02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.02.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040222029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904022202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904022202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-02
- Tag1904-02-22
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Bezugs-Preis tu der Lauptexveditton oder deren Ao-gabe- strlleu abgeholt: vietteljShrttch S.—, bet zweimaliger tüalicher Zustellung in« Hau» 3.7k. Durch die Posi bezogen für Deutsch land «. Oesterreich vierteljLdrltch 4.K0, für die übrigen Länder laut Zettung-preiSItste. Redattiou und Urdedttto«: JohanniSgafle 8. Fernsprecher 1K8 u. 222. Ftltelerdkdtttonen: Alfred Hahn,vuchdandlg.,UniversttSt»str.» (Fernspr. Nr. 4046), L. Lösche, Katharinen straße 14 (Fernsprecher Nr. 2V3K) u. KönigS- platz 7 (Fernsprecher Nr. 7K0K). Hsntzt-SUtale Dresden: Martenstraße 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Verlta: TarlDnncker, Herzg lBayr.Hofbuchbandlg., Lützowstraße w(FerusprecherAmtVI Nr.4603.) Abend-Ausgabe. KlMer TaMM Anzeiger. Amtsblatt -es HSniglichen La«-- «n- -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Nates und des Nolizeiamles -er Ltadt Leipzig. Nr. 96. Montag den 22. Februar 1904. 98. Jahrgang. Anzeigen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redattiontstrich (4gespalten) 7K nach den Famtlteunach- richten (6 gespalten) ÜO H. Tabellarischer und Ztsfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 2Ü Extra-B «tla««« (gefalzt), n«r mit der Morgen-Au-gab«, ohne Postbef-rderung ^tl 60.—, mit Postbesörderuug 70.—. «nnahmeschlutz für Anzeigen: Abend-Au-gabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Au-gab«: nachmittag« 4 Uhr. Anzeige« find stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« mtnntrrbrocheu geöffnet von früh 8 bi« abead« 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pskz in Leipzig (Inh. vr. V.,R. » W. KlinkhardtX Var Aichtigrte vom lagt. * Die Berbandlungen »wischen Aerrten und der Orts krankenkasse zu Leipzig sind endgiitig gescheitert. * Paul Göhre wurde al« sozialdemokratischer Reichs tagskandidat in Zschopau-Marienberg aufgestellt. * Nach russischen Berichten haben die Japaner in dem Seegefecht von Tschemulpo zwei Schiffe verloren. Der russisch-japanische Krieg. Auf keine Meldung au« dem fernen Osten ist mehr Verlaß, namentlich wenn sie von englischen Korrespondenten stammt und ganz besonder-, wenn sie den Stempel amerikanischer Fabrikation an der Stirn trägt. Heute müssen wir folgendes Deneentt verzeichnen, da«, wenn e- nicht wieder dementiert wird, durch ein -Datum" der Kriegsgeschichte einen dicken Strich macht. Es besagt: * Port Arthur, 21. Februar. (Rufs. Telegr.-Agentur.) Die Meldung über die japanischen Torpedoangriffe vom 14. Februar jst erfunden zum Zwecke der Aufmunterung der japanischen Flotte; einzig wahr daran ist, daß Schneesturm ge herrscht hatte. Alle früheren und späteren Versuche der Japaner find nicht ohne Verlust zurückgewiesen worden. Wir hatten wiederholt starken Zweifeln an der Richtigkeit der Meldung Ausdruck gegeben. Sie haben sich nunmehr anschei nend bestätigt. Immerhin bleibt Tatsache, daß auch nach dem 9. Februar die japanischen Schiffe vor Port Arthur Attacken versucht haben, woraus hervoraeht, daß es in ihrem Kriegs plan liegt, Port Arthur zum Mittelpunkte einer Hauptaktcon zu machen. Es soll von der Land- und Seeserte belcmert werden. Auf eine Bestätigung der Nachricht, die russische Port Arthur-Flotte habe die hohe See gewonnen, haben wir bisher vergeblich gewartet, doch ist sie auch noch nicht dementiert worden. Annexto« A»r«a»p Die Japaner haben zwar offiziell und feierlich erklärt, daß sie keinerlei Gebietserweiterung anstreben, das war aber wohl ouw grau« sslis zu verstehen, d. h. mit Ausnahme von Korea, wie ja- auch Rußland das chinesische Territorium respektieren will, natürlich mit Ausnahme der Mandschurei. Schon in einem Teil der Auflage unsere« heutigen Morgen blatte« konnten wir berichten: * Part Arthur, S1. Februar. Rach einer Meldung der „Russischen Telegraphen - Agentur" habe der japanische Gesandte am S. Februar dem Kaiser von Korea mttgetetlt, daß Korea sich von heute ab unter japanischer Verwaltung befinde; falls es sich nicht unterwürfe, würde der Palast durch Truppen besetzt. Weder der Regierung van Karra, nach den fremden Gesandten ist von de« Japaner« varläustg Mitteilung van de» Abbruch der diplomatischen Beziehungen zugegangeu. Bei dieser Gelegenheit dürften einige Angaben über die Persönlichkeit des Kaisers von Korea erwünscht sein. Noch vor Ausbruch de« Krieges geschrieben, finden sie sich in dem soeben im Verlag von Heinemann (London) erschienenen Buche „Korea" von dem bekannten englischen Reisenden AaguS Hamilton. Der Herrscher von Korea steht im 55. Lebensjahre. Die Regierungsgeschäfte übernahm er im Jahre 1864 als ein drei zehnjähriger Knabe. Er heiratete zwei Jahre später die Prin zessin Min, eine Dame von vornehmer Geburt und etwa dem selben Alter al« der Herrscher. Der dieser Ehe entsprossene Sohn ist der Kronprinz. Se. Majestät ist von etwas untersetzter Statur im Vergleich zu der durchschnittlichen Größe des koreanischen Volkes. Er besitzt ein ansprechendes Antlitz, und gelegentlich einer Unterhaltung huscht ein gewinnendes Lächeln über seine Züge. Seine Stimme ist weich und wohllautend, er spricht geläufig und überzeugend, aber zuweilen vermag er doch eine gewisse Gereiztheit und nervöse Energie nicht zu bemeistern. Der Kaiser beherrscht auch nicht eine der westlichen Sprachen, aber er studiert mit Eifer solche Bücher und Arbeiten, die für den Gebrauch in den koreanischen Schulen aus europäischen Quellen übernommen und in die Landessprache übertragen worden sind. In dieser Weise hat er manche Kenntnisse gesammelt, hat er Gelegen heit, stets auf dem Laufenden zu bleiben. Er ist ein freund licher, gütiger und bewunderungswürdiger Monarch, der für sein Land und seine Untertanen nur das Beste will. Der Kaiser pflegt während der Nacht zu arbeiten und er scheut, wenn e« die Reaierungsgeschäfte und die Interessen des Landes erheischen, sich nicht, bis zur späten Abendstunde sich mit seinen Ministern zu beraten. Er hat unbestrittene Fehler und Charakterschwächen — nach europäischen Begriffen, die der Verfasser aber nicht zum Maßstabe einer Kritik machen will. Auf der andern Seite hat der Monarch aber auch manche Vorzüge, die von den Ausländern, die ihm in seinem Reformwerke behülflich sind, vollauf anerkannt und gewürdigt werden. Seine Majestät sei entschieden von fortschrittlichem Geiste beseelt, und als der autokratnche Monarch eine» Lande-, das sich äußeren Ein flüssen bisher hartnäckig widersetzte, verdient er von selten der Europäer ungeteilte Bewunderung. Obwohl Autokrat, ist sein Machteinfluß doch nicht so groß, wie in Europa vielfach geglaubt wird. Der Kaiser ist ein Spielball der Intrigen derjenigen Partei, die im Augenblicke den größten Einfluß auSzuüoen vermag und in der Leitung der Geschäfte des Landes die Oberhand besitzt; auch ist er ein Sklave der Im moralität seiner Frauen. Wenn er diesen und ihren poli tischen Machinationen glücklich entronnen ist, wartet seiner schon der überaus fähige und skrupellose Minister Ai Aona-ik. Er ist der Chef des Haushaltes und herrscht als solcher über den Monarchen mit einer eisernen Rute. Es tut nichts zur Sache, in welcher Richtung der Wille de» Monarchen sich kundgibt, eS ist sicher, daß die befohlenen Anordnungen beeinträchtigt werden, entweder durch die Konnivenz der Palastkonkubinen oder durch die an die Minister gezahlten Bestechungsgelder. Wenn der Kaiser den Mut hätte, Ai Aong-ik zu degradieren, würde vieles gebessert werden, aber der Herrscher ist sich wohl bewußt, daß kein anderer Minister bisher im Beschaffen flüssiger Gelder so erfolgreich war, und da der koreanilche Staatskoffer an einer notorischen Leere leidet, bebält der Kaiser Ai Aong-ik als seinen intimsten Vertrauten und Berater bei. Der Minister hat sich aus den niedrigsten Anfängen emporgearbeitet, und wenn man ihm Recht angedeihen lassen will, so kann man nichts anderes sagen, als daß er Sr. Majestät nach bestem Können dient. Dennoch ist er abwechselnd gefürchtet und verachtet. Ai Aong-ik ist pro-russischer Gesinnung und solche teilt der Kaiser selbst. Nochmal- ,Jvarjag" und „Aorejetz". * Ein Telegramm des russischen StaatSratS Pawlow au- Schanghai vom 18. d. M., woselbst er an Bord des französischen Kreuzer« „Admiral Gueydon" ankam, berichtet über dre letzten Tage seine- Aufenthalts in Korea nach Peters bürg: Am 26./1. schickte ich angesichts der telegraphischen Unter brechungen und der Kriegsvorbereitungen der Japaner das Kanonenboot „Korejetz" von Tschemulpo mit der Post nach Pott Arthur und benachrichtigte den Kreuzer „Warjag" daß er auf alle möglichen Fälle gefaßt sein müsse. Als der „Korejetz" die Reede verließ, begegnete er einem japanischen Geschwader, bestehend aus sechs Kreuzern und acht Torpedobooten. Ein Kreuzer machte Jagd auf den „Korejetz", den dann die Torpedoboote umgaben und auf den sie drei Schüsse abgaben, ohne zu treffen. Der „Korejetz" schoß nicht, sondern kehrte auf die Reede zurück und ankerte. Nachts landeten japanische Transportschiffe 3000 Mann und besetzten Soeul. Die Behörden und Truppen von Korea blieben untätig. Am folgenden Morgen erhielt der Kommandant des „Warjag" von dem japanischen Admiral die amtliche Mitteilung vom Beginn der Feindselig keiten und die Aufforderung, die Reede zu verlaßen, widrigen falls er mit dem gesamten Geschwader angegriffen würde. Die ausländischen Schiffe wurden ebenfalls aufgefordert, die Reede zu verlassen, falls die russischen Schiffe dort blieben. Der „Warjag" und der „Korejetz" fuhren in See hinaus. Tie Japa ner forderten sie nun durch ein Signal auf, sich zu ergeben. Da sie keine Antwort erhielten, wurde das Feuer eröffnet. Nach der Schlacht wollten die russischen Schiffe, da der „Warjag" ernste Beschädigungen unter der Wasserlinie erlitten hatte, die Reede wieder aufsuchen, um die Beschädigungen auszubeffern. Da aber der Kommandant die Unmöglichkeit einsah, die Reede zu erreichen, so sandte er die Mannschaften mit den Verwundeten an Bord der französischen, englischen und italienischen Kreuzer, die ein lebhaftes Interesse bekundeten. Der russische Dampfer „Sungari", welcher am Tage vorher angekommen war, wurde von seiner Mannschaft angezündet und zum Sinken gebracht. An dem Kampfe nahmen auf japanischer Seite teil: die Kreuzer „Asam", „Naniwa", „Takot- schiko", „Tschijoda", „Akashi" und „Niitaka". ES wurde festgestellt, daß daS Feuer der russischen Schiffe ein japanisches Torpedoboot zum Sinken brachte und den Kreuzer „Asama" zwang, das Feuer im vorderen Drchturm einzustellen. Auf dem „Asama" wurde auch die Kommandobrücke zerstört. Gegen abend sank der „Tokatschiho". Am nächsten Morgen gab auf der Reede der japanische Kreuzer „Asama" SsOTote und Ver wundete an Bord eines Transpottschiffes. Die Tapferkeit und Entschlossenheit der russischen Seeleute errang die Bewunderung und Sympathie der anwesenden Ausländer. Nach dieser Schilderung haben auch die Japaner beachtens werte Verluste gehabt. So dürfte es auch bei Port Arthur der Fall gewesen sein, wenn das japanischerseits auch be stritten wird. weitere rNek-nnge«. * Shanghai, 21. Februar, abends 10 Uhr. (Reuter.) Gedrängt von dem japanischen Konsul befahl Tao-tei dem hier liegenden russischen Kanonenboot umüUhrnachmittags.denHafen zu ver lassen. Das Kanonenboot kam dem Befehl nicht nach. (Das wäre eine Verletzung der Neutralität Chinas durch Rußland. D. Red.) Wie es heißt, wird das Geschwader von Pei-yaug, das gegenwärtig vor Aiang-yiu sich befindet, nach Shanghai kommen, um dazu bei zutragen, die Ordnung aufrecht zu erhalten und es den japanische» Schisfsgesellschasten zu ermöglichen, den Dienst zwischen Japan und Shanghai wieder zu eröffnen. * Aden, 21. Februar. (Reuter.) Als das englische Paket boot „Mongolin" 460 Meilen nördlich von Aden gestern nach mittag einem russischen Panzer und 4 Torpedojägern begegnete, versuchte eines dieser letzten Fahrzeuge, es abzufangen. Der Versuch blieb erfolglos. Das Geschwader begann alsdann eine Jagd auf die „Mongolia", ohne sie zu erreichen. Als das Ge schwader „Halt!" signalisierte, stoppte die „Mongolia". Nach vor genommener Untersuchung signalisiert« «1« Torpedojäger: „Bitte zu entschuldigen". Da« Geschwader hoffte augtnscheinlich ei» japa nisches Schiff abznfangrn. * Bombay, 21. Februar. (Reuter.) Der russische Oberst Kornikoff ist nach Quetta abgereist. Man verweigert« ihm die Erlaubnis, bei Chaman über' die afghanische Grenz« zu gehen. Man glaubt, daß man die Eisenbahn von Sibi nach Lhamau in eine doppelgleisige umbauen wolle. Der Haupttunuel der Eisenbahn bei Muschki ist schon durchgeschlagen und in einem Monat fertig. Das gegenwärtig vor Dschibuti liegende russische Geschwader besteht aus einem Panzer, 3 Kreuzern, einem Kanonenboot, elf Torpedobootszerstörern. * Tre-den, 21. Februar. Heute wurde in der hiesigen russischen Kirch« im Anschluß an den Bormittagsgottesdienst eine Seelenmesse für die im Osten gefallenen Krieger gelesen. Bor der Messe verlas der Geistliche ein im Auftrage des Kaisers von Rußland an den hiesigen russischen Gesandten vom Minister Grafen vom Lambsdorff gesandtes Telegramm. Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. Februar. Die Buhlschaft des Grase« Posadowsky. „Geheimer Buhlschaft klage ich sie an", so singt -er finstere Graf von Telramund und deutet mit der ge harnischten Hand dräuend auf die liebliche Jungfrau, die sich -eS schweren Verdachtes nicht zu erwehren «weiß. Ganz so zieh der Fr e ihe rr v. Z e d litz in der letzten Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses den Grafen Posadowsky -er Buhlschaft mit der Sozialdemokratie. Niemaird wird daran zweifeln, daß dieser Vorwurf nicht allein darauf berechnet ist, im Parlament seine Wirkung zu üben; er zielt höher hinauf. Herr v. Zedlitz scheint die Kraft in sich zu fühlen, -en Grafen Posadowsky zu ersetze», anders ist die oLgeschmackte Insinuation doch nicht zu erklären. Irr-essen dürfte der Kaiser sich daran erinnern, -aß es eine Periode gab, in der ihm die Kreise, denen jede Gozialreform un sympathisch ist, seine Reformneigungen zum Bovwurfe machten. Jedenfalls dürfte die öffentlich« Meinung mit seltener Einmütigkeit darin übereinstimmen, daß Graf Posadowsky sich durch seine ganze Tätigkeit das Vertrauen fast aller Parteien erworben Hat, und -aß «S außerovdent- lich schwer fein würde, ihn vollwertig zu ersetzen. Wir glauben daher, daß Herr v. Zedlitz zum Ministerstürzen erst noch ivciterc Praxis erwerben muß, und daß er für diesmal einen Versuch mit untauglichen Mitteln ge macht hat. Wie „kommandierende Generale" behandelt »erde«. Bei der Kantfeier in Königsberg ist die Presse recht schlecht behandelt worden, obwohl doch Kaiser Wilhelm gelegentlich konstatiert hat, daß die Redakteure großer Blätter mit den kommandierenden Generalen rangieren. In Ämerika allerdings, in Königsberg nicht. Rektor und Senat der Kgl. Älbertus-Unioevsttät verwahren sich nun in einem Schreiben an die ,/Voff. Ztg." gegen diesen Bonwurf. Zur Charakteristik dioses kultur geschichtlich wertvollen Dokuments sei nur ein Passus daraus zitiert; er lautet: „Ferner werden Sie daraus ersehen, daß cs keinem der Herren benommen war, sich von der stattlichen Tribüne des Saales aus von dem Verlauf des Essens, zu dem sie doch unmöglich als Gäste eingeladen werden konn ten, Kenntnis zu verschaffen und schließlich an dem Kommerse Feuilleton. Die Freundin ans Nnlfisch-Polen. Don Elsbeth Meyer-Foerster. Nachdruck verboten. Immer wenn ich an der hochgelegene» Wohnung im lateinischen Viertel die Klingel zog, und die huschltge PensionSmutter erschien, konnte ich mich einer peinlichen Empfindung nicht erwehren. In diesem Pensionat schien nichts auf Besuch einge richtet, am wenigsten aber Frau Cztchon, die Besitzerin selbst. JedcSmal wenn man kam und geklingelt hatte, er schien sie in der schmal geöffneten Tür mit dem Ausdrucke des Entsetzens Jedesmal riß sie mit so schrecklicher Hast die Küchenschürze ab, daß der Gast, beim Krachen der leinenen Bänder, sich mehr erschreckt als geehrt fühlen mußte. Irgend einen Gegenstand, ein Messer oder einen Fleischklopfer, oder eine andere Mchenwaffe, die sie in den Händen trug, ließ sie dabei verschämt Hinterm Rücken verschwinden, nnd wenn der Gast seine Karte abgab und nach Herrn oder Fräulein so und so fragte, murmelte sie unverständliche Worte und schlug ihm die Tür wieder vor der Nase zu. Kurz, das Entree zu Madame Czichon mar immer ein Ding der beiderseitigen Verlegenheit, und ich begriff die reizende Hella nicht, die sich gerade dieses Pensionat zum Aufenthalt ausgewählt hatte. Ja, damals begriff ich «S nicht. Es war so dunkel da, und so winklig. ES ivar die Luft so dumpf und die Wände waren so finster, eS gellten auS dem Fabrikgebäude des Hofes die Töne der Dampf« pfeifen in die geöffneten Fenster, und wie bet armen Leuten roch xs nach Esten und Bettluft. Aber dergleichen Kalamitäten sind in den großen Absittternngsanstalten Berlin« keine Seltenheit, dort, wo zwanzig, dreißig junge, nicht allzuwvhlhabendc Menschen ihren Appetit an den rätselhaften Schüsseln stillen und mit ihren Talenten, ihrem Genie, ihren Studien, ihrer Lebenslust den Ein druck de« Dürftigen verwischen, der über dieser Masten wirtschaft liegt. In HelkaS Zimmer war cS auch übrigen- sonnig. Ihr« weißen Hände, von keiner Arbeit verdorben, bereiteten mit tausend kindischen Kleinigkeiten Behagen, und baß einzige, was störte, war der durchdringende Parfümgeruch, der die Atmosphäre förmlich tränkte. Aber „in Polen", sagte Helka, „liebt manS so". Und so fing ich nicht an, über guten Geschmack zu streiten. In kannte Polen nicht. Ich bewunderte eS aus der Ferne. Es schien mir ein Land voll von fabelhaften Begriffen; Vorstellungen von Grazie, von Frauen mit blendenden Zähnen, von weißem, selt samem Pelzwerke und schwermütig wilden Tönen ver banden sich in meiner Phantasie mit jenen von weiten, stillen Schneeflächen, Herrenschlöfsern und einsam um herstreifenden Wölfen. Kurz, Polen war der Inbegriff des Geheimnisvollen, und ich glaubte Hella, wenn sie sagte: „Ihr lebt hier nicht, Ihr vegetiert. Was leben heißt, das versteht man nur bei uns." Das Fremde und Großsprechende in Hellas Wesen wirkte eben aus mich mit aller Macht. Im Milien dieser etwas schmutzigen, kleinen Pension schien sie mir eine von den Oiestalten, wie sie die Romane mit so viel Aufwand von Entzücken schildern: «ine Aristokratin aus altem, edlem Blut, vielleicht verarmt, aber vornehm in Wesen und Gesinnung. Ich bewunderte, wie sic, obgleich die Leute empört hinter ihr herriefen, auf der Straße mit freimütiger Ruhe ihr Schleppe wallen ließ, als wäre die Schleppe von Ge burt an das notwendige Uebel, mit welchem sie sich tragen müsse. Nenn sie ihre kleine Börse verlegt hatte und Geld lieh von mir, wagte ich nie, eS zurückzufordern, weil ich den kleinen Posten, mit dem sich zu meinem Miß vergnügen meine Gedanken sehnsüchtig beschäftigten, für unter ihrer Würde hielt. Kurz, ihr Einfluß aus mich war groß, und während ich mit dieser schönen Polin „ging", vernachlässigte ich mein« deutschen Freundschaften, und meine guten Mädchen schrieben böse Abschtedsbriefe. Zum Winter reiste Helka wieder heim. Ihre Studien waren beendet, die Musikschule absolviert. Mir war, als ginge ein Stück meines Herzens mit ihr. Berlin schien mir verödet. Der Saal des Konservatoriums, so voll von schwatzenden Mädchen, war einsam ohne sie, und während Professor Kffpert zur Theoriestundc das Podium betrat und 'ein langmähniges Haupt gedankenvoll erhob, versuchte ich mich klein zu machen und mich zu verstecken, um seiner Aufmerksamkeit zn entgehen und von Polen träumen zu können Nun schrie- mir Helka lang« Vries« und erwähnt« ihr «tnsames alte» Schloß. „Unsere «hnrn-ilber", berichtet« sie, ein weiblicher Chamisso, „sehen mich verwundert an, als wollten sic sagen: Wo bist du gewesen? Polnisches Blut soll sich nicht von der Schwelle trennen. — Ach, liebes Kind, welches Leben jetzt in unserem Hause! Was Gast lichkeit ist, so im großen, verschwenderischen Stile, das wißt Ihr dort drüben nicht. Der Samovar brodelt den ganzen Tag In der Küche ist ein einziges, großes Morden Du müßtest das sehen. — Maman in ihrem langen, seidenen Schlafrock läßt sich nicht Ruhe, sie rauscht durch alle Zimmer, überall will sie zum Rechten sehen. — Ich, Mignonnc, ich tne nichts, Du weißt ja, das ist meine Kunst. Ich tanze, spiele, amüsiere unsere Gäste. — Nur der gute Papa. Der ist immer müde, hat nicht so die rechte Freude daran. Der gehörte zu Euch da drüben, zu Ench Kopfhängern. — Aber nichts von ihry- — O Du müßtest kommen, Kleine, und mich besuchen hier, Du würdest auftaucn! Und ich, wie würde ich mich freuen, Dich wtedcrzuschcn! Aber ich weiß, Du kommst ja nicht." Glaubte sie wirklich, Ich würde niemals kommen? Tat sie alles, was sie — wie ich später sah — Törichtes, Un würdiges, Unwahres tat, in diesem Glauben? Ueber unserer Korrespondenz war ein Jahr ver gangen. Da erhielt ich eine Einladung zu entfernten Verwandten, auf ein vbcrschlesischeS Gut. Nach langer, langer Stadthaft durfte ich mir diese Ab wechselung gönnen. An einem Dezembcrtvge reiste ich ab. Wochenlang blieb ich in dem gastlichen Sause, das der Waise etwas wie Heimat war. ES schien mir unmöglich, nach diesem Aufenthalt tn der großen, schönen, winterlichen Natnr In die Straßen Berlins zurückzukehren zu dem eintönigen Studium der Fugen und Etüden. Vor meiner Rückreise aber in die Hauptstadt wollte ich ein Wiedersehen mit Helka seiern. DaS verwandtschaft liche Gut lag nicht weit von der russisch-polnischen Grenze. Zwei Stunden Bahnfahrt, wurde mir gesagt, und Za- gorne, der Wohnsitz -er Freundin, wäre erreicht. An einem frostigen, klaren Wintertage machte ich mich auf. Die Britschka -cs Lnkel« brachte mich bis zur Station. Pietro, der Kutscher, wartete pfltchtgetreu neben seinem Wagen hinter dem Stationszaun, dis er mich Has Loupee besteigen und den Zug tn vewegung setzen sah. Freud«, Hoffnung, A-enteoerlust erfüllt« »AH, Mit Kattowitz war die Grenzstation erreicht. Ein ganz verändertes Leben umfing mich. Russisch-Polen! Ich stand am Coupeesenster und versperrte den andern Insassen wahrscheinlich jeden Ausblick; so begierig war ich, die ersten Zipfel von Russisch-Polen zu studieren. Aber dann kam die Paßvisitation, die Zolluntcrsuchung, fremde, finstere Männer mit Värenmützcn auf dem Kopfe bemächtigten sich meiner und meiner kleinen Tasche, ich hörte eine fremde, schnelle Sprache, wurde hin- und her geschoben, fragte, erhielt keine Antwort, war dem Weinen nahe und fand endlich erst durch die rettende Hülfe eines jungen frcnndlichen Deutschen mein Coupee und dadurch einen Teil meines Selbstvertrauens wieder. Wie groß, wie unheimlich schien mir jetzt aber Russisch- Polen. Und von diesen verwirrenden Eindrücken verstärkt, gaukelten phantastische Bilder vor mir auf. Ich sah in mitten eisiger Winterpracht auf polnischer Steppe ein altes Schloß, und Helka, tn einem knappen Reitkletd, die Auf fahrt herabkommcn. Ich schritt im Geiste durch düstere, vornehme Zimmer, sah den Samovar brodeln un- um den Kamin eine Gesellschaft ritterlicher Männer und graziöser Frauen versammelt. Freude und Scheu zugleich be schlichen mich bet dem Gedanken, als unerwarteter und überraschender Besuch bei der Freundin anzulangen. Aber hatte sic nicht unzählige Mal, tn jedem einzelnen Briefe geschrieben: ^Komme wann immer und auf wie lange Du willst! Ein Zimmer wird stets für Dich bereit sein!" Eine halbe Stunde hinter Sosnowice hielt der Zug. Mein Ziel war erreicht und ich kletterte mit Herzklopfen aus dem Coupee, um gleich den anderen Reisenden dem BabnhvfSausgangc zuzueilen. Der Bahndamm lag erhöht, und mit weit aufgeriffenen Angen stand ich nnd starrte die Landschaft an. Ach, wie sah alles grau und trostlos aus. Da war kein meilenweites Schneeland, waren keine Schloßztnnen aus der Ferne zu erblicken. Grau, schmutzig, wegelos dehnte sich öde, lcbmlgc Halbe, »nd was am fernen Horizont ge spenstig ausragte, hak waren einzig Fabrikschornsteine, unfreundliche, riesige Schlote. In so traurige Umgebung hatten SelkuS Eltern ihr Schloß gebaut? Dergleichen trostlose Orte waren bei uns in dem langweiligen Preußen kaum zu finde«. (-«rtsetzlm, fnlßt.)
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