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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.01.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-01-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050128026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905012802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905012802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-01
- Tag1905-01-28
- Monat1905-01
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vezugS-PretS d« sv« dE «US««»- pell» abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei zw«t»E«« E-Nch«-,-ett««, 1»»-«» ^»3.73. D«ch tzft Post bezo-« für Deutjch. lend ». Oesterreich vierteljährlich 4^0, für die übrig« LL»d« lant »Preisliste Liefe N«m»er heftet 4^ ML auf alle» Bahnhöfen und I Illsitz bet de» Lett»«g«.BertLllfer» Z-V s » NeXttt»» »«- Erpedttte« ISS Fernsprecher 28L JöhauutSgafse L H«ftt»Klltale Dresden: Marienftraße 34 Genisprecher «ml I Nr. 1713). v«upt»fttltale Berit«: LariL»»cker,tzerzal.Bayr.Hofbllchhandlg^ Lützowslraße 10 G«r»sprecher «mt VI Nr. 40031 Abend-Ausgabe. MpMer. TasMaü Anzeiger. ÄmtsKlatt »es HSaiglichen Lanv- »«» »es ÄSmglichen Amtsgerichtes Leipzig, »es Rates ««» des Nolizeiamtes »er Ltadt Leipzig. Nr. 51 Sonnabend den 28. Januar 1905. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile SS Familien- und Stellen-Anzeigen 20 Ftmmziell« «»zeig«, »eschüstsanzeige» llnter Text »der an veioaderer SteÜ« »ach Laris. Die »gespaltene Reklamezeite 7V>^. A»»«d»eschl«tz fit, «nzeige«: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: »achmstlagS 4 Uhr. «»zeige» find stet» av die Expedition zu richte». Extra-Beilage» l»»r mit der Morgen- Ausgabe) nach besonder« Vereinbarung. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet Von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pal» i» Leipzig (Inh. vr. «.. R. L W. Kltnkhardt). 99. Jahrgang. Var MÄiigrte vs» läge. * 9» Dre»d«v ermordete heute früh em 20 Jahre aller stellungsloser Kutscher seine 17 Jahre alte Geliebte und tötete sich dann selbst. (S. Sachsen.) * Der uugarischeMinisterrat beschloß in der gestrigen Sitzung, wenn da» Gesamtresultat der Wahlen vorliegt, seme Demission zu geben. (S. Ausland.) * Die gestern von der Kammer gebilligte Erklärung de» Ministerium» Rouvier ist öffentlich smgeschlagen worden. (G. Ausland.) * Ä» Moskau, Warschau und Kiew ist die Auf- standsbewegung im Wachsen. (S. den Artikel.) * General Kuropatkin steht nach den gestrigen Kämpfen bei Taschau und hat beide Flügel verstärkt; auf dem rechten Flügel sammelt er Kavallerie in Stärke von 25 000 Mann. (T. ruff.-jap. Krieg.) Der aeravouierte haxlelrminittrr. In den letzten Tagen durchschwirrten Gerüchte die parlamentarischen Wandelgänge, der Minister Möller, der doch eben erst seiner neuen Dienstwohnung froh ge worden ist, werde sich in das Privatleben zurückziehen. Die Nachricht klang nicht recht glaubhaft, denn, da die Hibernia-Vovlage angenommen worden war, und La das intransigente Verhalten der Kohlenmagnaten die Stel lung deS Handelsministers wieder moralisch gestärkt hatte, so lag kein äußerer Grund zur Demission vor. DaS hat sich nun aber in den letzten Tagen geändert. Immer wieder hatte der Minister erklärt: Gesetze dürften jetzt nicht vereinbart werden, man mache Gesetze nicht ad irnto und aus der Gelegenheit heraus. Diese Anschauung ist im allgemeinen richtig und im besonderen falsch. Erstens ist, wie nach Goethe, jedes echte Gedicht ein Gelegenheits gedicht ist, so auch jedes Gesetz ein Gelegenheitsgesetz. Es bedarf stets einer Reihe von unmittelbar und drin gend wirkender Erfahrungen, die den Impuls zu gesetz geberischem Vorgehen geben. Und davon kann wohl keine Rede sein, daß eS an solchen Erfahrungen fehle. Nicht in einer Stimmung deS Augenblicks, nicht im Zorn gehen die gesetzgebenden Faktoren an die Regelung der Verhältnisse im Bergbau heran, sondern seit zwanzig Jahren macht sich diese- Bedürfnis fühlbar. Herr Möller hatte also tatsächlich Unrecht und dieser Ansicht war auch Graf Bülow oder richtiger, im Grasen Bülow be gann diese Ansicht innerhalb einiger Tage Oberhand über die Auffassung -es Ressortministers. Jetzt, da ein Notberggesetz anggjfündigt und von der öffentlichen Meinung mit lebhafter Genugtuung begrüßt wird, tritt allerdings der Gegensatz zwischen dem Reichskanzler und dem Handelsmrnister unzweideutig zutage. Nachdem Herr Möller so eindringlich davor gewarnt hatte, in diesem Augenblick gesetzgeberische Maßnahmen zu er greifen, wird es begreiflich, wenn der Minister dem Desaveu der Tatsachen gegenüber auf sein Ministeramt verzichten will. Herr Möller ist gewiß ein hochehren. werter Mann, aber einen Minister sind wir aus besseren, vergangenen Zeiten her mit einem anderen Maßstab zu messen gewöhnt, und da müssen wir, höflich wie wir sind, sagen: Herr Möller war .... keine positive Ziffer. Da» Verdienst, den Ernst der Stunde und die Pflicht der Situation erkannt zu haben, gebührt dem Grafen Bülow. Die Initiativen dieses begabten Mannes sind ja überhaupt meist die richtigen. Wenn seinem Wesen eine etwas stärkere Dosis von Willenskraft beigemischt wäre, wenn es eine ettoaS härtere Legierung besäße, so würden wir ja meist in der angenehmen Lage sein, dem Reichskanzler zuzustimmen. Was wir an ihm vermissen, ist kraftvolle Initiative und es ist nur ein halbes Lob, wenn wir sagen, daß ihn niemand im Ausgleichen heikler Situationen erreicht. Es ist eben seine Schul-, wenn er es immer erst zu heiklen Situationen kommen läßt und später dann genötigt ist, für die Wunden, die andere geschlagen haben, Chacpie zu zupfen und die Falten auszubügelu, die andere gelegt haben. Eine unmittelbare Einwirkung auf der: Streik ver mögen wir von dem Vorgehen der Regierung nicht zu hoffen. Die Arbeitgeber werden vielleicht zunächst nur eine noch schroffere Haltung annehmen und die be ginnende innere Unsicherheit durch sie zu verbergen suchen. Denn schwerlich haben die Herren geglaubt, daß die Regierung sich noch zu energischem Vorgehen auf raffen würde. Sie mögen wohl damit gerechnet haben, daß Herr Möller nach der Hibernia-Niederlage ein ge- brochcner Mann sei, und daß LaS Interesse des Roichs- kanzlers gerade nicht nach der wirtschaftlichen Seite hin ausgeprägt ist. Indessen haben sie sich mit dieser Rech nung eben -och einmal verrechnet und es ist nun bereits eingetreten, was wir vor wenigen Tagen prophezeiten: die Geschlossenheit der öffentlichen Meinung hat die lei- tenden Staatsmänner genötigt, ihre Stellung zu der wichtigsten Angelegenheit, die wir zurzeit in unserem politischen Leben kennen, durchgreifend zu modifizieren. Graf Bülow hat noch rechtzeitig erkannt, welche unge- heuere Stärkung das Verhalten der Arbeitgeber der Sozialdemokratie gewähren mutzte. Auf dem Kriegs schauplatz an der Ruhr kämpfen die christlichen und die Hirsch-Dunkerschen Vereine Schulter an Schulter mit den sozialdemokratischen Organisationen und es ist eine alte Erfahrung, daß der gemeinsame Kampf das stärkste Band der Einigung schmiedet. Vor allem aber üben in solchen Fällen die extremen Anschauungen eine starke Anziehungskraft aus und man kann sich nicht verhehlen, baß in jenen Gebieten die sozialdemokratische Stimmen zahl ganz beträchtlich anschwellen würde. In diesem Punkte aber ist Graf Bülow mit vollem Recht empfindlich und so ist er zu dem Entschluß gekommen, der