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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.01.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-01-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190401102
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19040110
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19040110
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- unvollständig: S. 205-212 (4.+5. Beilage) fehlen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-01
- Tag1904-01-10
- Monat1904-01
- Jahr1904
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.01.1904
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i.1) 1.0 i.Q i.v t-I- i.V i. l>ri>. U. v»6 U. li. 6. U. L. 0. 6. d»3. b-ü tt. b»8 o. o. v 0. s. L L. r s. L 3. S. i.v i. v 1.0. i.l>. i. v i.v i-v w.Op.^ w.Op.37 1V. 1.0. r.v i. v j.v.M j. v <1«N<»Il. zr.v.S7:— t. :,t t«». >1. u. ii. lt. äi S. s. L z. z. !. ». l.U.10S,DL » r. >. i. i. o» Ll»rk: 1.0. 1L 1.0. 1.0. !:L co. >.o. i.o. «. o i.v. ».o 1.0. i. o. 1.0. uv. i. o. i^oet-O. l.s-t-0. °k u»r»: 1.L > 1.0. Vez«q-«Prei- tn der Hauptexpeditton oder deren Ausgabe- ftelleu abgeholt. vierteliährltch S.—, de, zweimaliger täglicher Zustellung in- k»au- ^l 8.75. Durch Vie Poft bezogen für Deutsch, land u. Oesterreich vierteljährlich ^l 4.5V, für die übrigen Länder laut Zeitmig-prei-üstt. Redaktion und Erve-Mo«: IohanntSgasse 8. Fernsprecher 153 und SSL. Liiialeupeditioneu: LkftetzHahn, Buchhandlg., UaiversitSt-str.3, L. Lösche, Latharinenstr. Ich n. KönigSpl. 7. Haupt-Filiale Vrerden: Marienstraße S4. Fernsprecher Amt 1 Nr. 171S. Haupt-Filiale Serlin: Earl Duncker, Herzgl. Bayr. Hosbuchhandkg„ Lützowstraßr 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4503. MpMer TagMM Anzeiger- Amtsblatt -es Äöttiglichen Land- und -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates nn- -es Volizeiamtes -er Lta-L Leipzig. Anzeigen-Pret- die 6gespaltene Petitzeile 2S Reklamen unter dem Rrdaktion-strich (4gespalten) 75 vor den Familiennach. richten («gespalten) 50 H. Dabellarischrr und Ziflrrnlatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenauuahme 35 H (ezck. Porto). Grtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung V0.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännatimeschluß für Anzeigen: Abrnd-AuSgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bi- abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 16. 98. Jahrgang. Sonntag den 10. Januar 1904. Var Aichtigrte vom Lage. * Der Fürsterzbischof von Prag, Frhr. v. SkrbenSky, wurde auch von «der Kaiserin in Audienz empfangen. — * Das neue Ansicht st enorgan „Der fr^te Arbeiter" reizt besonders zum Generalstreik an. * Durch Auslosung wurde ein Teil der Ver schwörer auS der Umgebung des Königs von Serbien entfernt. — * Tine Note der Pariser offiziösen ,-Agence Havas" auS Tokio besagt: Die Regierung erklärt daS Gerücht, daß eine Expedition nach Korea demnächst ab gehen solle, für unbegründet. Das Dementi scheint anzubeuten, daß die russische Note das Ueber- gewtcht Japans in Korea anerkennt. ver Srortbrrrog io öer verberge. In Heinrich Heines zerrissenem Wesen ist ein Zug jedenfalls von rührender Schönheit, der StammcSzug der Jamilienliebe, insbesondere die Verehrung für den schwächereichen Vater. Gar seltsam mutet es uns heute an, in Les SohneS Werken zu lesen, wie der Vater dem Jungen Unterricht gegeben — im Wohltun. Unterricht im Wohltun? Wozu soll der gut sein? Kann man den über haupt geben? Nun, ein deutscher Großherzog, der Hessen- Darmstädter, hat erst vor wenigen Tagen dem deutschen Volke eine „Lektion im Wohltun" erteilt, als er am heiligen Abend in der Herberge zur Heimat unter die Mühseligsten und Beladensten seiner Residenz trat und mit ihnen das Christfest beging. GS war eine Tat, es war «in Ereignis, und die Tele graphenbeamten bekamen zu tun. Zuerst lagerte starres Staunen über den deutschen Fluren, rechts urrd links und in der Mitte Schweigen. Das mochte schließlich noch hin gehen, daß der Fürst sich unter die Plebs gemischt hatte, aber daß er keine Rede, auch nicht die kleinste An sprache, gehalten — so etwas war in Neu-Deutschland noch nicht dagewesen. Für den Politik-Studenten (von sruäsrv — eifrig beflissen sein) kam nun eine reizvolle Zeit: die Analyse der politischen Gruppen in 'Bezug auf ihren Gehalt an sozialem Oel wurde ein gut Stück gefördert. Schwer betroffen war die gesamte „Genossenschaft: die Handlung des Grobherzogs paßte gar nicht in ihr Pro- gramm und in ihrem politischen Lexikon fand sich kein Be handlungsschema für den Fall vorgezeichnet. Die ge schicktesten Journalisten der Partei suchten und fanden nichts; sie schlugen den Band „I" auf und suchten unter „Fürst". Da stand: „Fürst (der) ist Las Haupt der Bourgeosie; er lebt, wie seine Anhänger, die nur zu ihm halten, weil sie ihn nötig haben, vom sauren Schweiße dcS Proletariats, wird von waffen strotzenden Knechten vom Volke fern gehalten und verabscheut jede Berührung mit diesem. Er ist hochmütig und schwach be gabt und muß abgescht werden. Im Zukunftsstaate gibt es keine Fürsten mehr." Das paßte nicht, darum schlugen sie den Band „fV" auf und sahen nach unter „ Wohltun ". >Da stand: „W ohltun (das) ist cineBelcidigung für den Nehmer, der nur sein Recht bekommt, und eine Schlechtigkeit von dem Geber, der nur protzen und den anderen beschämen will. Der Bour geois übt nur Wohltätigkeit auf Bällen und in Konzerten oder damit sein Name genannt werde. Der Nehmer schuldet dem Geber keinen Dank. Edel ist nur der „Genosse". Im Zu kunftsstaate gibt es keine Wohltätigkeit mehr." Das paßte auch nicht; beim besten Willen paßte es nicht. Darum taten die „Genossen" das Beste, was sie tun konnten: sie machten „Pst, pst!", dannt die Kunde von dem merkwürdigen Großherzoge nicht zu tief in das Volk dringe. Nur einige wenige ganz Schlaue sagten: „Es war weiter gar nichts, cs war eine Menschlichkeit". Und damit hätten sie recht haben — sollen. Auf der andern Seite standen diejenigen, in deren Pro grammen die Kürstentreue den besten und größten Platz einnimmt und fett gedruckt wird, beinahe ebenso betreten. Ja, wenn die Sache in aller Förmlichkeit vor sich gegangen wäre! Der Großherzog in großer Uniform, rechts und links ein Minister, im Hintergründe eine Reihe Hellebar diere, und wenn dann Se. Königs. Hoheit die „Vertreter" der Landstraße feierlich ermahnt hätte mit „Ihr" und „Euch", treu zu Kaiser, Reich und allen Bundcsfnrsten zu halten, ja dann hätte man sich die Geschichte noch gefallen lasten. Aber so — ohne alle Etikette! Wo bletbt da die Majestät und das Gottcsgnadcntum? Und besonders, wo bleiben die ftn der Verfassung abgeschafsten) Gtandesvor- rechte? Freilich wurde ein „Hoch" ausgebracht, aber auch nur von einem Pennbruder, und dann hatte sich der, den man hochleben ließ, vorher unerkannt entfernt. Alles in allem: eine peinlich« Affäre. Es war daher nur das Lautwerden eine- vielstimmigen Geflüsters, wenn ein norddeutsches Blatt, LaO »tt dem Glanze