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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.11.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031121027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903112102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903112102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-11
- Tag1903-11-21
- Monat1903-11
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Nach den bi» jetzt vorliegenden Nachrichten über die Er gebnisse der preußischen Landtagswaklen bleibt die Negierung infolge deS Widerstandes der Liberalen gegen alle Lpaungen und Drohungen der Sozialdemokratie davor bewahct, sich im Abgeordnetenhause auch mit „Genossen" herumschlagen zu müssen. Nach den „Berl. Polit. Nachr." scheint die Regierung darüber besonders deshalb erfreut zu sein, weil die Sozialdemokratie Gegnerin der preußischen Ostmarkenpolitik ist und „demgemäß die Gründung der AusiedelungSkommission, die Einführung der Ostmarken zulage, die Erhöhung der Fonds zur Förderung der AusiedelungStätigkeit und alle sonstigen Maßnahmen der StaatSreaierung in dem öffentlichen Urteil herabzusetzen sucht". Wie bescheiden ist doch Graf Bülow, wenn er Genugtuung darüber empfindet, daß im preußischen Abgeord- netenhause kein „Genosse" den Versuch machen wirb, das Urteil de» Hauses über die Ostmarkenpolitik zu beeinflussen! Daß da» Zentrum, der mächtige Protektor des Polentums, uugeschwächt zurückkehrt, scheint ihm nicht die geringste Sorge zu machen. Die Polen selbst freilich verursachen ihm Un ruhe, denn — so schreiben die „Berl. Polit. Nachr." —: „ES kann für denjenigen, der die Verhältnisse in den Ost marken und die Ziele der allpolnischen Bewegung kennt, keinen Zweifel geben, daß nur mit den Mitteln, deren sich nach reiflicher Ueberlegung und nach sorgfältiger Prüfung der Sachlage die Regie rung bedient, der drohenden schweren Gefahr wirksam entgegen getreten werden kann. Es kommt aber darauf an, daß die Größe und Nähe der polnischen Gefahr auch den weitesten Kreisen des deutschen Volkes zum Bewußtsein gebracht wird, damit, wo es noch nicht der Fall sein sollte, gegen die deutschfeindliche polnische eine deutschnattonale antipolnische Bewegung sich erhebt und dauernd wirksam bleibt. Das Polentum ist nicht so schwach und kraftlos, als es scheinen möchte, wenn man die etwa 4 Millionen zählende Ostmarken- bevölteMng polnischer Zunge den 50 Millionen Deutschen gegenüber stellt. An unmittelbarer Nachbarschaft der gemischffprachigen deutschen Landesteile sind starke Bolksmasscn vorhanden, die polnisch sprechen, polnisch fühlen und den maßlosen politischen Ehrgeiz des Polen tums besitzen. Westpreußen und Posen aber, die deutschen Provinzen mit ihren zahlreichen polnischen BcvölkerungSelementen uud ihrer ungleich höheren Kultur, werden als der Herd jener allpolnischen Bestrebungen angesehen, von denen die Be wegung zur Einigung aller Polen ausgehen und die Organisation zur Wiederaufrichtung eines pol nischen Reiches geleitet werden soll. Das sind nicht Phantastereien oder grundlose Befürchtungen, sondern durch polnische Quellen belegte Tatsachen. So äußert sich der in Krakau erscheinende „Przeglad Wszechpolski" über die Aufgaben und Ziele der in lebhaftester Entwickelung begriffenen allpolnischen Bewegung: „Wir müssen anerkennen, daß das Schicksal aller polnischen Anteile im großen Maße davon abhängig ist, wie das pol nische Leben in unserem hinsichtlich der Bevölkerungsziffer größten, in nationaler Beziehung einheitlichsten und wohl habendsten Anteil sich entwickeln wird. Das Königreich Polen hat infolge seiner natürlichen Kräfte für das Volk eine größere Bedeutung als irgend ein anderer Anteil — es ist tatsächlich der Stamm des Volkes, der Mittelpunkt unserer nationalen