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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.03.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-03-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050324022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905032402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905032402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-03
- Tag1905-03-24
- Monat1905-03
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Die 4 gespaltene Rrklamezeile 7Ü Annahmeschlutz für Aluzetgrn: Abend-Ausgabe: vormitlag- 10 Uhr. Morgru-Au-gab«: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen find stet» an die Expedition zu richte». Ertr«-Vetla>en (nur mit der Morgrn- Au-gabe- nach besonderer Vereinbarung. Tie Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von srtch 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pilz in Leipzig l.Inh. vr. «„ R. L W. «ltukhardt). Nr. 152. Freitag dm 2t. Miirz ,905. Var lvicbligrle vsm Lagt. * Den sächsischen Realgymnasial.Abi- turienten ist jetzt dos Studium der R gch t e an der Universität Leipzig freigegeben worden. (S. Deutsches Reich.) * Nach einer Petersburger Meldung ist die Ernennung eines neuen Kriegsministers und eines neuen General st abSch ess zu erwarten. (S. russ.-jap. Krieg.) * Die Türkei schickt 40000 Mann Truppen zur Niederwerfung der Rebellen in Reinen. (S. Ausland.) Marokko. Die Stellung, die wir zu der diplomatischen Aktion deS Grafen Bülow weaen Marokkos einaenonunen haben, hat uns natürlich von Seiten einiger stets für die jetvelligen RegierungSmahnahmen enthusiasmierten Blätter den Vorwurf eingetragen, datz wir daS Ausland „mit Material versehen". Dieser Vorwurf trübt unsere Seelenruhe nicht im mindesten. Es ist traurig genug, daß im Parlament fast nremalS eine Frage dec aus wärtigen Politik eingehend und freimütig erörtert wird und eS ist noch trauriger, daß die meisten »Zeitungen sich nur als Herolde des Auswärtigen Amtes geberdon, lediglich, um den bequemen „Informationsdienst" nicht zu stören. Wir sind überzeugt, das; das nächste Jahr- zehnt die Aufmerksamkeit der ganzen Nation gebieterisch auf unsere auswärtige Politik hinlenken wird und das; dann sehr viele Blätter, die jetzt das Opfer der Vernunft bringen, sich notgedrungen ihrer Pflicht als Warner und Mahner erinnern werden. WaS wir voraussagten und was jeder Unbefangene Voraussagen mußte, ist inzwischen bereits eingetroffen. Tie Ankündigung des Kaijerbesuclies in Tanger hat ge wirkt wie ein Griff ins Wespennest. Tausende von Artikeln. Insinuationen, Gerüchten schwirren in Eng land und Frankreich empor und ein Blatt, wie das „Ber liner Tcmcblatt", daS gewiß nicht des Uebelwollens dem Auswärtigen Amt gegenüber geziehen werden kann, konstatiert, das; „das Geplänkel in den englischen, fran- zösiscl-en und in den deutschen inspirierten Organen immer seltsamere, um nicht zu sagen bedenkliche Formen annimmt." Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt in einem Artikel, den wir gleich näher beleuchten werden, sie sehe „zur Zeit" keinen Anlaß. die Möglichkeit einer Störung der korrekten deutsch-französischen Be ziehungen in Betracht zu ziehen. Dieses „zur Zeit" ist vielsagend und läßt den Blick auf höchst unliebsame Per spektiven frei. Wir wollen nun auf die Auslassungen der „N. A. Z." zurückkommen, die ja dem Charakter des Blattes nach in diesem Augenblick von höchstem Werte sind. Tas offiziöse Organ schreibt zunächst eS habe für Len Kaiser kein Grund vorgelegen, bei seiner Mittel meerreise einen Besuch in Tanger zu unterlassen. Dies müssen wir bestreiten. Tanger, ein Nest von zwanzig tausend Einwohnern, ist unseres Wissens nicht so emi nent durch Naturschönheit ausgezeichnet und Motive zu einem solchen Verzicht lagen sehr nahe. Sie ergeben sich ganz von selbst aus der außerordentlichen Erregung, die die Ankündigung des Besuches im Auslande hervor- gerufen hat und. wie jeder voraussehen konnte, Hervor rufen mußtx. Die Weltlage ist heute derartig, das; über all Zündstoff in Menge lagert. Es ist klar, das; die Ver hältnisse in der Türkei sich nicht im mindesten gebessert haben, und das; mit dem Frühjahr die aufständische Be wegung mit der grünten Heftigkeit einscben wird. Die Türkei rüstet, Bulgarien rüstet. Oesterreich rüstet. Italien fordert zweihundert Millionen Lire für die Be festigung der Ostgrenze. Die europäische Atmosphäre ist mit Elektrizität gesch/wängert. In solchen Zeiten ist die größte Vorsicht von nöten. Selbstverständlich tritt ein solches Bedenken zurück, wenn es sich um einen gros;en Gegenstand handelt, oder wenn die nationale Ehre auf dem Spiel steht. Davon kann aber gar nicht die Rede sein. Ausdrücklich betont die „N. A. Z.", ein GebietS- erwerb seitens Deutschlands sei in Marokko ausge schlossen, es handle sich nur um die „Wahrung der ebenen Tür". Für die Erreichung dieses Zweckes ist es gänzlich belanglos, ob der Kaiser Tanger besucht oder nicht. Die Svmbolik dieses Besuches, bei welchem der Kaiser die Huldigungen der Eingeborenen entgegen nehmen soll, ist sachlich überflüssig und schlimmer als daS. sie ist gefährlich, weil sie das allzeit reoe Misstrauen deS Auslandes aufS Neue anfacht und England die Ge legenheit gewährt, Deutschland bei Frankreich zu denun zieren. Der ostentative Hinweis auf die Lahmheiten deS ministeriellen „Temps" beweist nicht das Ge ringste. Unser Vorgehen nähert England und Frank reich und stärkt jenseits der Voaeien die nationalistische Richtung. Diese Richtung zu stärken, ist vom deutschen Standpunkt auS so ungefähr das Unschlaueste. was sich ersinnen läkt. Der Nationalismus ist der Krieg. Die Gründe deS deutschen Vorgehens sind uns ganz einfach unverständlich. Der französisch-englische Vertrag, der an, 4. Avril 1904 abgeschlossen wurde, sicherte Handelsfreiheit für 30 Jahre zu. Wir — und mit uns andere Blätter — waren von vornherein der Ansicht, datz diese Zusicherung gänzlich nichtig sei, Graf Bülow aber I war nicht dieser Ansicht. Im Gegenteil, er erklärte, Deutschland werde bei der neuen Ordnung der Tinge höchstens besser fahren. Wir und andere nationale Blätter wurden dazumal verlacht. Jetzt hat die Regie- rung sich im Verlauf eines vollen Jahres zu unserer An- sicht durchgerungen. Uni diesen Vorgang zu erklären, mühte man doch wenigstens erfahren, was denn eigent lich in der Zwischenzeit geschehen ist. um den Optimisten Bülow in einen Pessimisten zu verwandeln. Als im Frühjahr 1904 M-nister Telcassö erklärte, die Gnmd- züge des Abkommens seien Integrität Marrokos. Sou- veränetät des Sultans und Wiederherstellung der Ord nung unter friedlicher Leitung Frankreichs, da machten wir sofort darauf aufmerksam, dak das lediglich ein Phrosenschleier sei und dak Frankreich natürlich das Protektorat über Marokko als Ziel inS Auge gefasst habe. Jetzt, ein volles Jahr später, fragt die deutsche Negie rung, wie denn die französische Politik die beiden Be griffe Souveränetät deS Sultans und Leitung Frank reichs praktisch auszugleichen gedenke. Tie aanze Aktion hinkt eben derartig nach, dak sie in ihren Motiven un verständlich und gesucht erscheint. ES zeigt sich bei dieser Gelegenheit wieder, wie völlig verfehlt die Manier ist, die auswärtige Politik „höchst vertraulich und geheim" zu behandeln. ES fehlt jede Verbindung zwischen der Natio^ und der Regierung. Heute Weik kein Mensch, was die Negierung eigentlich will. Hätte sie unmittel- bar