imitierter viSmarck-Brillanten zu blenden versucht, dem Großherzog von Hessen ein Monitum erteilte, und das von Rechtswegen, denn was nutzt den Leuten, die ihre Weisheit aus Hamburg beziehen, die königlichste Hoheit, wenn sie mit HerbergSgäften „fraternisiert"? Aber es muß gesagt werden, daß Kiew Stimme ver einzelt blieb, wenn auch von keiner anderen Stelle der rechten Sette offene Zustimmung laut wurde. Um gerech! zu soin: das war verwunderlich. Und zwar darum war es daS, weil in letzter Zeit ein ganz merkwürdiges Expert- ment mit ebenso merkwürdigem Geschick in aller Oeffent- lichkctt vorgeführt wurde, nämlich die Erweckung der scheintoten konservat'ven Presse zum Leben. Nachdem schon seit einiger Zeit in Blättern von politisch - kon erva- tiver, religiös - orthodoxer Richtung der selbstangelcgte Loyalitäts-Maulkorb sehr gelockert worden war, brachte es jüngst sogar ein schlesisches, allerdings fre konserva tives Organ fertig, ganz energische sachliche Oppmuion in militärischen Dingen zu machen. Hier sei der Naivetät der Einwurf erlaubt: „Aber nur in Fragen äußerlicher Art, in Untformfragen." Sehr richt-g. SimpliciuS! Mer dazu gehört in den Kreisen noch mehr Mut, als für die zweijährige Dienstzeit zu fein. Aber wo blieb der Kämpe aus den Reihen dieser wieder jung gewordenen Politiker, der die Farben von Hessen-Darmstadt sich an -en Helm gesteckt hätte? Dazu reicht die Courage denn doch nicht aus. Leute, denen alle politischen Ultras verhaßt sind, rechnen sich ja wohl zu den Mittelparteien (bitte, nicht mit Zentrumzn übersetzen) undhabengewöhnlich einen Fehler: sic tun den Mund nicht gern auf, höchstens wenn man sie auf die Füße tritt — dann bitten sie um Entschuld gumg. Das ist, mit Respekt zu melden, töricht, aber es ist so. Dementsprechend benehmen sie sich airch in unserem Falle: Nur kein lautes Wort, weder des Lobes, noch des Tadels Und während dieser Zeit sagte manch einer von denen im deutschen Volke, die lieber mit freien Augen als durch oine gefärbte Brille iehcn: „Er muß doch ein edler Mensch fein." Und merkwürdig, sogar manche, die sonst rote Brillen tragen, sagten das, aber nur, wenn sie die Brillen einmal absctzcn dnrften, nnd auch dann nur ganz leise. Und wenn man alle die'e, die offen oder heimlich so sprechen, zu- sammcnzählen könnte, es würden viele Millionen heraus, kommen, viel mehr, als je eine Partei Wähler gezählt hat. Und wenn es viele überflüssigen Hochs gegeben hat und noch geben wird, das Hoch in der Darmstädter Herberge zur Heimat am heiligen Abend war nicht überflüssig; und wenn es nur dazu gedient hätte, der hübschen und lehr- reichen Geschichte von dem guten Großhcrzoge eine hübsche und lehrreiche Pointe zu sein. 8. Deutsches Reich. * Berlin, 9. Januar. * Die deutsche Post im Auslände. Der Förderung der deutschen Post- und Telegrapheneinrichtungen im Aus lande, namentlich in den Schutzgebieten, hat die Postver waltung auch im vorigen Jahre besondere Aufmerksamkeit zugewendct. Namentlich in Ostasrika und Südmesiafrika sind neue P o st a n st a l t e n errichtet und auf diese Weise neue Verbindungen geschaffen worden. In China wurden an vier weiteren Plätzen deutsche Postämter eröffnet, näm lich in Nanking, Jtschang, Tschingtschousu und Tschvutsun. Der- Telegraph und mit ihm der Fernsprecher sind in verschiedenen Gebieten weiter ins Innere des Landes vorgedrungcn, nämlich in Togo, wo die Tcle- graphenlinie von Lome nach Agomc Paltme dem Verkehr übergeben werden konnte, in Kamerun, wo die Tele graphenlinie von Victoria über Buen nach Duata fertig gestellt wurde, und in Ostafrika, wo die von Tar-cs- Dalaam ausgehende Zentraltelegraphenlinie bis Tura wcitergcsührt worden ist. In Ostafrika sind ferner Reichs- telcgraphenanstaltcn im Zusammenhänge mit der Weiter führung des britischen Kontinentaltelegraphen Kapstadt- Kairo in Ujiji und neuerdings im Usambaragebiete in Muhesa, Amani, Korogwe und Wugiri inS Leben getreten. Ortsfcrnsprecheinrtchtungen sind in Duata (Kamerun) und Okahamlja (Südwestafrika) eröffnet worden; ferner ist in Bagamoyo (Ostafrika) die dort seit einigen Jahren be stehende Fernsprech-Umschaltestelle in ein Ortsfernsprech- netz umgewandelt worden. DaS neue Jahr wird hossent- lich weitere Fortschritte bringen. Vor allem ist die baldige Vollendung des ostafrikanischen Ueberlandtelegraphcn not wendig. * Zme Schadenersatzpflicht der Gewerkschaften wegen Anstiftung zum Vertragsbruch ergreift in der neuesten Nummer der „Deutschen Stimmen" ein hervorragender Jurist das Wort. Bekanntlich ist in England in zwei Fällen die Verurteilung der Gewerkschaften von den Arbeitgebern 'durchgescyt worden; sowohl die Gewerk schaft der Taff Vale-Eisenbahner wie die der wallisi'äftn Bergleute haben wegen Ueberredung zum Vertragsbruch und deS daraus den Arbeitgebern entstandenen Schadens je 2 Millionen Mark an die letzteren zu zahlen gehabt. Im Hinblick auf diese Fälle ist in der deutschen Presse bchairp- tct worden, auch unsere Gesetzgebung ermögliche eine solche Schadloshaltung des Unternehmertums. Das ist nach dem Gewährsmann der genannten Halbmonatsschrift indessen nicht der 'Fall; unsere Gesetzgebung bietet nach ihrem heuti gen Stande noch keine Handhabe zu dem gedachten Vor gehen. DaS v. G.-B. kennt kein« Vorschrift, nach welcher der zum Vertragsbruch Anstistende schadenersatzpflichtig ist. Tenn das B. G.-B. erwähnt den Anstifter allein im 8 880, macht hier jedoch nur den Anstifter zu einer u n - erlaubten Hand ung im Sinne des 8 823 ersatzpflich tig. Vertragsbruch ist aber ein« solche unerlaubte Hand lung nicht. Auch 8 828, nach dem derjenige zum Schaden ersatz verpflichtet ist, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zu fügt, ist nicht anwendbar. Das Tatbestandsmerkmal der vorsätzlichen Schadenzuftigung liegt bei der zum Streike anslisten-den Gewerkschaft fraglos vor; denn diese will ja die Arbeitgeber gerade dadurch zur Gewährung besserer Lohnbeüingungen zwingen, daß sie ihnen durch den Ver tragsbruch der Arbeiter Schaden zufügt. Dagegen scheitert die Anwendung des 8 826 an dem Erfordernis der Unsitt- lichkeit. Denn die Anstiftung zum Vertragsbruch als eine Unsittlichkeit im Sinne 'dieses Paragraphen aufzufassen, ist nicht ohne weiteres möglich. Auch im Falle der Zu erkennung der Rechtsfähigkeit an die Berufsvereine — eine Frage, die von der „Antisoz. Korr." völlig unberech tigt mit diesem Gegenstände in Verbindung gebracht wor den ist — wäre an der Rechtslage nichts geändert, weil auch eine Einzelperson wegen Anstiftung zum Vertrags bruch in der Regel nicht ersatzpflichtig gemacht werden kann. * Z« der angeblich geplanten Herabsetzung der Total»» satorpener schreibt der „Hannvv. Cour." u. a.: In einer Konferenz von Vertretern der hervorragendsten Renn vereine mit Kommissaren von fünf preußischen Ministerien und drei Neichsämtern soll eine wesentckche Herabsetzung der Totalisatorsteucr angeblich von 20 auf 6 Prozent, be schlossen worden sein, um den Totalisator wieder rentabel zu machen. Eine durch ihre