zu jenen seltenen Maßnahmen gehört, die zugleich populär und staatsklug sind. Wir wollen nun einmal die Haltung der Sozialdemo kratie ins Auge fassen. Wir wollen sehen, ob die Herren vom „Vorwärts" und von der „Leipziger Volkszeitung" noch die Stirn haben werden, angesichts deS Verhaltens deS gesamten Bürgertums und angesichts des Eingreifens der Regierung die Phrase von der „einzigen reaktionären Masse" auch in Zukunft aufrecht zu halten. Es ist selbst verständlich, daß Staatsmänner niemals mit Dank und Undank rechnen müssen, aber für die Charakteristik der Sozialdemokratie in der Oeffentlichkeit wird es immer hin wichtig sein, welche Stellung sie in der erwähnten Hinsicht einnunmt. WaS sie denkt, ist bekannt. Vie siririz in siurrlancl. Line rvarnnng vor Ueberettung richtet Karl v. Kügelgen in der „St. Petersburger Deut schen Zeitung" an das russische Volk, eine Warnung, Re aber zugleich eine Mahnung an die Negierenden ist, die Notwen digkeit der Entwicklung nicht zu übersehen. Er schreibt: „Wie gerecht ein Teil der Forderungen des Volkes auch sein mag, wie ruhig auch die wohtdisziplinierten Arbeiter sich benom men haben, so trug die ganzeBewegungdas Zeichen derpolitischenUnreifeander Stirn und mußte un- ter den gegenwärtigen Umständen, und nur mit diesen hat ein politisch wirkender Faktor zu rechnen, zu den traurigen Fol gen fuhren. War es auch nötig, daß Blut floh? Die Folgen sind nicht ausgeblieben, sie lassen sich nicht m Zahlen aus drücken, nicht in wenige Ziffern zusammenfassen, L>ir alle aber leiden unter ihnen. Auch hier fragt man: Soll der schwere Schlag, der das Land getroffen, vergebens gewesen sein, soll das Blut ebenso wie der unglückliche Krieg im Fer nen Osten nicht zum Guten führen? Nie ist eS klarer zutage getreten als in diesem Augenblick, daß unvereinbare Gegen sätze im Lande existieren; nie ist die Forderung, nachzugeden, eine gemeinsame Grundlage zu fruchtbarem Frieden zu fin den, dringender gewesen, als gerade jetzt. Doch kein unver nünftiges Drängen, keine reaktionären Pläne, damit das gegenseitige Vertrauen an die Stelle des gegenseitigen Miß trauens trete, damit die Unzufriedenheit einer sich bescheiden- den Zufriedenheit Platz mache; jede historische Entwicklung geht schrittweise vor sich, jede Uebereilung schadet. Die Presse hat die Pflicht, laut ihre Stimme zu erheben, da mit sie im fernsten Torfe gehört werde und Aufklärung, Ruhe und Ordnung schaffe." Vie Vorgänge in Petersburg. Gestern fand die Beisetzung der Opfer vom 22. Januar auf den verschiedenen Kirchhöfen Petersburgs statt. Die Ruhe wurde nicht gestört, trotz aufreizender Reden, die an den Gräbern gehalten wurden. Die Not unter den Aus ständigen ist groß. Die Polizei legte dieSiegelan die Lokale derjenigen Zeitungen, die den Ausstand unterstützt haben. Nach einem Telegramm ist in Sestrorjezk ein Mitglied der revoluronären Kampforganisation, dessen wirklicher Name nicht feststeht, verhaftet worden. Stach den bei dem Verhafteten vorgefundenen Briefschaften und Sachen soll seine Absicht ge wesen sein, ein Attentat gegen dasStaatsober- haupt zu verüben. Nach cinwöchiger Pause haben die Schriftsetzer endlich die Arbeit wieder ausgenom men, so daß heute morgen alle Blätter wieder erschienen. Gestern gegen Mitternacht fanden polizeiliche Haus suchungen auf den Redaktionen der liberalen Zeitungen „Nascha Schisn" und „Naschi Dni" statt. Der Stabschef des Gendarmeriekorps, General Dediuline, ist zum Präfekten von Petersburg ernannt worden. — Nach einer heute verschickten Uebersicht haben die folgenden Eta blissements jetzt den Betrieb wieder ausgenom men: die Webemanufaktur Nordens, die Pctrovische Baum wollspinnerei, die Russisch-Amerikanische Gummimanufaktur, die Fabriken von Liutsch^Tscescher, Toraton. Pal, die Fran zösisch-Russische Fabrik, Siemens L Halske, die Bierbrauerei Kalmkin, die Tabakfabriken Bogdanow, die Ottomanische Fabrik, Ssatschi Mangoubi, Schapschal, sowie die Mehrzahl der Druckereien; auch in vielen mittleren und kleineren Be trieben wird wieder gearbeitet. Im ganzen arbeiten heute in privaten Fabriken mehr alS 54 000 Arbeiter. Die Ordnung wird mehr und mehr wieder hergestellt. — Der Minister des Innern entzog der „Rußkija Wjedomosti" den Einzelverkauf und verbot der Zeitung „Saratowsky Dnewnik" den Abdruck von Annoncen für 3 Monate. Lins Lrklärnng Gorkis wird im „New Dork Journal" mitgeteilt. Sie zeichnet sich durch große Schärfe aus und hat folgenden, vielleicht apo kryphen, vielleicht echten Wortlaut: „Die russische Revolution hat begonnen und wird zu furchtbarem Blutvergießen führen. DaS Er gebnis der grauenvollen Vorgänge am Sonntag ist, daß der Nimbus, der den Zaren sur die russischen arbeitenden Klassen umgab, nicht mehr besteht. Alles, waS sie zu tun wünschten, war, ihre Bittschrift dem Kaiser zu überreichen. Wenn der Kaiser aus seinem Palast herauSgekommen und vor ihnen erschienen wäre und wenn die Truppen nicht da gewesen wären, würde daS Ganze mit Hochrufen und mit dem Niedersinken der Menge, um den Zaren zu preisen, ge endet haben. Jetzt ist sein Nimbus dahin. Der Pope Gapon und die anderen Führer der Bewegung trugen Heili genbilder. Abbildungen des Zaren und daS heilige Kruzifix vor den Arbeitern her, als Zeichen ihrer friedfertigen Ab sichten. Trotzdem feuerte man am Narvator aus einer Entfernung von 15 Schritt ohne Warnung auf sie. Auf die Verwundeten, die sich vom Schnee zu erheben versuchten, wurde zum zweiten Mal geschossen. Es war ein grausames und unnötiges Tun. Offenbar beabsichtigte man, die Gruppe der Führer im Mittelpunkt, in der sich die Popen Gapon und Sergius befanden, aus der Welt zu schaffen. Daß dies die Absicht war, ist bewiesen, und die Zuschauer bestätigen es. Ich selbst entkam mit genauer Not dem Tode. Ich wäre gewiß heute nicht, wo ich bin, wenn alle Soldaten richtig geschossen hätten. Dann wären nur wenige am Leben geblieben. Auf dem Newski-Prosvekt wurde gestern ein Freund von mir an meiner Seite erschossen, während er zum Volke sprach." Priester Gapon. Ter ,,N. Fr. Pr." wird vom russischen Schriftsteller Wla dimir Kuschnir geschrieben: Gapon ist in der Tat ein ruthenischer Name. Es ist eine abgekürzte Form für Ägatbon. Die Russen schreiben Agaphon, ebenso wie Jedor für Theodor. Da aber die Ruthenen in Rußland kein „f" kennen, sondern nur „p" gebrauchen sso z. B. heißt Philipp bei ihnen Pylivpp; Stephan heißt Stepanl, so wird aus dem russi schen Agaphon, ruthenisch Agapon, gekürzt Gapon. Noch eins- Die Ruthenen haben kein „g". Das russische Zeichen für „g" klingt im Nulhenischen „h". Der wahre Laut deS Namens ist daher Hapon, und es gibt in der Ukraine wirklich viele Vauernfamilien, die diesen Namen führen. Der Vorname Hapon wurde hier zum Zunamen, wie eS mit vielen anderen Namen bei uns geschieht. Gapon stammt aus einem ukraini schen Dorfe im Gouvernement Poltawa. Lins Proklamation -er rnffischsn fozial-emokratifchen Arbeiterpartei. Eine von G. Plechanow, P. Axelrod, N. WIorow, Wjera Safsulitsch und Leo Deutsch unterzeichnete, Genf, 25. Januar datierte Proklamation „An die zivilisierte Welt" führt aus, daß in dem Siege des russischen Proletariats daS einzige Heil für das russische Volk liege. Auf die uner hörte Metzelei habe das Petersburger Proletariat mit dem Ruse: „Tod dem Zarismus!" geantwortet, und die Sozial demokratie werde dafür sorgen, daß sich die Bewegung auf das ganze Land ausdehne. Die Proklamation fordert die Bürger der fremden Länder auf, dem russischen Volke zu bei- fen, denn diejenigen, welche für die russische Freiheit kämpfen, tun dies nicht nur für sich, sondern für die ganze Welt. In Maska«. Nach den vorliegenden Telegrammen hat der Moskauer Gemeinderat eine Spezialkommission von 1b Mit gliedern gewählt, um stch mit der Frage der Arbeiter bewegung zu beschäftigen. Diese Kommission wird wäh rend der Dauer der Bewegung eine ständige sein, um sich bei den Fabrikanten und der Bevölkerung informieren zu können. Die Arbeiter der Tabakfabrik Bastonioalo sind in den Ausstand getreten, die Fabrikbesitzer sind entschlossen, den Forderungen der Arbeiter nicht nachzugeden; auch die Arbeiter in den Zuckerfabriken haben die Arbeit eingestellt. — Die vom Stadtoberhaupt ein berufene Duma verlief sehr stürmisch. Die Stadtver ordneten kritisierten rückhaltlos das Ver halten der Regierung. Vertreter deS Adels beraten über die Form einer Kundgebung, die der am 2. Februar stattsindenden Adelsversammluna voraelegt werden soll. Der Ausstand währt noch weiter. Die Arbeiter der Kasanbahn haben die Werkstätten verlassen, der Verkehr stockt infolge von Anhäufung beladener Wagen. Die Stadt ist ruhig, Re Ar beiterführer warnen vor Ausschreitungen. In Warschau. Aus der Gouvernementshauvtstadt, deren Bevölkerung leit gestern von der Revolte mitgerissen worden ist, wird gemeldet: In der Leschno-Straße fand ein Zusammenstoß zwischen Arbeitern und Polizer statt. Die Trup pen machten von der Waffe Gebrauch. Die Zahl der Ver wundeten ist unbekannt. Um 6 Uhr abends drang ein Haufe Arbeiter in die Vorstadt Volski und ver wüstete die Weinhandlungen. Bei dem Zusammenstoß mit der Polizei warfen die Arbeiter mit Ziegelsteinen. Zeitun generscheinen nicht, die Läden sind geschlossen, der Ausstand gewinnt an Ausbreitung, der Tele phonbetrieb ist gestört. Saratow, Llbau, Rlew. In Saratow hält, nach einem Telegramm vom gest- rigen Tage, der Aus st and an. Die Sitzung der Duma Feuilleton. Frauchen. Roman von Felix Freiherr von Stenglin. ItachdruS vrrdoua. I. ES gab nach Frau Agnes' Meinung zweierlei Dinge auf -er Wett, sälche, die man tun mußte, wie: Morgens ein warme» Ba- nehmen, nach der letzten Mode gekleidet sein und in der Gesellschaft sich gewandt bewegen, — und solche, die nicht unbedingt nötig waren, wozu so ziemlich alles Uebrige gehörte. DaS führte, da ihr Monn, Hauptmann Bruhn, anderer Ansicht war, zu Konflikten. Zuerst war er freilich sehr geneigt gewesen, zu entschuldigen: ja, das Entschuldigen einem so lieben, hübschen, jungen Weibe gegenüber hatte ihm sogar Vergnügen bereitet. All mählich aber begann er unter -er Anschauungsweise seiner Frau zu leiden: e» lag ost wie ein Druck auf feinem Leben, die täglichen Nadelstiche setzten seinen Nerven zu. Aber auch Frau Agnes war nervös geworden. Sie fand daS Dasein unerträglich langweilig, und diese Er kennst» begann sie zu zermürben. Und dann noch die Vorwürfe, die spitzen Reden de» ManneS mit an hören zu müssen! ES war keine Freude mehr für sie, wenn Walter vom Dienst noch Hause kam. Suchte er nacht förmlich bei jeder Heimkehr nach Dingen, die er tadeln konnte? Wenn er ins Zimmer trat und Guten Tag sagte, war er schon gornicht bei der Sache, seine Blicke schweiften prüfend umher, ob sie nicht irgend eine geringfügige Unordnung entdecken könnten. Und hatte er eine solche gefunden, dann runzelt« sich seine Stirn: daS dichte, braune Haar, daS schon so wie so sich der Bürste und Pomade nur unwillig fügt«, sträubte sich gleichsam vor Entsetzen, die schlanke Gestalt richtete sich militärisch auf, er seufzte und sich au», al» ob sr sich da» Leben nehmen wollte. Konnte man Lebensmut und Lebensfreude bewahren, wenn er an allem etwa» auSzusetzen hatte? Wie unwesentlich doch, ob ein Lehnstuhl eine Zeit lang auf drei Beinen an der Wand stand, da» Namens schild an der Flurklingel nicht im blendenden Glanz erstrahlte oder ein wenig Staub auf den Möbeln lag! Daß die Troddel einer Sofalehne nur noch an zwei Fäden hing, diese Tatsache gab ihm gewiß wochenlang Stoff zu Anspielungen und tadelnden Bemerkungen. Wenn da» Mittagessen ein« halbe Stunde später auf den Tisch kam, eine Schüssel mit Fleischresten in der Speisekammer verdarb, ein Kleid auf dem Bett lag, anstatt im Schranke zu hängen, und Frauchen» Hut nach ihrer Rückkehr von einem Au-gange noch eine Weil« über die Marmorfigur der Eva im Salon gestülpt war, so brauchte man doch nicht gleich au» dem Häuschen zu geraten. Totarbeiten konnten sich die Dienstboten auch nicht. Ja, wenn er wenigsten» noch die Dienstmädchen verantwortlich gemacht hätte! Sie hatte ihm so oft gesagt, daß er sich direkt an die Leute wenden möge, wenn etwas nicht in Ordnung sei, dann aber kam er mit seinen Theorien, so daß es ihr kalt den Rücken herunterlief. „Die .Hausfrau ist verantwortlich" . . . Gräßlich! Wie mit der Ordnung im -Hause, so war'S mit den Kindern. Wenn Willy zu spät zur Schule kam, wurde sie gescholten; wenn die Kleine bloß dalag und schrie, wenn die Milch in der Flasche sauer geworden war, gab «» gewiß eine spitze Bemerkung für die Mutter. Oh, er war ein Tyrann! So nach und nach war er das geworden, dann aber auch gründlich. Wenn sie sich'» recht überlegte — er mißgönnte ihr eigentlich doch alles. Es schien ihm sogar Pein zu verursachen, wenn er sie irgendwie bequem sitzen oder auf der Chaiselongue liegen sah, — obwohl er dock) wissen mußte, daß ihre Nerven der Stärkung bedurften. Er suchte dann geradezu nach Veranlassungen, sie au» der Ruhe empor zujagen. Plötzlich hob er den Kopf. „Schreit nicht die Klein«?" . . . Mein Gott, die schrie natürlich öfter, und daS Kindermädchen war ja da! Denn sie nicht gleich austtaud, ging «» nach einer Weile wieder lo». „Ich glaub« doch, daß -er Kleinen etwa» fehlt, daS Schreien hört gornicht auf." Und abermals nach einigen Minuten: „Ich begreif« nicht, baß du so gleich gültig daliegst, während das Kind vielleicht Krämpfe hat!" . . . Es war wohl verständlich, 'daß sie da mit nicht sehr freundlichen Gefühlen ihren Roman auf die Erde schleuderte, sich erhob und hinausging. Das Allerschlimmste war aber die Geldfrage. Buch führen! Solche Pedanterie! Was nützte daS Auf schreiben? AuSgegeben wurde das Geld ja doch, ob man die Ausgaben aufschrieb oder nicht. Gräßlich, diese Fuchserei um jeden Pfennig! Diese Zeitver- ichwendung vor dem Ausgabenbuch! Und stimmen tat eS ja doch nie. Die Hausfrau mit Schlüsselkorb und Ausgabenbuch — brrr! Und immer verbrauchte sie in der Wirtschaft zu viel, nach ihres Mannes Ansicht nämlich. Ja, gut mußte das Essen aber auch sein, sonst war der Mann unzufrieden. Sie kaufe zu teuer ein, hieß eS. Oft schien er zu glauben, daß sie die Geldstücke verschlucke, — wenn «r mit erstaunter Miese und einem abscheulichen Richtergesicht fragte: „Du hast schon wieder kein Gelt mehr?!" — * * * Begreiflich war. eS unter diesen Umständen, das Fvau AgneS sich der tötenden Langeweile und den um erquicklichen Erörterungen entriß, sobald sich dis Ge legenheit dazu bot, daß sie gern Besuche machte, irr Park spazieren ging, durch di« Straßen schlenderte, sick die Läden besah und Einkauf« macht«, sich in Kaffee und Abendgesellschaften zu zerstreuen sucht«. Außer halb d«S HauseS sah man freundlich« Gesichter un)
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