiger Genugtuung nicht er wehren, als der Rumäne sie zum ersten Rundtanze mit seinem verbindlichsten Lächeln ausforderte. Als sie ein paarmal herumgctanzt hatten, führte er sie in eines der Nebenzimmer. Hier stand in einer Valkonnische ein ein- ladendes Arrangement von Sesseln und Fauteuils. Dicht nebeneinander nahmen sie in dem lauschigen Versteckchcn Platz. „Sie übertreffen sich heute noch, gnädiges Fräulein", sagte er mit einem leidenschaftlichen Blick in ihr strahlen des, erhitztes Gesicht. „Sie sind immer die Anmut und Schönheit in Person, heute aber sind Sie unvergleichlich, einfach berückend." „Sie fließen, wie immer, von Schmeicheleien über, Herr Baron." „Ich protestiere, gnädiges Fräulein. Schmeicheleien sind ein Ausdruck gesellschaftlicher Galanterie, die man sagt, ohne etwas dabei zu empfinden. Meine Worte aber sind meine innigste Ucberzeugung, sie kommen direkt — aus dem Herzen." Sie reckte sich unwillkürlich ein wenig in die Höhe, ihre Augenbrauen zogen sich leicht zusammen und ihre Züge nahmen einen strengeren Ausdruck an. „Ich finde, man soll sein Herz nicht auf -er Zunge tragen", erwiderte sie, „wenigstens nicht auf dem Ball, im gesellschaftlichen Verkehr." Er aber ließ sich durch diese gelinde Zurechtweisung nicht abhalten, in demselben glutvollen Ton sortzulahrcn: „Gebieten Sie einmal Ihrem Herzen, gnädiges Fräulein, wenn cs in ihm wogt und stürmt! Das geht über Menschenkrast." Sic atmete heftig und fächelte sich stark. Ihre Mienen zeigten einen beklommenen, peinlich erregten Ausdruck. Mit einer Bewegung, als wenn sie sich erheben wollte, sagte sie ablcnkend: „Wollen wir nicht lieber zum Saal znrück- kehren? Ich finde es »nerträglich heiß hier." „Aber gnädiges Fräulein", sagte er bittend. „Noch ein paar Minuten, bitte, ich finde cs so köstlich heimisch hier." Sic lehnte sich, seinem Wunsche willfahrend, in ihren Sessel zurück, den Blick a»ff ihren Fächer gerichtet, den sie nervös auf- und znklapptc. Er sah mit einem lauernden Blick zu ihr hinab. Plötzlich beugte er sich zu ist* hinüber, ergriff mit seiner Rechten ihre auf dem Kächergrfff ruhen den Finger und drückte sie zwischen den seinen. Auf die junge Dame schien dieser GefühlSauSbruch einen ver letzenden Eindruck zu machen, denn sie entzog ihm sogleich heftig ihre Hand und erhob sich mit jähem Ruck. „Ich bitte Sie", stieß sie kurz, bestimmt hervor, seinen Blick dabei vermeidend, „mich nach dem Saal zurückzu führen." Baron Minolesku zögerte einen Augenblick, aber du näherten sich einige Paare der Nische. Der Rumäne ver- beugte sich, krümmte seinen Arm und kehrte mit seiner Tänzerin in das Gewühl des Balles zurück. Als Baron Minolesku ein paar Tänze später Erna Sarnow um eine Extra-Tour bat, lehnte sic ab, Ermüdung vorschützend. Aber er sah ihrer küblen, strengen Miene an, daß sie ihm zürnte. Doch er ließ sich innerlich von dieser Ungnade wenig anfechten, wenn er auch äußerlich eine bestürzte, zerknirschte Miene zeigte. Er zweifelte keinen Augenblick, daß es ihm nicht allzuschrver gelingen würde, sie wieder zu versöhnen. Dazu bedurfte es jcdvch einer Aussprache und bis zum Kotillon war es noch lange hin. Sollte er den ganzen Abend bis dahin verlieren? Dazu hatte er nicht Zeit genug. Seine Lage war keine rosige. Er hatte neuerdings im Spiel Verkiffte gehabt. Es war ihm nicht entgangen, daß sein hartnäckiges Glück Mißmut erregt hatte, und deshalb hatte er die ersten Ver luste mit stiller Zufriedenheit begrüßt. Aber leider hatte ihm das Spielglück gar zu anhaltend den Rücken gekehrt, und nun durfte er keine Gelegenheit vorübergehcn lassen, seinen Plan zu fördern, der daratff abzielte, seine Ver hältnisse einmal gründlich und für immer zu heben. Er mußte je eher, je bester eine Aussprache mit der beleidigten Schönen herbciführen, sie um Entschuldigung bitten und irgend etwas ansüliren, das seinem Ungestüm eine milde Beurteilung zuzusichern geeignet war. Aber nun machte er die Erfahrung, daß ihm die Zürnende auswich, und daß sie jede Möglimkeit, mit ihr ein paar ungestörte Worte zu wechseln, vereitelte. Frau ValeSka von Rcßtorf mußte ihm helfen, und so engagierte er sic für den nächsten Rundtanz. Während er sie nach ein paar Runden aus ihren Platz führte, sagte er: „Sie werden die Güte haben, während der nächsten Pause mit Fräulein Sarnow in den Wintergarten zu gehen." Frau Valeska sah ihn erstaunt, verständnislos an. „Ich habe mit der jungen Dame zu sprechen", fuhr er erklärend fort, „möglichst ohne Zeugen. Ich überlaste eS Ihrem Takt, da- zu arrangieren." Frau Valeska tat einen tiefen Atemzug. Sie gedachte der Mahnung ihres Gatten, und mit kalter Entschieden heit erwiderte sie: „Ich «bedaure, ich kann Ihrem Wunsche nicht entsprechen." „Oho!" Seine Stimme nahm einen strengen, harten Klang an. „Ich warne Sie, mich zu reizen. Wollen Sie mir schon wieder die Freundschast aufkündigen? Sie wissen, westen Sie sich in diesem Fall von mir zu versehen haben." Ihr schoß -te Glut heiß ins Gesicht. „Gleichviel", stieß sie mit zuckenden Lippen hervor: „Ich kann es nicht verantworten. Ich tue es nicht. Entdecken Sie meinem Mann alles, gut! Ich habe mich mit dem Gedanken vertraut gemacht. Ich werde ihm selbst noch heute Nacht alles sagen." Sie setzte sich. Er blieb neben ihr stehen. Die herbe Entschlossenheit, «die ihre Züge beherrschte, machten keinen Eindruck auf ilm. Leicht lächeln-, als wenn er mit ihr eines -er üblichen tändelnden Ballgespräche unterhielte, sagte er: „Sic werden sich hüten, meine verehrte gnädige Frau. Es kann nicht Ihr ernstlicher Wille sein, das Leben ihres Mannes in Gefahr zu bringen." Er sah, wie sie züsammenschreckte, und jetzt starrte sie mit einem ängstlich fragenden Blicke zu ihm auf. „Tas Leben meines Mannes? . . . ." Sie versuchte ein schwaches Lächeln. „Sie wollen mich nur erschrecken." Er schüttelte den Kopf. „Urteilen Sie selbst, meine Gnädigste", führ er, immer im leichten Plaudertone, fort, „vergegenwärtigen Sie sich gefälligst, was geschehen wird, wenn Sie sich Ihrem Gatten offenbaren! Es ist ja müg- lich, daß er es Ihnen nicht nachträgt. Sicher ahcr ist, daß er Ihr Bild nicht in meiner Hand lasten wird. Er wird cs unter allen Umständen von mir zurückfordern, ich aber werde mich seinem Verlangen nicht fügen. Uüd was wird dann die Folge sein, gnädige Frau?" Sie sah entsetzt zn ihm auf. „Die unvermeidliche Folge wird sein", vollendete er, „daß es zu einem lnfftiaen Streit uüd in natürlicher Kon sequenz zu einer Forderung zwischen uns kommen wird. Ich werde cs so einzurichten wissen, daß ich der Beleidigte bin. Als solcher habe ich nämlich den ersten Schuß. Nun gebe ich Ihnen mein Dort, gnädige Frau, daß ich auf zwanzig Schritte niemals fehle." „Sie — Sie wollen sich mit ihm duellieren?" stammelte die geängstigte Frau mit blassen Lippen. Er zuckte mit den Achseln.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht