Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.02.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050216023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905021602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905021602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-02
- Tag1905-02-16
- Monat1905-02
- Jahr1905
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
DezussS-PreiS in der Hanotexprottion oder deren Burhave- stellen abgebolt: virrteljüdrlich 3»—. bet zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau« ^l S.7K. Durch dir Post bezogen für Deulich« land u. Oesterreich virrtrljüdrlich ^l 4.50, für dir übrigen Länder laut ZeilunqSpreiriiste. Diese Nu««er kostet aus allen vabnbüsen und 111^1 bei den ZettungS-Verkäusern K " I * Iteöakttun und Er»e»tttum ILÄ Fernsprecher Äüi Jobanntlgasse 8. Haupr-Ftttale Dresden: Marirnsiratze 84 Grrnsprecher Amt l Nr. >713). Haupt-Filiale Verlin: TarlDunkler, Herzgl.Bal>r.Hosbuchbandlg<, Lüyownraße 10 ^Fernsprecher An» Vl Nr. 4MKV Sir. 86. Abend-Ausgabe. MMer Tagtblait Ämtsvlatt des Königs. Land- und des Hönigk. Ämlsgerichtes Leipzig, des Nates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Donnerstag den 16. Februar 1905. Anzetken.PretS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Familien- und Stellen-Anzeigen 20 Finanzielle Anzeigen, LefchüstSanzrigeu unter Text oder an bewnderer Stelle nach Laris. Die 4 gespaltene Reklamezeile 75 Annahmeschlutz für Anzeigen: Abend-Ausgabe vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an dir lizpedttiou zu richte». Ertra-Vetlagea cuur mit der Morgen- Au-gabe- nach besonderer Vereinbarung. Die Erpedttia, ist wochentags ununterbrochen geSffnet von , früh 8 bi» abends 7 Uhr. Druck and Verlag von E. Polz in Leipzig lJnh. l)r. B.. R. ät. W. Klinkhardtl. SS. Jahrgang. Var Wichtigste vom Lage. * Herzog Karl Eduard von Koburg-Gotba bat sich mit der Prinzessin Viktoria Adel Heid von Schleswig- Holstein verlobt. (S. Dtsch. Reich.) * Die Ausarbeitung deS vielbegebrten Gesetzentwurf wegen besseren Schutzes der Bauhanvwerker ist soweit gefördert, daß er in nächster Zeit zur Begutachtung den Einzelregierungen unterbreitet werden kann. * Graf Bülow wird heute die Kanalvorlage per sönlich im preußischen Herrenhaus« rinbringen. * Nach Meldungen auS Rom, beriet die Kommission für die Handelsverträge gestern den deutsch-itallents chrn Handelsvertrag. (S. Ausland.) * Dir ungarische Opposition stellt Apponhi al» Bewerber um da» Präsidium deS Abgeordnetenhauses auf. (S. Ausland.) —— * Die russische Regierung protestiert durch Ber- mittlung Frankreichs gegen die den Japanern vor geworfene Verfolgung privater Eigentümer in Port Arthur. (S. russ.-jap. Krieg.) * Der russische Ministerialdirektor Vatazzi ist zum Ge- bülfen d«S Ministers des Innern ernannt worden. (S. den Artikel.) Vie äeutrcben slsttenpliine. Der kurze offiziöse Bericht über die gestrige Sitzung der Budgetkommission des Reichstages gibt auch nicht entfernt eine Vorstellung von der Bedeutung der Ver handlungen. Man erhielt nämlich zum ersten Male vom RegieningStische aus eine Andeutung, daß die von allen nationalen Kreisen geforderte Verstärkung der Flotte auch von der Regierung noch nicht aufgegeben, sondern eben ?:pr, wie schon immer vermutet, vorläufig zurück- gestellt sei. Ueber die Gründe.dieses Zögerns ist schon genug gesiegt worden. ES kommt hier im besonderen aber nur auf das Eine an, daß in Zukunft doch etwas ge schehen soll. Ueber Matz und Tempo der Marinebau pläne war auch nichts zu erfahren; keine Andeutung, ob wirklich und endlich 'den realen Bedürfnissen des Deutschen Reiches auf Anwachsen der schützenden Macht im Verhält nis der zu schützenden Seeinteressen und der