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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.02.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040227026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904022702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904022702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-02
- Tag1904-02-27
- Monat1904-02
- Jahr1904
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vezngS-PrtiS t» d« Hanptexpedition oder deren Au-gabe- stellen abgeholt: vierteljährlich .M 3.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS -Sl 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich viertel,ädrlich 4.50, für di« übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Nedattts« und Expedition: JohanniSgasse 8. Fernsprecher 153 u. 222. Ailtalexpedittone«: AlsrebHahn, Buchhandlg., Universitätsstr. 3 (Fernspr. Nr. 4046», L. Lösche, Katharinen- stratze 14 (Fernsprecher Nr 2!>3Ü> u. KönigS- platz 7 «Fernsprecher Nr. 7505). Haupt-Filiale Dresden: Marien stratze 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker, Herzgl.Bayr.Hofbuchbandlg.. Lützo-wstratze lOlFernjprecherAmt VI Nr.4603.) Abend-Ausgabe. WpMcr TllgMü Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- und des Aönigkichen Amtsgerichtes Leipzig, - des Aales und des Aotizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anztlflcn.Preis die 6gespaltene Petitzeile 2S Reklamen unter dem Redoktionsstrich (-gespalten) 75 nach den FamiUennach- richten <6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lsserlenannahme 25 -H. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, odne Postbeförderuug 60.—, mit Postbesördrrung 70.—. Annahmeschlntz sür Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags lO Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Ezpedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von sruh 8 bi- abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Hah. l)r. B., R. L W. Lltulhardt). Nr. 106. Sonnabend den 27. Februar 1904. 98. Jahrgang. Var MckMgrte vom Lage. * Eine Anzahl Vorstandsmitglieder (Arbeit geber) von deutschen Krankenkassen haben eine Er klärung erlassen, daß die Verwaltnngsinaßiiahmen ihrer Klassen nicht durch politische Bestrebungen beeinflußt würden. * Die Umleitung -es Güterverkehrs im Donderintercsse von Einzelstaaten soll in Zukunft unter- b l e i b e n, so ist in einer Konferenz von Vertretern -er etnzelstaaüichen Eisenbahnverwaltungen beschlossen wor den. * Die preußische wasserwirtschaftliche Vor lage soll fert g gestellt sein: bereits ist einem Provin - ziallandtage der sein Gebiet betreffende Teil der Vorlage zur Begutachtung übergeben worden. * Den Gerüchten über eine nicht natürliche Todesursache des Reichstagsabgcordncten Rose- now wird im „Vorwärts" entgegcngetreten. Noscnow ist nach dem Zeugnis des Arztes an Gelenkrheuma tismus und Herzklappenentzllndung ge storben. * Sämtliche fapanische Angriffe auf Port Arthur sind bis jetzt abgeschlagen worden: es ist den Japanern noch n i ch t g e l u n g e n, bei Port Arthur Truppen zu landen. Vie marianischen Kongregationen. Mühelos fallen dem Zentrum die Erfolge in den Schoß. Durch das durchlöcherte Jesuitengesetz schlüpfen jetzt die „Mar ionischen Kongregationen" wieder pach Deutschland und bemächtigen sich der Schule. Der preußische Kultusminister läßt — allerdings unter Äautelen — diese marianischen Kongregationen zu, die aus pädagogischen Gründen in dem katholischen Bayern, noch ehe die Welt etwas vom „Kulturkampf" ahnte, im Jahre 1869 verboten wurden sie werden jetzt in Preußen, nachdem sie dreißig Jahre hin durch aus den Schulen entfernt waren, wieder eingefllhct! Das Zentrum behauptet, diese marianischen Kongre gationen, oder wie ihr offizieller Titel lautet: „Kongre gation der allerseligsten Jungfrau unter dem Titel der Verkündigung Mariä", sollten auf den Schulen dieselbe Pflicht erfüllen, wie die evangelischen Bibelkränzchen auf einzelnen Schulen. Mit solchen sind aber die marianischen Kongregationen durchaus nicht zu ver gleichen. Ueber Ursprung, Wesen und Zweck der letzteren herrscht leider noch zu viel Unklarheit, sonst würde der Erlaß des preußischen Kultusministers nicht mit solcher Gleichmütigkeit ausgenommen werden, als handle es sich wirklich nur um eine den evangelischen Bibelkränzchen analoge Einrichtung. Die marianische Kongregation ist eine Institution der Jesuiten, errichtet im Jahre 1563 am „Collegium Romanum". Im Jahre 1584 wurde sie vom Papst Gregor XIII. durch die Bulle Omnipotentts vsi in dem genannten Kolleg kanonisch errichtet und zur Erzbruder schaft mit dem Majorat über alle schon gegründeten, oder ferner entstehenden erhoben, und noch heute sind diese Kongregationen der römischen Erzbruderschaft und damit dem Jesuitenorden aggregiert, erhalten von ihm ihre Regeln und Spezialbestimmungen, und alle Fäden des weit ausgesponnenen Netzes laufen, wie Prof. Hauck in seiner Nealencyklopädie treffend ausfllhrt, in den Hän den des Generals der Gesellschaft Jesu zusammen, und wo den Jesuiten eine unmittelbare Wirksamkeit untersagt ist, wie vorläufig noch in Deutschland, bilden gerade diese Kongregationen die wichtigsten Kanäle der jesuitischen Wirksamkeit. Lassen wir aber den Historiker der marianischen Kon gregationen, den Jesuitenpater Löffler, selbst ihr eigentliches Wesen darlcgen. „Stille Gcbetsvereine", schreibt er, „sollten die Kongregationen nicht sein, durf ten sie auch nicht werden." Männer, kirchlicheSol- daten will der Jesuitenorden durch diese Einrichtung erziehen ihr Ziel ist Kampf! Von Anfang an gehörte die Zurückführung der Häre tiker in den Schoß der römischen Kirche zu ihren er strebenswertesten Aufgaben; sic wurden stets mit reich- lichen Ablässen belohnt und waren für die Durchführung und Befestigung der Gegenreformation von größter Be deutung, namentlich in Oesterreich und Bayern. In letz- terem Lande zeigte sich Maximilian I. als besonders eifriger Förderer der marianischen Kongregationen. Als in Oesterreich 1773 mit der Gesellschaft Jesu auch sie für einige Zeit verschwanden, blühten sie später um so kräf tiger auf, namentlich, wie zu Beginn ihrer Wirksamkeit, in den Schülerkongrcgationen. In Bayern wurden diese, wie schon oben hervorgehoben, im Jahre 1869 auS p ä - dagogischen Gründen verboten! An der Spitze jeder Kongregation steht als Präses ein Geistlicher, fast stets ein I e s u i t. Daneben wählen sich die Kongregationisten als zweites Haupt einen Präfekten aus ihrer Mitte, dessen Wahl aber hinsichtlich der ein zelnen Stimmabgabe vom Präses sehr genau kontrolliert wird und von diesem bestätigt werden muß. Dazu kommen dann eine Menge von Beamten, deren große Zahl d'c Tendenz verfolgt, möglichst viele für die Aufrecht erhaltung dec K'ougregationspflichten zu interessieren. Ueber diese Organisation und ihre Ziele sagt der Je- suirenpater Löffler: „Ter priesterliche Leiter, der Präses, scheinbar im Hinter gründe deö öffentlichen Lebens und Wirkens stehend, überläßt in kluger Mäßigung dem meistens aus Laien bestehenden Magistrate die äußere Repräsentation der Autorität und Raum zu freudiger Initiative-, sich selbst bewahrt er Recht und Pflicht, letzteren, wenn nötig, Impuls und Richtung, jedenfalls Nach druck, Geltung und Sanktion zu geben. Von ihm, der selber und allein im Geheimnis und der Kraft kirchlicher Mission wurzelt, ergießt sich das Geäste lebendiger und doch instru mentaler Gewalten in den ganzen Körper, mit der sicheren Leitung auch das hebende Bewußtsein apostolischer Sendung. Durch diesen priesterlichen Ring ist die Kongregation endlichverankertmitdemapostolischenOrden Jesu, deren oberstes Haupt zum gesetzgeben den Haupte aller marianischen Kongregatio- nenvomrämischenStuhlebestellttvordenist." Jcsuitenpater Löffler, als historische Autorität für die marianischen Kongregationen, legt hier also deren innigsten Zusammenhang und unbedingte Abhängigkeit vom Jesuitenorden dar! Wa-.- wollen gegenüber dieser festgefügten jesuitischen Organisation die Vorbehalte und Einschränkungen durch den Kultusminister besagen! Sie werden, wenn nicht der leitende Direktor der betreffenden Zchule, welchem jetzt durch den Erlaß des Ministers die Au'ücht über die Schülerkongregationen unterstellt ist, in fortwährenden Konflikt geraten will, einfach beiseite geschoben und die Jesuiten berl > ch en in Preußen unbedingt und unum schränkt über die konfessionelle katholische Schule! Zu; Sibirien verbannt. L>chon bei der bloßen Nennung des Namens des größe ren Teiles des Zarenreiches wandelt den Mitteleuropäer jenes Gruseln an, das sich seit Jahrtausenden in einer eigentümlichen Veränderung der Körperoberfläche kund zu tun pflegt. Von den Haaren gilt, daß sie eine stram mere Haltung annehmen und von der Haut behauptet eine sprichwörtliche Redensart, daß sie Aehnlichkcit mit der eines allgemein beliebten Vogels gewinnt, der in gebrate nem Zustande Eigenschaften entwickelt, die der Sitten- strenge des ausgefleischtesten Vegetariers gefährlich wer den können. Ja, die Haare stehen uns zu Berge und die Gänsehaut überläuft uns, wenn wir von einer Ver bannung nach Sibirien hören und die Schauer einer eisigen Hölle ängstigen das empfindsame Gemüt der stets schönen Nomanleserin, wenn sie die übliche Schilderung einer unfreiwilligen Entdeckungsreise in die nördliche Hälfte Asiens liest. Wir dürfen also wohl aus dem all gemeinen Empfinden heraus feststellen, daß eine Ver bannung aus Sibirien noch lange nicht zu dem Schlimm sten gehört, was einem anständigen Menschen in Ruß- land passieren kann. Ein Klageruf über die himmelschreiende Ungerechtig- keit und Grausanikeit einer Verbannung aus Sibirien bat entschieden den Reiz der Neuheit für sich, denn bis jetzt war man gewöhnt, gerade die Besiedelung Sibiriens als eine Angelegenheit zu betrachten, die hauptsächlich in das Ressort der wenig populären politischen Polizei Ruß lands gehört. Was für Mühen kostete es bisher nach den Schilderungen Eingeweihter gerade in Sibirien die mo derne Verkehrstugend der Freizügigkeit zu üben. Ein öffentlicher Klageruf über Verbannung aus dem als un- wirtlich verschrieenen Sibirien ist also ein neuer Ton im Stimmengewirr der sog. öffentlichen Meinung, und dieser Ton ist erklungen! Tie englische Zeitung „Daily Expreß" bringt die erschütternde Nachricht von der Aus- Weisung aller Juden, die in Tomsk, Omsk, Irkutsk und andern Städten längs der transsibirischen Eisenbahn wohnen. Als Grund dieser etwas summarischen Maß regel wird von der russischen Regierung angegeben, daß die Juden in jenen Städten trotz aller Verwarnung und Ueberwachuny immer neue Mittel und Wege gefunden hätten, um die Japaner über die Bewegungen der russi schen Truppenmassen zu unterrichten und daß jenen sibi- rischen Juden eine unbezwingliche Neigung zum Hoch- verrat innewohne. Interessant ist die Mitteilung, die „Daily Expreß" über die Erlangung seiner Kunde aus Sibirien macht. Durch einen Kurier sei die Nachricht zunächst brieflich bis nach Eydtkuhnen gebracht worden und erst von dort aus habe man sie nach England telegraphieren können, weil dix russische Regierung derartige Telegramme über ihr notwendig erscheinende Verwaltungsmaßregeln nicht durchlasse. Mag sich die unzweifelhaft echt russisch klingende Nachricht bestätigen oder nicht, man kennt nun das neueste Entrllstungsthema. Das Verhalten der russi schen Behörden aber erinnert an jenen fidelen Operetten- Gefängnisdirektor, der seinen allzu munteren Pfleg lingen droht, er werde sie hinauswcrfen lallen, wenn sie sich nicht nach der Hausordnung richten wollten, u- Der russisch-japanische Krieg. o/l. Seit dem 24. Februar wird ununterbrochen um Kort Arthur gekämpft. Fortgesetzt greifen japanische Schiffe die russischen auf der Aoßenreede an, und zwar stets ohne Erfolg, und die Japaner haben auch schon die Stadt selbst beschoffen, was für ihre weittragenden Geschütze, welche die Geschosse über den Hafen und die Festungs werke binwegschleudern, kein Kunststück ist. Ein Zielen ist dabei allerdings unmöglich, aber das japanische Feuer kann doch, auch wenn die Kugeln ziellos in die Stadt fallen, große Verbeerungen anrichten. Der Hauptzweck aber, den alle diese Angriffe verfolgen, ist anscheinend der, Landungsversuche der Japaner östlich oder westlich von Port Artbur zu decken, die aber, wie wir kürzlich aussührten, bei der Bereisung der Küstengewässer außerordentlich schwierig sind. Die Absicht der Japaner geht dabin, die feste Hafenstadt sowohl von der Seeseite wie vom Lande aus zu belagern. — Wir lassen nun noch Einzelheiten über die letzten Kampfe folgen: Port Arthur, 26. Februar. (Ruff. Trl.-Ag.) Der Angriff der japanischen Torpedoboote in der Nacht zum 25.b.MtL. wurde erfolgreich abgeschlagen. Auf einem javanische» Tor pedoboot wurde durch einen Schutz der Küstenbatterie eineAessel- explosion herbeigeführt. Ueber das Gefecht am Morgen de- 25. d M. sind folgende Einzelheiten zu berichten: Die japanische Flotte, bestehend aus 6 Geschwaderpanzerschiffen und 4 Kreuzer», wurde am Horizont gesichtet. Die russischen Kreuzer „Askold", „Bajan" und „Nowik" befanden sich auf der inneren i?) Reede. Die japanischen Torpedoboote kamen auf 30—35 Kabellängen heran, um die Kreuzer anpigreifen. Die japaniichen Kreuzer und Panzerschiffe gingen getrennt gegen 2 russische Torpedobooie vor, die in der Golobinabucht kreuzten. Eins der letzteren durchbrach die Linie deS Feindes unter dem Feuer und gelangte in den Hafen; da-andre zog sich wieder in die Golobinabucht zurück. Um 10"/. Uhr vormittag entspann sich ein heitzer Geschützkampf zwischen deu japanischen Panzerschiffen und den russischen Kreuzern, die von den Küsten batterien wirksam unterstützt wurden. Wegen des Uebergewichts der japanischen Panzerschiffe über die drei leichten russischen Kreuzer zogen sich diese schnell zurück. Um 11 Uhr 25 Minuten stellten die Japaner das Feuern ein. Um 12 Ubr 5 Minuten begann ein kurzes Feuern der die rus- fischen Torpedoboote verfolgenden feindlichen Kreuzer gegen die Küstenbatterien, wobei man das mangelhafte ManSveriere« der Japaner beobachten konnte. Beim Wenden kamen sie ein ander so nahe, daß man das Einfallen der russischen Geschosse in den Knäuel sehen konnte. Das beim Fort Bjelywot ans Land getriebene japanische Torpedoboot gehörte, wie angenommen Feuilleton. q Die Freundin aus Nuslilch-Polen. Bon Elsbeth Meyer-Foerster. Nachdruck verboten. Ein paar vereinzelte Gäste waren schon anwesend, die im Saal an den kleinen Ecktischen sich niedergelassen hatten, Cigaretten rauchten und Tee tranken. Es waren jung«, hübsche, dunkeläugige Männer, anscheinend aus dem KaufmannSstande. Sie sprachen lebhaft, ihre Sprache hatte etwas Melodisches, das bei den vielen, höflichen An reden bestechend und angenehm wirkte; in seltsamem Kon trast hierzu stand der rohe Jargon der Berliner Bier kutscher, die draußen, vor den wcitgeöffncten Parterre, fenstern, ihre Tonnen abludcn. Es war ein warmer, sanfter Aprilabend, von dessen Zauber man allerdings in der Kommandantenstratze nicht viel empfinden konnte. Alle Läden standen weit geöffnet und ließen die heiße Stickluft ihres dumpfen Innern sich »ach außen verteilen. Die Geschäftsinädchen, die vor den Düren standen, um sich nach des Tages Last in der Abcndluft durch ein paar tiefe Atemzüge z» erholen, sahen bleich und sehnsüchtig aus, als warteten sic in der sanften Abenddämmerung auf etwas, das nie kommen würde. Ich ging eiligen Schrittes, von unbestimmter Freude erfüllt, wie alle diese vom Frühling überraschten Menschen. Am Leipziger Platz tat sich etwas wie ein Garten ans, da grünte und duftete es, die Kastanienbäumc warfen ihre zitternden Blattkckzatten auf das von, elektrischen Lichte tageshcll überstrahlte Trottoir. Noch die stille Link straße entlang und die Wohnung der MarkwartS am Schöneberger Ufer war erreicht. Es war kurz vor Toresschluß, ich lief sehr schnell die Treppen hinauf. Im Eßzimmer fand ich Cvnrad Mark- wart allein; er mochte gelesen haben, wenigstens lagen Zeitungen vor ihm ausgebreitet, aber die Cigarre hielt er erkaltet in den Händen und seine Miene war zerstreut »nd unbehaglich. „Helka hat sich seit einer Stunde „zurückgezogen", wie man so höflich sagt", erklärte er mit einem gezwungenen Lächeln. „Sie werden sie vergebens suchen, kleine Freun din. Wie ein Fuchs verkricgt sic sich im Bau, wo er am finstersten ist. Zum Unglück habe ich selbst diesen Ban gestiftet." Ich sah ihn fragend an. Er fuhr mit sichtlichem Unbehagen fort: „Sic wissen, daß wir oben im Giebel des Hauses noch ein kleines Zimmer besitzen, eine Frem denstube. Sie scheint eine Art Verhängnis werden zu sollen für unsere Ehe." Er schwieg und stäubte gedanken voll die Asche von der erkalteten Cigarre. Ich ließ ihm Zeit und studierte das Titelblatt der Revue, die vor mir auf einer Ecke des flüchtig geordneten Tisches lag. End- lich, als die Panse in absolutes Schweigen ausgehen zu wollen drohte, fragte ich wie obenhin: „Nun und? Was ist's mit dieser Fremdenstube?" „Sie eben ist der Fuchsbau geworden, die Giebelstube", sagte Conrad Markwart, indem er hin und her schritt. „Ein Schlupfwinkel für 'die liebende Hausfrau. Es gibt keine Aussprache bei uns, keine durch die Verschiedenheit unserer beiderseitigen Anschauungen bedingte sogenannte „Scene", die nicht damit endete, daß Helka sich in diesen Fuchsbau zurückzieht und mir und meinem Gedanken reichtum dav leere Schlachtfeld überläßt. Verwünscht, dieser Fuchsbau, und der Tag, an dem ich auf seine Idylle hineinficl." Er lief noch immer aufgeregt hin und her, fein Schritt erschütterte die Gläser und Teller, die aneinanöcrgereiht die Estrade der Anrichte krönten. „Und so muß ich mich darauf vertrösten, Madame am anderen Tage wicdcrznschcn, wenn sic da oben" — er zeigte nach her Decke — „ausgctrotzt hat. Beneidenswerte Lage, wahrhaftig. Ach, ich hätte nicht übel Lust, auch unter die Sittenschilderer zu gehen, und wie jener Herr L. einen Beitrag zur Erziehung zur Ehe zu schreiben. Was man am eigenen Leibe erlebt, das ist es doch schließlich, was den besten Trompctenton abgibt." — Er hatte leichthin sprechen wollen, aber durch seine Stimme zitterte verhaltene Erregung. Und wie ich ihn so ansah, den großen, robusten Mann, der meine leichte Frenüdin so liebevoll zu sich aufgehoben hatte, empfand ich trotz seiner Phrasenhaftigkcit Mitleid für ihn. „Ich werde Helka herunter rufen", schlug ich vor. Im Korridor begegnete ich der Köchin, die soeben das GaS im Vorzimmer auSdrehcn wollte. Ich bat sic, noch einen Augenblick brennen zu lassen und fragte nach dem Stuben- Mädchen. „Die ist anSgeganqen, gnä' Fräulein; vor Mitternacht kommt die schwerlich zurück. Die gnä' Frau hat ihr gleich nach dem Abendbrot die Erlaubnis gegeben, fortzugehen." — „Dann kommen Die, Mathilde. Zeigen Sie mir, wo man zur Giebelstube gelangt." In übler Laune, wie es schien, öffnete das Mädchen das Entree. „Tie gnä' Frau wollte partout nicht gestört sein", sagte sic, während sie die Treppe zum Boden empor schritt. „Nich vom Herrn, »ich von uns, nich von keine Seele. Ten Tusch bekomme ick dann wieder auf den Kopf. Tas gnädige Fräulein können allein anklopfen." Tie zeigte, auf dem oberen Treppenabsatz stehend, auf die nächste Bvdentür. Sic selbst retirierte in die Woh nung zurück. „Nur fest klopfen, bitte schön, die gnä' Frau liegt auf dem Gastbett und schläft vielleicht schon. Ich lasse die Tür zum Korridor für Fräulein offen." Ich klopfte lange und hartnäckig. Keine Antwort kam.- „Helka", rief ich, indem ich mich zum Schlüsselloch beugte. „Ich bringe Nachricht von Heinen Eltern. Ich habe dir Wichtiges mitzuteilcn. Mache auf! Nur eine Minute mache auf!" Kein Laut. Es blieb ganz still im Hause, nur vom Hof: hörte man ourch das geöffnete Flurfenster eilige Schritte über das Steinpflaster stampfen. Ich tat, als ob ich mich entfernte. „Ich lege also einen Zettel hier auf die Schwelle!" rief ich. „Lies, wenn du nicht hören willst." Ich ging ein paar Stufen hinab. Aber aus der untersten zog ich mir hastig die Stiefel aus. Unhörbar, aus Strümpfen, näherte ich mich wieder der Tür. Ich weiß noch jetzt nicht, wie mir dieser Einfall kam. Ich hegte keinerlei bestimmten Verdacht, nur im Innersten meiner Seele quälte und nötigt« etwas — etwas Un definierbares, mir selbst nicht Begreifliches. Wie ein Spion stand ich vor der verschlossenen Tür, unruhig, klopfenden Herzens, ans den Moment wartend, wo sich da drinnen etwas regen würde. Und am leisen Bcdcn der Diele erkannte ich, daß sich jemand im Hinter grund des Zimmers von einem Lager erhob und, gleich falls auf Strümpfen, näher kam. Einen Augenblick mar es drinnen still und ich hatte die Ucberzcugung, daß sich auch 'da drinnen ein Kopf lauschend gegen den Türfpalt lehnte — dann fchob sich leiie der Riegel zurück. Eine Hand erschien, die tastend nach der Schwelle fuhr. Als sich auf dieser nichts sand und sich im ganzen Bodenraum nichts regte — denn ich stand regungslos gegen den Türvorsprung gelehnt — er schien „Hedwig" auf der Schwelle. Nicht Helka, — Hedwig das Stubenmädchen. Sie war im Unterrock und Nachtjacke, ihr reiches, braunes Haar war hochgebunden. Vorsichtig, mit neugierigen Augen, spähte sie -en Vorflur, die Treppe hinab. Dann näherte sie sich auf Strümpfen dem Geländer und beugte sich lauschend über dasselbe. Mit einer raschen Bewegung stand ich in dem Zimmer, das sie verlassen hatte. Wie der Blitz schoß sie von ihrem Lauscherposten zurück. Sie war bleich und zitterte, und erst als sie in dem USberrascher mich erkannte, ging ein Ausdruck der Erleichterung über ihre Züge. „O>h mein Gott, gnädiges Fräulein! Ich glaubte, S wäre Herr Markwart!" Sie stand vor mir, rat- und hülfloS, den Nock nur not- dürftig zusammengerafft. „'Ach Gott, ach Gott, ach Gott, was ein Schreck!" stöhnte sie. „Ich hab'S mir gedacht, daß das nicht gut ablvufen würde. Vom ersten Momang an hab' ich das der gnädigen Frau gesagt. Aber die gnädige Frau hat ja nicht glauben wollen." ,Zöo ist die gnädige Frau?" „Ja, was soll ich nu sagen — ach, du lieber Gott!" Sie setzte sich auf den Bcttrand und stützte die Hände aufs Knie: „Ein Vergnügen ist das nicht, zu lauern hier und zittern eine ganze Nacht, und in Todesangst zu fitzen, daß der gnädige Herr rauf kommt und die ganze Schose merkt. Gleich häb' ich ja gesagt, ich tu' es nicht. Aber wenn einer so schön bitten kann, wie unsere liebe gnädige Frau." Ihre Blicke flogen unwillkürlich nach dem Nachttisch, auf dem mehrere, wahrscheinlich während dieser unfreiwilligen Gcfangensäraft schon oft von ihr gezählte, in Ncih' und G ied gelegte Markstücke ein beredtes Zeugnis davon ab gaben, wie schön unsere liebe gnädige Krau gebeten hatte. Ich fixierte das verschmitzte Ting mit einem wahr scheinlich verständnislosen Blicke. „Wo ist die gnädige Krau? Antworten Sie, oder ich rufe Herrn Markwart herauf!" Sie suchte nicht inchr nach Ausflüchten. ,MaS kann ich dafür!" rief sie einfältig und frech. „Nicht eine Spur kann ich dafür! Die gnädige Frau hat wollen die Einweihung sehen, bei den lieben, guten Eltern, da hab' ich ihr ver- sprechen müssen, an ihrer Stelle hier oben zu bleiben und keine Seele hcreinzulaffen. Schon einmal" — fuhr sie fort — „daS war aber am Tage — ist's geglückt. Da hatte die gnä' Krau gleichfalls einen notwendigen Gang, und da hatte ich nichts alS: „Nein, laß mich, ich halbe Migräne", zu flüstern, wie der gnädig« Herr an die vodentür kam
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