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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.01.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-01-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040113029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904011302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904011302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-01
- Tag1904-01-13
- Monat1904-01
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Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbrförderung .»> 70.—. Ännahmrschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, ^L7-7. des Rates und des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Nr. 22. Mittwoch den 13. Januar 1904. 98. Jahrgang. Var wichtigste vom läge. * Der Kaiser ist gestern abend kur- nach zehn Uhr wieder im Neuen Palais bei Potsdam eingetroffen. * AuS Swakopmund, 12. Januar, meldet das Reutersche Bureau: „Die telegraphische Ver bindung mit Okahandja ist unterbrochen." Wahrscheinlich ist die Leitung von den aufständischen Hereros zerstört worden. * Die badische Kammer nahm einstimmig einen Antrag auf Gewährung von Diätere und freie Eisenbahnfahrt an die Abgeordneten an. * In der österreichischen Delegation er klärte der Kricgsminister v. Pitreich die einheit liche deutsche Kommando- und Dien st - sprache als absolut notwendig und die Erler nung einer nichtdeutschen Sprache durch die Offi ziere für erforderlich. * Der antisemitische Erste Bürgermeister von Wien, vr. Lueger, will sich, wie verlautet, vom politischen Leben zurückziehen. * Man nimmt an, daß die Antwort Japans an Rußland, die gestern nachmittag festgcstellt wurde, um Beantwortung innerhalb einer bestimmten Frist er suche. Vie internationalen Vunäesvertröge rlvirche« vnrrlana unö Japan. In dem Augenblick, wo die Augen der Welt gespannt auf den Verlauf der Dinge im äußersten Osten gerichtet sind, sind die beiden Vereinbarungen von bedeutsamem politischen Interesse, durch welche dieser Verlauf in un mittelbarer Beziehung mit der Stellung der europäischen Mächte steht: der Bündnisvertrag Englands und Japans und die französisch-russische Erklärung über das Einver nehmen der beiden Zweibundmächte in den ostasiatischen Angelegenheiten. Um ihre Bedeutung und ihr Verhältnis zu der Entwickelung der Dinge in Ostasicn sowohl, wie zur politischen Gesamtlage zu verstehen, ist es notwendig, sie in ihrem Wortlaut sich vor Augen zu führen. Der eng lisch-japanische Bündnisvertrag lautet: „Beseelt von dem einzigen Wunsche, den matu8 quo und den allgemeinen Frieden im äußersten Osten aufrecht zu erhalten, anderer seits in besonderer Weise daran interessiert, die Unab hängigkeit und territoriale Integrität des Kai'crreichcs China und des Kaverrciches Korea aufrecht zu er halten und gleich «Vorteile in diesen Ländern dem Handel und der Industrie aller anderen Nationen zu sichern, haben die britische und die japanische Regierung folgendes Abkommen ge schlossen: Art- 1. Die vertragschließenden Teile erklären, nachdem sie gegenseitig die Unabhängigkeit Chinas und Koreas anerkannt haben, in bestimmtester Weise, von keiner Anqriffstcndcnz gegenüber diesen beiden Ländern beseelt zu sein. Nichtsdestoweniger aber ihre besonderen Feuilleton. Wemkyer L Sohn. sj Roman von M. Prigge-Brook. ttau trmk verboten. Der Hol-Händler trat mit einem Seufzer zurück. Da faßte sie nach seiner Hand. „Das, das — von, von — gestern", stammelte sie mühsam, „das war — doch — nicht — dein — Ernst — Hugo? Ich — müßte — ja vergehen vor — Gram, stie—ßest du mich — von dir! — — Nicht wahr, Hugo", sie richtete sich plötzlich auf und faltete die Hände, „du tust es nicht?" Er riß sich stöhnend los. „Laß jetzt, Elisabeth, später, wenn du gene'en bist, wir reden noch darüber..." Aber sie wurde mir noch heitig>er. „Nicht später, Hugo, jetzt, gleich jetzt sollst du es mir sagen, sonst — Gott ist barmherzig, vielleicht erlöst er dich bald von mir, so lange warte, ich bitte dich!" Er hörte nichts mehr. In fluchtartiger Hast verließ er das Zimmer und schlug die Tür ins Schioß. Wie sic ihn quälte! Zum Glück hatte die Schwester nichts gehört, das hätte er nicht ertragen. Den Rest -es Tages verbrachte er mit Schreiben eines Briefes an seine Geliebte. Er beschwor darin das Mädchen, fest an ihm zu halten und an der Hoffnung, daß er bald frei 'ein werde. „Denn gibt meine Füau, wenn ich sie zmn zweiten Male bitte, nicht nach, so bleibt mir nichts, als sie zu verlassen — böswillig Das gibt ihr Grund zur Scheidung, und ich hoffe, sie nützt ihn dann. Denn sieht sie erst, daß es mir Ernst ist, mich scheiden zu lassen, bleibt ihr schließlich keine Wahl." Die Nacht floh ihn der Schlaf abermals. Bon Zeit zu Zeit schlich er sich leise, daß niemand ihn gewahre bis an die Tür des Zimmers, in dem sein Weib schlief. Lebte sie oder war sie hinübergegangen, und hatte ihm den Kampf erpart. den häßlichen, den er doch zu führen gc- zwungen war, mit Brutalität, wenn sie ihn zwang. Im Krankenzimmer blieb alles still, und gegen Morgen fiel auch der Holzhändler in einen kurzen, unruhigen Schlummer. AuS diesem weckte ihn das Hausmädchen, welches ein Telegramm vorwies. „Vom jungen Herrn", sagte cs, „der Buchhalter hat geschickt und ob Herr Wcmeyer heute nicht ins Kontor käme; die Post wartete." Interessen im Auge haltend, von denen die Groß britanniens sich hauptsächlich auf China beziehen, während Japan zu den Interessen, die es in China hat, in drei facher Hinsicht, nämlich in politi chcr, kommerzieller und industrieller, in besonderer Weise auch noch in Korea interessiert ist, erkennen die vertragschließenden Teile an, daß cs für beide zulässig sein soll, solche Maßregeln zu ergreifen, die unerläßlich sein werden, um die besagten Interessen für den Fall zu wahren, daß sie, sei es durch die aggressive Aktion irgend einer andern Macht, sei es durch Unruhen, bedroht werden, die in China oder Korea entständen und das Eingreifen des einen oder des andern der vertragschließenden Teile nötig machten, um dasLebe» nnd das Eigentum seiner Staatsangehörigen zu sichern. Art. 2. Wenn Großbritannien oder Japan, jeder in der Verteidigung dieser seiner Interessen, so wie sic oben be stimmt sind, sich in einen Krieg mit einer andern Macht verwickelt sehen sollte, so wird der andere vertragschließende Teil strenge Neutralität beobachten und seine Anstrengungen darauf richte», daß nicht andere Mächte sich dengegen seinenBerbündeten eröffneten Feindseligkeiten ««schließen. Art. 3. Wenn in diesem Falle sich eine andere Macht oder mehrere andere Mächte den gegen seinen Verbündeten eröffneten Feindseligkeiten «»schließen sollten, so wird der andere vertragschließende Teil diesem zu Hülfe kommen, mit ihm gemeinsam den Krieg führen, und der Friede wird nur in wechsel seitiger Zustimmung geschlossen werden können. Art. 4. Die vertragschließenden Teile kommen darin überein, daß keiner von ihnen, ohne den andern zu be fragen, mit einer andern Macht Sonderabkommen zum Nachteile der oben angegebenen Interessen schließen kann. Art. 5. Allemal, wenn nach Meinung Großbritanniens oder Japans die oben erwähnten Interessen in Gefahr sind, werden die beiden Negierungen voll und freimütig sich ihre Mitteilungen machen. Art. 6. Das vorliegende Abkommen tritt in Wirkung sofort nach dem Datum seiner Unterzeichnung und wird während fünf Jahren in Kraft bleiben von diesem Datum an. Im Falle daß keiner der vertragschließenden Teile 12 Monate vor Ablauf der be sagten fünf Jabre 'eine Absicht knndgegeben hätte, dem Abkommen ein Ende zu setzen, wird dies bis zum Ablauf der 12 Monate in Kraft bleiben, die dem Tage folgen, an dem einer der vertragschließenden Teile es gekündigt haben wird. Wenn aber im Augenblicke der angescyten Ablaufsfrist einer der Verbündeten sich im Kriege be finden sollte, so wird das Bündnis ip8o kaoto bis zum Abschluß des Friedens fortdauern." Man vergleiche jetzt damit die russisch-fran zösische „Erklärung" vom 19. März 1902. Sie lautet: „Die verbündeten Regierungen von Frankreich nnd Rußland, in Kenntnis geletzt von dem englisch-japa nischen Abkommen vom 30. Januar 1902, das zu dem Zweck geschlossen wurde, den Status quo und den allge meinen Frieden im äußersten Osten zu sichern und die Unabhängigkeit Chinas und Koreas aufrecht zu erhalten, die dem Handel und der Industrie aller Nationen offen bleiben sollen, sind voll bclriedigt, darin die Bekräftigung der wesentlichen Grundsätze zu finden, von denen sie selbst zu wiederholten Malen erklärt haben» daß sie die Grund lage auch ihrer Politik bilden und bleiben. Die beiden Regierungen sind der Ansicht, daß die Beachtung d escr Grundsätze zu gleicher Zeit eine Bürgschaft ihrer beson deren Interessen im Aeußcrsten Osten ist. Jedoch genötigt, auch ihrerseits den Fall ins Auge zu fassen, daß die agressive Aktion dritter Mächte oder neue Unruhen in China, welche die Integrität Ers.hrcckt sah Wemeyer auf seine Uhr. Schon zehn. Dann mußte er hasten, um zur rechten Zeit zur Bahn zu kommen. Erna soll ihn nicht ohne Not vergebens er warten. Er schickte das Mädchen hinaus, bestellte sich Frühstück und war nach zwanzig Minuten fertig «»ge kleidet. Eilig trank er eine Tasse Kaffee, quälte sich ver gebens mit einem Stückchen Semmel, und war schließlich froh, rechtzeitig draußen zu sein. Die Uhr wies jetzt auf halb elf. Unterwegs fiel ihm ein, daß er unterlassen habe, sich nach seiner Frau umzusehen. Das ärgerte ihn beinahe, denn er mar kein Freund von Rücksichtslosigkeiten und scheute nichts so sehr, wie den Klatsch. In seiner jetzigen Lage würde er ihm indessen wohl kaum entgehen, dachte er, und beruhigte sich, bis er beim Anblick des Mädchens alles außer ihr vergaß. Sie ivar in ein kleidsames, dunkelblaues Rc'isckostüm gehüllt, das ihren schlanken Wuchs vorteilhaft hob. TaS kleine Filzhütchen von gleicher Farbe, der duftige, weiße Schleier zeigten die blendende Farbe ihrer Hant und der im Sonnenschein goldschimmernden Haarpracht. Aus dunklen Augen lachte ihn das Mädchen glückselig an. Ihr schien kein finsterer Gedanke Schlaf und Ruhe getrübt zu haben; sie baute fest auf seine Liebe, und das beglückte den Mann. Einen unterwegs gekauften Veilchenstraub in der Hand, näherte Wcmeyer sich ihr und sah ihr ins Gesicht. „Dn gehst, mein Kind?" „Damit du bald Gelegenheit hast, mich zu dir hoün- zuholen", sagte sie, zärtlich und leise. „Du siehst, ich habe Mut und - Geduld." „Aber die Eltern, deine Eltern!" Ein Schatten zog über ihr rosiges Gesicht. „Die werden freilich traurig sein und gar nicht daran wollen, ihre Erna fortzugcben", sagte sie mit einem Seufzer, „vorzüglich mein Vater: ihm wird das, was ich ihm doch sagen muß, gar nicht gefallen nnd noch weniger passen. Aber berub'ge dich", setzte sie nach einem Blick in sein erblaßtes Gesicht hinzu, „ich komme doch zum Ziel, denn ich liebe dich." „Dank, beißen Dank für diese Worte!" stammelte er bewegt. „Aber wirst du auch fest bleiben, der Ucberredung der Deinen gegenüber, du b-st noch so jung " „Ist jung ein schwach sein oder gar treulos?" unter- brach sie ihn unwillig. „Geh, ich gebe dir keinen Grund, an meiner Liebe zu zweifeln." Die leidenschaftliche Antwort, die auf seinen Lippen und die freieEntwickelung dieserMacht in F rage st eilen,eineDrohungfü rihreeige- ncn Interessen werden sollten, behalten sich die beiden verbündeten Negierungen vor, gegebenenfalls die Mittel ins Auge zu fassen, um deren Wahrung zu siche rn." Hierzu schreibt die Kölnische Zeitung": Die unterschiedliche Bedeutung der beiden Verein barungen liegt auf der Hand. Das englisch-japanische Ab kommen ist ein regelrechter Bündnisvertrag von bindendster Form und für genau bestimmte Fälle in genau abgewogener Tragweite. Die französisch-russische „Erklärung" ist eine politische Kundgebung von ganz vagem Inhalte und unbestimmten Verpflichtungen, von einer solchen Unbestimmtheit, daß man nicht anders kann, als eben dieser Unbestimmtheit bestimmte Gründe unter- zu'chieben. Man kann sie sich auf mehrfache Weise er klären. Die Interessen Rußlands und Frankreichs in Ostasicn sind dort räumlich und inhaltlich so weit von ein ander verschieden, daß man allerdings auch schwer ein sehen kann, wie Frankreich, ohne entsprechende Gegen leistung von russischer Seite, dazu kommen sollte, Ver pflichtungen einzugchen, die es im Ernstsalle unbedingt in einen Krieg mit England verwickeln würden, wenn seine Vereinbarung mit Rußland dieselbe Bedeutung und Tragweite haben soll, wie das englisch-japanische Bündnis. Eben die es Mißverhältnisses wegen hat auch die fran- zösssch-ruisische Erklärung in der Befürchtung, daß sie doch vielleicht die förmliche Ausdehnung der Bündnisverpflich tungen Frankreichs gegenüber Rußland auf dem ostasia tischen Schauplatz bedeute, von den verschiedensten Seiten in Frankreich eine Kritik erfahren, der gegenüber der politische Wert der Erklärung in der Tat noch ein offenes Rätsel ist. Inhaltlich stimmen beide Vereinbarungen in der Bestimmung überein, nur Unruhen oder die „repres sive Aktion eines Dritten" für den Fall ihrer Anwendung vorzusehen. Tic Bestimmung dürste hinsichtlich der poli tischen Taktik, den andern das Odium der Kriegserklärung und des ersten Angriffes znzuschreiben, mehr für die fran- zöstsch-russi che Erklärunq praktische Bedeutung haben, als für den japani'ch-englrschen Bündnisvertrag, der den für das lwutiae Stadium des diplomatischen Standes der Dinqc beachtenswerten Artikel 5 enthält, wonach bei drohender Gefährdung -er gemeinsamen Interessen die Verbündeten in „vollem und freiem" Austausch ihrer Mitteilungen und Meinungen handeln. Das macht es zur Genüge erklärlich, weshalb Frankreich zur Zurück haltung und Vorsicht gezwungen ist, eine etwaige Ver mittlerrolle zu übernehmen, wie es anderseits die scharfe autirussische Sprache der englischen Presse bezeichnend beleuchtet. Schließlich tritt aus der französisch-russischen Erklärung unterschiedlich von dem englisch-japanischen Bündnisvertrag hervor, daß dieser in ganz bestimmter Wci'c die beiderseitigen Interessen in China und Korea umschließt, jene Erklärung aber nnr von der Gefährdung der „Integrität und freien Entwickelung Chinas" als Bestimmungsfall für den vagen Vorbehalt spricht, die Wahrung der gemeinsamen Interessen ins Auge zu fassen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Januar. Auch Schriftführer sind Menschen. Mit diesen Worten lehnte gestern im Neichstageder Präsident Graf Ballestrcm das Verlangen des Abg. Richter ab, dem Abg. Kaempf, der sich während der Beratung -er Denkschrift über die Ausführung der An- leihegesctze bei einem der Schriftführer zum Worte ge meldet hatte, das Wort aber wegen eines Versehens dieses Schriftführers nicht erhalten hatte, noch nach Er ledigung des Gegenstandes über diesen sprechen zu lassen. Graf Ballestrcm ging bei dieser Weigerung von -er An sicht aus, dem Schriftführer dürfe, weil er ein Mensch wie andere auch sei, aus seinem Versehen kein Vorwurf gemacht werden und deshalb müsse auch das Haus sowohl wie der Abg. Kaempf die Folge dieses Versehens, d. i. den vorzeitigen Schluß der Debatte, ruhig hinnehmen. Mit Recht protestierte der Abg. Richter dagegen, daß eine der artige Ansicht maßgebend sein dürfe für die Handhabung der Geschäftsordnung und daß eines zwar verzeihlichen, aber immerhin nicht korrekten Mißgriffes eines Schrift führers wegen das Interesse eines Dritten verletzt werden könne. Und Graf Ballestrem war einsichtig genug, die Be rechtigung dieses Protestes anzuerkennen und dem Abg. Kaempf doch noch das Wort zu erteilen. Die gute Folge dieser Nachgiebigkeit zeigte sich denn auch sofort durch eine Debatte, die bewies, daß der Gegenstand vorher doch nicht erschöpft worden war. Jedenfalls wird nun auch in Zu kunft Graf Ballestrem von der bureaukratischen Ge pflogenheit zurückkommen, das Versehen eines Schrift führers zwar als entschuldbar, trotzdem aber als bindend für den Gang der Geschäfte anzusehen. Und hoffentlich lassen sich auch andere Präsidenten usw. den Vorgang zur Lehre dienen. Wie oft liest man davon, daß z. >B. Organe der Polizei einem Jrrtume verfallen, unter -em ein Dritter zu leiden hat, und daß Vorgesetzte wohl diesen Irr tum entschuldigen, aber dessen Folgen für den Geschädigten auch nur abzuschwächen sich nicht entschließen. Wenn irgend etwas die Zahl der Unzufriedenen und der Mit läufer der Sozialdemokratie vermehrt, so ist es jene leidige bureaukratische Gepflogenheit, Versehen von Beamten mit dem Mantel der christlichen Liebe zu bedecken, von dem Ge schädigten aber zu verlangen, daß er sein eigenes Inter esse mit demselben Mantel bedecken lassen und sich zufrieden geben solle mit dem Diktum, daß „auch Schriftführer Menschen sind". Bolksschranzeu. Einen neuen Beitrag zu -em Thema „Byzanti nismus nach unten" liefert das Dresdner Sozialistenorgan. Unvermögend, die Opfer willigkeit der sozialdemokratischen Arbeiterschaft objektiv zu würdigen, stellt es im Hinblick auf den Crim mitschauer Streik die „Tapferkeit" -er „Prole tarier" turmhoch über die Tapferkeit, die unsere Sol- daten im Jahre 1870/71 bewährt haben. Daß anläßlich des Crimmitschauer Streiks von einer Lebens gefahr der Streikenden oder der sie unterstützenden Ar beiter gar nicht gesprochen werden kann, -aß mithin der wesentlichste Vergleichspunkt fehlt, stört das sozialdemo kratische Organ nicht im geringsten. In seinen Augen ist die Tapferkeit des Soldaten in Wirklichkeit gar keine Tapferkeit, sondern lediglich das Ergebnis des furcht barsten Zwanges, der sich denken lasse: ,^kehrt er (der Soldat) dem Feinde -en Rücken, so ist er nach dem Ge setze -em Tode verfallen: es ist ihm nur die Wahl ge lassen zwischen dem möglichen Tode auf dem Schlachtfelde oder dem sicheren durch richterliches Erkenntnis: und daß er sich für die erstere Eventualität lieber entscheidet als für die zweite Gewißheit, ist klar." — Einfacher kann das Wesen des Krieges im allgemeinen und der kriege rischen Tapferkeit im besonderen nicht erklärt werden! schwebte, blieb ungesagt. Fräulein Seeberg, die bislang unsichtbar geblieben, drängte sich an Erna heran. „Es ist die höchste Zeit, daß du einsteigst", sagte sie aufgeregt. „Man läutet eben zum zweiten Male. Alles ist übrigens besorgt, hier deinen Schein, hier das Gepäck, die Platzkarte und . . . „Einsteigen, meine Herrschaften, einsteigen!" mahnte die rauhe Stimme des Zugführers. Erna stieg in ihren Abteil. Zuvor umarmte sie noch einmal Fräulein See berg und dankte ihr für alle Treue. „Ich schreibe Ihnen bald", veriprach sie. Wemeyer mußte sich mit einem Händedruck begnügen, dafür preßte er aber auch die kleine, zarte Han-, daß Erna nur mit Mühe einen Wehlaut unterdrückte „Und mir schreibst du, Liebchen", murmelte er mit halb erstickter Stimme. „Vergiß nicht, ich werde mich beständig nach dir sehnen." Die Türen schlossen sich. Am Fenster lehnte das schöne Mädchen, dein die Blicke der auf dem Perron Befindlichen bewundernd folgten, und wischte sich ein paar Tränen von den Wangen. „Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!" Und während der Zug sie zu den Ihrigen entführte, schliai Wemeyer sich still zurück in 'ein vereinsamtes Haus, in dem ein krankes Weib mit bleichen Wangen in ihren (Kissen lag. Die heißen, aufgesprungenen Lippen mur melten unablässig verworrene Worte vor sich hin, von denen die pflegende Schwester nur selten eins verstand. Am häufigsten rief sie nach Rudi, der nicht kommen wollte und der sic von sich stieß. Am andern Tage in aller Frühe traf der Erwartete ein. Wemeyer hatte eS nicht über sich vermocht, den Sohn an der Bahn zu empfangen. Die Begrüßung von Vater und Sohn siel kühl, beinahe frostig aus, und wäre nicht des jungen Mannes Sinn mit der Sorge um die kranke Mutter beschwert gewesen, der Empfang hätte ihn stutzig machen müssen. So hatte er nicht Ruhe, bis die Schwester ihn ans Krankenlager führte. Rudolf nahm sich gewaltsam zusammen, ionst hätte er laut airfgeschluchzt beim Anblick der Leidenden. Sie war um Jahre gealtert, und wenn das Fieber auch seit dem gestrigen Abend gewichen war und Frau Elisabeth mit klarem Blick nm sich zu sehen vermochte, so hatten die Tage des Leidens doch Spuren I zurückaclasieu, die sich nie wieder verwischen würden. I Beim Anblick ihres Sohnes zeigte sic eine rührende I Freude, doch brachte sie kein Mort über die Lippen, die I Schwäche war zu groß. Nach fünf Minuten drängte die > Schwester zum Fortgehen, und Rudolf ging mechanisch dem Vater nach in dessen Zimmer. Hier sank er wie gebrochen in einen Stuhl und barg das Gesicht in beide Hände. „Vater, Vater", stöhnte er, „wie ist es möglich, daß ein Mensch sich in so kurzer Zeit so furchtbar verändern kann! Was ist mit meiner Mutter, was ist ihr geschehen?" „Was soll ihr geschehen sein?" erwidert der Holz händler unwirsch im Zwang des schlechten Gewissens. ,LSas wirb es sein? Ein Anfall ihres alten Herzleidens." „Das sich bisher niemals in dieser schrecklichen Form gezeigt hat", beharrte -er Sohn. Wemeyer zuckte die Achseln. Zn reden verspürte er keine Lust. In jedem Fall erfuhr Rudolf die Nachricht von der Scheidung seiner Eltern früh genug, weshalb ihn vorzeitig beunruhigen? Er zwang sich und seinen Sohn, an andere Dinge zu denken, indem er sich über den Stand des Geschäftes berichten ließ, und Rudolf vergaß im Eifer des Gespräches die Angst um seine Mutter, und begann zu erzählen, bis man den Doktor meldete. Da fiel ihm freilich sogleich wieder die Geliebte ein, er sprang auf, stürzte ins Vorzimmer und bestürmte dort den SanitätS- rat mit Fragen, daß dieser sich lächelnd die Ohren zu hielt. „Nun aber gemach, lieber Rudolf!" lächelte er ihm M. ,Bringen Sie Ihren alten Doktor nicht noch um! Es geht ja, wie ich Ihnen sagte, besser, ein klein wenig besser, nnd das ist immer mehr, als ich gestern hoffen durfte. Sie sind nun da, und damit wird ein großer Teil der Un ruhe Ihrer lieben Frau Mutter schwinden, und dann haben wir alle Aussicht, sie bald genesen zu sehen. „Ist Ihnen bekannt, was meine Mutter so seA beun- ruhigt hat?" fragte Wcmeyer junior, dem seine Beobach tung am Krankenbett wieder einsiel. „Ich finde sie traurig verändert." „Ich auch", bestätigte der Rat trocken. „Aber Aus- klärung wird mir nicht auf meine Frage. Weder Ihr Vater noch Ihre Mutter sprechen sich auS, und doch mutz die er Zustand einen Grund haben " Der «rtt und der junge Mann sahen sich an. Er wußte wirklich nichts, der gute SanittftSrat, der Freund des Wemeversäien Paares auS jungen Jahren. Was mochte da vorgcsallen sein?! Daß ibm der Vater nicht Rede stehen würde, merkte Rudolf bald, er ging allen Fragen und Andeutungen vor sichtig aus dem Wege; allein, auch die Mutter war ver-
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