Existenz." Zur Frage der „nationalen Politik in der nächsten Zukunft" schreibt das Blatt: „Im Interesse ganz Polens erachten wir es sür erforder lich, im Königreich eine starke Volksbewegung ins Leben zu rufen und dort Verhältnisse zu schaffen, welche die Entwicklung des nationalen Lebens möglich machen. Vor allen Dingen streben wir an: Die nationale Wiedergeburt aller Teile Polens, die Hebung der Streitkräfte des ganzen Volkes, die Vergrößerung seiner inneren Spann kraft und seine Ueberführung auf den Weg allseitiger Ex pansion usw." Daß das Polentum tatsächlich praktische politische Ziele ver folgt, dafür ist diese Erklärung ein unwiderleglicher Beweis. Die Parole heißt: „Getrennt marschieren und ver eint schlagen!" Ueberall, wo man polnisch spricht, soll die allpolnische Bewegung großgezogen und erhalten werden, sie soll von denjenigen Gebietsteilen, wo eine verhältnis mäßige Wohlhabenheit unter der polnischsprechenden Bevölkerung herrscht und die politische Einheitlichkeit bereits erstarkt ist, syste matisch befruchtet werden, damit es im gegebenen Zeitpunkte der Bewegung zur Vereinigung der jetzt getrennten Landesteile an starken und zuverlässigen Helfern nicht fehle. Angesichts dieser Sachlage ist es die Pflicht jeder Regierung, eine Be wegung einzudämmen, die, wenn man sie frei schalten und walten ließe, für drei europäische Monarchien eine Störung des Friedens herbeiführen müßte. Die preußische Regierung aber hat vollends Anspruch auf den Dank und die An erkennung Gesamt-Deutschlands, weil sie an ihrem Teile gegenüber der polnischen Gefahr das Erforderliche tut und dadurch sowohl dem russischen Nachbar als dem österreichischen Freunde die eigene Stellung gegenüber dein Polentum erleichtert." Oder sollte etwa diese Schilderung der von den Polen drohenden Gefahr gar nicht für die im neuen preußischen Abgeordnetenhause nicht vorhandenen Sozialdemokraten, sondern vielmehr sür das in .icser Körperschaft recht einfluß reiche Zentrum bestimmt und dieses nur deshalb als Adressat nicht genannt sein, um es nicht zu verstimmen? Das wäre freilich dem Zentrum gegenüber ein Ein geständnis der Schwäche. Aber darüber braucht man sich nicht eben zu wundern. Das ist seit Jahren mode geworden. Mit dem Zentrum steht die preußische Regierung auf dem Fuße des Händlers, der seine Wünsche und Forderungen direkt oder noch lieber indirekt bekannt gibt und auf ein Angebot wartet. So wird denn wohl auch in diesem Falle die Zentrumspresse sich sehr bald über seine Stellung zur Polenfrage vernehmen lassen. Und wenn, wie zu erwarten ist, diese Presse über die preußische Ostmarkenpolitik sich genau so äußern wird wie die sozialdemokratischen Blätter, nun, so schadet auch das nichts. Dann beginnen die Verhandlungen hinter den Kulissen und enden gewöhnlich damit, daß das Zentrum dafür, daß es eine Kleinigkeit von dem zugesteht, was von ihm verlangt wird, einen recht ansehnlichen Preis erhält. Preise, welche die Herzen der Ultramontanen locken, hat ja die preußische Regierung genug in der Tasche, auch wenn sie im BundeSrate die Abbröckelung des Jesuitengesetzes nicht er zwingt. Und die preußischen Konservativen sind ja im Ab geordnetenhause stark genug, um einen solchen Handel perfekt zu machen. Das Musterexemplar von einem Abgeordneten, von dem wir gestern an dieser Stelle berichteten, ist wirklich im Wahlkreise Altenkirchen-Neuwied gewählt und hat zum Danke dafür, daß ihm das Zentrum zu einem Mandate ver half, auch diesem eines zugewendet. Die Zentrumswähler, mit denen der bündlerijche evangelische Pfarrer Hecken- roth sein Bündnis geschlossen, stimmten geschlossen für ihn und dafür verhalfen die auf seinen Namen ver pflichteten bündlerischen Wahlmänner dem Zentrums kandidaten Knie zum Siege über die national liberalen