konkurrie- renden Mächte zu erwarten ist. Nur die Richtung der Entwickelung wurde vom Staatssekretär des Reichs- marineamtes klar vorgezeichnet. Was an leidlich posi- tiven Aeutzerungen des Staatssekretärs v. Tirpitz über den Umfang der Verstärkung vorliegt, steht am ausführ lichsten im — „Vorwärts" zu lesen, der darüber mit teilt: „v. Tirpitz legte dar, datz er über eine im nächstenHerbst einzubringende Marine. Vorlage noch nichts Genaueres erklären könne; die Negierungen hätten noch nichts darüber be- raten. Wahrscheinlich werde sich die Forderung im Rahmen der 1900 ab gelehnten Kreuzer- Forderung halten, höchstens würde man anstatt der sieben kleinen Kreuzer sieben Lorpedoboots-Divi- sionan fordern." Und ferner an einer anderen Stelle: „Der Staatssekretär bestritt die Möglich keit, in die Art der Agitation des Flottenvereins ein- -unreifen. Die ganze Flotte fasse er übrigens nur als ein Mittel zur Sicherung des Friedens auf. Küsten- schütz könnte die Flotte nicht überflüssig machen. Die Marine würde sich natürlich freuen, wenn man ihr auch die einstweilen zurückgestellten kleinen Kreuzer bewillige." Da» ist alle? in dieser Beziehung. Man sicht also, wie nach wie vor die Matznahinen der Negierung von zartester Rücksicht auf die Landsleute des Herrn Lee be- einslutzt sind. Nun, immerhin noch besser so, als wenn gar nichts geschehen sollte. So dürftig alle diese An- gaben Uber die Pläne der Regierung waren, so sicher und klar waren dve Lirpitzschen Auskünfte über die Grundsätze, welche Teile der Flotte in erster Linie be rücksichtigt werden sollen. Es wurde kein Ziveifcl gc- lassen, datz die Panzerschiffe auch fernerhin als Kern der . Seemacht angesehen werden. Herr v. Tirpitz wies dabei auf folgende Aeutzerungen fremder Autoritäten über den Wert der Panzerschiffe, unter Berücksichtigung der neuesten ostasicttgchen Erfahrungen hin: Präsident Roosevelt hat gesagt: „Der Krieg im Osten hat gezeigt, datz das Hauptgewicht für jede Flotte, die des Namens würdig ist, auf die grotzen Schlachtschiffe zu legen ist." DaS Mariueaml der Vereinigten Staaten sagt in einem Bericht: „Die Ereignisse von Port Arthur haben gezeigt, datz mäch- tige Schlachtschiffe, von einem Elitcpersonal geführt und bedient, die sichere Bürgschaft des Erfolges sind. Nur auf diese kräftige Einheit gestützt, ist eine ziel, bewußte Torpedoverwendung möglich. Hätte Admiral Togo 12 Schlachtschiffe anstatt 6 gehabt, so wäre Port Arthur schon im August gefallen." Ter englische Admiral Seymour hat gesagt: „Zu einem wirklichen Kampf zwischen Linien schiffen ist es bisher im Osten nicht gekommen. Japan tvar genötigt, einen derartigen Kampf vorläufig zu vermeiden, und Rußland l»at ihn nicht erzwungen. In dieser Beziehung ist daher keine feste Lehre zu ziehen. Ter Torpedo aber hat keineswegs eine so hervorragende Rolle gespielt, wie man angenommen hatte. Aus sämtlichen Kämpfen hat man den Eindruck gewonnen, datz die gepan- zerten Schiffe im Vorteil sind, und daß dj? Verwendung von Geld fist Linienschiffe keineswegs eine Versckiwendung zu nennen ist. Der unschätzbare Wert einer starken Flotte ist durch den Krieg schlagend bewiesen." Admiral Freemantle weist in eurem Artikel über die Lehren des bisherigen Seekrieges in Ostasien darauf hin, daß man ebenso wie in anderen Länderi» auch in England leicht zu dem Fehler neige, alles Neue, was sich biete, als etrvas tveit Besseres anzuschen als das Alte. Tas Torpedo- und Unterseeboot könnten gelegentlich sehr große Erfolge erringen, aber cs würde ein ungeheurer Fehler sein, »nenn man Liese Ersah, rungen verallgemeinern wollte. Aus den letzten See- kämpfen in Ostastcn gehe ganz klar hervor, datz des Torpedo auch nicht annähernd die Wirkung geübt habe, die man von ihm