Urteilslosigkeit hervorragende Korrespondenz war dazu ausersehen, die frohe Mur der Welt zu künden und die beabsichtigte Maßregel damit zu empfehlen, daß die Buchmacher und die Wettbureaus aus diese Werse lahmgelegt würden. Da aber die Steuer selbstverständlich auch bisher von den Wettbureaus voll in Anrechnung gebracht worden ist — andernsalls wäre es o senkundiger Schwindel gewesen —, so wird eine Herabsetzung der Totalisatorsteucr weder den Rennvereinen, noch dem Publikum, sondern wieder lediglich jenen unsauberen Elementen zu Gute kommen, die von dcrAusbcutungdeSNenn- wett un wesens leben. Ter weitaus grüßte Teil der Wettenden wird in Zukunft so wenig wie jetzt daran denken, die Rennplätze selbst aufzusuchen Man muß einen Einblick in die Hunderte von Cigarren- und Frtseurläden gehabt haben, die kaum mehr ehrlichem Erwerb und Ge werbe dienen, sondern ihr Geschäft säst nur noch als Aus hängeschild für die Wcttenvermittclung führen, man muß das Publikum dieser Lokale, die Droschkenkutscher, Tienst- männer, Kellner, kleinen Handwerker, Untcrbeamten, Handlungsdiencr, man muß das fiebernde Interesse gc- iehen haben, das sie einem unverstandenen Gegenstände entgegenbringen, ganz gleich, ob es sich um Pferde- oder Radrennen, ob es sich um das Interesse von — Roß täuschern oder Fahrradsabriken handelt, um zu wissen, welch schwärendes Geschwür unserm Volkskörper hier gewaltsam angezüchtet worden ist, dem der verhältnis mäßig harmlose Handel mit Hoffnung in Staats- und Privatlotterien, bei aller Entrüstung der Eiferer, nie einen nennenswerten Schaden zugefügt hatte. Wir setzen unsere Hoffnung auf die in Preußen maßgebende Stelle. AaiserWil Helm II. hat sich bisher dem Nennsport auffallend ferngehalten, offenbar nicht, weil ihm die Landcspferdezncht und die Pflege edier Neiterkunst nicht ebenso am Herzen lägen wie all den sogenannten „Sportkreisen", die jene Zurückhaltung stets ostentativ be klagen, sondern klärlich darum, weil ihn das Milieu an widert, das den einstmals nur vornehmen Elementen offenen „grünen Ra en" zum Sammelplatz von de klassierten Glücksrittern, 'chmicrigen Geschäftsleuten, Prostituierten beiderlei Geschlechts, Volksausbeutern und Blutsaugern jeder Art gemacht hat. Hoffentlich setzt ein Machtwort des Herrschers den Bestrebungen von inter essierter Seite, diese Zustände zu verewigen — Bestre bungen, die leider auch von manchem ehrlichen Sports freund aus mißverständlicher Interessengemeinschaft ge fördert werden —, einen starken Damm entgegen. Tann mag der Rennsport wieder von sich selbst aus blühen und gedeihen, als Betätigung ritterlicher Kraft und Gesinnung, nicht als schmarotzendes Geschwür am sozialen Körper. * Das neue Anarchistenorgan „Der freie Arbeiter" ist zum ersten Male erschienen. ES tritt in ganz an ständigem Kleide, mit gutem Druck auf ziemlich feinem Papier aus und ist von viel größerem Format als das eingegangene Anarchistenorgan „Neues Leben". In seinem Aufrufe „An die Genossen" heißt cS: „Keinem denkenden Arbeiter kann der scheinbare Widerspruch in der Entwickelung der deutschen Arbeiterbewegung ent gangen sein: daß trotz des politischen Fortschreitens der Sozialdemokratie die Arbeiterbewegung zu einem ge fährlichen Stillstand e.gckommcn ist. Das ver- flosfene Jahr, das den Dreimillionensieg am Sttmmkasten brachte, hat der Arbeiterbewegung eine Reihe bedeutender Wunden geschlagen. Nie sind mehr Streiks verloren ge gangen, nie waren die deutschen Arbeiter machtloser gegenüber Aussperrungen und Maßregelungen der Unternehmer. Diese haben es verstanden, eine Reihe fcstgcschlosscncr Kampforganisationen zu schassen, und während die Arbeiter ihr Schicksal von dem Aus gange parlamentarischer Debatten abhängig glauben, versetzt ihnen das vom Staat« unterstützt« Unternehmer tum Schlag auf Schlag. Nun, wir sagen auch — und Tausende haben eS längst eingesehcn —, der Widerspruch zwischen diesem politischen „Siege" und den tatsächlichen Niederlagen der deutschen Arbeiterbewegung ist nur ein scheinbarer, in Wirklichkeit haben wir eS mit zwei zu einander gehörigen Folgen einer Ursache zu tun. Diese Ursache aber ist die ungeheure Ueberschätzung der politischen Aktion und die ebenso ungeheure Vernachlässigung »er wirtschaftlichen Aktton . . . Längst haben sich in anderen Ländern die Arbeiter zum großen Teile rüstiger wirtschaftlicher Kampf aktion »ugewendet. Schon kommt der wirtschaftliche Kampf in seiner höchsten Steigerung als General, streik immer häufiger zur Anwendung." — Das ist also das alte anarchistische Programm: die Massen sollen so gedrillt werden, daß alle auf einmal die Arbeit nieder legen und wie in Spanien und Holland zum General streik greifen. Auch in dem ganzen Nvtizkram wird hauptsächlich für den Generalstreik Stimmung gemacht. So wird auseinandergcsetzt. daß in Bilbao die Macht des Generalstreiks sich glänzend erwiesen habe. Interessant ist auch die Mitteilung, daß der russische Anarchisten führer W. Tschersekoff eine neue russische revolutionäre Monatsschrift ankündigt, die den radikalen E'cmenten im Kampfe gegen /ver räterisch« Angriffe der Gemäßigten" dienen soll. Es wäre entsetzlich, wenn in den russischen Genossen der revolutionäre Geist wieder geweckt würde, der ausgangs der siebziger und anfangs der achtziger Jahre zu un erhörten Schandtaten führte. Nun, man wird ja in Rußland auf die neue Monatsschrift ein wachsames Ange haben. Bei uns beweist die Ausstattung des „Freien Arbeiters", der wie alle seine Vorgänger wöchentlich ein mal erscheint, daß die Anarchisten wieder über ganz an sehnliche Mittel verfügen und also Aufmerksamkeit verdienen. * Eine Dcutschverlcugnuug enthält Nr. 98 der „Che- miker-Zeitung" (Herausgeber vr. Krause in Köthen). Auf den Seiten 1202 und 1208 heißt es in einem Aufsätze „Chemie und Chemiker in Ceylon" von einem Herrn l)r. P. W. Koller aus Paris, wie folgt: „Was die soziale Stellung der Chemiker betrifft, so wird es einem gebildeten Manne ein leichtes sein, mit der besten englischen Gesellschaft zu verkehren; man muß es aber dann ' gleich bei der Ankunft vermeiden, sich mit seinen Landsleuten zu tief einzulassen, von denen viele ihre geringe Bildung durch größere Schlauheit zu ersetzen suchen." Irgend welchen Zweifel, daß der Verfasser mit diesen Landsleuten Deutsche meint, läßt er nicht. Er warnt auch an anderer Stelle davor, sich mit Deutschen zu verbinden und empfiehlt mit zwei englischen Junggesellen einen gemeinsamen Haus halt zu führen. Das nennt man doch offene Preisgabe des Nationalgefühls zu Gunsten deS geschäftlichen Vor teils! Befremden muß es ferner aufs höchste, daß die „Chemiker-Zeitung" es zugelassen hat, daß eine derartige Gesinnung in ihren Zeilen ausgesprochen werden konnte. * Von einem neuen sozial-publizistischen Unternehmen berichtet eine Berliner Korrespondenz : „Milten im Wirtschafts leben stehende Männer der Praxis haben sich zusammen getan und wollen sich eine eigene fortlaufende Serie selb ständiger Broschüren gründen, welche die Anschauungen der Praxis zum Ausdruck