nach dem Abschluss des Abkommens gebandelt, so würde die ganze Nation auf ihrer Seite gestanden haben. Jetzt ist dies nicht möglich, da wir nicht klar sehen, die Gründe und die Ziele der Regierung nicht kennen und den Eindruck haben, dak Zweck und Mittel nicht im Einklang stehen und dak dem Aufwand das Ergebnis nicht entsprechen wird. Vie FriZir in burrianü. Neue Ereignisse in -en baltischen Provinzen. a. Riga, 20. (7.) Mär,. Zu dem Generalstreik, den ich in der vorigen Korrespon denz als möglicherweise bevorstehend ankündigte, scheint eS nicht kommen zu sollen; und zwar weil, wie eS hecht, Diffe renzen zwischen den Fiikrern und Organisatoren der AuSstantS- bewegung, d. i. russischen, armenischen und jüdischen Polptcch- nikern einerieitS.und deren„Leibgarte",raS sind die halbwüchsigen Rärelsiührer aus verschiedenen Eisenindustrien, andererseits auSgrbrochen sein sollen. Die „Leibgarde" glaubt bei der Auszahlung der Streikgelder benachteiligt worden zu sein und verweigert infolgedessen nicht nur die Gefolgschast, sondern soll sogar ihre Kübrer mit sehr handgreiflichen Auseinanderscvlingen bedroht haben! Nichtsdestoweniger stehen niedrere Fabriken st ll, da die Fabrikanten Lohnabrechnung ge macht und lbre Etablissements geschlossen haben. Dabei bat sich gezeigt, welche merkwürdigen Anschauungen zum Teil unter den Arbeitern verbreitet sind. So haben diese vorgestern in einer Fabrik, die ibncn die Alternative stellte: sofortige Aus nahme der Arbeit um l Uhr oder ioforliae Lohnabrechnung und Schließung der Fabrik, ihren Zweifel daran ausge sprochen, daß der Fabrikant die Fabrik von sich auSschließen dürke! Sie meinten, dazu habe er kein Recht, sondern nur der Fabrikinspektor. — Ich halte unbedingt eine staatliche Fabrikin'pektion für eine sehr segens reiche Institution, nur nicht die russiiche! Denn in dem einen Punkt unterscheidet sich der russische Fabrikinipektor durchaus nicht von jedem anderen russücken Tschinowiuk: in dem aus gesprochenen Mangel an Rechts gejü hl und in dem Gefühl seiner Omni Potenz! Kann man sich etwas Skandalöseres vorstellen, als daß ein Fabrikinsvektor sich von einem verunglückten Arbeiter eine „Provi sion" zubilligen läßt und dann die Entschädigung deS Arbeiters unbillig hoch zu formulieren sucht?! — Es feiern, wie gesagt, mehrere Fabriken; in erster Linie unter dieieu die der Krone gehörige Schiffswerft von Lange und Sokn, die auf eine Weisung von Petersburg bin den weiteren Bau von Torpedojägern eingestellt und auch die Stettiner Arbeiter dem „Vulkan" zurückgeschickt bat. — In der vorigen Woche verbandelte hier der aus Peter«- durg eingetroffene Appellhof eine Reihe polit.scher Prozesse. Da die Verhandlungen bei geschlossenen Türen geführt wurden und sich unter den Angeklagten auch Arbeiter uiid Sozialisten befanden, versuchten am ersten Tage zwei mal Arbeitertrupps von etwa 300 bis 400 Mann sich gewalt sam den Eintritt in daS Bezirksgerichts-Gebäude zu erzwingen, bis auch hier Militär einicknlt. Die Strafen fielen sehr milde auS und der Haupirädelsfübrer, der, wie durch Zeugen festgestellt, offenen Aufruhr, blutige Beseitigung deS Kaiier- bauseS usw. gepredigt halte, wurde freigesprochen. Den hiesigen Zeitungen wurde es durch die Zensur ver ¬ webet, die Verhandlungen zu veröffentlichen. AlS die Richter vorgestern nachmittag nach Petersburg ab ¬ reisten, wurden sie am Riga-Oreber Bahnhof von einer großen Menge in erregter und drohender Haltung er wartet. Einem Aufgebot von Kosaken und Dragonern ge lang eS, die Menge zu zerstreuen und Gewalttaten, die den Richtern zugedacht waren, zu verhindern. Als aber der Elienbahnzug die erste Straßenüberfahrt innerhalb der Stadt passierte, wurden aus Revolvern mehrere Salven auf rhn abgegeben. Die Polizei nahm mehrfach Verhaftungen vor, wobei ein Schutzmann durch einen Schuß schwer ver wundet wurde. Und wer waren die Tumultuanten^? Außer Arbeitern — eine große Zahl von jüdischen Schülern, Zög lingen der hiesigen privaten russischen Kommerzschute von Mironow. Daß die Bande der Ordnung nicht nur in den Städten mit einer unruhigen und leicht erregbaren Industriearbeiter- 99. Jahrgang. schäft immer mehr gelockert werden^ sondern auch auf dem Lande, schrieb ich Ihnen schon ,n der vorigen Korre spondenz. In dec Umgebung Riga- gibt eS mehrere suburbane Rittergüter, deren Territorien vielfach an kleine Leute auf Grundzins vergeben sind. Auch von ferner gelegenen Rittergütern kommen immer ernster lautende Meldungen. In einem durch seine Bevölkerung berüchtigten Bezirk am oberen Lauf der Düna, dort, wo drei Gouvernements, WitcbSk, Kowno und Kurland, zusammen stoßen, werden seit einiger Zeit die Wälder systematisch von der russiichen Banernbevölkerung geradezu verwüstet, ohne daß den geschädigten Gutsbesitzern ein Rechtsschutz gewährt und den Gewalttätigkeiten ein Ziel gesetzt würde. Polizei und sonstige Regierungsgewalten verhalten sich ab solut passiv, so daß ganze Banden offene Raub züge in die Wälder unternehmen. Kürzlich versuchte eine solche Bande, ihre Tätigkeit auch nach Kurland zu übertragen, indes hier nicht ungestraft. Denn dieser Teil Kurlands — „Oberkurlanv" — ist ein Winkel, wo jede Rechtsverletzung streng geahndet wird — „so oder so" — und wo, wie eS heißt, noch heute „jeder Kurländer mit der Pistole in der Hand geboren" wird. DaS urwüchsige Ge schlecht, daS hier lebt, ist daher daS letzte, daS sich vor einer Räuberbande fürchten wird, selbst wenn diese etwa 100 Köpfe zahlt. Vor einigen Wochen kam eS daher zwischen den Holzräubern auf der einen und 7 kurländischen Gutsbesitzern nebst l3 Buschwächtern (Forsthütern) auf der andern Seite zu einer förmlichen Schlacht auf dem Eise der Düna! Einige der räuberischen Ruffen sollen schwer verletzt sein, sechs Fuhren nebst Insassen fielen den Kurländern in die Hände, die selbst keine Verluste hatten. — Eine zweite übelberüchtigte Ecke meiner Heimat ist die Gegend am Peipus-See in Nordlivland. Namentlich sind hier die Bewohner der russischen Fischerdörfer am genannten See zu nennen. Vor wenigen Tagen hatte nun eine Bande dieser russischen Fischer einen regelrechten Raub- und Mordbrennerzug auf verschiedene livländische Rittergüter unternommen, darunter auch auf das Gut Allatzkiwwi. Der Besitzer des Gutes, der livländische Landrat Baron Nolcken, ist zwar äußerlich ein reservierter Aristokrat, aber auch ein Grandseigneur alten Schlages, der daS „nodlessv vdligo" immer in eine wahrhaft patriarcha lische Fürsorge für die Bauernschaft seine- Gutes umgesekt hat. Bei einem Bodenbesitz, der manches kleine deutscheDuodezfursten- tum an Umfang üoenrifft, stehen Baron Nolcken auch die Mittel zur Verfügung, um in schlechten Zeiten Pachten zu stunden oder zu erlassen, einem Bauern, dem eine Kuh gefallen ist, aus der eigenen Heerde unentgeltlichen Ersatz zu schaffen u. dergl. m. Während dieses bösen Kriegsjahre» hat Baron Nolcken 65 estnischen Reservistenfamilien, deren Ernährer auf dem Kriegsschauplatz sind, au» seinen Mitteln vollen Unterhalt gewährt! Nichtsdestoweniger schloffen sich neulich estnische Bauern wirte von Allatzkiwwi den auf Raub ausgezogenen Ruffen an und brannten sieben Scheuern nut Futtervorräten und Getreide nieder, schlugen im neuen Schloß und in der Verwalter wohnung die Fenster ein und demolierten da- ForsthauS und Doktorat. Da das Anrücken der Bande rechtzeitig ge meldet worden war, hatte man die zuverlässigen unter den Buschwächtern zusammengetrommelt, die unter Führung de» Oberförsters der Horde ein Treffen lieferten. Die „Forde rungen", deren Ablehnung das Sengen und Demolieren zur Folge hatte, lauteten bei den Russen auf Abtretung eine» Teils der Gutswiesen, bei den Esten auf Abtretung von Wald, — ein Verlangen, das der Besitzer nicht einmal er füllen kann, da Allatzkiwwi Majorat ist. Der Maßregelung deS Opernsängers Schwartz vom hiesigen deutschen Stadttheater winkt nun noch ein weiteres Nachspiel. Der Gouverneur bat zwar davon Ab stand genommen, daß die dem Opernsänger auferlegte Ordnungsstrafe von 10 Rubel zurückgenommen werde, aber Feuilleton. Die Wehrlosen. Von Eharlott« EilerSgaard. IS) Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Thal. Nachdruck verdaten. XXV. Wieder stand Erik vor einem wichtigen Abschnitt seines Lebens. Ja, wohl vor dem wichtigsten. Er sollte den ersten Teil des juristischen Examens ablegen, und hatte er den nur gut bestanden, dann ging eS auch weiter, und dann war er in einem Jährchen ein freier Mann. Einige wouige Stunden sollten darüber entscheiden, ob er bald das Leben beginnen, ob er bald onfangcn konnte, zu arbeiten und Geld zu verdienen, oder ob er wieder hinein mußte in die Verzagtheit und Abhängigkeit. .... Ob er wieder Tag für Tag bei den Büchern sitzen mußte, die ihn nicht interessierten ja, die fast Ekel in ihm erregten und sein Herz aus- trockneten. Im letzten Jabre hatte er einen regelmäßigen Brief wechsel mit Kaj begonnen. Und die Briefe, die er kurz vor dem Examen erhielt, hatten seinen Sinn wieder inS Gleichgewicht gebracht. Ja, sie brachten sogar das Examenfieber züm Schwinden und er wurde ruhiger. Alle» in allem hatte ihn die letzte Zeit etwas gereift. Seine Gedanken waren fester und klarer geworden: ob es nun Sieg oder Niederlage wurde, er hatte seinen Entschluß gefaßt. Aergerlich war es nur für ihn, datz er sich gerade in der Zeit deS Examen» schlimm er- kältet hatte. Er hustete und war etwas matt. Aber er hatte kaum Zeit, daran zu denken, oder sich zu pflegen. Er schrieb auch nicht deswegen nach Hause. Warum sie unnütz ängstigen? Im allgemeinen schrieb er nie von feinen Gorgen, dadurch wurden sie ja nicht geringer. .. . Jetzt saß Erik im Zuge und fuhr nach Hause. Nur Karen war auf der Station, um ihn zu empfangen. Der Vater konnte nicht so früh vom Kontor fort und ging deshalb gleich nach Hause, die Mutter wollte da bleiben, mn aufs Essen acht zu geben. Karen stutzte, als sie den großen, bleichen Bruder aus der Coupötür treten sah. Er war so dünn und durchsllchtig, datz Karen unwillkürlich die Tränen in die Augen kamen. Und 'den hatte sie zeitweise beneidet! Im innersten Herzen bat sie ihn um Verzeihung Konnte daS Lernen so stark angreifen? Es war wirklich gut, daß er nach Hause kann. Mutter mußte das Ihrige tun, um ihm wieder ein bißchen Fleisch anzufüttern. . . . Und dann sagte er gar nichts, sondern hustete. . . . Als er fertig war, sagte er auch nichts. Nur ein paar all gemeine Fragen, wie es der Mutter, dem Vater und ihr selber ging. Sie wagte gar nicht, zu fragen, obwohl sie sich natür- lich heftig danach sehnte, wie es ihm ergangen war. Ob er No. 1 oder No. 2 bekommen hatte. Es war ja doch das Gleichgültigste von der Welt, wie es ihnen ging. Als sie die Treppe ihres Hauses hinaufgingen, hatte sie ihn noch nicht gefragt. Frau Helwig hatte sich die Hände gewaschen, stand nun in der Wohnstube und lauschte. Aber jetzt kam jemand draußen die Treppe herauf. Aber das waren keine jungen, fröhlichen Menschen, die hinaufstürmten, das waren ja zögernde, vorsichtige Schritte. Frau Helwig konnte es nicht auShalten. Sie öffnete die Tür und eilte hinunter, ihnen entgegen. VaLd hielt sie ihren Sohn in den Armen. Helwig stand da hinter und wartete, bis an ihn die Reihe kam. Erik wurde so eigentümlich schwach und weich. Die Knie zitterten unter ihm. Es half nicht», datz er sich wahrend der Reise hatte stolz und steif machen wollen, er mutzte weinen. „Hast du mich doch lieb, Mutter, obwohl ich als ein geschlagener Mann nach Hause komme, Mutter", flüsterte er. „Ach Gott, ja aber ist es denn wahr?" sagte sie und ging still von ihm fort. Helwig wurde bleich. „Du mußt weiter lernen . . . dann kommen wir wohl auch darüber hinweg", sagte er gefaßt. Er tat sich selbst Gewalt an, damit Erik nicht merken sollte, wie entsetzlich der Schmerz und die Ent- täuschung ihn angriffen. Karen ging in die Küche und weinte. Ihr .Heim erschien ihr als das tmurigste auf der ganzen Welt. „Weiter lernen", ries Erik fast wild, und heiße, rote Flecke traten ihm auf die Wangen. „Nein, Vater, mehr Jahre meines Lebens darfst du mir nicht stehlen. . . . Meine Kindheit hast du mir genommen; meine Jugeird hast du mir genommen, meine Mannheit behalte ich selbst." Er ging auf seinen dünnen Beinen imsicher und wie im Fieber auf und ab. Die Worte schnitten Helwig tief ins Herz. Erik, sein Junge, sein .Herzenskind, warf ihm das vor, was er ihm in Entsagung und Liebe geopfert hatte. Er kam ja weder mit Zorn, noch mit Vorwürfen, sondern war noch einmal zum Opfer bereit. „Du bist krank vor Trauer und Ueberanstrcngung", sagte er, „krank vor Trauer über deine Niederlage. Du weißt ja selbst nicht, was du sprichst." Und er machte den Versuch, in einen gewöhnlichen Ton überzugehen. „Komm, laß uns hineingchen, Mutter hat Essen für uns Und später sprechen wir von der Zukunft." „Nein, Vater, wir müssen daS fetzt klarlegen, ich mutz sofort damit in» Reine kommen, meine Zukunft habe ich selbst schon bestimmt. Ich reise hinüber zu Kaj. Er schickt mir Reisegeld und kann mich wohl zu etwa» brauchen." Frau Helwig sank auf den nächsten Stuhl nieder. ... Erik reiste also auch. . . . Sollte Sie auch ihn ver lieren? — Nahm ihr das große, fremde Land denn olles, was sie besaß? Aber sie sagte nichts, konnte nichts sagen. Ihre Gedanken und ihre Gefühle schienen still zu stehen. Wo war nun alles hin, worauf sie sich gefreut hatte? Sie hatte vor der Enttäuschung abgeschlossen, aber die fand wohl doch ihren Weg. Jetzt betrachtete sie den langen, bleichen Menschen, der ihr Sohn war, und einen Augenblick fühlte sie nur ein inniges, mütterliches Verlangen, ihn zu beschirmen und zu behüten, ihm recht viel zu essen zu geben, damit er sich gesund und stark wachsen konnte. Aber dann wurden ihre Gedanken von der zornigen Stimme des VaterS unterbrochen. Jetzt beherrschte er sich nicht länger. Aus einem tief verletzten Menschcnberzen kamen seine Worte: „So willst also auch du aus dem Lande laufen? Glaubst du, darum haben deine Mutter und ich ge arbeitet und entbehrt? — Und wenn du doch fortlaufen wolltest, dann hättest du eS auch früher tun können." „Tas ist wahr, Vater", sagte Erik bitter — „ich bin ein undankbarer Lump. — Und dabei sollte ich nur von Reue und Dankbarkeit erfüllt sein, Reite, weil ich nicht als Sieger gekommen bin. DaS ist ja die schwärzeste Ungerechtigkeit, daß Ihr nichts für Euren Eiiösatz be kommt. — Und daS ist die höchste Dreistigkeit, daß ich Euch mit leeren Händen vor die Augen zu kommen wage. — Und dann bin ich nicht einmal dankbar — nicht einmal dankbar, weil Ihr mich wollt Weiber lernen lassen. — Aber das sage ich dir, Vater", fuhr Erik nun mit steigender Heftigkeit fort, „diesmal bekommst du mich nicht. — Noch einmal gebe ich nicht in die Sklaverei " Er sank fast um. Die Erregung hatte feine Kraft» erschöpft und er rang nach Atem. Seine Augen leuch-
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