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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.02.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050213029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905021302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905021302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-02
- Tag1905-02-13
- Monat1905-02
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Morgea-AuSgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüy 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Potz in Leipzig (Inh. ltr. Ä., R. «. W. ttlinktzardt). Nr. 8«. Montag den 13. Februar 1905. SS. Jahrgang. Var McWgrte vom Lage. * In Berlin ist gestern die Verschmelzung des Bundes der Handwerker mit der Deutschen Mittel st andsver ei nigung er folgt. * Nach Kossuths Weggang empfing der Kaiser den Erzherzog Franz Ferdinand. Der Monarch äußerte sich, Kosiuth habe mif ibn einen sehr günstigen Eindruck gemacht. Nachmittags reiste Kossuth nach Pest zurück. (S. den Leitartikel.) * Der General Kaulbars hat das K o m mon d o der zweiten russischen Armee übernommen. (S. Rufs.- japan. Krieg.) Forsutl) serener. Am 1k». März 1848 durchzog bei Fackellenchten die vom ungarischen Reichstag entsandte Deputation, die ein selbständiges, verantwortliches magyarisches Mini sterium forderte, die Straßen von Wien. Ihre Führer waren Batthyäny Lajos und Kossuth Lajos, der friihere Redakteur des „Pesti Hirlap", ein mittelloser slovakischer Adliger, der als Rechtsanwalt der Gräfin Szapäry und als Vertreter eines Magnaten den Weg zum Erfolg ge sucht hatte, bis ihn im Jahre 1839 eine vierjährige Festungsstrafe auf Munkäcs, wovon er dank der Amnestie nur ein Jahr absaß, zum na-tionalpolitischen Märtyrer erhob. Die Deputation setzte ihr Verlangen unter dem Jubel der Menge durch: und Kossuth Lajos, -Habsburgs Erbfeind, Begründer des magyarischen Schutzvereins, Inspirator eines magyarischen Protektio nismus, Anwalt der Bauern, Widerpart des Adels und des hohen Klerus, wurde Finanzminister Ungarns. Er griff, als dann der offene Krieg entbrannte, im Sep tember 1848 nach der ungarisclvn Diktatur, stellte sich, dem Beispiel der Arrivisten aus der großen franzö sischen Revolution getreu an die Spitze des magyarischen Landesvecteidiqungsausschusses, mobilisierte als ein zweiter Carnot den Landsturm der ungarischen Nation, verlor durch seine Ruhmredigkeit die Schwccl-ater Schlacht, erklärte am 14. April 1849 durch den Rcichsrat die Unabhängigkeit Ungarns, die Depossedierung der habsburgischen Dynastie und zog mit Pomp und Fan- fgren am 5. Juni in das zurückeroberte Pest ein. Am 11. August wurde die Herrlichkeit des verantwortlichen Landesgouverneurs zerschlagen: im Kriegsrat von Arad mußte er die magyarische Diktatur dem General Arthur Görgei überlassen, der mit eines Wallensteins Heftigkeit den Mantel der höchsten zivilen und militärischen Ge- walt von den Schultern des advokatischen Usurpators riß. Bei Orsova mauerte Ungarns Heros die glitzernden Reichskleinodien ein, er floh über die türkische Grenze, um Albions, des Emigrantcnheims, rettende Halle zu erreichen, wurde in Widdm. in Schumna und iin klein asiatischen Kutahia interniert, nach französischer und amerikanischer Verwendung befreit und landete endlich am 23. Oktober 1851 in Southampton. Die englischen Ultras, wie auch der freien Vereinigten