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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.11.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031112019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903111201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903111201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-11
- Tag1903-11-12
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Vezug-.Prei- G tz«e Ha»ptr;pedttto» oder deren Nnsgad» stelle» «d,eh»,»: vtertelMltch S.—, bei »w^mgtt^r g»ft,Ilona i»s Heu« dü Poft bezog»» Mk Putsch' lasd ». Oesterreich merlplj-brlich «HO, fssx dte Urigen Länder taiu LeuungepreisUst«. RrdstkN,« ,»tz Lnedttts«: Potzs»»tS»«ss, 8. -Mch^eche, t»S ,n» «lß»tzOutz»,W>chh«,d«z„ llnch^sttätsste.^ L ttschch «Ptz-tts-iftr. 1L » «stMt- st, jhlMpt'/ilistjk Vstf-tze«! «oeieiistrqß, «L^ »«Mistrecher »»u I P«. 17»». Aststpt-Fljlülk Lkrtt»: «M vmuker, Her^i «nyr. Hofbuchh-"chs^ Vitzoeoftrest» »0. V-nsprrche, Amt VI Nr. SSV» Morgen-Ausgabe. MWAcrIaMM Anzeiger. Ämtovlatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Aolizeiamteo der Ltadt Leipzig. Anzeigen «Preis die Sgeipallene Petttzeile 2S VrUem,, „ter dem RedasNonsstrich tztgespaUk») 7b vor de» Aa«Üt«»uach- richten tSgeipqltea) öS H- Labellarischer »nd tzisternioy „tiprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Ofterteaanuadm« Lb (»icl. Porto). Extr« Beilagen tgeial»»), ,»r mU de» Morgen-Ausgabe, ohne Poftbesördernng «ä.—, »tt Postbes«rdenu»g 70.-^ Tinnahmeschinß flr ^nzeizn: Abeab-AySgade: Vormittag« 10 Uhr. M^rg,».Un»ggb«: RachmtUagS 4 Uhr. Anzeigen find stet« an di« Expedition zn richte«. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh S bi« abend« 7 Uhr- Druck uud Verlag von L. Pot. tu Leidjig. Nr. 575. 97. Jahrgang. Donnerstag den 12. November tSÜL »le Politik plus' X. <2 No«, S. November. Vemr dt« in d«r Press« Deutschlands, Frankreichs und Italien» mit so großer Liebe häufig wiederholte Behaup- tuns, Ptu» X. sei ein »upolttischer Papst, richtig wäre, -Erste man natürlich von einer Politik Pius' X. nicht rede». And«» läßt sich leicht Nachweisen, -aß die Voraus» setznwgen jener Behauptung, insoweit sie Tatsachen sind, unzulänglich und im übrigen unhaltbar sind, daß vielmehr ganz eindeutige Aeußerungen des Papstes vorliegen, die von einer, höchstens vielleicht noch nicht klar bewußten Politik positives Zeugnis ablegen. Namentlich ist es ver kehrt, sich darauf zu berufen, di« Wahl Pius' X. im Gegen satz zu der Kantzidatur R « mp 0 llaS bedeute den Bor rang -er „religiösen" Gesinnung vor der politischen, und zu sag««, die erste Enzyklika L suprami aposiolatus »VW S. Oktober bestätige uud begründe diese nur religiöse Richtung de» neuen Papstes. Denn nach wie vor bringt die Kurie ihre politischen Aspirationen im Zeremoniell -er Kürstenbesuche am Vatikan und in der Feindschaft gegen -a» königlich« Italien zum «Ausdruck; Pius X. weigert sich ebenso wie sein Vorgänger, den Präsidenten -er franzSsischen Republik unter Umständen zu empfangen, die nicht zugleich eine strikte Beleidigung des Königs von Italien wäre«. Ptus fördert die Orden, damit sie Mr Mehrung und Nützung seines Reiches allenthalben wirke«, behandelt aber selbst — nicht im min desten ander» wie Rampolla — au» Furcht vor der drohenden Trennung von Kirche und Staat -aS