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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.11.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190311221
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19031122
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19031122
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-11
- Tag1903-11-22
- Monat1903-11
- Jahr1903
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.11.1903
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VezuqS-PrelS di der Ha»p«»tp,diNon od»i vor»» AuSgabe- p»kl,> «dftrholt: vürteliährtich ^ti 3.—, bei gwetmattger tügttchrr Zustellung ins Hau» ^4 3 7d Durch ot» Post bejvgrn mr Deutsch, laud ». Oesterreich vierteljährlich >l 4.K0, sür die übrige» Länder laut ZrUung-prri-lsste. Nedaktion und Erpedition: TodanntSgasse 8. Fernsprecher lL3 und L22. F«t«IvVPvdNt»»»»r AkkretzHah» B»ch-andlg„ Uolversltättffr.S, 8. Lösch«, Lathartnenstr 14, n. tUutgSpl. 7. Haupt/ttiale vres-e«: Morteastraste S4. Fernsprecher Äml 1 Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlin: Earl Duncker, Herzgl Vavr Hosbuchhandlg^ Lützowstroh» 10 Fernsprecher Amt VI Nr. 460S, Anzeiger. ÄmLsAatt des königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Nates und des Volizeiamtes der Stadt Leipzig. Mnzetgen PrelS / die gespaltene Pentzcrle 8S H. Reklamen unter d«m RedaktionSstrich <4gejpaUen) 7d vor den FamUieunät^ richten («gespalten) SO H. Tabellarischer und stissernlatz entsprechend höher. — Bebührru für Nachweisungen und Offerteuannahmr 2b H (e^cl. Porto). Extra-»»klagen (gesalzt), nur mtt d«r Morgen-Au-aabe, ohne Postbrsörderun- «0.—, mtt Postbesördrrung 70.—. Aunahmeschluß jur Änzeigm: Abend-Ausgabe: Vormittag- lo UhL. Murgen-Au-gabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an dl« Expedition zu richten. Di» Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bi- abend- 7 Uhr. Druck und Berläg von L P olz in Leipzig. Nr. -M. Sonntag den 22. November 1903. 97. Jahrgang. Aus -er Woche. So national, ja nationalistisch auch der einzelne Kleriker hie und da sich geben mag, der Grundcharakter deSKlerikali»- mus ist die Internationalität mit Nom als geistiger Heimat. Da» Zusammenkäufen aller dieser scheinbar so heterogenen Fäden bat dem Ultramontanismus bisher den Verzicht auf internationale Kongresse nicht schwer werden lasten. E» bedarf keiner gegenseitigen Aussprache, da man sich ohne Worte so Ausgezeichnet versteht. Wie bei großen Ausständen der englische und der französische Sozialdemokrat für den deutschen Genossen ihre Gelder sammeln, so sorgen für den aus Frank reich auSgewiesenen Mönch in Belgien, in der Schweiz und in Deutschland seine Brüder. In den Organen des deutschen Zentrums werden die Taten einer französischen Regierung lediglich unter dem einen Gesichtspunkte beurteilt, wie sie auf die Klerikalen wirken. Alles daS geschieht, ohne daß in einer äußerlich greifbaren Form daS „Klerikale, aller Länder, verbrüdert Euch!" zum Ausdruck käme. Nur ausnahmsweise findet einmal eine ostentative Grenzüberschreitung statt. So haben wir bei den Katholikentagen Wohl den einen oder den anderen Ausländer, aber nur als Ueber- bringer von Grüßen gesehen. Daß jetzt der berühmte vr. Schaedler sich zur Generalversammlung des öster reichischen katholischen Schulvereins nach Wien be geben hat, würden wir kaum beachten, wenn er nicht bei dieser Gelegenheit den Christlich-Sozialen die Sympathie der bayerischen Klerikalen ausgesprochen hätte. Sind doch solche Sympathien so außerordentlich bezeichnend für den Geist, der in bayerischen Fragen der Politik und der Kultur schon so lange maßgebend ist. Der nicht zu bestreitende Rückgang der bayerischen Hochschulen wird bedingt durch die Tatsache, daß eine klerikale Mehrheit in der bayerischen Abgeordnetenkammer dominiert. Der junge Gelehrte, den der sehr begreifliche Wunsch, ein Lehramt zu erlangen, auf die Guust der ausschlaggebenden Personen anweist, muß heute bei den Schaedler, Daller und Orterer antichambrieren. Aber wehe ihm, wenn er ein Preuße oder gar Protestant ist! In welch drastischer Weise während Her letzten Tagung die Kulturseindlichkeit des bayerischen Zentrums ihre Orgien gefeiert hat, dafür zeugt die unter dem politischen Gesichts punkt« so verhängnisvoll gewordene Swinemünder Depesche. Aber vr. Schaedler scheint noch nicht genug zu haben. Er stärkt sich, ehe er von neuem an den KultuSetat heran geht, durch eine Berührung mit denjenigen Kreisen, die als die von Wissenschaft und Bildung am wenigsten infizierten Hüter der Kulturfeindlichkeit gelten können, den Wiener Chrilich-Sozialen. Ein Denkstein, den man dieser Partei an der Stelle, wo heute noch die Wiener Universität stehen darf, etwa später einmal setzen würde, müßte als Inschrift die Worte deS neben Lueger tonangebenden Bielohlawck auf weisen: „Laßt's mi aus mit die Büacher! Wann i von die Büacher hör', hab i schon g'fressen. Die schreibt eh a Iud von dem anderen ab." In diesem Geiste hat jetzt eben der niederosterreichische Landtag in den wissenschaftlichen Be trieb der Wiener Mediziner eingegriffen und damit von neuem an dem Rufe dieser einst hochberühmten Stätte deutscher Wissenschaft gerüttelt, vermullich sehr zur Freude der Tschechen und des anderen slawischen Gelichters, vr. Schaedler aber, Referent für das bayerische Kultusbudget, spricht dieser Sorte die Sympathien des Zentrums aus. Was müssen wir danach von den Gesinnungen und Entschlüssen, mit denen er in dieser Tagung die Fürsorge für die bayerischen Stätten der Bildung betätigen wird, erwarten! Als würde die Welt noch immer zu wenig aufgeklärt über daS wahre Wesen des Zentrums, findet eS gelegentlich Unter stützung von solchen Kreisen, die schon durch den Trieb der Selbsterhaltung zur Gegnerschaft hingewiesen werden müßten. Es ist buchstäblich wahr: In Altenkirchen am Rhein hat bei der preußischen Landtagswahl der evangelische Pfarrer Hecken roth seine Wähler sich schriftlich verpflichten lassen, außer ihm einen Zentrumsmann zu wählen. Dieser Pfarrer hat außerdem die Zusage gemacht, daß er in der Dchulfragr mit dem Zentrum stimmen werde, obwohl er in seinem Bezirke zum Vorstande des Evangelischen Bunde» gehört. Für diese» Verhalt»» gibt e« keine Entschuldigung, als höchstens etwa die Tendenz de» Hauptorgans der preußischen Konservativen, der „Kreuzzeitung", die den Gedanken einer Solidarität von evangelische» Konservativen und Klerikalen auch in dem jetzt beendeten Wahlkampfe vertreten hat. Go ist sie denn auch höchst zufrieden mit dem Ergebnis, da- der Liberale nur al» tief bedauerlich ansehrn kann. Die Feindschaft der polnischen Nationalisten hat dem Zentrum keinen Abbruch getan. Es ist ibm wohl auch nicht schwer geworden, in Pleß-Rybntk das Kompromiß mit den Polen abzulebnen. Denn nicht den bösen Liberalen, sondern den geliebte» Konser- vHtipen wprden mit solchem Verzichte drei Mandate aus« geliefert, die Mehrheit für Schulfragen also nicht alteriert. Daß die reaktionären Erfolge dieser Landtags-Wahlbewegung «icht besonder» große« Aufsehen hervorgerufen haben, liegt wohl nur an der Macht der Gewohnheit. Denn sonst müßte man sagen: eS hätte nicht viel schlimmer werden können. Es will bei heutigen Zeitläuften schon etwa- bedeuten,wenn wir die einzige Hoffnung darauf, daß wir vor den Extravaganzen der Reaktion bewahrt bleiben, auf die preußische Negierung setzen müssen. Nachdem GrafBülow sich nicht getraut hat, die von einer erdrückenden Mehrheit des Reichstages beschlossene Aufhebung von K 2 deS IesuitengesetzeS im BundeSrate zu verwirklichen, dürfen wir vielleicht hoffen, ein von der Mehrheit des preußischen Abgeordnetenhauses beschlossene- Schulgesetz L I» Zetzlitz werde vom Staat-Ministerium abgelehnt werden. Zu nichte aber müßten alle Hoffnungen werden von dem Augenblicke an, da die Liberalen, einerlei welcher Richtung, sich nicht auf der Höhe ihrer unter diesen Umständen doppelt ver antwortungsvollen Aufgabe zeigen sollten. Für kleinliches Parteigezänk im Stile des Federkriegs, den zur Er bauung der reaktionären Gegner der Wahlkampf ge zeitigt hat, bleibt schlechterdings kein Raum mehr. Es muß auch von den Nationalliberalen in Erwägung ge zogen werden, ob sie nicht zur Verbesserung des Wahlrechtes die Initiative zu ergreifen haben. Wir haben wiederholt ausgesprochen, daß wir sie nicht für verpflichtet halten, der Sozialdemokratie den Weg ins preußische Abgeordnetenhaus zu Lahnen. Auf der anderen Seite aber darf eine für zeitgemäß erachtete Reform des Wahlrechtes nicht unter bleiben wegen der Möglichkeit, daß sie der Sozial demokratie nützen könnte. Wichtiger als deren Fern haltung aus dem Abgeordnetenhause ist die Erhaltung des Vertrauens der preußischen Wählerschaft, die stutzig werden muß, wenn sie sich zu einer so zweckwidrigen Form des Wahlver fahrens dauernd verurteilt sieht. Der Berliner Oberbürger meister hat sich gefallen lassen müssen, daß man seiner Wahl handlung nachspioniert und festgestrllt hat, wie er da» Wahl lokal verließ, als er sich vor dem Dilemma sah, ent weder einem Konservativen oder einem Sozialdemr k.aten die Stimme zu geben. DaS sinb unwürdige Situanoucn, oenen ein Ende gemacht werden sollte, bevor man sich -^azu ge zwungen sieht, wie leider bei unS in Sachsen. Zu energischem Angriffe auf dieses veraltete und verrottete Wablsystem könnte die allgemeine Verständigung der Liberalen des preußischen Abgeordnetenhauses viel beitragen. Sie haben sich glücklicher Weise nicht darauf eingelassen, auf Kosten de- Wider standes gegen die Sozialdemokratie auch nur ein einziges Mandat zu erstreben. Es liegt darin nicht, wie manchmal be hauptet wird, ein Verkennen liberaler Pflichten. Denn der Radikalismus der Sozialdemokratie hat sich weder nach ihrem Programm noch nach ihren Leistungen irgendwie als Hort der witklichen Freiheit erwiesen. Hätten sich die Liberalen zu ihren Helfershelfern hergegeben, so wäre dadurch die Reaktion in unkluger Weise begünstigt worden, mehr als mit der Ueberlassung des einen oder des anderen, ohne Hülfe der Roten nicht zu erlangenden Mandates. Nach dem nun vollends an verschiedenen Orten bei der Wahl der Abgeordneten die Sozialdemokraten sich in skandalösester, dem Dresdner Tone durchaus eben bürtiger Weise aufgeführt haben, müßten sich die Liberalen durch Mitschuld bedrückt fühlen, hätten sie sich auf Wahlbündnisse mit ihnen eingelassen. Gerade die Nationalliberalen aber dürfen ein volles Ruhmesblatt dafür in Anspruch nehmen, daß sie — so erst jetzt wieder im 15. sächsischen Reichstags-Wahlkreise — den Kampf gegen den sozialdemokratischen Terrorismus auf sich nehmen, wo immer die Gelegenheit sich aufdrängt. Sie können daher ohne Schaden auf die ihnen vom Kanal- Zedlitz — lueus », von lueoväo — zugedachten „erzieherischen Wirkungen" verzichten. Der „Kartell"-Gedanke hat für sie keinen Reiz mehr, ob eS sich nun um Konservative handelt oder um Sozialdemokraten, von denen ja nicht einmal mehr die süddeutschen Demokraten rin Stück Brot nehmen wollen. Man mag eS noch so aufrichtig bedauern — die Zeit der alle Schattierungen umfassenden großen Parteien ist noch nicht gekommen. Bor allem aber ist die große liberale und nationale Mittelpartei heute unentbehrlicher denn je. Körbers Antwort. Man schreibt uns au» Wten, A). November: Wenn Ti, von dem Jubel hören, unter -em heute Mi- niiterpräsibent o. Körber seinem Beleidiger, -em Grafen Tisza, den österreichischen Standpunkt »klar machte", so können Ihnen -t« tschechischen Zwischenruf« schon «ine kleine Bürgschaft dafür jein, daß die gehoben« Stimmung de» üeutjchösterreichischen Aangutnt-mus bald einer tiefen Ernüchterung Platz machen wirb. Mit einer selbst in den diplomatischen Beziehungen einander gänzlich fremder Staaten unerhörttn Grobheit, die von» englischen Parlamentarismus nur die Vokabeln »ckletivZ-ulkiwck koreiemvr" entlehnt, hat Graf Tisza die schüchternen RechtAverwadrungcn seine» österreichischen Kolleg,n »urückgewteien, den jenseitigen Vertrauensmann -,Sselben Monarchen einen Dilettanten genannt, -essen Aenßerungen ganz unmaßgeblich sind, und unser dem aufrichtigen Jubel der wild,»en Obstruktiv« nisten de» Gtaat, Oesterreich jede« Einfluß auf -i« Be ¬ stimmung der HoheitSrechte zwischen derKrvne und dem un garischen Parlamente abgesprvchcn. In jedem anderen Parlamente Hütte diese mit ausdrücklicher Berufung auf die Autorität des Monarchen abgegebene Erklärung den also desavouierten Ministerpräsidenten veranlassen müssen, dem Monarchen sein Portefeuille zur Verfügung zu stellen oder wenigstens durch eine gleich entschiedene Gegenerklärung rm Namen des Parlaments eine Ent scheidung der Krone in diesem unüberbrückbaren Wider spruche zu provozieren. Oesterreich ist längst nicht mehr so empfindlich. Herr v. Körber blekbt, und er kann es tun. Er hat als treuer altösterreichischer Beamter, dessen oberster Grundsatz lautet: „Stillschweigen und weiter dienen", dem Monarchen die Erneuerung des Ausglc chs um jeden Preis versprochen, und mit der „leidenschafts losen Beharrlichkeit", bi« er sich bei seinem Amtsantritte zur Richtschnur auserkoren, will er allen irngarsschen In- vektiven zum Trotz, anSharren bis zum Aeußersten. Wenn auch mit den schmerzlichsten Erregungen, wie er heute selbst erklärte, soll Oesterreich bis an die äußerste Grenze seiner Opferwilligkeit gehen, die ihm jetzt schon in der AnSgleichsgirote von 70 :30 die Verpflichtung anferlegt, jeden fünften ungarischen Rekruten aus österreichischen Steuergelbern zu bezahlen. ES ist selbstvcrständluh: monarchischer als der Monarch, der sich im Programm Tiszas schon des Einflusses ans das ungarische OFizier- korps zu Gunsten des Kuruczenparlaments begeben hat, braucht sein Wiener Premier nicht zu sein; und öster reichischer als das österreichische Parlament noch viel weniger. Dieses — „Parlament"! Schon die Interpellation, mit welcher der Vollzugsausschuß der deutschen Parteien den Ministerpräsidenten zur Erwiderung aufforderte, ist ein betrübendes Dokument des Tiefstandes, auf den die politische Schulung der Deutschen bereits gesunken ist. Ehrsame Papierhändler einer Provinzstadt, die im Neben geschäfte ein Minkelblättchen Herausgaben und redigieren, verfassen klarere Leitartikel als diese deutsche Partei leitung, die mit „Wenn auch" beginnt, den Kernpunkt der Tiszaschen Auffassung „dahingestellt sein lassen" will und schließlich glücklich ist, dem beleidigten Ministerpräsi denten für den „unerhörten Ton" «ine jubelnde Genug tuung schaffen zu können. Und warum? Zu Ehren Körbers muß es gesagt werden: seine Antnumt war wenigstens in der Form mannhafter als das klägliche Ge stammel der Interpellation; ja seine Feststellung, daß das österreichische Parlament sein Recht, den Einfluß auf die gemeinsame Armee im Nahmen des Ausgleichs mitzube- stimmen sich nicht nehmen lassen werde, erhob sich zum Schlüsse sogar bis zu dem Pathos des kaiserlichen Armee befehls von Chlopy, dessen „Niemals!" uns wie ein ver spätetes Echo jener Kundgebung aus der Rede KürberS noch einmal mit bitterer Ironie an die Ohren klingt. Alle Welt weiß, wie Graf TiSza auf Grund jenes Armeebefehls berufen wurde, die magyarische Obstruktion mit „starker Hand" zu Paaren zu treiben; wie er dann unter dem Einflnsse Apponyis jene Magyarisierungspunkte für das ungarische Hcereskontingent annahm, welche die deutsche Kommandosprache zu einem von Jahr zu Jahr mehr verblassenden Schatten verurteilen; wie er vorgestern schließlich ohne Widerspruch die Autorität der Krone sür die Nichtigkeit seiner Auffassung anrufen durste, daß Oesterreich in die selbständige Bestimmung der Hoheits rechte zwischen dem Monarchen und dem Parlamente Un garns nichts dreinzurcdcn habe. Und was sagt jetzt Herr v. Körber dagegen? Dieser theoretisch begreifliche An spruch Ungarns, die AuSgleichsgcsetze selbständig mit der Krone zu modifizieren, habe praktisch keine Geltung, so lange die Aendernng nicht auch in Oesterreich beschlossen werde. Richtig! Aber eben auch nur in der Theorie. Praktisch löst sich der Widerspruch also: Ungarn bestimmt den erneuertjeu Ausgleich im selbständigen Uebcrein- kommen mit der Krone, welcher der „Wille der Nation" nach allem was schon vorhcrgegangen ist, sicherlich erfolg reich suggeriert werden wird. Und Oesterreich — nun: wenn es Herrn v. Körbers Absicht, den Ausgleich selbst mit den schmerzlichsten Opfern zu erneuern, auch weiter hin unterstützt, stimmt eben zn; wenn nicht — auch recht! Dann stellt einfach der Monarch mit Hülfe des § 14 über die Köpfe deS heimgeschicktcn Parlaments den „Ausgleich" her, wie er kraft der Verfassung — Ungarns beschlossen wurde. Und dieser klaren Aussicht auf ein erdrückendes Ba- sallenverhältniS zu dem künftigen magyarischen Träger der HabSbnrgerkrone, einer Perspektive, die sich nur daS ohnmächtigste Parlament der Welt verschleiern lassen konnte, hoben heute auch die Vertreter des deutschen Volkes jubelnd zugestimmt! Zu dem, was Graf Tisza an der Monarchie beging, als er dem obersten Kriegsherrn die Anfänge eines magyarischen Nationalheeres ablistctc, fügt das mitbetroffene Deutschtum in Oesterreich die Selbst- preisgebung an das mit gleichen Forderungen wie Un. garn auf der Lauer liegende Slawentum. Er könne, sagte Herr v. Körber unter dem frohen Anfhorchen der Tschechen, in der Bewilligung der ungarischen HcercSsorderungcn eine Gefährdung der Gemeinsamkeit des Heeres nicht er- blicken. Damit hat Oesterreichs Ministerpräsident allen Forderungen nach einem tschechischen, polnischen, slowcn- nischen usw. Heereßkonttngent einen Freibrief