erwartete. Aus der anderen Seite dagegen habe die Mine lehr viel mehr geleistet, als man sich habe träumen lassen; allerdings habe man aber bald einsehen müssen, datz die Gefahr für den Freund ebenso grotz sei wie für den Feind. Sicher aber sei, datz, wenn man heute Admiral Togo fragen würde, ob er lieber eine Verstärkung von zwei erst klassigen Schlachtschiffen oder von hundert Torpedo booten haben wolle, er für die ersteren sich entscheiden würde. Ja, er würde die beiden Schlachtschiffe wahr- fcheinlich auch noch einer unbegrenzten Anzahl von unterseeischen Minen vorziehen. Sir William White, der frühere Chefkonstruk teur der englischen Marine, hat gesagt: Für die Not wendigkeit von Linienschiffen gabt es keinsn durch- schlagenderen Beweis als diesen Krieg. Dec ganze Seekrieg bestand in der Durchführung einer Blockade; unterseeische Minen sind nur bei einer Krkegsführung dieser Art von Sdutzcn. . . . Wir sehen, wenn keine Linienschiffe hinter den Kreuzern gestanden hätten, würden die russischen Linienschiffe herausge- kommen fein, um sie zu vertreiben. Die Linien schiffe Togo? waren cs, die die Russen fürchteten. Ter Staatssekretär setzte diesen Zitaten hinzu: „Mit diesen Ausführungen solle die Bedeutung der anderen Schiffstypcn nicht angegriffen werden." Und wir setzen noch hinzu, datz dies genau dasselbe ist, für das der Deutsche Flottcnvcrein eingetreten ist. Ta wir jedoch zu den Leitern des Vereins das Vertrauen haben, datz sie nicht um Dank und Lohn und warme Händedrücke kämpfen, so werden sie hoffentlich auch jetzt nicht erlahmen, sondern erst recht ihre verdienstvolle Arbeit für die Zukunft deS deutschen DoUeS fortsetzen. Vielleicht, datz auch ganz iin lebten Winkel seines Herzens der Staatssekretär dem bösen Flottenverein em Plätzchen reserviert hat. Möglich sogar, daß Herr v. Tirpitz selbst noch einmal dem Verein beitritt, wenn er nämlich seinem stolzen Titel die beiden Buchstaben a. D. hinzufügen darf. ver Ruktana in ZilOtvrmMa. übrigen 55 entweder durch Mitglieder deS Adel» oder aber durch von der Negierung bestimmte Personen ver- treten wären. Rußland als Staat krankt, abgesehen von wirtschaftlichen Uebeln, daran, daß eS die Bewohner der von ihm eroberten Grenzprovinzen nicht zu assimi lieren vermochte. Die Schuld daran tragen aber nicht etwa die Finnländer, Balten, Polen und Armenier, son dern die kernrussische Gesellschaft im Verein mit der Negie rung. Eine auf demokratischer Grundlage aufgebaute Ver- sassuna würde unzweifelhaft zur Zurückbrängung der Russen durch Polen, Juden, Letten, Esthen und Deutsche führen. Andererseits aber würden gerade diese Elemente mit alleiniger Ausnahme der über ganz Rußland zerstreuten Deutschen schon wegen der wirtschaftlichen Gegensätze staats- zerstörend wirken. Den Ausweg aus diesem Dilemma bietet der Semski Sobor. Die Möglichkeit, seine eigenen Interessen wahrzunehmen, sowie die Zuführung von Bildung würden das Volk der Moskowiter selbständiger, fleißiger machen, es auch moralisch höher bringen, und ihm dadurch die besten Waffen in die Hand geben zum Konkur. renzkampf gegen die Bewohner der Westprovinzen. Solche Erwägungen könnten sehr wohl in den höchsten Kreisen be- stimmend für weittragende Entschlüsse sein. Für Rußland, einschließlich der Westprovinzen, müßte die Einberufung der Semski Sobor als ein großes Glück bezeichnet werden, trotz der damit verbundenen Ungerechtigkeit gegen die Grenzländer. An den Semstwo-Jnstltutionen nehmen nicht teil: 18 russische und litauische, 3 baltische, 1V polnische, 1l kaukasische Gouvernements, sowre 9 sibirische und 9 mittel- asiatische Gebiete. Der neue Nachtrag»etat. Ter von uns schon erwähnte neue Nachtragsetat für Süd. Westafrika ist soweit vorbereitet, daß er dem Vernehmen nach bereits dem Reichsschatzamt zugcgangen ist. Demnach wird er bald dem Bundesrate und dem Reichstage zugehen. Ueber seine Löhe verlautet nichts Bestimmtes, doch deuten alle An- gaben darauf hin, daß er eine bedeutende Summe aufweist. Oberst Lentrvein und Leutnant Joost. Vor mehreren Monaten wurde bekannt, daß der Vater des Leutnants Jobst, der Ende 1903 beim Ausbruche des Bondelzwarts-Aiststandes gefallen war. eine Beschwerde über den Oberst Leutwein an den Reichskanzler gerichtet hatte, - weil der Gouverneur in einer öffentlichen Rode sich belastend gegen den Gefallenen geäußert haben lollte. Darauf wurde ein Antwortschreiben des Reichskanzlers veröffentlicht, worin er eine Untersuchung der Sache ankündigte. Während des Aufenthaltes des Oberst Leutwein in Berlin hat nun diese Untersuchung ihren Gang genommen; wie aber nach der , „D^ch. Tgszta." von zuständiger Seite jetzt verlautet, wird sie : wodi im Sande verlausen. Daraus war-- zu entnehmen, daß dem. Oberst ke»n Vorwurf uach dieser Richtung hin gemacht tverden kann. Adelsversammlunacn au eines Semski Sobor < Vie ssrftft in ssnrrlsntl. Die Nationalitäten rind ber Seonoki Sobor. Der „Voss. Ztg." wird geschrieben: Der Semski Sobor ist eine altrutsische Form der Landesvertretung, die in früheren Jahrhunderten oder, genauer gesagt, so lange Rußland und Moskowien identstche Begriffe waren, sebr wvm die Grundlagen für ein späteres Parlament in Ruß- land abgeben konnte. Seit aber in den Bestand des rus sischen Reiches Gouvernements mit kerndeutschen Agrarverfassungen, wie Polen, Litauen und die Baltischen Provinzen ausgenommen wurden, ist der Semsk» Sobor lediglich von lokaler Bedeutung für die 34 Gouvernements des Innern. Die Moskowiter haben von der Einrichtung, die noch unter Katharina II. neu ins Leben gerufen wurde, niemals Nutzen gezogen, vielleicht; ein Zeichen politischer Indifferenz. Lediglich die Regie- s rungen wandten sich an diese Versammlung der Landstände,i wenn sie den Glauben beim unzufriedenen Volke erwecken ' wollten, als stände sie irr fortwährender Verbindung mit seinen Vertretern. So lange die Leibeigenschaft bestand, setzte sich der Semski Sobor nur aus Adligen und hohen Be- amten zusammen. Noch Aushebung der Leibeigenschaft und Errichtung der Semstwos, in deren Versammlungen die Ver- treter aller Stände Platz finden sollten, verlor der Semski Sobor seine Bedeutung und ging in der Semstwo und in den Adelsversammlunacn auf. Wenn heute von der Einberufung eines Semski Sobor gesprochen wird, so kann dieser Bcarüs lediglich verstanden werden als eine Versammlung der Ab- gesandten der Semstwos und des Adels. Da nun aber lediglich 34 von 89 Gouvernements und Gebieten Semstwos-Vertretungen besitzen, würden tatsächlich nur die 34 Gouvernements imstande sein, gewählte Vertreter in den Sobor zu entsenden, während die Die Situation in Petersburg! Eine große Gefahr bei der Petersburger Arbeiterbe wegung besteht, wie glaubwürdige Telegramme besagen, darin, daß die Negierung eine Lohnerhöhung für die ungelern te n A r b e i t e r, die sogenannten „schwarzen", wünscht, wodurch die Spezialarbeiter verstimmt sind und andererseits die B a u e r n aus der Provinz an gelockt wer den, so daß Arbeitermangel auf den Gütern droht. Die Lösung ber Arbeiterfrage wird trotz deS guten Willens der Regierung und der Fabrikanten immer schwieriger. Nach einer Umfrage bei Fabrikanten scheint deren größte Sorge zu sein, daß das Militär durch den P o l i z e »d r e n st zu sehr in Berührung mit den Strei kenden kommt, was dessen Schutztätigkeit illuso- risch machen könne. Die hohen Militärs zeigen die gleiche Ansicht, weshalb ihr Bestreben dahingeht, wenigstens die Garde vom Polizeidienst zu befreien. Außer dem sollen die Truppen der Garnison durch frische «r'etzt werden. Die hiesigen Truppen haben in den Fabrikvierteln strengen Dienst und kommen nicht aus den Kleidern. Die Wahrheit über Lrepou». In der „Frankfurter Zeitung" ist ein Petersburger Brief enthalten, der, wie er als ganzes von der liberalisti- schen Schablone abweicht, auch das Verdienst hat, die Le gende, als sei der General Trepow ein neuer Alba, zu zer- stören. Ter Korrespondent schreibt: „Man hatte ihn mir vorher als einen Draufgänger geschildert, der sich aber in Moskau etwas abgeschlisten hätte, auch war er mir als ein äußerlich sehr liebenswürdiger Mann gekennzeichnet worden. So traf ich ihn auch, als ,ch ihm um die angesagte Stunde in seinem prächtigen Bureau im Winterpalais gegen über saß. Nachdem er mich begrüßt und ausgesordert hatte, meine Fragen zu stellen, begann er mir auf meine erste eine Schilderung der S t r e i k u n r u h e n zu geben, wie er sie als Soldat und Diener seines Kaisers aufsaßt. Die Worte kamen knapp, klar, rasch aus seinem Mund«. Er schloß, wie schon gemeldet, mit der Versicherung, daß Ruh« herrsche, und die Bewegung jetzt nur wirtschaftlicher Natur sei. Dann verbreitete er sich sehr maßvoll, doch ernst, über die übertriebene Darstellung der Ereignisse in der Streikära. Auf meine zweite Frage an ihn streiste er kurz die „inopportunen" Demonstrationen im Auslande für die Einführung der Konstitution. Bemerkenswert war, daß er eine Zwischenstufe, wie die Ständevertretuna, nicht ganz ablehnte und sie nur zur Kriegszeit für undiSkutierbar er klärte. lieber den Krieg selbst sprach er natürlich als Sol- dat, der am liebsten selbst zur Front möchte, zuversi ch t- lich undjiegeSgewlß und erklärte dann sehr lebbast, daß seine Funktionen als Gouverneur nur vorübergehend und schon quasi vorbei seien, da der neue Minister des In nern in Petersburg eingetrofsen und der neue Stadthaupt. mann schon ernannt sei. Schließlich sprach er über die Presse und versicherte mir, daß er jederzeit einem Journalisten von Diskretion, der sich bemühe, objektiv und unparteiisch zu sein, mit allen Informationen zur Verfügung stehe. UebrigenS ist an anderer Stelle diesem Korrespondenten berichtet: „Wir haben schon seit einem Jahr fürs Ausland keine Zensur, eine Tatsache, die der liberalen Bewegung natür- Feuilleton. Fl auch en. Roman von Felix Freiherr von Ttenglin. Naavruck verboten. Aber auch aus dieser Klemme befreite er sich nach seiner Meinung immer nach mit einiger Findigkeit, indem er nämlich überlegen erklärte, der italienische Spinat sei jetzt, wie er sich neulich bei einem Festmahl im Kasino überzeugt habe, doch schon recht gut. Don italienisck>em Spinat glaubte er auch wirklich einmal gehört zu haben, er war sich allerdings etwas zweifelhaft darüber, ob nicht der Anklang au italienischen Salat ihm bei dieser Vermutung vorschwebe. Als alles besprochen war, dachte Walter, Auguste wsrde gehen, aber sie stand noch immer da und schien auf etwas zu warten. „WaS ist denn noch?" „Tann wollt' ich noch um Geld bitten, Herr Haupt mann " Ach so — Geld! Den Rest des Wirtschaftsgeldes hatte also AgneS nicht abgeliefert. Nun, sie mußte ja auch etwas in der Tasche haben, bis sie ihr erstes Gehalt verdiente. Das wollte er ihr schon gönnen beim Beginn ihrer schweren Lausbahn Er mutzte nur immer wieder staunen über die Energie Frauchens. Nie hätte er ihr dergleichen zugetraut. Warum hatte sie dvsse Energie nicht in ihren Hausfrauenangclegenhciten besessen? . . . Waltsr legte für Auguste fünf Mark hin, doch Auguste berührte das Geldstück gar nicht erst. „TaS reicht lange nicht, Herr Hauptmann. Zwanzig Mark Krauch' ich sicher. Da fehlt noch Zucker und Mehl und Butter und Tee —" „Aber Sie können doch