ordenmörderisch« Frankreich doch mit gesuchter Freundlichkeit, indem er zum Beispiel seine Absicht verkündet, in der ersten unter seinem Pontifikat stattsinbenben Ritenkongregation die Jungfrau von Orleans, um deren transzendentale Existenzform sich gerade jetzt M beunruhigen, kein Anlaß ersichtlich ist, selig zu sprechen. WaS sodann die Enzyklika betrifft, so hat man «or lauter Entzücken, der Papst nenne sich nur den Diener Gottes, weiter zu lesen vergeßen und Überseen, daß er sich auch als den Repräsentanten von Gottes Autori tät auf Erden betrachtet, daß er für die Kirche „Freiheit", -. h. unter den gegebenen Umständen doch nichts anderes al» Suprematie über den Staat, begehrt, u. -gl. mehr. Wer darüber noch im Zweifel war, wird ja nun nach der Lektüre -er klassischen Auslegung, die Pius X. seiner Enzyklika gegeben hat und über die wir uns schon zur Ge nüge verbreitet haben, eines anderen belehrt sein. Uud übrigen» — ist nicht „ein religiöser Papst" «in Wider, spruch in sich? Was Hütte ein Papst zu tun, der seine eigene Religiosität für das A und O seiner Aufgabe hält? Gibt es in -er langjährigen Geschichte des Papsttums auch nur einen Papst, dem die Absicht iremd gewesen wäre, sich als autoritativen Lehrer und Letter aller Nationen und Staaten aufzustellen? Auch der Hinweis auf Merry del Val, den nunmehrigen Staatssekretär, als einen Mann ohne politisches Programm würde nichts in Bezug auf die Gesinnung und Absichten des gegenwärtigen Papstes besagen, — selbst wenn diese Meinung über Merry del Bal richtiger wäre als sie ist. Die Verkündiger der politischen Neutralität Pius' X. vergessen vor allem, daß seine politischen Aspirationen nicht in diplomatischen Akten Ausdruck finden müssen, und heute vernünftigerweise auch nicht finden können, sie ver gessen, daß eS in Deutschland, in Frankreich, in Spanien, in Italien und anderweit ultramontane bezw. klerikale politische Parteien von ausschlaggebendem Gowlcht gibt, daß katholische Gowerbevercine, katholische Arbeitervereine u. dgl. von großer numerischer Stärke existieren, die dem unfehlbaren Papste in allen Dingen unbedingte Ge folgschaft leisten. Den so gegebenen Weg zur Macht nutzt PiuS X. aufs intensivste. Er nutzt ihn trotz der kurzen Periode seines Pontifikates energischer als sein Vor gänger, her sich die Bezeichnung „Arbeitcrpapst" erworben hat. Das Wie dieser gewissermaßen inneren Politik PiuS' X. offenbaren schon die mannigfaltigen, die soziale und kulturelle Entwickelung betreffenden Rückwärts signale seiner Enzyklika, eS erhellt aber mit besonderer Deutlichkeit aus den Direktiven, welche er für die Ver handlungen des vom 10. bis 18. November in Bologna tagenden 19. italienischen Katholikenkongresses gegeben hat. Obwohl auf diesem Kongreß ursprünglich Themen von nur wirtschaftlich - praktischer Bedeutung verhandelt wer den sollten, hat er dafür gesorgt, daß die Frage einer uu fassenden und strengen Organisation der katho lischen Arbeiter, -er Bildung katholischer Gewerbe vereine, das Thema des religiösen Unterrichts in den Ele mentarschulen und spezieller Religionsschulen, der Prüfung der Glaubenstreue und des Zusammenschlusses -er Lehrer, das Thema der Lehr-„Fretheit" — eine Freiheit, die den Klöstern den öffentlichen Unterricht wieder in die Hände spielen soll — und der zu ihrer Er langung einzuschlagendcn