ausgestellt, der bald genug präsentiert werden wird. Unter dein Ein flüsse des klerikalen Zentrums. daS heute zum ersten Male bet der Interpellation der deutschen Gemelnbltrgschaft Ge vatter stand, scheint Oesterreichs Deut'chtum wie mit j Blindheit geschlagen. Vielleicht zieht die Bevölkerung, die vorgestern in der „deutschesten Stadt Oesterreichs", in Graz, sozialdemokratisch wählte, den Abgeordneten den Schleier von den Augen, da sie an bi« Drohung Körber- erinnerte, daß die Alters- un- JnvaliditätSversorgung nicht friiver auf die Tagesordnung gesetzt wird, als bi» der Ausgleich erneuert »st. Dieses Junktim, dieser Re volver an der Brust der Aermsten der Armen, der Arbeits unfähigen, kann den allzu ausgleichsbegeisterten Deutschen den letzten Rest ihres Einflüsse» in Oesterreich kosten, wenn sie nicht noch im Lansc der Debatte inne werden, wohin sie mit ihrer kindlichen Begeisterung sür Herrn v. Körber steuern. Die Tschechen wissen wenigsten», warum Ne den Ausgleich obstruieren: ihr Kaufpreis sind tauner nur Opfer aus dem deutschen Besitzstände. Es kann aber kom men, daß auch die vielen Deutschen in den gemischten Ge bieten, die sich von ihren Abgeordneten nun auch wirt schaftlich verlassen sehen, den Tschechen gerne diese natio nalen Opfer bringen, weil sie in ihnen wenigstens die einzigen Verteidiger gegen die Ausbeutung durch Ungarn zu sehen wähnen. Und so kann sich neben der politischen und wirtschaftlichen Hegemonie Ungarns über die Mon archie die nationale Hegemonie des Slawentum» tu Oester reich vorbereiten. Deutsches Reich. (^8. Berlin, 21. November. (Anarchistische».) E» ist U'nichts Seltenes, baß Anarcknstcnversammlungen in B«tm Üattfinden, aber seit einer langen Reihe von Äahren Hakim nur nicht erlebt, daß solche Versammlungen öffentlich angniinrigt wurde». Das geschieht jetzt; für den 29. d. M. wird eine öffentliche Anarchistenversammlung mit der Tages ordnung: „Herrschaft, Volksherrschaft und Herrschaftslosig- keit" angekündigt. Vielleicht benutzen die Veranstalter dieser Versammlung die Gelegenheit, um ihrem Grolle über die Beteiligung der Sozialdemokraten an den preußischen Land tagswahlen Luft zu machen und den Hörern zu Gemüte zu führen, welche Summen, die im „wirklichen Befreiungskämpfe der Unterdrückten" nützlicher hätten verwendet werden können, durch diese Beteiligung vergeudet worden seien. Die Hin richtung der Chicagoer Anarchisten haben deren hiesige Ge sinnungsgenossen bereits in einer stark besuchten Versamm lung auf ihre Weise „gefeiert". Vielleicht bekommt man bald auch von dem Anarchisten SlawinSki wieder zu hören, der aus Sibirien entkommen ist. Er war Mitglied der polnisch revolutionären Partei, entfloh seinerzeit aus Warschau und war dann längere Zeit insgeheim in Posen tätig. Verhaftet, wurde er zu 3>/, Jahren Gefängnis ver urteilt und dann nach Rußland auögelicfcrt, wo er zu 16 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt wurde. Von diesen 16 Jahren hat er 9 verbüßt. An feine Flucht wird manche hochfliegende Hoffnung von seinen alten Freunden ge knüpft werden. Niederschlagenb wird dagegen auf diese die Nachricht wirken, daß der ÄnarchislenführerSiegfried Nacht, der schriftstellerisch sehr tätig war und im „Neuen Leben" die aufreizendsten Artikel veröffentlichte, in Mailand verhaftet word.n ist. S i,r rege soll zur Zeit der Broschürenvertrieb der Anarchisten sein; es heißt, die Schriften von Peter Krapolkin und Elifs Reclus, die für 5 zu haben sind, fänden die meisten Abnehmer. * Berlin, 21. November. (Ein neuer ultramontaner Verein.) Nachdem die sämtlichen Vereinigungen der dem männlichen Geschlechte angehörenden Ultramontanen ganz Deutschland mit ihrem Netze übersponnen und große Erfolge errungen haben, während die Gegner des Ultramontanismus sich in immer kleinere, sogar einander befehdende Splittar- vereine abschwächen, ist nun auch die gesamte ultra montane Frauenwelt zu einem allgemeinen Zusammenschlüsse ge bracht worden. Schon auf der letzten Katholiken-Versamm- lung in Köln wurde der engere Zusammenschluß der ganzen katholischen, d. b. der ultramontanen Frauenwelt ein gehend beraten, dann auf dein CharitaStage in Frankfurt am Main beschlossen und am letzten Montag in Köln end gültig festgesetzt. Als Zweck wird angegeben, die auf den ver schiedenen Gebieten sich bewegende Bereinstatigkcit der katho lischen deutschen Frauen zu einem planmäßigen Zusammen wirken zu verbinden; ferner die katholischen Frauen in die gegenwärtig das Frauengeschlecht bewegenden Fragen ein- zuführcn und endlich ihnen zu ermöglichen, zu einer Lösung derselben im Sinne der christlichen Weltanschauung erfolgreich mitzuwirken. Auch eine Generalsekretärin ist vom l. Januar 1904 ab angestrllt worden. So ist also eine großartige neue ultramontane Organisation entstanden, die volle Beachtung verdient. Zunächst werden die ankeren Frauenvereine, die bisher interkonfessionell zum großen Segen deS BaterlandeS gcarbcitek baben, die Folgen dieser neuen konfessionellen Trennung schnell spüren. Richtet sich doch sofort die Tendenz dieses katholischen Frauenbundes gegen sogenannte verkehrte Anschauungen, wie sie aus dem letzten deutschen Frauentage in Köln kund gegeben sein sollen. Dann aber werden die Folgen auch auf dem politischen Gebiete sich bald zeigen, wo schon bisher die Beeinflussung der Männer durch die Frauen, die wiederum von den Geistlichen getrieben werden, sehr weit gehend war. Die „Köln. Ztg." schließt diesen Hinweis mit folgender Nutzanwendung: Indem wir hiermit die Aufmerk samkeit der deutschen nichtultramontancn Frauen- und Männer welt auf diesen so überaus bedeutsamen neuen konfessionellen Zusammenschluß hinlenken, können wir keinen andern und bessern Rat geben, al» den so oft schon wiederholten, eben falls einig zusammenzustehen, alle kleinlichen Gegensätze zu lassen, »i» unser Bbterland vor der minier schlimmer werden den konfessionellen Spaltung zu bewahren. * BerU«, S1. November. Die Schulwünsch« des Zentrum» werden, nachdem die Herrschaft -er konservativ-klerikalen Allianz im Abgeordnetenhaus« durch die Neuwahlen wieder fcststeht, bereits mit aller Deutlich keit in den Vordergrund geschoben. Der „Westfälische Merkur" schreibt: „Die „konservativ-klerikale" Mehrheit wird wiebergcwählt. Wenn die Liberalen da» eine oder andere Mandat gewinnen sollten, so verdanken sie doch sicher kein einziges der Angst der Wähler vor der der Schule drohenden „Gefahr". Aber selbst wenn da» ge samte „liberale Bürgertum in Stadt und Land" -en Liberalen seine Stimme auS Rücksicht aus die Lchulfrage gegeben haben sollte, so beweist -och der Wahlausfall, daß die große Mehrheit de» Volke» in -er Lchulfrage auf Seiten der Konservativen und de» Zentrum» steht. (?? Dretklassenwahi- recht! D. Red.) Wieder und wieder seit dem Scheitern de» Zedlitzschen Bolk»schulgesetze» baven Zentrum und Konservative ihrem Verlange« nach gesetzlich»! Aicher- strüung der christlichen unL kvufesstoneüeli, Achule Aus»
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