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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.03.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-03-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050308026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905030802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905030802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-03
- Tag1905-03-08
- Monat1905-03
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Die 4 gespaltene ReNamezril« 75 Annahmeschlutz für Anzeige«: Abend-Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Au-gabe: nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an di« Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen« Ausgabe- nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet vou srich 8 bi- abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von 8. Potz in Leipzig «Inh. Or. V„ R. L W. Sltukhardt). Nr. 123. Mittwoch den 8. M 'rz 1905. 98. Jahrgang. dar Aicbllgtle vom Lage. * Der Fürst Ferdinand von Bulgarien halte gestern in Lonvon Konferenzen mit Eduard VI. und dem Lord LanS- downe. (S. Ausland.) * Nach ^em „Lokalanzeiger* hatte Witte gestern dem Zaren sein .tvschiedSgesuch, da- er mit Mangel au Ver trauen motiviert, eingereicht. (S. den Artikel.) * Nach den Depeschen über die Entscheidungsschlacht bei Mulden baden die Russen ihre rechte Flanke nach Norden herumgebozen; die japanische Umgehungs kolonne steht nach blutigem Kampf nördlich von Mulden. Die Hauptmacht der Russen zieht sich von Fuschuu auf Tieling zurück; Kuropatkin verlegt sein Hauptquartier. Die Verluste beider Armeen sind noch größer als bei Liaojang. (S. rufs.-jap. Krieg.) vei stafter «na air Ultiamontanen. Es gibt gewisse deutsche Themata, die außerhalb der Reichsgrenzen viel häufiger und gründlicher öffentlich er örtert werden als im deutschen Reiche selbst. Au ihnen gehört das von der kirchenvolitischen Stellung und den kirchlichen Neigungen des Kaisers. Freilich, auch bei uns wird darüber geredet, aber nur selten darüber ge schrieben. Warum? Je, nun. Interessant ist die An gelegenheit wohl, sogar mehr als das: sie ist sehr wich- tig. Aber sie gehört zu dem heißen Eisen, an dem die Leute sich nicht gern die Finger verbrennen. Ta ist es jetzt recht nett von der ultramontanen „Köln. Volksztg.", daß sie auf die kaiserliche Kirchenpolitik zu sprechen kommt, denn nun liegt ein gewisser Zwang auch für andersgläubige Publizisten vor, sich zu äußern. Ganz wohl ist auch dem rheinischen Zentrumsblatte nicht bei ihrem Werke. Deshalb salviert sie sich fein säuberlich gleich im Anfänge ihres Artikels, verweist gewissermaßen auf den katholischen kategorischen Imperativ (übrigens ein hübsches Paradoxon) und schreibt: Insbesondere ist die Stellung des Kaisers zum j. lholi- zismus des öfteren verschieden beurteilt worden. In manchen katholischen Kreisen, in denen man gern in Illu sionen sich wiegt, gefällt man sich in der Vorstellung, Kaiser Wilhelm II. habe eine ausgesprochene Sympathie sür den Katholizismus; in ausländischen katholischen Kreisen, wo der Illusionismus noch stärker entwickelt ist, als daheim, hat diese Vorstellung sogar zuweilen zu der Phantasie sich verdichtet, der Kaiser sei auf dem besten Wege, katholisch zu werden. Wir sind dem mehr als einmal pflichtmäßig entgegengetreten, weil wir die Dinge gern sehen, wie sie sind, und weil in der Politik, auch in der Kirchenpolitik, nichts gefährlicher ist, als sich selbst und andern etwas oorzumachen. Tie „Köln. Volksztg." hat ganz Recht, wenn sie einige Beklemmungen bei ihrem kühnen Unterfangen im treuen Busen empfindet, denn ihr Beginnen steht höch stens im Schutze der Laueta SiiupUeitss. Im allge meinen pflegen die glücklichen Besitzer dem Grundsätze zu hu! gen: Huieta von movere, und sie tun gut daran Auch die „Volkszeitung" fühlt das und hüllt sich deshalb in das Gewand der verfolgten Unschuld. Es ist Gefahr im Verzüge, „es braut sich etwas zusammen" gegen die römisckie Kirche, „die tolle Hetze des Evangelischen Bun des" ist auch nicht leicht zu nehmen. Ueberhgupt sicht es grauslich aus im heiligen deutschen Reiche. Wer das nicht sieht usw. Aber die „Köln. Volksztg." steht auf der Wacht, sic siebt dos alles und deshalb sagt sie: Es ist unsere auf Tatsachen gestützte Ueberzeugung, daß dem Kaiser Wilhelm II. der Katholizismus als solcher nichts weniger als sympathisch ist, daß aber der Kaiser als weitblickender Staatsmann der in n e r p o l i t i s ch en Lage, wie sie durch die starke Stellung des Zentrums namentlich im Reichstage gegeben ist, Rechnung trägt und daher, wie die Dinge zurzeit liegen, kulturkämpferischen Aktionen abhold ist. In letzter Zeit mehren sich die Anzeichen, welche unsere Auffassung als eine begründete auch äußerlich erkennen lassen. Noch ist der Fall Waitz in frischer Erinnerung: Die Mitteilung des Pfarrers Waitz, Prinz Heinrich habe ihm gegenüber bemerkt, er, der Prinz, sowohl als der Kaiser wünschten eine „anti ultramontane Bewegung". Irgendwelches De menti ist bis jetzt nicht erfolgt. Jetzt sendet man uns die Nr. 10 des „Hamburgischen Kirchenblattes", in Verbindung mit Pastoren und Gemeindemitgliedern der Hamburgischen Landeskirche herausgegeben von Karl Reimers, Pastor zu St. Michaelis. Tort findet sich ein Artikel: „Vorläufiges über die Domweihe" von Senior D. Behrmann, dem wir das Nachstehende entnehmen: „In der Bildergalerie beehrten die Majestäten besonders die anwesenden Geistlichen mit zum Teil längeren Unter redungen. Mir setzte der Kaiser auseinander, welchen Er folg er sich von solcher Feier oder richtiger von dem, was sich mit solcher Feier auspräge, nämlich von der Zu sammengehörigkeit aller Protestanten, für den Kampf mit dem Ultramontanismus verspreche; übrigens erzählte er, daß auch Mitglieder des Zentrums bei der Domweihe zugegen gewesen seien. Manche Einzelheiten aus Len sehr imeressanten Mitteilungen les Kaisers entziehen sich selbstverständlich der Wiedergabe; doch darf ich dies als Ueberzeugung des Kaisers verkünden: Nicht irgendwelche Organisation ist es, wodurch der Pro- testantismus den Katholizismus besiegen wird, denn in der Organisation wird die katholische Kirche uns stets überlegen sein; ober an den Früchten wird man erkennen, wohin der Sieg sich neigt; denn an ihnen erkennen wir, ob Gott mit uns ist oder mit jenen, und ist Gott mit uns, so siegen wir, wenn auch nicht in zwanzig oder in zweihundert Jahren, vielleicht in fünfhundert Jahren." Noch einmal bricht die Besorgnis bei dem Blatte durch, es möchte sich doch „verhauen" haben, es macht sich also nochmals selber Mut: Es mag ja wieder Leute auch im eigenen Lager geben, die es uns sehr verdenken, daß wir auf solche Dinge Hinweisen, wie man es uns, nach Ausweis mancher in unserem Re- doktionspult ruhenden Briefe, bei früheren Anlässen verdacht hat. Die Politik des Vogels Strauß war von jeher besonders in gewissen katholischen Kreisen sehr beliebt, aber das kann uns in keiner Weise hindern, unsere journalistische Pflicht zu erfüllen. Die Volkszeitung tut also ihre Pflicht, und wie jede brave Pflicherfüllung fordert das seinen Lohn. Von uns aus steuern wir dazu unfern herzlichen Tank bei, daß end- lich einmal diese Frage in der Tagespreise angeschnitten worden ist. Und daß dies von katholischer Seite ge schehen, ist das Angenehmste dabei, denn nun werden ja aleisungen, besonders Lopuchins Freundschaft mit Gapon. Sein ivahrscheinlicher Nachfolger ist Obevgerichtsrat Kova. lensky in Warschau. Infolge de» nenerlichen Streik» in Z)eter»b«rg ist das Militäraufgebot in den Vorstädten ziem- lich verstärkt worden, um etwaigen Plünderungen vor zubeugen. Die Gas-. Wasser und Elektrizitätswerke werden militärisch bewacht, auch die Zeltungsdruckereien haben Po - l i z e i m a n n > ch a s t e n als Schutz erhalten, um beim Er scheinen Streikender, die die Arbeit stören wollen, sofort mili. tärische Hülfe requirieren zu können. wohl die vielen Ueberloyalen nicht zu sagen wagen, das Thema schicke sich überhaupt nicht zur öffentlichen Er örterung. Wie weit bereits die Herrschsucht der Ultramontanen ge diehen ist, verrät die „Köln. Volksztg." selbst in drolliger Weise. Sie ist überzeugt davon, daß der Kaiser aus politischer Erkenntnis der Situation eine romfreundliche Politik verfolgt. Anstatt sich aber mit diesem tatsäch lichen Erfolge zu begnügen, möchte sie den Kaiser auch noch in seinem unpolitischen Gefühlsleben kontrollieren. Wir glauben, der Protestantismus wäre mit einer ihm ähnlich günstigen Lage ganz zufrieden, denn was nutzen angebliche Neigungen, die nicht betätigt werden? Vie stririr in stusKana. Der Präsident de» Ministerkomitee» Mitte hat, wie der „B. Lok.-Anz." sich melden läßt, gestern dem Zaren sein Abschiedsgesuch überreicht. In der Er nennung Solskijs soll Witte einen Mangel an Vertrauen er- blickt haben, da er jene Stellung sehr gut selbst ausfüllen könne. Die Meldung des „Lokal-AnzeigerS" wird noch von keiner anderen Seite bestätigt, so Latz eine Betrachtung des Ereignisses oersruht wäre. Nach den biographischen Zu sätzen des Blattes wurde Witte am 17./29. Juni 1840 in Ttslis geboren und besuchte mit 20 Jahren die vhysikalisch- mathematuche Fakultät der Noworosisker Universität. Als dann lvandle «r sich dem Eisenbahnwesen zu. Die erste Stellung, die er darin bekleidete, war die eines Beamten in der Vertvallung der Odeisaer Eisenbahnen, des beute als Südwesrbahnen bezeichneten Netzes, Im ruisisch- türklschen Kriege leitete Witte die groyen Truppen transporte aus der Odessaer Eisenbahn. Das Jahr 1880 brachte Witte die Beförderung zum Direktor der Südwesteisenbahnen, zwei Jahre später er folgte sein Uebertritl in das Ressort, dessen Leitung er lange Jahre inne hatte. Vor allem verdankt Rußland der Aera Wille die Einführung der Goldwährung. Sie allein würde hinreichen, der Witteschen Aera Bedeutung in der ökonomischen Entwickelung Rußlands zuzutchreiben und ihm selbst einen Ehrenplatz in der Finanzgeschichte seines Vater landes zu sichern. Weitere Verdienste erwarb er sich um die russischen Sparkassen, sowie um die russischen Eisenbahnen. Es sei nur an die Sibirische Bahn erinnert, die mit ihren 9000 Werst das weitaus größte Bahn system der Welt darstellt. Die Steuerpolitik Wittes ermöglichte ihm die Ausrechterhaltung des Gleichgewichts im Staatshaushalte trotz der von Jahr zu Jahr sich einstellenden Mehrausgaben. Lopnclsin. Nach einer Petersburger Depesche der „H. N." ist die anderweite Verwendung des Direktors des Polizeideparte. ments des Ministeriums des Innern Lopuchin beschlossen worden. Tie Ursache sind verschiedene politische Ent- ver neue Generalgouverneur von kvarschan. Der an Stelle Tschertkows zum Generalgouverneur von Warschau ernannte Generalleutnant Maximowitsch entstammt nach der „N. Fr. Pr." einem AdelSgeschlechte aus dem Gouvernement Charkow und wurde 1849 geboren, so daß er gegenwärtig im 55. Lebensiahre steht. Generalleutnant Maximowitsch hat seine Kindheit und seine Jugendjahre in Deutschland verbracht. Hier genoß er auch feine erste Er ziehung, so daß er die deutsche Sprache vollkommen beherrscht und die deutsche Literatur genau kennt. Maximowitsch kam im Alter von 15 Jahren aus Dresden nach Petersburg und trat in das Pagenkorps. Vier Jahre später, und zwar 1868, wurde er zum Kammerpagen des Zaren ernannt. Im Jahre 1871 trat Maximowitsch in die Nikolai-Akademie des General stabes und absolvierte sie 1874 mit Auszeichnung. Während der Mobilisierung der russifchen Armee 1876 wurde Maximo. wirsch dem Chef des Feldstabes zugeteilt. In dieser Stellung, und später auch auf dem Kriegsschauplatz soll sich Maximo witsch hervorragend ausgezeichnet haben. Nach Beendigung des Krieges wurde Maximowitsch zum Chef der Reiter eskadron und zum Flügeladjutanten des Zaren ernannt. Von 1884 bis 1893 war Maximowitsch Chef des Leibgarde- Reiterregiments und der zweiten Gardekavalleriedivision. An- sangs 1893 wurde er zum Chef des Uraloebietes und zum Hetman der Uralkosaken ernannt; vor ungefähr vier Jaoren ging Maximowitsch als Hetman der Donkosaken nach dem Donoebiele, wo er sich als schneidiger und energischer Ad ministrator erwies. Sein Vorgänger General Tschertkow bekleidete das Amt des Generalgouverneurs von Warschau seit April 1901. ver rusrizch-japani-cde Krieg. Die Lntscl?eldung»schlacl)t urn M-rk-en. Das „Petersburgskij Listok" berichtet in einer Sonder ausgabe, die die Zensur passiert bat, daß aus Chardin sehr schlimme Nachrichten kommen. Stark« japa nische Kolonnen leien bis aus 5 Werft von Mukden vorge drungen, und die Stadt habe eine heftige Be schießung auszuhalten. Während der letzten drei Tage sei ein Granatenregen niedergegangen, so daß man in der Minute 25 bis 35 Granaten zählte. Ein Teil der Stadt brenne. Die Armeen Kurokis und Nogis sollen im Begriff stehen, die Armee KmropatkinS völlig einzu schließen. Die Verbindung mit General Lrnjewitsch sei abgeschnikten, der Putilow- hügel sei der Mittelpunkt des ununterbrochenen Artillerie kampfes. Von diesem pessimistischen Bericht« hebt sich das folgende, von heute datierte Telegramm der Peters burger Telegrap he n-Agentur ab: Der zehn tägige blutige Kampf läßt nicht nach, sondern wird noch immer hartnäckiger. Nachdem die Russen die rechte Flanke nach Norden herumgeboaen haben, stehen sie parallel zur japanischen Um gehungskolonne. Beide Gegner halten stand haft ihre Stellungen. Täglich werden japanische Ge- sangen« eingebracht. Im Laufe des Tages fanden bedeutende Kämpfe bei Juchuantun auf dem Weg« nach Sin in i n t i n g statt. In der vergangenen Nacht griffen die Japaner neuerdings die Abteilung des Generals Rennen kampf, den Kutulinpaß und die Stellungen in der Nähe der Putilowhöhe an. Feuilleton. Die Wehrlosen. Von Charlotte Eilersgaard. Ls Autorisierte Uebersetzmig von Wilhelm Thal. Nachdruck verboten. Frau Höegh schüttelte mißbilligend den Kopf und wandte sich von ihr kort, blieb aber darauf bei Frau Jensen, der steifen Frau des Buchhalters, stehen. An der faß alles korrekt und akkurat. Tas Kleid hatte keine Falte, außer denen, die die Damenschneiderin hineingemacht. Man konnte fast glauben, die Kleider wären an ihrem Körper fcstgenäht. Auf jeden Fall ähnelte sie den Puppen, die nicht aus- und angekleidet werden können. Hier hatte die gnädige Frau mehr Glück. Frau Jensen hatte nach der hohen Anweisung sechs Paar hergestcllt. „Dann haben Sie also Strümpfe für ein ganzes Jahr", sagte Frau Höegh sehr gnädig. „Ja, für's erste Jahr habe ich die wohl", flüsterte Frau Jensen bescheiden. „Eine sparsame Frau ist der größte Segen des Hauses", fuhr die gnädige Frau belehrend fort. „Ja, ich kann sogar noch weitergehen, die spar samen Hausmütter erbauen das Land und erhalten es aufrecht." Tie gnädige Frau sah alle Beamtenfrauen an. Einzelne schlugen die Augen vor dem strengen und forschenden Blicke nieder. Nur Frau Jensen erhob sie, mit der großen Freudigkeit, die daS gute Gewissen ver leiht. Sie reckte sich gleichsam mit dem stolzen Bewußt sein auf, daß sie das Land erhielt. Als man am Abend die Billa verließ, wurde Frau Helwigs Gand nur schwach gedrückt. Sie fühlte rechi wohl, sie war in Unanad« ocfallen. III. Tie gnädige Frau stand im Reisekostüm im Kupee der ersten Klasse. Ihre ganze Garde war angetreten. Zuerst die Familie bis herunter zum letzten Baby. Don kleinauf wußte sie, daß, wenn man von der Königin-Tante geküßt wurde, das weit mehr war, als wenn einen sonst irgend ein anderer Sterblicher küßte; das war das größte Glück und die größte Ehre, die einem überhaupt begegnen konnte. Tie Beamten erschienen nicht mit Kindern. Das wäre als anmaßend angesehen worden. Und nur die Ersten aus dem Geschäft kamen mit ihren Frauen. Frau Helwig hatte ihre sämtlichen Topfpflanzen ge plündert und so einen bescheidenen Blumenstrauß zu sammengebracht. Die gnädige Frau roch daran und sagte, es wäre schön von Frau Helwig. Darauf legte sie die Blumen zu dem Reisegepäck. Aber zum Abschied drückte sie Frau Helwigs Hand so freundlich, daß diese ganz warm vor Freude wurde und sich garnicht um die kleinen spitz findigen Bemerkungen kümmerte, die ringsherum ge flüstert wurden. Sie hörte recht wohl, daß man sagte, sie versuche sich mit ein paar bleichsüchtigen Rosen niedlich zu machen. Fast mit einer gewissen Trauer sah Frau Helwig auf die versammelte Garde, deren Gedanken so klein und engherzig waren, daß sie über ihre eigenen Ver hältnisse nicht hinausznblicken vermochten und auch nicht begriffen, daß andere dazu imstande waren. Nachdem sie zum letzten Male mit den reinen Taschentüchern gewinkt, verließen sie alle in ge schlossenen Trupps den Perron. Sie fühlten sich im Augenblick als die feinsten Bewohner der Stadt und bemerkten mit großer Zufriedenheit, daß sie von vielen angesehen wurden. Dor dem Stationsgebäude löste sich di« Garde auf. Aber vorher wurde allgemein und herzlich Abschied genommen. In diesem kurzen Augenblick waren sie gleichsam innerlich miteinander verbunden gewesen. Et'vaS Großc» .hatte sie zusamn.e, gebracht. Sie zerstreuten sich nach den verschiedenen Ecken und Enden der Stadt. . . . Jeder zog in sein kleines Heim, um Winter zu halten. Ter eine oder andere von den Leichtsinnigeren ging allerdings zuerst noch in die Anlagen der Stadt, um sich draußen an einer Tasse Tee gütlich zu tun, bevor sie wieder in die kleinen Stuben sollten und sich an die trockene Berechnung machten, ob die Kohlen wohl auch die festgesetzte Zeit dauern würden. Herr und Frau Helwig überlegten einen Augenblick, ob sie auch leickstsinnig sein und auch in die Anlagen gehen sollten. Sie kamen aber zu dem Resultat, es wäre besser, etwas nach Hause mitzunehmen, das sie mit den Kindern teilen konnten. Und sie gingen in die Konditorei und kauften Kuchen. Als sie in die Dierzimmer-Wohnung traten, stürmten ihnen ihre drei Kinder entgegen. Sie hatten Vater und Mutter vom Fenster aus gesehen, auch das Paket l-atten sie benierkt und waren nun von fröhlichen Hoff nungen erfüllt. Frau Helwig öffnete sofort, und jedes der Kinder bekam seinen Kuchen. Ter Aeltcste, Erik, leckte erst vorsichtig etwas Sahnen schaum von den Konten und aß seinen Kuchen dann in ganz, ganz kleinen Stücken. Er aß ihn fast Krümchen für Krümchen. Ter Zweitälteste, Kaj, lachte über den Bruder: „Dir kann ja garnichts schmecken, wenn du es so zerpflückst", sagte er und schluckte seinen Kuchen mit zwei Bissen herunter. „Siehst du, davon hat man doch Vergnügen", sagte er. Dann stürmte er auf die Straße, wo er bald darauf mit einer Reihe anderer Knaben lustig spielte. Als Erik mit der letzten Krume fertig war, schlich er sich auf sein Zimmer, holte seine Aufgaben vor und lernte eifrig. Er wollte, er mußte sie verstehen, und wenn es ihm auch noch so schwer wurde. Tie kleine Karen ging zur Mutter und fragte: „Ist denn auch etwas für Euch da?" „Ja, mein Kind, es ist für alle zusammen", sagte Frau Helwig und nahm ihr kleines Mädchen einen Augenblick auf den Schoß. „Habt Ihr das gekauft, weil die gnädige Frau ver reist ist, hat sie Vater Geld gegeben?" „Nein, Geld hat sie uns nicht gegeben, liebe Karen, aber sie sagte uns so schön Adieu." „Dann tut sie es wohl, wenn sie wiederkommt", sagte Karen zuversichtlich; . . . „denn du sagst ja, Mutter, die gnädige Frau ist gut." „Ja, mein Kindchen, sie muß ja lieb und gut sein, das ist ja so leicht, wenn man keine Geldsorgen hat, wie dein Vater und ich. . . . Aber geh' jetzt und spiele mit den anderen, Kindchen." „Ihr wollt immer, ich soll gehen", sagte Karen und sah lange Zeit auf die Eltern, während sie auf die Tür zuging. Tie Eltern nickten ihr zu un- das kleine Mädchen ging zu Kaj hinaus. „Tie Kinder teilen schon unsere Sorgen", sagte Frau Helwig leise. „Ich wünschte, ich könnte sie von ihnen fernhalten", meinte Helwig. „Aber das geht Wohl nicht in einem Hause, wie es das unsrige ist. Die Kinder sind dazu geboren. . . . Mit Ausnahme von Kaj der Junge versieht doch alles leicht zu nehmen." „Ja, Gott sei Dank", sagte Frau Helwig freudig. „Du sagst das so vergnügt, Ellen, der Junge macht uns doch sonst Sorgen genug." „Ja, gewiß, Liebster, aber ich bin doch dankbar, daß eins von meinen Kindern wenigstens ein bißchen Freude hat." Sie ging zum Fenster: „Sieh nur, wie er sich draußen tummelt, sieh, wie er vor Gesundheit und Eifer glüht. . . . Dagegen Erik . . ." Frau Helwig seufzte. Helwig ging zu ihr. , Ja, Erik, unser Erik, au» d-m wir- -Uva», und
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