bringen soll. Die Serie heißt: „Sozialwirtschaftlickc Zeitfragen". Der Heraus geber ist der frühere stellvertretende Generalsekretär des Zentralverbandes deutscher Industrieller und jetzige Syndikus der Handelskammer Saarbrücken, vr. Alexander Tille, der Verlag die Firma Otto Elsner in Berlin. Die Serie will der überlegenen menschlichen Arbeits kraft, der geistigen und der physischen, wieder zum ersten Platz in der wirtschaftlichen Betrachtung verhelfen, die nationale Seite der Volkswirtschaft in den Vordergrund stellen, und das Wirken an der nationalen Größe des ganzen Volkes zum Prüfstein für die Gesundheit wirtschaftlicher Strömungen machen. Es soll endlich einmal der Standpunkt vertreten werden, daß die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsgelegenheit für das Volk die einzige soziale Großtat ist, und daß alles andere, waS em Unternehmer für seine Arbeiter tun kann, weit dahinter zurücktritt." In der Serie sollen anscheinend hauptsächlich der Kathedersozialismus und die „Soziale Praxis" bekämpft werden. * Der Kaiser hörte heute vormittag im Neuen Palais bei Potsdam den Vortrag des EbefS des Marine-Kabinetts. Im Anschluß an die Audienz beim Kaiser wurde der Fürsterzbischof von Prag Frhr. v. SkrbenSky auch von der Kaiserin empfange». — Der ehemalige Reichstagsabgeordnete Seyboth hat an scheinend keine Revision, beim Reichsgerichte angemeldct, sodaß inzwischen das Urteil rechtskräftig geworden sein dürste. — Aus der „Juristischen Wochenschrift" hatten wir eine Notiz über die Milgliederzahl der Hülfskasse für deutsche Rechts anwälte übernommen; dabei war aber ein Irrtum untergelaufen. ES heißt in der Notiz: „Der Hülfskasse gehören von 4800 An wälten noch immer nur 2338 an ; cs muß aber heißen: „ihr ge hören 48>O Anwälte an, weitere 2333 noch nicht". — In der Berliner Diplomatie hält sich der „Voss. Zta." zu folge das Gerücht, daß Charlemagne Tower, der Berliner Botschafter der Union, in absehbarer Zeit anderweitige Ver wendung finden werde. Als der vom Präsidenten Roosevelt in Aussicht genommene Nachfolger Towers gilt Seth Low, der bis- herige Mayor von New Porr. * Celle, 8. Januar. Gegen den Gemeindevorsteher Brammer in Bonstorf war wegen seiner welfisch en Ab- stimmung bei der letzten Landtagswakl ein Disziplinar verfahren eingeleitet worden, nachdem er der Aufforderung des Regierungspräsidenten zu Lüneburg, sein Amt niederzu legen, nicht Folge geleistet hatte. Nunmehr bat der KreiS- ausschuß, der dieser Tage hier tagte, gegen Brammer auf Amtsentsetzung erkannt, „da er sich des Vert rauenS, daS sein Beruf erfordere, unwürdig gezeigt habe." — Nach einer Mitteilung deS hannoverschen WelfenblattcS wird Brammer gegen dieses Urteil Berufung beim Oberverwaltungs gerichte einlegen. Die Verteidigung führte RechtSanwalt I)r. Oelschläger-Lüncburg. Die beiden anderen Gemeinde vorsteher, die gleichfalls dem wclfischen Kandidaten ihre Stimme gegeben batten, waren der Aufforderung zur Amts niederlegung nackgekomincn. * Gotha, 9 Januar Der Herzog von Koburq-Gotha «t gestern Abend von London nach Bonn avgrrrist. * Mülhausen, 8. Januar Auf der Tagesordnung der letzte» Gemeinderatssitzung sland die Aufnahme der Gehälter der katholischen Vikare in da« Budget. Die Sufficht-behvrd« hatt- bckanutlich mit Zustimmung de» Ministerium« entschieden, daß dies, Gehälter eine Pstichtausgabe der Gemeind- seien. Der Gemeinderat lehnte, unbeschadet «etter« grundsätzlich« Prüfung der Frag«, ab
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