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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.03.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-03-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050318027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905031802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905031802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-03
- Tag1905-03-18
- Monat1905-03
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Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Ubr. Morgen.Au«gabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Ertra-Vetla,en innr mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition Ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck and Verlag von G. Pol» in Leipzig (Inh. vr. V.. R. «r W. «ltukhardtl Nr. M. Tonnabend den 18. März 1905. SS. Jahrgang. Var Wcbtigrie vom rage. * Die Internationale Kochkunst- und FachauS- stellung für da« Gastwirtögewerbe Leipzig 1905 wurde heute vormittag 11 Uhr in Gegenwart de« König- Friedrich August feierlich eröffnet. (S. Sonderbericht.) * Zum Berichterstatter über den DreyfuS Prozeß ist nach Puechs Weigerung der KafsationSgerichtSrat Iaffard ernannt worden. (S. Au-land.) * In Mailand, Verona und anderen Städten ver sammelten sich die Eisenbahner, um ihre fernere Haltung zu beraten. E- herrscht die Absicht, neuerding« Widerstand zu leisten. * Der Kapitän Klado ist wegen seiner Artikel über den Krieg seiner Funktionen enthoben worden. (S. russ.-jap. Krieg.) * Der neue chinesische Dizekönig für die Mantsch urei, Chaverchen, begibt sich nach Mulden. (S. russ.-jap. Krieg.) kin «rirrer stabe. In -er Morgenausgabe des „Tag" vom 16. März war ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerter Artikel des freikonservativen Abgeordneten Dr. Arendt ent- halten, betitelt: „Hat die freisinnige Partei eine Zu- kunft?" Bemerkenswert ist an diesem Artikel zunächst, daß er. wie es scheint, nicht bemerkt wurde. Wir meinen, er hätte Aufmerksamkeit verdient, und werden unsere Ansicht gleich zu begründen versuchen. Wenn wir sie aber begründet haben, so werden wir auch die Berech tigung der Klage nachgewiesen haben, die wir voran schicken wollen. Und diese ist, daß die Parteien und ihre Presse sich allzu schroff von einander abschließen, daß sie sich höchstens einmal in einer meist kleinlichen Polemik ergehen, es an einer gerechten Würdigung gegnerischer Ansichten meist fehlen lassen und wichtige Aeußerungen nur deshalb ignorieren, weil sie aus dem anderen Lager stammen. Der notwendige Widerstreit der Parteien muß sachlicher werden. Wir alle müssen uns immer wieder Vorhalten, daß unser Gegner, weil er anderer Ansicht ist als wir, noch keineswegs ein Idiot zu sein braucht. Unserem Parteileben fehlt eine Eigenschaft, die das englische bisher auszeichnete, die kairoess, die gegenseitige Anerkennung. Wäre sie vorhanden, so hätten die Ausführungen des Dr. Arendt sicher in der liberalen Presse Beachtung gefunden. WoS dieser konservative Mann so Außerordent- licheS gesagt hat? Allerhand merkwürdig Unbefangenes, Dogmenfreies. Zum Beispiel: „So wenig ein weitblickender Demokrat das kon- servative Element in unserem Staatswesen missen möchte, so wenig kann ich vom konservativen Stand- punkt auS mich über ein Verschwinden der Frei sinnigen freuen." Sehr richtig I ruft man unwillkürlich aus. Jeder Staat bedarf naturgemäß einer bewegenden und einer beharrenden Kraft. Wird die eine oder die andere aus geschaltet, so ergreift Len Organismus verzehrendes Fieber oder lähmende Verkalkung. Das ist eine triviale Wahrheit, aber es kommt in der Politik nicht darauf an. ob ein Satz trivial ist oder nicht, sondern ob er wahr ist oder nicht. Und diese versöhnenden Wahrheiten, die in lichten Momenten auch der Parteiberserker anerkennen muß, werden hierzulande allzu selten ausgesprochen Freilich kann man im Kampfgetllmmel nicht immer objektiv sein, aber das Streben danach sollte stets vor- Händen sein. Bei uns aber schimpfen die „Junker" aus die „Nobber", die „Fettbllrger" auf die „Vaterlands losen" und umgekehrt, und ein betrübender Mangel an schönem Maß beherrscht unser Parteileben. „Was uns in Deutschland fehlt, ist eine nationale, neuzeitliche Demokratie, welche nicht mehr mit den veralteten Anschauungen von 1848, sondern mit dem Geist des Weltbürgertums in unsere innere Politik eingreift." Gewiß eine bedeutsame Aeußerung aus dem Munde eines Konservativen. Diesen hat sonst das Wort „Welt bürgertum" einen üblen Klang. Wer es so fortschritts freudig ausspricht, mit dem ist eine Verständigung mög lich. und wenn diese doch wider Erwarten nicht möglich ist, so ist gegenseitige Achtung sicher. Und das ist nichts Geringes. Es ist keineswegs gleichgültig, in welchem Geiste ein Volk seine Parteikämpfe durchficht keinesioegS gleichgültig, ob 'das Gefühl der Zusammengehörigkeit die dominierende Note bleibt oder nicht. Wir wissen noch nicht, ob nicht die jahrzehntelange planvolle Verhetzung, die die sozialdemokratischen Blätter treiben, im nächsten Kriege sehr ernste Folgen zeitigen wird. Nach der Hal- tung der Partei hinsichtlich des Feldzuges in Südwest afrika läßt sich das Schlimmste befürchten. Denn schon brauchen die Führer den Unwillen der Massen nicht mehr zu befürchten, wenn sie unsere kämpfenden Truppen und ihre Offiziere verunglimpfen und die Mittel für die Kriegführung verweigern. „Eine starke, national gesinnte bürgerliche Demo kratie". so sagt Dr. Arendt, „ist der einzige Ausweg aus;der Sackgasse der Zentrumsherrschaft, in die wir durch das gänzliche Versagen der Freisinnigen geraten mußten." Auch dies ist, wenigstens teilweise, wahr, nur dürfen wir freilich nicht die Freisinnigen allein belasten, sondern müssen auch darauf Hinweisen', daß.es den Konservativen zu einem ernsten Kampfe gegen römische Herrschsucht bisher stets an Neigung gefehlt hat. Eine Schwalbe macht freilich noch keinen Sommer, aber sie erweckt die Hoffnung auf das Nahen einer lichten Zeit. In diesem Sinne erschien uns der Aufsatz des Herrn Dr. Arendt bemerkenswert. ver nittirch-iapanirche strieg. Linjewitsch. Der Name des Generals der Infanterie N. P. Linjewitsch ist durch dessen zehnjährige militärische Tätig- leit im fernen Osten populär geworden. Seit dem Jahre 1895 hat Linjewitsch als Kommandierender der Truppen der Süd-Ussuri-Sektion des Amur -Militärbezirks energisch an der Entwickelung und Organisierung der Sibi rischen Schützenreaimenler gearbeitet. Als im Jahre 1900 das Erste Sibirische Armeekorps gebildet wurde, ernannte man ihn zum Kommandeur. Im Frühjahr begab er sich an der Spitze des Petschili-Detachements nach Peking zur Be freiung der belagerten Gesandtschaften. Unter seinem Kom mando haben die russischen Truppen, zum Teil gemeinsam mit Truppen anderer Länder, eine Reihe glänzender Siege errungen, die mit dem Sturm auf Peking endeten. Durch Verleihung des Georgs- und des Ännen-Ordens mit Schwertern wurden die Verdienste Linjewitschs um die Unter drückung des Boxeraufstandes ausgezeichnet. Im Jahre 1903 wurde er Kommandeur der Truppen des Amur- Militärbezirks. Als der Bruch zwischen Rußland und Japan erfolgte, halte der General die Expedition zu organisieren, welche die Japaner eine zeitlang in Nordkorea beschäf tigte. Linjewitsch ist im Jahre 1838 im Tschernigowfchcn Gouvernement geboren und trat nach Absolvierung deS Gym nasiums in das Ssewsker Infanterieregiment ein. Fast zwei Jahre trug er den Soldatenmantel. Die Feuertaute erhielt er in den kaukasischen Feldzügen der Jahre 1859 bis 1864, und im russisch-türkischen Kriege nabm er an vielen Schlachten teil. Während des Sturmes auf die Zicksis-Dsiosker Höhen wurde er an der linken Hand und am Fuße verwundet. Man hatte schon eine Amputation des Fußes beschlossen, doch heilte die Wunde bald und machte eine Ope ration unnötig. Seitdem hinkt General Linjewitsch leichi und kann nicht ohne Stock gehen. Für seine Tätigkeit im russisch-türkischen Kriege wurde er durch Ordensauszeich- nunocn, durch Verleihung des goldenen Ehrensäbels und durch die Betörderung zum Obersten belohnt. Nach dem Türken- krieae kommandierte er sechs Jahre lang das 84. Schirwans- ker Infanterieregiment und wurde daraus Chef der 2. Trans kaspischen Schützenbrigade. Ehe Linjewitsch bei der durch den Rücktritt Grivenbergs veranlaßten Verschiebung der Kom mandostellen den Befehl über den linken Flügel der Armee Kuropatkins übernahm, hatte er in Wladiwostok kom mandiert. Er ist bei den Truppen sehr beliebt und hat sich in Petersburg wahrscheinlich dadurch besonders empfohlen, daß er in den letzten Kämpfen nicht nur zeitweilige Erfolge über die Japaner errungen, sondern auch seine Truppen in vollkommener Ordnung unter klingendem Spiel nach Tieling geführt hat. Bestrafung -es Aapitän Alado. Der Kapitän Klado, der soeben noch vor der HuN- kom Mission Rußlands Interesse vertrat, wurde wegen der Veröffentlichung von Artikeln über die Kriegslage aller seiner Funktionen enthoben, seine Bezüge wurden auf ein Viertel reduziert; die Rache seiner Gegner hat ihn ereilt. Die Fortsetzung -es Ariege». Die Japaner kauften, den „Central NewS" zufolge, in Australien eine Anzahl Pferde. Bisher wurden 10 000 Stück erworben, die nunmehr verschifft werden sollen. Weitere Käufe sollen folgen, sobald die nötigen Transport mittel vorhanden sind. Rußland macht jetzt den Lasen von Nikolajewsk am Amur zur Verpflegunasbasis der Mantschureiarmee, da Wladiwostok durch die Japaner von der Seeseite blockiert ist. In London wurden mehrere Dampfer noch Nikolajewsk gechartert, die Schiffe sind mit 50 Prozent gegen Kriegsgefahr versichert. Togos Flotte. Tie Frage, woTogosFIottezu suchen ist, ist nunmehr beantwortet. Vor Srngapore ers-^'enen am 15. März der gedeckte Kreuzer „Kasagi", der die Flügge desAdmirals Dewa trug, der gedeckte Kreuzer „Chitose" und die Hülfs- kreuzer „Amerika Maru" und „Uwata Maru". Sie ankerten außerhalb der Drei-Meilengrenze, 20 Meilen weiter östlich wurden in der Nähe deS Leuchthauses Horsborg an dem Eingänge der Straße von Singapore weitere ^Kriegs schiffe gesichtet. Zwei Offiziere landeten und hatten eine Unterredung mit dem japanischen Konsul. Der Vertreter der „Daily Mail" ging, wie die „Frkf. Ztg." dem Blatte ent nimmt, an Bord des Flaggschiffes, fand ledoch die Offiziere sehr zurückhaltend und durchaus nicht mitteilsam. Sie hör ten dagegen mit großer Freude die Nachricht von dem Aus gange der Schlacht von Mukden. Die Flotte wollte sofort weitersahren, da sie keinen Bedarf zu decken hatte. Ueber ihr Ziel äußerten sich die Offiziere natürlich nicht, doch nimmt man an, daß dieses wahrscheinlich die Sundastraße sein wird. Ob Togo selbst sich bei der Flotte befindet, ist zwei- felhaft. Line Rede -es japan. Ministerpräsidenten. „Daily Telegraph" meldet aus Tokio unterm 16. März: Der Ministerpräsident hat in einer Rede gelegent lich einer Versammlung von Finanzleuten gesagt, das Ende des Krieges sei schwer vorauszusehen. Tie Russen gänz lich zu besiegen, sei eine außerordentlich schwierige Aufgabe, die nur gelöst werden könne, wenn die ganze japanische Nation e i n i gsei. Er hoffe, daß die F i n a n z l e u t e die Regierung in hochherziger Weise unterstützen werden. Tas bis herige Ergebnis des Krieges sei günstiger, als man habe voraussehen können. Als Japan den Krieg begonnen habe, sei es gewesen, als sei man im Begriff, durch ein Tor in die Hölle einzutreten: alles sei unsicher gewesen. Nur die Einmütigkeit der Nation habe zu der ununterbroche nen Reihe von Siegen geführt, sowohl zu Wasser, als auch zu Lande. — Als Erfolg dieser Ruhmreoe wird gemelder, daß zahlreiche in Japan wohnende Fremde für die n e u e i n n ere Staatsanleihe gezeichnet haben. vsnr Arieqss chauplatz. Die „Times" melden aus Petersburg, daß durch „wohlinsormierte Personen" versichert werde, daß ein Waffenstillstand demnächst beichlossen werde, wahr, scheinlich innerhalb eines Monats, um Verhandlungen über die Frisdenssrage zwischen russischen und japanischen Delegierten zu ermöglichen, l?) — Der Kriegsberichterstatter des „Matin" telegraphiert seinem Blatte aus Chardin, daß er sich am 8. März von Eharbin aus Habern ach Mukden begeben wollen. In der Nähe der Station Sinopinghi sei der Zug jedoch von Chunchusen über fallen worden. Im Zuge hätten sich zahlreiche Offi ziere und Soldaten befunden; ein Offizier sei durch mehrere Schüsse getötet, zwei Soldaten seien verwundet worden. Der Zug sei übrigens bloß bis Tieling gelangt und habe dann umkehren müssen. Lin chinesischer Vizeksnig der Mantschurei. Die „Morning Post" meldet aus Shanghai unterm 17. März: Chaverchen ist durch Erlaß der chinesischen Regierung zum Vizekönig der Mantschurei er- mannt worden. Chaverchen hatte mit dem japanischen Ge sandten in Peking eine längere Unterredung und wird un- verzüglich nach Mukden abrcijen. Vie stririr in stnrrlana. Nahregelnng des „Begierungsbsten" durch Bulygin. Nach einem Petersburger Telegramm erteilte der Minister des Innern dem Chefredakteur des „Regierungs boten" Kulakow Ski eine Rüge, weil er beim Abdruck des Kaiserlichen Manifestes vom 3. März von der gesetz mäßigen Ordnung abgewichen war. Das Manifest war ihm gesetzwidrig nicht durch den Senat zugegangen, der alle Manifeste und kaiserlichen Erlasse drucken lassen muß, ehe sie durch offizielle Privatblätter verbreitet werden dürfen. Die Unruhen. Da die Militärbehörden erfuhren, daß auf den Eisen bahnbrücken der Samara» und sibirischen Bahn Dynamit attentate geplant seien, wurden nach einer Moskauer Meldung sämtliche Truppenkommandanten angewiesen, die Brückenwachen zu verstärken. — Wie über Wien depeschiert wird, holzten auf dem Gute des Grafen Zamoyski im Bezirk Petrikau die Bauern den Kronsorst ab. Zn Feuilleton. Die Wehrlosen. von Lbarlott» Eilersgaarb. 11) Autorisiert« Urbersetzung von Wilhelm Thal. Naivdruck verdaten. Und die Tage folgten wieder, einer nach dem andern, jeder verging in derselben einförmigen Weise, in der- selben Arbeit und in denselben Entbehrungen. „Ich spare, Lu sparst, wir sparen", sagte Karen eines Tages lachend, als sie vertraulich bei den Eltern saß. Sie hatte eine kleine Ermahnung bekommen, ihr neues Kleid recht sehr in Acht zu nehmen, da sie bis zu Eriks Examen wohl kaum ein weiteres bekommen würde. „Ich glaube", fuhr sie fort, „an das Wort werde ich mich am besten von der ganzen Sprache erinnern. Das habe ich gründlich auswendig gelernt." »Ja, jc», Karen", sagte der Vater, „das ist ein nütz- licheS Wort und gleichzeitig eine Lehre, die dir in Zu- kunft von Vorteil sein wird." „ES ist ein schweres Wort", sagte Frau Helwig leise, aber sie sagte es sy still, -aß nur sie allein eS hörte. XX. Die Tage, in denen Briefe von Kaj kamen, wurden reine Festtage für die Familie Helwig. Sie brachten ja Botschaft aus einer neuen und fremden Welt. Karen kam eS wie ein Märchen vor. DaS las man alles in Len Büchern, aber Menschen erleben eS nicht. Durch KajS Briefe ging beständig dieselbe Zufrieden heit und dieselbe Freude am Leben und der Arbeit. Die Hälfte deS JahreS verbrachte er auf langen Reisen durch daS Land. Die Regierung beschäftigte ihn jetzt als Landmesser. Die übrige Zeit lebte er das fried liche Dasein der Ackerbürger» und Handwerkers. ES war »m Stzben, in d«n di« Ansprüche nicht grötzer gestellt wurden, als er sie mit Leichtigkeit erfüllen konnte. Er schrieb: „Ich hätte nie geglaubt, daß das Leben sich so har monisch formen könnte. Ich wünschte, ich hätte Euch hier. Ihr wäret dann frei von vielen Unannehmlich keiten, die zu Hause zum täglichen Brot gehören." „Er sieht wohl alles mit rosiger Brille", sagte der Vater. „Dänemark ist gut genug, wenn man nur eine ordentliche S^lle hat. Und die bekommt Erik wohl. Dänemark ist doch das Vaterland. Aber es ist ja gut, daß der Junge zufrieden ist. Vorwärts geht es ja auch mit ihm, da war es vielleicht gar nicht so übel, daß er hinüberkam. Aber uns recht aufleben lassen und uns in unserem Alter Ehre machen, daS kann wohl nur Erik." „Ist eS denn nicht genug, wenn sie selber zufrieden sind?" fragte Frau Helwig wehmütig. „Genug, genug, gewiß ist es genug, aber du bist doch auch nicht von Eitelkeit frei, Frauchen .... Und dann, zum Teufel, ist es doch auch schön, wenn man auf seine Kinder ein bißchen stolz sein kann." „Das können wir ja auch auf Kaj sein." „Ja, gewiß, der Junge hält sich ja brav, er ist ja jetzt zur Ruhe gekommen. Aber du weiht doch recht gut, daß man immer vor -en Leuten auf dem Bauch liegt, die ein Diplom in der Tasche haben. DaS tut man selbst, wenn man auch angeblich auf ein Examen nichts gibt." „Darum ist es ja auch schön für Kaj, -aß er ganz -rauhen ist", versetzte Frau Helwig leise. „Nein, weißt du, Ellen, eS ist nie ganz schön, draußen zu sein, — aber natürlich, ich sage ja nichts dagegen. Ich meine auch, wie es nun einmal gegangen ist, haben wir allen Grund, mit Kaj zufrieden zu sein. Man kann ja auch nicht erwarten, beide Hände voll zu bekommen. Un- dann ist Kaj ja auch, wie gesagt, zufrieden. DaS klingt auch ganz schön, wenn ich von meinem Sohn in Amerika spreche." Kaj war Katholik geworden, und e» wunderte Karen nicht wenig, daß er das fast geschäftsmäßig abmachte. Er schrieb, man lebe am besten zusammen mit der Be völkerung, wenn man die Religion des Landes annehme und seiner Sitte folge. Uebrigens wären die katholischen Priester, die er kenne, fromm und gut und meinten es ernst. Noch mehr wunderte sich Karen, daß nickst einmal die Eltern darüber ärgerlich oder betrübt waren. Auch sie betrachteten es als eine ganz natürliche Sache. In der Schule und in der Kirche lxstte sie doch gelesen und gelernt, daß man eher das Leben opfern, als seine Religion wechseln sollte. Es war ihr ordentlich mit an genehmem Schauer über den Rücken gelaufen, wenn sie soviel von den standhaften Männern und Frauen las. Karen konnte Feuer und Flamme werden, wenn sie an Johann Huß dachte. Er sah so schön durchgeistigt aus . . Und nun wechselte ihr eigener Bruder die Religion fast ebenso leicht, wie er die Sprache wechselte. Ob das im wirklichen Leben immer so zuging? Die Mutter sah wohl Karens Verwunderung und sagte milde: „Ich verstehe meinen Jungen recht gut, liebe Karen, jetzt, da er fern von unS ist, verlangt er nach etwas, das fern Herz erwärmen kann, und greift nun nach) dem, was ihm gereicht wird." Frau Helwig fand, Kaj wäre tiefer und bedächtiger geworden. Daß er auf eigenen Füßen stand und ganz auf sich selbst angewiesen war, entwickelte und reifte ibn schnell. — — — — — — — — — — — KajS Briefe wurden Erik zugesandt, und Karen hatte auch angefangen, an ihn zu schreiben. Diese Briefe waren die wesentlichste Aufmunterung und Abwechselung im Leben des Studenten. Sie stimmten ihn gleichzeitig fröhlich und traurig. Wie oft beneidete er Kaj, daß er den Mut gehabt hatte, die Kette zu zerreißen, um daS zu suchen, wonach seine Natur und seine Sehnsucht ver langten. Warum war er selber so schlaff und energielos ge worden, daß er sich willig unter das Joch beugte, das andere ihm an leg ton? Was half es, daß er jetzt einen Schnurrbart trug und auch am Kinn einen Flaum bekam, er war und blieb doch ein willenloser Junge. Ließ Vater und Mutter zu .Hause sparen und entbehren — für ein Studium, dos er im tiefsten Herzen Hatzte. Und er nahm ja eigentlich auch von der Schwester. Jeder ihrer Briefe atmete das Ver langen nach Kenntnissen und war ein stiller wenn auch unbewutzter Vorwurf gegen ihn, der ihren Platz ein nahm. Sie hatte ja schon als kleines Mädchen den klaren, leichten Kopf, den er nicht besaß. Wenn sie auch in eine armselige Mädchenschule ging, kannte sie doch oft seine Lektionen viele früher als er selbst. Sie lernte sie schon, wenn sie ihn „büffeln" hörte. Diese Erkenntnis war für Erik nickt sehr angenehm, aber es war die Wahrheit, wenn er ehrlich fein wollte. . . . Dock der Vater hatte eS sich nun einmal in den Kopf gesetzt, daß der älteste Sohn studieren sollte. Er tat es in guter Absicht. Aber konnte diese gute Absicht über alles hinweghelfen? Wenn Erik so ab und zu seinen Gedanken freien Lauf gegeben hatte, fuhr er wieder fleißig fort zu studieren. ES galt ja, wie stets, tüchtig zu „büffeln"; man durfte die teure, kostbare Zeit nicht vergeuden. Ter erste Teil des juristischen Examens war nicht mehr weit entfernt und dann konnte man wohl auch da« Ende deS Weges absehcn. Wenn er nur sicher gewesen wäre, ganz sicher! Aber wer war das? Tie ganze Ungewißheit lag vor ihm, die qualvolle Ungewißheit! XXI. Karen wurde zusammen mit den Eltern zum Diner bei der gnädigen Frau eingeladen. Das war eme sehr große Ehre für die Familie Helwig. Es war sonst nicht Sitte, daß die Kinder der Angestellten mit zur Gesell» schäft geladen wurden.
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