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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.02.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050221028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905022102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905022102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-02
- Tag1905-02-21
- Monat1905-02
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Die -gespaltene Reklamezeile 75-4- Aunahmefchluh für Anreisen: Ab end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen- Ausgabe- nach besonderer Vereinbarung. Tie Expedition Ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E Polt in Leipzig (Inh. 1)r. R. L W. Kliathardt). Nr. 93. 99. Jahrgang. Dienstag den 21. Februar 1905. Var lvictzligste vom rage. * König Friedrich August ließ sich heute von dem aus Florenz zurückgekehrlen Justizrat Dr. Körner Bericht erstatten. Wie eS heißt, soll morgen in der Montignoso- Angelegenheit die geplante Ministerkonferenz statlfinden. (S. Letzte Dep.) * Der Streit um die akademische Freiheit an der Technilchen Hochschule zu Hannover bat heute zu einem regelrechte» Studenten st reit geführt. (Siehe Dlsch. Reich.) * In den Virginiagruben in Birmingham wurden 107 Personen durch eine Explosion getötet. (S. Aus aller Welt.) * Großfürst Paul Alexandrowitsch ist als General leutnant mit dem Range eines Generaladjutanten wieder in Dienst gestellt worden. (S. den Artikel.) * Das Manifest über den Semski Sobor wird für den 4. Marz, den JabreSlag der Aufhebung der Leibeigenschaft, angetüncigt. (S. den Artikel.) * Nach einer Meldung aus Feodosia ist General Stössel heute vormittag dort eingerroffen. kin Kapitel von tler politircben WMsbliglreit. Seit Monaten hat der Freiherr von Zedlitz prophezeit, daß die preußische Politik einem wonnigen Stilleben gleichen würde, sobald nur der Kanalzwist zwischen der Regierung und den Konservativen beigelegt sei. Den Grafen Bülow erblickte er gleich dem redlichen Tamm „auf die Postille gebückt" und ein Frietenspfeischen schmauckend. Die gemaßregelten Landrate bingeschmiegt zu seinen Füßen. Tie Negierung hat nun in der Tat alles getan, um diese- familiäre Idyll zu verwiiklichen und auch die Konservativen erweichten ihren harten Sinn und machten endlich Frieden. Indessen liegt es in der Natur der Sache, daß diese behagliche Nachtischstimmung, die durch die Handelsverträge erzeugt ist, nicht lange dauert. Der Parteiorganismus macht neue Bedürfnisse geltend, der angenehm gekitzelte Gaumen verlangt neue Reize. DaS Machtbewußlsein ist gewachsen und schon empfindet die mächtige Gruppe jede Selbständigkeitsregung des Reichskanzlers als einen Eingriff in ihr Recht und eine Beeinträchtigung ihres Interesses. DaS ließ sich voraussehen. Die Regierung, die alles getan hat, um die Position der Konservativen zu stärken, mußte darauf gefaßt sein, daß diese Verstärkung auch ihr selbst gegen über zum Ausdruck gelangen werde. Die Konservativen haben die Erfahrung gemacht, daß es sich vortrefflich rentiert, der Regierung unbequem zu werden. Sie ziehen daraus den logisch unanfechtbaren Schluß, daß sie auch in Zukunft unbequem bleiben müssen. So rächt eS sich, daß die Regierung in sonderbarer Mythologie auf Dank gerechnet bat während sie sich doch sagen mußte, daß diese schöne menschliche Empfindung aus dem Parteileben ausgeschaltet werden muß. Wir wiederholen „muß". Gra> Bülow hat eben denKonservativen so viele Konzessionen gemacht, daß sie deren Wert nicht mehr zu schätzen wissen. Wenn der Reichskanzler zu irgend einem Thema eine eigene Meinung äußert, die nicht völlig partei orthodox ist, so sind sie erstaunt, verletzt und sofort zur Offen sive bereit. Dies trat zum Exempel deutlich gegenüber dem Verhalten der Negierung im Bergarbeiterstreik zu tage. Der Freiherr von Manteuffel hat bereits vor dem Gezeter der sogenannten „öffentlichen Meinung" gewarnt und darauf hingewiesen, daß die Autorität der Staatsregierung leiden werde, wenn man die Autorität der Arbeitgeber untergrabe. Mit diesem Trugschluß wird er allerdings nur diejenigen über zeugen, die ohnehin schon überzeugt waren. Die Autorität der Staatsregicrung ist mit der der Arbeitgeber ebensowenig identisch, wie etwa mit der Autorität der konservativen Partei. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Die Autorität der StaatSregierunz wird leiden, wenn eS ihr nicht gelingt, die Arbeitgeber zu einer moderneren Auffassung ihrer Pflichten anzuleiten. Die „Schlesiiche Zeitung" geht noch weiter. Sie wirft dem Bürgertum vor, eS habe unkritisch und ungerecht gegen die BergwcrlSbesitzcr Partei ergriffen, polemisiert gegen den Grafen Posadowsly, der nachgerade wirklich auf den Titel des „bestgehaßten" ManneS Anspruch machen kann, und deckt dann den heillosen Widerspruch auf, in den die Regierung sich selbst gebracht habe. In diesem letzten Punkt hat sie unbedingt recht. Minister Möller hatte, wie wir schon hervorgeboben haben, zunächst die Zumutung einer Gesetzgebung ab irato mit Entrüstung zurückgewiesen. Urplötzlich aber erfolgte die Anlündigung der legislativen Aktion. Auch die Haltung des Grafen Bülow ließ zuerst nicht vermuten, daß die Negierung diese Stellung einnehmen werde. Ob inzwischen der Kaiser sein Wort in die Wag schale geworfen hat, muß hier dahingestellt bleiben. DaS eine ist sicher, Herr Möller wollte erst nach rechts und dann mußte er nach links. Man beschränkt sich eben auf die ge wissenhafte Exekutive höherer Intentionen. Wird nun aber eine Negierung, die im Winde schwankt, auch die Kraft haben, an der Auffassung, die sie jetzt als richtig erkannt hat, festzuhalten? Wir können diese Frage nicht ohne weiteres bejahen und deswegen machen wir schon jetzt auf die Stimmen der Opposition aufmerksam, die aus den konservativen Kreisen heraus laut werden. Wenn vre Negierung nicht eine ungewohnte Energie an den Tag legt, so ist zu befürchten, daß die Novelle zum Berggesetz entweder überbaupt nicht inS Leben treten oder aber im Parlament derartig zugerichtet werden wird, daß sie die Arbeiter und die liberal denkende Ocffentlichkeit nicht befriedigen kann. Wir würden eine derartige Entwickelung lebhaft bedauern, denn wir sind der Ueberzeugung, daß gerade hier sich eine nicht sobald wiederkebrende Gelegenheit bietet, der Sozialdemokratie den Boden abzugraben. Graf Bülow bat, als er die Klinke der Gesetzgebung ergriff, einen klugen Entschluß gefaßt. Möge er energisch bei ihm ver harren. Löst hier die Regierung ihr Wort in voller» Um fange ein, so werden hunderttausende von Arbeitern zu der Erkenntnis kommen, daß die Sozialdemokratie nicht die alleinige Vertreterin ihrer Interessen ist, daß der Gegenwartsstaat bereit und imstande ist, für sie ein zutreten und daß die bürgerliche Gesellschaft dem Ringen des Arbeiterstandes Verständnis und Sympathie ent gegenbringt. Das Vorgehen der Negierung, das schon insofern segensreich gewirkt hat, als dem Streik ein verhältnismäßig frühes Ende gesetzt worden ist, wird dazu beitragen, die Gegensätze des Klassenkampfes zu mildern und diejenigen Arbeiter, die noch nicht rettungslos der sozialdemokratischen Phrase verfallen sind, der heutigen Gesellschaftsordnung zurückzugewinnen. Graf Bülow wird dann den rhetorischen Kampf gegen die Sozialdemokratie, den er schon seit Jahren mit Geschick, aber ohne nachhaltige Erfolge führt, eine positive Ergänzung geben können, die gewiß wertvoller ist, als alle red nerische Polemik. Es ist durchaus nicht unmöglich, daß mit dieser Stellungnahme der Negierung in der Geschichte der Sozialdemokratie eine neue Aera beginnt. Andererseits wird die Sozialdemokratie eine normale Verstärkung er halten, wenn jetzt die preußische Volksvertretung das Vertrauen der Arbeiter enttäuscht. Wir geben uns der Hoffnung hin, daß man die Tragweite der Abstimmung auch in konservativen Kreisen diesmal nicht völlig verkennen wird. Charakteristisch aber ist das Verhalten des Herrn von Manteuffel und der von Berlin aus inspirierten „Schlesischen Zeitung". ES beweist, daß die Motive der inneren Politik, die zu der Verstümmelung der Kanalvorlage und der neuen Wendung in der Handelspolitik geführt haben, auf falscher Voraussetzung beruhen. Der Reichskanzler hat Wohl gehofft, auf die Konservativen gestützt, regieren zu können. Die Konservativen aber beabsichtigten, auf den Reichskanzler ge stützt, selbst zu regieren. Die liberalen Anwandelungen des Reichskanzlers machen sie nicht mit und vielleicht mit Recht, denn auch von ihnen gilt das Wort: sint ut sunt aut non siut. Vie ermsraung der vroz-für-ten Sergiu». Line Lifte -er Attentate. Die „Frkf. Ztg." bringt folgende Liste der von den russischen Revolutionären seit 25 Jahren ermordeten hohen Beamten und Fürstlichkeiten: 16. August 1878 General Mesenzew, Ches der geheimen Polizei. 22. Februar 1879 Fürst Kropotkin, Polizecches in Charkow. 13. März 1881 Kaiser Alexan der II. 30. März 1882 General Strelnikow, Staatsanwalt in Odessa. 27. Dezember 1883 Sudeikin, Chef der geheimen Polizei und sein Neffe Sadowski. II. Januar 1890 Haupt mann Solotuschin, Chef der Moskauer geheimen Polizei. 27. Februar 1902 Bogoliepow, Minister der Volksaus klärung. 15. April 1902 Stpiagin, Minister des In nern. 19. Mac 1903 General Bogdonowrsch, Gouverneur von Ufa. 17. Juli 1904 Plehwe, Minister des Innern. 17. Juli 1904 Andrejew. Vtzc-Gonw.rneur von Jelisawetpol. 1. August 1904 Oberst Boguslawski, Hauplaoministrator des Distrikts Cormalin im Kaukasus. 17. Februar 1905 Großfürst Sergius. Die Ermordung des General-Gou verneurs von Finnland, Bobrikow, und des finnländischen Senatsprokurators Johnsson ist zwar auf das Konto des Zarismus, nicht aber auf dasjenige der russischen Revolutio näre zu setzen. Dagegen haben diese in den letzten Jahren noch eine ganze Anzahl Attentate ousgeführt, die gar nicht oder nur zum Teil erfolgreich waren: so aus Pobjedono s- zc w, auf den General Wahl in Wilna, den Fürsten Obolenski in Charkow, den Fürsten Galizin. General gouverneur des Kaukasus, den Polizeimeister Metlenko in Bjelostok und Baron Korfs. „Nihilisten". Aus Anlaß des Bombenattentats auf den Großfürsten SergiuS ist wieder viel von Nihilisten die Rede; dabei taucht aufs neue die schon von Johannes Scberr aus gestellte Behauptung auf, Turgenjew habe das Wort „Nihilist" geprägt und in den europäischen Sprachschatz em- gesührt. Auch Frhr. v. Berger jagt in einem in der Lonntagsnummer der „Neuen Freien Presse" veröffentlichten Aufsatz „Äug' um Auge": „Der Name (Nihilisten) wurde von Turgenjew erfunden." Diese Ansicht ist, wie uns ge schrieben tmrd, irrig. Das Wort Nihilist wurde in der deutschen Literatur schon gebraucht, ehe Turgenjew geboren war. -Wie Eduard Sack zuerst nachwies, bat Jean Paul das Wort bereits in seiner „Vorschule der Äesthetik" (1804) mehrmals gebraucht. Allerdings wendet er das Wort nicht auf russische Revolutionäre, sondern aus eine gewisse Sorte von Dichtern an: er spricht von „poetischen Nihiliste n", kennzeichnet als Extreme den „poetischen Nihilismus und den Materialis mus" und gedenkt „der gesetzlosen Willkür des jetzigen Zeitgeistes, der lieber Jch-süchtig die Welt und daS All vernichtet, um sich nur freien Spielraum im Nichts auszuleeren." Zwanzig Jahre später gab Jean Paul in seiner „Kleinen Nachschule zur ästhetischen Vor- i ch u l e" (1824) abermals einem Abschnitt die Ueberschrist „Poetische Nihilisten". Auch Jmmermann in fernen „Memorabilien" und Gervinus in seiner „Geschichte der deutschen Dichtung" haben das Wort lange vor Turgenjew gebraucht. Gottfried Keller vertrat die Meinung, „daß der Gebrauch des Ausdrucks Nihilisten und Nihilismus schon Anfangs der zwanziger Jahre (des 19. Jahrhunderts) auf die jungbegelsche Schule der Rüge, Bruno Dauer, Ludwig Feuerbach usw. und aus ihre Absenker in Kirche und Schule gehend, statttand, seitens der Orthodoxen und Konservativen: so hauptsächlich auch in Zürich, wo infolge der Berufung David Straußens ein jahrelanger Krieg entstand, der jene Schule persönlich herbeilockte: da Bakunin, der Russe, in den dreißiger Jahren das Hegeltum in Berlin, Halle usw. stu dierte und Turgenjew damals auch dort war, so wird er das Wort vielleicht dort ausgelesen haben. Turgenjew hat also das Wort nicht „erfunden", sondern nur wiederoefunden, er läutert, und auf Repräsentanten einer neuen Partei ange- wendet. Die betreffende Stelle in seinem 1862 erschienenen Roman „Väter und Söhne" lautet: „Und was ist Herr Basarow?" frug Paul Petrowitsch. Arkadius lächelte. „Sie wollen, mein Oheim, daß ich Ihnen sage, waS Basarow ist? — Ich bitte dich darum, mein Nesse. — Er ist Nihili st. — Wie? frug Nikolaus Petro witsch. Paul Petrowitsch aber hatte sein Messer erhoben, auf dessen Klinge ein Stück Butter lag, und blieb regungs los stehen. — Er ist Nihilist! wiederholte ArkadiuS. — Nihilist? staunte Nikolaus Petrowitsch. So viel ich weiß, stammt dies aus dem lateinischen dlikil ---- Nichts, folglich bezeichnet dies einen Menschen, welcher .... welcher .... an nichts glaubt? — Sage, welcher nichts respektiert, be merkte Paul Petrowitsch und begann dabei seine Butter aufzustreichen. — Der allen Dingen vom Standpunkt des Kritikers gegenübersteht, bemerkte Arkadius. — Ist das nicht das Nämliche? — Nein, es ist nicht daS Nämliche. Der Nihilist ist ein Mensch, der sich vor keiner Autorität und vor keinem Prinzip beugt." «Sroszfürst Sergius, -er Fromme. Man schreibt der „Frkft. Ztg.": Das unglückliche Opfer des Moskauer Dynamttattvntales gehörte zu jenen Menschen, welche die Sünden einer stürmischen Jugend durch über triebene Ausübung kirchlicher Gebräuche gutzumachen meinen. Diese unfruchtbare seelische Richtung wurde in hohem Maße durch den ständigen Aufenthalt des Großfürsten Sergius im russischen Mekka, wo er im Jahre 1891 General gouverneur geworden war, begünstigt. Ihren Ursprung hatte ste schon zehn Jahre früher genommen, als der Großfürst eine P a lä st i n a r e i s e unternahm. Damals beschäftigte er sich mit der Verbesserung der Lage der russischen Jcru- salempilger und begründete gleich nach seiner Rückkehr die kaiscrstche „rechlgläubige" Palästinagesellschaft. Seither hatte der Großfürst das Präsidium zahlloser reli giöser Gesellschaften übernommen, von denen einige die aktive Propaganda der Orthodoxie zum Zwecke haben, wie z. B. das Marie n-Sergrewsche Asyl für jüdische Kinder, welche die Taufe nach ortho doxem Ritus empfangen haben, und die „baltische rechtgläubige Brüderjchaf t", die sich mit der mehr oder weniger gewaltsamen Bekehrung der Esthen und Letten abgivt. Der Großfürst war auch Mitglied der Moskauer geistlichen Akademie und Kirchenpflcger der Alcxander-Nlkolajewfchen Kapelle zu Petersburg. Schließ lich darf man ihn als den wahren Entdecker des heiligen Seraphim von Sarow, des Wundertäters Theo dosius von Tschernigow und noch mehrerer anderer Heiliger bezeichnen, die unter der Regierung Niko laus II. zu Ehren gekommen sind. Wie man weiß, sind die Bemühungen des Großfürsten um die Orthodoxie von Niko laus II. außerordentlich hoch gewürdigt worden. Vielen wird noch jener mystische, an den Großfürsten Sergius ge richtete Erlaß des Zaren erinnerlich sein, der in der Oster nummer des russischen Reaierungsanzeigers vom Jahre 1900 zu lesen war. Der Wortlaut desselben mag heute, wo eine Io furchtbare Tat in Moskau geschehen ist, nicht ohne Inter esse sein. Es hieß in dem Erlaß: „Mein und der Kaiserin Alexandra heißer Wunsch, mit unseren Kindern die Cbar- woche zum Empfang des Abendmahls und das Fest der Feste im Schatten des Kreml, umgeben von den größten Heilig tümern des Volkes zu Moskau, zu verbringen, ist durch GotteS Gnade erfüllt worden. Hier. wo unverwebt die HcÄigsn ruhen, inmitten der Ruhestätten der gekrönten Mehrer und Erbauer des russischen Reiches, an der Wiege der Selbstherrschaft, steigen verstärkte Gebete auf zum Herrscher der Herrschenden in Gemeinschaft mit den in den Tempeln zusammenströmenden treuen Gliedern unserer geliebten Kirche, und erfüllt stille Freude die Seele im Gebet. Mit meinem Volke vereint, jchöpfe ich neue Kräfte, Rußland zum Wohle und Ruhme zu dienen, und eS gereicht mir zur besonderen Freude, Eurer kaiserlichen Hoheit und durch Sie dem teuren Moskau die Gefühle auszudrücken, welche mich erfüllen." Feuilleton. 2" Frauchen. Roman von Felix Freiherr von Stenglin. Nachdruck verboten. Ach, Amalie, ich hasse diesen Meirichen beinahe, seit- dem ich sehe, wie er mich irgend einer beliebigen hübschen MaSke, deren Nascnansatz oder Ohrform oder Angen farbe auf seine Sinne wirkt, gleichzustellen tragt. ES laufen ja so viele beschäftigungslose junge Mädchen hier und anderSwo herum, scifliesslich genügte ja auch seine Viehmagd. Ich möchte mich verhässlichen können, mein Gesicht umgiessen,' um nie wieder diese sogenannte Be gehrlichkeit der Männer zu erregen! Melleicht, dass seine Gedanken, wenn er mich verlangend (andere würden sagen verliebt) betrachtet, noch nicht bis zum Brutalen gehen: es soll ja manchmal gewissen weiblichen Wesen gegenüber die Selbsttäuschung so weit gehen, dass daS Verlangen dem Verlangenden selbst nicht klar bewusst wird — diese Möglichkeit deutete ich oben schon an — deshalb ertrage ich ihn noch und lasse mir seine Gegen- wart gefallen. Aber dennoch ist mir manchmal, als läse ich Gedanken, Empfindungen in seinen Augen, vor denen ich mich bis in die finsterste Höhle zurückziehen möchte: besonders spüre icb mit Unbehagen, wie leine Blicke von meinen Augen herunterschweifen zu meinem Mund und wie er mich in der Vorstellung küßt. . . . Doch lassen wir diese Betrachtungen! Es gibt wahrlich Wichtigeres für uns, nicht wahr? Ich will und werde mich selbst überwinden, meinen! Blut Gewalt antun, und auch mit aus diesem Grunde und um nicht einen be denklichen Zustand durch Feigheit erst recht in mir hervorzurufen, meide ich ihn nicht. So war es da- malS auch mit dem Professor; ich sah ihm bei den Vor lesungen gerade ins Gesicht, stellte mich dem Feind und überwand ihn. Tie Gewißheit, daß Wille und Mut in solchem Falle alles vermögen, stärkt mich, und deshalb, liebe Amalie, hege nur keine Besorgnis meinetwegen! Ich darf sagen, dass ich mich sicher fühle." . Noch einmal muss ich Dich mit ihm be schäftigen, liebste Freundin; Tu bist zwar nur sehr kurz auf meine Erörterungen eingegangen — womit ich Dir keinen Vorwurf machen will, Tu behandelst diese Sache, wie sie behandelt zu werden verdient! — Doch da etwas wie eine Katastropne eingetreten ist, so will ich Dir wenigstens Bericht erstatten. Voranschicken will ich aber, dass Du Dich meiner nickst zu sckjämen hast, — wie mich wenigstens bedünken will. Jede Krise treibt ja einem Punkt entgegen, wo etwa« Neue? entsteht. Manchmal ist diese- Neue zwar nur da» Alte in etwa« veränderter Form, aber in dieser Form liegen bann schon die Keime zu dem wirklich Neuen, daS sich langsam weiter ent wickelt. So auch bei mir. in dieser mich seit einiger Zeit beschäftigenden Angelegenbett. Seit ich Dir zuletzt schrieb, veränderte sich das Wesen des Mannes, um den es sich handelt, sichtlich. Seine Ironie, seine .Kampflust schwanden mehr und mehr, er war so weich und folgsam, wie ein Kind, dem wir Zucker plätzchen geben. Nun sagte er mir auch, daß er meinen Anschauungen immer nahe gestanden hätte. Und gestern — wir gingen allein durch den Park und über das Feld nach der Besitzung seiner Eltern — da . . . Ach, Am6lie, ohne Eindruck ist das natürlich nicht an mir vorüber gegangen! . . Ta fing er cm, mir Tinge zu sagen, die doch etwas mehr als Schmeichelei und Aufmerksamkeiten waren. Ich wäre so anders wie andere Frauen, so viel stolzer und stärker, und darum auch so viel schöner. Ihm wären bisher nur Puppen begegnet, mit denen er gespielt lxrbe. Mit mir würde er nie zu spielen gewagt haben, und nur eine Frau wie ich könnte ihm Gefährtin sein. Ich war sehr froh darüber, daß ich mich in der Art seiner Neigung so getäuscht batte! Denke Dir daß er niemals eine Frau vor mir wirk lich geliebt lxit! Tu wirst fragen, waS ich unter dieser „wirklichen Liebe" verstehe. Ich will eS dir sagen: Nicht gänzlich Freisein von natürlichen Instinkten, aber auch nicht gänzliche- Aufgehen darin. Liebe ist em ein» ziges Wort und bezeichnet doch — so wie ich sie in diesem Augenblick verstehe — viel mehr als ein Ding. Eine Mischung von Sclstväche uud Stärke, Hingabe und Selbst- gefühl. ein Zusammenklingen von Körper und Seele, daS Natürliche durch das Geistige geadelt. Ich kann es Dir nur in nüchternen, unbeseelten Worten schildern, aber Du wirst vielleicht durchfühlen können, was auf mich einstürmte, als ich mich nun ent scheiden sollte. Ich will nicht lügen, will Dich und mich nicht täuschen: ich habe ihn sehr lieb. Und wie er mir seine ganze Seele offenbarte, die so viel größer und iviner ist, als ich nach all' dem Trüben, das die Welt mir gezeigt hat, ahnte, so fühle ick deutlich, dass auch meine Empfindungen über daS Gewöhnliche einer trivialen Verliebtheit weit hinaus gehen. Oder ist daS wieder Täuschung? Ach dann lass sie mir ein wenig! Nenn' cs Schwäche, aber laß sie mir! Mir ist so wohlig müde, wie wenn ich nach langem Spaziergang nach Haufe käme und mich ousstreckte oder im Bade die Glieder reckte und still mit dem Kopf an der Wand der Wanne gelehnt daläge und träumte. Doch ich stabe mich nicht verloren! Freilich, ich dankte ihm herzlich für seine Worte. Ich fühlte seinen Wert in dieser Stunde wie nie sonst. Er ist ein Mann der Tat. der wohl scherzen und plaudern kann, ober gerade um das Wichtigste wenig Worte macht. Seinen Beruf verstcbt er meisterlich, und selbst wenn er fern ist vom Gut. gebt alle- am Schnürchen. ES ist einer von den Menschen, die mit geringster Anstrengung die sckgversten Dinge zu leisten scheinen. Dein oft ironisches Wesen kann eine Zeitlang über seinen tiefen sittlichen! Ernst täuschen Er blieb sieben, fasste meine ,Hand und fragte, ob ich wolle? Ihn heiraten nämlich! Ick, sah in seine Augen, und mir war so weh'
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