Politik, endlich das Thema einer Disziplinierung der katholischen Presse in das Ver- handlungsprogramm ausgenommen werden. Und er hat ferner nicht bloß seinen einmandSfreien Gefolgsleuten allerlei durchsichtige Belobigungen erteilt, sondern aus- drücklich verkündet, daß er aus dem Verhalten bei den Verhandlungen beS Kongresses den Maßstab der Glaubenstreue jedes einzelnen nehmen werde. Ein solcher Terrorismus war schon dem Kardinal Sarto eigen, der sich in Venedig nicht gescheut hatte, in dem sehr heißen Kampfe der sozialpolitischen Richtungen gegen die christlichen Demokraten offen Partei zu bekennen und zu ihrer Niederlage in den Kommunalwahlen mit allen Mitteln klerikaler Wühlarbeit beizutragen. Den Dank dafür hat er freilich schon in -en ersten Tagen seines Pontifikates geerntet in einem Artikel, den das Wochen blatt von Orvieto gebracht hat und in dem u. a. zu lesen ist: „Eine solche geistliche Leitung (der wirtschaftlichen und sozialen Vorgängej ist erstens dem Zeitgeiste wenig sympathisch. Dann sind auch die Bischöfe die wenigst geeigneten Persönlichkeiten, um eine solche Bewegung sdie der christlichen Demokraten) zu leiten. Sie verstehen viel zu wenig von Volkswirtschaft un- sozialem Leben. Ferner ist es ungehörig, daß die Bischöfe sich an die Spitze einer Partei stellen, die notgedrungen eine bestimmte politische Richtung haben muß. Als Väter de» ganzen christlichen Volkes müssen sie sich fern halten von dem, wa» die Menschen oder sogar die Christen von einander trennen kann, also namentlich von der Politik." PiuS X. hat aber auf diese Worte keine andere Antwort ge funden, als einen scharfen Brief an den Bischof von Orvieto, der diese Anschauungen als „unehrcrbietig" und als „rebellisch gegen jede Autorität" geißelt, und eine er neute Aufmunterung an den konservativen Leiter der Op«ra tiei con^rsssi eattalioi, den Grafen Grosoli, in seiner Bahn zu verharren und „im Namen des heiligen Geistes" die Widerspenstigen mit allen Mitteln anzu halten, sich der einen und allumfassenden, „im Schatten der heiligen Kirche" wirkenden Arbeiter- und Gewerbe- organisation rückhaltlos einzufügen. Das Hauptinter esse hat der Kongreß in Bologna für uns in- sofern, als er das Kraftverhältnis kirchlicher Disziplin und freiheitlich sozialpolitischer Gesinnung in Italien illustrieren wird. Deutsches Reich. -7- Berlin, 11. November, (Das Mittelalte» in der Gegenwart.) Al- der Tolrranzantxqg des Zentrums im Reich-tage beraten wurde, wie- der Abgeord nete Nr. Sattler auf die unlängst erschienenen „Institutionen des öffentlichen Kirchenrechtes" des Jesuitenpater- de Luca hin. In diesem Werke erhebt de Luca die tolerante Forderung, daß die weltliche Obrigkeit aus Befehl und im Auftrage der Kirche die Todesstrafe am Häretiker vollziehen müsse, und betont ausdrücklich, daß auch für unsere Zeit sein christliches Verlangen gelte. Die klerikale „Köln. Volks zeitung" bat gerade wegen des loleranzantrages da-llebermaß von „Duldung", das jene Forderung de Lucas offenbart, al» sehr lästig empfunden und zur Entschuldigung des ge nannten Zeitgenossen geltend gemacht, daß er die frag liche Stelle einfach au- einem Buch« des Jesuiten Tanner übernommen hätte. „Heute solche kirchcnpolitische Anschauungen zu vertreten, die vor SOO Jahren gelehrt wurden, beweist eine fast unglaubliche Rückständigkeit" — fügte