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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.02.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050215022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905021502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905021502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
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Vezugs-Prets Hauptrxpedition odrr der,« ÄuSgaKs- stellen abstrhslt: vierteljährlich 3.—, bet zweimaliger tLgltchn Zustellung in« k'auS 3.7ä. Durch die Post bezogen für Deutich- land >». Oesterreich »trrtrllädrltch ^l 4.K0, sür dir übrigen Länder laut Zritunqsprrisliste. Dies» Nummer »ostet IN 7 aus allen Bahnhvsrn und III I bei den Zritungit-Brrküusrrn s " I * Birdaktion uu» Ex-eStttour dü3 Aerulprecher L22 Iokannisgasie 8. Haupt--tttat« Dresden: L >VI3>. Hmtslikall des Könilsk. Land- und des Königs. Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Notizeramtes der Ltadt Leipzig. lFrrnsprrcker Amt Vl Nr. 4MZ7 3!^. 84. Mittwoch den 15. Februar 1905. l .. —MM— !!! I!I !II II !I 777771777^ Abend-Ausgabe. An zeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 2S Familien- und Stcllen-Anzeigen 20 Finanzielle Anzeigen, Geschästtauzeigra unter Tert oder an velooderer Stelle nach Laris. Die «gespaltene ReNamezrile 75/^. Auuehmefchluß für Anz»i,en: Abe ad-Ausgabe: vormittags 10 Ubr. Morgen-AuS-abe: nachmittags 4 Uhr. Anzeige« sind U«ts an di« txvrütNoa zu richten. Extra-Vetlegen »nur mit der Morgen- Autgabe^ nach besonderer Vereinbarung. Die Srdedttton tp wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis abeudS 7 Uhr. Druck und Verlag von O. Polz in Leipzig <Jnh. l)r. B.. m. L W. Altukhardtj. SS. Jahrgang. sagt. Und um diese ..wertvollen Elemente" zu ver söhnen, wurde auf die Ausführung eines Lieblingsplanes des Kaisers verzichtet, hat der Kanzler alle diplomatischen Künste spielen lassen, ihre wirtschaftlichen Forderungen sind befriedigt worden, und kein Tag vergeht, an dem ihnen nicht gehuldigt würde. Jlmen aber schwillt der Kamm im Bewußtsein ihrer Macht. Und sie stehen ja auch nicht allein: das Zentrum sekundiert ihnen treulich, übertrumpft sie soMr noch. Herr Gröber erklärt das „Treiben" des Flottenvcreins dem Jnlande wie dem Auslände gegenüber für „das Gemeingefährlichste, tvas man sich denken könne". Er wagt es, 'den Wunsch, unsere Flotte zu verstärken, als gemeingefährlich zu bezeichnen. Solche Aeußerungen müssen festgelegt werden: es könnte doch sein, daß die Stunde kommt, wo Herr Gröber und mit ihm seine ganze Partei sie bitter bereuen. Wenn unsere Flotte nicht so, wie es notwendig ist, verstärkt wird, dann muß das deutsche Volk auch erfahren, wer dafür die Verantwortung trägt. Gemeingefährlich war einst Virchows Abrüstungsvorsckllag, gemeingefährlich sind die Versuche, eine keineswegs unbedenkliche Lage zu vertuschen, nicht aber das Streben, dein Vaterlande den wirksamsten Schuh zu bereiten. Herr Gröber läßt jedes Gefühl für nationale Würde vermissen, wenn er das Ausland in diese Debatte hineinzieht. Wir bean spruchen das Recht, unsere Ddaßnahmen zur Landesver teidigung ohne jede Rücksicht auf das Urteil des Aus landes zu treffen. Traurig genug, daß die Regierung die Flottenvorlage zuriickgestellt hat, um englische Empfindlichkeit zu schonen. Ten Tioskuren Böhlendorff- Gröber schloß sich Dr. Müller-Sagan an. Wir empfehlen ihm die Broschüre, in der sein Parteigenosse Ludwig Flatau die Notwendigkeit der Weltpolitik kürzlich dar- gelegt hat. Und was hatte der Staatssekretär von Tirpitz zur Antwort bereit? Er lehnte jede Verantwortung für die Handlungen des Flottenvereins ab, nichts weiter. Sa recht im Stil unserer heutigen Staatsmänner, korrekt und nichtssagend. Statt den Herren deutlich zu sagen, daß er ihren Standpunkt mißbillige und, ohne sich mit dem Flottenverein zu identifizieren, diesem doch für sein gemeinnütziges Wirken die höchste Anerkennung aus sprechen müsse, wie das erst kürzlich sogar der Kaiser getan, hatte der Chef der Marine nur die kühle oder verlegene Abwehr: Ich kann nichts idafür. Wir haben schon seit geraumer Zeit die Empfindung, daß man den Marine-Enthusiasmus der Bevölkerung eben nicht als opportun empfindet, und daß die Parole „Ruhe um jeden Preis" ausqegeben worden ist. Wirklich, die leiten den Männer erweisen sich bisweilen als sonderbare Käuze. Jetzt sind ihnen Debatten über das Thema der Flottenverstärkung unbequem und die Bewegung wird nach Kräften eingedämmt. In einem halben Jahre wird eine Aenderung des Flottengesetzes unabweislich sein (sie ist es ja eigentlich schon heute), und dann wird man die Flamme wieder schüren wollen. Hier, wo sich nun end- lich einmal wirklich gesunder politischer Instinkt zeigt wo die Saat, die der Kaiser ausstreute, kräftig aufgeht, stehen die Regierenden kritischen Blickes dabei und wissen kaum, wie sie sich dafür entschuldigen sollen, Laß ihr Weizen blüht. Wahrlich, es ist ein tragikomisches Schauspiel. Der Flottenverein wird sich aber hoffentlich in seinen Bestrebungen nicht irre machen lassen. Geht das Volk voran, so wird die Regierung wohl oder übel folgen müssen. Iurtttlat Sells über Oie maenburger hsrgiinge. In Nr. 4 der „Deutschen Juristen-Zeitung" vom 15. Februar veröffentlicht der bekannte Berliner Rechts anwalt Justizrat Dr. Sello über die Rrckstmt-Afsäre einen interessanten Artikel, in dem er ungefähr Folgendes ausführt: Man hat jenem Oldenburger Gerichtshof den Vorwurf der bewußten Parteilichkeit und absichtlichen Rechtsbeugung gewacht. Man sprach sogar von russischen Justizzuständen. Es darf nicht gewartet werden, bis ein ! rechtskräftiges Urteil vorliegt: bis dahin können noch Monate vergehen. Inzwischen aber kann die Annahme, i Laß in Deutschland im Namen der höchsten Staatsgewalt! das Reckst ungestraft gebeugt werden könne, leicht schon j unersetzlichen Schaden gestiftet haben. In der Beleuchtung der Sache beschränke ich mich streng auf deren juristische Seite. Auch mit den Klagen des Angeklagten Schweynert über die !>arte Behandlung in der Strafanstalt habe ich es hier nicht zu tun. Eins freilich folgt daraus unabweislich: Der Erlaß einest Neichsgesetzes über den Strafvollzugs darf unmöglich länger verzögert, die Gefängnishaft darf nicht ferner im Verordnungs- lvege in einer Weise geregelt werden, die offenbar nahe an das heranstroift, was sich der Gesetzgeber des Straf gesetzbuchs unter der Zuchthaus st rase gedacht hat. Die StaatsaMraltschaft war zwar nicht verpflichtet, dem Wunsche der Verteidigung nach Einsicht in die Akten des gegen den Minister Ruhstrat geführten Ermittelungs verfahrens zu willfahren: sie hätte aber besser daran getan, ihn zu erfüllen. — Dem Tadels votum gegen die Oldenburger Richter, daß sie dem An träge der Verteidiger, die sie wegen Besorgnis der Be fangenheit ablehnten, nicht entsprochen haben, kann ich nicht beipflichten. Man muß einem Vorsitzenden Glauben schenken, wenn er erklärt, er fühle sich nickt befangen. Der Vorwurf der Befangenheit war auch noch damit begrün det worden, daß im Hinblick auf die Schmähungen, in denen sich der „Residenzbote" gegen die ganze Olden burger Juristenzunft zu ergehen liebte, kein Oldenburger Richter in einer Beleidigungssache gegen den „Residenz boten" unbefangen urteilen könne. Auch diese Tatsache kann ich nickt als geeignet gelten lassen Mißtrauen gegen die Parteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Wäre dem so, so brauchte ein Zeitungsschreiber nur bei jeder Gelegenheit recht pöbelhaft auf den deut schen Jur ist en stand zu schimpfen, um sich für alle Zukunft und für jede Straftat völlige Straffreiheit innerhalb des ganzes Reiches zu sichern. Der zweite Ablehnungsantrag richtete sich gegen alle weiteren Mitglieder des Oldenburger Landgerichts und Oberlandesgerichts. Ich muß die absurden Konsequenzen perhorreszieren, zu denen es führen müßte, wenn man auf solche Weise deutschen Richtern eo ipso die Fähig keit absprechen wollte, gerecht und unparteiisch über die gegen einen ihrer Vorgesetzten verübte Beleidigung ab zuurteilen. — Die weitere Beschuldigung, daß das Ge richt die Verteidigung geflissentlich zum Nachteile des Angeklagten lahm gelegt habe, halte ich für unbegründet. Das Gericht veranlaßte mit Recht den einen Verteidiger des Angeklagten, Dr. Sprenger, sein Verteidigeramt bis nach seiner Vernehmung niederzulegen und bis zu seiner Vernehmung den Saal zu verlassen. Außerdem ist zu bedenken, daß Dr. Sprenger erst im Ver handlungstermin dem Gerichte anzeigte, daß er vor zwei Tagen zum Mitverteidiger bestellt worden sei. Dem Nebenkläger Ruhstiat dagegen, der zugleich Zeuge ist, kann die Anwesenheit während der ganzen Tauer der Verhandlung, nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts, nicht verwehrt werden. Ich halte den Vorwurf, mit dem die Verteidiger die Niederlegung ihrer Mandate begründeten, nicht für ge rechtfertigt. Allerdings war es der Staatsanwalt, der zuerst die verletzende persönliche Note anschlug. Aber haben die Verteidiger nicht auch leidlich scharfe Töne an geschlagen? In deni Verhalten des Angeklagten Schwey- nert — er lehnte jegliche Erklärung ab, weil er zu ange griffen sei — kann ich nichts als em taktisches Manöver erblicken. Was nun die vielberufene Verhaftung des Zeugen Meyer anbetrifft, so steht sowohl ihre formelle als auch ihre materielle Berechtigung außer Zweifel. Nur in einem Punkte hat nach meiner Ueberzeugung die Oldenburger Strafkammer zwar nicht gegen eine be stimmte Vorschrift der Strafprozeßordnung, aber doch gegen ihre voin Reichsgericht beslärigte Auslegung ver stoßen. Der Staatsanwalt durfte nickt als Zeuge vernommen werden. Diesen Vorwurf halte ich für den einzig erheblichen, der das von der Oldenburger Strafkammer beobackstete Ver fahren im Ernste treffen könnte. Den Wahrheitsbeweis für die Behauptung, daß Ruh- strat noch als Oberstaatsanwalt und Minister in öffentlichen Lokalen mit größter Leidenschaftlichkeit dem Glücksspiel qesrönt habe, ist der „Residenzbote" nach der Ansicht Les Gerichts schuldig geblieben. Der Legende aber, daß der Minister Ruhstrat jemals unter seinem Eide bekundet habe, er habe seit 1896 kein Glücksspiel mehr gespielt, muß ein jeder, der den Fall auf Grund der Materialien kennt, auks bestimmteste widersprechen. Mag man über die „Spielepoche" im Leben des Ministers denken, wie man will: mit der Beschuldigung des Mein eids sollte man doch vorsichtiger sein. Die öffentliche Meinung kann sich nach alledem be ruhigen: vorläufig haben wir in Deutschland noch keinen Justizminister, der des wissentlichen Meineids verdäch tig, geschweige denn überführt wäre. Und auch der deutsche Nichterstand mag bcscheidentlich wieder sein Haupt erheben. Mit den deutschen Richtern, die aus Liebedienerei gegen ihren Minister einen wehrlosen An geklagten gemißhandelt, seine Verteidigung geknebelt, das Recht mit Füßen getreten haben, soll man uns nicht mehr bange machen. Soweit Sello, dessen Urteil dadurch an Gehalt ge winnt, daß er als Rechtsanwalt und Verteidiger die Oldenburger Richter in Schutz nimmt. Nun kommt freilich viel auch auf den Ton der Verhandlung an, und den gibt der geschriebene Bericht leider nicht wieder. Schade, daß Herr Sello bei der Verhandlung nicht zugegen war. Vielleicht wäre dann sein Urteil etwas anders ausgefallen. Der Auktana in SiiammMa. Schwierigkeiten der wasferbeschaffnng. Von den furchtbaren Anstrengungen, die unsere Truppen bei der Verfolgung der Herero am Rande des Sandseldes zu ertragen hatten, gibt ein packendes Bild der im „Mil.-Woch.- Bl." veröffentlichte Bericht über eine Unternehmung des Hauptmanns Klein am Epukiro entlang auf Rietfontem zu: Mit einer größeren Abteilung hatte Hauptmann Klein am 27. Oktober morgens bei Orlogsende einen Trupp Herero in die Flucht geschlagen und bis zur Wasserstelle Oz-Ombu verfolgt. Hier wurde das Wasser bereits so knapp, daß eine Versorgung der ganzen Abteilung für den Weitermarsch unmöglich erschien. Hauptmann Klein be schloß daher, die Verfolgung nur mit 25 Mann des Reiterzuges unter Leutnant Wagner und drei Geschützen, einem Munitionswagen unter Oberleutnant Naorowsky fortzusetzen. Am 27. Oktober 4 Uhr 30 Min. nachmittags trat die Abteilung den Vormarsch an. Am 28. Oktober 7 Uhr morgens hatte sie etwa 50 Kilometer zurückgelegt. Längs des Weges lagen einige tote Herero und etwa 1000 Stück verendetes Vieh. Wasser war nir gends gefunden worden: der von den Mannschaften mitge führte Vorrat reichte nur noch knapp für den 28. aus. Hauptmann Klein beschloß nunmehr, mit den vier frische st en Reitern allein weiter zu reiten. Oberleutnant Nadrowsky sollte mit dem Rest der Abteilung nach Maßgabe der Kräfte von Mann und Tier folgen. Be reits nach 15 Kilometern mußte Hauptmann Klein zwei Reiter wegen Erschöpfung ihrer Pferde zurückschicken. Er selbst legte mit seinen letzten beiden Begleitern noch weitere 15 Kilometer zurück, ohne auf Wasser oder Anzeichen von Var Mcbligrte vom Tage. * Nach einer unS zugebenden Meldung teilt der Berg bauliche Verein in Essen mit, daß beute auf fast allen Gruben die Belegschaften in voller Stärke angefahren sind; er beabsichtigt daher, die regelmäßigen Streik statistiken von heute ab einzuftellen. * Ein ReichSautomobilgesetz wird im Neichsamt deS Innern ausgearbeitet. (S. dtsch. Nch.) * Die Vollversammlung des deutschen Handels tage S trat heute in Berlin zusammen. * In den Weißenfelser Schubfabriken ist ein Streik ausgebrochen. (S. Dtsch. Reich.) * Der in Privatdepeschen «»gezeigte Ukas des Zaren mit der Einberufung des Semski Ssobor soll an geblich am 14. März, dem Jahrestag der Abschaffung der Leibeigenschaft, veröffentlicht werden; die Zahl der De legierten werde 150 betragen. * In Pabianice (Russisch-Polen) schossen Kosaken in eine Schar ausständiger Arbeiter; ein Mann wurde getötet und sieben verwundet. Auch in Tomsk soll es Tote gegeben haben. (S. den Artikel über Rußland.) Vie Stetigkeit Ser slottenpolM. In dorBudgctkommission des Reichstages wurde gestern der Etat für das Schutzgebiet von Kiautsckzau beraten und in der Debatte traten AnsckMrungen zutage, die weiteste Verbreitung verdienen, rveil sie für ganze Parteien und leider auch für die Regierung charakteristisch sind. So lesen wir in dem summarischen Bericht, der über die Kommissionsverhandlungen zu Gebote steht, der konser vative Abgeordnete von Böhlendorfs habe das Ersuchen gestellt, der Agitation des Flottenvereins einen Riegel vorzuschieben. Es geht nichts über die naive Dreistigkeit Lieser Herren. Die Gesinnungsgenossen Les Herrn von Böhlendorfs haben es in den letzten Jahren an freier Rede wahrlich nicht fehlen lassen. Nock) vorgestern hat es bei der Parade des Bundes der Landwirte kernige Witze gehagelt: da hieß es, der Kanzler sei als Vorletzter ver setzt worden und man könne der Regierung nur die be dingte Begnadigung zubilligen. Das war Chamade, aber es ist noch gar nicht lange her, daß die Fanfare bis zu den Stufen des Thrones emporklang. Die Agrar- konservativen sprechen frei von der Leber weg, jedem anderen aber möchten sie einen Maulkorb anlegen. Die „janze Richtung" der Weltpolitik paßt ihnen nicht, und deshalb soll der Flottenverein schleunigst mundtot ge macht werden. Tas wagen die Herren nach den Er fahrungen der letzten Wock-en, nach der Dislozierung der englischen Flotte und nach der Rede des Herrn Lee zu fordern! Man weiß nicht, ob man mehr über 'ihren Un verstand oder über ihre Dreistigkeit erzürnt sein soll. Und das sind die „geborenen Führer" der Nation, die Elemente, auf die sich die Regierung stützen zu müssen glaubt, von denen sie Verständis und Hülfe erwartet. Nie und nimmer wird ein Volk große überseeische Unter nehmungen erfolgreich durchführen, in dem die herrschende Kaste so bauernschlau und blitzdumm zugleich ist. Die politische Kapazität dieser Leute besteht ja lediglich in der energischen Wahrnehmung ihrer allernächsten Er werbs- und Standesinteressen, jeder Blick in die Zukunft, jede Schätzung allgemeiner Gesickstspunkte ist ihnen ver Feuilleton. Frauchen. Roman von Felix Freiherr von Stenglin. Nachdruck verboten. Allmählich wurden Walters Sinne klarer, und or sah die Lage, in der er sich von heute an befinden würde, deutlich vor sich. Hatte er doch selbst seine Zustimmung dazu gegeben, daß Agnes diesen Ausflug in die Welt wagte. Tante Lotte meinte, er würde sie abschrecken. Anderer Ansicht war Major Brandt. Der hatte gesagt: „Der Zeisig, den man fliegen läßt, kommt nicht wieder." In Erinnerung hieran wurde Walter nicht besser zu Mut. „Ist die gnädige Frau schon fort?" fragte er. „Jawohl, Herr Hauptmann!" antwortete Lemm. Hatte die es aber eilig! Wie die Schulmädchen beim ersten Schulgang. „Und meine Schwester?" „Das gnädige Fräulein ist eben auch gegangen." Was mochte Valeska nur so früh vorhaben? Sie „arbeitete", wie sie sagte, halbe Tage lang in den Räumen des Frauenvereins, aber so früh war sie doch bisher nicht dorthin gegangen. Vielleicht wartete sie am Eingang der Kartonfabrik und machte sich über die Arbeiterinnen „statistische Notizen", oder sie kontrollierte in der Molkerei, wie die Mädchen dort behandelt wurden. Sie steckte ja llborall ihre Nase hinein. Oder ob sie nur so zeitig gegangen war, um in keinem Falle von dem Bruder zur Hülfeleistung in häuslichen Dingen heran gezogen zu werden? „Was will die Frau?" fragte Walter den Burschen. „Die Kleine braucht jetzt doch mehr Milch, Herr Hauptmann, Minna sagt, jedesmal fünfzehn Strich —" „Fünfzehn Strich? In Gottes Namen!" „Ich wollte nur fragen, wieviel die Milchfrau bringen soll?" „Wieviel?" „Ja, wieviel Liter." „Na, laß sie zehn Liter bringen!" sagte Waklter und legte sich noch einmal hin. „Zu Befehl!" Lemm verschwand. Ich muß also jetzt aufstehen, dachte Walter, blieb aber liegen. So früh er auch oft zum Dienst gemußt hatte, seit einiger Zeit wurde ihm das Aufstehen sehr schwer. Die Sitzungen in der „Traube" dehnten sich immer ziem- lich lange aus, er hatte ja keine Häuslichkeit mehr! Und nun noch diese Karnevalslaune l Eine ver schrobene Idee, in die Wirklichkeit übertragen! Endlich warf er entschlossen die Decke von sich. Er wollte nicht gleich am ersten Tage ein schlechtes Beispiel geben und die übernommene Pflicht verletzen. Einige Augenblicke blieb er sinnend auf dem Bett rand sitzen. Er lächelte. Zu verdreht, Latz er hier ge wissermaßen die Obliegenheiten der Hausfrau ausüden sollte! Abqr wenn es ihm gelang, Agnes den Beweis zu liefern, daß er trotz seiner dienstlichen Pflichten noch imstande sei, das zu tun, wovor sie sich immer so ge fürchtet hatte, und zwar es gut zu tun, besser alls sie — dann konnte dies immerhin eine treffliche Lehre für sie sein. Ueberdies hatte er sich ja verpflichtet, falls er seiner Aufgabe nicht gerecht werden könne, Agnes nie wieder zu häuslicher Tätigkeit nötigen zu wollen. Er mußte also schon alle Kraft zusammennehmen, diese Aufgabe zu erfüllen. Und vielleicht, — vielleicht gewann er sich sein Frauchen damit zurück. In der letzten Zeit, da sie ihm immer mehr entglitt, hatte er recht erkannt, wie er an ihr hing. Sie war ein Stück van seinem Leben geworden, er konnte sich das Leben nicht mehr ohne sie denken. Ans Werk also! Nun scheute er sich nicht mehr davor. Was gab eS denn dabei auch groß zu tun! Tie Frauen machten so fürcksterlich viel Wesen daraus, selbst Tante Lotte tat sich immer so übermäßig wichtig mit ihrer Arbeitslast. DaS meiste machten ja doch die Dienst boten. Und dies ewige Gestöhne von Agnes war schon gar nicht mehr auszuhalten gewesen. Schon deshalb war es ganz gut, daß einmal eine Aenderung eintrat. Ein Mann hotte zehnmotl gehandelt, ehe eine Frau zum Entschluß gekommen war. Gerade hatte Walter begonnen, sich anzukleiden, als es an die Tür klopfte. „WaS gibt'- denn nun schon wieder?" rief er. Lemm trat abermals ein. Ein Lächeln schien um seine Lippen zu spielen. Warum lächelte der Kerl? „Herr Hauptmann, Auguste meint, zehn Liter wären zu viel, bis jetzt hätten wir nur drei gebraucht." Walter schwieg einen Augenblick, doch dann faßte er sich schnell. Blamieren durfte er sich auf keinen Fall. „Sagen Sie Auguste, das ginge sie gar nichts an! Wenn ich zehn Liter bestellt habe, so geschah es natürlich nicht ohne Grund. Die tieferen Ursachen entziehen sich Eurer Kenntnis. Es wird heute Milchsuppe gekocht, ver standen?" „Zu Befehl, Herr Hauptmann." Lemm entfernte sich wieder. Walter sann nach. Augenscheinlich amüsierte die Gesellschaft sich über ihn. Da wollte er doch gleich ein mal wie ein Donnerwetter zwischen sie fahren. Zug mußte in die verlodderte Wirtschaft kommen! In Agnes' Zimmer traf er Lemm noch beim Heizen. Es war ungemütlich kalt. Wie die kleine Frau wohl in der kalten Wohnung gefroren hatte! Sie brauchte immer so viel Wärme. Nun, — sie hatte es so gewollt. „Na, wird's bald? Das konnte doch längst fertig sein!" herrschte Walter den Burschen an. Lemm, der vor dem Ofen kniete, suchte sich eine möglichst respektvolle Haltung zu geben und arwiderte: „In den anderen Stuben brennt es, aber hier will es nicht brennen." „Wahrscheinlich machen Sie's nicht richtig", sagte Walter und hockte nun selbst nieder. „Sie können
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