Kandidaten. Herr Heckenroth, dessen Zugehörigkeit rum Evangelischen Bunde jedenfalls bald ihr Ende erreicht haben wird, wird ja wohl Hospitant des Zentrums werden und kann sich in dieser Eigenschaft an dem Handel um die Polenpolitik und an anderen eben so reinlichen wie für das Zentrum einträglichen Geschäften beteiligen. Daß ihn die „ Kreuz ztg." als Mitarbeiter erwerben wird, unterliegt wohl keinem Zweifel. Chamberlains Abschied vom Kolontalamtc gestaltete sich in Gegenwart der Generalvertreter der auto nomen Kolonien zu einer Apologie der kolonialen und fiskalischen Politik Englands, die unter seiner Amts führung in ihren Anschauungen und Zielen von Grund aus umgestaltet worden ist. Lord Strathcona, High Commissioner für Kanada, übernahm es als Doyen der Vertreter der Kolonien, die wichtigsten Ereignisse und Erfolge, an denen der ausgeschiedene Kolonialsekretär während seiner achtjährigen Amtsperiode Anteil gehabt hat, in einem kurzen Rückblicke zusammenzufassen. Er erinnerte an die Kon ferenzen der kolonialen Premierminister von 1897 und 1902, die Zeugnis ablcgten von dem engeren Zusammenwirken aller Teile des Reiches, an die Bildung der australischen Föde ration, die Einführung von Vorzugszöllen in Kanada und Südafrika, die Kündigung der Handelsverträge mit Deutschland und Belgien, den Bau des parisischen Kabels, die Einrichtung der Penny - Postbeförderung für ocu größeren Teil des Reiches, die Abschaffung der Zuckerprämien, die größere Sicherstellung der in kolonialen Unternehmungen angelegten Kapitalien und schließ lich an die Rundreise Chamberlains durch die afrikanischen Kolonien, in der die Fürsorge des Kolonialsekretärs für die seiner Leitung unterstellten Gliedstaaten des Reiches ihren Höhepunkt und Abschluß erhalten habe. Chamberlain betonte in seiner ausführlichen Erwiderung, daß er vom ersten Augenblick seiner Amtsführung an und in .jedem ferneren Zeitpunkte nach dem Grundsätze gehandelt habe, das Reich zu einen und alle Teile des Reiches in nähere, endgültig feststehende und organisch vollkommenere und leistungs- fähigere Beziehungen zu bringen. Dieser festere Zusammen schluß sei eine Lebensfrage für England. Ebenso wie das Mutterland bei vollkommener Isolierung ernster Gefahr aus gesetzt sei, hätten auch die selbständigen Kolonien, die mit ihrer schwachen Bevölkerung weder finanziell noch militärisch leistungsfähig genug seien, um ihre Position behaupten zu können, alle Ursache, einen engeren Anschluß an das Mutterland zu suchen und zu verwirklichen. Diese Bestrebungen, die er als natürlich und allein 97. Jahrgang. richtig bezeichnen müsse, zu fördern, habe er sich zur Aufgabe gestellt, und ob es sich um kleine oder große Interessen gehandelt habe, rr habe stets mit aller Energie und Sorgfalt sich ihrer angenommen, wenn nur das große, unverrückbare Ziel der ReichSeiuheit dadurch näher gebracht wurde. Des weiteren begründete Mr. Chamberlain die Notwendigkeit der Schaffung eines Reichsparlaments ohne exekutive und gesetz geberische Gewalt, eine Forderung, die mehrere autonome Kolonien als verfrüht bezeichnet haben. Immerhin glaubt der ausgeschiedene Kolonialsekretär einen achtenswerten Erfolg seiner Bemühungen darin zu erblicken, daß die Kolonien im letzten großen Kriege „imperialistischen Patriotismus" bewiesen und durch freiwillige Entsendung von Hülfskorps ihre Pflicht gegen das Mutterland erfüllt haben. Zu der aktuellen Frage derZoll- und Handelspolitik übergehend, erklärte Chamberlain, daß er ursprünglich die Durch führung des vollständigen Frechandels innerhalb der britischen Reichs grenzen, abgesehen von einigen Ausnahmefällen hinsichtlich der Berücksichtigung von Spezialartikeln und besonderen Verhältnissen, in Aussicht genommen hatte, daß aber dieses Vorhaben an dem Widerstande der Kolonien gescheitert sei. Er habe sich dann mit Vertretern der einzelnen Kolonien in Verbindung gesetzt, und diese hätten ihm den Weg seiner künftigen Politik gewiesen, indem sie zunächst in privaten Verhand lungen, dann auf der Londoner Konferenz ihre Bereitwilligkett zur Begünstigung der britischen Importe erklärten. Er sehe in dem bisher Erreichten eine sichere Gewähr für das Gelingen seines Unternehmens; er sei auch aus seiner Stellung, mit der große Arbeitslast, Verantwortung, Repräsentationspflichten usw. verbunden gewesen seien, ausgeschieden, um sich ganz der agitatorischen Tätig keit für seine Pläne widmen zu können. Er sei nach wie vor überzeugt, daß einzig und allein die von ihm empfohlene Politik die dauernde Prosperität und gedeihliche Entwicklung aller Teile des Reichs sicherstellen könne. Daß man in England die politische Laufbahn deS ehe maligen Kolonialsekretärs keineswegs als abgeschlossen ansieht und mit Sicherheit seine Rückkehr ins Kabinett erwartet, kam in dem Schlußwort Lord Strathconas zum Ausdruck, der vie Hoffnung aussprach, daß die Vertreter der Kolonien Gelegenheit haben möchten, den jetzt Ausgeschiedenen zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit beglückwünschen zu können und ihn in amtlicher Stellung sein großes Werk für die Größe des Reiches fortfetzen zu sehen. Deutschland und die makedonischen Wirre«. Es kommt nicht eben oft vor, daß die Haltung Deutsch lands gegenüber den Orientwirren in ter englischen Presse unbefangen gewürdigt wird. Daher verdient ein Brief der „Times" weitere Verbreitung, worin die Mitwirkung unserer Diplomatie zur Annahme der in Mürzsteg be schlossenen und in der letzten russisch, österreichischen Note aufgestellten Reformforderungen durch die Pforte ziem lich objektiv auseinandergesctzt ist. Es heißt dort, die von Deutschland dem Sultan bezeugte Freundlichkeit diene zur Sicherung seines Ansehens bei den Muselmanen und diese Bewahrung des Prestige mache es ihm leichter, den Wünschen der beiden Karsermächte nachzugeben. Die Deutschen betrachteten es als außerordentlich gefahrvoll für die Pforte, wenn sie bei ihrer ersten, im Grunde ab- Frililleton Ebbe und Flut. 2) Eine Strandnovelle von A. Sch oebel. 2!., : druck verboten. Hanna, die schon längst lag, hatte sic eine Weile beob achtet; nun hob sie mit kurzem Entschluß ihren dunkeln Kopf. „Ellen", sagte sie leise, aber mit scharfer Betonung, „kommt eS dir gar nicht entwürdigend vor, so auf den Männerfang auszugehcn? Hast du wirklich keinen anderen Lebenszweck, als eine möglichst glänzende Partie -u machen, gleichviel, wie der Betreffende ist, und wartest nun darauf, daß er die Gnade habe, dich zu wählen?" Die beiden Frauen fuhren auf. Ellen fühlte sich wohl getroffen, denn sie wurde rot bis unter die Haarwurzeln, aber ihre Augen sprühten, als sie gereizt erwiderte: „Wer hätte die Gnade? Ich doch nur, wenn ich ihn erhörte! Uebrigens geht dich das gar nichts an!" „Du bist wohl verrückt!" schalt die empörte Mutter -a- zpttfchen; „ich verbitte mir solche Redensarten; verwechsle Nicht Ellen mit dir!" Hanna vergrub den Kopf fest zwischen den Kiffen, um nur nichts mehr zu sehen und zu hören. Ach, noch ein ganze-, langes Jahr, ehe sie endlich so weit war, auf eigenen Füßen zu stehen, und aus dieser Umgebung heraus konnte, wo jedes Wort ihre innerste Empfindung verletzte. Vergebens hatte sie ihre Mutter gebeten, sie ruhig -u Hause in Köln zu lassen, aber ihr wurde die Antwort, das ginge nicht, der doppelte Haushalt wäre zu teuer gekommen, da dann auch das Mädchen nicht hätte nach Hause geschickt werden können. WaS Krau Gerhard ihr aber damals verschwiegen hatte und waS sie eben jetzt wieder ärgerlich erwog, war, daß der Hausarzt sie dringend darauf aufmerksam ge macht