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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.01.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-01-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040128026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904012802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904012802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-01
- Tag1904-01-28
- Monat1904-01
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Anzeigen-Preis die 6gcspaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redoktionsstrich (4 gespalten) 75 vor den Familicnaach- richten (V gespalten) 50 Tabellarischer und Zifserniatz entsprechend Höker. — Äebüdren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, obne PostLefvrderung 60.—, mit Postbrförderung 70.—. Aanahmeschlutz für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol; in Leipzig (Inh. vr. B., R. L W. Kltnlhardt). Nr. 5». Donnerstag den 28. Januar 1904. 98. Jahrgang. Var Wckstigrlr vom Lage. * Graf Ballestrem hat bet der vom Reichstag ver anstalteten Feier de» GeburtStaaS des Kaisers höchst beachtenswerte Mitteilungen über die Zeit vor der Operation Les Monarchen gemacht. * Ihre Meldung vom bevorstehenden Rücktritte des Kolonialdirektors von Stübel hält die ,LZoss. Ztg." aufrecht. In ein paar Wochen, nach Er ledigung deS KolonialetaS, werde sich die Richtig keit ihrer Angabe Herausstellen. * Den „Verl. Poltt. Nachr." zufolge ist auf die Zu- stimmung des BundeSratS zu dem Verlangen der Reichstagsmehrheit nach Gewährung von Anwesen- heitSgeldern für die Reichsboten nicht zu rechnen, wenn der Reichstag sich nicht zu „geeigneten Kom pensationen" bereit erklärt. * Im Kölner Streite der Aerzte und der Krankenkassen hat die Regierung die Kassen zur Anerkennung der Forderungen der Aerzte, insbesondere der freien Arztwahl, ge zwungen. * Die „Times" melden aus Söul: Der japanische Konsul beklagte sich beim Minister des Aeußern über Diebstähle, die auf der Eisenbahnstrecke Süul-Fusan begangen würden, und drohte mit ent schiedenen Maßnahmen, wenn Korea unfähig sein sollte, dem Räuberunwesen ein Ende zu machen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Januar. Der Kaiser und das bayerische Zentrum. Der Geburtstag deS Kaiser- gibt dem offiziellen Organe der bayerischen Zentrum-partei Anlaß, sich über den Kaiser in politisch sehr bemerkenswerter Weise zu äußern. DaS bayerische ZentrumSblatt geht davon aus, daß der größte Teil des deutschen Bolte« am GeburtStaae deS Kaiser« mit Gefühlen warmer Sympathie und groyer Verehrung die Blicke nach Berlin richte, und betont, wie sehr der Kaiser sowohl al« Mensch wie al« Monarch solcher Gefühle wert sei. Wörtlich sagt da« Blatt weiter: „Gerade bei uns in Süddrutschland versteht man die Persönlichkeit d«S Kaisers vielleicht besser, al« droben im Norden. Uns Bayern speziell ist manchmal, als ob in diesem Herrscher etwas von bajuvarischer Urwüchsigkeit stecke." Diese Auslassung steht im seltsamsten Gegensätze zu der Haltung, welche die Zentrumspartei des Reichstages dem Kaiser gegenüber in der allerjüngsten Vergangenheit eingenommen hat. Gerade ein Jahr ist verflossen, seit der Abg. vr. Schädler wegen deS Swinemünder Kaiser telegramm« die schärfste Kritik am Kaiser geübt bat. Es war in der ReichStagSsitzung vom 19. Januar 1903, al« Vr. Schädler in Bezug auf jene« Telegramm u. a. ausführte: „Manche Vorkommnisse sind in der Tat geeignet, die Freude am Reiche etwa« zu dämpfen and Besorgnisse hervorzurufen vor imperialistischen und absolutistischen Strömungen. Di» Angelegenheit hat in meiner bayerischen Heimat Aufregung und arge Verstimmung hervorgerufcn ... Die Swinemünder Depesche bedeutet einen Eingriff in die Selbständigkeit und da« Recht der bayerischen Kammer. . . Würde man dazu schweigen, so hieße da«, dem Kaiser Regierungsgewaltrn und Negierungsrechte in den einzelnen Bundesstaaten rinräumen, welche er nicht besitzt." Graf Bülow warnt« in seiner Antwort davor, die Kaiseridee, die dem deutschen Volke mehr sei al« ein formaler Begriff im Sinne der Schädler'schen Ausführungen, anzutasten und zu verdunkeln. Trotzdem berührte vr. Schädler am 28. Januar 1903 auf dem Delegiertentage des bayerischen Zentrum« diesen Punkt mit besonderem Nachdruck. Er malte die Möglichkeit an die Wand, daß die Kaiseridee im Laufe der Jabre sich dahin entwickeln könne, Bayern daS Schicksal von Hannover zu bereiten, und erklärte unter „donnerndem" Beifall: „Wir stehen und schützen das Hau« Wittelsback u»d seinen Regenten gegen diese Kaiseridee". — So schwerwiegende staatsrechtliche Konsequenzen zog vr. Schädler aus dem Swinemünder Telegramm und so ernste politische Beschwerden knüpfte er daran. Dabei sprach vr. Schädler, wie er aus drücklich Hervorbob, im Auftrage der Zentrumsfraktion. Erinnert man sich an diese Aktion de« Zentrums, dann darf man höchlich erstaunt darüber sein, datz das bayerische Zentrumsorgan sich jetzt berühmt, die Persönlichkeit des Kaisers, seine bajuvarische Urwüchsigkeit, besser zu ver stehen, als die Norddeutschen. Es wäre ja sehr erfreulich, wenn die Zentrumsbayern im Lause des verflossenen Jahre« eingeseben hätten, daß nicht die Swinemünder Depesche an sich, sondern nur ihre Veröffentlichung bedauerlich war und daß der Kaiser, wie wir in unserem Leitartikel zu seinem Geburtstage besonders hervorgehoben und nachgewielen haben, mit der peinlichsten Sorgfalt alles zu vermeiden sucht, was als unberechtigter Eingriff in die Rechte derEinzelstaaten ge deutet werden könnte. Gerade bei den Zentrumsbayern ist aber die Befürchtung nicht abzuweisen, daß ihre Bekehrung zu einer besseren Würdigung der Persönlichkeit de« Kaiser« und seines Verhalten« gegen die Einzelstaaten nur eine scheinbare sei und einen bestimmten Zweck verfolgt. Man wird ja bald genug Gelegenheit haben, zu erkennen, ob wirklich das gesamte und daS bajuvarische Zentrum erkannt haben, daß jene Auslassungen de« Abg. vr. Schädler grobe demagogische Uebertreibungen waren. Vereinfachung der Arbeiter-versicherungS-Gesetzgebung. Eine der wichtigsten Seiten der Fortführung der Sozial reform wurde in der letzten Sitzung des Reichstags berührt und zwar von dem Abg. vr. Mugdan. ÄuS feiner Er fahrung als Arzt im Verkehr mit den Krankenkassen heraus trat er für Vereinfachung der Arbeiterversicherung und für Verbindung der Invaliden- mit der Kranken-Versicherung ein. Der Staatssekretär des Innern vr. Graf von PosadowSky war be rechtigt, gellend zu machen, daß dieser Gedanke auch im Reichsamte deS Innern wiederholt erwogen worden sei. Er ist, woran erinnert werden darf, auch schon früher im Reichsversichrrungsamte ins Auge gefaßt worden, als an dessen Spitze noch Herr vr. Bödiker stand. Der Staatssekretär des Innern empfahl zur Verfolgung dieser Angelegenheit das Beschreiten ^seines" Weges, einen besonder« Unterbau zu schaffen. Denn e« sei ganz unmöglich, einer solch gewaltigen Organrsation wie den Invalidenversicherungs-Anstalten noch die Aufgabe der Krankenversicherung aufzuerlegen, ohne daß diese Neubildung sich auf einen selbständigen örtlichen Unter Gegen ein katholisches BtStnm in Eger. Letzter Tage fand in Eger unter großer Beteiligung der Bürgerschaft die gründende Versammlung des „Vereins deutscher Hausbesitzer in Eger" statt, zu welcher u. a. Abg. Jro, VizebürgermrffterVr. Bernardi« und zahlreiche Mit bau stütze. Bei dem letzten JnvalidenversicherungSgesetze wollte der Leiter des Reichsamts des Innern in der Aus bildung der Rentenstellen viel weiter gehe«, al- der Bundes rat und der Reichstag, weil er au« seiner Tätigkeit als Landeshauptmann der Provin; Posen die praktische Erfahrung gewonnen hatte, daß die allgemeinen Staatsbehörden wegen Geschäftsüberlastung in einer großen Zahl von Fällen diesen sozialpolitischen Aufgaben nicht mehr ausreichend gerecht werden und die sozialpolitischen Fragen nicht mehr so ver tiefen können, wie es durchaus nötig ist, namenllich um der Gefahr vorzubeugen, daß unberechtigte Ansprüche an erkannt werden. Daß der Staatssekretär und der Teil der verbündeten Regierungen, der ihm damals zustimmte, Recht batten, ergab sich auS den vorgestrigen Ausführungen des Abg. vr. Mugdan, von dem Graf PosadowSky anerkannte, er spreche aus dem Leben. Aus dem, waS dieser Abgeordnete sagte, ging hervor, daß der wichtigste Abschnitt der Rentenfest setzung, die Begutachtung in der Lokalinstanz, vielfach mecha nisch gehandhabt wird. Und dies ist ein Fehler, vor allem ein solcver für die finanzielle Lage der Invalidenversicherungs anstalten. Dabei entsteht die Gefahr, daß Renten festgesetzt werden, die unverdient sind, oder vielleicht auch die, daß jemand eine Rente nicht bekommt, die er gesetzlich be anspruchen kann. Daß die bei Verabschiedung deS letzten JnvalivenversicherungsgesetzeS beliebte Bildung deS Verhält nisses zwi'chen den Jnvaliden-BersicherungSanstalten und den vom Staat ernannten Vorsitzenden der Schiedsgerichte keine «deale war, ist damals im voraus erkannt worden. Gleichwohl stellte die Errichtung örtlicher Schiedsgerichte gegenüber den bisherigen zersplitterten kleinen Schieds gerichten einen so wesentlichen sozialpolitischen Fortschritt dar, daß man sich sagte: versuchen wir einmal, wie dieses schwierige dienstliche Verhältnis zwilchen Jnvaliden-Versiche- rungsanstalt und Schiedsgerichts-Vorsitzenden wirkt; geht die Sache nicht, so muß man der ganzen Einrichtung eine festere hierarchische Form geben. Wir würden e« für nütz lich halten, wenn aus dem Reichstage heraus mehr Stimmen als bisher zu dieser wichtigen Seite der Fort führung der Sozialreform sich vernehmen ließen. Denn darüber kann kein Zweifel bestehen, daß die Fortführung und der weitere Ausbau der Versicherungs gesetzgebung, wenn sie Dauer haben und zum Segen wirken sollen, nur möglich sind, wenn zuvor eine Vereinfachung der bereit« bestehenden Versicherungsgesetzgebung in die Wege geleitet wird. Man darf gespannt sein, ob diese Forderung nicht auch in der Denkschrift eine gewisse Rolle spielen wird, die den verbündeten Regierungen demnächst zur Frage der Arbeiter-Witwen-Versicherung zugehen soll. Von der Beschaffung eines besonderen Unterbaus möchten wir un« auch eine Besserung desjenigen Verhältnisses versprechen, das sich bedauerlicherweise bei der Kranken versicherung berausgebildet bat. Abgeordneter vr. Mugdan erwarb sich ein Verdienst, al« er au«iührte: „Die Kranken versicherung bat der Sozialdemokratie sehr viel genützt, weil sie damit in den Kassen Tausende von Parteigenossen in leitende Posten bringen tonnte." Die Neigung zu vermehrter sozialdemokratischer Ringbildung würde durch die vernünftige Ausgestaltung eines tragfähigen Unterbau« zedenfall« durch brochen werden. glieder der Stadtvertretung erschienen waren. Abg.Jro besprach wirtschaftliche Fragen und wandte sich sodann in scharfer Weise gegen die Bestrebungen der Klerikalen aus Errichtung eines katho lischen Bistum« in Eger. Welchen wirtschaftlichen Vorteil klerikale Gründungen für eine Stadt bedeuten, könne jedermann an dem Kloster der Schwestern vom heil. Ki-euz sehen, welche wohl HauS um Haus aufkaufen, die Bedürfnisse des Klosters aber zum größten Teile durch auswärtigen Bezug decken. Redner verwies gleichzeitig aus das Sonderrecht deS Egerer und Ascher Gebietes, daS für die deutschen Eger länder auch in der Bistumfrage richtunggebend sein werde. In einer einstimmig angenommenen Entschließung wird dem Bedauern über die vom Hausbesitzerverein kürzlich gefaßte Entschließung für die Errichtung eines römischen Bistums Ausdruck gegeben, da durch diese Entschließung der Bevölke rung der alten freien deutschen Reichsstadt Eger aus der Erinnerung gebracht werden soll, daß die Stadt Ester und das Egerland als ein von Böhmen unabbängigrS Gebiet niemals Böhmen einverleibt wurden, und der katholische Teil seiner Bevölkerung von Rechtswegen dem Regensburger Bistum zugehört. Englische Finanzen. Nachdem die wachsende Schutzzoll-Flutwelle in England die freihändlerischen Finanzminister Hicks Beach und Ritchie von ihrem Platze fortgespült bat, liegt die Leitung des Schatz amts in den Händen deS Herrn Austen Ebamberlain, den sein Vater gewissermaßen als imperialistischen und fiska lischen Schildkalter im Kabinett zurückgelassen bat. Auch der neue Mann hat die gegenwärtige Finanz lage als schwierig bezeichnen müssen und er hat wenig tröstliche Ausblicke für die Zukunft geben können. Der Boerenkrieg hat enorme Summen verschlungen, viel mehr, als sich irgend jemand in England Kälte träumen lassen. Dabei erlcheinen die eigentlichen KriegSkoslen noch als ein verhältnismäßig gcring'ugiger Betrag, obwohl aucy diese von solcher Höhe waren, daß mit Recht gesagt werden kann, Engjand Hal niemals einen so teuren Krieg geführt als diesen nur wenige Jabre dauernden Kampf nut einem mili tärisch weit schwächeren und finanziell äußerst mangelhaft gerüsteten Gegner. Die Bedeutung der Ereignisse von l899 bis 1902 und was der Krieg dem britischen Reiche kostet, daS kommt erst in seinen Nachwirkungen zum Ausdruck. Der Krieg hat eine Unzahl von Schäden und Mißständen auf gedeckt, deren Beseitigung als unumgänglich notwendig an erkannt worden ist. Infolgedessen sind die staatlichen Ausgaben und die Reichsschulb gestiegen wie nie zuvor. Seit 1888,89 sind die jährlichen Ausgaben um 35,5 Mill. LstrS. oder um 36 Proz., nämlich von 108 Millionen auf 143,5 Mill. LstrS., die Nationalschuld in dem gleichen Zeitraum um 163 Mill. LstrS. gewachsen. In noch erheblich größerem Maße sind die Ausgaben der städti schen Gemeinden gestiegen. Während von 1880/81 bi« 1890 91 der Totalbetrag der Aufwendungen au« städtischen Mitteln von 63 auf 71 Mill. LstrS., also nur um 8 Mill, oder um 12 Proz. wuchs, brachte daS folgende Jahr zehnt eine Vermehrung dieser Ausgaben auf 134 Mill. Lstr«. oder um nakezu 100 Pro;. Daß unter dielen Umständen an eine Erleichterung der Steuerlasten vor der Hand nicht gedacht werden kann, ist selbstverständlich. Andererseits werden es sich die Vertreter deS Schuyzollprinzips nicht nehmen lassen, auch diese Verhältnisseal« ein gewichtiges Argument für bieAblebrvom Frei bandel in die Wag'chale zu werfen. Jedenfalls darf man als sicher annehmen, daß Handel und Wandel in England noch auf Feuilleton. In der Brandung. 3j Roman von Wilhelm Fischer. «Nachdruck verboten.) Zweites Kapitel. Rechtsanwalt vr. Werner hatte den Baron diesmal seiner Krau geschickt, weil er den ihm angekündigten Be such eines Grafen Treuberg erwartete, der ihm brieflich mitgeteilt hatte, daß er ihn in einer wichtigen Prozeß angelegenheit zu konsultieren wünsche. Kaum hatte der Baron das Bureau des Freundes ver lassen, um die eine Etage höher belegene Privatwohnung aufzusuchen, als eine einfache MietSdroschke vor dem Hause hielt, welcher ein älterer, etwas krank auSsehender Herr mit vieler Mühe entstieg. Ein Blick auf das distin guierte Aeußere deS Fremden, der auf dem linken Beine schwer hinkte, sagte dem Rechtsanwalt, daß er den Grafen vor sich habe; er eilte seinem vornehmen Besucher entgegen und bot ihm seinen Arm als Stütze den dieser, sich kurz vorstellend, acccptierte. vr. Werner geleitete seinen Klienten in sein Privatbureau, wo er ihm einen Sessel hinrollte, in dem sich der Graf schwerfällig und behutsam nieüerließ; der Graf war überdies schwer augenletdend; er trug dunkle Augengläser un- war fast blind. „Danke sehr, Herr Rechtsanwalt", sagte er und deutete wie erklärend auf sein linkes Bein, daS er steif und ge streckt hielt. „Mein linkes Bein! Der unglückselige Sturz bei der Lteeple-Chase vor sieben Fahren. Mein Kopf und dies Bein kamen dabei sehr schlecht weg. Und Heidi, mein armer Gaul, mußte totgeschofsen werden. Nun, daS kommt vor." „Herr Graf, Sie schrieben mir . . .", sagte vr. Werner und suchte den Brief des Grafen. „Ganz recht. Zur Sache! Meine lieben Verwandten, hungrige Tanten und Basen, wollen, wie ich von meinem Verwalter hörte, mich alten Europäer unter Kuratel stellen." Vr. Werner horchte auf: „Ist die Klag« schon ein geleitet?" „Noch nicht, aber das Unglück schreitet schnell, wenn es von Verwandten kommt. Mein Neffe Baron Briesen ist beauftragt, die Karre ins Geleise zu rollen." „Baron Briesen!" fubr der Rechtsanwalt überrascht auf; -em Grafen entging die». „Glauben Sie, daß wir diesen Angriff aus dem Hinter halt gewinnen werden, Herr Doktor?" fragte er. „War sonst ein guter Fechter, aber jetzt bin ich marode und mir selbst zur Last." „Sie scherzen, Herr Graf!" „Mein bitterer Ernst! Invalide, halb blind, hinkend, wie die Hexen in Macbeth! Ja, ja, das Leben ist eine tolle Sinfonie und ihre Grundstimmung ist der Ekel. Dlit den Gerichten habe ich mich noch niemals hcrumgcschlagen. Jetzt, da ich alt werde, der Ruhe bedarf, jetzt, Teufel, wirft man mir den Handschuh hin." ,/Wir werden ihn aufheben." „Ein Graf Treuberg als Schauobjekt der Kriminal studenten, Milieu eines SensationsprozesscS. Und mein Bild in -er Zeitung, um mich herum die habsüchtigen Ge sichter meiner lieben Verwandten, als Unterschrift wo möglich: „Eine nette Familie!" Reizend, waS!" „Sie übertreiben, Herr Gras. So schlimm wird wohl die Sache nicht werden! Vielleicht läßt sie sich noch arrangieren", meinte Vr. Werner lächelnd. ,/Unter keinen Umständen ein Arrangement. Alles, nur den Gang nach Canossa nicht!" wehrte der Graf leb haft. „Selbst wenn ich wollte, wäre ein solcher Versuch völlig aussichtslos. Kenne meine Verwandten! Wenn der Tiger einmal Blut geleckt hat, wird er stets aus Menschen jagen. Sie wollen Geld, nichts als Geld." Der Graf zog ein Portefeuille aus der linken Brust tasche und entnahm demselben ein größeres Schriftstück, da- Portefeuille legte er achtlos auf den Tisch, während er das Schriftstück auSeinanderfaltete. .Labe da für alle Fälle eine Zusammenstellung meiner außergewöhnlichen Depensen gemacht, von denen ich an nehme, daß sie eS sind, die meinen Verwandten das Material zu ihrem schroffen Vorgehen gegen mich geben. Werden die Güte haben, und diese Zusammenstellung prüfen. Bei dem einen ober anderen Posten brauche ich auch sonst Ihren Rat." Er überreichte dem Rechtsanwalt da- umfangreiche Verzeichnis, da» dieser in eine Mappe legte, dann füllte vr. Werner eine Prozeßoollmacht aus, die der Graf unter schrieb. „Mein Rennstall, den ich inzwischen aufgelöst habe, erlitt Verluste über Verluste. Hatte Malheur Uber Malheur", erzählte dann Graf Treuberg und machte es sich ächzend in dem Sessel bequem. „Dann mag ich auch leichtsinnig gelebt haben. Kurzum, meine Kassen sind so stark engagiert, daß meine lieben Verwandten meinen völligen Ruin befürchten und retten wollen, was zu retten ist. Gebe zu, daß ich manches verschuldet habe. Alles je» doch nicht." „Ich verstehe! Die wirtschaftliche Depression, die eine schon lange Zeit anhält; der sinkende Wert des Geldes und der Güter hat auch Ihnen geschadet", meinte vr. Werner in geschäftsmäßigem Ton. „Ganz recht!" nickte der Graf, „dazu unsere Dumm heit, daß wir uns daran gewöhnen, keinen Tag unter 100 Mark zu verleben. Dazu das verdammte Jeu. Ge wöhnen Sie sich das nicht an, Herr Doktor, man ist gar bald vi» L vis <ie risn." „Sie hatten doch auch in Ihren ordentlichen Ein nahmen, wenn ich mich so ausdrücken darf, Verluste?" fragte vr. Werner. „Gewiß!" entgegnete der Graf. „An meinem tollen Leben war nur ein Weib schuld, gut und schön, das von mir ging, kar 65pit warf ich dann Tausende zum Fenster hinaus. Und von da ging es mit mir auch sonst bergab." Herr Graf, wozu die Qualen der Erinnerung!" mahnte der Rechtsanwalt, al» er bemerkte, wie sehr seinem Gegenüber die Erinnerung zusetzte. „Und so verfiel ich mit mir und der Welt. Ich wurde meinen lieben Verwandten Freiwild, auf das sie los hetzten mit Meute und Jagdtroß. Das Gekläff der Meute treibt mich zu Ihnen; treibt mich bis in den GerichtSsaal. Aber ich werde mich meiner Haut wehren", setzte er er regt und mit dem Krückstöcke Heftig auf den Boden stoßend hinzu. „Ein Treuberg wächst mit der Gefahr. Auf Ihre Hülfe rechne ich unter allen Umständen." „DaS dürfen Sie, Herr Graf", sagte vr. Werner und verbeugte sich leicht. „Ich werde Ihre Aufstellung prüfen und später die Ausführungen der gegnerischen Partei sichten. Erst der Angriff, dann die Abwehr!" „Meine Verwandten werden mich für einen Ver schwender erklären, der imstande ist, an seinem Mafo- ratSvermögen zum Spitzbuben zu werden. Ich muß auf alle» gefaßt sein." „Da» müssen Sie!" Mein Gott, in unseren Kreisen, in denen alle noblen und sagen wir unnoblen Passionen zu Hause sind, ist der Kavalier schnell, besonder» wenn er Pech hat, ein Verschwender. Eine Summe, die ich nach dem Gesetze noch gestern, ohne Verschwender zu sein, ranggemäß aus geben durfte, muß ich mir beute verkneifen, um nicht unter Kuratel zu kommen. Fassen Sie einen günstigen Augenblick, und Sie können die halbe Gesellschaft unter Kuratel stellen." „Das wissen auch unsere Richter", warf der Rechts anwalt ein. ,Lmmer fatal. Man hat zuweilen Kredit nötig und versteht es aber nie, sich einzuschränken. Dann kommen die Schulden, und der Verschwender ist da. Gemein ist ein solcher Uebcrfall unter allen Umständen. Man bleibt nicht mehr Herr feiner Geheimnisse, das ist das Schlimmste." „Haben Sie viel und hoch gespielt, Herr Graf?" „Nicht mehr und nicht weniger, wie in unseren Klubs üblich ist. Ich war in Monte Carlo und habe nicht ge spielt. Aber im Kreise meiner Standcsgenossen konnte ich mich nicht brücken. Ich mußte spielen, wenn ich nicht haben wollte, daß sie über meine Vcrmögensverhältnisse allerlei munkeln. Wenn man einmal A gesagt hat, muß man auch in dieser Beziehung bei uns B sagen. Das gilt als korrekt. Glauben Sie mir, es ist oft ein Krieg um den Schein bis aufs Messer, der in unseren Reihen so manchem tüchtigen Kerl das schmähliche Ende gebracht hat; voxue la ktalörs!" Der Graf erhob sich mühsam und stützte sich schwer auf seinen starken, kostbaren Krückstock. Auch vr. Werner erhob sich. „Werde Ihnen die Klageschrift znsenden, sobald ich sie erhallen. Habe meinen Verwandten nur deshalb vorgcgrisfen, weil ich ihnen einen so ausgezeichneten und charakterfesten Sachwalter, wie Sie es sind, nicht gönnen wollte. Also auf Wiedersehen", sagte der Graf und schritt mit Unterstützung deS Rechtsanwaltes aus dem Privatbureau des letzteren nach seiner MictS- drrsschke, die ihn schnell entführte. Weder er noch der Rechtsanwalt bemerkten, daß daS Portefeuille deS Grälen auf dem Tische liegen geblieben war. (Fortsetzung folgt! 22s Mmryer L Sohu. Roman von M. Prigge-Vtook. '.oairn«» «ervoeen Rudolf hebt seine Augen auf und sieht gerade vor sich in ein Gesicht, das er nie hat vergessen können, — m bas von seines Vater« Frau. — . Wie ein elektrischer Scklag zuckt da» Blut durch seinen Körper, er wendet nicht die Augen ab, er muß sie ehcn, und Erna gibt seinen Blick zurück, langsam tritt in ihr schöne« Antlitz dunkle Röte, die Adern auf der glatten Stirn treten vor, man steht, sie müht sich vergeben», etwa«
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