die „Köln. Volksztg." am 12. Mai 1902 u. a. hinzu. Da daS leitende ZentrumSorgan wiederholt den Nachdruck auf den Umstand legt, daß der Jesuit Tanner »or 300 Jahren lebte, so ist zur völligen Würdigung der Rückständigkeit de Luca« der Hinweis darauf notwendig, daß Duldung tz I» de Luca erheblich älter als 300 Jahre ist. Hieran in diesem Augenblick zu erinnern, fordert ein soeben erschienene« neues Werk des Grazer Historiker« Johann Loserth auf, da unter dem Titel „Geschichte de» späteren Mittelalters von 1197 bis 1492" einen Bestand teil des von den Professoren G. v. Below und I. Meinecke herauSgegebenen „Handbuches der mittelalterlichen und neueren Geschickte" bildet (Verlag von R. Old en- bourg, München). Loserth gibt in seinem Buche einen lehrreichen Ueberblick über die Entwicklung der Inquisition; seiner Darstellung entnehmen wir zusammenfaffend die folgen den Angaben, welche den päpstlichen Anteil an der Toleranz de LucaS in Helle« Licht setzen. In der alten christlichen Kirche gab eS keine Einrichtung, die der Inqui sition auch nur von fern ähnlich gewesen wäre. Körperliche Strafen gegen die Ketzer hat al« Erster Augustinu« empfohlen, doch dauerte eS noch mehrere Jahrhunderte, bis die Lehre von der Vernichtung der Ketzer all gemeine Anerkennung fand. Für die Reinhaltung der Lehre hatten die Bischöfe zu sorgen, und so wurden in der karolingischen Zeit Seudgerichte eingeführt, in denen man die Anfänge der bischöflichen Inquisition sehen darf. Nach der Meinung de« Papstes Gregor IX. indessen erwiesen sich die Bischöse als zu mild: Gregor be gründete daher die päpstliche Inquisition und übertrug am 20. Juli 1233 die Verfolgung der Ketzer dem Dominikaner orden. Zu Gunsten dieser Inquisition trafen fortan die Päpste eine Reihe von Maßregeln, die teilweise an Friedrichs II. Ketzergesetze anknüpften. Genau bestimmt wurde das Verfahren gegen die Ketzer in der Bulle ^ck 6r8tirpLoäa Jnnocenz' IV. vom 2ü. Mai 1252, die, Fririlletsn. Aus dem jüngsten Staate dcr Lrde. Bon OttoLeonhardt. aUDv .nl ' «rdolen. Lr ist kaum eine Woche alt, der jünßste Staat der Er-e, und steht daher noch nicht so recht fest auf seinen Beinen. Auch ist es noch zweifelhaft, ob seine älteren Ge schwister ihn al» gleichberechtigten Genossen in ihren Kreis aufnehmen werden, oder ob ihm nur ein EintagSdasein »u führen bestimmt ist. Aber ein höchst interessanter Fleck Erde bleibt er auf alle Fälle, und eine große Znknnift steht ihn immer bevor. Hier werden sich einst die Flotten dcr ganze« Welt begegnen und ein mächtiger Strom von Waren und Menschen wird sich hier sein Bett bahnen. Vergessen werden dann die Tausende von Menschenleben sein, -ie die Vorbereitung dieses neuen Verkehrsweges ge kostet hat, die Tausende von Millionen, die man ihm hat opfern müssen, die Tausende von Schicksalen, die durch ihn vernichtet worben sind. Denn der jüngste Staat der Erde, von dem wir sprechen, ist das bisherige coluinbischc De partaments Jstmo ober der Staat Panama. Wie einen Finger reckte Columbien dies Departaments gegen den Norden aus. Bei der Liquidation der großen spanischen Kolontalmasse Neu-Granada fiel ihm dieser süd lichste Teil der zcntralamerikanischcn Landbrücke zu, die Landenge von Darien und der JsthmnS von Panama selbst — Gebiete, die mit dem eigentlichen Körper des Staates Columbien kaum