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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.02.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040205014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904020501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904020501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-02
- Tag1904-02-05
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dem» es hat sich dieser Provinz in Mißachtung von Ver trägen und Versprechungen demäwtigl." Diese Narben stehen ter wackeren „Time-" gut'. Als sich England in die inneren Angelegenheiten der südafrikanischen Republik einmischle unt dadurch schließlich den Krieg herbei führte, bat eS da nicht in Mißachtung des Vertrages von 1884 gehantelt, ter ihm höchstens eine Einmischung in die auswärtigen Angelegenheiten des Transvaals gestattete? Und ist es nicht ebenso eine Mißachtung von Versprechungen, taß die englische Okkupation EgnptenS fortdauert, obgleich di« völlige Verubigung des Landes schon seit langen Jahren herbeigefükrl ist? Wenn Japan von Rußland die Zusicherung ter In tegrität Chinas verlangt, so klingt das sehr ritterlich unt selbstlos. Man bars aber nicht vergessen, taß vor neun Jahren Japan gar keine Neigung Halle, tie Integrität Edinas ;u erhalten. Damals wollte cs ganz Nortchina turch Besetzung der wichtigsten Punkte umklammern, so taß tie Regierung in Peking vollständig in ten Händen Japans gewesen wäre. Wenn cs nicht dazu kam, so war dies nicht dem Etelmule Japans zu verdanken, sondern dem Eingreifen der an Ostasien interessierten drei großen europäischen Kontinentalmächte. Die „Times" sagt weiter, Japan kämpfe geradezu für seine Existenz, wenn es sich den russischen Aspirationen widersetze. Ja, auch Rußland wird behaupten, daß es für seine Existenz kämpfe, und diese Behauptung wird keineswegs erlogen sein. Bei der seit Jahrhunderten zu verfolgenden Tendenz Rußlands nach Osten hin ist die Gewinnung eines nicht zn geringfügigen eisfreien Küstengebietes an der Ostgrenze des russischen Riesenreiches für Rußland schlechthin euie Notwendigkeit. Daß in ter Mandschurei und in Korea diese Bestrebungen Rußlands mit den japa nischen Interessen kollidieren, ist zweifellos, aber darum kann man eben nur sagen, daß gewissermaßen beite Mächte in ihrem Rechte sind, nicht vom juristischen Standpunkte aus, auch wohl nicht vom moralischen, aber vom real politischen. Es ist also ein Machtkampf, der in Ostasien anbeben wird, nicht ein Kampf ums Recht. Deshalb haben die neutralen Mächte, zu denen in erster Reibe Deutschland gekört, keine Veranlassung, vom Standpunkte der Sentiments aus für den einen oder den andern der kämpfenden Teile Partei zu nehmen. Wir meinen, daß auch die deutsche Presse nur gut daran tun wird, wenn sic sich nicht nach der einen oder andern Seite bin zu sehr engagiert, auch dann nicht, wenn die englische Presse Wohl alsbald nach dem Beginne des Krieges ihre Spalten mit „russischen Kriegsgreueln" füllen wird. Gewiß wird es daran kaum fehlen, aber die Japaner dürften voraussichtlich auch nicht Engel sein. Orient. Balkauwirre». Sofia, 4. Februar. (Tel.) Tie „Agence Telegraphique Vulgare" erklärt, die letzte Mit teilung der Pforte an die Botschafter der Ententemächte, die besagt, daß sieben Kisten Munition und vier Kisten Bomben nach Samokow befördert, und daß 5000 Uni formen in Gabrowo angesertigt, sowie in Eski-Zagra und Kazanlik neue Komitatschi angeworbcn seien, beruhe auf falschen Berichten Die Pforte nehme, erklärt die „Ag. Tel. Bulg." weiter, derartige Berichte stets bereit willig entgegen, um zu versuchen, einen Aufschub in der Durchführung der Reformen zu erlangen, die die Mächte noch vor dem Frühjahre fordern. Der Aufstand in Hüdwestafrika. * Zur Besiedelung von reutsch-Südwestafrika liefert der bekannte Kolonial-Politiker vr. Georg Hartmann in einer Broschüre: „Die Zukunft Deutsch-SüdwestafrikaS" einen wertvollen Beitrag. Als die Schrift erschien, wußte der Herausgeber noch nicht, daß ein so plötzlicher Aufstand der Herero bevorstand. Er nennt in seiner Brochüre noch die Lage im Schutzgebiet „im großen und ganzen sicher und ruhig", fügt aber hinzu, das; dies nur deshalb so sei, weil die Herero Angst vor der Macht der Regierung hätten. Wie Recht er hat, zeigt sich dadurch, daß, sobald diese Macht im Hererogebiet ver ringert wurde durch Entsendung von Truppen nach dem Süden, die Herero sich gegen die Weißen erhoben. Durch diesen Auf stand verdient die Schritt nur umsomehr Beachtung» da da» große wertvolle tzereroland in den Besitz der Regierung fallen und nun zur Besiedelung frei sein wird. Die Einge- borencnsrage rückt dadurch weiter zurück, während die der Besiedelung brennend und wichtiger geworden ist. Das, waS die Regierung heute schon im Kleinen tut, nämlich da» Land durch abgegangene Schutztruppen - Soldaten zu besiedeln, will Hartmann ins große übertragen. Er sagt, daß der Schutztruppler während seiner Dienstzeit die Berbäüuisse kennen lerne und wenn er sich dann niederließe, er ein gut Teil Erfahrung mit auf die Farm nehme. Diese Idee ist alt und wird von den meisten Süd-West-Kennern anerkannt. „Ich hege nur", schreibt der Verfasser, „die Befürchtung, daß der Reichstag die 5 Millionen, die Hartmann jährlich fordert, nicht bewilligen wird. (Hart mann will, jeder Ansiedler soll 10000 Beihülse er hallen.) Ich meine, wenn wir erst einmal 1—2 Millionen jährliche Beihülfe zur Ansiedlung von Schutztrupplern bekämen, so könnten wir damit, richtig angewandt, schon ein gut Teil vorwärts kommen. Zu gleicher Zell aber soll man das Land offen lassen für ied ermann. Die Regierung muß gerade solchen Leuten, die mit Kapital ins Land kommen, seien dies nun Reichsdeutsche oder Boeren, mit Rat und Tat zur Seite stehen. Und daß solche diu- siedler, die nicht mit leeren Händen kommen, herangczogen werden, sollte eine unserer Hauptsorgen sein. Doch dazu ist nötig zu be weisen, daß der Farmer in Südwest-Afrika vorwärts kommt, und diesen Beweis zu führen, fällt sicher nicht schwer." Aebnlich spricht sich auch der Mitbesitzer der Farm Voigt- land in Deutsch-Südwestafrika A. Voigts aus, der dort gute pekuniäre Erfolge erzielte. Jetzt freilich wird es zunächst gelten, die Wunden zu heilen, die der Aufstand geschlagen, und Lust zur Besiedelung jener Kolonie wird diese traurige Episode wohl leider auch kaum hervorgerufen haben. * Ter nächste Truppentransport, der auf dem Dampfer „Luise Woermann" am Sonnabend für Deutsch-Südwest afrika mit dem Obersten Dürr und dem Stab von neun Offizieren in See geht, wird auch 16 für die Offiziere be stimmte Pferde mitnehmen, für die auf dem Achterdeck des Schiffes starke Stallungen eingerichtet sind. Der Dampfer nimmt ferner zur Ergänzung der artilleristischen Ausrüstung mehrere Geschütze, sowie zur Herstellung bezw. Ergänzung der Eisenbahn in Süd-Westafrika vier Zwillings lokomotiven nebst Tender an Bord. * Lkahandja unv Windhoek wicver verbunden. Aus dem von uns mitgeteilten Telegramm aus Braunschweig über das Schicksal der in Windhoek eingeschlossen geweienen Familie Voigts geht hervor, daß die Verbindung zwischen Okahandja und Windhoek wieder vollkommen hergestellt ist. * Ein Leipziger in Windhoek. Auch ein Leipziger Kind, der Sohn einer angeiehenen und bekannten Familie, war mit in Windhoek eingeschlossen. Er hatte zu seiner Ausbildung eine Weltreise unternommen und kam am 10. Dezember in Swakopmund, etwa am 15. desselben Monats in Windhoek an. Dort wurde er mit allen übrigen von den Ereignissen überrascht, eingeschlossen, unv, ob wohl militärfrei, stellte er sich sofort in den Dienst des Vater landes. Es ist ihm aber wahrscheinlich kein Uebcl zugestoßen, denn die hiesige Familie erhielt jetzt folgende Depeichc: Windhoek, 19.1. Wohlbehalten, bin Soldat, keine Sorge. Begreiflicherweise ist die Familie nun von großer Unruhe befreit. Und wenn unser Lanvsmann von seiner Reise heim kehrt, „dann kann er was erzählen". Deutscher Reichstag. 29. Sitzung. D Berlin, 4. Februar. (Telegramm.) Die Verhandlungen über Sie Novelle betreffend die Entschädigung unschuldig Verhafteter wurden fortgesetzt. Der Sozialdemokrat Fr o h m e blieb im allgemeinen sachlich, so daß sogar der Staatssekretär seine Rede als ruhig und maßvoll bezeichnete. Er ging auf die Geschichte der einschlägigen Gesetzgebung ein. Der Staatssekretär wies einige seiner Angriffe auf die Staats anwälte und Gerichte entschieden zurück, betonte übrigens, daß die Regierungen aus den im Entwürfe festgesetzten Ausnahme» bestehen müßten. Tann unterhielt der Ab geordnete Stadthagen Abgeordnete, Bundesrat und Tribünen in einer mehrstündigen Rede. Er verbreitete eine wachsende Heiterkeit, der sich sogar der Vizepräsident Graf Stolberg nicht entzog, und ein hochstehendes süd deutsches Bunüesratsmitglied schien mit Erfolg bemüht, einige der lebhaftesten Gesten des Redners zeichnerisch fest zuhalten. Herr Stadthagen hat ein alles nieüerwersendes Lprcchtalent; er hat es nicht nötig, langsam zu sprechen, um die Zeit zu füllen, die er sich festgesetzt hat. Ihm sprudeln die Worte in unendlicher Fülle hervor. Die un geheuerlichsten, endlos scheinenden Satzgebilde, die un geheuerlichsten Behauptungen, vorgetvagcn im Tone der alltäglichen Selbstverständlichkeit, die unglaublichsten rhetorischen Bilder, teils grotesk, teils burschtkoü-mitzlos, lösen einander ab, dargestellt in einer Form, die alle Hülfs- mittel des Cicero und Quintitian benutzte: -en parailolis- mus membrorum, die Anaphora, den Pleonasmus und was wir sonst gelernt haben, um eine „Ehrte" in die Läng« zu ziehen. Er beginnt leise zu murmeln und endet in den höchsten, sich überschlagenden Tönen, läßt die erste halbe Stunde lang alle Sätze mit den Worten anfangen: „Ich will nicht erst erwähnen" — und erwähnt dann natür lich doch —, er bringt mitten in einen hochtrabenden, schwungvollen Satzbau einen vulgären Ausdruck hinein, so wenn er von der „arbeitenden, leidenden, unterdrückten, schuftenden Klasse" spricht. Er ist unerschöpflich in der Beibringung von „Fällen"; so erzählte er von einem An geklagten, der gesagt habe: „Wenn Sie nicht der Vorsitzende wären, würde ich Ihnen ein paar herunterhaucn!", un entrüstete sich darüber, daß „dieser Altgeklagte, der so viel Zurückhaltung hätte, Ohrfeigen, die er anbot, nicht einmal auszuteilen", in Strafe genonrmen werden sollte. Gefähr lich ist seine Art, schwere Angriffe auf Personen und Klassen so beiläufig einfließen zu lassen: so wenn er sagt: er hätte kein Vertrauen zu den Richtern, die nach Klassen justiz lechzen und vielleicht einmal aus Versehen das Rechte treffen, oder wenn er sagt: „Es handelt sich um das Zeug nis eines Ihnen als sehr ehrenwert erscheinenden Herrn", und dann erst einige Lätze später so nebenbei den Namen nennt. Nachher wurde es recht still. Wenigstens so lange der Abg. v. Dippe sprach. Obwohl er als Prä sident des schaumburgischen Landtags mit den parlamenta rischen Verhältnissen vertraut und über die Bedeutung der Presse für die parlamentarische Berichterstattung unter richtet sein könnte, wandte er sich während des größten Teils seiner Ausführungen mit einer, einer besseren Lache würdige», Konsequenz ausschließlich zum Bundes ratstische und kehrte der Iournalistentribüne den Rücken. Er bestätigte die Ansicht des Staatssekretärs, daß die Bc- seitgung gewisser Ausnahmen von der Gewährung einer Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchung, haft das Rechtsbewußtsein des Volkes schwer zu schädigen ge eignet sei. Lebhafter wurde die Stimmung wieder, als der kampsfrohe süddeutsche Abg. Groeber gegen die so zialdemokratischen Redner, vor allem gegen Stadthagen, polemisierte. In humoristischer Weise wies er schlagend nach, daß Stadthagen sich mit seinen heutigen Aus führungen in den direktesten Gegensatz zu früheren Be merkungen über dasselbe Thema gesetzt hätte: Stadthagen habe sich sogar zu der Aeußerung versteigen können, den vorliegenden Entwurf als Rückschritt zu bezeichnen: „Da haben wir -en kompletten Unsinn. Bor lauter Haß, alle Gegner herabzureißen, steuert man ungeniert in das Gebiet des vollendeten Blödsinns!" Schallende Heiterkeit und uneingeschränkter Beifall der von Stadthagen heruntergerisienen bürgerlichen Parteien begleitete diese mit echt schwäbischer Deutlichkeit vorgebrachten Worte. Der Präsident Graf Balle st rem, der nach einiger Zeit den Grafen Ttoll- berg im Präsidium ablöste, kam auf diese Worte zurück: sie bezögen sich seiner Ansicht nach nicht auf die Person des Abg. Stadthagen, sondern auf die aus seinen Acußerungen zu ziehenden Konsequenzen. Er bat indessen die Mit glieder -es Reichstages, fernerhin nicht mehr durch solche Kraftworte den Ton im deutschen Reichstage herabzu mindern. Der Rest der Sitzung wurde durch Polemiken zwischen den Abgg. Groeber, Müller-Meiningen und Frohme ausgefüllt. Darauf wurde der Gesetz entwurf an eine Kommission von 14 Mtgliedern ver wiesen. Morgen wird die Beratung des Etats fortgesetzt. D Berlin, 4. Februar. (Telegramm.) Am Bundesratstische: Tie Staatssekretäre vr. Nieberding und Graf Posadowsky. Die erste Lesung der Vorlage betreffend die Entschädigung unschuldig Verhafteter wird fortgesetzt. Abgeordneter Frohme (Soz.) behauptet, daß die Re. gierung sich seit 20 Jahren gegen die Anerkennung der Entschädigungspflicht gesträubt habe, indem sic anführte, daß diese die Energie der Strafjustiz lähmen müßte. Auch mit der jetzigen Vorlage bleibe die Regierung weit dahinter zurück, was das Nechtsbewußl sein fordere und was der Reichstag frül-cr gefordert habe Man habe eine Flickarbeit vorgelcgt, die ganz unzulänglich sei und mit Ausnahmen und Einschränkungen fast dcmvn strattv gespickt sei. Die Entschädigung der unschuldig Ver urteilten reiche bei weitem nicht an die Bedeutung der Entschädigung der unschuldig Verhafteten heran. 1901 wurden 130 0(0 Personen in Denlsichland freigesprochen. Unzweifelhaft war ein großer Teil davon unschuldig. Der Redner gibt eine Statistik, wie sich die Freisprechungen auf die einzelnen Verbrechen verteilen. Die Zahlen zeigten, welches schwere Unrecht hier eventuell zu sühnen sei. Fraglos werde der Uutersuchungsarrcst vielfach ge wissenlvs verhängt. Tie heutige Klassenjustiz bedient sich vielfach in dvlvser Weise dieses Mittels. Die Tatsache können keine Staatsanwälte und Richter innerhalb un außerhalb des Hauses mit Wettern über solche Anschau- ungen aus der Welt schaffen. Wichtiger als die Ent schädigung ist die Beseitigung der Ursachen, vor allem die Stellung der Staatsanwaltschaft, die von Jach in ünnern als ein gemeingefährliches Jnsti tut (!) hingestellt wird. Die Entschädigung müße im Gc setzentwurfe auf alle Fälle von Untersuchungen ausgedehm werden, ob die Unschuld des Augetlagten erwiesen ist oder nicht. Frohme fragt schließlich, wie es mit der verheißenen Strafprozeßresorm stehe. (Beifall bei den Sozialdemo kraten.) Staatssekretär Or. Nieberding: Ter Vorredner wart uns vor, daß wir unseren Standpunkt änderten. Jeder weiß, daß die Negierung vor 20 Jahren gegen jede Ent schädigung war, daß wir 1898 die damalige Vorlage nur nach langem Widerstreben brachten, auch die jetzige Vor lage wurde erst nach sorgfältigen Erwägungen gemacht. Ter Staatssekretär 'führte gegenüber der Bemerkung des Vorredners, die Vorlage sei bezüglich der Entschädi gung viel ungünstiger als in den Schweizer Kantonen, aus, dort sei auch dem Ermessen der Richter ein viel größerer Spielraum gelassen, als in dieser Vorlage. Der deutsche Juri st en tag beschränkte in den siebziger Jahren die Entschädigungspflicht gerade so, wiewireswollen, und verlangte auch, daß die Un- schuld nachgewiesen wird für den Entschädigungsanspruch. Ter Vorredner gebrauchte harte Ausdrücke gegen die Staatsanwaltschaften und Gerichte. Ich halte es nicht für richtig, so schwerwiegende Borwürfe gegen die Ehre der Beamtenklasse zu erheben, ohne unbestreitbare Beweise dafür zu erbringen. Wenn gewissenlose, rechtswidrige Verhaftungen v)>rgekommen sehr sollen, so sage ich: „Heraus mit den Tatsachen! Unterrichten Sic uns aber vorher über die Tatsachen! Dann werden wir Ihnen reinen Wein einfchenken. Wenn rechtswidrige Verhaftungen Vorkommen, so teilen Sie es doch dem Reichskanzler mit, dann wird auch Abhülfe erfolgen Wir werden nicht damit einverstanden sein, daß die Ausnahmen des Paragraphen 2 beseitigt werden; es handelt sich da doch um Leute, die nach dem Herzen des Volkes schuldig sind. Wir haben da die öffentliche Meinung und das Rechtsgefnhl auf unserer Seite. Abgeordneter Stadthagen (Soz.): Frohme ist der eigentliche Vater dieser ganzen Gesetzgebung, denn er hielt 1881 die erste Rede darüber. In der Frage der Nichtgcmährung der Entschädigung, wenn die Unschuld nicht bewiesen ist, änderte die Regierung ihren Standpunkt nicht. Es schmerzt mich, daß das Zentrum der Regierung zuzustimmen scheint. Die Rechte möchte namentlich meine Freunde, die freigesprochen werden müssen, wenigstens durch die Untersuchungshaft bestrafen. Tie Ausnahmen des Paragraphen 2 sind viel zu kautschukartig. Die dehn baren Bestimmungen der groben Fahrlässigkeit werden zum Nachteil der besitzlosen Klassen angewendet. Von einem objektiven Recht kann bei der Zusammensetzung unserer Gerichte keine Rede sein. Man erlebte, daß schon das polnisch Sprechen behördlich als ein Verstoß gegen die gute Sitte hingestellt wurde. Was heißt nun Ersatz des Vermögensschadens? Wie leicht könnte Abgeordneter Gamp kommen und ausführen, -er Betreffende habe gar kein Recht auf Ersatz, den» er habe es im Gefängnis noch immer viel besser gehabt, als ein Landarbeiter. (Heiter keit.) Im Falle der Verhaftung LüderS auf Haiti, wo eine hohe Entschädigung verlangt wurde, erkannte man an, welches köstliche Gut die persönliche Freiheit ist. Soll Recht und Gesetzlichkeit nur herrschen, wenn Deutschland die starken Arme im Auslände zeigt, soll das nicht auch in Feuilleton. Leipziger Kmistverein. I. G. Treydorfs — Robert Korn — Karl Ebbinghaus — Johannes Hosfmann — R. Earl. In unserem Berichte über Hans am Ende un- Willy Hamacher haben wir auf die geistige Verwandtschaft ver- wiesen, die zwischen unseren zeitgenössischen Landschaftern besteht, seitdem die großartige Naulraufsassung der Fran zosen, Millct und Rousseau an der Spitze, ihren zwingen den Einfluß auf das nachgewachsene Malergeschlccht aus geübt hat. Große Strömungen dieser Art liegen stets, wie man zu sagen pflegt, in der Luft, das lebende Ge schlecht armet sie gewissermaßen ein. Auch der tüchtige Leipziger Künstler I. G. Treydorfs hat diese Luft ge atmet, auch seine Leele ist »oll von der Größe und der farbigen Schönheit der Natur. Dennoch können wir, um Treydorfs gerecht zu werden, nicht nur von diesem Gesichts punkte ausgehen. Wenn wir seine Bilder in der Nähr betrachten, so fällt zuerst die Eigenart seines Farbenauf trages auf. Tie nebeneinander gesetzten Karben erinnern lebhaft an einen großen Meister, dessen Werke erst vor wenigen Monaten in Leipzig einen außerordentlich großen Beifall gesunden haben, — an Giovanni Segantini. In des kann dem Italiener wohl kaum ein Einfluß auf Drey- dorff zugestanden werden. Treydorfs geht in seiner Tech nik von den Pointitislcn aus, hat aber ihre Malart frei und individuell entwickelt. Er ist von den Punkten zu den Strichen übergegangen und läßt im übrigen wieder die einzelnen Farben im Sehapparat des Beschauers zum Akkord sich zusammensinden. Sein Farbensinn ist inten siv und das farbige Element ist es in erster Linie, das den Beschauer seiner Bilder gefangen nimmt. Tic Skala seines Kolorits ist sehr reich. Tie Grundtönc mit allen denkbaren Abweichungen sind aus seiner Palette zu Hause. Tic holländischen Landschaften, die er uns gibt, haben da- her etwas ungemein Frisches, Gesundes, ost Vollsaftiges, wie z. B. der von oben gesehene „Vorfrühling". In diesem tiefblauen Flußbette, diesen grünen Wiesen liegt ein kraft volles, triebkrästiges Leben, un- doch ist die Brutalität -er unaufhörlich und rücksichtslos zeugenden Natur nicht das einzige, was der Maler uns gibt. In den Weiden bäumen, die ihre kahlen, rotqclbcn Gerten in die blaue Luft recken, und in den ahnenden und hoffenden Menschen darunter, schlägt er Gefühle an, die sich wie Mollakkorde über das Tur einer schönen volkstümlichen Melodie legen. Das gilt auch von der Landschaft „Winter" mit der tief in das Bild führenden beschneiten Clxrussee. Welch feines Auge Treydorfs für die Luft Hal, kommt besonders in diesem ltzemälde -,um Vorschein. Tecgleichen sein Gefühl für Einheitlichkeit in der Farbenzusammenstimmung. In „Leyte Ltrahlen" und „In Erwartung" glbt er zweimal dasselbe Interieur in verschiedenem Format. Licht und Schalten interessieren ih» hier besonders. Die Art, wie er uns auf einem der beiden Bilder die vom Licht um flossene, am Fenster stehende Frau zeigt, erinnert äußer lich an einige der letzten kraftvollen Uhdes. Malerei und 'Griffelkunst liefern gegenwärtig den Löwenanteil in dem Schaffen der bildenden Künste. Die Plastik, soweit sie nicht monumentalen Zielen entgegen strebt, wendet sich dem Kunstgewerbe zu oder doch der Kleinplastik, die es aus den künstlerischen Schmuck -es bürgerlichen Heims abgesehen hat. Aus diesem Um stande ist es zu erklären, daß die Skulptur in den Aus stellungen unseres Kunstveretns, der, wie vielleicht kein zweiter in Deutschland, seinen Mitgliedern zu seyen givt, waö das zeitgenössische Kunstschaffen hervorbringt, einen verhältnismäßig knappen Raum etnnimmt. Dem Stan der Dinge entsprechend, kommt auch hier vorwiegend die Kleinptastik zu Worte, die immerhin auch in dieser Form Beachtenswertes hervorbringt. Der Hirtenknabe^ ,Bronze) von Rob. A o r n - Charlottenburg ist ein äußerst fein modellierter Akt, in seiner edlen realistischen Wiedergabe des Körperlichen ein kleines Kunstwerk. Tasjclbc läßt sich von dem formenschünen Akte „Dame" (Bronze) von Karl Ebbinghaus-München und von der gleich fein durchgcarbeiteten stark bewegten Bronzesigur .Ruhendes Mädchen" von Otto Lang- München sagen. Die Marmorstatue „Psyche" von Johannes Hoffmann-München ist eine auf gründlichem Studium der Antike beruhende und mit feinem Gefühl für das Material gearbeitete Schöpfung. Keusch und edel in der Auffassung, einwandfrei in der Gcwandbehandlung. Welches jedoch auch die Vorzüge des Werkes seien, der Künstler ist über antike Vorbilder nicht hinweg gekommen. Die vornehme Külte, die bet der Antike oft zu bemerken ist, haftet auch seinem Werke an. Ein Unterschied ist jedoch dabei. Was bei der Antike seinen Ursprung in der für uns Menschen von heute vielleicht unerreichbaren Hoheit der Auffassung hat, resultiert bei Hosfmann aus der Nacktheit des Materials. Seitdem uns Klinger aber gelehrt hat, wie unendlich viel Wärme einem Steine durch Tönung beizubringcn ist, kann uns selbst der weiche Marmor als in der Kunst an gewendetes Rohmaterial nicht mehr recht gefallen. — Es sei noch der Werke des Leipziger Bildhauers R.Earl gedacht, der mit einer Anzahl von Ncliesdarstellnngen in Zinn, Bronze, Gips und Marmor vertreten ist. Er mar ursprinrglich Lithograph und hat, wenn wir nicht irren, mit Unterstützungen von Seiten der Familie Klinkhardt sein Studium bestritten. Er hat sich an der Antike und an der frühen Renaissance gebildet und hat Beachtenswertes erreicht, ohne daß man ibn jedoch schon einen Meister nennen könnte. Seine Puttcnfriese ver weisen stellenweise aus Florentiner, stellenweise auf antike Vorbilder. Linienführung und Komposition sind das Beste, was an seiner Kunst bis jetzt zu entdecken ist. Sic bewegen sich im großen und ganzen in gefälligen Bildern und wohlabgewogenen rhythmischen Gewichten und Gegengewichten. Dennoch bedarf die Komposition Carls noch der Kritik eines ästhetisch geschulten künst lerischen Geschmackes. Wir denken dabei an daS Rund relief „Satir mit Eros und Nymphe". Der Gesichts ausdruck seiner Menschendarstellungen ist fast überall noch unfertig, er ist nicht realistisch, noch nicht einmal typi sierend. Aber in dem Bronzerelief „Porträt des Fräulein K." macht er glückliche Ansätze zu realistischer Wiedergabe des Geschauten, vr. LuüwigWeber. Avette Guilbert und ihr erster Roman. Aus Paris wird uns berichtet: Im Jahre 1902 gab -er Verleger Simonis-Empis in Paris ein Buch heraus, das Erfolg hatte: Vsckotks" von Avette Guilbert. Es war eine Romanstudie über die Welt des Brett'ls: die Geschichte der Grüße und des Falles eines Schneiders, der Sänger und Liederdichter geworben ist und der feine ganze Popularität verliert, weil sich herausstellt, daß er sich die Lieder, die er unter seinem Namen veröffentlichte, von einem armen Poeten hat machen lassen. Wegen dieses Romans erschien Avette Guilbert dieser Tage als Beklagte vor der ersten Kammer deS Civilgerichts, und Herr Albert Clemenceau, -er Vertreter ihres Prozeßgegners, behauptete, daß das Buch nur zu einem geringen Teile von ihr sei. Der Prozeßgegner ist der bekannte Münchner Verleger Albert Langen, der von dem Pariser Verleger das Recht erworben hatte, Veckette" ins Deutsche über setzen zu lassen. Er wollte das Werk gerade herausbringen, als in der „Frankfurter Zeitung" eine Notiz erschien, in der der Künstlerroman kurz und bündig als „literarischer Diebstahl" gebrandmarkt wurde. Avette Guilbert sollte von dem Werke nichts geschrieben und nur ihren Namen für daS Buch hcrgegeben haben. Herrn dangen konnte das natürlich nicht gleichgültig bleiben. Er forschte nach und hatte das Glück, den anonymen Mitarbeiter der Guilbert zu entdecken. Die Entdeckung war übrigens nicht schwer, denn der Mitarbeiter wartete nur darauf, seinen Namen preiszugeben. Es ist ein gewisser Arthur Byl, der das, was man Diskretion nennt, kaum vom Hörensagen zu kennen scheint. Herrn Langen zn Liebe verriet er das ganze Geheimnis nnd lieferte mit ver dächtigem Eifer alle Briefe aus, die er von Avette Guilbert erhalten hatte. Herr Byl hat den Briefwechsel er öffnet. Er fragte bei Avette Guilbert, die ihn nicht kannte, an, ob sic nicht an einem Buche über die Welt des Tingel tangels Mitarbeiten wollte. Er sei ein Schüler solcher Meister wie: Jules Lemaitre, Zola, Paul Bourget . . . Leider sei er noch nicht bekannt; wenn der Roman, dessen Gerippe fix und fertig sei, unter dem Autornamen -er berühmten Künstlerin in die Welt hinausginge, würde er einen ungeheuren Erfolg haben. Avette Guilbert lud darauf den Jünger ZolaS zu einem Besuche ein, da eine mündliche Besprechung der Sache nur förderlich sein könne. Sic müsse jedoch, so fügte sic hinzu, von vorn herein erklären, daß sie von einem nur scheinbaren Mit arbeiter nichts wissen wolle; sie besitze nicht die kindliche Eitelkeit, etwas mit ihrem Namen decken zu wollen, was sic nicht geschrieben habe. Sie wolle, falls sie zu einer Verständigung gelangten, mit ihm zusammen arbeiten: sic habe bereits einige Sächelchen geschrieben, uwü man habe sie hübsch gefunden, aber von der Welt des Tingel tangels wisse sie leider nicht viel. ,/So unglaublich Ihnen das scheinen mag", schreibt sie, „ich kenne diese Welt gar nicht. Seit zehn Jahren komme ich um 9 Uhr 45 an, kleide mich ganz allein an, singe und gehe wieder fort. Meine Beziehungen zu meinen Kollegen sind die freundlichsten, Mitten Tag, guten Abend!" und weiter nichts. Sie betrachten mich übrigens gar nicht als zu ihren Truppen gehörig... Ich bin -ic „Extranummer", die zu gewissen Zeiten des Jahres wiederkommt. Bon ihren Sitten, von ihren Gewohn heiten weiß ich nichts. Ich lerne, ich studiere zu Hause: man bringt mir meine Lieder. Mit meinen Kollegen bin ich nur eine halbe Stunde in der Saison in Be rührung ... am Tage der Probe. Ich glaube auf richtig, daß sie mir meinen Erfolg verzeihen, weil ib ihnen gegenüber fast übertrieben höflich Ibin. Ich hatte nie den geringsten Streit oder den Schatten eines Wort wechsels mit irgend einem von ihnen. Ich halte mib für verpflichtet, mein Herr, Ihnen das alles zu erzählen, um Ihnen die Freiheit zu lassen, irgend einen anderen Mitarbeiter zu wählen, der das Milien besser kennt als ich . . ." Herr Byl aber ließ trotzdem nicht nach, und Ivettc Guilbert wurde seine Mitarbeiterin. Sie faßte die Sache denn doch etwas ernster auf, als die „Frankfurter Zeitung" behauptet hatte. Zahlreiche Stellen des Brief wechsels beweisen, daß sie wirklich mitgearbeitet hat und nicht „nur scheinbar". Herr Byl hat, wie gesagt, den ganzen Briefwechsel Herrn Langen zur Verfügung ge stellt, selbst die Briefe, in denen Avette mit ihm geschäft liche Abrechnung hält. Er hat im ganzen 3500 Kranes erhalten und darüber quittiert. Er hatte selbst einen Mit arbeiter (Herrn Marsvllcau), in dessen Namen er die Quittung unterzeichnete, indem er erklärte, daß er für die „Durchsicht seines Romans" volle Bezahlung erhalten und nichts mehr zu fordern habe. Dagegen hat Herr Langen Forderungen. Er will vom Vertrage mit Herrn Simonis-Empis entbunden werden und verlangt außer dem noch Schadenersatz, da der Roman durch die Notiz -er „Frankfurter Zeitung" feinen geschäftlichen Wert vollständig eingebüßt habe: in Deutschland habe ihm nur der Name Avette Guilbert Geltung verschaffen können, und wenn Avette Guilbert nicht die Verfasserin sei, sei die ganze Sache Essig. Herr SimoniS-Empis hält sich natürlich an Avette Guilbert und will von 'der Eristcnz eines Herrn Arthur Byl nichts gewußt haben. Avette hat von Anfang an die Handlungsweise des Herrn Byl als niedrig und gemein und als noch Schlimmeres bezeichnet. Wie der Prozeß, der fortgesetzt wird, auch anSsallcn mag — mit Glanz und Ruhm bedeckt wird Herr Arthur Byl au- der Verhand lung nicht hervorgehen.
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