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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.02.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050223020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905022302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905022302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-02
- Tag1905-02-23
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Die -gespaltene Reklamezeile 75 Nnnahmeschlud für Anzeigen: Abend-Au-gabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittag» - Uhr. Anzeigen sind stet» au die Expedition zu richten. Ertra-Betlageu inur mit der Morgen- Ausgabe- nach besonderer Vereinbarung. Tie Erpe»ttto« ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet vor» früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck and Verlag von E. Pah in Leipzig «Inh. lw. R. L. W. Kltatdardti. Nr. 98. Donnerstag den 23. Februar !9<)5. 99. Jahrgang. Vas lvichtigzle vom rage. * Noch einer Meldung der „Tborner Presse" ist infolge des gestern auSgedrochenen Ausstandes der Angestellten der Warschau-Wiener Bahn der Bobnverkehr uvsicben Thorn und Warschau seit gestern abend unterbrochen. * Der Plan eines UebergangSministeriumS Daran hi ist nach offiziöser Meldung aus Pest geicheitert. Die Kossuibpartei knüpfte an die Bewilligung des Rekruten kontingents die Bedingung, daß vorher die Wablreform angenommen werde, was Daranyi unannehmbar erschien. (S. Ausland.) * Die Petersburger Telegrapben-Agentur stellt die FriedenSnachrichtcn des Bureaus Neuler entschieden in Abrede. (S. russ.-jap. Krieg.) * Zwischen Serbien, Bulgarien und Montenegro soll eine Mrlllärkonventlil gesch ossen worden sein. v!e Umrahme Sri Fsmlelrvrrträge. Das Spiel ist aus. Der letzte Akt des grossen Dra- mas, genannt die Handelsverträge, ist zu Ende, dec deutsche Reichstag hat gestern fämtlickie sieben Handels- Verträge endgültig angenommen, und zwar mit grosser Mehrheit und bei ausnahmsweise gut besuckstem Hause. Lb Graf Bülow jetzt die ihm schon 1902 verliehene, aber auf seinen Wunsch zurückgenommene Fürstenwürde er hält oder nicht, «das kann ihm jetzt gleichgültig sein, er kann sagen: es ist erreicht! Graf Bülow hat alle Ursache, sich des Erfolges zu freuen. Z.var sind die Berträge noch nicht gänzlich unter Dach und Fach, es fehlt ihnen noch mit alleiniger Ausnahme des deutsch-russischen Vortrages, die parlaii'cntarisckie Genehmigung in den als Gegen- kontrahenten auftretenden Ländern, aber was auf deut- sck-cr Seite zu tun war, das ist getan, und mit Rücksicht darauf, dass es getan wurde, hat denn auch der B md der Landwirte don Reichskanzler noch gnädigst „als Vor- letzten versetzt". Das Wort ist ck-arakteristisch nicht nur für die agrarische Auffassung der Situation. Es beweist dass auch "der Stand, der fast ganz allein von den neuen Handelsverträgen Vorteil haben wird, ja für den sie ausdrücklich abgeschlossen lverden sollten, dass auch dieser Stand noch immer nicht zufrieden ist. Noch weniger zu frieden, und zwar mit gutem Grunde, sind freilich In dustrie und Handel, denn sie haben die Kosten der den Agrariern zugewendeten Gaben zu zahlen. Und tvenn man gleichwohl auch in diesen Kreisen für die Annahme der Verträge eingetreten ist, so ist es lediglich unter dem Gesichtspunkt geschehen, dass man durch die Zustimmung das grössere Nebel, das Inkrafttreten des neuen allgc- meinen Zolltarifs, vermeiden wollte, und weil man sich sagte, besser als (die Unsicherheit ist eine Abmachung, die uns wenigstens auf zwölf Jahre hinaus vor neuen schmerzlicheren Ucberraschungen sichert. Wenn jetzt den, Reichstag der Vorwurf gemacht wird, er habe sich zu leicht mit den, wirtschaftlich so bedeutenden Ge'ebgcbungs. werk abgefunden, so ist dieser Vorwurf nicht berechtigt Zu richten ist er vielmehr an die Adresse des vorher gehenden Reickistages, der die Macht aus der Hand gab, den Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Verträge mit zu bestimmen. Nachdem dies am 13. Dezember 1902 ge- schehen war, blieb dem jetzigen Reichstag keine Möglich- keit, anders zu entscheiden, als er getan hat, und man kann heute nur wünschen, daß unser deutscher Handel und unsere deutsche Industrie die Komplikationen, die für sie zunächst unausbleiblich sind, erfolgreich überstehen und wenigstens den Nutzen aus den neuen Verträgen haben mögen, der sich überhaupt für sie aus ihnen ziehen lässt In der Berliner Presse spiegelt sich die Beurteilung der neuen Verträge bis jetzt wie folgt wieder. „Kreuz-Ztg." und „Post" äußern sich noch nicht in längeren Artikeln, sondern begnügen sich mit einfachen Stimmungsbildern, auch der allerdings dem Umfang nach, bedeutender ausgefallene Artikel der „Ttsch. Tgsztg." hat viel mehr den Charakter eines Stimmungs ¬ neuen wirtschaftspolitischen Feldzug, der Jahre und Jahre dauern wird. Ter „B. B.-C." erhofft von den Verträgen eine Stärkung des Liberalismus: Manckics kann auch unter der Geltung der Verträge verbessert werden, da diese nur die Obergrenze der Zölle bezeichnen, eine Aenderung noch unten aber offen lassen. Verschiedene Industrien sind denn auch bereits am Werke, dem Reichstag entjpreckiende Anträge vor- zulegcn. Die Hauptsache aber bleibt die Stärkung tigen Zusammenstößen zwischen den Schülerinnen, die in Begleitung ihrer Mütter waren, und der Polizei. Diese machte unbarmherzig vom Gewehrkolben Gebrauch. Von sonstigen Plätzen. In Lodz sind wieder 410 Fabriken mit 42540 Ar- beitern in Betrieb. In der Umgebung arbeiten alle Fabriken, ausgenommen zwei. — In Puebianizi ist der Betrieb in sechs Fabriken wieder ausgenommen worden. Nach einer Meldung aus Sosnowice haben die Arbeiter m den Druckereien und im Saturnus-Bergwerk die Arbeit wieder ausgenommen. Baku nnd Batunt forderten gestern oder eingcyangen sind, und daß das Gerücht -Wiener Bayn Begründung entbehrt." Tas Bure machen lassen, imd Industrie und Handel werden, ohne daß eS der Aufforderung eines Ministers bedarf, ler nen, sich ihrer Kraft bewusst zu werden und sie zu ge- brauchen, sich auch in Gesetzgebung und Verwaltung zur Geltung zu bringen. Ter Sieg der Regierung be deutet keinen Frieden, sondern den Anfang zu einem Hildes, als dass er Reflexionen über die neu gesckxnsene Sitlration enthält. Tie „Berl. N. Nachr." fassen ihr Urteil dahin zusammen: Es ist von niemandem ein Sieg erfochten, sondern nur ein Kompromiss erreicht worden. Tas stimmt nickst enthusiastisch. Zudem kann erst die Zukunft leh ren, wie das deutsche Volk aus der neuen wirtschaft- lichen Basis gedeihen wivd. Dass es diese Basis ge wollt hat. dafür zeugen die Ncichstagswahlen roa 1898 und 1903. Ohne dass wir unter parlamenta- rischem Regime leben, ist die im Zolltarif und den neuen Verträgen sich «darstellende Wir scbaftspo itik der Negierung vom Parlament vorgezeichnct worden. Sie verwirklicht zu haben ist das Verdienst des vierten deutschen Reichskanzlers. Tie „Nat.-Ztg." mahnt die Vertreter des .Handels nachdrücklich zur Einigkeit und geschlossenem Auftreten, indem sie schreibt: Wenn die Vertretungen der Handclsintei eilen ihre Kraft im gegenwärtigen Augenblick mit unnötige:» Zwistigkeiten verzetteln, anstatt e n men g vom Gegner zu lernen, dann freilich worden Industrie und Handel vor die eventuellen .Handelsverträge von 1918 resig niert die Worte setzen dürfen: „luscmte agni kperan- ra" ... Je weniger geschlossen Industrie und .Handel vo'-geaei. umiowen'gcr Aussicht aus prakti.chc Berücksichtigung hat aber auch die so sehr berechtigte Mahnung, die Minister Möller ihren Kreüen schon oft vorgelochten hat: dahin zu arbeiten, dass ihre Inter- esscn grösseren Einfluss im Staatslebon, ihr St>nd eine grössere Machtstellung im Staate erhält. Wird aber dieses Ziel von 'denen, die es angelst, nickst mit der nötigen Energie. Umsicht und Einmütigkeit erstrebt, dann kann alle technische und kaufmännische Tüchtigkeit diesen Kreisen auf die Dauer nickst die Beachtung und Berücksichtigung verschaffen, auf die sie gemäss ihrer wirtschaftlichen Nolle im Staatsganzen berechtigten An- spruch haben. Zuversichtlicher urteilt die „Voss. Ztg." in folgenden Sätzen: Es kann die Zeit kommen, wo auch dem herrschen- den Agraricrtum bei fernen Erfolgen bange wird. HoheZölle sind eher zu beseitigen als mässige: tritt eine erhebliche Steigerung der Getreidcpreife ein, so wird sich allenthalben ein Ruf gegen die Kornzölle erhobens wie einst in England, andauernd, wachsend, unwider stehlich, bis das System des Agrarschutzes zusammen- - Perron des k, e r n »e w : c e r Bahnhofes bricht. Tie Bevölkerring wird sich nickst auf Vie Tauer stehender Zug, der um 12 Uhr 30 Min. abgehen jollie, ange- einer Minderheit von Landwirten tributpflickstig Lolomonvcn wurden ins Depot gebracht. In v allen Abteilungen horte die Arbeit aus, der Bahnhof wurde ""t > e n militärisch abgefperrl, kein Zug wurde zugelassen. In W i e n wurde daher gestern keine Billets nach Russisch-Polen au-gegeben. Der abends emgelrostene Zug brachte kerne Pas lag irre mit. Der SechiN erstreik. In Warschau wurden gestern 300 Gymnasiasten verhaftet. Vor dem Mädchengymnasium kam es zu hes- Vie Frisir in Ku55ianl>. Oer Ministerrat. Wie über Paris aus Petersburg gemeldet wird, soll der Zar beschlossen haben, für morgen lämtliche Munger nach dem Schlot; von Zarskoje Sielo zu berufen. Auch die vier Vorsitzenden der Seknonen des Neichsrals sollen an der Konferenz teilnchmcn. Ties sei gle.chbedeulend mil der Bildung eines Mlnislerrals anzusehcn. Ter F i n a n z in i n i st e r bezeichne! die Gerüchte, wonach er zu- rückzutreien beabsichtige, als unrichtig. Oer Lifenbiynerftreik in Warschau. Wie auS Wa rschau gemeldet wird, s „ . morgen die Angestellten der Warschau-Wiener Bayn von der Direktion eine entscheidende Beant wortung ihrer Forderungen. Ta diese unbefriedigend aussiel, begann der Ausstand aller Abteilungen. Die Bahn telegraphen und die Telephone arbeiten nicht, der Zugverkehr ist emgeslclll; der Bahnhof wird militärisch bewacht. Eine Prioaidepeiche gibt folgende Schilderung:. Seit gestern früh 8 Uhr begannen aus ein Signal hin aus den näheren Stationen streitlustige Funktionäre der W a r s ch o u - W i e n e r und der Kalisch - Ber liner Bahn nach Warschau zu strömen. Im Hose des Tirektionsgebäudes versammelten sich die Beamten und verlangten nach dem Vizcdirektor Lapczynski, welcher mit dem Betriebsdirektor Frank alsbald erschien. Nun wurde ein am Perron des Skierniewicer Bahnhofes Nach Petersburger Meldungen lasten sich die furchtbaren Metzeleien zwischen Armeniern und Tataren in Baku auf noch schlimmere Zu stände in Datum zurückführen. Diese Stadl soll sich vollkommen in den Händen der Insurgenten befinden. Das russische Militär bat seine Sympathie den Armeniern zugewendet, ebenso die Polizei. Eine sofort ernannte temporäre Gewalt soll Militär behörden und Polizei arretiert haben, die Insurgenten hätten sich sämtlicher Staatsinslltute bemäch- tigl. Schiffs- und Bahnoerkehr ist eingestellt, die Post geht via Konstantinopel. Herr Aeir-yar-ie un- -ar innere Rutzland. Im Unterhaus fragte gestern der Arbeitervertreter Keir-Hardie an, ob die Regierung eine amtliche Be nachrichtigung darüber erhalten habe, daß in Warschau durch rufsische Truppen 120 Arbeiterführer ohne Verhör erschollen worden seien, und ob die Re gierung beabsichtige, der russischen Regierung Vorstellungen zu machen über die Art, wie die Behörden den Ansprüchen der Ardener begegneten. Balfour erwiderte, es sei selbstverständ lich für die britische Regierung unmöglich, sich in die inneren Angelegenheiten Rußlands einzu« mischen, oder em Urteil darüber abzugeben. Der llittircb - japanische Weg. Die Petersburger Lelegraxhen-Agentur gegen -a» Vureau Reuter. Ein halbamtliches Petersburger Telegramm be sagt: „Gegenüber der Meldung des Reuters chen Bureaus über die Bedingungen, auf gründ deren Ruß land zum F/ i e d e n s i c» l u s j e bereit sei, ist die Petersburger Telegraphen-Agcutur in der Lage mitzuteilen, das die Ansichten der ruf lisch en Regierung, wie sie in dem Telegramm vom 18. Februar dargelegt sind, sich in keiner Weise geändert haben. Der sichere Ton des Neuterschen Telegramms habe hier große Ver wunderung hervorgerufen. Nach eingezogenen Erkun digungen beruhe die Mitteilung des Reulerjchen Korrespon denten auf einem M i ß v e ist ä nd n i s." — Das Tele gramm vom 18. Februar Hal gelautet: „Die Petersburger Telegraphen-Ägenlur meldet: Angesichts des im Auslande verbreiteten Gerüchts, daß Vorbesprechungen für einen Friedensjchlutz zwischen Rußland und Japan begonnen Kälten, sind wir in der Lage zu erklären, daß bis zu diesem Augenblick seitens Japans keine Vorschläge gemacht ' ' Gerücht daher feder , . _ eau Reuter gibt "nichtsdestoweniger ein neues Friedenstelegramm auS. Aach einer von heule datierten Meldung stellte einer seiner Vertreter in lapanischpn Kreisen Londons Unter suchungen über die Ansichten an, die man über die Be dingungen hat, unter welchen Rußland Frieden zu schließen gewillt jein soll. Auf olle Fälle gab man, so wird fortae- fahren, der Ansicht Ausdruck, daß wiche Bedingungen, selbst wenn die Frage der Kriegsentschädigung nicht in Zweifel gezogen würde, unmöglich von Japan angenommen werden könnten. Der Vorschlag, die Mantschurei nördlich bis Chardin an China zurückzu geben, sei der bemerkenswerteste, da hierdurch Rußland trotz seiner eigenen Niederlage gewinnen würde; denn die Gegend der Mantschurei, die Rußland behalten würde, be trüge tatsächlich zwei Drittel der Mantschurei. r»alfour un- -a- -ritte r»»sfisct>e Gesct)»va-er. Aus London wird gemeldet: In Beantwortung einer brieflichen Anfrage, ob Maßregeln zum Schutze der Fischerflotte an der Doggerbank gelegentlich der Durchfahrt des dritten baltischen Geschwaders durch die Nordsee ergriffen seien, äußerte sich Balfour dahin, die eng lische Negierung hege f e st e s Vertrauen zu der von der russischen Negierung gegebenen Versicherung, daß sie aus- gedehnte Vorsichtsmaßregeln getrosten habe, dcs Liberalismus, die bei den in drei Jahren stattfin. dcnden Hauptwahlcn erreicht lvevden kann und muss. Aehnlich äußert sich das „B. T.", das in der Annahme der Verträge einen Sieg dcs Agrariertums sieht, indem cs schreibt: Unterlegen ist -die Vertretung der Gesamtinteressen des Volkes — weil das Volk sic im Stiche ließ. Wie die Tinge liegen, bleibt dem Patrioten nur eine Hoff- nung und ein Wunsch: Dass am unserem Volke sich das griechische Sprückyvort beivahrlieiten möge: Der nickst geschundene Mensch kommt nicht zur Einsicht. Wenn das deutsche Volk jetzt merken wird wie das Agrarier- tum aus seiner Haut sich Riemen schneidet, wird cs wobl endlich zu der Einsicht kommen, lvas ihm die Pflicht der Selbstcrhaltung gebietet. Ter „Vorwärts" endlich sagt in seinem „Vollbracht!" betitelten Leitartikel: Wie bisher alle Versuche der herrschenden Klassen, don ehernen Gang der Geschickte zu hindern, versagen mußten, so wird auch dieses leviatlmiiische Unterneh men der Volkspliindcrung schliesslich das Gegenteil besten herbciführen. was seine Urheber erhoffen. Vergeblich sucht man also eine Stimme, die rückbalts- lose Zufriedenheit zum Ausdruck brächte. Feuilleton. Frauchen. Roman von Felix Freiherr von Ttenglin. NaLdrriS »erdolrn Auch heute ließ er ihn eine Weile gewähren. Willy kam mit seinem Frühstück in Walters Zimmer, unter brach dessen Lektüre wiederholt durch Fragen, die Wcstter nur mit einem vieldeutigen „Hm!" beantwortete, er klärte, daß er einen Groschen von Mutter bekäme, da er zwei heramfgekommen wäre, — wobei sich allerdings hcrcuiSstellte, dass er nicht etwa besser gewusst habe als andere, dass er vielmehr nur heraufgekommen war, weil andere nichts gewusst hatten; er jagte einer armseligen Fliege nach und sprach den Wunsch aus, alle Fliegen müssten von Honig sein, dann würde er sie sich direkt in den Mund fliegen lassen DaS wäre wohl noch eine Weile so sortgegangen, aber mrn kam die Pförtnersfrau vom Nachbarhause, um sich über Willy zu beschweren. Davon mußte doch Notiz genommen werden. Willy hatte nach Aussage der Frau „mit Mutwillen" eine Scheibe ihrer Wohnung einge worfen. Willy leugnete zunächst mit der unschuldigsten Miene, deren er fähig war. Schließlich gab er zu, dass ibm der Stein aus der Hand geflogen sei. Walter gab der Frau anheim, ihm die Rechnung zu schicken, wobei es zu einigen weiteren Auseinandersetzungen kam. Die Bereitwilligkeit Walters, die Kosten zu tragen, hatte der beleidigten Frau den Wind aus den Segeln genommen. Las steigerte eher ihren Aerger, als daß es ihn be- sänftigte, und sie erging sich in der Schilderung weiterer Taten Willys, der in der ganzen Strasse ja sck>on bekannt wäre, und an dem seine Eltern noch einmal etwas er leben würden. . . . Walter glaubte zwar nicht an schlechte Eigenschaften und bösartige Anlagen seines Jungen, aber er hielt es doch für an der Zeit, ihm einmal eine ernstliche Er- Mahnung zuteil werden zu lassen. War er doch jetzt noch mehr verantwortlich für ihn als sonst. „Komm' mol her, mein Junge!" Er setzte sich in seinem Zimmer auf einen Stuhl und zog Willy zu sich heran. . . . Ja, wie machte mon'S nun am besten? Er wollte versuchen, das Ehrgefühl deS Jungen zu wecken. „Sich' mol, rncin Junge, du denkst wohl manchmal: man sieht'S ja nicht... Aber dvS musst du nicht denken. Du musst auch bmv sein, wenn eS keiner sieht. Brav sein, bringt Segen. Glaubst du nicht, daß ich auch ein braver Knabe war?" Willy sah lächelnd zum Vater auf. Er scheint zu zweifeln, dachte der. „Ich will dir mal eine Geschichte erzählen", fuhr er fort. Ja, so mußte man's machen, eine Geschichte! dachte er bei sich. An einem Beispiel zeigen, wie man sich zu verhalten hatte, um Segen von seinen Handlungen zu ernten. Walter fühlte sich in diesem Augenblick ganz als Pädagoge. Eine solche eindringliche Unterhaltung war zweifellos wichtiger als fortwährendes Ermahnen. In diesen Dingen musste man etwas Tiefblick besitzen. „Also — es war einmal ein Knabe, — ein Knabe, der nicht brav war —" „Hieß er Willy?" Der Junge war wirklich unheimlich schlau, daß er das schon erkannt hatte, dachte Walter. „Nennen wir ihn Willy. Und eines TageS — nun ja. . . . Und der Willy hatte einen Freund, der hieß Karl und war ein guter Knabe. — Gähne nicht, wenn ich dir was erzähle! — Und do — und da —" Die Sache wurde reichlich moralisierend, dachte Walter und erinnerte sich mit Sckxmder einer Geschickte, die er in seiner Jugend gelesen hotte: die Kinder des Herrn Thalheim. ... Er fühlte noch jetzt den Widerwillen, den ihm die beiden Musterkinder deS Herrn Thalheim ein geflösst hatten. Aber dos half nichts, er hatte nun ein mal begonnen. Ein Beispiel! Wenn er nur ein Beispiel genmsst hätte! So ost hatte er zu AgncS gesagt: Du musst dich mehr mit dem Jungen beschäftigen, ihn durch kleine Beispiele belehren. . . . Und nun wollte ihm selbst durchaus kein Beispiel einfallen, so sehr er sein Gehirn obmarterte. Indessen, die Kunstpause wurde zu lang, und Walter fuhr unwillkürlich im Stile seiner „Kindyr dcs Herrn Thalheim" fort: „Und der gute Knabe Karl tat keinem Menschen was zu Leide, und seine An-üge waren immer sauber, sein Benehmen bescheiden .... sehr bescheiden —" Gott sei Dank, endlich fiel Walter ein Beispiel ein; waS lag auch näher, als bei Knabenstreichen an den Apfelbaum zu denken! „Und einmal stieg der böse Junge Willy in einen Apfelbaum und dachte: es sieht's ja keiner, und steckte sich die Taschen voll Aepfel, die er essen wollte. Und da aß er sie. Und da — da wurde er immer Licker. Und schliesslich wurde er sehr dick und platzte. Der Karl aber, der brave und bescheidene Junge, hatte keine Aepfel genommen und platzte nicht." Walter war ganz heiss geworden. Er schob den Jungen von sich und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn. Willy stand breitbeinig da und sagte: „War der Willy aber dumm! Ich hätte mir welche zum nächsten Tag aufgehoben!" Walter verblüffte diese Antwort. Also nicht die geringste moralische Wirkung hatte er mit feiner Ge schichte erzielt! Ja, ja, mit den pädagogischen EinNstrkungcn war'S doch nickst so einfach! Die vollkommene Hausfrau wuchs vor Walters Vorstellung immer mehr zu einem fabcl- lioften Niesenwesen an. Auf all' diesen verschiedenen Ge bieten etwas zu leisten, das konnten nur besonders ver anlagte Geschöpfe fertig bringen. Sein Misserfolg hotte Walter? Stimmung ungünstig beeinflußt, und als Willy nun fortfuhr, wie Ouecksilbor um ihn herum zu sein, lierrschte er ihn grob an. Eine Weile war Willy ruhig; der Vater atmete au§ und nahm seine Broschüre wieder vor. „Vater!" begann der Junge da von neuem. ..Was denn?" „Ich hab 'n Loch im Strumpf." „So lass es stopfen!" rief Walter ungeduldig „Ich hab'S schon abgebundeu", sagte Willy vergnügt
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