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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.01.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-01-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050128026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905012802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905012802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-01
- Tag1905-01-28
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rette 2. Rr. 51. 99. Jahrg. Leipziger TageVlstt. Gonuabeud, 28. Jamrar 1998. hat "lcht stattgefunlen, weil die Angestellten auS- ständig Md Zeitungen sind nicht erschienen. Der Gouverneur gibt durch Maneranschlag bekannt, daß alle Maßregeln zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffen find und daß die Fabriken, welche die Arbeit wieder ausnehmen wollten, um Schutz gegen Gewalttätigkeiten der Ausständigen nächtlichen können. — Auch in Libau erschienen gestern die Zeitungen nicht. Die Kundgebungen sind verlaufen, ohne daß es zu einem Zusammenstoß mit der bewaffneten Macht kam. Alle Straßen werden von Patrouillen durchzogen. — In Kiew ist aus Befehl des Inspektors der Fabriken in allen Fabriken und Werkstätten der Stadt die vom Finanz minister und dem Gcneralgouverneur von Petersburg er lassene Bekanntmachung angeschlagen worden. Die Stadt ist ruhig, doch befindet sich die Bevölkerung in wachsender E r r e g u n g;'Noggenbrot kostet das Pfund 5 Kopeken. Au» Lranrkaspien. Aus Aschabad meldet die „Petersburger Telegraphen- Agcnlur": Aus Anlaß des zehnjährigen Bestehens des Blattes „Transkaspische Revue" hat der Verlag des Blattes die achtstündige Arbeitszeit eingeführt und eine Erhöhung der Löhne bewilligt. Ausländische Preteste. In Paris sand gestern eine Versammlung statt, in wel cher Anatole France, Frau Sävsrrne und der Führer der russischen Sozialisten Rad inowitsch vor 4000 Personen gegen den Terrorismus der russischen Rr- gieruna protestierten. Nach der Versammlung vollführten Meifelhaste Individuen eine Kundgebung, so daß die Polizei einschreiten mußte. 20 Personen wurden verhaftet. — In Antwerpen veranstaltete eine Gruppe Handels spekulanten eine antirussifche Kundgebung. Die Stu denten zogen unter dem Ruf: „Nieder mit dem Zaren! Nieder mit der Autokratie!" vor die Wohnung des eng lischen Konsuls. Die Polizei zerstreute die Kund geber, obne indes Verhaftungen vorzunehmen. ver ruZLizcd-japanische flrieg. Die «eue r Aänipse in der Mantscyurei. Nach einer Meldung der Petersburger Telegraphen-Agen- tur aus T j ch a n s l a m u l u n vom 26. Januar hat die Schlacht bei Sandavu den ganzen Tag ge dauert. Tie Russen Haden bei der Einnahme der Be festigung 45 Offiziere und 1000 Mann anToten und Ver wundeten verloren; sie nahmen 102 Japaner ge fangen und erbeuteten Waffen, Wagen und Munition. Ein Telegramm Kuropa tkins an den Zar vom 26. d. M. meldet; Gemäß den Berichten vom 25. d. M. haben unsere Truppen einen blutigen Kampf bei der Ein nahme von Cheigoutaji zu bestehen gehabt. Eine Position in der Nähe des Torfes wurde am 24. Januar abends ge nommen. Gestern sind die ersten Meldungen über die Besetzung der Dörfer Ehoudulatoso, Trutaitzy und Eheigoulaji eingegangen. Wir haben ungefähr 100 Ge fangene gemacht. Das Torf Tschitaitzy haben wir mit einem VerIust von 50 Mann besetzt. Am 26. Januar setzten unsere Truppen die Vorwärtsbewegung gegen Sandepu fort. Außer bei dem Angriff auf die Flanke von Sandepu hat kein ernster Zusammenstotz stattgefunden. Ver- suche der Japaner, uns wieder zu vertreiben, sind sehlge schlagen. Nach den Berichten von heute nachmittag sangen die Japaner an, sich im Süden und Südosten in der Richtung auf sandepu vorwärts zu bewegen. Ter „Petit Parisien" meldet aus Petersburg, Kuroki habe eine große Offensivbewegung begonnen, die von den Japanern aus dem Süden erwidert werde, lieber London wird aus Tokio gemeldet: Japanische Ka vallerie, begleitet von einer starken Abteilung Artillerie, hat gestern die Offensive gegen die russische linkeFlanke begonnen. Tas Ergebnis ist hier noch nicht bekannt. Eine Schlacht steht unmittelbar bevor. — Tie Lon doner „Exch. Telegr.-Komp." meldet, daß General Kuro- patkin auf der rechten Flanke eine große Kosakenabteilung konzentriere, auf dem gleichen Punkte, von dem aus Mi st sch en ko seinen Kosakenritt unternahm. Etwa 20 000 Kosaken sind dort vereinigt. Nach einem andern Telegramm hätte Kuropatkin den Zaren dringend um weitere Verstärkungen ersucht, da er sonst nicht in der Lage sei, die ihm von Oyama auf gedrungene Entscheidungsschlacht anzunehmen, »andern sich zurückziehen müsse. Der „Standard" meldet aus Tokio von gestern: General Kuropatkin steht bei Taschau und hat beide Flügel verstärkt; auf dem rechten Flügel sammelt er Kavallerie in Stärke von 20000 Mann. Der russische Dampfer „Irtksch", der die Kriegsflagge führt, ist aus Libau in Port Said eingetrosi'en. An Äord sind 223 Offiziere und Mannschaften, 20 Geschütze, sowie Apparate für drahtlose Tele- g r a p h i e. Der Aar und da» -ritte Geschwader. Kaiier Nikolaus hat dem Geschwader, das am 28. d. M. von Libau auszulaufen beginnt, sechs Heiligenbilder übersandt, die für die Linienschiffe „Kaiser Nikolaus I.", „Generaladmiral Aprarin", „Admiral Uschakow" und „Admi ral Senjawin", den Kreuzer „Wladimir Monomach" und das Hospitalschiff „Kostroma" bestimmt sind. Der Hafen von Wladiwostok blockiert? Tie „Morning Post" meldet aus Shanghai von gestern: Tie Japaner haben eine wirklichwirksameBlockade über den Hafen von Wladiwostok begonnen. Japanische Bestellungen. Nach einem Telegramm aus London hat Japan in Glasgow 18 Lokomotiven bestellt. — Das Bureau Reuter meldet aus Santiago de Chile: Die Regierung be zeichnet die Nachricht, daß sieKriegsschiffeanJapan verkauft habe, für falsch. In der Hullkommifsion wurde gestern nach der Wiederaufnahme der Sitzung der Zeuge Flechter vernommen, der dieselben Aussagen macht, wie die übrigen Zeugen. In Erwiderung auf die Frage, ob er ein fremdes Schiff gesehen hat, erklärt Flechter, seine Seb- weite reiche nur auf eine Entfernung von Meilen, deshalb konnte er nicht sehen, ob ein fremdes Schiff dageweje» sei. Der Zeuge bleibt trotz dringender Vorstellung einiger russischen Mitglieder der Kommission bei dieser Antwort. Fischer John BrootS erklärt, er habe auf eine halbe Meile im Nebel ein Schiff gesehen, das einem großen Handelsschiff glich; auf sein Boot sei nicht geschossen worden. Hierauf wurde die Sitzung auf heute vertagt. General Stöffel l« Saigan. Tie „Agence Havas" berichtet aus Saigon: General Stössel mit Gemahlin und mehrere russische Offiziere sind hier emgetroffen. Eine große Menschenmenge war bei der Ankunft zugegen und begrüßte sie mit Sympathie kundgebungen. Besonders herzlich war die Begrüßung Stößels durch den Kommandanten des russischen Kreuzers „Dian a". Aus der Zeit der Belagerung Porr Arthurs erzählen die Offiziere folgendes: In den letzten beiden Monaten konnte der Festung kein frischer Proviant mehr zugeführt werden. Der Fall Port Arthurs ist dem Mangel an Lebensmitteln, Munition und Medikamente» zu- zuschreiben. Zum Verbinden der Verwundeten mußten sogar Tausasern verwendet werden. Ein Huhn hat 20, eine Gans 60 und ein Schwein 300 Rubel gekostet. General Stössel war nur einmal verwundet, und zwar durch eine Kugel am Kopfe. Der General, der dem korrekten Verhalten der Japaner bei der Uebergabe der Festung volle Anerkennung zollte, äußerte, er sei der vollen Zuversicht, daß die Russen in dem Kriege schließlich doch obsiegen würden; er hält eine Verständigung zwischen den Kriegführenden für möglich. Aus Aeußerunaen der russischen Offiziere scheint hervorzugehen, daß zwischen den Führern der russischen Land- und Seestreitkräft« m Port Arthur tiefgehende Meinungsverschiedenheiten bestanden. Es wurde erzählt, daß die Ausfahrt des Geschwaders ohne Zustimmung Stöffels stattgefunden bat. Die Seele der Verteidigung, äußerte Stöffel, sei General Kondratenko gewesen. Unter den Truppen habe der Skorbut in schrecklicher Weise grassiert; etwa 17000 Mann seien davon befallen worden. Zur Zeit der Kapitulation sei die Festung von einem unerträglichen Geruch erfüllt gewesen. politische cagrrrchau. Leipzig, 28. Januar. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Bereits gestern hatten wir es als auffällig bezeichnet, daß man in Wien im Gegensatz zu Berlin über die Einzelheiten des deutsch-österreichifchen Handelsvertrags nicht „dicht ge- halten" hat, vielmehr wichtige Details hat in die Oeffentlich- kett gelangen lassen. Es wäre lediglich korrekt gewesen, wenn man auch in Wien die Diskretion geübt hätte, die mit Recht bis zu dem Augenblick beobachtet wird, wo derartige diploma- tische Verträge den Parlamenten zugehen, und es wird be stätigt, daß auch in diesem Falle eine Verständigung über den Zeitpunkt gleichzeitiger Veröffentlichung stattgefunden hat. Um so unangenehmer ist man in Berlin von der vorzeitigen Bekanntgabe berührt, wie aus einer, ersichtlich von amtlicher Stelle ausgehenden Berliner Depesche der „Köln. Ztg." her- vorgeht, die besagt: Die von Wien ausgehenden Mitteilungen über den ö st erreichisch-deutschen Handelsvertrag werden hier als eine unentschuldbare Indiskre tion empfunden. Sie ist um so weniger zu rechtfertigen, als die vertragschließenden Staaten sich verpflichtet batten, Mitteilungen über den Inhalt der Handelsverträge nicht vor einem genau verabredeten Termin vorzunehmen. Die öster reichischen Angaben sind mit dem offenbaren Bestreben zu- sammengestellt, den Vertrag für Oesterreich-Ungarn in ein möglichst günstiges Licht zu rücken. Einzelne Angaben sind auch so beschaffen, daß sie in Bezug auf die praktische Wirkung der Verträge irreführend wirken. Agrarisches Dräuen. Die „Dtsch. Tagesztg." schreibt zum neuen deutsch-öster reichischen Handelsvertrag: Es scheint sicher zu sein, daß die deutsche Regierung nicht nur eine Erneuerung der bisherigen Viehseuchenkonoention, sondern auch wesentliche Erleichterungen zugestanden hat, obwohl sämtliche landwirtschaftliche Vertretungen und Ab geordnete der konservativen, der nationalliberalen und der Zcntrumspartei sich mit voller Entschiedenheit gegen jene Erneuerung und besonders gegen solche Zugeständnisse er klärt haben. Wie die Vertreter her deutschen Regierung diese ihre Zugeständnisse begründen und in Einklang mit früheren Versprechungen bringen wollen, ist uns voll kommen unerfindlich. Wir begnügen uns für heute, daran zu erinnern, daß em Handelsvertrag, der die notwendigen Schutzmaßregeln gegen die Einschleppung von Viehseuchen aus dem Auslände abschwächen würde, nicht nur von uns, nicht nur in der konservativen Presse, sondern auch in den Blättern des Zentrums für unannehmbar erklärt worden ist. Selbstverständlich müssen wir uns die end- gültige Stellungnahme Vorbehalten, bis der volle Wortlaut der Konvention bekannt geworden ist. Die Regierung möge sich aber keinen Illusionen hingeben! Da Herr Dr. Oertel für die Generalversammlung deS Bundes der Landwirte selbst ein Referat übernommen hat, darf man sich im Zirkus Busch auf einen „Sturm" gefaßt machen, schon deshalb, damit nicht bei andern Leuten der Glaube auskommt, eS sei den Agrariern mit den Verträgen ein Gefallen getan. ES ist die verkehrte Welt: die Agrarier machen Höfe Mienen zum guten Spiel. Die nächsten rumänischen Wahlen. Aus Bukarest, vom 25. Oktober, schreibt unser L.-Kor- respondent: Der frühere Ministerpräsident Carp, der Führer der Junimisten, findet gegen das von ihm mit dem Chef der Liberalen, Sturdza, abgeschlossene Wahlkartell bei manchen seiner Anhänger entschiedenen Widerspruch. Da aber diese- Kartell von einer Delegiertenversammlung der Juyimistrn genehmigt. worden ist, so vermögen die Oppo nenten nichts mehr auszurichteu, und so ziehen diejenigen von ihnen, die nicht willens sind, sich der Parteimajorilät in dieser Frage zu unterwerfen vor, auS der Partei auszutreten und sich wieder den Konservativen anzuschließen. ES ist in der Tat vielen unverständlich, wie Carp, der sich doch Zeit seines LebenS als einer der heftigsten politischen Gegner Sturdzas gezeigt und die Ziele der Liberalen aus das Energischste be kämpft hat, sich fetzt i« seinen alten Tagen mit der liberalen Partei verbünden kann, um seine früheren konservativen Freunde, deren meiste Proarammpunkte doch auch die seinigen sind, zu bekämpfen, lediglich verletzten Ehrgeizes halber. Bei ben früheren Dahlen, welche von einem konservativen Mini sterium geleitet wurden, gingen die Junimisten stets mit den Konservativen, und sie fuhren nicht schlecht dabei, da sie auf diese Weise sich die Anwartschaft auf einige Portefeuilles sicherten. Jetzt haben sie mit dieser Tradition gebrochen und chre Scheidung von den Konservativen ist eine vollkommene. Viel Schaden wird den letzteren dadurch bei den Wahlen wohl kaum erwachsen, da die Junimisten in den breiteren Massen deS Volkes nie festen Fuß zu fassen vermochten. Dagegen sieht sich das konservative Kabinett bei den bevorstehenden Wahlen vielfach dadurch gehemmt, daß eS genötigt, dieselben mit einem zu einem großen Teil aus Liberalen bestehenden Beamten körper zu leiten. Es war einer der vornehmsten Zielpunkte des vormaligen Kabinetts Sturdza, die Nnabjetzbarkelt der Staatsbeamten einzufübren, um dadurch die Stabilität der Regierung zu sichern und den jetzt mit einem Kabinettswechsel verbundenen allgemeinen Beamtenwechsel zu vermeiden — ein Ziel, das an sich erstrebenswert ist und dem auch die Kon- servativen nicht abhold sind. Nur darf man dabei nicht egoistische Hintergedanken haben, wie die Liberalen solche hatten, als sie während ihres letzten Regimes die Unabse^bar- keit der Verwaltungsbeamten zunächst vom Subpräfekten an abwärts einführten, nachdem sie kurz vorher alle diese Be amtenstellen mit strammen liberalen Parteigängern besetzt hatten. Ausgesprochenermaßen beabsichtigten sie nämlich hier bei und bei den geplanten ferneren Unabsetzbarkeitsgesetzen das ganze Beamtenbeer auf die Dauer in ihre Hand zu bekommen, so daß, wenn sich doch einmal ein Regimewechsel notwendig mache, die zur Macht gelangten Gegner sich bei den Wahlen nicht auf die Beamten stützen, und mithin kaum eine, eine längere Herrschaft sichernde Majorität erhalten könnten. Die Liberalen gedachten auf diese Weise die Konservativen von der Führung des Staatsruders nach und nach ganz zu verdrängen, womit allerdings die Stabilität der Regierung gesichert wor den wäre — ob zum Heile deS Landes, ist freilich eine andere Frage. Das gegenwärtige konservative Kabinett hat also mit der unsicheren Haltung und womöglich gar mit der direkten Gegnerschaft der besagten unteren Beamtenklaffen zu rechnen, die, wie die verbündeten Liberalen und Junimisten hoffen, ihren sehr beträchtlichen Einfluß auf di« Wählermaffen na mentlich des platten Landes zu Gunsten ihrer alten Partei freund« ausnützen werden. Unabhängig hiervon entfalten aber auch die oppositionellen Parteien eine große Rührigkeit, und so steht zu erwarten, daß diesmal 30—40 Mandate den Regierunqsgegnern zufallen werden, während bei früheren Hauptwahlen dieselben nahezu ausgeschaltet wurden, und erst nach und nach bei den Erganzungswahlen einige Sitze, aber auch nur mit Billigung der Regierung, erhielten. Um so fester und in sich geeigneter werden aber die gewählten Re- gierungSanhänger sein, so daß daS Kabinett Cantacuzino, auf diese Majorität gestützt, seine Reformarbeit in gesicherter Weise beginnen kann. Nächsten Sonntag findet in Jassy eine große konservative Parteiversommlung statt, bei welcher die Mehrzahl der Minister anwesend sein und in der Minister präsident Catacuzirw das Programm seiner Regierung ent- wickeln wird. vruksebes Keich. Leipzig, 28. Januar. * Lte «rotze Industrie »Aktion der sächsischen Konser vativen. ES sind betrübliche Zeiten: Die Unbotmäßigkeit gehet um im Lande, zerreißet die Bande frommster und einträglichster Scheu und verderbet den Biedermeiern das Geschäft. Schauderbar. Jetzt wollen sich nicht einmal mehr die sächsischen Industriellen einreden lassen, ihre Interessen seien bei den Konservativen am besten gewahrt, so zwar, daß der ganze Bund der Industriellen überflüssig ist, sintemalen doch schon der Bund der Landwirte besteht. Also hat man sich aufgerafft zur Tat, die wir nach Gebühr bereits am letzten Montag angekündigt und gekennzeichnet haben. Die Proklamation der regierenden Konservativen an das industrielle Volk liegt jetzt vor und lautet: Die unterzeichneten der Industrie wie dem Handel und Gewerbe angebörenden Mitglieder der konservativen Fraktion der Zweiten Kammer erklären hiermit vor dem Lande, daß nach ihrer auf Grund langjähriger Erfahrung feststehenden Ueberzeugung die Interessen ihrer Berufszweige durch die konservative« Mitglieder der Zweiten Kammer im Landtage allezeit ans daS nachdrücklichste vertreten worden sind, und daß innerhalb der konservativen Fraktion diesen Interessen stet-, soweit eS nur möglich war, Rechnung getragen worden ist. Ebenso sind sie, gestützt ans eingehendste Kenntnis der Ver hältnisse, der Ueberzeugung, daß dies auch in Zukunft in gleicher Weis« der Fall sein werd«. Sie betonen daher, daß alle gegen teiligen Ausstreuungen, insbesondere daß die Interessen der In- dustrie durch die Konservative« der Zweite« Kammer im Landtage «tcht entsprechend vertrete» wurden, den Tatsachen zuwiderlaufen. BehrenS. Bochman«. Enke (Hosp.). FaciuS. Grumbt. Heyman». Klötzer. Kluge. Knobloch. Liebau. Merkel. Edler von Querfurth. Reinecker. Rentsch. Rittberger. Schneider. Ulrich. Zschierlich. Und das „Vaterland" schließt noch ein „klärendes Wort* an, dankt den unterzeichneten Herren für ihren Freimut und ihre Mannhaftigkeit und vergißt dann seine hoffentlich gute Erziehung so weit, daß e« von dem „Lügengewebe" redet, „an dessen Ausbreitung so eifrig und emsig auf feindlicher Seite gearbeitet wurde." Dann kommt eine wunderschöne, eindrucksvolle Stelle, die wir citieren: ' „Unsere Freude über diese Kundgebung wird nicht unwesentlich erhöht dadurch, daß gerade in der letzten Zeit hervorragende Industrielle und solche, die zu der Industrie in den allernächste« Beziehungen stehen und weit über die Grenzen unseres engere« Vaterlandes hinaus einen hochgeachteten Namen haben, dem Kon servativen LandtSverein beigetreten sind." Es wäre verruchte Verstocktheit, nun noch nicht überzeugt zu sein. Aber wir sind eS, und die Tränen in uoseru Augen sagen mehr, als Worte auszudrücken vermögen. Unzweifel haft bricht nun das goldene Zeitalter der konservativ»!»- dustriellen Entente in Sachsen an. Wie wir hören, haben die dabei beteiligten Industriellen daS Motto gewählt: Llorituri ts salutkmt. * Tie sächsischen Konservativen und Sie Eisenbahn- bclrtebsmMelgcmetnschaft. Es sind wiederholt Zweifel laut geworden, ob die konservative Partei in Sachsen — die ausschlaggebende im Landtage — sich mit der geplanten Betriebsmittelgemeinschaft zwischen den deutschen Staatsbahnen einverstanden erklären werde. Diese Zweifel zerstreut jetzt das „Vaterland", da- offizielle Organ der Partei, indem eS schreibt, gegen eine Betriebs gemeinschaft beständen die allerschwersten Bedenke», für eine BetriebSmittelgemeinschast hätten auch die Konserva tiven Sympathien, nur müßte für die heimische (d. h. sächsische) Produktion die Sicherheit geschaffen werden, daß sie eine gleiche Förderung durch baS künftige GemeinschaftS- amt erfahre, wie sie bisher durch die sächsischen Behörde» erfahren habe. Das sei von besonderem Belang bei der Lieferung von Lokomotiven, Wagen und sonstigen Betriebs mitteln, die jetzt, soweit irgend angängig, in sächsischen Fabriken bestellt würden. * Der Generalstreik tm RuZrrevter bat anscheinend auch jetzt noch nicht den toten Punkt überwunden, jedoch zieht die Parteinahme für die AuSftäudischen immer weitere Kreise. In München-Gladbach haben katholische Großindustrielle begonnen, größere Spenden für die Streckenden zu machen. Ferner erläßt der bekannte preußische LandtagSabgeordnete Pastor v. Bodelschwingh einen Aufruf, um im Interesse beider Teile auf eine rasche Beilegung deS Streite- hinzuwirken. Er glaubt, daß eS versöhnlich wirken würde, wenn seitens aller Parteien des Abgeordnetenhauses für die notleidende» Familien im Kohlengebiet eine Sammlung abgehalten würde, au der sich vielleicht später auch daS Herrenhaus beteiligt. Auch die meisten Arbeitgeber würden sich, meint er, dieser Sammlung gern «»schließen, da sie nicht der Verlängerung deS unseligen Kampfes sondern seiner Abkürzung dienen solle. Die Fraktionsdiener des Abgeordnetenhauses sind beauftragt. Gaben in Empfang zu nehmen. Mit der Auszahlung von Unterstützungen ist auch bereits begonnen worden. Wie aus Essen gemeldet wird, beschloß die Revierkommission der Streikenden zunächst nur den Streikenden der Zeche Bruch straße Geldunterstützungen zu gewähren; die übrigen not leidenden Ausständigen erhalten zunächst Viktualien, und nach Verlauf einer Woche ebenfalls Geld. Nach der „Rhein.- Wests. Zeitung" fand zwischen dem Reichskanzler und de» Großindustriellen des Ruhrreviers ei» Briefwechsel statt, der vielleicht demnächst zur Veröffentlichung gelangt. Im Reichstage wird der Abg. Gothein (freis. Vergg.) aus Anlaß deS Bergarbeiterstreiks verschiedene Anträge zur Ge werbeordnung embringen. Nun kann man yewiß darüber streiten, ob eS nicht vielleicht bester gewesen wäre, gleich vor die Reichsschmiede zu gehen; aber der preußischen Regierung angesichts ihrer Ankündigung den guten Willen abzustreiteu, kann doch nur der, dem eS gleich dem „Vorwärts" um die Verhetzung und Agitation um jeden Preis zu tun ist. UebrigenS berührt sich der Antrag der Sozialdemokratie in wesentlichsten Stücken mit den Plänen der preußischen Regierung: daS ,st auch eine Kritik der letzten „VorwärtS"-Leistung, die Mehrings scharfes Urteil von neu lich wieder „fatal" in Erinnerung bringt. Im übrigen wird über diese Dinge schon am Montag im Abgeordoetenhause verhandelt werden: der Zentrumsantrag auf Einsetzung einer Kommission zur Untersuchung der Arbeitrrverhältniffe im Kohlen bergbau soll an diesem Tage zur Beratung gestellt werden. Von Ausschreitungen halten sich die Ausständigen nach wie vor vernünftiger Weise fern, nur in Caternberg griff ein Trupp Ausständiger Arbeitswillige an und beschoß sie sogar mit Revolvern. Die Polizei, sowie Gendarmerie schritt ein und verhaftete unter Ueberwindung heftigen Widerstandes 10 Rädelsführer. AuS den übrigen Streikrevieren wird völlige Ruhe gemeldet. O Berlin, 28. Januar. - * Kaiser- Geburtstag. Der Kaiser traf am Freitag nach 6 Uhr von Potsdam wieder im Berliner Stadtschloß ein und wurde auf dem Wege nach dem königlichen Schlöffe von den zur Besichtigung der Illumination zusammen geströmten Mengen stürmijch begrüßt. Im Schlöffe sand eine Familientafel statt, an welcher Prinz und Prinzessin Heinrich und der Herzog und die Herzogin Friedrich Ferdi nand zu Schleswig-Holstein teilnahmen. Die Parlamente begingen gestern die Feier in herkömmlicher Weise. Im Reichstag hielt Graf Ballestrem die Festrede, in welcher er auch der Krankheit des Prinzen Eitel Friedrich gedachte. An wuvdc man gefeiert. Es war doch jedenfalls be zeichnend, datz andere Leute sie sehr gern hatten und nie schalten. Gern wäre sie auch mehr gereist, aber in diesem Punkte war Walter der ärgste Egoist. Wie oft nahm er nicht Jagdurlaub zu seiner „Erfrischung"! Brauchte sie etwa keine Erfrischung? Mit Sehnsucht dachte sie an die Zeit, da sie mit den Eltern gereist war. Wie hatten sie das einzige Töchterchen behütet und gepflegt! Nun waren sie beide tot, die Gräber lagen in dec fernen, thüringischen Heimat, und sie war ganz, ganz einsam! Und doch wollte ihr manchmal scheinen, daß sie ein einsames Leben gern ertragen hätte, wenn Walter nur so lieb zu ihr hätte sein wollen wie früher. Damals hatte sie die oberflächlick)« Geselligkeit nicht geliebt, sie war lieber bei ihrem Manne daheim geblieben, hatte neben ihm auf dem Sofa gesessen, mit ihm geplaudert, sich von ihm liebkosen lasten. . . . Ach, wo waren diese Zeiten hin! War es nicht schändlich, datz er sie nicht mehr wie früher in die Arme nahm, sie mit seinen dunkelblauen Augen voll Bewunderung betrachtete und hingerissen zu ihr sprach: „Tu mein Stern, du mein Himmel!" Manchmal holte sie eins seiner Bilder aus früherer Zeit vor und versenkte sich in dessen Betrachtung. Tann stiegen die schönen, vergangenen Tage wieder in ihrem Geiste auf. Er sah eigentlich heute nicht viel anders aus als damals. Dor Schnurrbart war ein wenig größer geworden, das struppige Haar am Scheitel ein wenig aus der Stirn zurückgetreten. Freilich, der Ausdruck der Augen war jetzt ein anderer, kühlerer. Welche Wärme, welche Hingebung hatte damals in seinem Wick gelegen! Verliebt betrachtete sie solch ein altes Bild und küßte es, während ihr vor Rührung die Tränen in die Augen traten. Dann legte sie et mit einen: Seufzer der Entsagung wieder fort. Sie mußte sich mit all dem abfinden, mußte ihr Glück anderswo juchen. Sie hatte ja die beiden lieben Kinder! Aber immer konnte man mit denen auch nicht zu sammen sein. Zudem war der Junge so wild, datz er sie leicht nervös machte, sie vermochte sich nie lange mit ihm zu beschäftigen, so oft sie sich auch vornahm, es zu tun. Tie kleine Ilse aber war noch recht ungebärdig und unverständig. In der Hauptsache blieb es also doch bei dem Verkehr mit den fremden Leuten. Und damit wurden ja denn auch die meisten Nachmittage und Abende, besonders im Winter, ganz gut ausgefüllt. Freilich die Vornnttagel Die langen, öden Vor mittage! Man konnte dock) nicht ewig auf der Chaiselongue liegen, Roinane oder Zeitschriften lesen, auf den Brief- träger aufpassen, am Frisiertisch sitzen, sich vor dem langen Spiegel betrachten oder Besorgungen machen. Hin und wieder kam ein Besuch, das war immer eine Oase in -er Wüste deS Vormittags. Und so be- grützte Frau Agnes es denn auch jedesmal als eine willkommene Ablenkung, wenn „das verbummelte Genie", wie man Anton Grubweilör in Neustadt nannte, der lange, schlanke junge Mann, der Sohn seiner reichen Eltern, der ewige Student, vor ihr saß, den Ausdruck seiner kleinen Augen zu besonderer Bedeutung hinaufzu schrauben suchte, ihr allerhand erzählte von seinen Reisen, von seinen Bekanntschaften und von dem Widerstreit in seinem Innern. Denn dieser war sehr groh. Grub- weiler war dahin gekommen, alles zu bezweifeln: was auf dieser Welt galt, gesagt oder getan wurde. Er be hauptete seine Erfahrungen hätten ihn dahin gebricht, doch ein undurchdringliches Geheimnis umgab diese seins Erfahrungen. Dieses Geheimnis sowie seine tiefe Melancholie — hin und wieder gemildert durch ent sagungsvollen Humor — übten eine gewisse Anziehung»- kraft in der Gesellschaft auS. Dessen war er sich bewußt. Aber keine Freude darüber in seinem Innern! Er hatte es verlernt sich zu freuen. Seine „Erfahrungen waren Schuld daran. Eines Vormittags im Februar empfand Frau Agnes wieder ganz besonders die Fülle von unverwendbarer Zeit, die förmlich wie eine drückende Last auf ihr ruhte. Sie hatte mit Auguste besprochen, was es zu Mittag .geben sollte — sich dies jeden Tag wieder auf» neue aus zudenken, war geradezu eine Oual! — hatte zugesehen, wie die Kleine gebadet wurde und lag nun in ihrem Zimmer, da» sie bei gewissen Gelegenheiten „Salon" zu nennen liebte, auf der Chaiselongue. Ilse hatte wieder so fürchterlich geschrieen, sowie sie inS Wasser kam, das ging auf die Nsrven. Agnes hielt einen Roman in der Hand und träumte vor sich hin. Das rote mit schwarzer Litze besetzte Morgenkleid stand ihr gut zu dem runden, etwas bleichen Gesicht und dem vollen, hellblonden Haar. Der Helle Kopf wurde durch glänzende, etwas verschwom men blickende blaue Augen mit dunklen Wimpern und Brauen belebt. Jetzt allerdings blickten diese Augen ziemlich matt umher, denn Frau Agnes war müde, müde ain Hellen Vormittage. Walter hatte neulich mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit behauptet, die Müdigkeit komme vom langen Schlafen! Lächerlich! Freilich, sie schlief lange. Erstens bedurfte ihre Natur des Schlafes, zweitens würde sie ja bei früherem Aufstehen noch mehr Zett gehabt haben. Jetzt sann Frau Agnes über die eigentümliche Er scheinung nach, daß ihre Lebensgeister immer, wenn sie sich zu Gesellschaften rüstete, neuen Schwung erhielten. Vor kurzen, hatte sie mit ihrem Arzt darüber gesprochen, und der hatte gemeint, es müsse doch noch viel unver brauchte Kraft in ihr stecken. War das nun eigentlich etwas Gutes oder BöseS? Frau Agnes kam zu dem be ttübenden Resultat, daß diese scheinbare Kraft nur einer „Auspeitschung" der Nerven zu verdanken sei. Nachdem sie dies erkannt hatte, nahm sie mit Seufzen ihren Roman wieder vor und versuchte zu lesen. (Fortsetzung folat.>
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