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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.02.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040225023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904022502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904022502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-02
- Tag1904-02-25
- Monat1904-02
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Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzcile 25 Reklamen unter dem RedoktionSstrich (4 gespalten) 75 nach den Famürenuach« richten (8 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, m i t Postbesörderung 70.—. Annahmeschluh sür An;etgen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richte«. Die Eipedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von 8. Polj in Leipzig Hnh. vr. B., R. L W. Kltulhardt). Zir. 1V2. Donnerstag den 25. Februar 1904. 98. Jahrgang. Var Aicdligrte vom Lage. * Dom Reichstage sollen in dem angekündigten Nach- tragtzetat zunächst 2 Millionen Mark zur Ent schädigung sür die Verluste in Deutsch- Süd westa fr rka gefordert werden. * Ter erste Bauzug auf der S ch a n t u n g b a h n isl am 33. Februar in Tsinanfu-Ost angelangt. Da mit hat die deutsche Bahn in Schantung die 388 Kilometer von Tsingtau entfernte Hauptstadt der Provinz erreicht. * Der russische Sieg bei Port Arthur hat die amtliche Bestätigung gefunden. VSchrienIiede. Ojvis sermunus zürn. Das heißt ungefähr soviel: Denn ich den deutschen Bundesstaat, den viele so gern zu einem Staatenbunde machen möchten, verlasse, so gönnt mir draußen niemand ein freundliches Wort. Ein Ge misch von Unverständnis und Herablassung mrt einer Dosis Neid empfängt den Kaiserreichsbürger und bringt neun Zehntel der Teutonensprößlinge dazu, ihre wonne samtrauten Muttcrlaute nur noch leise von sich zu geben. Ein politischer Geschäftsmann, sagen wir in London, wird in letzter Zeit also Gelegenheit zu folgender Kalku lation gehabt haben: „Tie Deutschen sind unbeliebt. Ob eine Kund« davon auch nach Berlin gedrungen? Kann schon sein. Dann wäre vielleicht die erst jüngst wieder konstatierte Tatsache einer nach Norden gerichteten Hülfe- leistung verschwenderischen Stils das Produkt eines Ver suchs, die Mißgunst des nichtdeutschen Teils des Globus ip fhr lie.bllcheä Gegenteil zu kehren." Wir glauben nicht daran; für uns wäre solche Nächstenliebe schon nicht mehr Immaculata; aber daß man in Loudon und Paris und Washington so denkt, ist sicher. Spslen wir darum den Streik predigen, den Streik zur Versagung von Hülfe für das Ausland? Wir würden uns der Sünde fürchten. Aber jeder, der einen Taler für Aalesund gab, hat die Verpflichtung, deren zwei für die deutschen Südwe st afrikauer zu geben, und das ist nicht geschehen. Es heißt sogar, die Sammlung für die verwüstete Kolonie hätten bisher ein wahrhaft klägliches Resultat gehabt, um so kläglicher, nach der verblüffenden Opferfreudigkeit zu Gunsten der niedergebrannten nordischen Stadt. Ueberdies ist noch ein kleiner Unterschied zwischen den beiden Unglüclsfällen. In Aalesund sind wohl Holzhäuser und Warenballen, aber keine Menschen verbrannt — die amtliche Verlustliste aus Afrika klettert schon auf dreistellige Zahlen. Es war allen klar: Jetzt mußte die freundliche Nach barschaft sich revanchieren; das verschenkte Kapital au Statuen, Porzellan, Bibliotheken, Schiffsladungen schöner, auch in Deutschland brauchbarer Sachen mußte jetzt Zinsen tragen — solide Zinsen. Aber selbst Wolff, der alles weiß (was man ihn in Berlin wissen lassen will), wußte nichts von jenseits der Grenze zu melden — und man hätte doch so gern und dankbar auch den kleinsten Korb Reklamesekt registriert. Aber der Sekt kam nicht, dafür machten jedoch einige portugiesische Waffenhändler gute Geschäfte. Unglück bleibt Unglück, ob die Ursachen politischer Natur sind oder nicht. Ter Mutter quillt die Träne darum nicht gelinder, weil man ihr sagt, England fasse den Mord ihrer Kinder in Afrika als eine politische Angelegenheit auf; auch nur durch private Wohltätigkeit sich da einzu mischen, sei bedenklich. Mag das wahr oder gelogen sein — für uns hat zu gelten: Schade um jeden Pfennig,der ins Ausland geht,so lange de utscheKinder Notleiden. 8. Der russtsch-japanische Krieg. axä. Die Scharte ist ausgewetzt, Rußland hat Revanche für Hort Arthur bei Port Arthur selbst genommen. Noch gestern spät abends und in den heutigen frühen Morgenstunden warteten wir vergeblich auf eine Bestätigung der Nachricht, daß bei Port Alttmr von neuem gekämpft worden sei und daß sechs japanische Schiffe gesunken seien, „lieber die Zurückweisung des japanischen Angriffes, hieß es in einem offiziösen Tele gramm der „Russischen Telegr. Agentur" vom 24. Februar, abends 9 Ubr 27 Minuten, war bis 9 Ubr abends eine amtliche Bestätigung in Petersburg noch nicht eingelaufen." Heute morgen langten folgende unverbindliche Meldungen ein: * Petersburg, 24. Februar. Die Japaner ver suchten am 23. Februar vier mit Explosivstoffen gefüllte Dampfer nach Port Arthur yineinzubrtngen. Tie Tampfer richteten aber keinen Schaden an, souoern gingen selbst zu Grunde. Zwei siuü gesunken und zwei gescheitert. Zwei eskortierende iapanische Torpedo boote wurden von der russischen Flotte vernichtet. * London, 24. Februar. Eine ^gewisse Bestätigung der russischen Dteaesmeldnng gibt ein Telegramm aus Tschtfu vom 24. Februar, wonach der russische Konsul meldet, daß die japanische Flotte Port Arthur nach Mitternacht angrtff, wobei 4 japanische Schiffe zerstört feien. An Tschtnwantan mit dem deutschen Dampfer „Haeschkc" anackommene Passagiere melden ebenfalls, daß zwischen I und 4 Uhr nachts dauernd ein Geschützscuer von Port Arthur gehört worden sei. <B. T.) Jetzt mußte man bei aller gebotener Vorsicht doch zum Glauben an tue Authentizität wenigstens des wesentlichen In halts der Siegesdepescken geneigt sein; und eine Stunde darauf folgte denn auch die amtliche Bestätigung in folgendem Telegramm: * Petersburg, 25. Februar. (Tel.) Das Telegramm des Statthalters Alexejew an den Zaren über den ab geschlagenen Angriff der Japaner auf Port Arthur lautet: Am 24. Februar 2/.Uhr früh machte der Feind einen neuen Ver such, den „Retwisan" mit mehreren Torpedobooten anzugreifen und in der Hafeneinfahrt große, mit Ex plosivstoffen gefüllte Dampfer zu versenken. Der „Retwisan" bemerkte die Torpedoboote alsbald und eröffnete ein heftiges Feuer auf sie. Er wurde dabei von den Hafcnbatterien unterstützt. Zwei der japanischen Dampfer, die direkt auf den „Retwisan" losfuhren, wur den am Hafeneingang vernichtet; der eine lief auf die Klippen am Leucht turm auf, der andere sank am Berge Zelotoi. Das Feuer gegen die Torpedoboote wurde fortgesetzt. Bei Tagesanbruch sah man auf der Reede vier zerstörteDampfer und acht Torpedoboote auf d*er Flucht rn den sie auf offener See erwartenden Schiffen. Die Mannschaften der Dampfer waren dabei, sich in Booten zu retten; ein Teil der ertrunkenen Mannschaften wird viel eicht von den feindlichen Torpedo booten aufgesammelt. Ich lasse die Küsten absichen. Die Hafeneinfahrt ist frei. Ich schreibe die völlige Ver eitelung des feindlichen Planes dem brillanten Widerstande nnd dem ver nichtenden Feuer des „Retwisan" zu Ein japanischer Dampfer brennt noch. Auf der Reede steht man noch schwimmende Torpedos. Der Feind zieht in zwei Abteilungen ab. Drei Kreuzer, die ich zur Ver folgung des Feindes auSgefchickt hatte, laste ich znrü ckkommen, um zunächst die auf der Reede schwimmenden Torpe dos zu beseitigen. Unsererseits find keine Verluste zu verzeichnen. Der Plan der Japaner ging also dabin, durch Ver senkung einer Anzahl eigener mit Explosivstoffen gefüllter Dampfer die Hafeneinfahrt zu sperren, was ihnen bei ibrem ersten Angriff am 8. und 9. Februar nicht völlig geglückt war, und so die russifche Flotte völlig kalt zu stellen. Vielleicht wollten sie auch durch Explosivstoffe die russischen Schiffe in Brand stecken. Das ist nun den Japanern diesmal wieder mißlungen und sie haben sich dabei die Finger gewaltig verbrannt. Sie rechneten darauf, daß die ruffljchenMarineoffizieresich nochmals überraschen lassen würden, fanden dieselben diesmal aber nicht zur Soiree bei der Gattin des Statthalters Alexejew, sondern auf Posten und wachsamen AugeS. Eine gleiche Ueberrumpelung wie die am 8. wird russischen Offizieren sicher überbaupt nicht wieder passieren. Der Makel, den sie damals der Marine zufügten, ließ sich ja einigermaßen dadurch entschuldigen, daß Japan den Krieg noch nicht offiziell erilärt hatte und die russischen Seeleute im guten Glauben das Gegenteil von en vesiett« waren. Jener Ueberfall war, wenn auch nicht allem Kriegsgebrauch widersprechend, so doch zweifellos nicht fair. Europäischen Gepflogenheiten entsprach es wenig. Deshalb wird auch die Nachricht von der gestrigen Schlappe der Japaner, ihnen hauptsächlich beigebracht von dem russi schen Schlachtschiff, das sie am 8. arg zerichossen hatten, in Europa, abgesehen von den mit Japan sympatisierenden Ländern, nicht ohne Genugtuung ausgenommen werden. Und dies namentlich in Deutschland, wo man von vornherein sich kein Hehl daraus gemacht hat, daß ein endgiltiger Sieg der japanischen Waffen und eine wesentliche Verminderung des russischen Prestiges für die deutschen Interessen schwerlich erwünscht sein kann. Es scheint, daß die japanische Flotte, nachdem sie ver geblich veriucht hat, Port Arthur und die russische Flotte in Grund und Boden zu schießen, abgedampft ist, vielleicht aus vie Wiederkehr vergessend. Beim Landkrieg bat Rußland manche Chancen, nament lich ist seine Kavallerie der der Japaner überlegen, so daß eS noch recht zweifelhaft ist, ob für das Reich der aus gehenden Sonne ein glückliches Ende dem glücklichen Anfang entspricht. Neber Maskierung van Lorpedafahrzengen schreibt Graf Reventlow im „Berl. Tgbl.*: „Schon zu verschiedenen Malen sprachen die telegraphischen Nachrichten aus den Gebieten des Seekriegsschauplatzes in den osiasiatischen Gewässern von nächtlichen Aktionen der japanischen Torpedoboote, bei denen diese „russische Lichter" geiührt hätten. Nun sind bekanntlich die Lichter, welche jede- auf der Fahrt befindliche Dampfschiff führen muß, international und gleich, sodaß in diesem Sinne von einem Führen russischer Lichter nicht die Rede sein kann. Möglich bleibt nur die Annahme, daß die japanischen Boote sich solcher Nachksignale bedient hätten, wie sie in der russischen Flotte üblich sind. Zum Signalisieren bei Nacht bedient man sich, abgesehen vom elektrilchen Scheinwerfer, in allen Marinen eine- Systems farbiger Laternen, welche hoch oben am Mast an gebracht sind und elektrisch entzündet werden, oder aber farbiger Signalsterne, welche man in gewissen Zwischen räumen in die Höbe schießt. Welche Signalapparate, da heißt welches System, in der japanischen Flotte ein geführt sind, ist nicht bekannt, jedenfalls werden sie aber nicht genau die gleichen sein wie die der russischen Flotte. Gleichwohl ist eS sehr möglich, daß man mit ihnen die gleichen Signalzeichen geben kann. Um russische Signale, das heißt diejenige Zusammensetzung von Signal- zeichen zu geben, welche eine im russischen Flottensignaltodex enthaltene Bedeutung hat, dazu müßte den Japanern dieser in jeder Marine natürlich streng geheim gehaltene Kodex be kannt sein oder vielmehr sick in ihren Händen befinden. Auch das ist nicht unmöglich und wohl anzunebmen, daß Japan sich auch nach dieser Richtung sür den Krieg Wohl vorbereitet hat. Es ist ja allgemein bekannt, und dre Hochverratsprozesse aller Staaten zeigen eS immer wieder aufs neue, wie ausgedehnt, eifrig und erfolgreich die Frieden-- spionage betrieben wird. Im hier in Rede stehenden Falle wäre eS dagegen leicht möglich, durch eine kleine Aenderung, wie sie jedem bekannt ist, der mit irgend einem Telegraphen- Kodex einmal gearbeitet hat, durch Signale, welche nach dem alten System von einem dem Hafen sich nähernden Schiff gemacht werden, dieses als feindliches Schiff sofort zu kennzeichnen. Eine solche Maßnahme liegt so nahe, daß man die Angaben be treffs der „russiichen" Lichter beinahe sür die wohlwollende Annahme russensreundlicher Berichterstatter, für eine Art von mildernden Umständen halten lollte. Indes liegen die Ver hältnisse ja nicht so, daß man irgend welche der vom Kriegs schauplatz berichteten Tatlachen in allen ihren Details al- beglaubigte Tatsachen anseben könnte, und so mag eS auch hier bei einem „uou liqust" bleiben. Als einfache durch die Kriegsverhältniffe gebotene Regel kann aber das folgende festgestelll werden: Wenn um Mitter nacht ein einem Hasen, einer Flotte oLer einem Schiffe sich näherndes Torpedosahrzeug sich nicht bis zu seinem Jnsicht- kommen einwanvirei und unverkennbar als zur eigenen Partei gehörig ausgewiesen hat, so muß es ohne eine Setuude weiteren Wartens unter Feuer genommen und vernichtet werden. Das Torpedoboot sieht große Schiffe meist eher, als es von diesen aus erblickt wird, und so ist es in der Lage, sich schon auf weitere Entfernungen vor seiner Partei durch Signale ,u legitimieren, zumal wen» diese auf bekannter Reede zu Anker liegt. Selbst wenn man aber die Möglichkeit zugeben will, daß in der Verfolgung de- obigen Grunviatzes auch durch Mißverstänvnisse, Unaufmerk samkeit rc. einmal Boote von den Schlachtichiffen der eigene« Partei zusammengeschossen werden, so müßte bas mit in de« Kauf genommen werden, so unangenehm ein derartiger Zwischenfall auch wäre. Denn es ist unbedingt ein kleinere- Uebel, als wenn sich die herannaheuden Torpedofahrzeuge erst Feuilleton. 4j Die Freundin aus Russisch-Polen. Bon Elsbeth Meyer-Foerster. Nachdruck verbalen. Lange noch nach dieser Unterredung, nachdem Helka sich von mir getrennt und ihr Zimmer aufgesucht hatte, faß ich am Fenster wach. Es war ganz still im pause, nur draußen, auf der beschneiteu Landstraße knirschten ab und zu die Räder eines aus dem Orte nach Haus zurück kehrenden BauernwagenS. Es schien eine ländliche Hoch zeit gewesen zu sein, denn ab und zu, während der Schnee draußen alles verhüllte, klang das Juchzen von Weiber stimmen, das Halloh der Kätscher und die abgerissenen Saute eines Dudelsackes durch die Winternacht. Ich grübelte darüber nach, wie Helka in ihrer unseligen Lage zu helfen wäre- Am besten war es, sie trennte sich von den schwachen Eltern und versuchte drantzen, irgendwo in der Welt auf eigenen Füßen zu stehen. Aber sie hatte nichts gelernt. Außer etwas glänzen dem Klavierspiel, das aber lange nicht gründlich genug ausgebildet war, um ihr zum Erwerbszweige zu dienen, verstand sie nichts alszu plaudern,Eigaretten zu drehen und die Männer zu amüsieren. Je mehr ich über sie nachdachte, desto hoffnungsloser schien es meiner eigenen Unerfahren heit, einen Ausweg für sie zu finden. Endlich beschloß ich, am andern Morgen ihr vorzuschlagen, mich auf meiner Rückreise zu den Verwandten zu begleiten; vielleicht war es möglich, ihr, wenn ihre Eltern einwilligten, im Hause der freundlichen Menschen fürs erste ein Unterkommen zu verkchaffen. Dicke Hoffnung, so gern ich sie in Angriff nahm, war von ziemlich kleinmütigen Regungen begleitet. Ich sah im Geiste meine praktische Tante sich über die her» umfegenbe Schleppe entsetzen, den Onkel vor den ge läufigen Etüden und Trillern aus dem Hause laufen und sah die Kinder, die kleinen Dorfpommeränzchen, scheu nnd verlegen vor der koketten Erscheinung sich verstecken. Fran Glescanka nnd ihren Gatten traf ich bereits im GasthanSzimmer an, als ich am nächsten Morgen zu schon vorgerückter Stunde zum Kaffee erschien. Frau Glescanka war boschäftigt, mit einem wollenen I Tuche die Theke zu polieren und die vielen nußbaumnen I Tijche, deren Platten noch Spuren der am Abend vorauf genossenen Flüssigkeiten trugen, abzureiben. Der Haus herr stand am Fenster. In der braunen ver schossenen Samtjacke, auf welche seine grauen Locken niederfieten, mit dem träumend auf die Schneelandschaft gerichteten Blicke hätte man ihn für einen Künstler halten können, der irgend einer neuen Schöpfung in Gedanken nachhing, und nicht für einen Gastwirt, der wahrscheinlich berechnete, wie viel Fässer Bier und Liter Spiritus er neuerdings bestellen müsse. Ans der „Dachde", dem mit Fellen bedeckten Sopha, saßen ein paar russische Offiziere in noch nachlässig ge ordneter Uniform, während ihre Säbel am Garderoben ständer hingen Eine schlafmützige Magd bediente die beiden, goß ihnen Kaffee in Gläser und brachte zopfförmig geflochtenes frisches Gebäck in kleinen Körben. Wie es schien, waren diese beide Herren Logiergä'ste des Wirtshauses gewesen, und nun fiel mir die Be merkung deS kleinen Kutschers auf dem Bahnhose ein: ,Zabc heut schon feine Gast Hingebringen " Vielleicht gehörte es zn Helkas Pflichte«, auch diesen Leuten die Honneurs zu machen, und die ankommenden Logicrgäste, wie gestern mich, zu empfangen und auf ihre Zimmer zu führen. Mein Entschluß, ihr noch einmal das Demütigende ihrer Lage vorzustellen, stand fest. Von diesem Gedanken nnd dem Vorsatz, sic zum Mitreisen aukznfordern, ganz er füllt, befand ich mich natürlich den Eltern gegenüber in ziemlich peinlicher Lage. „Haben Fräuletnchen nicht gutt geschlafen?" fraate Frau Glescanka, während sie mit Polieren aufhörte und eilig daran ging, mir einen Platz am Kaffcetisch znrecht- znmachcn. Ich verneinte die Frage und behauptete, herrlich gernhr zu halben. Währenddessen setzte ich mich an den Kaffcetisch, was die beiden russischen Offiziere sür eine Aufforderung zn halten schienen, ihrerseits gleichfalls an den Prtnattisch zu rücken. Ich stand ärgerlich wieder auf und trat rn Herrn Glescanka, der ngck> scheuer, fast de mütiger Begrüßung sich wieder dem Fenster zugewandt hatte. „Ist Helka noch nicht ans?" fragte ich, während ich mitleidig von der Seite den Hausherrn betrachtete. Er iah übernächtig an-, vielleicht hatte er abwarten müssen, bis die letzten Gäste gegen Morgen das Haus verlassen hatten. „Helka ist noch nicht auf", versetzte Herr Glescanka. „Die liebe Äiud — sie schlaft so gern!" Bei diesen Worten trat er mit mir an den Tisch zurück und wollte sich, mit einer Verbeugung gegen die Offiziere, niederlassen. „Aber einen Wuttki, Pan!" rief der eine von ihnen, und der Hausherr trat sofort vom Tisch zurück, verbeugte sich höflich, ergriff die Schlüssel und ging auf den Flur, um Wisky zu holen. Ich saß mit den beiden militärischen Gästen allein, da auch Frau Glescanka hinansgegangen war, und fühlte ärgerlich ihre ungenierten Blicke. Wie stumpf mußte Helka geworden sein, um fort während, Tag für Tag, diese Belästigungen fremder Männer zu dulden Ich nahm mir vor, ihr heute mit viel klareren Worten als gestern zu sagen, was ich von der ganzen Sache dachte, wo «blieb sic so lange, warum ließ sie mich hier unten warten, und weshalb ließen mich ihre Eltern mit den beiden aufdvimglichen Fremden allein, deren Sprache ich nicht verstand? Ich grüßte kurz und ging aus dem Zimmer, um mich nach ihr umzufehen. Die weich« Stimmung von gestern war verflogen. Im Flur erblickte ich meine Reisetasche und atmete auf. Noch ein paar Stunden, und meine Rolle unter so unerquicklichen Verhältnissen war beendet. Als ich an Helkas Zimmertür klopfte, vernahm ich kein Herein! Ich trat ein — Helka war nicht da. Sie mußte zeitiger als wir alle aufgestanden sein, denn die Fenster schienen bereits lange Zeit geöffnet, kalte Schnee lust herrschte im Zimmer, und vereinzelte Flocken waren hereingeflogen und über die Diele bis vor da- Bett ge weht worden. Schon wollte ich wieder hfnausgehen, als ich an der Tür, mit einer Stecknadel in- Holz gebohrt, einen Zertel erblickte. Ich riß ihn ab und laS: „Meine lieben, besten Eltern, verzeiht es mir. Ich gehe in die Welt hinaus, mir mein Brot zu suchen. Durch ein Gespräch mit meiner Freundin ist mir ganz zum Be wußtsein gekommen, was ich schon immer gefühlt habe: daß ich ein sehr elendes Dasein führe. Ihr, liebe Eltern, könnt nichts dasü«. Wenn ich von Euch fort bin, wird alles besser werden. Bon Such verlangt die Bande (ich meine die Herren) keine Zugeständnisse wie von mir. Wüvde ich aber bleiben und mein Benehmen ändern, so blieben sie einfach aus, wie sie es bereits einmal getan, und Du, guter Papa, würdest vor Sorge um den Pacht zins vergehen. Ich wähle den heutigen Tag darum, weil ich fürchte, bei längerem Aufschub nicht fest zu bleiben, und dann ist heute noch Else da, die mich liebt und Eure Sorge um mich lindern wird. Sic wird Euch besser erklären können als ich, wie nötig eS ist, daß ich gehe. — Lebt wohl. Sobald es mir gut geht, hört Ihr von mir." (Fortsetzung folgt.) "i Em angenehmes Erbe. Roman von Viktor von NeiSner. Nachdruck vergott«. Gräfin Stepenaz gab endlich daS Dernunftpredigen auf. „Nun, wie Sie wollen", sagte sie mit etwas kühlerem 'Ton, „i hab's ans jeden Kall gut g'meint, ob S' sich darnach richten wollen, ist natürlich Ihre Sach'. — So, jetzt geh t wieder hinunter, kommen S' nit auch ein bisserl mit?" Frau von Höchstfeld, die sich kaum noch aus den Füßen zn halten vermochte, entsetzte sich förmlich bei diesem Ge danken, und wenn sich alle Gott weiß wie beleidigt gefühlt hätten, so wäre sie jetzt doch nicht imstande gewesen, ihren Hausfraucnpslichten nachzukommen — wenigstens ein kleines Stündchen mußte sie sich erholen. Dies einzuge stehen, genierte sie sich indes, und so enkschullüigte sie sich damit, noch nachsehen zu müssen, ob auch die Kutscher richtig versorgt seien, woraus die Gräfin sie allein ließ. Diese war noch kaum draußen, als Erna im wilden Lauf zur linken Seitentür hcreinstürzte und sich sofort an vollen Leibeskräften gegen diese stemmte. In ihrer Aufregung bemerkte sie gar nicht die Mama, und als dieie nun in tiefster Empörung auSrief: „Erna, was soll denn das heißen?" ließ sie erschrocken die Tür so'«. wnr"ns die Zwillinge, auf das plötzliche Nachgeben nicht gefaßt, übereinanderkollernd in den Salon kugelten. „Verzeihen, gnädige Frau", entschuldigte sich Dinkv lachend, ,»ber Fräulein Erna versteht eS, uns aeböria In Atem zu halten."
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