Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.02.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040223020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904022302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904022302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-02
- Tag1904-02-23
- Monat1904-02
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis «uzelgen-Prel« in der Hauptexpeditio« oder deren Ausgabe- die 6gespaltene Petitzeile 25 stelle» abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei — ,, zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» Reklamen unter dem Redaktisnsstrtck .4l 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch- W t I W W W <4ge,palten) 75 ^L, nach den Famitteunach- land u. Oesterreich vierteljährlich .4l 4.50, für W richten (6 gespalten) 50 die übrigen Länder laut ZeitungSpreisliste. nM W MW Tabellarischer und Zifsrrnsay entsprechend «...m..u..Iß ^I Ii^FLiß^I^ Mß EUßU ß^llI ßl 11 ' KLLLrs?^ «. F.-°I-r.ch„ I» W. m I I II H I I I I I II II I IIIIIII «.„--„'M«.- Ftlialexpedittonen: M Morgen-Ausnabe, odnr Pvstbesörderuug AlfredHahn,Buchbandlg.,UniversitätSstr.3 ( D V M.-, m, t Postbeförderung 70.—. UIW Annahmeschluß für Anzeigen . vl°?7?LL?eck/r L O Abend.AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Haupt-Filiale Dresden: DI 1 ß ßß Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Mariensttahe 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). d Die Expedition ist wochentags ununterbrochen , « , geöffnet vou früh 8 bis abends 7 Uhr. L--.D«Amtsblatt -es Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, »»« P.>, <- --,°»!i-°d-lo,s.Mi»r,ch,«miviR-.«°l.> dcs Aales und des Aolizeiamtcs der Ltadt Leipzig. E-,.o,.»..R.L«.>»u»ih-°di> Nil. 98. Dienstag den 23. Februar 1804. 98. AllhlgÜNg. Var Wcdtigtte vom Lage. * Infolge anhaltenden Regens ist in Hessen und der Rheinprovtnz Hochwasfer eingetreten. * Die Sammlungen für Aales» nid haben bis jetzt 1*/r Millionen Kronen, darunter 900 000 Kronen vom Nuslande, eingebracht. * Mit der zeitweiligen Leitung des russischen Kricgsministeriums ist der Chef des General stabes Ssacharow betraut worden. Der russisch-japanische Krieg. Vom Ariegssehauplatz«. * London, 23. Februar. (Tel.) Dem „Daily Telegraph" wird aus Nagasaki von gestern gemeldet, die Japaner hätten vor Port Arthur nnter Benutzung russischer Signale vier russische Torpedojäger weggenommen. * New Nork, 22. Februar. Nach einer Meldung aus Naga» saki hatte das russische Geschwader von Wladiwostok die Absicht, Hakodate zu bombardieren, wurde aber durch Schnee- fall in der Tsugaon-Straße daran gehindert. Die Bewohner von Wladiwostok wurden aufgefordert, wegen Mangels an Lebensmitteln dir Stadt zu verlassen. * Ntutschwang, 22. Februar. (Reuter.) Der Statthalter Alexejew und der General stab haben ihr Standquartier in Charbin aufgeschlagen. * Petersburg, 23. Februar. (Tel.) Mit der zeitweiligen Leitung deS Kriegsministeriums ist der Chef des Generalstabes Zsacharow betraut. Aonerebande. * Washington, 23. Februar. (Tel.) In Regierungskreisen herrscht Unruhe angesichts der Möglichkeit, daß es wegen der An schauungen, die die kriegführenden Mächte über die Kont re- bande haben, zu einer Friktion kommen kann. Zur Zeit befinden sich große Mengen amerikanischer Lebens mittel auf See, die nach russischen und japanischen Häsen bestimmt sind. Während der letzten Jahre hatten die Bereinigten Staaten stets daran festgehalten, daß