znsammeuhängen. Vergegenwärtigt man sich allein den Umstand, daß Columbiens Hauptstadt Bo gota eine Binnenstabt ttef im Innern de» Lande» ist, von der man wochenlang an die Küste reist, so wird man er messen, baß Panama, von zwei Meeren bespült und ganz aus sie angewiesen, von der Landeshauptstadt aber gleich sam durch eine Welt getrennt, mit dem Organismus des Staates Columbien kaum etwas zu schaffen hat. Auch seine geschichtlich, Stellung ist bnrchau» eigenartig. An dieser Küste vermutete und suchte schon Columbus die von ihm vorausgesetzte direkte Verbindung -wischen den beiden Ozeanen. Die „indische Durchfahrt" war ein Problem, das lange Zeit da» Interesse der Kolonisatoren in An- sprach nahm, besonder» nachdem der kühne Balbao am 25. September des Jahres 1518, 25 Tage nachdem er von der Küste -e» Atlanttschen Ozean« ««'gebrochen war, den Großen Ozean zuerst erblickt und so den Beweis geführt hatte, daß die beiden Weltmeere sich hter nahe entgegen kommen. ES dauerte geraum« Zeit, bi» man bi« Chimäre »mr indischen Durchfahrt pre,»aab und sich mit dem Ge danken versöhnte, baß erst 40 Grab südlicher in der von «a-sttaa entdeckten Straße die beiden Ozeane sich b«. rühren. Nach dem Projekte der Durchfahrt trat dann das der Durchstechung dcr Landenge zwischen -en beiden Meeren aus die Tagesordnung. Welches Schicksal dieses Projekt noch in der neuesten Zett gehabt, und wie es jetzt zu der jüngsten Revolution in Panama geführt hat, das steht noch vor aller Augen. Sv reich, verschwenderisch reich, dieses Land auch ist, mrr um des Kanals willen hat doch die Menschheit daran ein Interesse genommen. Eine Eisenbahn überbrückt seit 1855 den Isthmus, deren große Tage damals waren, als das Goldfieber in Kalifornien auSbrach und ein unermeßlicher Meuschenstrom a>ff diesem Wege nach dem gelobten neuen Lande zog; denn noch gab es in den Vereinigten Staaten keine pacifischc Eisenbahn. Damals hatte auch Colon seine goldenen Tage, — Colon, der östliche Ausgangspunkt dcr Bahn; wenn man goldene Tage die nennen darf, da sich der AuSwurf dreier Rassen, der weißen, der gelben und der schwarzen, hter zeitweilig zusammenfand, da jede Baracke zugleich Gasthaus und Schlupfwinkel war, da die Stadt den Schauplatz der an stößigsten Orgien und der wildesten Straßenkämpfe bildete. Heute ist von alledem in Colon nichts mehr zu merken. Reizend sieht es aus, wenn man es von der So« zuerst zu Gesichte bekommt: die weißen Häuser von Kokospalmen überragt, die Ebenen von üppigen Waldungen besetzt, und im Hintergründe Hügel und Höhen, die das Bild malerisch abschließen. Freilich, wenn man dann die Stadt selbst kennen lernt, so bleibt von dem günstigen Eindrücke nicht viel übrig. Das Fremdenauartier oder der Stadtteil der Franzosen ist zwar recht gesund und sauber angelegt, und Front Street, die Hauptstraße dcr Stadt, macht noch einen leidlich gefälligen Eindruck; aber der Rest ist Verkommen heit und Schmutz. Di« Ncgerstadt ist eine Art Kistenstadt; aus Seifen, oder Koanak- oder Wermuthkjsten hat man sich hier notdürftig die Häuser zusammengeschlagen; bak Amt der Ztraßenreinigung verwaltet, so gut eS da» eben kann, das liebe Vieh, ebenso wie in -en z»nn Meere führenden Kanälen die Alligatoren die Ganitätspolizei anSüben. Colons Bed«ntung beruht eben nur auf seiner Stellung als Kopfstation dcr Bahn und künftighin des Kanals. Verfolgen wir diese Bahn, so sehen wir uns bald mitten in die reichsten Bilder der tropischen Vegetation versetzt. Der Tropenwald tritt seine Herrschaft an, dieser Tropenwald, der den Reichtum deS Landes bilden müßte un- der doch entweder kaum, oder aber mit sträflicher Ver schwendung auSgenutzt wird. Wett und breit bedeckt dieser dichte Wald die Hügel und nur die Ebenen tragen manch mal den Prärie-llharakter. Kakao-Bäume, Palmen, und Brotbäume geben dem Walde den Charakter, ans dem Feuchten Boden schießen in üppiger Pracht rclchsarblge Wasserpflanzen hervor, gswalt'ge Lianen bekränzen die Bänme, prachtvoll gefieberte Vögel, schreiende Affen nnd kreischende Papageien beleben den Valb. Ader die An- sänge einer wirklichen vodenknltnr bemerkt man nnr hier und da; und wenn auf einer der bedeutenderen Stationen eine Schar schreiender Frauen den Zug umringt und den Reisenden ihre Ei«r, ihr Brot und ihre Bananen anbietet, so fordern sie für diese Preise, die in einem lächerlichen Gegensätze zu dem natürlichen Reichtume des Landes stehen. Die Tage freilich sind doch vorüber, wo die Gold gräber, oder die es werden wollten, ein Ei bis zu fünf Franken bezahlen mußten. Ein herrlicher Blick bietet sich den Reisenden kurz vor -em Ende der Fahrt. Die schönen Formen des Ancon heben sich in kühnen Linien von dem dunklen Blau -es Meeres und -es die See noch überstrahlenden Himmels ab; dies Meer ist der Große Ozean, das Ziel der Sehnsucht der Konquistadoren, und die Stadt, die sich am Kuße des Ancon dehnt, ist Panama, des Landes Hauptstadt, die be sonders aus der Entfernung noch heute den Eindruck einer gewaltigen Stadt macht, da ihr ihre imponierenden Ruinen einen grandiosen Zug geben. Das ist wieder eine der Stätten, wo sich die moderne Kultur vor der alten schämen muß. Wenn man die Ruinen von San Domingo, wenn man di« zyklopischen, heute verfallenen Mauern der Stadt betrachtet, so muß man Respekt vor den spanischen Kolonisatoren bekommen, die hier, wia überall ihren Gründungen den Zug ernster Größe aufzuprägeu ver standen. Nnd sind auch die Klöster, sind die Mauern ver fallen, so geben sic doch der Stadt jenen ehrwürdigen Stil geschichtlichen Lebens, der uns «ine Stadt wert macht. Ver brannt, erobert, zerstört, hat sich Panama, schon bei den Indianern ein Mittelpunkt des Landes, immer wieder aus den Ruinen erhoben; und wenn endlich das große W«rk vollendet un- der Atlantische dem Großen Ozean zugesührt sein wird, so wird «ine neue große Zett,'ür die Stadt anbrechen. Sie ist eine von denen, die nun einmal pi-an-I nir haben und behalten. Die heutige Be deutung des Platzes erklärt eS, daß sich eine ziemlich zahl reiche Fremdenkvlonie hter gebildet hat, deren Mitglieder, wenn sie sich nicht auf den hübschen Haciendas der Um gebung aiVbalten, sich durch allerlei Sport oder im Kaffee hause oder beim Jeu, so gut eS eben angeht, unterhalten. Die cinheimiiche Bevölkerung aber wird hier, wie im ganzen Lande, durch die Kreuzungen der verschiedensten Rassen bestimmt. Weiße, Neger, Indianer und zn einem geringen Teile sogar Chinesen haben sich hier miteinander gemacht. Im ganzen ist die Bevölkerung von Panama freundlich nnd gefällig, aber faul ist sie zugleich nnd immer geneigt zu Revolution. Sin Intrigant, den eS gelüstet, ein« Rolle zu spielen, genügt, um eine StaatSumwälzung herbeizu'tthren: nnd bann sind alle Partetnamcn nur leerer Schall — die Farbe entscheidet über die Ansichten. Und diese Charakterzüge der Panamiten findet man auch im ganzen übriaen Lande wieder. Ueberall findet man bet der heimischen Bevölkerung jene unausrottbare Trägheit, die wohl darauf zurückzusühren ist, baß di« Matur hier den Menschen gar wenig an Arbe't zumutet. Seine Nahrung wächst ihm förmlich in den Mund, zur Kleidung bietet sie ihm das Nötige und eine Hütte, wie er sie braucht, ist in wenigen Tagen -usammengeschiagen. Und ebenso findet sich selbst in -em abgelegenen Klecken von Darien dieselbe Sucht zur politischen Intrige wieder, wie in dcr Hauptstadt. Ueberall gibt e» zahlreiche Parteien, die einander mit großem Pathos und Eifer bekämpfen. Unter diesen Umständen liegen die Reichtümer deS Lande» brach. Seine geologischen Schätze scheinen außerordentlich groß zu sein; die Goldminen von Cana in Darien sind altde- rühmt und haben freilich dem Lande insofern keinen Segen gebracht, als sie die Begehrlichkeit der Flibustier anzogen, die das Land heimsuchten und verwüstet««. Die Kaut- schukgewinnung in den Wäldern sicht infolge des leicht fertigen RaubbetriebcS ihrem Ende entgegen. Die Wurzel all dieser Nebel ist die mangelnde Arbeitskraft der ein heimischen Bevölkerung. Der träge Darier opfert dem Trünke alle»; seinem Anisado zuliebe verzichtet er auf das Essen und im Trünke wirb er dann händelsüchtig und ge walttätig. Ihre Leichtfertigkeit gibt sie in die Hände der Kaufleute von Panama und von Cartagena. Was sie ver dienen, ist sogleich auSgcgeben, und mehr als daS; immer stecken sie in Schulden, und um daraus einigermaßen her- anSznkommen, verdingen sie sich bei den Kaufleuten als Mozos, die Kautschuk oder auch die Tagua-Nuß suchen. Damit haben sie sich in die Sklaverei begeben, wenn auch allerdings in eine äußerlich milde und nicht drückende Sklaverei. Noch gibt c- einige Jnbiancrstämme, die fast unabhängig sind und deren Verhältnis zu den Frauen bemerkenswert ist. Sie leben nämlich in Vielweiberei, bauen aber jeder Frau eine eigene Hütte und sollen sich durch gute Behandlung der Frauen auSzeichnen. Tat sache ist, daß in ganz Darien die Frauen im allgemeinen eine relativ günstige Stellung einnehmcn. Hier liegt den Frauen nicht die schwere Bürde dcr FeldarSeir ob; nie sieht man eine Fruu Lasten tragen oder eine Piroge rudern. Nur die Küche, die Wäsche und die Versorgung der Kinder bildet ihr Geschält. Im übrigen fehlt es unter diesen Frauen nicht an schönen Srschesnnngen, allein sie werben zeitig alt und verbraucht. Sie baden eine wahre Leiden schaft ihr den Tabak und halten dabei die Cigarre mit dem brennenden Ende im Munde, indem sie behaupten, daß man allein ans diese Weise den Geschmack de» TadakS wahr haft genieße. Der Kanal wird gebaut werden lder von Panama nämlich, nm Mißverständnisse zu vermeidens, und mit ihm wird die Kultur eine Furche durch die« Land ziehen. Ader wirb sie weiter dringen? Wird der neue Staat, abweichend von den üblen Gewohnheiten seiner Nachbarn, wirklich versuchen, ein Kulturstaat zn werden? Große Reich- tlimer harren hier d«r Hebung, allein nur ein »ewalttqer nnd unerschütterlicher Wille wird Macht über sie gewinnen. Soll c» der Yankee sein, dem diese Beute zufällt?
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