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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.02.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050217025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905021702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905021702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-02
- Tag1905-02-17
- Monat1905-02
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Bezugs-Preis t» der tzcnlvtexpeditto« oder bereu Ausgabe« steveu ob geh alt: vtertrtjShrltch 3.—, bet zweimaliger tSglicher Zustrlloug tu« Hau« 8.7k. Durch di« Post bezöge» für Deutlch- laud u. Oesterreich virrteliSdrlich 4.KO, für die übrigen Länder laut Zeitunqsvretsltste. Diese Nummer kostet ü tN - aus allen Badndvte» und III I bei den ZettunqS-Vrrtäufern i * Revakkion und ExpeStttom 153 Aerniprechrr 22L Jodanaisgasfe 3. Haupr-Atltal« Dresden: Marirnstratz« 34 (Fernsprecher Amt l Nr l713f. Hauvt-Ftltale Vertin: TarlDuu ck er, Herzgl.Bayr.Hosbuchbandkg^ Lützownraße lO lFernsvrecher Amt VI Nr. 46031. Nr. 88. Abend-Ausgabe. riMcr TagMM Ämtsvlatt des Lönigl. Land- nnd des Hönigk. Ämtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. Freitag den 17. Februar 1905. Anzetgen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 2S Familien- und Stellen-Anzeigen 20 Finanzielle Anzeigen, Gescdästsanzeigen unter Text ober an bewnderer Stelle nach Tarif. Die 4 gespaltene Reklamezeile 75-H. Annalimeschltth für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen »nur mit der Morgen- Ausgabe- nach besonderer Vereinbarung. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bis abends 7 Uhr. Truck nnd Verlag von E. Pol; in Leipzig tZnh. l>r. V., R. ct. Ä. Klinlhardti. 99. Jahrgang. Var MÄtigrte vsm rage. * König Artedrtch August hat heute nachmittag um 3 Uhr Leipzig perlassen und sich vom Bayerischen Bahnhofe au- zum Besuch des Herzogs Ernst nach Alten burg begeben. * Eine Ministerkonferenz findet morgen in Dresden unter dem Borsitz des Königs statt. (S. disch. Reich.) * Der Reichskanzler empfing gestern Sir Thomas Barclay und hatte mit ihm eine längere Unterredung. * Der österreichische Handelsminister bat erklärt, e- seien mit dem deutschen Reiche kemc Vereinbarungen für den Fall der Zolltrennung zwilchen Oesterreich und Ungarn getroffen worben. (S. Ausland.) * Das englische Unterseeboot 5, aus dem gestern nackmitiag zwei Gasolinexplosionen stailfanden, brennt inwendig. 15 Mann find verletzt. Die Toten, deren Zahl sich noch nicht feststellen ließ, sind entsetzlich ver stümmelt. (S. AuS a. W.) * Im englischen Unterbau« wurde das Amendement Asquith nut 311 gegen 248 Stimmen abgelebni. Die Bertünkigung des Ergebnisses wurde mit lautem Beisall seitens der Ministeriellen ausgenommen. (S. Pol. TageSschau.) * Dem russischen Minister des Innern, Bulygin, soll eine Denkschrift der N a tion a 1 p o l e n überreicht werben. (S. den Artikel.) * Roosevelt bat eine Botschaft über San Domingo erlassen, worin eine Erweiterung deS Bereiches der Monroelehre augelündigt wird. (S. Ausland.) Vie Mbrmscbt Sei Liirirei und vulgarienr. Der europäische Wetterwinkel, wie man die Balkan- staaten wohl zu nennen Pflogt, gibt zwar zu unmittel, baren Besorgnissen augenblicklich keinen Anlaß, eS wäre aber doch sehr verfehlt, wenn man die Lage als durch- aus rosig bezeichnen wollte. Die politische Entwickelung der aus dem russisch-türkischen Kriege von 1877/78 her- vorgegangenen Staatengebilde ist noch keineswegs ab geschlossen, und trotz aller Friedensschwärmereien ist nicht anzunehmen, baß sich die weiteren Wandlungen dort ohne das Schwert vollziehen werden. Dor allem kommen die Türkei und Bulgarien in Betracht, über deren mili- tärische Zustände ein gründlicher Kenner beider Heere, der bulgarische Oberstleutnant a. D. Richard von Mach, in dem bei Alfred Schall in Berlin erscheinenden Sammelwerk „Die Heere und Flotten der Gegemvart" eine eingehende Studie veröffentlicht. Der komman- dierende General des I. Armeekorps, Freiherr Colmar v. d. G ol tz, der selbst 1883—95 in türkischen Diensten gestanden hat und als hervorragender militärischer Schriftsteller hochgeschätzt wird, hat der „Die Wehcniach! der Türkei und Bulgariens" betitelten Schrift ein empfehlendes Vorwort gegeben. Das Werk führt nach einigen einleitenden Notizen über den Ersatz des auS Lehnsleuten bestehenden Janitscharen-Heeres durch eine aus Muhammedanern bestehende Truppe aus, wie sich diese erst wenig be währte, so daß nian nur Niederlagen zu verzeichnen hatte, bis der letzte russisch-türkische Krieg den türkischen Truppen zu einigen frischen Lorboerzweigen verhalf, und ebenso der Krieg mit Griechenland von 1897 die guten Seiten des türkischen Soldaten zeigte. Seitdem ist in der Türkei zwar >daS Verständnis für eine nach west europäischer Art gebildete Armee gewachsen, aber merk würdigerweise hält man noch immer an dem alten Satze fest, daß kein „Ungläubiger" unter dem Halbmond fechten darf: auch wird nicht planmäßig genug ge arbeitet, so daß die zweifellos vorhandene Wehrkraft weder entwickelt, noch auSgenntzt werden kann. Gesetz mäßig soll der Türke 9 Jahre im stehenden Heere (uisam) dienen, davon 3 bis 4 Jahre in der Linie und 6 bis 5 Jahre in der Reserve, dann tritt er für 9 Jahre in die Landwehr (rackik) und verbleibt schließ lich noch 2 Jahre ini Landsturm (mststolmkir,). Eine regelmäßige Ueberweisung aus der einen Kategorie in die andere findet jedoch ebenso wenig statt, wie eine pünktliche Entlassung der Linientruppen, sei es, weil der Ersatz fehlt oder Unruhen ausgebrochen sind Auch die Gliederung deS Heeres ist so ungleichmäßig, daß mau lagen darf, die regelrechte Einteilung werde wohl äuge- stvebt, ist aber noch nicht erreicht, ebenso wenig ist eine prozentual bestimmte Friedenspräsenzstärke festgesetzt Rund kann man indessen das türkische Heer auf 202 000 Mann und 25 500 Offiziere und Beamte annchwen, von denen jedoch bei den unsicheren Greuzverhältnisscn des weit ausgedehnten Gebietes nur ein Teil auf eine m Kriegsschauplatz verwendet werden kann. Tas Offizierkorps des türkischen Heeres ist sehr ver- schieden in seinem Werte. Neben jungen, strebsamen, im Auslande wcitergebildeten Offizieren, gibt es alte Leute, die aus früheren Unteroffizieren hervorgegangen sind, demgemäß nur einen engen Gesichtskreis haben, aber als Unterführer vorzüglich sind: des weiteren fehlt eS nicht an Protcktionskindern, die entweder sich mühsam in den Dienst hineinkinden oder in den Kanzleien ble'ben. -Den besten Ersatz liefcm d'w Konstantinopeler Militärschule und die Artillerie- und Ingenieurschule dort. An ihnen finden die deutschen Instruktoren ein dankbares Feld, und wenn das türkische Offizierkorps allein auf diesen Ersatz angewiesen wäre, so würde es an innerem Wert dem anderer Staaten kaum nachstehen. Die auS fremden Heeren hervorgegangenen Offiziere sind meist in Kanzleien, Stäben und Ausschüssen beschäftigt, nur einige deutsche haben Gelegenheit, ihren Einfluß auf die Reorganisation wirklich zur Geltung zu bringen. Der türkische Soldat selbst wird von Mach als willig, bedürfnislos, tapfer und ruhig geschildert, doch fehlt eS chm am offensiven Element. Seine Ausbildung ist zwar etwas sorgfältiger geworden, erstreckt sich aber nur wenig auf den eigentlichen Felddienst und den Waffengebrauch. Tie Waffen bestehen bei der Infanterie in kleinkalibrigen Mausergewehren und Henri - Martinigewehren, von der Reiterei führen einzelne Abteilungen neben dem Säbel noch Lanzen und als Feuerwaffe Henri - Martini gewehre. Tie Artillerie führt meist Kruppsck-e Geschütze, daneben englisches und türkisches Fabrikat. Die türkische Flotte zehrt ganz vom Ruhme ver gangener Zeiten und ist in ihrer Rückentwickelung bereits fast am Ziele angelangt. Sie verfällt, die Aus besserungen werden nie fertig und die Neuanschaffungen bleiben ungenutzt, bis der Rost sie frißt. Vor diesem Schicksal wird auch die kleine „neue Flotte" nicht be- wahrt bleiben, die man durch Umbauten oder Neu bestellungen in Italien, Deutschland und Amerika zu schaffen bemüht ist. Aber auch von ihr entsprechen nur zwei Kreuzer und einige Torpedofahrzeuge den Anforde rungen der Neuzeit. DaS gerade Gegenteil von der türkischen Wehrmacht ist die Bulgariens. Tort ist seit Gründung des Fürsten tums (1879) die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, die mit dem 21. Lebensjahre beginnt und zunächst Truppen aller Waffen drei Jahre bei der Fahne hält. In der Reserve der Feldarmee verbleibt der Infanterist bis zum 40., Soldaten der übrigen Waffengattungen bis zum 39. Lebensjahre. Tann gehören alle Truppen noch sechs Jahre zur VolkSwehr (zwei I., vier II. Aufgebots). Tie Friedenspräsenzstärke ist auf 1 Prozent der getarnten Bevölkerung festgesetzt und beträgt etwa 49 000 Mann mit 2759 Offizieren, von denen 1138 Mann mit 52 Offi zieren auf die Flotte entfallen. Tie Einteilung ist nach westeuropäischem Muster in 6 Divisionen zu je 2 Bri gaden vorgenommen, denen je ein Neiter-Halbregiment, ein Feldartillerie-Negiment und ein Pionierbataillon beigegeben sind. Ferner bestehen noch Gebirgs- und Festungsartillerie. Tas Offizierkorps ergänzt sich ausschließlich aus der Junkerschule in Sofia, die im allgemeinen einen streb- samen, dem Soldatenberuf mit Leidenschaft ergebenen Ersatz liefert. Ter bulgarische Soldat ist willig und an- stellig, ausdauernd und anspruchslos, dabei im Gefecht ruhig und unternehmend. Die Ausbildung der Unter offiziere wird sehr sorgsam gehandhabt, die Mannszucht ist gut und stramm. Tie Bewaffnung, die in 8-Milli meter - Mannlicl ergewchren besteht, ist reichlich und gut im Stande, auch für Munition ist ausreichend gesorgt. Die Geschütze sind meist Kruppsches Erzeugnis, auch sollen jetzt moderne Schnellseuergeschütze mit automa tischer Bremse und Schuhschilden eingeführt werden. Im Kriegsfälle kann Bulgarien reichlich 300 000 Mann aufstellen. Tie Flottenstationen in Varna und Rust- schul such nur unbedeutend, aber die Ausbildung der von einem früheren französischen Fregattenkapitän be fehligten Leute ist sorgsam, und die Matrosen, die sich gut zum Flottendienst eignen, machen einen vorzüg- lichen Eindruck. Alles in ollem genommen, kann man nicht zweifel haft sein, welchen AuSgang der unausbleibliche Kampf zwischen Bulgarien und der Türkei nehmen wird. Wie überall, wird auch hier der gesunde Fortschritt daS starre Festhalten am Althergebrachten überwinden. vir Fliris in burslsna. Survsrin über den Semski Ksbor. In der „Nowoje Wremja" macht Suworin auf Grund einer Unterredung mit einem ungenannten Staatsmanne An gaben über die Erwägungen, die bei der Berufung des „Semski Sobor" in Betracht kämen. Die Fragen seien so wichtig, daß sie einer vorherigen ernsten Prüfung durch eine Redaktionskommission bedürften, zu welcher außer gewählten Mitgliedern und Regierungsvertretern Historiker und andere Spezialisten gehörten. Von dem Wahlsystem hinge sehr viel ab, daher wäre eine Uebereilung nicht wünschenswert. Der erste Versuch mit einer repräsentativen Versammlung dürfe nicht Fiasko machen. Die wirklich besten Leute, Vertreter des Ackerbaues, des Grundbesitzes, des Handels, des Gewerbeileißes und der Wissenschaft, mühten in diese Versammlung. Theoretiker gebe es schon in der Presse genug. Es ist möglich, da^ außer politischen sich auch nationale Parteien im Sobor bilden würden. In dieser Eigenart erinnere Rußland etwas an Oesterreich. Finland müße auch vertreten sein. Die Kenntnis der russischen Sprache sei notwendig. Ein Zensus dürfte nicht eingeführt werden. Viele würden tich für eine Versamm lung von 400 bis 600 Mitgliedern aussprechen. Man müsse aber bedenken, daß Rußland 763 Kreise und schon im Jahre 1807 30 Millionen erwachsener männlicher Bewohner hatte. Wenn nur auf 100 000 der Geiamtbevölkerung ein Depu tierter käme, so hätte man schon 1400 Vertreter. De rkroeiterbewegnng in Petersburg. Nach der „N. Fr. Pr." gewährten franko- russische Werke den Arbeitern viele Erleichterungen. Während der letzten drei Tage war faktisch der Acht stundentag eingcführl. Tie Arbeiter werden mit ,,2ie" anaeredet. Die Jsbora-Werke und die Putilow-Werke feiern noch immer. Die Arbeiter einer Svinnerei überreichten dem Finanzminister und Herrn Schidlowski Gesuche mit der Bitte um Wicdererössnung der Arbeitersektionen, für die sie Telegiertenwahlen vornehmen wollen, wobei sie das Recht beanspruchen, auch Nichtarbeiter zu Ver tretern zu wählen. Schidlowski wird diese Bstten prüfen und den Wahlmodus rechtzeitig bekannt machen lassen. L ne riellektcvpetttisn der jüdischen Genielnden. Nach einer Petersburger Depesche werden in den nächsten Tagen die wichtigsten jüdischen Gemeinden Rußlands dem M i n i st e r k o m i l e e eine Kolleklivvetition überreichen, in der die Notwendigkeit vollkommener Gleich st el- lung der Juden mit der übrigen Bevölkerung betont wird. In Moskau. Die Börsenvereinigung von Moskau beschloß eine Adresse an den Zaren, in der den Gefühlen der Loyalität für den Thron und das Festhalten am Prinzip der 2 elbst- Herrschaft zum Ausdruck gebracht werden. Die Mehrzahl der Studenten der Moskauer Universität bat beschlossen, ihre Studien vorläu fig nicht wieder aufzu nehmen. Lin Lrlatz der Ministers für Vslksausklärung ordnet, wie eine Depesche aus W^a rschau behauptet, an, daß, falls bis zum 24. d. Nits, die Schüler der höheren und niederen Lehranstalten nicht zum Unterricht er- scheinen, sie von allen Lehranstalten des Retches für immer ausgeschlossen sein sollen. Die Ansprüche -er ssselen. Wie aus Krakau gemeldet wird, will Graf TySzkie - wicz, der Führer der polnischen Bewegung, wie seinerzeit dem Fürsten Swiatovolk-Mirsky, so jetzt dem neuen Minister des Innern, B ulyain, eine tue Forderungen der Polen enthaltende Denkschrift überreichen. Bulygin dürfte diese Forderungen in etwa drei Wochen dem Minister- rat zur Erörterung vorlegen. Vom preuhisch-russischen Grenzrevier. AuS Sosnowice wird heute gemeldet, daß die pol nisch-sozialistischen Streikkomitees zur Wiederaufnahme der Arbeit auffordern, nachdem der Streik als politische Demonstration seinen Zweck erreicht habe. Die Arbeiter sollen nunmehr den Werken ihre Forde rungen vortragen, die bis 1. März zu erfüllen sind, wid rigenfalls der wirtschaftliche Streik folgen werde. Der Aus stand im Bassin Dombrowo dauert fort. Vorgestern zerstreuten in Sosnowice Kosaken eine Volksmenge, die sich aus Anlaß der erteilten Erlaubnis zur zollfreien Einfuhr ausländischer Kohle in der Nähe des Hospitals ange sammelt hatte. Die Einfuhr von Steinkohle aus Preußen ist enorm, in Sosnowice treffen täglich 200 Waggons öfter- reichischer Koks ein. Die Eisenbahnstationen werden mili- tärisch bewacht. Vsn verschiedenen Plätzen. In Mohilew wurden, wie über Sosnowice berichtet wird, von einem Streikenden drei Revoloerschüfse abgegeben, die jedoch nicht trafen. Der Täter wurde ver haftet. Auf der Eisenbahnslrecke Moskau — Woro nesch streiken die Verwaltungsbeomtcn. — Nach einer Meldung aus Minsk sind gegen 500 Arbeiter der Wer k - stätten der Moskau--Brester Eisenbahn in den Aus stand getreten; sie fordern achtstündigen Arbeitstag und Lohnerhöhung. — Wie aus Kiew gemeldet wird, haben die Studenten der Medizin beschlossen, jetzt kein Staatsexamen zu machen: sie haben sich bereit erklärt, als Mediziner des fünften Kursus sich alsAerzte in den Dienst des Volkes zu stellen. — In Charkow wurde die Arbeit in denApotbeken eingestellt. Die Forderungen der Angestell ten, sie zweimal täglich abzulösen, wurden von den Apotheken besitzern zugestanden. In den Lokomotivfabriken wurde die Arbeit ausgenommen. — Auch in Odessa haben Feuilleton. Fl suchen. Roman von Felix Freiherr von Stenglin. NaLdrucl verböte». Inzwischen hatte Agnes in gehobener Stimmung den Weg zur Kanzlei deS Kolonialvereins angetreten. Es war ein grauer Vorfrühlingstag, hin und wieder regnete eS fein; Agnes beeilte sich, um bald in das warme Zimmer zu kommen, wo sie neulich mit dein Onkel die erste Besprechung gehabt hatte. Es war so schön, ein Ziel zu haben, eine bestimmte Tätigkeit: zu wissen, daß man nicht zu den nutzlosen Menschen gehörte. Die Straßen waren noch ziemlich leer. Agnes ging geschäftig wie ein Mensch, dec keine Zeit zu versäumen hat. Sie war fest entschlossen, sich größter Pünktlichkeit zu be- fleißigen und ihre Aufgaben in mustergültiger Weise zu erfüllen. Sie fühlte, daß solche Pflichterfüllung die höchste Befriedigung geben müsse. In der Kanzlei war es wirklich schon sehr behaglich. DaS größere Zimmer diente zu Sitzungen und dem Vor sitzenden zu seinen Arbeiten, in dem kleineren arbeitete der Kanzlist — oder, wie man jetzt sogen mußte, die Kanzlerdame. Agnes betrachtete nochmals den Schrank mit Briefen, bewunderte dessen praktische, übersichtliche Anordnung, probierte die Kopierpresie, nahm die Schiffs- bilder an den Wänden in Augenschein, sowie di« große Karte mit den darauf verzeichneten Schiffslinien. Sie fand das alles sehr interessant, es waren Tinge, würdig, sich damit zu befassen. Und wie angenehm still! Kein Dienstbotengewäsch, kein Kindergeschrei, das tat den Nerven so Wohl. DaS Fenster ging nach einem kleinen Hof hinaus, man sah nichts als eine hohe, graue Mauer und dahinter die Krone eines Lindenbaumes, der nun bald treiben mußte. Diese Abgeschlossenheit war ganz gut, fand Agnes, sie entsprach dem Ernste der Be schäftigung. Agnes machte sich alsbald mit Eifer an die Arbeit. Sie hatte ein schlichtes braunes Wollkleid angezogen, das sollte ihr Arbeitskleid werden: mit einer gewissen Feierlichkeit hatte sie eS daheim angelegt. Nun wickelte sie den schwarzen Unterärmel von Kattun auS, den sie zum Schutz des Kleides über den rechten Arm streifte. Zunächst schrieb sie eine Anzahl von Adressen. Sie wunderte sich selbst, welch gute Handschrift sie besaß, und es machte ihr Vergnügen, rechten Schwung hineinzulegen. Dann hatte sie Briefe zu schreiben, manche mehrmals, und einer wurde immer besser als der andere. Darauf kopierte sie die Briefe mit großer Genauigkeit auf der Kopierpresse, wie der Onkel es ihr gezeigt hatte. Mit einer gewissen Genugtuung blätterte sie in dem Kopier buch zurück und bemerkte, daß der frühere Angestellte sein« Aufgabe lange nicht so sorgfältig auSgeführt hatte wie sie. Was gab denn nun ihrer Arbeit geringeren Wert? Nur weil er ein Mann war, paßte er besser für Liese Tätigkeit, die er doch schlechter al- eine Frau aus führte? Einen schlagenderen Beweis für die Gleich- berechtigung der Frau konnte es wohl kaum geben als dieses Kopierbuch. Sie wollte doch gleich Valeska da- von erzählen. Ja, in der Genauigkeit, im Fleiß, in der Ausdauer war die Frau dem Manne ohne Zweifel über legen. Um zehn Uhr nahm Agnes ihr Frühstück vor, setzte sich auf den Schemel vor dem Pult und aß, vergnügt die Beine hin und her schaukelnd. Eigentlich schmeckte eS ihr nicht, sie war nicht daran gewöhnt, so zeitig zu frühstücken, aber sie hatte doch ein Gefühl der Befrie digung dabei: eS war die erste Mahlzeit nach der Arbeit, daS gab ihr eine gewisse Weihe, AgneS fühlte sich eins mit all den Menschen, die im Kontor, in der Fabrik, draußen am Straßendamm, müde und rußig von dem ersten Teil ihre? Tagewerkes, ihr Brot verzehrten, und ihr fielen die Worte der Bibel ein: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen." Das erhob sie. AgneS blickte hinaus auf den kahlen Lindenbaum. Ja, nun wurde es also bald Frühling. Nun ja . . . Ein wenig Müdigkeit kam jetzt doch nach. Aber sie raffte sich empor, wickelte den Rest ihres Frühstücks ein und ging einigemal im Zimmer auf und ab. Dann begann sie wieder, ihre Buchstaben sorgfältig aufS Papier zu malen. Dabei fand sie, eS sei doch recht interessant zu wissen, welche Personen zum Verein ge hörten, und wcklche man gewinnen wollte. Ueberbaupt, dieser Verein, der sich über das ganze Reich auSdehnte, der seine Wirksamkeit über ferne Länder und Meere er streckte! Und sie selbst ein Glied in dieser Kette! Die Briefe gingen meist nicht über den Bezirk des Neustädter Zwcigvcreins hinaus. Einige Sendungen aber waren an Mitglieder gerichtet, die auswärts weilten. Agnes flog schon in Gedanken mit den Briefen an ihren Bestimmungsort . . . In Köln war sie mit Walter im zweiten Jahr ihrer Ehe gewesen. Ach, der schöne Rhein, die herrlichen, son- nigcn Tage! Würde man je etuxrS Gleiches erleben? Das wohl nicht. Es ivarcn andere Jahre gekommen, andere Zeiten, man war gefetzter und lmtte nun gar einen Beruf Aber hin und wieder würde sie wohl Urlaub bekommen, im Sommer mindestens vierzehn Tage, und den wollte sie dann genießen. Ein Gefühl, wie sie eS <FS Kind vor den Ferien gehabt batte, überkam sie. Dieser Brief ging nach Hamburg. Tort hatte Walter einen Onkel: bei dem waren sie auch einmal auf drei bis vier Tage gewesen, waren mit dem kleinen schnellen Dampfboot auf der Alster gefahren und hatten eine Fahrt durch den Gasen gemacht, auch einen großen Ozeandampfer besucht. Damals hätte sie nicht gedacht, daß sie noch einmal in solche Beziehungen zur Schiffahrt kommen würde, wie jetzt ... So zwischendurch konnte man natürlich jetzt nicht mehr verreisen. Wer hatte es auch so gut, jeden Augenblick sein eigener Herr sein zu können? Und war daS überbaupt gut? DaS Gebunden sein, meinte Agnes jetzt, müsse ruhiger und zufriedener machen.
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