nicht täglich zwanzig Mark brauchen!" «rief Walter erschreckt. , „Na, ich brauch'» doch blotz für die Wirtschaft!" er widerte Auguste schon etwas beleidigt. „Und wo ich nu auch noch Seife kaufen mutz. . . . Morgen haben wir ja Wäsche „Wäsche?!" fragte Walter entsetzt, und der Gedank-, dabei könne er auch irgendwie zum Mittun verpflichtet sein, verursachte ihm höchst unangenehme Empfindungen. „Ja, morgen früh um 6 kommt sie. Und heut abend müssen wir noch einweichen." „Natürlich!" warf Walter mit Kennermiene «in. „Und essen tut sie doch auch ganz gut —" „Wer?" „Na die Waschfrau." „TaS kann wohl nicht viel auSmachen." „Ja, so ist es nun mal. Frikandellen itzt si< nicht und Schweinekottelette auch nicht, aber da» Kalbfleisch ist jetzt teuer. Und denn morgens und nachmittags zum Kaffee drei Semmeln mit Butter, auf jeder Seite dick bestrichen, zum Frühstück drei Butterbrote mit Wurst oder Schinken, aber keine Zwiebelwurst, und dreimal 'ne Flasche Bier —" „I, das wäre ja noch besser! Jetzt wird gerade Zwiebelwurst geholt! Und zwei Semmeln, auf einer Seite bestrichen, sind vollkommen genug, ich etz' ja kaum eine! Soll nur ihren Rockgurt 'n Kitzchen enger nähen, die gnädige Frau, sagen Sie ihr nur, wir wirtschafteten jetzt sparsamer —" „Nee, Herr Hauptmann, daS sag' ich ihr nicht!" er widerte Auguste ernst, die Lippen aufeinanderpressend. „Die werden ' S ihr sagen, ich wünsche eSl" befahl Walter streng, gab Augufte ein Zwanzigmarkstück und fuhr dann fort: „Heute abend verlang' ich Abrechnung zu sehen." Bis jetzt hatte Auguste noch einigermaßen ihre Fassung bewahrt, jetzt aber fing sie an zu weinen. „Das heulen Tie denn?" „DaS hab' ich nicht verdient, Herr Hauptmann!" jammerte Auguste. „Herrgott, wa» denn?" Auguste heulte laut auf Und diene nun schon 'n ganze» Jahr hier im Hause und hab' mir nichts zu Schulden kommen lassen —" Sie wandte sich um und ging, sich mit der Hand über die Augen wischend, auS dem Zimmer. Bestürzt sah Walter ihr noch. War die verrückt ge worden? Jetzt auch noch mit den Empfindlichkeiten der Leute kämpfen! Und waS hatte er ihr getan? Nur Abrechnung hatte er von ihr verlangt; das war doch selbstverständlich. Eigentlich hatte er die Leute bisher mehr als Sache denn als Personen angesehen. Agnes hatte ihm wohl hin und wieder etwas von ihnen er zählt, aber er hatte — besonder? weim es sich um Un- angenehmes handelte, — dergleichen immer abgewehrt. Für seine Musketiere sorgte er, — freilich, von jedem kannte er den Lebenslauf, -en Beruf, die Charaktereigen, schäften, auch Lemm war er persönlich näher getreten, aber die Mädchen gehörten gewissermaßen zu Wirtschaft und Kochtöpfen; sie kamen und gingen und taten ihre Arbeit, ohne datz er sich viel um sie kümmerte. Denn er ihnen den Lohn auZzahlte, gab er ihnen wohl ein freund liches Wort mit und sah dann eigentlich immer freund- liche Gesichter. Aber daß es auch fühlende, empfindende Menschenseelen waren, die mit einer gewissen Kunst be handelt sein wollten, ja, daß er gor auf barocke Launen Rücksicht zu nehmen hatte, — das wurde ihm heute zum ersten Maile so recht klar. Tie zweite Tasse Kaffee war kalt. Etwas mißmutig stand Walter auf und bemerkte nun durch die geöffnete Tür Minna, die im Salon Staub wischte. Machte die daS aber gemächlich? Auf die Weise brauchte sie ja zwei Stunden zu einem Zimmer. Denn sie daS Staubtuch aus dein Fenster auSschlug, sah sie sich erst eine Minute lang um, — nun lächelte sie gar, jedenfalls ging ein Soldat vorüber. Und jetzt, — jetzt legte sie daS Staub tuch hin und ging heraus, ins Kinderztmmer. Wahr scheinlich wollte sie nach der Kleinen sehen, da» Vod mutzte auch wohl vorbereitet werden. In solchem Falle
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite