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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.02.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040223013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904022301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904022301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-02
- Tag1904-02-23
- Monat1904-02
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 7b nach den Familiennach richten (6 gespalten) 50 -H- Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 /H. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, m l t Postbeförderung 70.—. Annahmeschlutz für Au,eigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von 8. Pol, in Leipzig (Inh. vr. V.,R. L W. Klinkhardt). Nr. 97. Dar MGtigrle vom Lage. * Der Reichskanzler empfing Herrn Adolf Rotstein, den Direktor der Internationalen Handelsbank zu Petersburg und Geschäftsträger deS früheren russischen Finanzministers v. Witte. Es mehren sich die Anzeichen für eine neue Orientierung unserer auswärtigen Politik. * In Berlin traten gestern die Kommissäre der süd deutschen Bundesregierungen und der sächsischen Regierung mit Vertretern der ReichSeisenbahn- verwaltung zu einer Beratung über Vereinfachung in der Leitung des Güterverkehrs zusammen. * Im Venezuela-Streit entschied das Haager Schieds gericht, daß den drei Blockademächten Deutschland, Eng land und Italien ein Vorzugsrecht auf Zölle einzu räumen sei. * Der Huang-Ho-Damm in China ist gebrochen Hunderte von Menschen sind umgekommen. Mehrere Dörfer sind verwüstet. kin ungelörle; Problem. Die Reichshauptstadt wimmelte in der letzten Woche von Agrariern aller Schattierungen. Sie füllten, wie üblich, die Restaurants, die Theater und die Ver gnügungsstätten anderen Ranges, sie atzen und tranken, und standen aut, um zu spielen: aber es wäre ungerecht, wollte man nicht anerkennen, daß neben dem heiteren Frohsinn auch die ernste Arbeit stand. Tie deutschen Landwirte haben nicht bloß mit allgemeinen Klagen die Lust erschüttert, sie haben auch zugleich den Beweis ge führt, daß sie etwas gelernt haben und noch weiter lernen. Es geht ein frischer Zug durch die deutsche Landwirtschaft, das wird allgemein gern zugestanden. In der Technik der Landeskultur sind große Fortschritte gemacht worden, an der Besserung des Saatgutes, an der Bodendüngung, an der Hebung der Viehzucht wird unermüdlich gearbeitet; die Ausstellung für Moorkultur gab begründete Hoff nung, daß in absehbarer. Zeit Hunderte von Quadrat meilen, die bisher brach lagen, für Ackerbau und In dustrie aufgeschlossen werden. In anderer Beziehung aber ist der agrarische Most noch immer recht ungebärdig. Eine derbe, ur wüchsige Sprache scheint für den waschechten Agrarier Lebensbedingung zu sein. Bei ihm gibt es kein Wenn und Aber, keine bedingten Wahrheiten; er geht immer aufs Ganze und Unentwegte. Wenn nicht sofort sämtliche vom Bunde der Landwirte gestellten Forderungen erfüllt werden, dann geht die deutsche Landwirtschaft, ja das Deutsche Reich zu Grunde; nicht mehr und nicht weniger: sie gehen zu Grunde. Da gibt cs keinen Pardon. Dies Dienstag den 23. Februar 1904. 98. Jahrgang. mal war ja der Ton um eine Nuance sanfter, besonders dem Reichskanzler gegenüber; aber trotzdem will Herr v. Oldenburg kurzer Hand den ganzen mit so unendlicher Mühe zustande gebrachten Zolltarif an die Wand werfen, wenn er nicht sämtliche agrarischen Blütenträume sofort zum Reifen bringt. Eine solche Haltung des extremen Agrariertums mag psychologisch begreiflich sein. Wer den größten Teil des Jahres auf seiner Scholle lebt, der hat keine Zeit, sich zum Diplomaten auszubilden. Auch ist ja heute die deutsche Landwirtschaft wirklich nicht auf Rosen gebettet. Was die Agrarier vorbringen an Wünschen und Klagen, das ist eine notwendige Stimme in dem allgemeinen poli tischen Konzert. Sie darf nicht überhört werden, aber sie bedarf ihrer dringenden Ergänzung durch die Stimmen der Industrie, des Handels und schließlich — man schämt sich heute fast, es zu sagen — des Konsu menten, der doch schließlich auch ein Mensch ist — so- zusagen — und leben will. Und deshalb wird auch die agrarische Himmelsmacht fürchterlich, wenn sie von ihrem einseitigen Standpunkte aus allgemeine volkswirtschaft liche Probleme lösen will. Tas zeigte sich besonders bei den Beratungen der Steuer- und Wirtschaftsreformer, die unter der geistigen Leitung des Grafen Mirbach tagten. Schon beim Mittel- standsprobleme bissen sich diese Herrschaften die Zähne aus. Noch schimmer aber ging es ihnen, als sie sich an die amerikanischen Trusts heranwagten, und auch für diesen bedrohlichen Auswuchs des modernen Kapitalismus eine Lösung nach agrarischen Formeln suchten. Tie Trusts haben sich, daran ist kein Zweifel, in den Vereinigten Staaten zu einer gefährlichen Macht aus gewachsen. Tie sind in, letzten Jahrzehnt wie Pilze aus der Erde geschossen, haben fast sämtliche großen und viele kleinen Produktionszweige mit Beschlag belegt, be herrschen fast durchweg den Markt, diktieren vielfach die Preise und regeln nach recht anfechtbaren Grundsätzen Angebot und Nachfrage. Zur Bewältigung dieses Problems hatten sich die Steirer- und Wirtschaftsreformer einen Herrn Tuimchen verschrieben, einen phatasiebegabten Schriftsteller, der von nationalsozialer Seite kommend, bei denen um Mir bach Anschluß suchte. In der Einbildungskraft dieses Herrn wuchs die von den Trusts drohende Gefahr ins Riesenhafte empor. Es war ein in schauerlichen Farben gehaltenes Zukunftsgemäldc, das er entwarf. Herr Tuimchen sieht schon das Ende aller Dinge; er sieht, wie die Trusts mit ihren Fangarmen allmählich die ganze Erde umspannen, wie sie auch in Deutschland ihre Herr schaft stabiliercn, das konstitutionelle Königtum schach matt setzen und an seiner Stelle die Herrschaft des mammonistischen Absolutismus aufrichten. Der Trust als kommender Weltherrschcr, als moderner Dschingis- chan, man mutz gestehen, daß diese Perspektive geeignet ist, volkswirtschaftliche Kinder das Gruseln zu lehren. Die Steuer- und Wirtschaftsreformer waren ratlos. Diesem neuen Despoten gegenüber versagte ihre agra rische Dialektik. Zwar Herr Duimchen selbst glaubte, einen Ausweg gefunden zu haben. Er wollte, wie es wohl bei Waldbränden geschieht, das Trustfsuer durch ein Gegenfcuer bekämpfen. Tas Deutsche Reich soll Gegen trusts züchten, noch größer, noch gefährlicher als die ame rikanischen, um auf diese Weise den Amerikanismus ab- zuwchren: Selbst die Sozialdemokratie soll dieser Auf gabe dienstbar gemacht werden. Aber es war klar, daß die agrarischen Herren, die unsere Steuer- und Wirt schaftsverhältnisse auf ihre Art reformieren wollen, von diesem Vorschläge nicht eben entzückt wurden. Lief doch dieser Vorschlag auf nichts anderes hinaus, als die scheel angesehene Industrie schon heute zur allmächtigen Herr scherin des Deutschen Reiches zu machen. So begnügte man sich denn kopfschüttelnd mit dem Zugeständnisse, daß in dieser Sache eben nichts mehr zu machen sei. Die Trusts kommen, sehen und siegen. Die Regierung wird nach der Berliner Tiergartenstraße verlegt. Man kann es verstehen, daß es den agrarischen Herren schließlich unangenehm war, das heiße Eisen der Trusts auch nur mit der Tangente berührt zu haben. Denn un willkürlich mußte man sich fragen, woher denn eigentlich die Trusts ihre überragende Macht gewonnen haben. Und da kam man denn um die Antwort nicht herum, daß es der Hochschutzzoll der Vereinigten Staaten gewesen ist, der die Trusts gezüchtet hat. Nur weil eine Auslands- konkurrenz unmöglich ist, nur weil offene oder versteckte Ausfuhrprämien für die Abstoßung dec überschüssigen Produktion zu Schleuderpreisen sorgen, konnte cs den amerikanischen Milliardären gelingen, dem Lande ihren Willen aufzuzwingcn. Die Trusts arbeiten mit denselben Mitteln, mit denen auch die deutschen Agrarier arbeiten, mit Prohibitivzöllen und Ausfuhrprämien. Das sagten die deutschen „Reformer" nicht, aber das fühlten sie, als sie über diesen Gegenstand der Tagesordnung ohne Be schlußfassung hinweggingen. Das Trustproblem konnte von agrarischem Stand punkte aus nicht gelöst werden; aber es ist deshalb nichts weniger als unlöslich. Die Sozialdemokratie rühmt sich, eine Antwort darauf zu wissen. Aber man braucht nicht zu ihrer Eisenbartkur zu greifen. Es reicht völlig aus, daß man auch in der Zollpolitik Maß hält und, wo es nötig ist, auf dem Wege der Gesetzgebung den Trusts und Kartellen die allzu langen Flügel beschneidet. Das Volk ist heute mündig geworden, es wird sich nicht auf die Dauer unter das Joch von Dollarkönigen beugen; viel leicht ist die Zeit nicht fern, wo auch Amerika dieses Joch abschüttelt; in Deutschland wird aber hoffentlich eine volkstümliche Politik dafür sorgen, daß weder die Bäume der Trusts, noch diejenigen der Agrarier in den Himmel wachsen. m. grafM»« empfängt stmnsioMein. Aus Berlin, 22. Februar, erhalten wir folgende Information: „Die Berliner Abendblätter vom 22. Februar bringen die Nachricht, daß der Reichskanzler Graf v. Bülow den Direktor der Internationalen Handelsbank zu Peters burg, Herrn Adolf Rotstein, empfangen habe. Diese Meldung dürfte zwar nicht in der großen Öffentlichkeit, wohl aber bei allen Eingeweihten Auf sehen erregen und die verschiedenartigsten Deutungen er fahren. -Seit einem Jahrzehnt ist Herr RotsteinJn- timus, rechte Hand und Geschäftsträger des einst allmächtigen Ministers v. Witte. Wenn er in einer der Hauptstädte Europas anwesend ist, so bedeutet die bloße Ankündigung seines Namens in der Fremden liste das Herannahen einer mehr oder weniger wichtigen finanziellen Aktion Rußlands. Herr Rot- stein, ein geborener Berliner, der übrigens vor einigen Jahren durch einen hohen preußischen Orden ausgezeichnet wurde, darf an der ganzen ost asiati schen Politik Rußlands einen Anteil für sich in Anspruch nehmen, der nicht leicht überschätzt werden kann. Seine Mission in Berlin ist ein politisches Gegenstück zu der Sendung des Obersten v. Schenck, und der Empfang des Vertrauten des Herrn v. Witte wird allen denjenigen, die Deutschlands Neutralität beargwöhnen, Stoff zu neuen Kommentaren geben. Nicht mit Unrecht; denn heutzutage hält sich jede Großbank ihren diplomatischen Vertreter. Die Ent- sendung des Herrn Notstein beweist vor allem, daß die Laufbahn des Herrn v. Witte keineswegs beendet ist. Herr v. Witte ist heute der einzige Staatsmann Rußlands, der den Ereignissen stand zu halten vermag. Was würde Rußland beginnen, wenn ihm nicht Herr v. Witte seinen Goldschatz gesammelt hätte I Ueber den Inhalt der Unterredung des Reichskanz lers mit Herrn Rotstein werden sicher in den nächsten Tagen allerhand Gerüchte in der Presse auftauchen. Ihr Korrespondent kann im voraus aus intimer Perso nalkenntnis heraus versichern, daß sie falsch sein wer- Feuilleton. Ein Nachwort zu d Alberts „Tiefland". Ein Citat von Richard? Strauß. Man soll nicht alles und jedes an Wagner messen. Es ist ungerecht und unklug, ein Werk deshalb abzulehnen oder auch nur kühl aufzunehmen, weil es den höchsten Ansprüchen nicht entspricht. Auf diese Weise wird daS Theater wird die Oper vom Genie monopolisiert und an sich vortreffliche Talente kommen gar nicht mehr zum Wort. Da die Genies aber sehr dünn gesät sind, so beschränkt sich das Repertoir schließlich auf einige wenige Namen. Das ist dann keine Kunst mehr, das ist schon mehr Sport. Gerade hinsichtlich Wagners erleben wir Der artiges leider. In meiner Besprechung von Engen ü'Alberts Oper „Tiefland" sagte ich, daß ein geniales Werk nicht vorliege. Aber ich empfahl die durch und durch talent- und geschmackvolle Oper der Gunst des Publikums deshalb be sonders, weil ein gleichwertiger Ersatz so gut wie nicht zu finden ist. Unter den zeitgenössischen Opernkomponisten wäre d'Albcrt doch unmittelbar nach Humpexdinck und Schillings zu nennen. Ich sagte: auch wenn man das Genie eliminiert, bleibt uns genug. Für die nächsten dreißig Jahre sollten -'Alberts Werke bodenständig unter unS werden. Wir berauben uns selbst, wenn wir „T i c s- land" nicht festhalten. Gerade zur rechten Zeit hatRichard Strauß ganz in diesem Sinne ein ernstes Mahnwort andiedeutsche Musikkritik gerichtet. Ich zitiere es nach dem „Kunst, wart" (Heft 10): „Es wäre etwas sehr Wünschenswertes, wenn der Ge schmack und das Kunstverständnis unseres Publikums sich derart entwickeln möchten, daß neben der jetzt gar so einseitigen Vorliebe für ganz wenige Meister allerersten Ranges «sagen wir Beethoven im Konzertsaal und Wagner im Theater) auch noch einiges Interesse für die gediegenen Schöpfungen unserer „Meister zweiten Ranges" übrig bliebe, für die Werke eines Spohr, Raff, Robert Bolkmann, Peter Cornelius, Alexander Ritter und wie sie alle heißen. Hier böte sich der Kritik eine löhnende nnd ehrenvolle Aufgabe. Ihr verbrieftes Recht, Mängel aufzndecken, will ich der Kritik gewiß nicht streitig machen. Es wäreabergut und nützlich, meine ich, wenn gerade senen Meistern gegenüber weniger die Praxis befolgt würde, Unzulänglichkeiten auf- zuweisen, als vielmehr das reichlich vor handene Wertvolle und Echte klar hervor- zirheben und dem Publikum mundgerecht zu mache n. So manches, was sich in einer anspruchs losen Zeit eingebürgert hat, wird heute in unserm Opern repertoire mit fortgeschleppt, ohne daß jemand daran denkt festzustellen, wie wenig es einer ernsthaften Kritik standhält. Wird aber -er „Cellini" einmal neu einstudiert oder der „Cid" von Cornelius gelegentlich hervvrgcsucht, oder bringt gar Reznieek einen neuen „Till Eulenspiegel", so werden alle diese Werke auf Herz und Nieren geprüft, und sofern sie nicht dem höchsten Ideal in allen Stücken entspreche» oder der Op portunität einer Clique willig zu dienen imstande sind, werden sie beiseite geschoben oder doch nicht mit der Wärme behandelt, wie cs für die Schaffenden sowohl wie für die reproduzierenden Künstler, für Dirigenten, Darsteller und nicht zuletzt für Intendanten und Theaterdirektoren zur Erfüllung des Strebens und der Aöbeitssreüdigckeit wünschenswert wäre. Das Genie geht immer seinen Weg, nicht selten auch gegen die Kritik: manchem Schund wiederum („Trompeter von Säckingen", „OsvsIIe-ris rucstiesna", „Mignon") ist trotz der schlagfertigsten Kritik das Lebenslicht nicht auszu blasen. Jenen Meistern zweiten Grades aber, die, ohne daß ihr Wirken gerade einen Gipfelpunkt bedeutet, Ge haltreiches und Gediegenes geschaffen lhaven, ihrer Pro duktion ist durch liebevolles Entgegenkommen seitens der Männer, die der öffentlichen Meinung Winke und Wei sungen zu geben in der Lage sind, ganz entschieden ein Boden zu bereiten. Und ich bin überzeugt, daß mit dem Verständnisse und der Würdigung dieser Produktion das Verständnis für die ganz Großen wachsen und sich ver tiefen, daß vielem Schlechten aber gleichzeitig das Wasser abgegraben würde. Kunst und Publikum, beide würden ihren Vorteil dabei finden." Das sind wahrhaft goldene Worte. Abgesehen von der höafft unnörigen und sehr einseitigen Behauptung, daß „Oavalloris rustioann" und ,Mignon" zum S ch u n d gehörten, verdienen sie weiteste Beachtung und Befolgung. Wenn man weiß, «wie einseitig und leider oft nur allzu fachlich die Kritik urteilt, wenn man es mit Acrger und Schmerz mitangesehen hat, wie sie sich oft auf die Mängel eines Werkes stürzt und für das Tüchtige nur wenig Anerkennung findet, wird man Richard Strauß von Herzen danken dafür, daß er auf einen Mangel hingewiesen hat, der mit dem Vorwurf der mangelhaften Pflichterfüllung nickst zu scharf bezeichnet wird. Da wir bei der Besprechung von d'Alberts „Tiefland" genau im Sinne von Richard Strauß unsere Stellung ein genommen haben, so fühlen wir uns durch seine Worte nicht betroffen. Wenn dem aber nicht «o wäre, so wür den wir für einen derartigen Appell sowohl Verständnis al» Dank zu zeigen wissen. So erhaben steht die deutsche Musikritik denn doch nicht da, daß sie nickst gelegentlich einen Ratschlag annchmcn dürfte von Seiten eines Mannes, dessen ehrliche Absicht ebenso wenig angezwcifclt werden kann wie sein hervorragendes Können. Wilhelm Kleister. Kunst. leipziger Aunstverein. Professor vr. G. Treu über Auguste Rodin. Herr Professor Treu ist ein anerkannter Redner. Seiner Persönlichkeit in Verbindung mit dem an gekündigten Thema brachte man das größte Interesse ent gegen, und die zahlreich erschienenen Zuhörer folgten mit Spannung seinen geistvollen Ausführungen, die durch die Lichtbilder zweier Skioptika eine zweckentsprechende Illustration erhielten. Nicht nur die zu besprechenden Werke Rodins selbst wurden gezeigt, sondern auch frühere Entwürfe derselben und Analogien aus der älteren Kunst, die von Einfluß auf die jeweiligen Schöpfungen des großen französischen Meisters gewesen sind. — Rodin ist ein Umstürzler, ein Pfadfinder. Jahrhunderte lang hat die Skulptur in Frankreich die Sprache einer fremden Zeit gesprochen, Rodin hat sie gelehrt, wieder die Sprache der lebendigen Gegenwart zu reden. Wie einst Donatcllo, so hat er sic gelehrt, die Wahrheit zu sagen, wie Michel angelo ist ihm der ganze menschliche Körper das Objekt, in dem die seelischen Regungen ihren Ausdruck suche» und finden. Jede Bewegung des Menschen Ro-inS stimmt mit ihrem Ostsichtsausdruck überein, cs ist eine Kunst, die uns in dem einzelnen Körper den Ausdruck der dazu gehörigen Seele sehen läßt. Ein kraftvoller nackter Körper ist für Rodin der Inbegriff alles Schönen. Mit einer glühenden Liebe gibt er sich dem Studium des nackten Menschen hin, die Darstellung seines „Johannes" im Surembourg-Mnseum (Paris) nennt der Redner den bedeutendsten Akt der modernen Plastik. Das Große, das Wuchtige, das Schwere bis ans Riesenhafte Ge steigerte findet den herrlichsten Ausdruck in der Kunst Rodins, und der auf den ganzen Fußsohlen (ohne die Ferse zu heben) cinherschrcitcnde „Johannes" geht wie ein Riese aus der Vorzeit durch den verweichlichten Knlturtempcl hindurch, der in seiner Nachbarschaft aus gestellt ist. Zu solcher Kraft nnd Größe paßt nichts. Konventionelles. Die verwitterten Züge des Jopannes stehen dem zähen, sehnigen Körper vortrefflich an, und die hoch individuelle „MaSke" von 1864, die unstrer An- sicht nach in der Hauptsache an das Porträt Michelangelos nnd in Kleinigkeiten an das Idealbild von Homer er innert, das wir von der Antike überkommen haben, ist als ein Protest gegen alles Kleine, Reizende, Nette, All tägliche entstanden, womit der Künstler sich in den ersten Jahren seines Schaffens, in den Werkstätten anderer „Meister" avgeben mußte. Die Büste des bekannten Publizisten und Pamphletisten Rochefort ist eine Meister arbeit der Charakterisierungskunft. Nicht minder der Kopf des Malers Puvis de Chavanne — beides Studien zur Darstellung der „Bürger von Calais", und die Köpfe von Balzac und Victor Hugo sind bei aller künstlerischer Umgestaltung immer noch hervorragende Stücke moderner Porträtkunst. — Rodin war, als er in die Oeffentlichkeit trat, mit seinem neuen Stile in eine wenig günstige Zeit geraten. So viel Naturalismus und so viel Kraft hatte man noch nicht auf einmal gesehen, und das Schlimmste dabei war, man wollte sic gar nicht sehen. Wie Millet, so ist auch Rodin das Reformatorenhandwerk herzlich schwer gemacht worden. Die Schicksale, die z. B. Rodins Entwürfe zum Victor Hugo-Denkmal erlebt haben, sagen mehr als genug. — Außer der Darstellung des hoch tragischen Schicksals der „Bürger von Calais", einer Gruppe von höchster Energie und Reinheit des seelischen Ausdruckes, ist noch die Daxstellung des „Urmenschen", das aus italienischen Eindrücken (1873) und unter dem Einfluß von Dante und Michelangelo entstandene „Höllcntor" zu erwähnen. Ueber verschiedene Fassungen des „ewigen Licbcsfrühling" hinweg gelangte Rodin zu seiner wunderbaren Gruppe des Kusses, mit besten Vor führung der Cyklus der Lichtbilder schloß. Der Redner gab alsdann noch einen kurzen Ueberblick und endigte seine dankenswerten Ausführungen mit der Hoffnung, daß man in -Leipzig, wo man so viel Verständnis für die Kunst Klingers bewiesen habe, sich auch für das Werk Rodins erwärmen möge. Der Redner selbst hat mit seinem Bortrage die besten Unterlagen zur Erfüllung dieser Hoffnung gegeben. vr. vuckvvig Weber. * Tie Vorgeschichte eines Haeckel-Denkmals. Wst man sich erinnert, gedachte einer der Verehrer des berühmten Natur forschers, Herr von Ritter, ihm zu Jena, an der ^statte seiner Wirksamkeit, ein Denkmal zu errichten. Da der Stifter auch sonst zur Förderung wissenschaftlicher Arbeit in Haeckels Richtung hochherzige Bestimmungen getroffen hatte, so erklärte sich der Forscher mit dem Plane einverstanden, vorausgesetzt, daß das Denkmal erst nach seinem Lebensende aufgestellt würde; hingegen war er bereit, dem Künstler eine getreue Darstellung seiner äußeren Erscheinung zu ermöglichen. Als Bildhauer wurde Harro Magnussen gewählt. Professor Haeckel kam dann im Jahre 1902 auf etwa 14 Tage nach Berlin und stand dem Künstler in der jiebenswürdigsten Weise Modell. Als be geisterter Bismarck-Verehrer fand der große Naturforscher gewiß manche geistige Berührung in dem Atelier Magnussen», der den EharaktcrtvpuS des ersten Kanzler« immer mit Borlieb dargestellt hatte. Neben einer lebensgroßen Büste Haeckel« ent stand ein dnrchgesübrter Entwurf de« Denkmal« in etwa halber Lebensgröße: diese Statuette zeigt den Forscher in Mantel und Schlapphut: sie ist inzwischen in Bronze gegasten. Hinterher trat der Stifter, da er selbst schon alt wi und die Vollendung
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