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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.03.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-03-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040304020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904030402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904030402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-03
- Tag1904-03-04
- Monat1904-03
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrich (-gespalten) 75 /H, nach den Familiennach richten (6 gehalten) 50 Tabellarischer und Ziffermatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lfsertenannahme 25 Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung ./L 70.—. Annahmeschlust für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. vr. B., R. L W. Kltukhardt). Sir. 118. Freitag den 4. März 1904. 98. Jahrgang. Var Wchiigrte vom Lage. * Die Reichstagskommission für die kaufmännischen Schiedsgerichte hat gestern die zweite Lesung des Ent wurfs begonnen und in dieser Sitzung daS in erster Lesung aufgenommene aktive Wahlrecht der Frauen mit Stimmengleichheit (bei einer Stimmenthaltung) abgelehnt. * Ein Bulletin über das Befinden des Großberzogs von Baden besagt, der Großherzog leide an einem Magen- und Darmkatarrh. * Im englischen Unterhause trat der Premierminister Balfour in der Cbamberlainschen Zollkampagne den Rückzug mit der Behauptung an, daß er nie für Ein führung des Schutzzolls eingetreten sei. * Dem Kongreß der Vereinigten Staaten ging eine Vorlage zu über 8000 Dollars für Aufstellung des Denk mals Friedrichs des Großen. * Em großer Präriebrand ist, wie aus New Aork gemeldet wird, im Jndianerterritorium ausgebrochen, 100 Personen sollen ihm zum Opfer gefallen sein. Hur Ser praxi; Oer MrirOIung;- Irommirrisn. Bekanntlich kann sich die Anstedlungskommission schon lange nicht mehr darauf beschränken, im Sinne der ur sprünglichen Intention Bismarcks, des VaterS des An sied lungSgesetzes, polnischen Grundbesitz anzukaufen. Das Verhältnis hat sich vielmehr so verschoben, daß im ab gelaufenen Jahr 1903 nach dem Rechenschaftsbericht der Ansiedlungskommission nur noch 14 v. H. der Angebote von polnischen Besitzern herrühren, nämlich 88 größere Güter und 143 Bauernwirtschaften, zusammen 35 238 Hektar von im ganzen 509 größeren Gütern und 380 Bauerngütern mit 245 813 Hektar. Den polnischen Wortführern ist auch daS noch ein Dorn im Auge; der „Dziennik PoznanSki" beschwört den Fluch deS Himmels auf die Polen herunter, die über haupt an die Ansiedlungskommission verkaufen. „So viele", heißt es da, „sind mü dreister Stirne bereit, das Mal der Schacherer an sich zu tragen! Können sie keine andere Rettung finden? Fluch ihnen, der Fluch unseres gesamten Volkes! Möge das Geld, das sie für den mit Schweiß und Blut der Väter getränkten Boden einsäckeln, sich in nichts auflösen! Mögen sie für jedem, dem sie sich nähern, die Pest sein! Wehe uns, aber auch ihnen wehe! Ist es noch nicht genug der Leiden, der Niederlagen und des Unglücks, um in uns das echte Pflichtgefühl und die reine Liebe zum Vaterland zu erwecken! Fluch ihnen, der Fluch der ganzen Nation, die einstimmig ruft: Bor deine Altäre bringen wir die flehentliche Bitte, strafe sie, o Herr, ohne Barmherzigkeit, auf das auch nicht eine Spur von dieser Ab scheulichkeit auf Erden bleibe, höchstens die widerliche Erinnerung zur Abschreckung künftiger Geschlechter!" Die Preßfreiheit, die der preußische Staat auch seinen polnischen Untertanen gewährt, gestattet ihren Zeitungen, mit solchen schon orientalischen Exorzismen daS Nationalgefühl zur Fieberhitze zu steigern. Man muß damit rechnen, daß es bald der Ansiedlungskommission überhaupt nicht mehr möglich sein wird, aus polnischer Hand zu kaufen, wenn dieser Terrorismus frei schalten darf. Es ist aber auch gar nicht zu verkennen, daß der Ankauf aus freier Hand mehr und mehr einer beutehungrigen Spekulation den Hasen in die Küche treibt. So wurde in diesen Tagen von der Ansiedlungskommission ein Gut bei Altkloster um 190 000 erworben, daS der Verkäufer vor kaum einem Jahre um 120 000 .L erstanden hatte. Glück licherweise ist aber die Geschäftspraxis der Ansiedlungs kommission trotz mancher bureaukratischer Schwerfälligkeit nicht immer dazu verurteilt, den Hyänen der Güterzertrüm merung nachzuhinken. Ein lustiges Stücklein Lieser Art mag jetzt, da die Ansiedlungskommission wieder auf der politischen Tages ordnung steht, zur Würdigung ihrer Weitausgreisenden Tätig keit erzählt werden. In der Nähe der Provinzialhauptstadt lebteeine halbgelähmte Gutsbesitzerin, eineJüdin, die einen statt lichen Besitz geerbt hatte. Eine Anzahl von Geschäftsleuten im Bunde mit ihrer Gesellschafterin hatte das bedauernswerte Geschöpf, das in vielen Beziehungen auf die Ehrlichkeit ihrer Umgebung angewiesen war, völlig umgarnt und aus den Lasten und Verbindlichkeiten des großen Besitzes, dessen Wert auf über 2 Millionen geschätzt wird, so viel Fallstricke zu drehen verstanden, daß der Tag schon angesetzt war, an dem das Netz zusammengezogen werden sollte. Dem alten Fräulein drohte die Gefahr, einfach aus dem Besitze hinausgedrängt zu werden. Ein Beamter der Ansiedlungskommission, der die Verhältnisse ganz genau kannte, nahm es in letzter Stunde auf sich, das Gut den Hyänen abzujagen. Ain Tage vor der drohenden Katastrophe stellte er dem Fräulein die Sach lage im wahren Lichte vor und bot ihr eine Summe als Kaufpreis, bei der noch für sie eine zum Leben ausreichende Rente sich ergab. Da sie andernfalls völlig leer ans- gegangen wäre, stimmte sie dem Vorschlag zu. Der Beamte fuhr eiligst nach Posen zurück, ging mit den erforderlichen Papieren zum Amtsrichter und noch in der Nacht wurden alle juristischen Förmlichkeiten des Besitzüberganges erledigt. Nun fuhren sofort am frühesten Morgen noch bei Mondschein der betreffende Bevollmächtigte der Ansiedlungskommission und seine Leute hinaus, schlossen den Kauf ab und zahlten der Vorbesitzerin den auf sie fallenden Neberschuß von 80 000 auf den Tisch, die sich dann eiligst auf den Weg machte, um über der Grenze in Ruhe und Frieden vor ihren Peinigern zu leben. Als nach Tagesanbruch die Gutsbediensteten sich bei der Herrin meldeten, wurde ihnen die Eröffnung von dem Uebergang des Besitzes an die Ansiedlungskommission gemacht, in deren Dienst sie zunächst verblieben. Bald rückte auch die Schar der Gläubiger mit ihren Arrestbefehlen und Papieren an, aber sie machten sehr lange Gesichter, als sie die gehoffte Beute in den Händen der Ansiedlungskommission sah. Der Gesamtbetrag der berechtigten Forderungen in der Höhe von 1 200 000 wurde bar herausbezahlt, der gehoffte I mit der offenbaren Absicht her, den Japanern den Uebergang Gewinn aber aus dem höheren Wert deS Gutes, der ihnen üb» den Jalu streitig zu machen. - »Daily Chronicle" be- , ... . /. . m n richtet aus Tokio vom 3. Marz: Es verlautet, daß I->00 so sicher geschienen hatte, da dre Ansiedlungskommsssion eS Russen den Tumenfluß bei Horyong überschritten ihnen hätte abkausen sollen, löste sich in Luft auf. ^o fehlt von den Amtsbureaus des Bezirks Besitz ergriffen hätten. es bei der Tätigkeit der Ansiedlungskommission auch nicht an der Romantik Halbasiens. und von den Amtsbureaus des Bezirks Besitz ergriffen hätten. Sie verwenden naturalisierte Koreaner als Spione. * Port Arthur, 3. März. (Rufs. Telegr.-Agentur.) Ein Kenner Koreas spricht in der „Nowy Krai" die Ansicht au», daß die Der russisch-japanische Krieg. rva» ist mit der russischen Fort Arthur-Flott«? Der neueste Angriff Admiral Togos auf Port Arthur läßt die negative Rolle, welche die russischen Schlachtschiffe und die russische Torpedoflottille mit so auf fallender Hartnäckigkeit durchführen, immer eigentümlicher er scheinen. Weder von jenen noch von dieser verlautet auch das Geringste. Immer wieder sind es nur die beiden schnellen Kreuzer „Nowik" und „Askold" und der Panzer kreuzer „Payar" die dem Feinde entgegengehen oder wenigstens in der Außenreede erscheinen. Und trotzdem liegen mindestens fünf russische Schlachtschiffe, die „Poltava", die „Petrolpewlowst", die „Sevastopol", die „Pobieda" und der „Poreswiet" durchaus intakt und seetüchtig im inneren Hafen der Festung. Daß auch nicht ein einziger von ibnen allen sich je am Kampfe beteiligt, legt trotz aller gegenteiligen Meldungen die Vermutung