Staaten freie Bürger paradierten mit ihm auf Meetings und Banketten: er blieb eine Glanznummer des revolutio nären Jdeologenausschusses, worin er mit Ledru-Nollin und Mazzini figurierte. Er trug gleich dem Eichhörnchen der Riesenesche Agydrasill den magyarischen Weltenbrand nach Sardinien, wurde aber durch den Frieden von Villa- franca gezwungen, seinem Dienste als freiwilliger Agent des dritten Napoleon und seiner Hoffnung auf eine ungarische Revolution zu entsagen. Die letzte Phase ist bekannt: als unversöhnlicher Greis, dessen heroische Pose einem minderen Geschmack entspricht, wie der unsterb liche Magyar Iokai, der Victor Hugo kopierte, wohnte Kossuth Lajos in Turin, wollte als ungarischer Reichs tagsabgeordneter selbst nach der Begnadigung magya rischen Boden nicht betreten und schrieb nur offene Briefe an die „Unabhängigkeitspartei", die ihn ihren geistigen Vater nennt. Noch als Toter wurde der nationale Große, der dem Staatsgrundgesev den Gehorsam weigerte, am 1. April 1894 als Protest gegen das Haus Oesterreich benützt: das Volk von Pest umdrängte den Leichenzug, der königliche Palast sollte mit Trauerflaggen gescknnückt werden, und der drohende Zorn der Massen verursachte blutige, schimpfliche Szenen. Am 11. Februar, gegen Nacht, ist der zweite Kossuth, Abgeordneter Kossuth Ferencz, mit dem Pester Schnell zug auf dem Wiener Staatsbahnhofc angelangt, etliche Ungarn schrien: „Elfen!", die Damen küßten schleunigst die geliebten Personen ab und fragten hastig: „Ist Kossuth im Zug? Wo ist Kossuth?", und als „der Mann" mit seinem Troß dem Ausgange zuschritt, wurden die Bahnportiers überrannt. Der Sohn des vollbärtigen Diktators sieht seinem Vater nicht ähnlich: die Wiener Zeitungen sprechen von seinem Embonpoint, seinem kurzen, starken Hals, seinem Doppelkinn, seiner Glatze, seinem blonden Schnurrbärtchen, seiner Brillant nadel, seinem Siegelring, seinem dunklen Winterrock und seiner schweren Reisedecke. Ehe er dem Monarchen nabte, der am 22. September 1851 den Hochverräter Kossuth Lajos zu Pest in akkigie hinrichten ließ, ist Herr Franz Kossuth ins Hotel Bristol gegangen, hat eröffnet, daß er des Deutschen nicht mäckstig sei, und einem Journa listen auf einer Visitenkarte in französischer Sprache «das folgende Dcanifest geschenkt: „In Wien ernu'ere ich mich der gegenseitigen Liebe der beiden Völker zu- einander, welche jetzt eine teure Erinnerung an ver- gangene Zeiten bildet, die uns aber die Zukunft wieder schenken kann, wenn die Völker sich verstehen werden und der Herrscher ganz bis in die tiefsten Tiefen der Seele des ungarischen Volkes nnd seines Geistes wird luneinblicken können." Herr Franz Kossuth hat die Stunde erlebt, die sein geschäftskluger Ehrgeiz seit Jahren vorausgeahnt hatte: er legt die Hand auf die Klinke der Regierung. Die politische .Karriere ist ent schieden, der er einst als Ingenieur am Mont Cenis- Tunnel, als italienischer Eisenbahnkommissar, als Gene- raldircktor der Bergwerksgesellschaft von Cessna und Direktor der Impresa Industriale Italiana sich entzog. Nie hat Kossuth Ferencz den Bogen überspannt. Im Jahre 1867, als das Werk Deaks, der Ausgleich, ge schaffen wurde, hat er die Würde eines ungarischen Depu tierten abgelehnt, im Jahre 1895 jedoch sie angenommen. Er hat den Eid geschworen, den sein Vater nicht schwören wollte, er hat als Chefredakteur des „Egye- tcrtes" mit Banffy und Khuen-Hedervary paktiert, so daß das Vertrauen, der „Unabhängigkeitspartei", das Ver trauen des Volkes, das bei der Auffahrt zur kirchlichen Milleniumsfeicr in der Pester Matthiaskirche ihn be grüßte, in Mißtrauen umschlug. Auch nach dem Besuch in der Hofburg l-at Herr Kossuth seine Karten nicht auf ¬ gedeckt. Er hat berichtet, der Monarch habe ihm auf merksam zugehört und sei sehr gnädig gewesen, und die Oeffentlichkeit vermag diesen Surrogaten nicht zu ent nehmen, wie in Wahrheit die Begegnung des ge- demütigten Königs und des Rebcllcnsohnes sich gestaltete. Der Prätendent lmt verkündet, daß er von seinem Pro gramm, der Vernichtung der Lex Daniel, dem selbst ständigen Zollgebiet, der magyarischen Armeesprache, der magyarischen Sprache in den gemeinsamen Ministe rien, der zweijährigen Dienstzeit, der magyarischen „Wahlreform", sich etliches abseilschen lassen werde. Und das unwiderrufliche Ereignis verliert an Bedeutung, wenn man sich vergegenwärtigt, daß schon der Sprachen- erlaß des Herrn von Pitrcich auf die schiefe Bahn leitete, auf der es jetzt, nachdem Herr Kossuth in den kaiser lichen Gemächern seine falschen Ansprüche aus der pragmatischen Sanktion Karls VI. vortragen durfte, keinen Halt mehr gibt. Zunächst wird in Pest nur ein Provisorium durch Vertagung für den Fall, daß bis zum 17. Februar das neue Kabinett nicht gebildet sein sollte, erwogen, und die Grafen Albert Apponyi und Julius Andrassy haben die zweifelhafte Genugtuung, daß Herr Franz Kossuth als freudenvoller Erbs ihre Chancen übersprungen hat. c^V. vsn 4er Srslin Montignors. Nachdem man sich eine zeitlang mit der angenehmen Hoffnung tragen konnte, der Schlußakt der Montignoso- Tragötie werde zwar melodramatisch, aber doch herzlich un politisch ausklingen, sind die Zeitungen jetzt wieder gezwungen, die Angelegenheit ernsthafter zu nehmen. ES ist glücklich wieder erreicht, daß Kompetenz konflikte auftauchen, daß die „ewigen Menickenrechle" gegen die „starren Buchstabengesetze" auSgespielt werden, daß ein larmoyanter Roman über die rem freundschaftlichen Bestehungen dech italienischen Grafen -u der /rastbednrstigen - .>iäsin erzählt wird — kurz, raß die ganze allbekannte Treiberei von neuem beginnt. Nur daß jetzt der italienische Boden noch eine ganz andere Ueppigkeit der Sensations wucherungen hervorbringt, als dies die bisherigen Standquartiere der Gräfin zu bieten vermochten. Schon spielt auch die sogenannte hohe Politik in Gestalt eines italienischen An walts und Abg. Rosadi in die Affäre hinein. Billetts der Gräfin mit „herzlichen Grüßen" an ihr persönlich un bekannte italienische Senatoren werden von der italienischen Presse abgedruckt unv zeigen deutlich die simple und doch immer so wirkungsvolle Mache der Gräfin. Herr Rosadi arbeitet auch feinerjeits mit Hochdruck, um die Stim mung zu beeinflussen. Auf ein wenig Unsinn kommt eS dabei gar nicht an. Da heißt eS z. B. wörtlich und in derselben Eatzfolge in einem offensichtlich von Rosadi inspirierten Artikel: „Rosadi habe der Gräfin geraten, sich verborgen zu halten, aber die Gräfin wolle offen für ihr Mutierrecht kämpfen, und ihre Widerstandskraft wachse, je brutaler man sie behandeln wolle; er habe von der bedauernswerten Frau, die völlig ver schüchtert und furchtsam geworden sei, den allerbesten Eindruck." Also: furchtsame Löwin, die man brutal behandelt. Der Schändliche ist der königl. Kommissar Iustizrat Körner aus Dresden, der von den Moutignoso-Blatteru als bluilechiender Barbar abkonterfeit wird. „Henkersdienste an einem Weibe" ist noch einer der milden Ausdrücke über ihn. Mil allen Details wird in der italienijchen Presse geschildert, was zwischen der Gräfin und dem Kommissar alles vorgesallen fein soll. ES fehlt nicht an den üblichen hochtheatralischen Szenen und großen Tönen: „Ich bin nicht mehr Prinzessin, sondern nur ein einfaches, bedauernswertes Werb." Stimmt, bedauernswertes Werb, das an alle Well und noch jemand Blumen verteilt, Postkarten mit Bild und Unterschrift verschickt, durch Dresden im offenen Wagen sährt, in Leipzig selbstgemachte Gedichte herausgibt, überhaupt sich genau so taktvoll und zurückhaltend benimmt, wie das einfache, bedauernswerte Weiber zu tun pflegen. Mit diesen Mitteln ist denn auch bereits erreicht worben, was man wollte. In der italienischen Presse macht sich ein Umschwung zugunsten brr Gräfin Montignoso geltend, wobei wahrscheinlich auch Guicciardinis klerikale Einflüsse eine Rolle spielen, ebenso auch die Nationaleitelkeit der Italiener, da die Gräfin eine Toskanerin ist. WaS wesentliches aus dem Wust von Wahrheit, Lüge und tendenziöser Entstellung herauSmschälrn ist, gibt wohl folgende Unterredung wieder, die Iustizrat Körner einem Bertreter des „B.L. Ä." in Florenz gewährte; Dr. Körner sagte: „Bei ten Eriabrungen, die ich 1903 in Genf und später bis znm heutigen Tage mit derGräsin Montignofo gemacht habe, sah ich voraus, daß sie der Wahrheit zuwiderlaufende Gerüchte in die Presse lancieren würde, und erbat die Ermächtigung des sächsischen Hofes, in dringend nötigen Fällen aktenmäßige Angaben des wirklichen Sachverhaltes veröffentlichen zu dürfen. In der leider begründeten Annahme, daß ein in Nummer 43 der „Tribuna" erschienener Artikel eine Ver wirrung der öffentlichen Meinung anrichten werde, veröffent liche ich, um dem energisch entgegenzutreten, den Wortlaut des folgenden Aktenstückes: Vor dem unterzeichneten kaiser lichen Konsul sind erschienen, persönlich gekannt: Iustizrat Kisi^r-Dresben, Gräfin Montignofo. Erstgenannter legte folgende Urkunde vor: „Ich erteile dem Königlich Sächsischen Iustizrat Emil KSrner- Tresten hiermit den Auftrag, meine jüngste Tochter, Prinzessin Anna Monika Pia, Herzogin zu Sachsen, die sich jetzt in der von der Gräfin Montignofo bewohnten Villa Papignano zu Florenz auf hält, von der Gräfin Montignoso abzufordern und nötigenfalls die Herausgabe meines Kindes mit allen gesetzlichen Mitteln zu er zwingen, meine Tochter danach der Kinderpflegerin Fräulein Alma Muth aus Dresden zu übergeben und letztere anzuweisen, sich mit der Prinzessin Anna an ihren neuen Wohnort zu begeben. Dresden, August GJanuar?) 1905. Gezeichnet Friedrich August." Iustizrat Körner erklärt hierzu folgende«: „Auf Befehl des Königs von Sachsen fordere ich Sie auf, Frau Gräfin Montignoso, hiermit die in Ihrer Obhut befindliche Prin zei siu Ani.^ Monika unverrüglich mir zu übergeben und zu gestatten, daß ich mich sofort in Begleitung des ersten Kammer dieners des Königs, Friedrich Hermann Kanisch, und mit dem kaiserlichen Konsul Oswald und dem KonsulatSsekrctär Eberle in die Villa Papignano San Domenico verfüge und daselbst Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Anna über nehme und mit ihr sowie der Kinderpflegerin Alma Muth die Villa Papignano verlasse. „Gräfin Montignoso erklärte hierauf, sie verweigere die Herausgabe des KinveS aufs entschiedenste und werde das weitere erst erledigen, sobald ihr Rechtsbeistand Ständerat Lackenal aus Gens eingetroffen wäre. Auf Vorhalt des Iustiz- rateS Körner, daß die Gräfin keinerlei Recht habe, die Herausgabe der Prinzessin Anna zu verweigern, da nach dem Punkt 2 des Vertrages vom 15. Juni 1903 der Gräfin nur gestattet sei, .das Kind bis zum 15. Mai 1904 bei sich zu behalten. Eine Verlängerung dieser Frist sei aber nicht criolgt, außerdem habe der König nach 8 04 des Königlichen Hausgesctzes vom 30. Dezember 1837 zu be stimmen, wo sich seine Knirer aufzubalten haben. Die Gräfin erwiderte daraus, sie kenne das Hausgesetz und den Vertrag genau, und der König habe daS Rechr, über ein Kind zu verfügen, dessen gesetzlicher Vater er ist, sei auch gesetzlich berechtigt, daS Kind wegzunebmen; sie werde aber trotzvem nur der Gewalt Weichen. — Als der letzte Satz nieder geschrieben war, habe ich vom Konsul die Er mächtigung erbeten, die offizielle Verhandlung zu unter brechen, um privatim der Gräfin einige Vorbaliungen zu macken und ihr die Torheit ihrer Weigerung vor Augen zu führen. Das war vergeblich — die Gräfin verblieb bei der Weigerung, die nun amtlich protokolliert wurde.— Ueber den Inhalt dieser privaten Konversation sind in der „Tribuna" unwahre Angaben gemacht worden, die nur von der Gräfin selbst herrühren tonnen, da außer Feuilleton. Frauchen. Roman von Felix Freiherr von Ttenglin. NaLdruct vrrbotea. AgneZ sah etwas erstaunt zur Tante hinüber, Valeska aber sagte keck: „Sie sollten ihr eine Stellung verschaffen, gnädige Fcau." ..Ich? Ich? - - Tante Lotte lachte laut auf. „Ja, dahin möchten Sic mich wohl bringen! Sie kriegen ja, wie es scheint, alles fertig. Ein köstlicher Gedanke: ich noch dazu beitragen! Aber vielleicht kommt es noch dazu. Man fügt sich der Zeitströmung. Was meinst du, Agnes? Die Wohnung wird dann nur vorüber gehender Aufenthaltsort für Euch beide sein. Sehr schön! Eins mir ist mir rätselhaft: Wer erfüllt die Obliegenheiten der Hausfrau?" Otto meinte, sie könnten ja abwechselnd die Woche haben, Walter und AgneS. „Nebensächlichkeiten!" warf Walter leicht hin. Gin Ausweg werde sich schon finden, bemerkte Valeska. „Im übrigen würden Zentralküchen die Speisen ja weit billiger und besser liefern", setzte sic hinzu. „Danke für das Fabrikessenl" rief Tante Lotte, die ihre Zurückhaltung zu vergessen begann. „Universal- sauce! Pfui Teufel!" „Ja, da dank' ich dock, auch bestens!" meinte Walter. „Ich würde nie rote Grütze oder Butdermilch bekommen — wie auch jetzt — und immer Wirsingkohl oder 'dünne, harte Scheiben Kalbsbraten —" „Wie kann man so materiell sein!" entgegnete Valeska. „Außerdem ließe sich die Einrichtung ja so gestalten, daß jeder zu seinem Recht käme. Und durch die Erziehung in Anstalten würde auch die andere Seite des sogenannten Hausfrauenberufcs frei." Otto betrachtete VäleSka mit Aufmerksamkeit. In dieser Ruhe und Bestimmtheit, mit der sie sprach, lag etwas Anziehendes für ihn, und doch wollte ihm scheinen, als wenn diese jetzt so kühl drcinschauenden Augen auch fähig sein müßten, sehr warm und hingebend zu blicken, und als wenn das noch bei weitem anziehender fein würde. „Für den, der'S will!" sagte Tante Lotte. „Ich würde nicht damit einverstanden fein, Mario- netten mit Nummern auS meinen Kindern machen zu lassen. Und wehe Hem, der mir meine .Kinder entreißen wollte!" Otto meinte, vielen Eltern wäre es wohl ganz an- genebm, wenn sie sich nicht mit der Erziehung der Kinder zu befassen brauchten. „Ja", sagte Valeska sofort, „sehr vielen. Die« .den Kindern leben* ist ja meist nur Phrake. Man spielt gern mit ihnen, besonders wenn sie hübsch sind, wer aber versucht, wirklich den Geist der jungen Menschen mit Sorgfalt und Verständnis zu entwickeln? Man kann es nicht, und man will es nicht." „Na, na!" bemerkte Walter. Lebhaft wandte Valeska den Kopf zu ihm. „Ja, kannst du's denn?" Walter sah sie etwas bestürzt an. Tann zuckte er lächelnd die Achseln. „Du, das kann ich dir wirklich nicht so genau sagen, heute wenigstens nicht mehr. Ich sollte aber meinen, daß ich durch meine Füsiliere etlvas Uebung orlangt hätte. Vier Jahre Kompagniechef, du glaubst nicht, wie das übt. Uebrigens, — wenn die Menschen es zum großen Teil nicht können, Hann ist's ja noch kein Beweis, daß sie'S nicht sollen." Er blickte sich im Kreise um. „Erlaubt mal, war das logisch? Ich denke." „So ziemlich", meinte Valeska. „Es ist mir ober gar nicht zweifelhaft, daß im PrivathauS die Erziehung fast immer irrationell unH dilcrtantenhaft sein wird. DaS hab' ich bei nrir gesehen." „Schön", sagte nun wieder- Tante Lotte. „Und in dieser Retorte wird dann >der neue Mensch gebildet, daS Wundertier, nicht wahr?" Nein, sie durfte nicht schweigen! „Kinder! Kinder!" ries sie aus. „WaS denkt ihr Euch! Nehmt dem Menschen sein .zu Hause*, nehmt die Begriffe Gemüt, Poesie, Elternhaus, Familie auS der Welt, und es ist zu Ende!" „Schr wabr!" setzte Walter hinzu. Er suchte nach Worten, um seiner Ueberzeugung Ausdruck zu verleiben. „Wiir müssen doch etwas haben, das uns tröstet — in all dem Schweren Les Lebens das uns da aufrecht erhält. . . . Früher lvar es das Elternhaus, jetzt ist es das eigene Heim, in dem die Frau waltet. . . . Etwas, wohin wir uns flüchten können, wenn uns die Welt, der Beruf, die Menschen draußen mit räuber Hand Enttäuschungen bereiten. . . . Und deshalb brauchen wir —" „Eine BeruhigungSmaschin«", sagte Valeska trocken. Walter machte eine Bewegung dcS Unwillens. „Und wenn es nicht so leicht für eine Frau wäre!" fubr er kxistig fort. „Wenn eS nicht so krwderleicht und einfach wäre, diese Pflichten zu erfüllen!" Tante Lotte legte ihm die .Hand auf den Arm. „Darin muß ich Ihnen widersprechen, Walter. Das sollen Sie erst noch beweisen." „Oh, man muß nur wollen!" antwortete Malter. ValeSka schüttelte den Kops. „Wenn man aber nicht will? Müssen denn immer die Menschen auf andere Werse, als sie wollen, glücklich gemacht werden?" Bei diesen Worten wandte sie sich unwillkürlich zu Hem links neben ihr sitzenden Otto Eicbkamp, und da bemerkte sie. daß or sie unerwartet ansah. Dies Anstarren aus dem selbstzufriedenen, kecken Gesicht, das dein der Mutter so ähnlich sab, ärgerte sie. „Sic sind natürlich ebenfalls der Ansicht, daß der Wille der Frau als etwas Neben- sächliches gilt, nicht lvahr, Herr Eichkamp?" fragte sie ziemlich scharf. „Ich habe noch zu wenig darüber nachgedacht", ant wortete Otto, mit Absicht sich stellend, als ob er dieser Frage keine große Wichtigkeit beimesse, — gerade weil Valeska sie für so wichtig zu halten schien. Es drängte
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