Lebensmittel nur dann Kontre- bande sind, wenn sich klar nachweisen lasse, daß sie für eine der kriegführenden Parteien bestimmt sind. (Auch hieraus können sich internationale Weiterungen ergeben. D. Red.) Vie Neutralität Lhtna» In der Antwort Japans auf die Note des Staatssekretärs Hay heißt eS, Japan sei bereit, die Neutralität Chinas in den nicht von Rußland besetzten Gebieten zu achten, vor ausgesetzt, .daß Rußland ähnliche Verpflichtungen eingehe. Rußland hat den Vorschlag Hays unter der Bedingung an genommen, daß China strikte Neutralität bewahre und Japan das Völkerrecht und die mit den Mächten geschlossenen Ver träge achte. weitere Nachrichten. * Washington, 22. Februar. Der zum Konsul in Talny ernannte Morgan reist am 26. Februar von San Francisco ab und bleibt bis zum Eingang neuer Anweisungen in Shanghai. * London, 23. Februar. Die „Times" melden aus Colombo von gestern, der Gouverneur von Ceylon habe ein Telegramm des KolonialsekrelärS mit der Mitteilung erhalten, daß 325 russische Matrosen, die bei dem Gefecht vor Tschemulpo gerettet wurden, demnächst auf englischen Dampfern in Colombo eintreffeu würden und in Ceylon bleiben sollten. DaS „Militär-Wochenblatt" beschäftigt sich mit der Frage nach den kandstreitkräften der kriegführenden Parteien. Es stellt dabei nur die Kräfte gegenüber, die in den nächsten Monaten in Ostasien tatsäch lich zur Stelle sein werden. Es ist das die japanische aktive Armee in Stärke von 165 884 Mann, während an russischen Streitkräften, Maximalleistungen der sibirischen Bahn nach rein schematischer Berechnung zu Grunde gelegt, am 10. Februar rund 130 000 Mann, am 3. März rund 158 000 Mann, am 19. März rund 183 000 Mann, am 4. April rund 208 000 Mann, am 20. April rund 232 000 Mann vorhanden sein sollen. In Bezug auf die japanische Landung und den russischen Aufmarsch lassen sich die wesentlichsten Gesichtspunkte der ausführlichen Darstellung des „Militär-Wochenbl." folgendermaßen zusammenfassen. Nachdem die Landung von drei japanischen Divisionen in Korea begonnen hat (in Fusan, Mosampo, Tschemulpo und Gensan) ist es weae» der japanischen Seeerfolge wahr scheinlich, daß sie das Gros ihrer Kräfte in Tschemulpo landen werden. Ueber die japanischen Landoperationen sind nur „sehr vage" Vermutungen möglich. Die letzten diplo matischen Verhandlungen scheinen dem japanischen Obersten Osaka Recht zu geben, der Charbin als Schlüssel der russischen Stellung ansiebt und eine japanische Offensive nach der Mandschurei hinein in Aussicht stellt. Außer der Landung in Korea kommt für die Japaner auch eine solche bei Scban- haikwan oder Jnkou in Betracht, welche die russische Ver bindungslinie Charbin-Mukden-Port Arthur sofort be drohen würde; vorläufig scheinen die Eisverhältnisse eine Landung bei Jnkou und südlich zu verbieten. Betreffs des mutmaßlichen russischen Aufmarsches scheint das 2. und 3. sibirische Corps mit einer Gefechts stärke von rund 35 000 Mann am Jalu aufzu marschieren. Dieser Aufmarsch ist auch durch die Lage geboten. Bleiben die Japaner in Korea defensiv, so führt vom Mündungsgebiete des Jalu der kürzeste Weg ins Herz Koreas nach Löul; handeln die Japaner nach Osakas An weisung, so müssen ihre Hanptkräfte den Jalu bei Widshu überschreiten. Eine zweite russische Aufmarschgruppe ergibt sich um Wladiwostok, wo etwa 60000 Mann versammelt sein mögen. Vielleicht halten die Ruffen auch dort eine Landung des Feindes für nicht ausgeschlossen; doch ist auch eine offensive Verwendung dieser Gruppe möglich. Beide Gruppen sind 600 bis 7001cm von einander entfernt. Jede für sich ist einer geschlossen vorgehenden japa nischen Armee zunächst weit unterlegen, falls eine einheitliche Offensive der Japaner beginnt, bevor genug russische Verstärkungen heran sind. Daß die Russen sobald nicht aus den Beginn der japanischen Offen sive rechnen, geht aus folgender Meldung hervor: * Parts, 22. Februar. Der russische Botschafter dankte, wie die Blätter melden, im Namen der russischen Regierung dem Präsidenten der Französischen Gesellschaft vom Roten Kreuz für ihr Anerbieten, sofort eine Ambulanz nach der Mandschurei zu ent senden, fügte jedoch hinzu, daß die Kriegsoperationen zu Lande erst in einigen Wochen beginnen würden, sodaß erst dann Hilfsmaßnahmen praktisch ins Werk gesetzt werden könnten. Daß man sich in Petersburg nur nicht verrechnet. Japan wird schwerlich warten, bis sein Gegner in der Mandschurei archipröt ist. — Weiter meldet man uns: * London, 23. Februar. (Tel.) Aus Wei-hai-wei erfahren die „Times", die Japaner hätten ein Armeekorps, aus drei Divisionen bestehend, nach Korea transportiert. Die XII. Division werde jetzt verschifft, die Gardedivision würde ihr folgen. Ope rationsbasis sei zur Zeit Tschemulpo. Die auSgeschifften Regimenter würden dann über Söul nach Norden geben. Kleine Detachements seien bereits nach Norden vorgeschoben worden, um Fouragemagazine zu errichten. Der allgemeine Vormarsch auf Phjoeng-Dang werde demnächst erwartet. * London, 23. Februar. (Tel.) „Daily Telegraph" erfährt aus Tokio, dort werde amtlich bekannt gegeben, daß mehrere hundert russische Jäger in Kasan (Korea) eingetroffen seien. Einzelne hätten bereits den Tschöngfluß bei Tsching-Dang überschritten und die Telegraphen nördlich in Andschu abgeschnitten. Vi« militärischen Maßnahme« Spanien». Aus Madrid, 22. Februar, schreibt uns unser Korre spondent: An unterrichteten Stellen versichert man, daß die plötzliche Fürsorge zum Schutz der Balearen-Inselgruppe weder durch Borstellungen von englischer, noch von fran zösischer Seite veranlaßt wurde. Das Ministerium Maura hat vielmehr die günstige Gelegenheit ergriffen, um das Parlament und die gesamte Nation zu einigen Geldbewilligungen für militärische Zwecke zu nötigen. DaS Ziel ist gewiß nicht der Zweck, die gegenwärtig in Ostasien kriegführenden Mächte von einer etwaigen Besetzung der im Mittelmeer liegenden Balearen abzuhalten; und daran, daß der Krieg einen Zusammenstoß Englands und Frankreichs nach sich ziehen würde, glaubt in Spanien niemand. Der einzige Gedanke, der hier vorherrscht, ist der, daß England den Franzosen, um sie von Rußland zurückzuhalten, Marokko mit Anschluß von Tanger versprochen habe. Spanien gegenüber hat sich England nur insoweit gebunden, als es Spanien den Besitz von Ceuta und Melilla garan tieren will. Aber dies liegt vor allem im Interesse Eng lands selbst. Denn wenn Spanien Ceuta an Frankreich abtreten wollte, so wäre Gibraltar für England fast wertlos gemacht. Die spanische Regierung rechnet daher offenbar so: Wenn sie jetzt zwei Regimenter nach den Balearen entsendet und dieselben doch in ständiger Kriegsbereitschaft hält, so ist es ein Leichtes, diese Mannschaften, sobald in Marokko kriegerische Ereignisse eintreten, ohne Zeitverlust nach Nordafrika zu überführen. Die Besetzung der Balearen ist deshalb nur eine verschleierte Mobilmachung für ein Eingreifen in Marokko, wo Spanien sich nicht den entsprechenden Anteil an der Beute entreißen lassen möchten. Gerüstet wird bekanntlich nicht bloß in Spanien, alles rüstet, denn alle Welt macht sich gefaßt auf internationale Verwickelungen, die sich sehr bald, vielleicht schon, wenn auf den Balkan die Würfel ins Rolle» kommen, ergeben können. Bon diesem Gesichtspunkt ist denn auch die nachstehende Meldung zu kommentieren: * Madrid, 22. Februar. Deputirtenkammer. DaS Ministerium verlangt einen außerordentlichen Kredit von 8 824 500 Pesatas für Kriegsmaterial und von 950000 für die Marine zur Ver teidigung der Küsten. In Beantwortung einer Anfrage erklärt es der Ministerpräsident Maura für unbegründet, daß irgendein Hinweis seitens irgend welcher Macht an die spanische Regierung gerichtet worden sei, die getroffenen Maßregeln entsprächen aus schließlich der Pflicht, die Neutralität Spaniens unter den gegenwärtigen Umständen aufrecht zu erhalten. Wie uns der Draht weiter aus Madrid meldet, verstärkt die Regierung auch den Mannschaftenbestand längs der portugiesischen Grenze. Portugal steht bekanntlich in einem Bündnisverhältnis zu England. politische Tagesschau. * Leipzig, 23. Februar. Der arme Zar. In Reichtagskreisen wird erzählt, der Kaiser von Rußland habe unmittelbar vor Ausbruch deS jetzigen Krieges gegenüber dem deutschen Botschafter am russischen Hofe geäußert: es werde nicht zum Kriege kommen, die Sache werde sich beilegen lassen. Selbstver ständlich sei dies von dem Botschafter nach Berlin ge meldet worden. Die „Natlib. Korresp." glaubt nun, nach dem jetzt erfolgten Dementi durch die Weltgeschichte den Zaren in Schutz nehmen zu sollen, und schreibt: Eine derartige Friedenszuversicht unmittelbar vor dem Aus bruche von Feindseligkeiten steht keineswegs vereinzelt in der Ge schichte da. In amtlichen Kundgebungen von französischer Teste konnte kurz vor Beginn des 70er Krieges gelesen werden, niemals sei das Vertrauen berechtigter gewesen als jetzt, der Friede werde erhalten bleiben. Und steht es nicht aktenmäßig fest, daß auch Bismarck noch unmittelbar vor Ausbruch des Krieges ganz bestimmt glaubte, die Kriegsgefahr fei befestigt? Er reiste von Berlin, wohin er zur Beratung mit dem König gekommen war, wieder ab nach Varzin. Vor versammeltem Reichstag hat er später erklärt, er habe ernstlich angenommen, es werde nicht nötig sein, zum Schwerte zu greifen. Selbst der beste Kenner der Verhältnisse, so setzte er damals hinzu, könne sich in dieser Beziehung täuschen. Wenn letzteres also auch dem Kaiser von Rußland jetzt widerfahren ist, so liegt nicht die geringste Berechtigung vor, anzunehmen oder zu sagen, Kaiser Nikolaus habe die Verhältnisse nicht richtig beurteilt oder sei das Opfer einer Selbst- oder anderweiten Täuschung geworden. Ob Bismarck für diesen Vergleich gerade dankbar sein würde, ist einigermaßen fraglich. Das wird noch deutlicher, wenn man daneben hält, was Maximilian Harden in der „Zukunft" schreibt: Die russische Diplomatie hat ihr schlaue» Spiel ge wonnen. Zwei Monate früher wäre Rußland in Oftchien ohn mächtig und der Zar zu jeder Konzession bereit gewesen. Er soll geweint haben, als er die Kriegserklärung unterschreiben mußte. Sehr glaublich. Selbstherrscher aller Reußen: und dock . . . DieunsRegierenden werden getadelt, weil sie bis in die letzte Stunde ihre Offiziösen die Friedensschalmei blasen ließen. Wie konnten sie, fragt man, so schlecht unterrichtet sein? Diesmal waren sies nicht. Sie wußten, daß der Krieg unvermeidlich war — der unsichtbare Leiter des Auswärtigen Amts, der Herr mit den Flecken auf der inneren Iris, hehlte diese Gewißheit nicht —, wollten aber vermeiden, daß aus Deutschland kriegerische Preßstimmen in Nikolais Ohr drängen. Der Zar sollte sehen, daß Berlin nicht minder fried lich gesinnt sei als er selbst. So gebt mau heutzutage mit Selbstherrschern um. Ein Reservat der Kabinettspolitik. Der französische Sozialistcnführer Jaurss hat sich dieser Tage bitter darüber beklagt, -aß die Regierung Parlament und Voll über die auswärtige Politik nicht unterricht- und daß sie die französische Nation eigenmächtig Rußland gegenüber engagiert habe. Es r,t interessant zu sehen, daß auch in einer Republik die Leitung der aus wärtigen Lcziohungen der Macht des Parlaments zum Trotz ein Reservat der Kabinettspolitik geblieben ist. Natürlich Ucgt darin eine große Gefahr, wenn die Volts- Vertretung vor ein unwiderrufliches Luit aecompli gestellt Feuilleton. H Die Freundin ans Russisch-Polen. Bon Elsbeth Meyer-Foerster. Nachdruck verboten. Bor dem Bahnhose standen ein paar Leiterwagen- Hübsche, halbwüchsige Knaben in zerrissenen Kaftans be- wachten die Pferde und stürzten auf die paar Reisenden zu, nm ihnen ihr Handgepäck unter heulendem Geschrei zu entreißen. Sie schlugen sich um ihre Beute und raffelten, iobald sie eines Passagiers habhaft geworden waren, mit ihren primitiven Gefährten davon, daß der Kot des Weges hoch anfsprttzte. „Gibt es hier kein« Droschken?" fragte ich, indem ich an einen der kleinen Kutscher herantrat. Aber er grinste nur verächtlich. „Wohin wollen Sie sein gefahren?" fragte er, indem er mir sofort eilfertig weine Handtasche entriß und die Pferde zurecht zerrte. Ich nannte den Namen meiner Freundin. „Dobrze, dobrze, pana!" rief er aus. „Habe heut schon mehr seine Gast Hingebringen." Bei diesen Worten sprang er in den Leiterwagen, reichte einen Stuhl heraus und half mir einstctgen. Ich atmete erleichtert auf. Schon andere Fremde vor mir waren also angelangt, um Hellas gastlichem Eltern haus einen Beinch zu machen. Ich würde nicht die ein zige sein, welch« so plötzlich die Familie überraschte: alle kleinmiittgen Regungen, die mich während dieses ganzen Entrees in das gelobte Russisch-Polen überfallen hatten, vergingen und machten von neuem einer erwartungs vollen Stimmung Platz. Wohlgemut erkletterte ich Stuhl und Wagen. Nun raffelten wir durch den Ort, dessen Anblick, je weiter wir kamen, mich freilich mit desto größerer Ent- täuichung erfüllte. Wie, hier sollten in reizenden Land- Häusern all' die Edelleute wohnen, deren nachbarlicher Verkehr, wie Helka mir geschrieben, das häuslich« Leben mit so viel Geselligkeit erfüllte? Ich sah nichts, was die Anwesenheit eines wohlsituiertcn Publikums, wie es mir Helka geschildert hatte, verriet. Elende Lehmhütten wechselten mit kleinen, kastcnartigen Holzhäusern, und den Stolz der Bewohnerschaft schienen die schwarzen Ferkel auszumachen, die sich überall des Terrains bemächtigten und mit ihren Schnauzen allenthalben auf dem Fahrweg in der Erde wühlten, als hätten sie die Absicht, die Un ebenheiten des Weges auszubessern. Dann kamen Fabrik gebäude, an die sich unzählige Beamtenhäuser anschlossen, alle im Rohbau, alle gleichmäßig, ausdruckslos, wie die Gebäude eines Gefängniöhofes Hinter keinem dieser Häuser lag ein Garten, — nur verkrüppelte Fichten er hoben sich aus dem sandigen Boden, — von den Blumen brettern vor den Fenstern hingen