02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.02.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040226024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904022602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904022602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-02
- Tag1904-02-26
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vezngS-Preis in b« Lauptexpebttion oder deren Ausgabe stellen aogeholt: vierteljährlich 3.—, bet zweimaliger täglicher Zoftel In na in» Hau» 3.7V. Durch die Post bezogen für Deulich- land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für di« übrigen Länder laut Zrituog-preiSliste. «etzaktt», v»tz »r»edttt-n: Johanni-gasse 8. Fernsprecher 153 u. 222. Filialerprdlti-neu: Alfredtzahn, Buchhandlg.. UniversitätSstr. 3 (Fernspr.Nr. 4O46>, L. Lösche, Katharinen straße 14 (Fernsprecher Nr. 2935 > u. Königs- Platz 7 (Fernsprecher Nr. 7505). Haupt-Filiale DrrSdeu: Marieustraße 34 (Fernsprecher Amt l Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: TarlDuncker, tzerzgl.Bayr.Hofbuckbandlg., Lützowslraße 1OsFernjprecherAmtVINr.46o3.) Abend-Ausgabe riWM TaMaü Anzeiger Amtsblatt des Hömglichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Volizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedaktianSstrich (4grspalten> 7b nach den Familunoach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenannahme 25 Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluh sür Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Au-gabr: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an dir Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. 0r. L., R. L W. Ltiakhardt). Sir. 104 Freitag den 26. Februar 1904. 98. Jahrgang. Var Aichtigrle vom Lage. * In einer gestern abend im „Künstlerhause" zu Leipzig abgchaltenen Versammlung wurde die Be- gründunq eitles Nationalliberalen Vereins für Leipzig und Umgegend beschlossen. Als interimistischer Vorsitzender des Vereins wurde Kammer- zienrat Habenicht gewählt. * Es wird jetzt auch in Regierungskreisen die Hoff nung aufgeaeben, denNeichsetat wie auch den Preu- tzischen Etat rechtzeitig vor Ostern zu erledigen. * An der Budgetkommission despreutzischenAb- aeordnetenhauses erklärte gestern der Minister der öffentlichen Arbeiten, B u d d e, die preußisch-hessische Eiscnbahugemeinschaft habe finanziell und ver- kehrstechnisch guten Erfolg gehabt. * Infolge des plötzlichen Todes des sozialdemokrati schen Neichstagsabg. Rosen ow sind Gerüchte ent standen über eine unnatürliche Todesursache. Tie verdächtigte Frau Rofenow hat die Angelegen- heil der Behörde zur weiteren Veranlassung übergeben. Die Staatsanwaltschaft wird sich über die Ausgrabung der Leiche schlüssig machen. Var geminllerttimmren in Zacbren. II. Da« Rückgrat der Gemeindebefteuerung bilden, wie wir schon im ersten Artikel gezeigt haben, die Einkommen-und die Grundsteuer. Sie bringen nahezu 84 Prozent, also volle ö/z deS Gesamtertrages der sächsischen Gemeindesteuern. Die Anwendung dieser beiden Sleuerarten ist nun keineswegs gleichmäßig über das Land verbreitet. Es wird das am besten anschaulich auS folgenden Uebersichten, die wir zu sammengestellt haben nach Tafel 22 der Statistik, welche der Denkschrift beigegeben ist. Darnach wurde» erhoben: Sinkommenfleuer Einkommensteuer, («doch »rSb« r«r und Gr^nd e«er: ke>n> Grundsteuer: Gemeinden Geme n «n Gemeinden bis 200 Einw. Zahl 263 Ltnwoh er 31936 Zahl 12 Emmohner 1882 201— 500 - 427 144 368 47 16 690 501— 1000 - 351 247 830 65 47 765 1 Ml— 1500 - 179 219 938 40 49 359 1501- 2500 - 134 252 283 35 69 169 2 501- 5 000 - 101 344 754 36 124 388 5001—10 000 - 46 318 253 26 190 289 10 001—20 000 - 15 206 365 7 92 722 über dO 000 « 10 1 280 263 3 124 064 zusammen: 1526 3 045 990 271 716 328 Grundsteuer , jedech keine Etntomm'n- und keine Gtnkomm -nsceuer: keine Grundsteuer Gemeinden Gemeinden Gemeinden Zah^ tnwdhner Zahl Etnw.hner bis 200 Einw. 724 Kl 748 22 2337 201— 500 - 536 165 540 2 450 501—1000 - 115 77 051 — 1001—lüM - 13 15 066 2 2601 1501—2500 - 2 „ 3 793 1 1891 2501— 5000- 1 2909 — —- 5001-10 000- —— — 10001—20000- — — — — über 20000- — — — — zusammen: 1391 848107 27 7279 Rechnen wir die vorstehenden Uebersichten nach den Der- hältniszahlen für alle 3215 Gemeinden mit 4 117 704 Ein wohnern um, so ergibt sich folgendes: Es erhoben Zahl der Zahl der Gemeinden Einwohner Einkommen-und Grundsteuer .... . 47,4 Proz. 74,0 Proz. Einkommen-, aber keine Grundsteuer.. 8,5 - 17,4 - Grundsteuer, aberkeineEinkommensteuer 43,3 - 8,4 - Keine Einkommen- und keine Grundsteuer . 0,8 - 0,2 - Zusammen: 100,0 Proz. 100 Proz. AuS den hier gegebenen Uebersichten kann, in Verbindung mit der prozentualen Berechnung, jedermann leicht die nötigen Schlüsse ziehen. Waren es auch nur 47,4 Proz. aller Ge meinden, die Einkommensteuer und Grundsteuer erhoben, so umfaßten dieselben doch 74 Proz., also rund »/« der ge samten Einwohnerschaft des Landes. Beide Steuern in ihrer Gemeinschaft bildeten also im wesentlichen daS Rück grat der Gemeindeiteuerung im Lande. Ein eigentümliches Bild boten diejenigen Gemeinden, die zwar Einkommen-, aber keine Grundsteuer erhoben. In der untersten Größenklasse der Gemeinden (bis 200 Ein wohner) finden wir sie nur ganz spärlich vertreten. Dann werden sie im Verhältnis zahlreicher, und schließlich finden wir, daß von insgesamt 245 Gemeinden mit über 2500 Ein wohnern 72 oder 29,4 Proz. keine Grundsteuer erheben. Unter diesen 72 Gemeinden befanden sich 33 Städte mit Revi dierter Städteordnung (zusammen 366 417 Einwohner) und 16 kleine Städte mit 41 344 Einwohnern. Haben nun auch, wie der Denkschrift zu entnehmen ist, seit 1902 die Städte Reichenbach, Aue und Kirchberg (zusammen 47 637 Ein wohner) die Grundsteuer eingeführt, so verbleiben doch noch im ganzen 46 sächsische Städte mit 360 144 Einwohnern, die keine Grundsteuer erheben. Die größte von ihnen ist Plauen, dann folgen Glauchau, OelSnitz, Riesa, Hohenstein--Ernstthal, Frankenberg, Limbach, Großenhain.usw. . , Diejenigen Gemeinden, welche zwar Grundsteuer, jedoch keine Einkommensteuer erbeben, sind zwar zahlreich, haben aber nur eine geringe Einwohnerschaft. Wir haben es hier also mit den echten Landgemeinden zu thun. Das geht daraus hervor, daß von insgesamt 2o33 Gemeinden bis zu 500 Einwohnern l260, also 62 Proz., in die hier in Betracht kommende Kategorie entfallen. Nur 16 Gemeinden mit über 1000 Einwohnern waren noch in der Lag-, ohne Erhebung einer Einlommensteuer ihreBedürfnisse zu decken. Die größte davon war Niederporbitz bei Dresden mit 2909 Einwohnern. Ganz gering war die Zahl der Gemeinden, die in der glücklichen Lage waren, keine Einkommensteuer und keine Grundsteuer erheben zu müssen. Bon diesen 27 Gemeinden fielen 22 in die Größenklasse bis zu 200 Einwohnern. In der Mehrzahl dürften es Gemeinden sein, die über einen größeren Gemeindebesitz verfügten, dessen Ertrag — in Ver bindung mit einer Kopfsteuer — zur Deckung der Gemeinde bedürfnisse auSreichte. Die größte- der Gemeinden in dieser Klaffe war Oberbobritzsch bei Freiberg mit 1891 Ein wohnern. Wir haben soeben der Kopfsteuer gedacht. Wenn die vorzügliche Statistik, die der Denkschrift beigegeben ist, doch noch Lücken zeigt, so sind deren zwei zu nennen: Erstens wäre wünschenswert gewesen, daß die Steuersysteme der ein zelnen Städte gesondert gegenübergcstellt worden wären, und zweitens hätte die Kopfsteuer eine eingehendere Bearbeitung verdient. Es sind das Mängel, die das Statistische Bureau bei späteren Veröffentlichungen, die im allgemeinen Interesse dringend geboten sind, beseitigen kann. Namentlich würde dabei eine Bearbeitung des Zusammentreffens derGrundsteuer mit der Kopfsteuer in Betracht zu ziehen sein. Wie nämlich Ein kommen- und Grundsteuer das Rückgrat der Be steuerung in industriellen Orten bilden, so ist das gleiche der Fall hinsichtlich der Grundsteuer und Kopfsteuer bei Orten mit vorwiegend landwirtschaftlichem Betrieb. Wie sehr das zutrifft, läßt sich daraus eriehen, daß, wie unsere Ueber sichten zeigten, rund 1400 Gemeinden im Lande zwar eine Grundsteuer, aber keine Einkommensteuer erhoben. Eine Kopfsteuer wurde dagegen von 1934 Gemeinden im Lande erhoben. Man kann mit Sicherheit annehmen, daß sich unter diesen 1934 Gemeinden die eben erwähnten 1400 Gemeinden befanden, die keine Einkommensteuer erhoben haben. Zur Erläuterung dieses ländlichen Steuersystems sei folgendes bemerkt: In den Orten mit rein land wirtschaftlichem Betrieb ist, mit verhältnismäßig geringen Ausnahmen, die Größe deS ländlichen Besitzes zu gleich ein Maßstab für den Besitz und das Ein kommen der Steuerpflichtigen überhaupt. Eine Grundsteuer vertritt in solchen Orten zugleich die Einkommensteuer und deshalb wird als Hauptsteuer nur eine Gemeindegrundsteuer in Form von Zuschlägen zur Staatsgrundsteuer erhoben. Hierbei gehen nur die Nichtangesesienen frei aus, also in der Hauptsache das Dienstpersonal, sowie Arbeiter, die etwa in dem betreffenden Orte wohnen und, wie es oft der Fall ist, in benachbarten Orten mit industriellen Anlagen beschäftigt sind. Für dcefe wird eine Kopfsteuer erhoben, tzi«, Wa das Gesinde anbelangt, meist von der Herrschaft gezahlt wird. Vielfach ist das sogar in den Dienstverträgen ausbedungen. Die vielgeschinähte Kopfsteuer mag also in Städten oder in den Vororten der Großstädte sehr ungerecht wirken, für die rein ländlichen Orte trifft das, wie wir eben gezeigt haben, keineswegs in dieser Weise zu. Mit der fortschreitenden Industrialisierung wird allerdings die Kopfsteuer immer mehr verschwinden. In den vorstehenden Ausführungen haben wir die Steuer systeme für Stadt und Land im Wesentlichen besprochen. Es bliebe noch übrig, die Einwirkung der von der Regierung vorgeschlagenen Gemeindesteuerresorm auf diese Steuer systeme zu erörtern. d. Der russisch-japanische Krieg. Den zweiten Aarnpf bei Port Arthur betrifft noch das folgende offiziöse Telegramm: * Petersburg, 2b. Februar. Der „Rufs. Telegr.-Agentur" wird yus Port Arthur von heute gemeldet: Heute war ein japa nische« Geschwader lange am Horizonte sichtbar, ohne sich der Reede zu nähern, wo die Trümmer der untergegangenen japa nischen Schiffe brennend herumschwimmen. Die Japaner sind anscheinend durch ihren nächtlichen Mißerfolg entmutigt. Der Versuch, die Hafeneinfahrt zu sperren, ist leicht be greiflich, wenn man bedenkt, daß die Rinne, welche tiefgehende Schiffe benutzen müssen, noch nicht fünfzig Meter breit ist. Mehrere in ihr versenkte Dampfer müßten ein Hindernis bilden, das nur mit großer Mühe und bedeutendem Zeitverlust aufgeräumt werden könnte. Nur darf man, merut die „Köln. Zkg.", zweifeln, ob die Nachricht richtig ist, daß die Dampfer mit Explosivstoffen beladen waren. Durch die Explosion großer Massen von Sprengstoffen würde der Dampfer der artig zertrümmert werden, daß der Zweck, eine wirksame Sperre zu bilden, nicht erreicht würde. Es war also wohl nur soviel Sprengmaterial vorhanden, um das Schiff zum Sinken zu bringen. Es ließe sich allerdings einwenden, daß man die Dampier bestimmt habe, an die vor Anker liegenden russiichen Schlachtschiffe und Kreuzer heranzugehen und durch die Eiplosion sie mit in die Tiefe zu senken. Es wäre bas eine Nachahmung von Beispielen, welche die Kriegsgeschichte auS der Zeit der hölzernen Segelflotten kennt. Am berühmtesten und durch CbamissoS Gedickt in Deutschland allgemein bekannt ist ja der Branderangriff, den Kanaris auf die türkische Flotte vor Ebios machte. Er legte sich neben das Admiral schiff und setzte sein mit Brennstoffen bochgefüllteS Fahrzeug >n Flammen, welche das feindliche Schiff ergriffen, so daß eS in die Lust flog. Mit diesen einfachen Mitteln ist jetzt dea eoernen Schiffen nicht mehr beizulommen, zumal sie keine Takelage haben und außerdem in den Schnelljeuergeschützen eine Waffe besitzen, die auch überraschende, schnelle Angriffe abzuschlagen vermag. Die tandoperatione« der Japaner erstrecken sich, soweit nach dea bi- jetzt vor liegenden Nachrichten zu vermuten ist, auf zwei Gebiete: auf Nordwest-Korea, wo die russischen und japanischen Bor truppen bereits Kühlung genommen haben, und auf den süd östlichen Teil der Mandschurei, wo eine Landung erfolgt sein soll. Wir erhalten darüber folgende Mitteilung: P. London, 26. Februar. (Eigene Meldung.) Der Korrespondent der „Daily Mail' in Niutschrpang bestätigt die in voriger Woche angrkündigte Landung der Japaner in der Possietbucht, unterhalb Wladiwostok, die Besetzung Huntschun» und de» Bormarsch auf Kirin. Eine Kriegsflotte, wahrscheinlich die zweite japanische, wurde vor Wladiwostok aleichzeitig signalisiert. Die Japaner landeten bereits am 17. Februar. Missionare au- Twanglschenatsu sollen diese Meldung gebracht haben. Die Nachricht klingt nicht unwahrscheinlich, wenn man sie mit der vom 19. Februar zusammenhält, nach der der russische Statthalter Alexejew sein Hauptquartier nach Mukden und die mobile Armeeintendantur nach Chardin verlegen wolle. Diese Maßregel mag dann als Folge der Landung der Japaner in der Possietbucht aufzusaffen sein. Von der Possietbucht und der Stadt Hontschou werden die Japaner die von Wladiwostok ausgehende Mandichurei- bahn zu gewinnen suchen, die über Kirin nach Mulden, nördlich von Arthur, führt. Cbarbin liegt nördlich von Kirin. Ausfallend bliebe nur, daß Alexejew den Japanern die Landung gerade an diesem strategisch so hervorragenden Punkte, wo eia Landungsverjuch doch vorauszusehen war, gestattet hat. Von Versuchen, einen lolchen abzuschlagen, ,st nichts bekannt geworden. Die Absicht der Japaner scheint zu sein, den russischen Landstreilkrästen in die Flanken zu kommen, näm lich von Chardin im Norden und Ping-Hang im Süden her. Es wird noch berichtet: * London, 26. Februar. Dem „Standard" wird cm» Tokio depeschiert, die Gesamtstärke der zur Zeit in Korea stehenden russischen Truppen übersteige nicht 1000. Die Russe« Feuilleton. s) Die Freundin aus Ruslilch-Polen. . Bon Elsbeth Meyer-Foerster. Nachdruck verboten. ES waren ein paar Monate vergangen, und alles hatte sich besser gelöst, als man in jener Stunde, da Hellas kleiner Brief in ihrem Elternhause so viel Aufregung hervorgerufen, hätte denken können. Ich war längst nach Berlin zurückgekehrt, in der ersten Zeit ganz mit dem Gedanken an die trostlosen Eltern be schäftigt, denen ich in einer Empfindung von Schulvgcfühl fast täglich lange tröstende Briefe schrieb. Um Helka sorgte ich weniger. So, wie sie war, selbst bewußt und klug, würde sie ihren Weg schon finden. Ich war deswegen nicht so sehr überrascht, als eine- Tages die von mir längst erwartete Nachricht einlief, daß sie weder verschollen noch verkommen sei, sondern ganz im Gegenteil sich bester denn je befinde. Sie war nach Warschau gegangen, um Unterkunft zu suchen, war einig« Zeit lang ganz entmutigt umher geirrt, bis eS ihr gelang, einen Platz in dem Kontor einer großen Firma zu finden. Dort hatte si« durch ihre Sprachkenntnifle zuerst die Aufmerksamkeit der Prinzl- pale auf sich gelenkt, sie war inS Haus gezogen worden und — da- Debüt hatte mit einer Verlobung mit einem vermögenden jungen Kaufmann, Herrn Markwart, ge- endet. „Mein Sweet-Heart ist ein Deutscher", schrieb sie, „und bald, sowie die Hochzeit gefeiert ist, kehre ich mit ihm in seine Heimat zurück. Ich komme nach Berlin, wir werden dort leben, ich werde Dich wieder haben, Dir danken können. Di« Eltern sind glücklich. Sie werden ihr Geschäft nach Eurer Hauptstadt verlegen, um mir täglich nahe zu sein, doch davon darf „Er" vorläufig nichts misten. Ich kann nicht verlangen, daß er mit mir zugleich noch die Eltern übernimmt! Aber dort drüben in dem elenden Nest sollen sie mir nicht zu Grunde gehen." Also Helka verheiratet! T» wollte mir gar nicht in den Kopf. Wie rasch war das alles gekommen. Gibt eS wirk lich Menschen, denen das sogenannte Glück nach dem allerersten Wurf schon in den Schoß fällt" Die Eltern hatten um sie gebangt, gesorgt, gezittert, und inzwischen war si« lächelnd dem unerwarteten Ziele zugcschritten. In der fremden Welt, die so vielen Heimat losen ihres Geschlechtes zum Jrrsal wird, war sie weder gestrauchelt noch geschwankt, der blinde Zufall hatte sie sofort geschützt und sie in treue Hände geführt. Ich dachte lange darüber nach. Wie dankbar mußte sie sein, der Ausnahmen zu teil wurden, wie den wenigsten Frauen. Tie war so jung — kaum neunzehn Jahre. Und doch schon am Ziele — über alle Gefahren hinweg. Do dachte ich mit meinen eigenen neunzehn Jahren. Sie war reizend als junge Frau, wie ich sie das erste Mal wiodersah. Jetzt durfte ihre Schleppe wallen — ihre weißen Hände dursten tändeln — niemand nahm Anstoß daran — allen Beschränkungen eines ärmlichen, alltäg lichen Lebens war sie entrückt. Ihr Gatte, der sie leidenschaftlich liebte, behandelte sie wie einen kostbaren Schatz, der jede Stunde zerbrechen könnte. Aber bald merkte er, daß threr etwas un geduldigen Natur die ewige Fürsorge, die er übte, und die Enge der ihr erlaubten Freiheiten lästig wurden. Nun bemüht« er sich, ihr das Gegenteil dieser Methode zu beweisen, indem er ihr zeitweise sein vollstes Vertrauen gab, und in der Hoffnung, ihren selbständigen Geist auf diese Weise geschickter, unmerklich ganz zu sich zu lenken, ließ er ihr Freiheiten, die seiner Neigung manches Opfer kosten mochten. Hetka besuchte mich oft. Sie fand eS reifend, sich in „Pensionen" zu bewegen, wo fortwährend Leute kamen und gingen, die Unregelmäßigkeit einer solchen Leben», fithrung entzückte sie. Sie beneidete die jungen Ameri kanerinnen, deren Dasein ein fortwährendes Kommen und Gehen war, die vom frühen Morgen bis zur Nacht alle Sehenswürdigkeiten der Residenz durchjagten, stet» zn spät zu Tisch erschienen, ungeniert mit ihren männ lichen Landsleuten verkehrten, ohne Begleitung in den Restaurant» der Stoldt speisten, allein in die Theater gingen und von keinerlei Zwang bedrtickt schienen, irgend jemandem in der Welt Rechenschaft abzulegrn. Venn Helka e» darum irgend einrichten konnte, blieb sie in meiner Pension zu Tisch, amlisierte sich prächtig im Kresse von so viel jungen, ungebundenen Leuten, und eS überflog sie wie ein Schreck, wenn ich sie endlich an den Aufbruch mahnte, und ihr vorstellte, daß ihr Mann schließ lich auch ein gewisses Recht auf ihre Persönlichkeit habe. Eines Tages war ich bei Helka zu einem kurzen Besuch, als sie die Gelegenheit benutzt«, ihrem Manne zu ge stehen, daß ihre Eltern angekommen wären, und sofort in das Gasthaus, das sie im Zentrum der Stadt gepachtet hätten, übergesiedelt wären. Conrad sckfien zuerst sprachlos. Dann sprang er auf, ergriff Hekkas Hände, schüttelte sie und rief sehr hitzig: „Was hast du da getan, du Kind. Ich hatte dich so ge warnt davor, in dieser Sache gegen meinen Willen zu handeln. Ein für allemal hatte ich dir gesagt, daß ich deinen Eltern beistehen will. Es ist Wahnsinn, sie zu einem solchen Schritte zu verleiten. Es paßt mir nicht, sage ich dir, daß meine Schwiegereltern für Kommis und Handlungsreisende Bier oerschänken und eine Kneipe eröffnen." „Du bist einfach hochmütig", entgegnete Helka, indem sie sich trotzig von ihm losmachte. „Aber", fügte sie hinzu, mit einem solchen Ausdruck von tugendhaftem Stolz, daß ich einen Augenblick ganz verdutzt war, „glaubst du, ich werde dulden, daß du neben der Last, die du mit mir übernommen hast, auch noch meine Eltern er- nähren sollst?" „Unsinn!" rief ihr Gatte heftig, indem er sie umschlang, „du weißt, daß es mich keine Opfer kostet — viel quälender wird es für mich sein, die alternden Leute in so un passenden Verhältnissen zu misten. Laß, laß", fügte er hinzu, al- er sah, daß Tränen kamen, „das Malheur ist geschehen und nicht zu ändern. Nur das eine versprichst du mir, daß du einwilltgen willst, die Eltern, sobald sich Gelegenheit bietet, im Verein mit mir von den über nommenen Verpflichtungen zu befreien und zweitens, — daß du den Verkehr bei ihnen, so lange sie das Restaurant besitzen, nur an meiner Seite pflegen wirst." Helka sah ihn einen Augenblick tiefbeletdigt an. Dann errötete sie und schlug die Augen zn Boden. Hatte er erraten, was sie ihm bisher immer verschwiegen — wußte er, welche Rolle einer entgegenkommenden Hebe sie im Elternhaus gespielt hatte? Nahe dem DönHofsplatze, mitten im Branden und Treiben des Zentrums, in der Kommandantenstraße, hatten die GleScankaS ihr Gasthaus „Zum tapferen Lad- wenka" ausgemacht. Die Idee, den vielen, gerade in jenem GeschästSteil der Stadt so reich vertretenen Land». leuien ein heimatliche Stätte zu bieten, war vielleicht nicht schlecht. Tenn schon am Eröffnungstage fand sich ein ziemlich zahlreiches Publikum ein, un'ü der Dampf der auf der Speisekarte angegebenen Nationalgerichte schwebte tagsüber in den festlich mit Laub und Tannenreis ge- schmückten Räumen. Die Transparente, die die polnischen Farben zeigten, sprachen ausschließlich von der Treue des edlen Geschlechtes und dem festen Vorsatz, dieselbe „brüderlich" zu halten. Ich war auf einen Augenblick in der Küche der Frau Glescanka eingckehrt; aber nur, um ihr eine dringende Mitteilung von Helka zu überbringen. Hellas lebhafter Wunsch war es gewesen, der Eröffnungs feier bcizuwohnen. Ihr Mann aber war diesem Wunsche energisch entgegengetreten. Ich war Zeuge der am Nach mittag stattgefundcnen Scene gewesen, da ich, wie alle Wochen mehrere Male, bei Helka den Abewd zugebracht hatte. Mit trotzigen und zornigen Tränen in den Augen hatte sie mich bestürmt, „wenigstens persönlich" zu Maina hinaufzusahren, um ihr die Absage zu überbringen. Sie war untröstlich gewesen, von heilloser Wut erfüllt, wie ein Kind, dem man ein geliebtes Spielzeug entrissen hat; ich kannte an ihr diese Leidenschaftlichkeit, die ihre Schön heit wie ein Brand zerstörte, so -aß für 'den Moment ihr verführerisches Gesicht voll Falten und Linien war, hart und unzugänglich, mit feiner fast stupiden Eigenwilligkeit dem der Mutter ähnelnd. Krau GleScanka war nicht minder empört, als ich ihr die Nachricht brachte. Sie staüd In der hellerleuchteten Küche, vom Herdseuer rot beschienen, so daß ihr gesundes nnd üppiges Aeußere noch mehr al» sonst von Leben zu strotzen schien. „Js sich abscheulich, iS sich infam von unsere Schwiegersohn", klagte sie aufgeregt. „Wird sich noch stehlen das Herz von unsre einzige Tochter, daß sie muß verachten lernen ihre arrme, alte Eltern." Arm und alt sah sie nun gerade nicht aus, die Herrin zum „tapferen Ladwcnka". Sie trng ein schwarze», reiches Seidenkleid, ein Geschenk des infamen Sclrwiegersohns, — die unum gängliche Schleppe fegte bei jeder hastigen Bewegung über den Fußboden der Küche. „Müssen Sie wenigstens dableibcn, Kräuleinchen! Kommen schrr lustige, junze Leut', lauter liebe LandSleut, spielt Pan Gle-canka sehrr sein, werrden wir tanzen Mazur und Czarda», — sein, feinino, Kräuleinchen", bat sie dringlich in ihrem Küchen- jargon. Ich lehnte, wenn auch mit einem gewissen Be- dauern, ab. Es hätte mich interessiert, einen Blick in diese tragisch-patrivtische GasthauSwelt -n tun, doch ich
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