hatte, daß Hanna bei ihrem angestrengten Musik studium wenigstens während der Ferien einer Erholung bedürfe; und was hätten da wohl „die Leute" gesagt, wenn sie mit der blühenden, lebensstrotzendcn Ellen ins Bad gereift wäre und die blaffe, zarte Hanna zu Hause gelassen hätte. Lieber wäre ihr dies wohl schon gewesen, denn e- war wirklich nicht angenehm, diesen lebenden Vorwurf immer um sich zu haben. Gott sei Dank, daß Hauna die Marotte hatte, im nächsten Jahre, nach be standenem Examen, als Klavierlehrerin nach England zu gehen. Bis dahin war Ellen hoffentlich schon Frau van Damm, und sie konnte dann zu ihr ziehen. Am nächsten Morgen hatte sich der Sturm gelegt. Noch war zwar sehr hoher Seegang und die Wellen liefen schäumend weit auf den flachen Strand, aber ein blauer Himmel spannte sich darüber und die Sonne streute glitzernde Funken über die wogende Flut. Hanna saß am Strande,*sog in tiefen Zügen die be lebende, salzhaltige Luft ein und konnte sich nicht satt sehen. Wie das wogte und wallte, wie bis an den fernsten Horizont alles in Bewegung war, wie die grünen Wogen berge ankamen, sich überstürzten, wett über den Sand spülten und wie von unsichtbarer Macht wieder zurück gezogen wurden, Muscheln, Tang und allerlei kleines Secgeticr zurücklaffend, das zappelnd liegen blieb, wenn cs die nächste Welle nicht mitleidig wieder in sein nasses Clement zurückrolltc. Jauchzend liefen die Kinder, mit kleinen Eimern und Netzen bewaffnet, am Strande hin und her. Die Röckchen hoch aufgeschürzt, die braunen Beinchen nackt, so wagten sic sich den seichten Wellen nach, um ihnen ihre Beute wieder zu entreißen, frohlockende Rufe ausstoßend, wenn ihnen ein besonders großer See stern, eine Krabbe oder gar eine winzige Seezunge zum Opfer fiel, und vor Entzücken laut auskreischcnd, wenn eine schäumende Welle ihnen die Füße netzte. Hanna hatte zuerst unruhige Blicke um sich geworfen, aber als sie nur die gewohnten, ihr vollständig gleich gültigen Gesichter sah, schlug ihr Herz wieder gleich- mäßiger. War es das herrliche Wetter, war es die scheue Erwartung, ihr war heute einmal so leicht zu Mute, wie lange nicht. Ach, sic war ja noch jung, und das Leben doch schön, — trotz alledem! Neben ihr gruben zwei reizende kleine Mädclchcn eifrig eine Burg im Sande; die nächste Flut würde zwar ihr Werk wieder zerstören, aber das schadete nichts, dann fingen sic nachher wieder von vorn an. — Man hatte die kleinen Dinger praktischcrweise in kurze Höschen ge steckt; nur die langen, blonden Locken, die unter der drolligen, bunten Zipfelmütze hervor ihnen über die Schultern fielen, verrieten sie. Hanna sah eine Weile dem geschäftigen Treiben der beiden Geschöpfchcn zu, dann kniete sie auf einmal zwischen ihnen und half emsig Dämme ansschütten und den losen Sand zu einem Hügel in der Mitte türmen, auf den sie dann eine der jauchzenden, vor Vergnügen zappelnden Schwestern hob. — Die Kleinen ließen sie nicht mehr los; sie mußte sich zu ihnen in ihre Burg setzen und erzählen von -en Nixen und Seejungfrauen, dem Korallenschloß da unten im Meere und den Perlmuscheln. Eng nestelten sie sich an sie an, mit offenem Mäulchen und großen Augen lauschend. Als sie endlich geendet, seufzte das größere noch ganz verträumt auf: „Ach, das war schön!" Und das kleine Schwesterchen reckte sich, legte Hanna die weichen Arme um -en Hals und, sein frisches, rotes Mündchen auf ihre Wangen pressend, sagte es zärtlich: „Ich habe dich sehr lieb!" Heiß wallte es ihr vom Herzen auf und leidenschaftlich preßte sie das kleine süße Ding an sich. Sie ahnte nicht, daß gar nicht weit von ihr der mit heimlicher Erwartung gesuchte Maler mit einem Freunde stand und schon eine ganze Weile ihrer lieben, freund lichen Art und Weise zusah, während -er andere eifrig unter den Lawn-Tcnnis spielenden jungen Damen Um schau hielt. „Sich' doch, Kurt", sagte er endlich, „welch allerliebstes Genrebild: die reizenden Kinder dort mit der jungen Dame im Sande; weißt du, wer sie ist?" Kurt drehte sich schleunigst nach der Gruppe um, um dann enttäuscht, gleichgültig zu sagen: „Ach, das ist nnr die zweite Gerhard; was du an dem langweiligen, häß lichen Mädel sichst, möchte ich auch wissen!" „Erlaube", antwortete der Maler rasch, „ich finde sie durchaus nicht so häßlich! Das Mädchen hat ein schönes, sprechendes Auge, und der Ausdruck ihres Gesichts ist ein ganz aparter, interessanter!" „Na, höre 'mal, lieber Georg, wie willst du denn von hier auS ihre Augen erkennen? Ich weiß noch nicht ein mal, ob sie hell oder dunkel sind; eS hat sich mir noch nicht gelohnt, hineinzuschaucn. Da solltest du die Acltcste sehen, das ist ein reizendes Geschöpf! Wetter noch 'mal! Blond, rosig, mollig und immer vergnügt. Ich habe nie zwei größere Gegensätze gesehen, als diese beiden Schwestern!" „Kennst du die Familie?" fragte Georg. D „Ja, was man so kennen nennt, wenn man in der selben Stadt wohnt und sich hin und wieder in Gesell schaft siebt. Der Vater ist schon seit Jahren tot, war Rcgierungörat in Köln; sie sollen ein großes Haus ge macht haben. Die Frau sehr lebenslustig noch und ober flächlich; sie möchte gern ihre Töchter verheiraten, ist aber kein Vermögen da, sonst wäre die Acltcste wenigstens längst weg. Ein zu reizendes Mädel! Ich nähme sie gleich, wenn sie 'waS Hütte. AlS ich vor zwei Jahren nach Köln kam, verliebte ich mich natürlich sofort sterblich in sie, aber ein armer, unbesoldeter Assessor muß ver nünftig sein. Ja, wenn ich du wäre! Aber so! Sie hat hier übrigens ein paar Verehrer, vielleicht fängt die Alte einen davon ein!" Georg hörte unbehaglich dem leichtsinnigen Geplauder seines Freundes zu. „Und die andere?" fragte er, den beobachtenden Blick nicht von Hanna lassend. Nicht um die Welt hätte er seinem Gefährten sein kleines Abenteuer von gestern erzählt. „Ach, die andere", sagte der Assessor obenhin, „ich glaube, die ist so ein wenig das Aschenbrödel in der Familie; von der sicht und hört man nicht viel, was auch ganz klug von ihr ist, denn viel Furore wird sie wohl nirgends machen!" „Armes Kind!" dachte Georg wieder, und der bittere Zug, den er gestern in ihrem schmalen Gesicht gesehen, wunderte ihn nicht mehr. „Sie soll, glaube ich, Musik studieren", fuhr Kurt gleichgültig fort, „ich weiß eS aber nicht genau, interessiere mich auch nicht dafür. Uebrigens, wenn du willst, ich bin bekannt genug, dich vorzustellen, sage dir aber im voraus, viel mehr als ein „Ja" und „Nein" bekommst du von -cm wortkargen Geschöpf kaum zu hören." - „Komm!" sagte Georg kurz, beinahe ungeduldig. Hauna blickte auf, als ein Schatten vor sic auf den Sand fiel, und al- sie so plötzlich den Maler vor sich sah, überhauchte die momentane Verwirrung ihr blasses Ge sicht mit feiner Röte und machte ihre ernsten, grauen Augen weich und dunkel. „Donnerwetter, Georg hat nicht Unrecht!" dachte Kurt, „daS Mädel ist ja gar nicht so mordshätzlich, wie ich immer gedacht habe." „Gestatten Sie, mein gnädiges Fräulein", wandte er sich an Hanna, „daß ich Ihnen meinen Freund, Georg Lehnin, vorstellc, Landwirt und Künstler zugleich, sucht hier Motive zur Zerstreuung für seine langen ost- preußischen Winter." Georg lächelte. „Wenn dies auch nicht ganz so stimmt", meinte er heiter, „so bitte ich allerdings augenblicklich als Maler um die Erlaubnis, Ihre reizenden kleinen Schützlinge skizzieren zu dürfen." Hanna fühlte einen kleinen Stich im Herzen. Also nur der Kinder wegen hatte er sich ihr wieder genähert! Aber es gab ihr ihre Unbefangenheit wieder. „Dort hinten
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