Büschel verdorrten Sommerkrautes, Kinderwindeln und Girlanden von To- maten und gelben Zwiebeln herab. Plötzlich hielten wir vor einem niedrigen hölzernen Hause. Der kleine Kutscher sprang vom Bocke und stieß einen scharfen Pfiff durch die Zähne aus, und grade wollte ich mich mit der Frage an ihn wenden, was er mit mir hier vor diesem Hause zu suchen habe, als auf einmal eine Glastür aufging, auf deren Scheiben in großen Buch staben „Restauratia" zu lesen war, und — Helka Glescanka auf die Straße hinaustrat. Einen Augenblick saß ich wie versteinert aus meinem Wagenplatz und starrte sie an. Sie hatte die Tür hinter sich offen gelassen und ich sah in eine Wirtshausstube. Ich sah ein großes, kahles Buffet, von ein paar Schüsseln Speisen und ein paar Likörflaschen verschönt. Hinter dem Buffet in einem saloppen Schlafrock stand eine weibliche Erscheinung. Ein paar Herren gruppierten sich vor dem Buffet und ließen sich Bier einschänkcn. Alle blickten erwartungsvoll auf die offene Tür. Der Pfiff des kleinen Kutschers hatte, wie es schien, einige Aufregung in den Kreis gebracht. — Aber Helka war die erste, welche sich von dem ankommenden Gaste hast« über zeugen wollen, und mit einer raschen, an den Diensteifer der Kellnerinnen erinnernden Bewegung an den Wagen trat. Wie um dem Ankömmling behülfltch zu sein beim Ab steigen, reichte sie die Hand herauf und sagte höflich „prosze, pana". In diesem Augenblicke aber erkannte sie mich, denn der kleine Kutscher war vom Bock gesprungen und ich präsentierte mich nun auf dem klapprigen Sitz in ganzer Gestalt. „Du" klang es fast unhörbar von ihren Lippen. Von Glut übergossen, die Augen weit auf gerissen, stand sic sasinnaslos nnd starrte mich an. Die Situation war nichts weniger als angenehm. Dosort, mit einem Schlage wurde mir klar, welch' ein Phantasiegewcbe die Freundin um ihre Perlon gesponnen und wie sic ein trauriges Spiel getrieben hatte mit dem Besten, was junge Herzen erfüllen sollte, mit der Freund schaft; daß sic meine Torheit und Unerfahrenheit aus genützt hatte, um sich eine Glorie zu schaffen, an der sie sich selbst oft genug belustigt haben mochte. Und dieses letzte besonders war es, was bei der raschen Gedankenfolge nun auch mir das Blut in die Wangen trieb: ah, wie sie über mich gelacht und gespottet haben mochte, unzählige Mal! — Aber hatte sie mich wirklich für so äußerlich halten können, daß dies Lügengewebe ihr zur Befestigung einer Freundschaft überhaupt erforderlich erschienen war? Hatte sie wirklich geglaubt, als Tochter eines kleinen Gast hausbesitzers keinen Anspruch auf eine fröhliche Kamerad schaft haben zu dürfen und sich mit fremdem Schein um- geben zu müssen, um dort bei uns in Berlin zu „reuissieren"? — „Du bist enttäuscht", flüsterte Helka, deren Wangen noch immer granatrot glühten. „Ich hatte dir ein wenig Humbng vorgemacht, — gelt dir allerlei schöne Dinge von hier erzählt, — damit du desto eher kommen solltest!" Und nach dieser Ausrede, die ihr in rettender Elle von den Lippen floß, schien sie erleichtert „Komm", rief sie mit einem Anflug der alten Sorglosigkeit, „nimm alles wie's ist. Sei zufrieden, liebes Herz, denn wir haben s nicht besser." Und mit einem nur noch halb ver legenen Lachen zog sie mich hinein. — Die Herren, welche in der niederen Gasthausstube standen, und von denen ein Teil Cigaretten rauchte, verbeugten sich bet nnserm Ein tritt nnd stockten in ihrem Gespräch. „Besuch, pana Helka?" rief der eine, ein junger Oekonom in Reitstiefeln, indem er sich anschicktc, mit einem verliebten Lächeln meine Freundin bei der Hand zu Haschen. Sie aber riß sich, halb verlegen, halb lachend los, wobei ihre schönen Augen mutwillig strahlten, und als verflöge alle moralische De- prcssinnFn der ihr vertrauten Umgebung dieses Zimmers, ries sie anS: „Maman — hier ist Else " Nun trat Maman hinter der Theke hervor, wobei sie ein Tönnchen marinierte Heringe beiseite schob. Sie trat hervor nnd blickte mich mit ihren rnnden, verschwommenen Anqen erst erstaunt, dann mit unterwürfiger Freundlich keit an. „Wie schön, Fräulein, daß Sie meine Tochter kommen besuchen", schnarrte sie in hartem Deutsch, in dem sic mir die Hände drückte. Ick konnte nicht anders, als mick verbeugen. Mein Blick überflog halb willenlos ihre saloppe Kleidung, den verschossenen, mit auSge- fransten Kanten verunzierten Schlafrock, — die Worte zogen durch meinen Zinn „Maman in ihrem langen, seidenen Morgenkleide rauscht durch all« Zimmer." „Doch jetzt mußt du auf dein Zimmer kommen und ablegen", rief Helka, übereifrig, wie es schien. Sie schlang den Arm um mich und zog mich mit sich fort, bei den Herren vorbei, die von unserem Aufbruch nicht sehr er baut schienen. „Sie kommen doch gleich wieder, pana Helka, und bringen die reizende Freundin mit", fragte einer ungeniert, indem er uns mit vergnügtem Lächeln nachsah. Helka antwortete nicht- Sie sah mich scheu von der Seite an. Dann raffte sie ihre Schleppe auf und schritt mir voran. Wir gingen durch einen langen, Hellen Flur, der in den linken Flügel des Hauses führte. Bon den Wänden sahen seltsame Figuren herab — Bilder, ans Cigarrenkisten entnommen —, Pusta-Mädchen mit flatternden Haaren, hochgeschnürte Cigarettenschönheiten und die üblichen Balletteusen, die ihre Pirouetten zwischen Cubaschachtcln schlagen. „Unsere Ahnenbilder sehen mich verwundert an!" — diese Phrase schwirrte mir durch den Sinn. Aber ich mutzte jetzt lächeln. War die ganze Sache überhaupt an getan, sie ernst zu nehmen? Diese listige, hübsche Helka hatte mich hinter's Licht geführt. Slawische Durchtrieben heit hatte über deutsche Torheit triumphiert. Es war nur eine gesunde Lehre. Warum verherrlichen wir so gern, was uns fremd und darum bewunderungswürdig er scheint? Jetzt wenigstens vor der Gefahr der Lächerlich keit sich retten! Versuchen, wie sie, die viel Klügere, mit Grandezza über das Peinliche dieser Lage hinwegzu springen. „Nein", sagte Helka, indem sie mich, im Zimmer ange» kommen, zum zweiten Male umarmte, „wie ich mich freue, dich zu sehen, — du glaubst cS garnicht" Bet diesen Worten hielt sie mich mit einem Arm so lange fest, daß ich nur mit einem halben Blicke sehen konnte, wie sie hinter ihrem Rücken mit der andern Hand einen Schlips und eine Herrensocke rasch vom Tische raffte. „Sieh dich um", sagte sie, nachdem sie beide Gegenstände in die Tasche ge schoben hatte. „Ist das Zimmer nicht freundlich und hübsch?" Ich tat. wie sie sagte, und blickte mich um. Es war ein Hotelzimmer, aber in ziemlich ärmlichem Stil. Sofort sah man, an der Schale unsanbcren Wassers auf dem Toilettentisch, an umhergestreuter Cigarrenasche uind der gleichen, daß hier eben noch jemand gewohnt hatte, und zwar ein männlicher Passagier. „Ich schicke dir Wasser herauf, mein Liebchen, und nun mache es dir begnem", ries Helka, indem sie völlig unbe- sorgt an der Wand eine große Glocke zu ziehen begann.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite