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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.01.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-01-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040102026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904010202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904010202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-01
- Tag1904-01-02
- Monat1904-01
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme LS H (rxcl. Porto) Grira-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderung ^l SO.—, mit Postbesörderung 70.—> Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Slachmittag« 4 Uhr. Anzeige« sind stet« an die Expedtttoa zu richten. Dir Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geüfsuet von früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 3. Sonnabend den 2. Januar 1904. 98. Jahrgang. Vas wichtigste vom Tage. * Der Kaiserliche Ober-Postdirektor Geheime Ober-Postrat Roehrig in Leipzig ist rum 1. April nach Berlin versetzt. Bon diesem Tage ab ist ihm die O ber-Postdirektorstelle in Berlin übertragen. Die Ober-Postdirektorstelle in Leipzig übernimmt vom gleichen Zeitpunkt ab der Ober-Postrat Domizlass au« Erfurt. * Gegen die geplante Novelle zum preußischen BereinSgesede, durch die der Gebrauch der polnischen Sprache in Versammlungen eingeschränkt werden soll, er hebt auch die klerikale Presse entschiedenen Einspruch. * Die Revisionisten regen sich aufs neue und scheinen einen regelrechten Feldzug gegen den Parteidiktator Bebel eröffne« zu wollen. * Der Central» erb and Deutscher Industrieller hat de« Crim mit sch au er Industrie! len vorläufig 200 000 »ur Berfüaung gestellt; in den nächsten D«gen sollen weitere Summen folgen. Hervorragende ReichStagsabgeordnete bürgerlicher Parteien haben sich an Ort und Stelle über die Lage in Crimmitschau informiert, um event. den Sozialdemo kraten im Reichstage evtgegentreten zu können. * Zwischen Rußland und Japan dauern die Ver handlungen^ fort, ein Ultimatum ist nicht gestellt, doch läßt die ausländische Agitation in Japan die Lage immer noch ernst erscheinen. * Die genaue Zahl der Opfer der Brandkatastrophe in Chicago läßt sich noch nicht angeben. Wegen ihrer Feuer- unsbcherheit find 19 Theater in Chicago geschlossen worden ; auch in arld«ren Städten der Vereinigten Staaten geht man scharf gegen die mangelhaften Theaterbauten vor. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. Januar. Die deursche BerfammlungSsprache. Die angekündigte Novelle zum preußischen Vereinsgesetze enthält, wie bereits mitgeteilt, u. a. auch die Bestimmung, daß den mit der Ueberwachung politischer Versammlungen betrauten Beamten die Befugnis eingeräumt werden soll, den Gebrauch der deutschen Sprache als Versammlungs sprache zu verlangen; eine Ablehnung dieses Verlangens soll die Beamten berechtigen, die Versammlung auszulösen. Gegen diese Bestimmung wird vielfach Widerspruch erhoben. Die „Nat.-lib. Corr." meint, auf Grund solcher Vorschriften würden Konflikte zwischen Polizeipraxis und gerichtlichen Urteilen nach wie vor an der Tagesordnung sei n und das ganze neue Vereinsgesetz illusorisch machen. Ob dieser Ein wurf begründet ist, steht noch dahin, denn wenn daS dis kretionäre Ermessen der Polizeiorgaue eine ausdrückliche gesetz liche Grundlage hat, so stehen ihm die Gerichte eben anders gegenüber als bisher. Bedeutsamer ist die andere Ausstellung, daß es überhaupt bedenklich sei, die Entscheidung den Polizeiorganen zu überlassen, denn die ganze Bestimmung er halte dadurch den Charakter einer Willlür- und Ausnakme- maßreael. Vielleicht ist für die preußische Regierung die Rücksicht auf die Masuren und die Littauer maßgebend gewesen, denen man den Gebrauch ihrer Muttersprache nicht verkürzen möchte, da sie mit ihr keinen Mißbrauch treiben und loyale Staatsbürger sind. Aber diese Rücksicht reicht denn doch Wohl nicht hin, daS Gesetz von vornherein zu ver stümmeln und es zu einer halben Maßregel zu stempeln, die, wenn der Wind fick einmal ändert, kurzerhand im Ver waltungswege völlig beseitigt werden kann. Man kann also darauf rechnen, daß im preußischen Abgeordnetenhause der Versuch gemacht werden wird, den Polizeiorganen die Pflicht zur Auflösung von Versammlungen aufzuerlegen, in denen eine andere als die deutsche Sprache gebraucht wird. DaS Recht, daS Deutsche für öffentliche Verhandlungen allgemein als einzig zulässige Sprache festzustcllen, haben die deutschen Staaten zweifellos; für Parlamente und im Verkehr mit Behörden besteht ja eine entsprechende Vorschrift. Freilich wird gegen eine solche Regelung das Zentrum den entschiedensten Einipruch erheben; seine Presse spricht sich bereit« auf das nachdrücklichste selbst gegen das fakultative Verbot fremdsprachlicher Verhandlungen aus. Wenn dabei die „Köln. Bolksztg." annimmt, daß die Maßregel sich in erster Reibe gegen die Polen wenden solle, so ist diese Vermutung zweifellos richtig. Um so unrichtiger und unzutreffender sind die Gründe, mit denen die „Gazeta BachemSka" die geplanten Maßnahmen überhaupt bekämpft. Sie stellt die nach Einführung der Maßregel bei uns herr schenden Zustände dem Rechte der Deutschen in Nord amerika, Ungarn und Südbrasilien gegenüber, öffentlich in ihrer Muttersprache zu verbandeln. Wir sind überzeugt, daß, wenn die Deutschen in Nordamerika daran denken wollten, in politischen Versammlungen eine Konzentration des deutschen Elementes zum Zwecke der Loslösung eines Teiles des nordamerikanischen Bundesgebietes von der Union zu betreiben, die Regierung der „freien" Republik nicht nur die Abhaltung der Versammlungen in deutscher Sprache verbieten, sondern deutsche Versammlungen ganz und gar untersagen würde. Es fällt uns nicht ein, zu be-. baupten, daß die Polen durchweg eine Loslösung prenßl- tchen Staatsgebietes anstreben, aber daß ein erheblicher Teil es tut, daran sollte die „Kölnische Volkszeitung" nach dem Auftreten besonders der oberschlesischcn Polen nicht zweifeln. Nun verlangt das rheinische Blatt weiter, daß in den östlichen, mit stark polnischer Bevölkerung durchsetzten Landesteilen Polizeibeamre, die des Polnischen mächtig sind, stets vorhanden sein müßten und daß ru den westlichen Bezirken, wofern die Bestimmung getroffen würde, daß polnische Versammlungen 24 Stunden vor her angemeldet werden, in der Zwischenzeit polnisch sprechende Polizeibeamre nach dem Versammlungsorte dirigiert werden könnten. Wir meinen, daß den preußischen Polizeibeamten nur die Verpflichtung obliegen kann, die deutsche Sprache vollkommen zu beherrschen, einerlei, ob sie im Osten oder im Westen stationiert sind. In einem deutschen Staate haben die Staatsbürger bei politischen, also die Staatsangelegenheiten behandelnden Versammlungen sich der Sprache der deutschen Beamten anzubequemen, nicht umgekehrt die Beamten einer fremden Sprache. Darüber sind sich jetzt selbst solche Blätter klar, die früber stets warm für die Polen eintraten, die aber heute gegenüber der geplanten Maßregel ihre Bedenken nicht gegen die Sache, sondern nur gegen die Form, d. h. die diskretionäre Be fugnis der Polizei, gellend machen. Nur die klerikale Presse bleibt auch in dieser Frage den Polen treu, angeblich, weil die Maßregel stark verbitternd wirken würde. Während der Aera Caprivi wurden die Polen mit Samthand schuhen angefaßt, sie hatten also zu starker Ver bitterung gewiß keinen Anlaß; trotzdem war schon damals die Agitation der oberschlesischen Polen so brutal, daß Graf Ballestrem sich zu einer sehr scharfen Aeußerung veranlaßt fak. Wenn also die Polen für rück sichtsvolle Behandlung sich in dieser Weise bedankten, so kann uns die Drohung mit „starker Verbitterung" vollkommen kalt lassen. Die Polen wollen den Kampf, so oder so, und wir feben nickt ein, warum die preußische Regierung durchaus stille halten soll. Bebel und die Revisionisten. Herrn Bebel ist es bekanntlich in Dresden gelungen, mit 288 gegen 11 Stimmen eine Resolution zur Annahme zu bringen, die sich für die im besten Sinne „revolutio näre" Taktik ausspricht und „die revisionistischen Bestrebungen" auf das entschiedenste verurteilt. Aber daß er durch diese Resolution die Revisionisten nicht mundtot gemacht, ja nicht einmal entmutigt hat, kann er aus der neuesten Nummer der „Sozialist. Monatshefte" er sehen, die eine Reihe revisionistischer Aufsätze mit kleinen aber scharfen Spitzen gegen Herrn Bebel enthält. Verfasser dieser Artikel, denen die „Voss. Ztg." eine Anzahl interessanter Stellen entnimmt, sind die Herren BruhnS, vr. David, Ed. Bernstein, v. Elm, Calwer, vr. Süde- kum. Nicht jeder richtet seine Pfeile direkt gegen den mächtigen Parteiführer, aber sie marschieren allesamt in derselben Richtung, und Herr v. Elm, der freilich in Dresden gleich Bernstein gegen die Resolution Kautsky - Bebel zu stimmen wagte, gestattet sich sogar, seinen Ausratz mir dem herausfordernden Rufe zu schließen: „Die Revisionisten sind überall an der Arbeit!" BrubnS verurteilt die Taktik, die seine Partei unter Bebels Führung bei den letzten preußischen LandtagSwaklen eingeschlagen hat, und sagt über die Folgen dieser Taktik: „Notwendigerweise mußte unsere ausschließlich selbständige Beteiligung, unsere Ablehnung jevcS K-'süpromlsseS mit bürgerlichen Parteien schon bei den Urwahlen, zu jener Pressionspolitik gegen den Freisinn führen, deren vollständiges Fiasko wir jetzt allerdings nicht bestreiten können." DaS ist hart für Herrn Bebel, der sich noch in Dresden gebrüstet hatte, er werde mit den Freisinnigen „Fraktur reden", und für diejenigen seiner Gesinnungsgenossen, die gedroht haben, auch den letzten Mann vom „sterbenden Freisinn", wenn ihnen nickst Mandate abgetreten würden, „unbarmherzig durchfallen zu lassen." vr. David hält dem Parteidittator mit ausgesuchter Grausamkeit vor, daß semc wiederholten Prophezeiungen von der herannahenden Katastrophe noch heute Hirngespinste geblieben sind, und konstatiert den „Zusammenbruch der Zusammen- bruchStheorie". Eduard Bernstein schließt seinen Artikel „Ein Vorwort zur Programmrevision" mit der Erklärung, daß das Programm der Sozialdemokratie, das Herr Bebel in Dresden über jede Anfechtung zu erheben glaubte, „beute weder quali tativ noch quantitativ" genügt". Auch „Genosse" v. Elm spottet über den „Glauben an die wunderwirkende Katastrophe", selbst über die „Uebcrfchätzung der Bedeutung des Dreimillionen sieges", und er wagt Herrn Bebels Ausspruch gegen den Grafen Bülow, daß der Dresdner Parteitag sich als „Jungbrunnen" erwiesen habe, eine „nicht ganz kleine Uebertreibung" zu neunen. Calwer endlich nennt den von Bebel und seinen Freunden ausgesprochenen Gedanken an einen Zukunftsstaat, in dem man sich eines schönen Morgens plötzlich einmal befinde, „kindliche Auffassungen", die nicht ernsthaft genommen werden könnten. Und das alles so kurze Zeit nach den Dresdner Schlachttagen, an deren Schluffe Bebel sich als unumschränkten Gebieter über die Köpfe von drei Millionen „Genossen" fühlte! Wird er nun wieder mit einem Donnerkeile dreinfahren? Schwerlich. Er muß einseben, daß die Revisionisten die Feder ebenso be herrschen wie er das Wort, und da sie ihm mit ihrer Taktik doch noch einmal nützen können, so wird er sich wobl in vornehmes Schweigen hüllen oder sich damit be gnügen, seinerseits von „kindlichen Auffassungen" zu reden, die nicht ernsthaft genommen werden könnten. Tie nationale Bewegung im dentsch-böhmifchen Klerus steht nicht still. Die angekündigte Versammlung deutscher Priester der Leitmeritzer Diözese fand in Leipa statt. Die Statuten für den zu gründenden deutschen LandeS- klerusverein wurden einstimmig angenommen und ei» Viererausschuß gewählt, welcher die weiteren Schritte zur Gründung des Vereins tun wird. Zustimmungs telegramme und Begrüßungsschreiben an die Versammlung in Leipa waren zahlreich eingeganaen. Eine zweite Versamm lung in einer anderen Stadt Nord-BöhmenS soll sich mit der)elben Angelegenheit befassen. ES haben jetzt auch 00 deutsche Priester der Königgrätzer Diözese sich mit einer Erklärung den Beschlüssen des deutschen Klerus in Hainspach und Eger angeschlossen. Die Bewegung, die innerhalb Böhmen« also erstarkt, hat aber auch lauten Beifall bei dem deutsch katholischen Klerus des übrigen Oesterreich gefunden. So hat eine Anzahl niederösterreichischer Priester an die Priester des Böhmerwaldes, welche den ersten Austoß zu der Bewegung gaben, eine Kundgebung gerichtet, in der eS heißt; „ . . . Deutsche Priester in Niederösterreich, Söbne des deutsche» Böhmerwaldes, bringen Euch die vollste Sympathie entgegen und verurteilen das Treiben mancher tschechischer Kapläne und Pfarrer in deutschen Pfarrgegenden, die sich nur zu oft in erster Linie um die tschechische Nation und in zweiter Linie erst um die deutschen Seelsorge kinder kümmern, auf daS Entschiedenste. Wir halten eS für unsere Pflicht, Euch auch, so viel tu unseren Kräften steht, iu dem Euch ausgedrungenen Kampfe gegen de» numerisch stärkeren Feind mit Wort, Schrift und Tat unterstützen zu sollen, wie ja auch die tschechischen Priester in Niederösterreich und in den Alpenländern laut SpendenauStvrisen für tschechisch nationale Zwecke ihr in deutschen Lande» erworbenes Geld gar oft nach „Tschecho-Böhmen" senden. Schließlich rufe« wir Euch zu, im Kampfe für unser deutsches Volk nicht zu er lahmen und nicht zu ruhen, bis Ihr einem deutschen Bistum angegliedert werdet oder ein neue» deutsches BtStum gegründet wird und dadurch dem fitaven deutsche» Volk in unseren schönen heimatlicher Böhmerwaldgaueu Priester zugesendet werden, die dem deutschen Volke entsprossen sind, damit eS von jenen Priestern befreit werde, welche die deutsche Sprache nur radebrechen und so oft daS Gelächter Erwachsener wie der Kinder förmlich herausfordern. Daß dies recht bald geschehe» wünschen mehrere Priester Niederösterreichs, Söhne de- deutsche» BöhmerwaldeS." Dieser HerzenSerguß deutscher Priester mutet un» er frischend und herzergreifend an wie Heimatlust, und wir wünschen ihnen vollen Erfolg, wie sie und wir ihn un» denken. Allein wir können nur wiederholt der Befürchtung Ausdruck geben, daß im Vatikan der Wunsch nach einer Ver mehrung deutscher Priester bloß einem sehr sarkastische» Lächeln begegnen werde. Sollte mau ihn wirklich erjüllen, dann wird man gewiß dafür sorgen, daß der Jesuit ia Wcmtyer L Lohn. 1j Roman von M. Prigge-Brook. an druck »erdeten. Erster Teil, „Elisabeth, Elisabeth!" Eine laute Männerstimme gellte durch das Haus und ließ die blaffe Frau zusammenzucken, die müßig an ihrem Fensterplatz saß. Eilig erhob sie sich und trat in die Tür. „Hier brn ich, Hugo, wolltest du etwas?" fragte sie, dem eben die Treppe ersteigenden Gatten entgegen. „ES ist nur, daß man dich nie zu finden weiß, wenn man dich braucht", schalt er. und ging an ihr vorüber durch die geöffnete Tür ins Zimmer hinein. „Schon eine geschlagene Stunde rufe ich nach dir." Sie lächelte nachsichtig und dachte, daß sie doch fast an jedem Tage um die Zeit in ihrem Zimmer sei, wie er daS nur vergeßen konnte. Freilich war er mit seinen Gedanken in letzter Zeit selten daheim. Während der Holzhändlcr Wemeyer es sich in seinem Lehnstuhl bequem gemacht und die Zeitung entfaltete, fragte seine Frau verwundert, daß er nun nicht sprach, «in wenig ungeduldig: „Wolltest du etwas von mir?" Sein Antlitz trug bereits den gleichgültigen Zug, der ihm eigen war; sein Verdruß schien verraucht. „Es ist nur, weil ich mich über den Jungen, unsern Rudi, wieder einmal ärgern muß", antwortete er. „Der geht ganz zweifellos eigene Wege, und das paßt mir nicht. Kann er", fuhr er, beim Reden sich mehr und mehr er eifernd, fort, „denn nicht die Zeit erwarten, bis die Uhr zur Mittagspause schlägt. Aber nein, er kommt und geht wie ein Grandseigneur, der junge Herr Prinzipal, un bekümmert, ob er den Leuten damit ein schlechtes Bei spiel gibt; ich habe mich eben erst recht über ihn ärgern müssen." »Hat Rubi etwas Besonderes angestellt?" erkundigte die Mutter sich besorgt. „Das gerade nicht, aber, wie gesagt, er reißt mir aus, und ich habe ihn im Verdacht, er steigt einem der jungen Mädchen nach am Musikinstitut da drüben; die Augen guckt er sich nach ihnen aus." «1» Frau Elisabeth auf dtese Klage schwieg, wandte ihr Mann sich ab. Er schüttelte ärgerlich -en Kopf und sah in seine Zeitung, wobei er einige Worte von „nicht paffen" und „nicht leiden mögen" vor sich hinmurmclte. Hugo Wemeyer war ein schöner, hvchgewachsencr Mann mit edel geformten Zügen. Seine großen Blau- äugen strahlten in überströmenderLebensiust und das dichte Blondhaar, sowie der wohlgepflegte Bürt ließen ihn um Jahre jünger erscheinen als«r war. Währen-man seiner mit ihm in gleichem Alter stehenden Frau ihre füufundvierzig gut genug ansah, gab man ihm zweifellos zehn Jahre und darüber weniger, sowie ihm auch so leicht keiner den großen Sohn anmerkte, der die Mitte der Zwanziger erreicht hatte. Aus kleinen Anfängen hatte der tüchtige und intelli gente Mann sich empvrgearbeitet und stand jetzt an der Spitze der größten Hvlzhandlung der Neichshauptstadt, neben der er die Fabrikation verschiedener Parkctthölzcr betrieb, die, über das Weltmeer versandt, der Firma ihren Ruf gesichert hatten. Troydem und trotz seines noch stetig wachsenden Reichtums blieb die Familie Wemeyer einfach und be scheiden, und daß sic das blieb, daran trug die Frau hauptsächlich die Schuld. Sie mar ein Landkind aus dem- selben Dorfe, dem auch ihr Mann entstammte, seit Kindertagen hielt sie zu ihm. Das änderte sich auch nicht, als der alte Wemeyer, «in begüterter Bauer, seinen Jungen von sich in die nächste Stadt gab. Den Anstoß zu dieser Maßregel gab der Vater der jungen Elisabeth, der Kantor, dem eS einleuchtete, daß der gescheidtc Bauern sohn in der Stabt weiter kommen werde als daheim, wo ihm als dem Zweitgeborenen das wenig angenehme Los eines Knechtes winkte. Hugo Wemeyer besuchte einige Jahre dir Handelsschule, ging mit der Berechtigung des einjährigen Dienstes ab und trat als Lehrling bei einem kleinen Holzhändler im Osten Berlins ei», gerade zu dem Zeitpunkt, an welchem sein Vater mit Tode abging. Nur zwei Jahre später starb auch der Kantor un lieb sein einziges Kind als Waise zurück. Da besann der junge Wemeyer sich nicht lange, er kehrte Helm, ehelichte seine Braut und zog mit ihr in bie Hauptstadt zurück. Er zählte damals einundzwanzig Jahre. Seinem Prinzipal, einem grämlichen Junggesellen, imponierte die Kühnheit seines Gchlllfen, er erkannte sie dadurch an, daß er sein Salär auf 800 Taler erhöhte, ein Umstand, der daS junge Paar damals geradezu be- scligte. Elisabeth war zu der Zeit ein frisches, rosenwangiges Mädchen, ihr großer Reiz, eine gewisse herbe Ursprüng lichkeit, die ihren Mann an sie gefesselt. In der Reichs hauptstadt verlor sich dieser Zug leider bald, sie wurde unsicher, ängstlich, sprach bald zu viel, bald zu wenig, wie ihr junger Gatte fand, der nun begann, sie zu er ziehen. Das verschüchterte sie vollends, und Hugo We meyer machte zu seinem lebhaften Verdruß die Bemerkung, daß man in seinem Kreise seine Wahl nicht zu billigen schien, ja, sie kaum begriff. DaS war -em Eitlen hart, er tadelte die kleine Frau und brachte es dahin, -aß sie nur noch mit Angst und Zittern in Gesellschaft ging. Seine frische, wenn auch nur wenig geschulte Stimme hatte Wemeyer vor seiner Heirat einem Verein zugcführt, der seinen Mitgliedern bisweilen klein« Feste gab. Tie junge Frau füh.te sich nicht allzu wohl unter den lustigen Sangesbrüdern, die sie ihrerseits langweilig fanden. Am Ende vergaß man sie ganz, als erster ihr eigener Mann, -er eine gewisse Rolle in der Gesellschaft spielte. Elisabeth grämte sich deshalb so lange, bis ihr gewiss« Zeichen ver rieten, daß sie Mutter werde. Seitdem war sie wie aus gewechselt vor Glück, zumal da auch Hugo sich sehr auf seinen Jungen freute. Denn — ein Junge follte es werben, das stand bei ihm fest, und innerlich war er nicht wenig stolz ans eine Vaterschaft, wie sie so frühe keinem seiner Bekannten geworden. Er zählte zweiundzwanzig Jahre. In einer mondhellen, blumendurchdufteten Juni nacht klapperte der Storch auf dem Dache Les HauseS, in dem Wemeyers wohnten, und als der Tag graute, beschrie ein kräftiger Knabe die Wände, seiner Mutter schien eS, sie habe nie köstlichere Musik gehört. Der Vater war unbändig stolz und auch ein wenig glücklich über seinen Jungen; sic faltete die Hände in stummer Seligkeit, nun erst fühlte sie sich glücklich, wunsch los glücklich. Es machte sich nun von selber, daß sie daheim blieb, ihren Mann aber trieb sie hinaus, er solle nicht daheim sitzen mit ihr und dem kleinen Rudi, dazu sei er zu jung. Dem prächtig gedeihenden Sdammhalter folgten in schneller Reihe drei kleine, zarte Mädchen, zu zart, als daß sie dem harten LebenWidcrstand zu leisten im stände waren. Still schlichen sic sich daher nach kurzer Anwesenheit in dieser Welt davon, so still wie sie gekommen waren. Im Herzen ihrer Mutter hinterließ ihr Scheiden dennoch eine Lücke, die sich nie wieder schloß, so wenig ihr Mann das auch begriff. „Du solltest Gott danken und zufrieden sein, so wie «S gekommen ist", suchte er sie zu trösten; „kränklich wie sie waren und schwach, bedenke nur, wi-e das hatte werde« sollen, reich sind wir nun einmal nicht, noch nicht." „Noch nicht." Sie sagte es sich wohl hundertmal, und deshalb war es wohl auch, daß sie -er spätere Wo-Hlstarrd nicht recht freute. Anfangs hatte sie doch zuweilen zu kämpfen gehabt, das Leben war sehr teuer in Berlin und 800 Taler vcr- brauch»eü sich rmch. Nach vier Jahren starb übrigens Wemeyers Prinzipal plötzlich, un- seine Erben boten dem überraschten Gcyülfen das Geschäft an. Er schwankte, sein kleines Kapital schien ihm zu dem Unternehmen zu gering, allein man machte ihm günstige Anerbieten und er schlug ein. Zu seinem Unglück. Die Zeit war schlecht, die kleine Handlung erlag der Konkurrenz größerer, und als zwei Jahre um waren, mußt« Wemeyer froh sein, -aß ihm die wohlwollenden Besitzer das Geschäft wieder abnahmen. Sein Geld ging dabei verloren. Er verlor nicht auch seinen guten Mut, sein bestes Erbe, sondern ging unverziiglich daran, eine neue Stellung zu suchen, die er auch bei dem Besitzer einer großen Parkett, sabrik fand. Seine genaue Kenntnis der einschlägigen Holzarten machten ihn zum wertvollen Gehülfen für seinen Chef, der, als einziger Sohn wohlhabender Leute, nichts von der Fabrikation verstand. Die Firma wuchs und gedieh, ihr Eigentümer wurde in zehn Jahren ein schwer reicher Mann, der sich zurückzog und seine Handlung seinem Leiter überließ, der sich endlich am Ziele seiner Wün che sah. Es folgten Jahre voll schwerer Kämpfe, denn Wemeyer, vom Geist der Zeit angesteckt, begnügte sich nicht mit dem Gewinn, den seine rastlose Tätigkeit ihm brachte, sondern zog es vor, auf mühelosere Weise zum Reichtum zu ge langen. Dabei riskiert« er mehr als einmal sein Hab und Gut. Seiner Frau verblich das Haar in dieser Zeit, während ihn bie Sorge nur zu immer kühneren Taten er- munterte. Jetzt lag die Zeit längst hinter ihm. Der Sohn «nd Erbe stand neben dem Vater, der seine Hand lung nunmehr nur noch nach den Grund ätzen strengster Solidität zu führen sich bestrebte. Seinem Jagen nach Geld war Genüge getan. WaS ihn aber nicht befriedigte oder bester gesagt, nicht mehr, da« war die Art seiner Lebensführung. Seit kurzem fühlte Wemener sich unzufrieden. War «S, daß ihm, kaum baß er die Höhe des Leben- erreicht, nichts mehr zn wün schen übrig geblieben, war <S, daß er sich sagen mußte, er habe überhaupt noch nicht gelebt. Nie etwa- anderes er-
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