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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.11.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031120026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903112002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903112002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-11
- Tag1903-11-20
- Monat1903-11
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Wie falsch diese Ansicht sei, ergebe sich aus dem Resultate ter Ersatzwahl, die im Reichstagswahlkreise Mittweida für den von seinem Mandate zurückgetretenen Göhre vor genommen werden mußte. „Diese Wahl war eine unmittelbare Folge der Dresde ner Zänkereien und vermöge der begleitenden Umstände be sonder« al« Prüfstein geeignet, wie weit der häusliche Krieg den Elan der Sozialdemokratie geschwächt, ihren Zu sammenhalt gelockert haben könnte. Göhre hatte den Wahlkreis am 16. Juni von den Ordnungsparteien erobert. Da er ausge sprochenster „Revisionist" ist, so lag die Vermutung nahe, daher hauptsächlich dieser feiner Eigenschaft seine große Stimmenzahl — er hatte vor dem nationalliberalen Gegner beinahe 8000 Stimmen Vorau« — zu verdanken habe. Wurde statt seiner jetzt, wie nach Dresden nicht anders zu erwarten war, ein waschechter Anti. revisionist aufgestellt, so schien, zumal die betreffende Wählerschaft auch noch nach dem Parteitage den materiellen Standpunkt Göhres gebilligt hatte, die Möglichkeit, wenn nicht einer Spaltung, so doch eine« entscheidenden Rückgangs der sozialdemokratischen Stimmen nicht ausgeschloffen. Auf der anderen Seite waren die Ordnungsparteien in der Lage, den im Kamps bereits ervrobten nationalliberalen Kandidaten wieder aufzustellen und andere tüchtige Kräfte zu seiner Unterstützung in« Feuer zu schicken. Kurz, man gab sich in den bürger lichen Kreisen den besten Hoffnungen auf Rückgewinnung des Wahl kreise« hin. Aber der neue sozialdemokratische Kandidat hat ihn mit 16040 gegen 10517 Stimmen behauptet. Freilich, die sozial- demokratische Stimmziffer ist gegen den 16. Juni um 3230 zurück- gegangen. Da- ist jedoch nach dem bereits Gesagten um so weniger auffallend, al« der ehemalige Theologe und auch jetzt noch das religiöse Moment gern betonende „Genosse" Göhre wohl wie kein anderer geeignet gewesen war, zahlreiche Mitläufer heranzuziehen, die für einen korrekten Adepten des Atheisten Bebel nimmermehr zu haben wären. Aber auch der nationalltberale Kandidat hat gegen den Juni 2371 Stimmen eingcbüht. Bedenkt man, daß die Nationalliberalen schon vor 5 Jahren 2350 Stimmen mehr aufge bracht hatten, so sieht man, dah der jetzige Stimmenrückgang auf beiden Seiten zum großen Teile auf Rechnung der Wahl Müdig keit zu setzen ist, die notwendig cintrcten muß, wenn dieselbe Wählerschaft in demselben Jahre erst zur Reichstagswahl, dann zur Landtagswahl, endlich wieder zur Reichstagswahl berufen wird. Genug, die Wahl von Mittweida beweist, daß ein Abflauen der sozialdemokratischen Bewegung infolge der terroristischen Hcrvor- kehrung de« orthodoxen Parteistandpunktes nicht eingetreten ist." Wir möchten dieser Auflassung gern entgegentreten und gern den Nachweis führen, daß ein Abflauen der sozial demokratischen Bewegung wenigstens in Sachsen oder auch nur im Reichslagswahlkreise Mittweida bemerkbar sei; aber es fehlen uns leider alle Beweismittel. Wir müssen vielmehr daraus, daß der Reichstagsabgeordnete Patzig in dem Wahlkreise dem Abgeordneten Bebel so kräftig entgegen trat und ihm seine Schuld an dem Rücktritte GöbreS so schlagend nackwieS, ohne bei den früheren Anhängern Göhre« etwas andere« als wüste« Gebrüll zu erreichen, den Schluß ziehen, daß die Dresdener Tage den KampfcSeifer der „Genossen" und ihre Geschlossenheit gegenüber ihren bürgerlichen Gegnern nicht vermindert haben nnd daß die Einbuße an sozialdemokratischen Stimmen bei der Mitt weidaer Ersatzwahl auf dieselben Ursachen zurückzuführen ist, welche die Einbuße an bürgerlichen Stimmen Herbeigeführt haben. Um so mehr müssen wir dem Bcrfasser beistimmen, wenn er über den Mißerfolg der Sozialdemokratie bei den preußischen Landtagswahlen sagt: „Wer das preußische Wahl system nnd die bei ter Durchführung desselben in Betracht kommenden Berhältnisse einigermaßen kennt, konnte sich keinem Zweifel darüber hingeben, daß die Sozialdemokratie aus eigener Kraft schwerlich auch nur ein einziges Ab- geordneleumantat erringen werde. Darüber haben sich auch die sozialdemokratischen Führer nicht getäuscht. Warum haben sie trotzdem diesen Waklscld^ug unternommen? Ledig lick weil er ihnen durch einen lunchten PartcitagSbeschluß auferlegt war. Man erinnert sich, wie Liebknecht und Singer den Gedanken der Beteiligung an den preußischen Landtags wahlen jahrelang auf Tod und Leben bekämpft haben. Bebel seinerseits war, wie gewöhnlich, bald dafür, bald dagegen. Schließlich, als es galt, sich die Bernsteinscste Meuterei vom Halse zu halten, bequemte man sich, der revisionistischen Rich tung wenigstens diesen Brocken hinzuwerfen. Der Plan der Revisionisten war, Arm in Arm mit den Liberalen die „Reaktion", das „altpreußische Junkertum" niederzuwerfen, in der Hoffnung, daß, wenn dies gelungen sei, es der Sozial demokratie ein Leichtes sein werde, sich auch dem Liberalismus gegenüber zur Herrin der Lage zu machen. Der Plan war gut ausgedacht; schade nur, daß Herr Singer die Klausel durch setzte, es dürfe grundsätzlich nur für sozialdemokratische Wahl männer gestimmt und bei den Abgeordnetenwahlen mit den Liberalen nur unter der Bedingung vollster Gegenseitigkeit ru- sammengegangen werden. Damit war der Plan tatsächlich durchkreuzt. Kein nüchterner Kenner und Beurteiler de« liberalen Bürgertums konnte glaud-m, daß mehrere Hundes Wahlmänner sich plötzlich kommandieren lassen würden, statt des ihrer Parteifarbe angehörenden bisherigen oder nun in Aussicht genommenen Abgeordneten einen Sozialdemo kraten zu wählen. Ob es wirklich nennenswerte Politiker im sozialdemokratischen Lager gibt, die ernsthaft ge glaubt haben, durch ihre bramarbasierenden Einschüchterungs versuche die Liberalen auf ihren Leim locken zu können? ES ist schwer zu glauben. Vielmehr ist das Wahrscheinlichste, daß die sozialdemokratische Parteileitung sich über das bevor stehende Fiasko nicht getäuscht hat. Aber was war zu machen? Die revisionistische Suppe, die man sich einmal hatte einbrocken lassen, mußte ausgegessen werden. Und der orthodoxe Radikalismus in der Partei hatte immerhin die Genugtuung, daß die Kluft zwischen der Sozialdemokratie und dem Liberalismus abermals ein gut Stück vertieft wurde." Weitere Folgen wird diese Episode nicht haben. Insbesondere bedeutet sie nichts für die Position der Sozialdemokratie im Reiche." Sin Mnstercrcmplar von einem Abgeordneten wird voraussichtlich der preußische Landtagswahlkreis Alten kirchen-Neuwied in das Abgeordnetenhaus entsenden. Es ist der evangelische Pfarrer Heckenroth, der noch vor kurzem das Zentrum als den Todfeind des Protestantis mus bezeichnete, jetzt aber, um sich daS Mandat zu sichern, einen schriftlichen Pakt mrt dem Zentrum dahin abgeschlossen hat, daß er und 28 hinter ihm stehende n i ch t ultramontanc Wahlmänner für das Zentrum und dieses für ihn, den evangelischen Pfarrer, stimmen wird. Die „Köln. Ztg." macht über Viesen Pakt, der am Montag auf einer in Siegburg abgehalrenen Zusammenkunft zum Abschlüsse kam, genaue Angaben. Nach diesen ist der Preis, den Heckenroth zu zahlen hat, der, daß er in der Schul frage mit dem Zentrum stimmt. Das ist um so auffälliger, als da Pfarrer Hecken roth fick zwar früher als den eifrigsten Verfechter des Zedlitz- scheu Schulgesetzes ausgcspielt hat, dann aber vor wenigen Wochen, als er Anschluß an die vereinigten Nationalliberalen und Freikonservativen suchte, dem einen Vertreter dieser Parteien erklärte, er habe jenen Standpunkt verlaßen, er gehöre der gemäßigten konservativen Parteirichtung an und werde gegebenenfalls sogar unter Austritt ans der konservativen Partei gegen ein derartiges Gesetz stimmen. Nachdem er einem anderen Vertreter jener Parteien sogar noch die überraschende Mitteilung gemacht hatte, er stehe vollständig auf dem Boden des national liberalen Parteiprogramms, macht er jetzt dem Zentrum dieses Zugeständnis! Hinzugefügt sei noch, daß im Kreise Neu wied-Altenkirchen 286 nichtultramontane und 268 ultra montane Wahlmänner gewählt sind. Wenn also die 28 Wahlmänner für Heckenroth absallen, so wird sich die Ab stimmung, da beide Abgeordnete zugleich genannt werden müssen, folgendermaßen gestalten: Zentrumsliste: Zentrums kandidat 268, Heckenroth (Z. u. Anhänger HeckenrothS) 286 Stimmen. Liste der Nicht - Ultramontanen: Osthaus (nl.) 258, Weverbusch (frk., Kanalfreund) 258 Stimmen. Hecken, othsche Liste: Heckenroth 28, Zentrumskandidat 28 Stimmen. Da die absolute Mehrheit 278 Stimmen be trägt, so würde — unter der Voraussetzung, daß der schmach volle Pakt zwischen dem evangelischen Pfarrer und dem Zentrum aufrecht erhalten bleibt — Pfarrer Heckenroth durch das Zentrum gleich im ersten Wahlgange mit 286 Stimmen gewählt werden. — ES kann natürlich nicht über raschen, daß im Wahlkreise Altenkirchen-Neuwied unter den Mitgliedern des Evangelischen Bundes, dem auch der Herr Pfarrer angehört, eine Eingabe an den Bund im Um lauf ist, in der die Ausschließung HeckenrothS gefordert wird, widrigenfalls die Unterzeichner ihren eigenen Austritt er klären würden. Frankreich und der Vatikan. Man schreibt uns aus Paris: Man hält hier an der Annahme fest, daß die Anwesenheit des Kardtnalerzbtschofs Richard in Nom auf die Beziehungen zwischen Frank reich und dem heiligen Stuhle Einfluß nehmen könne. Man betrachte es als wahrscheinlich, der Zweck der Reise des Kardinals sei, dem Papste Pius X., sowie dem Staats sekretär MerrydelBal Aufklärungen über die innere politische Lage in Frankreich zu geben. Bekanntlich ist dem Kardinalerzbiichos Lecot von Bordeaux die Ab sicht zugcschrieben worden, dem Papste die Gründe zur Kenntnis zu bringen, welche dasür sprächen, daß der Präsident der französischen Republik an läßlich seines Aufenthaltes in Rom im Vatikan em pfangen werde. Da nun dieser Plan fallen gelassen wurde, dränge sich die Vermutung auf, daß der Kardinal- erzbi'chof von Paris es übernommen habe, dem Vatikan die Wünsche und Anschauungen des französischen Epi skopats zu übermitteln. Außer der Frage des „nobis nominavir" im Texte der Jnvestitionsbullen -er franzö- 97. Jahrgang. fischen Bischöfe müssen für den französischen Kircbenftirsten noch mehrere wichtige Angelegenheiten den ltzegenstan- von Auseinandersetzungen tm Vatikan bilden: die Hal tung des französischen Klerus unter den gegenwärtigen Verhältnissen,' die Stellung der Kirche gegenüber dem Problem derTrcnnungvomStaat«; das von -em heiligen Stuhl beanspruchte Recht, daß der Ernennung aller Bischöfe die Verständigung zwischen der Regierung und dem heiligen Stuhle vorauzugehen habe: das Pro- tektorat über die Missionen im äußersten Ostenr der Besuch des Präsidenten der französischen Re publik. Man meint, daß der Standpunkt de- Kardinal erzbischofs Richard nicht ohne Wirkung auf die in diesen Fragen zu treffenden Entscheidungen bleiben und daß dieser Einfluß sich tm Sinne einer langsam vorgehenden nnd zu Entgegenkommen geneigten Politik geltend machen werde. Die Lage irr Südafrika. Sowohl die englische Regierung, als auch Lord Milner, der Gouverneur von Transvaal, hatten mit großer Spannung dem AuSgangc der Wahlen in -er Kap- kolonic entgcgengesehen. Nach der Besiegung der Boerenrepubliken war die holländische Äfri- kanderpartei -er Kapkolonte wieder da- stärkste Bollwerk des südafrikanischen Boerenel-ementS geworden. Dem Engländertume kam es daher vor allem darauf an, dem Afrikanderbond die Mehrheit tm Kapparlamente zu entreißen, um dann mit einer gefügigen Parlamentsmehr heit derartige ,Meformen" durchzuführen, welche die niederdeutsche Bevölkerung des Kaplanbcs für immer zur politischen Ohnmacht verurteilen sollten. Dieser Plan ist jedoch nunmehr gescheitert: denn im neuen Parlament wird der Bond abermals die Mehrheit haben. Die erste Folge des boerischen Wahlsieges kommt in der Stellungnahme der englischen Regierung gegenüber der Einführung chinesischer Arbeiter nach den Gold minen Transvaals zur Erscheinung. Die „Arbeiter- kommission", welche mit der Mtnenkammer in Johannes burg ziemlich gleichbedeutend ist, hat schon seit längerem ihren Bericht über die Lage des Minenmarktes fertig, gestellt und darin klipp und klar erklärt: „Ohne chinesische Arbeiter gibt es keine Goldminenindustrie mehr". Die Londoner City, ebenso wie Chamberlain, Balfour und Milner haben längst die Einführung der Kulis nach Süd- afrika gutgeheißen; aber die Boeren wollten ihr Vater land nicht durch «das Chinesentum verseuchen lassen, und aus Furcht vor den Boeren hatte man bisher gezögert, die Erlaubnis zur Chinesenetnwanderung zu g«bcn. Erst sollte wenigstens die Bond-Mehrheit tm Kapparlament be seitigt werden, da diese die denkbar schärfste Verwahrung gegen die Kulizufuhr in Gestalt eines Ein wande rn ngsgesctzes ausgesprochen bat, welche- nicht nur die Chinesen, sondern auch die farbigen Indier aus der Kaplolvnic ausschließt. Man darf daher mit -Spannung dem entgegensetzen, was die englische Regierung jetzt tum wird. Die Minenkammer ist bereit- zu offenen Drohungen übergegangen. In einem neuen Rund schreiben sagt sie: Ohne die Goldminen ist Transvaal für England wirtschaft, lich wertlos. (!) Ohne die Abgaben, welche die Minen dem Staat« liefern sollen, ist nicht nur nicht an eine Rückzahlung der Krieg-kosten -u denken, sondern cs kann nicht einmal di« Verwaltung der neuen Kolonie bezahlt werden. Sollte daher die Regierung aus Rücksichtnahme auf irgend welche kurzsichtige Politiker Feuilleton. Ebbe und Flut. 1f Eine Gtrandnovelle von A. Schoebel. ',0 PI UI v?rb^ten. Brausend fegte der Sturm über die flache Küste und jagte die sich überstürzenden Wellen rauschend an den Strand des kleinen belgischem Badeortes. Spielend wühlte er in dem weißen Schaume nnd trieb die großen, losge lösten Flocken wie leichtbeschwingte, kleine Vögelchen weit hin über den Hellen Sand. Die Badekarrcn waren vorsorglich bis an die schützende Mauer des steingepflasterten ciißuo gezogen, nur eine einzelne stand, wie vergessen, näher an der See. Lange konnte es nicht mehr dauern, dann wurde sie von der steigendem Flut erreicht. Noch regnete eS nicht, aber dunkel und schwer hingen die Wolken hernieder und ver- schwammen am Horizont mit den grauen Fluten. Der sonst so belebte Strand war heute ganz öde; von -en Badegästen ließ sich niemand sehen. Bet solchem Wetter war eS ihnen wohl behaglicher in den Glasräumen der Hotel-Restaurants, wo mau bequem bet einem Glase Wein den Aufruhr der Elemente beobachten konnte, ohne sich vom Sturm bis auf die Knochen durchpusten «nb die Haare zausen zu lassen. Nur auf einem der seitlich von den Hotels liegenden, gewölbt gepflasterten Mellenibrecher, die schmal und lang in die See hinauSlaufen, stand eine schlanke, in einen enganliegenden Mantel gehüllte, weibliche Gestalt. Die Helle Strandmütze war tief in das blaffe, schmale Siesicht de- jungen Mädchens gezogen, dessen wettgeöf>ete, ernste Augen mit sonderbarem Ausdruck tn die schäumen den Fluten starrten. ES war kein ungefährlicher Platz. Der Stnrm zerrte an ihren Kleidern, und sie mußte sich fest gegen ihn anstemmen, um nicht fortgeweht zu werde»; aber sie lieb sich nicht vertreiben, wenn auch die keck über die Steine gleitenden Wellen sie immer wieder nm einige Schritte zurück-rängten. — Da brach die «nkeudc Sonne blutigrot durchVincn Riß In den tiefgehenden Wolken und überhauchte daif Antlitz der Einsamen mit fahl - rötlichem S- »ar eiz eigentümliche-, auf -en ersten Blick geradezu unschönes Gesicht; besonders gaben die starken, fast zusammengewachsenen, dunkeln Augenbrauen tm Ver- ein mit den tiefen, grauen Augen ihm einen düstern, bei- nahe finstern Ausdruck, der nicht im Eitwklang stand mit der jugendlichen Erscheinung. Sie stand vornübergebeugt, dem Sturm entgegen, die Lippen leicht geöffnet, als söge sie durstig den feuchten, kühlen Hauch ein, der ihr prickelnd die Wangen näßte, und beobachtete das wunderbare Farbensptel auf den rollenden, sich hoch aufbäumenden und wieder zufammewsinkenden Wogen. Dann folgten ihre Blicke sehnsüchtig dem Spiel der Möven, wie sie sich eine Weile mit ansgebretteten, weißen Schwingen vom Sturme wiegen ließen, plötzlich auf die Wellen hinunter- schossen, sodaß sie in die schäumenden Kämme zu tauchen schienen, und gleich darauf wieder ihr Spiel in den Lüften fortsetzten. Ein Seufzer hob ihre Brust: „Ach, wer doch auch so leichtbeschwingt hinauf könnte, sich über das Alltägliche erheben und all die kleinlichen Sorgen und Schmerzen zurücklassen, die das Leben so schwer machen und die Seele bedrücken, daß sie ihre Flügel nicht frei entfalten kann!" Das sinnende Mädchen zuckte plötzlich zusammen und sprang behend ein Stück zurück. Eine Welle war ihr schäumend über die Füße gelaufen und hatte ihr selbst noch den Saun, des hochgehvbenen Kleides genetzt. Zu gleich glaubte sie, einen Ruf gehört zu haben und sah sich scheu um. Etwa die Mutter? .... Doch nichts war zu sehen ans dem ganzen glatten Strande, als die einzelne Badekabine, nicht weit hinter ihr. Wie kam sie auch nur auf den sonderbaren Gedanken, baß die Mutter aus Sorge um sie sich tn den Stnrm hinauswagcn würbe! Die hatte es wohl überhaupt nicht bemerkt, daß sie sich heimlich au» dem schwülen, heißen Hotelsaal voll lachender, schwatzender Menschen fortge- stohlcn hatte, um ihr einsames Herz in die einsame, groß artige Natur hinauszutragen. Die Mutter hatte ja Ellen, ihre schöne, älteste Tochter, was kümmerte sie da die häß liche, nnscheitwbare Hanna! Bitter verzog sich ihr Mund und heiß schoß es ihr in die Augen. Mein Gott, hatte sie denn immer noch nicht gelernt, sich daretn zn finden! ES mar nun doch einmal so, so weit sie zurückdenken konnte. Immer war die schöne S-Hwcster mit den blonden Locke», dem -artgefärbten Gesicht und den großen, dunkelblauen Augen der verhätschelte Liebling, der Abgott des Hause» gewesen, und sie mußte dankbar sein für einen kalten Kuß, eine flüchtige Liebkosung. Selbst der sonst so gütige und gerechte Vater hatte ihre leidenschaftlichen Zärtlich keiten -och auch nur geduldet, während sei-rre Augen auf leuchteten, wenn er seine blonde Else sah. Er war tot, schon seit Jahren, nnd mit ihm hatte sie den Einzigen ver loren, der ein Herz für sie gehabt hatte; denn der Mutter mar sie eine Last, das wußte sie, und der Schwester war sie gleichgültig. Wie hatte sie als Kind sich schon nach Liebe gesehnt, und wieviel mehr noch schrie ihr Herz danach jetzt, wo sie mit offenen Augen in die Welt sah und sich immer allein und einsam sand. Wieder jagte ein Windstoß ihr eine lange Welle ent gegen, vor der sie zurückweichen mußte, und abermals tönte ein Rick an ihr Ohr, aber diesmal deutlicher, sodaß sie sich erschrocken umschaute. Sie hatte sich -och allein ge glaubt; wer sprach den» nur zu thr? Da sah sie plötzlich aus der Kabine hervor einen jungen Mann in flatterndem Wettermantel auf sie zuetlen. Seine dunkeln Augen sahen sie sehr mißbilligend an, al» er ihr mit tadelnder Stimme zurief: „Das ist kein Wetter für junge Damen! Gehen Sie schnell tn» Hotel zurück, gleich kommt ein Guß!" Ein erstaunt abweisender Zug trat tn da» Gesicht des jungen Mädchens, sie zuckte, ohne zu antworten, mit den Schultern, als wollte sie sagen: „Was geht das Sie an!" und wendete sich wieder dem Meere zu. Doch als wollte der Himmel -em Warner recht geben, setzte ans einmal der Sturm mit verstärktem Toben ein, und zugleich fielen die ersten, schweren Tropfen. Kaum konnte sie sich arrf dem schmalen Damme halten, der plötzlich gau überflutet war. Bestürzt