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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190402074
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19040207
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19040207
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-02
- Tag1904-02-07
- Monat1904-02
- Jahr1904
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1904
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Nnzkigkn-Pre!- die 6 gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem Redaktiousstrich (4 gespalten) 7K vor den Familiennach richten («gespalten) KO Tabellarischer und Zisferniatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenannahme Lü Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit d« Morgen-Ausgabe, ohne Postbefvrdrrung 60.—, mit Poslbesörderung >l 70.—. «nnahmefchluh fstr Vuzetge«: Abrnd-Ausgab«: vormittag« lO Uhr. Morgeu-Au-gabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeig-n sind stet« an dir Exprdttton zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bl« abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Polj in Leipzig «Inh. 1-r. «., R. L W. Klinlhardt). 98. Jahrgang. Nr. 68. Sonntag den 7. Februar 1904. Unser, gerckrtzten Lerer machen vir kierclarch nochmal» beronäer» aut äie reit l. fedruar er. von un» bei fettem Abonnement aut äar LeipIiger Oagrdlatt gebotenen nsusn Uorlrilr »uimerkram. Sie desteken äarin, ltsv jeärm Abonnenten aut »ein« Adonnementrquittung ein /^raliz snteral von r Teilen ffD - SO Pfennig pro Monat , -urtekt. ver Adonnementsprei, tür <l»r Leipffger Oagedlatt W. l.— pro Monat bei Abholung, M. l.2k pro Monat bei freier Turtellung in» lsaor berechnet »ich mit Aückrickt auf clier« Vergünstigung für Morgen- uns Fßbrnä-Ausgabr in lillirklichkeit nur mit 50 PsH glSIIÄl bei Abholung oncl mit 75 psH bei freierTurtellunginrl^au». Mr bitten unrerr geehrten Abonnenten, von äierer neuen Einrichtung reichlichen Gebrauch,u machen. i Etva vorkommentt« rlnpünktlichkeiten in tt« Lustellung unrerr» Slatte» voll» man gefälligst umgekenä an unser« Erpeäition melclen. Lei -Ibonnemenlr auf aen Msnat 7ebr«ar verclen «li» reit ttem >. februar «rrchienenen Morgen untt Adenttnummern nachgeliefert. Eine 2 pfg. porlkarle an un» otter münctlich« Se»1el- lung in unseren Expeditionen, Au»gabr»tellen, bei <i«n 2ei»ungrsp«äiteur«n ocler unserem Lrägerpersonal genügt, un, ttie sofortige Lustellung äer Leipziger LageblaNe» zu bewirken. kxpeaMon aer Leipriger cagedlatte«. Var Mebtigrte vom Lage. * Die königlich sächsischeRegicrung beabsichtigt die Anstellung von Damen bei den Gewerbe inspektionen. * Offiziös wird erklärt, durch den Besuch König Leopolds in Berlin habe für die Lösung der deutsch belgischen Fragen lMvresnet, Kiwugrenze) die Stimmung auf beiden Seiten gewonnen. * Eilt R e i ch s - R e b la u s g c s e tz ist in Aussicht ge- nommen worden. * Die Kölner Krankenkassenmitglieder haben wegen der Einmischung der Negierung in den Konflikt mit den Aerztcn an den Kaiser tele graphiert. * Die Beziehungen zwischen der Pforte und Bulgarien sind infolge Neuauflebens der grotzbul- garischen Agitation gespannt. * Die russische Antwortnote ist gestern in Tokio überreicht worden, lieber ihren Inhalt gehen die Meldungen auseinander. Au« Oer lvocbe. Die sozialpolitischen Debatten, die im Reichstage nach viertägiger Pause zn Ende der Woche wieder ausgenommen sind, haben ihren Höhepunkt überschritten. Wohl ist noch nicht einmal die allgemeine Erörterung, die unter dem Titel „Gehalt de« Staatssekretärs" zu gehen pflegt, ab geschlossen, und noch immer harren einige dreißig Reso lutionen, mit denen durch die rücksichtslose Taktik des Zentrums die Beratung des inneren Etats be schwert wurde, ihrer Erledigung. Wenn nicht ein Wunder geschieht, können — zumal die „Spezialisten", die internen Kenner des eine» oder anderen Berufszweiges und seiner Arbeiter verhältnisse noch gar nicht zu Wort kamen — diese nicht zu Unrecht „uferlos" genannten Etatsplaudereien gut und gern durch drei oder vier Wochen fortgesetzt werden. Trotzdem bleibt es richtig: Der Höhepunkt der Debatten ist gewesen. Bon sozialpolitischen Dingen verstehen die meisten ohnehin nickt«; den einen fehlt es an Erkenntnis der volkswirtschaftlichen Zusammenhänge, den anderen an Sinn für die Massen- plychologie. Und wovon die Leute nichts verstehen, daS muß man ihnen behutsam und in homöopathischen Dosen beibringcn. So oft als möglich und bei jedem denkbaren Anlaß soll man die gebildeten und besitzenden Schichten auf ihre Verpflichtung zu einer neuaufbauenden Sozialpolitik in mitten der durch den Individualismus desorganisierten Gesellichaft Hinweisen; aber was wir jetzt im Reichstage an sozialpolitischer Massenarbeit verstehen, das gleicht der Sint flut, darin „ersäuiet sind viel sündhaft Bieh und Menschen kind": mit ihrem einschläfernden Geplätscher ertötet sie das so wie so nicht übermäßig wache Interesse. ... Ein Höhe punkt aber bleibt: das ist die Aussprache, di« am vorigen Sonnabend im Ansckluß an Anregungen von Zentrum und Nationalliberalen über die Frage der Arbeitskammern und der Verleihung der Rechtsfähigkeit cm die Berus-Verein« statt fand. Ein Höhepunkt nicht zum letzten auch für die nationalliberale Partei. Es hat nicht an Stimmen gefehlt, die mit der in sozialpolitischer Hinsicht nicht genug zu beklagenden Niederlage BassermannS auch daS Geschick der jungen sozialreformerischen Triebe innerhalb der nationalliberalen Partei besiegelt sahen, und wer sorgenden AugeS die ersten Anfänge des neuen Reichstags beobachtete, dem beschlichen bange Ahnungen das Gemüt. Bei der Frage der Kaufmannsgerichte waren es zwei Nationalliberale, die mit am schärfsten diese Erbschaft BassermannS bekämpften, und auch von Herrn LucaS, der in der vorigen Woche die Crimmitschauer Vorgänge besprach, oder gar Herrn Or. Beumer, dem Erfinder des „sozialpolitikchen Auto mobils", wird man nicht gerade behaupten dürseu, daß sie mit allzu verschwenderischen Libotionen sozialpolitischen Oels gesalbt seien. Es wirkte dem gegenüber wie eine Er frischung, als am vorigen Sonnabend Professor Hieber mit der ganzen seelischen Wärme, die diesen vortrefflichen Mann auSzeichnet, erklärte: die nationalliberale Partei wird auch fernerhin in den Bahnen BassermannS wandeln, bewußt und mit Absicht Sozialpolitik treiben und es war wie ein Anklang an die kurz zuvor von Friedberg im preußischen Abgeord netenhause ausgesprochene Sehnsucht nach einer „gesunden Demokratie", als bei der Gelegenheit der Württemberger mit frohem Stolz der bürgerlichen Freiheit daheim im Schwaben ländle gedachte, die auch dem in diesen Stücken etwas stief mütterlich behandelten Norden zum Segen gereichen könnte. DaS freilich, fürchten wir, wird noch auf lange hinaus ein frommer Wunsch bleiben. Da ist in diesen Tagen der Gesetz entwurf über die Entschädigung unschuldig Verhaf teter im Reichstage in erster Lesung beraten worden. Ein Fortschritt — ganz ohne alle Frage; nur gewissenlose Demagogie, der es in erster Reihe aus daS „Verrungenieren" ankommt, wird ihn in der Weise der sozialdemokratischen Redner in Grund und Boden kritisieren mögen. Und dennoch: Wieviel Anlaß bietet er auch der gerechten Kritik! Wie allzu behutsam, mit welcher Angst ist dieser Entwurf auf gestellt! Es ist geradezu, als ob unsere Bureaukratie sich fürchtete, allzuviel auf einmal zu gewähren und so wird denn an allen Ecken und Enden „geknapst" und was ein Recht ist und sein soll, wird in eine Gnade umgewandelt. Auch von nationalliberaler Seite ist auf diese Engbrüstigkeit des Entwurfs hingewicsen worden; das nämliche ist auch von Seiten des Zentrums geschehen und so darf man vielleicht hoffen, daß es der Kommission gelingen wird, die eine oder andere verstimmende Härte noch abzuschleifen. Zn solchem Geschäft eignet sich die lauschige Stille des Kommissions zimmers erfahrungsgemäß am besten. Erst am Donnerstag ist dort wieder ein neuer Handel perfekt geworden. Die Budget kommission ist zur Zeit beim Militäretat. Die Kritik setzt Heuer recht scharf ein; zumal das Zentrum ist von einer Streichwut, die man nach den vielen Liebes diensten, die ihr von der Regierung, insbesondere der preu ßischen, täglich und stündlich erwiesen werden, gar nicht er warten sollte. Aber in einem Punkt hat die regierende Partei doch nachgegeben: über die Gehälter der Oberst- leutnantS, die anscheinend auch diesmal wieder dem Orcus verfallen waren, ist noch zwischen Lipp' und Kelchesranv ein Kompromiß erzielt worden. Dafür hat der Kriegsminister! die Erklärung abgegeben, daß in der nächsten Militär- ! Vorlage die zweijährige Dienstzeit gesetzlich festgelegt werde» ! soll: so ändern sich die Zeiten! Sang- und klanglos ver schwindet damit ein Streitgegenstand, an dem sich «inst der bit terste Konflikt der preußischen Geschichte entzündete. Heutzutage ist man freilich, zum mindesten waS die Regierung angeht, so wenig konfliktslüstern wie nur möglich. Wenn man nicht ziemlich sicher wüßte, daß im preußischen Kultusministerium ein evangelischer preußischer Minister sitzt, man wäre fast ver sucht zu meinen, daß dort die katholischen Räte regieren, um deren Vermehrung Herr Studt sich große Verdienste erworben hat. Aus dem Kultusministers ist um die Mitte der Woche durch die triumphierende Zentrumsprefse ein neuer Schwabenstreich bekannt geworden. Man will die einst von Falk aufgehobenen marianischen Kongregationen wieder gestatten, um so unserem katholischen Nachwuchs, der durch die munter mit Mütze und Band und Schandenhalber auch mit dem blanken Schläger hantierenden katholischen Studentenverbindungen ohnehin früh genug der ultramon tanen Propaganda verfällt, schon auf der Schulbank an den Wagen des siegreichen Zentrums zu fesseln. Da aber keine fromme Unschlauheit auf GotteS weiter Erde groß genug ist, als daß sie nicht ein richtiger preußischer Konservativer mit Vergnügen mitmachte, sind den marianischen Kongre gationen auch bereits in der „Kreuzztg." warme, sozusagen „protestantische- Förderer erstanden. Auch im preußischen Abgrordnrtrnhause formieren sich schon die alten erprobten Sturmkolonnen zum „gemeinsamen Kampf wider den Unglauben". Da- heißt, vorläufig ist man noch nicht so weit. DaS ungenierte Wort des schalkhaften Grafen Kanitz: „Lieber keine Handelsverträge als schlechte" (wobei die Her;enSnirinung ist die, daß alle Handelsverträge schlecht sind) hat noch kein ZentrumSmann zu wiederholen gewagt. Und eS war dem sreikonservativen Herrn Gamp Vorbehalten, den alten bescheidenen vr. Max Hirsch mit Hohn zu überschütten, weil dieser die aus dem Ansang de« vorigen Jahrhundert« stammende preußische Gesindeordnung nicht al« da« rechte Gesetz zur Regelung heutiger LrbeitSverträg« anerkennen mochte. Aber in allen übrigen Stücken ward den Agrariern der Rechten von denen des Zentrums wacker assistiert. Dafür haben die Agrarier ja auch wieder dem Zentrum im Wahl kreise Osnabrück betriebsame Schlepperdienste geleistet. Daß das Heldenstück mißlang, daß der auch lutherische Zentrums- m-.nn von Bar dem wackeren Wamhoff gegenüber unterlag, ist w'hrlich nicht ihre Schuld gewesen. Mit dem Wochenschluß zieht ein neuer Truppentransport ins afrikanische Feld. Zu Beginn der Woche, als die anfangs zurückgehaltene Schreckenspost von dem Untergang von mehr als 100 deutschen Farmern bekannt wurde, packte dumpfer Schmerz alle Herzen und der Kaffer — so versichern uns Leute, die eS wissen könnten — soll in seiner temperament vollen Weise im ersten Augenblick daran gedacht haben, noch 2500 Mann über See zu schicken. Die freundlicheren Botschaften, die dann später zu uns herüberdrangen, haben die Absicht, die übrigen- auch nur schwor ausführbar gewesen wäre, gewandelt. Ans Verteidigern sind unsere Schutztruppen Angreifer geworden und die schwersten Stunden sind für unsere Pioniere da draußen wohl überstanden. Immerhin sollten wir unS vor zu lrühem Viktoriaschießen hüten und auch, um Gouverneur Leutwein Lorbeerreiser um die Stirn zu winden (wozu einige Leichtbeschwingte bereit- Neigung zeigen), dünkt unS der Zeitpunkt noch nicht gekommen. Zu- nächst muß doch Wohl festgestellt werden, wieso es geschah, daß von einer Gährung unter den Herero- überhaupt nichts wahrgenommen wurde. Jedenfalls werden in den nächsten Wochen deutsche Schüsse hinter den fliehenden HereroS herhallen. In Ostasien, scheintS, ist der erste Schuß aber noch immer nicht gefallen. Das heißt: eS scheint! Die letzten Tage haben wieder eine Hochflut englischer Sensationsmeldungen gebracht. Wenn man in London diesmal auch vorsichtig genug war, nicht wieder einfach zu erzählen, der Krieg sei bereits ausgebrochen, so ließ man sich doch schon wieder aus allerlei Orten, aus Peking, aus Washington oder gar auS Petersburg melden, dort halte „man" den Krieg für begonnen. Bis jetzt hat noch keine Halbweg« glaubwürdige Meldung diese Mären bestätigt. Rußland rüstet eifrig und — das ist ganz besonders zu beachten — das amtliche russische Telegraphenbureau unterrichtet selbst die Welt davon: , also eine geflissentliche Demonstration, die doch nur den: Zweck haben kann, die im nämlichen Augenblick überreichte' Note an Japan kräftig zu empfehlen. Diese Note aber ent- hält nach allem, was man hört, bedeutsame Zugeständnisse in Korea. Sollte Japan um ihretwillen wirklich nicht geneigt sein, in der Mandschurei nachzugeben? DaS ist doch kaum anzunehmen. So spricht eigentlich alles — u. a.; auch der in England totgeschwiegene und in Deutschland viel zu weuig beachtete Umstand, daß die japanische Regie rung die vor zehn Tagen beschlossene Kriegsanleihe vertagt hat — gegen akuten KampfeSeifer der zunächst Beteiligten. > Eine wirkliche Gefahr bedeutet aber die mit allen Mitteln erhitzte Stimmung der japanischen Bevölkerung. Die kann! immerhin zu revolutionären Erhebungen führen und dann! mag eS schon geschehen, daß die japanische Regierung, um den inneren Krieg zu vermeiden, lieber den äußeren wählt. — Und hinter Japan steht England, und England will den Krieg — muß ihn wollen, weil es eine so schöne Gelegen heit, die ersten Tatzenschläge im unvermeidlichen Kampfe mit dem russischen Bären von einem anderen parieren zu lassen, so leicht nicht wieder sinket. Eine klarere Entwickelung hat der wirtschaftliche Streit in England genommen, obwohl die Thronrede die Chamberlainsche Zollpolitik zu berühren peinlich vermieden hatte, obwohl in Ober- und Unterhaus die Regierungsvertreter allen Anzapfungen auswichen, ist doch in jeder Rede, die da nk» eröffnete Parlament vernommen, die Erregung über die alle- bewegende FiSkalpolitik Chamberlains durchgebrochen. Und wenn erst der erkrankte Ministerpräsident selbst in der politischen Arena erscheint, dürfte das noch viel mehr zutage treten. Deutlich trägt daS junge Parlament schon die Spuren der Zersetzung; deutlich sieht man bereit» die zersprengten Gruppen sich in zwei neuen Lagern sammeln. Die Whig» und TvrieS werden abgelöst von den nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten sich bildenden Parteien der Cbamberlainschen ReichSzöllner und ihrer Feinde, der Freihändler, in deren Lager der vornehme Herzog von Devonshire neben dem ärmsten Arbeiter stehen soll. Die Regierung aber bleibt nach wie vor unentschlossen und wird an ihrer Unentschlossenheit Wohl zu Grunde gehen, un betrauert von Freihändlern wie von Schutzzöllnern. Reine Freud« ist nur bei den Iren. Denen ist der Zollstreit ganz ungeheuer gleichgültig; sie werden zwischen den seindlichen Lagern hin- und hergehen und ihre Hülse gegen das Meist gebot an nationale Zugeständnisse verhandeln. Deutsches Deich. * Berlin, 6. Februar. * Deutschebelgisch« „Lttmmnngen". Die tu Karlsruhe erscheinende, datier »Süddeutsch«", und vom Kanzleramt inspirierte, daher „Reich--", und im übrigen von Herrn Julius Kay herauSgegebene Korrespondenz bringt folgen- den, aus Berlin, 2. Februar, datierten Artikel: Die versuck«, au» der Begegnung Kaiser Wilhelm« mit König Leopold von Belgien mehr -u machen, al» «in« Wieder ¬ aufnahme freundlicher persönlicher Beziehungen ohne un mittelbar politisch wirksam« Folgen, dauern in der Presse dritter Länder fort. Der russische „Swjet" tischt seinen allerdings un Kohl jeder Art gewöhnten Lesern al- neuestes Gericht die fette Ente auf, nichts Geringere« als daS Protektorat über den Kongostaat sei vom König der B-lgier in Berlin an geboten und „natürlich" von Deutschland freude strahlend entgegengenommen worden. D«r Pariser „Temps" wiederholt in einem redseligen Leitartikel di« Ver mutung, die nichts als leere Vermutung ist, daß die Reise König Leopolds irgendwie mit den Besuchen des holländischen Ministerpräsidenten Kuh per in verschiedenen Hauptstädten Zusammenhängen müsse. Nur um Geschäfte abzusckließen, sei der Souverän des Kongostaates nach der Reick-Hauptstadt ge gangen. Das gilt dem „TempS" als ausgemachte Sache. Er weiß augenscheinlich mehr über Grund, Verlauf und Ergebnis der Zusammenkunft, als die beiden Monarchen selber. Eine am 29. v. M. im „Matin" veröffentlichte HavaS-Meldung au- Berlin, daß der Besuch des Königs die endgültige Regelung der Frage von Neutral-Moresnets gebracht habe, war belgischen Blättern entnommen. In der deutschen Presse wurde umgekehrt sestgestellt, daß die Verhandlungen darüber fort« dauern und noch einige Zeit in Anspruch nehmen werden. Von der in derselben HavaS-Depesche hcrvorgehobenen „großen Feindseligkeit" gegen den Kongostaat bei der Regierung und der öffentlichen Meinung in Deutschland dürfte König Leopold nichts bemerkt haben. Endlich, die Aivusee- Grenzfrage war zu einer Lösung in den Tagen des Königsbesuches n o ch n i ch t s P r u ch r e i f. TS ist aber wohl nicht zu viel gesagt, daß für diese, wie für andere deutsch kongolesische oder deutsch-belgische Fragen durch König Leopolds persönliche Annäherung an Kaiser Wilhelm und seine Rat geber die Stimmung hüben und drüben gewonnen hat. Für einen Amateur-Journalisten schreibt txr Berliner Geheimrat gar nicht übel, weshalb ihm auch die kleine Entgleisung in seinem letzten Latze verziehen sei. Er will natürlich nicht sagen, daß die Stimmung „für die Kragen", sondern für die Lösung der Kragen gewonnen habe. Aber man ist ja schon dankbar, wenn einmal auch von solcher Leite seriöse Tinge nicht in dem üblichen Lmt-stil, sondern in natürlicher Redeweise behandelt werden. Bon dieser formellen Befriedigung unbeeinflußt bleibt aber nach wie vor unsere Besorgnis wegen der Regelung der Kiwu-Angelegenhett, un- wenn erst die Lösung solcher Fragen durch Berliner „Stimmungen^ «»gebahnt werden muß, nehmen die Besorgnisse die Korm von Albdrücken an. * Sicherung der Privatangcstellte«. Das Parlament ist jetzt dabei, gewisse Grundlagen für die Sicherung eines sich immer mächtiger entwickelnden Standes, des Standes der Privatangestellten, zu schaffen. Zunächst gilt es, die Grundlagen zu schaffen, auf denen eine ge naue Beurteilung der Zahl und Lage der Privatange- stellten und ihrer Versicherung aufgebaut werden kann. Die Anträge des Zentrums, der Nationalliberalen und der Konservativen gehen darauf hinaus, die Er füllung dieser Forderung zu beschleunigen. Neben dieser Versicherung soll auch ein Angestellten - S ch u tz geschaffen werden. Je ein Antrag und eine Resolution dazu liegt vor von den Nationalliberalen (Hieber, Heyl zu Herrnsheim, Paasche) und dem Zentrum (Trimborn, Dahlem, Marbe, v. Savigny, Thaler, am Zehnhoff). Der Zcntrumsantrag bezieht sich nur auf „die Gehülfen der Rechtsanwälte, Notare und Gerichtsvollzieher, ferner „die Beamten und Angestellten der Kranken» lassen", stimmt aber im übrigen vollständig überein mit dem nationalen Anträge: „Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstage tunlichst bald einen Gesetz entwurf vorzulegen, welcher bezüglich der Gehülfen der Rechtsanwälte, Notare und Gerichtsvollzieher, der Rechts agenten, ferner der Beamten und Angestellten der Krankenkassen, der Angestellten von Versicherungsgesell schaften auf Gegenseitigkeit, von Vereinen, Aus kunfteien, von Bücherrevisoren, Konkursverwaltern und Eentralbuchkührungsbetrieben Uber die Arbeitszeit, die Kündigungsfristen, die Sonntagsruhe, die berufliche Aus- und Fortbildung, die gleiche oder ähnliche Schutz- Vorschriften vorsieht, wie sie das Handelsgesetzbuch und die Gewerbeordnung hinsichtlich der HandekSangesiellten enthält." Dieser Antrag hat ein besonderes Interesse noch, weil er zum ersten Male die Beamten und Angestellten von Vereinen ausdrücklich mit erwähnt. * Der verband dentscher Inden. Der Zusammen schluß der Juden Deutschland- zu einem Aentralverband ist, nach dem „JSr. Familienblatt" in Hamburg, be schlossene Sache. Am 24. April bereits wird in Berlin die konstituierende Delegiertenversammlung zusammen treten. Nach dem von dem „Engeren Ausschuß für die Gesamt organisation der JSraeliten Deutschlands" auSgearöeiteten und vom weiteren Ausschuß angenommenen Statuten bezweckt der „Verband der deutschen Juden" die Vertretung aller -en Juden Deutschlands gemeinsamen Interessen. Hauptversamm lungen, deren Sitzungen öffentlich sind, sollen mindesten« alle zwei Jahre stattfinden. Mit der Gesckäftsleitung wird ein au» 28 Mitgliedern bestehender Ausschuß betraut, den die Haupt versammlung wählt und dem se zwei Vertreter de» „Zentral verein« deutsch«« Staatsbürger jüdischen Glauben»" und drS „Deutsch-Israelitischen GcmeindebundeS" angehören müssen. AIS Delegierte zu den Hauptversammlungen entsenden die Ge meinden, welche mindestens 2000 Seelen umfassen, einen Dele gierten, Gemeinden, welch« Keiner sind, werden mit benach barten derart zusammengelegt, daß auch hier eine Seelenzahl von 2000 auf je einen Vertreter kommt. Berlin und Vororte allein entsenden jedoch, trotz der ca. 100 000 jüdischen Be wohner, nur 20 Delegierte. Außer diesen Gemeindedelegstrlen werden zu Hauptversammlungen berufen je fünf Brrtreter de« „ZentralvereinS der Staatsbürger jüdischen Glaubens" und des „Deutsch«Israelitischen Gemeindebunde«", je zwei Per- j treter de« Rabbinerverband««, de» Lehrerverbande«, de« Baverischen Landesverein«, der Vereinigung badisch« JSea- t ritten und der bestehenden Provinzial- Md Bezirksverbände«
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