sah sie um sich und ließ es willen, los geschehen, daß der junge Mann ohne ein Wort zu ver. lieren, fest ihren Arm ergriff und sie die wenigen Schritte zn der noch trocken stehenden Kabine hinzog, ihr daS kleine Treppchen hinaickhalf und sie auf einan Stuhl schob, während er, die Kapuze seines Mantels über den Kopf ziehend, auf der Schwelle stehen blieb. Noch halb betäubt, sah sie sich um, und ihre Augen öffneten sich weit. Da» war ja ein ganzes, kleines Maleratelier, in dem sie sich befand! Dicht vor dem kleinen, seitlich angebrachten Fensterchen eine Staffelei, auf der eine halbfertige Skizze stand, und neben dem Malkasten, aus einem niedrigen Schemel, die achtlos hingcworfene Palette. Belustigt sah der Maler in ihr erstauntes Gesicht. Sie fing den Blick auf, und als besänne sie sich jetzt erst auf sich selbst, sagte st« leise: „Ich danke Ihnen!" „Ah, eine Larrd-männtn! desto bessert- Gei» Gesicht wurde wieder ernst. „Damr lassen Ste mich Ihnen auf gut Deutsch sagen, daß e» -um mindesten sehr unbe sonnen von Ihnen war, sich bet diesem Sturme da auf den Wellenbrecher zu stellen. Ich beobachte ste schon eine ganze Wetle. Nasse Füße haben Sie sich aus jeden Fall geholt, und wie leicht konnten sie umgerisse» und tn die See geweht werben!" „Das wäre auch noch nicht das Schlimmste gvwesen!" Der junge Mann sah sic befremdet an. „Haben Sic de-nm keine Angehörigen, die sich mn Ste ängstigen?" tn- qutrierte er weiter. — Ein wehmütige» Lächeln flog um ihre Mundwinkel; es entging ihm nicht, ebensowenig wie die scharfe, senkrechte Falte, die plötzlich -wischen den dunkeln Brauen erschien und da» junge Gesicht so merk würdig gereift und streng auSsehen ließ. „Beruhigen Sic sich; meine Mutter sorgt sich nicht!" antwortete sie kurz mit verschleierter Stimme. Ein mitleidiger Blick flog au» den bunkelw Augen deS Malers über sie hin. „Armes Kind!" sagte er unwill kürlich. Sie zuckte zusammen und die finstere Falte vertiefte sich. Wie kam sie nur dazu, sie, die sonst so verschlossene, diesem Fremden gleich in den ersten Minuten einen Ein- blick in ihre Slend zu geben! Sie tat, al» hätte sie seinen leisen Ausruf nicht gehört, und wie, um seine Aufmerk, samkeit von ihrer Person abzulenken, bemerkte ste leicht hin: „Der Guß scheint nachzulassen; ich glaube, ich kann jetzt nach Hause zurück!" Er warf einen prüfenden Blick zum Himmel. „Einen Augenblick müssen Sie sich schom. noch geduldenl Ist eS hier denn nicht gemütlich?" fügte er fröhlich hinzu, „solch ein Maleratelier haben Sie gewiß noch nicht betreten! Und dazu dies wunderbare Panorama. Ich habe di« See selten so großartig schön gesehen. Ste müssen doch auch Sinn dafür haben, sonst würben Sie sich wohl nicht bet diesem Wetter Herau»gewagt haben." — Ihre Augen leuchteten auf: „Ich liebe die Natur über alle»", sagte sie beinahe feierlich, „sic ist gütige'' und gerechter al- die Menschen, nnd spendet ihre Gaben an alle, ohne Unter- schieb der Person!" Forschend sah er sie an. Welch eine traurige Bitterkeit bei einem so jnngcn Geschöpf! Sie interessierte ihn, sie hatte so sprechende Augen. Eine Welle schlug klatschend über die unterste Stuf« -er Kabtn«. Hanna «rhob sich schleunigst, -och -er Maler wehrte lächelnd: harten Sie, -a- solle» Sie bequeme.
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