nahe, daß der vor der inneren Hafeneinfahrt liegende „Retwisan" und die Wracks der japanischen Feuer schiffe rechts und links neben derselben das freie Fahrwasser doch so beschränkt haben, daß es dem russischen Admiral nicht mebr möglich ist, seine Schlachtschiffe im gegebenen Augen blicke und in Kampfformation schnell geuug herauszubringen, mit anderen Worten, daß deren Aktionsfähigkeit durch das Stranden des „Retwisan" und die Versenkung der japanischen Frachtschiffe doch eine fühlbare Beschränkung erlitten hat. Die russische Torpedoflottille war angeblich im Anfänge noch nicht völlig seetüchtig und scheint es auch jetzt noch nicht zu sein, es wäre sonst gar nicht verständlich, weshalb man nicht von einem einzigen Versuche hört, ihrerseits einen Nachtangriff auf die Port Arthur immer von neuem blockierenden japa nischen Schiffe zu machen. An dem Mule und der Ent schlossenheit oer meist jungen russischen Seeoffiziere, welche die Torpedozerstörer kommandieren, kann natürlich ebensowenig gezweifelt werden, wie an ihrem brennenden Wunsche, sich ihrerseits hervorzutun und an dem Feinde Revanche für dessen fortgesetzte Angriffe zu nehmen. Und um so mehr als die japanischen Schlachtschiffe und Panzerkreuzer fortgesetzt sich entweder ganz außer Schußweite der russischen Küstenforts halten oder sich doch nach einem plötzlichen kurzen Angriffe so rasch wieder aus deren Feuerlinie zurückziehen, daß die Kanoniere in den Forts gar nicht dazu kommen, sie erfolg reich zu beschießen. Eine Frage, die man kaum aufzuwerfen wagt, ist die: Sollte das russische Geschwader bei Nacht und Nebel die bohe See gewonnen haben? Einmal hieß eS ja, es sei aus Port Arthur ausgelaufen. Dann hätte es aber doch sonst wo von sich hören lassen müssen. Landoperattonen. „Reuter" meldet aus Söul, 3. März: Die koreanische Regierung hat den Japanern die Telephonlinie Söul- Pyioeng-jang übergeben. Die Russen haben den Vize präfekten vonAnd schu festgenommen unv nötigen die Koreaner, ihnen Reis, Fuiter und Brennmaterial zu liefern; sie stellen eiligst im Antung Befestigungen und ausgedehnte Erdwerke Koreaner, die zur Zeit gegenüber den Japanern und Russen das gleiche Verhalten zeigten, bei der geringsten Niederlage der Japaner den alten Haß gegen die Bedrücker zum Ausdruck bringen und den Japanern in den Rücken fallen würden, nicht offen als Ver bündete Rußlands, sondern auf eigene Faust. * Petersburg, 3. März. Vom Kriegsschauplatz wird furcht- bare Kälte mit Schneefall gemeldet. In Wladiwostok herrschen durchschnittlich 19°, am Baikalsee 32". Einer zuverlässigen Privatnachricht aus Söul zufolge ist die Anzahl der in Korea gelandeten Japaner auf 30 000 zu schätzen. Doch darf nicht übersehen werden, daß einerseits die Japaner überaus verschwiegen und verschlagen sind, und daß anderseits die Landung lapanischer Truppen auch an solchen Punkten erfolgen kann, deren Beobachtung nur sehr schwer oder gar nicht möglich ist. Mithin mutz damit gerechnet werden, daß die japanische Streitmacht in Korea die Zahl 30 000 bereits überschritten hat. RSuberbanden. Nach einer Depesche der „Daily Mail" aus Jnkou vom 2. März hat eine 500 Mann starke, mit Mannlicher-Gewehre» bewaffnete Räuberbande den russischen Militär posten in Palaihötze bei Haitschen an der Ostchinesischen Bahn, etwa 30 km nördlich von Niutschwang überfallen. Von den 50 Mann der kleinen Besatzung seien 42 tot oder ver wundet, während die Bande 8 Mann, darunter 6 Japaner, verloren habe. Später seien russische Verstärkungen an gekommen, hätten das Dorf umringt und verbrannt und die Verwundeten nach Mulden zur Pflege gesandt. Hungersnot. „Saint James Gazette" meldet aus Tientsin: Admiral Alexejew schlug eine Petition der Bewohner von Ostsibirien, in gewissen Zwischenräumen Proviantrüae dabin zu senden, ab und erklärte, bei einer so ernsten KristS müßten die Erfordernisse für da- Heer allem Anderen vor gehen. Es heißt, Hunger und Nahrungsmangel treiben Hunderte unter die Banditen Ost- sibirienS. — In Charbin kommen bedeutende Truppen massen an. (Berl. Lokalanz.) Ariegsberichterftatter. Nach einer Depesche deS Sonderberichterstatter» deS „Standard" in Tokio ist die Erlaubnis zur Begleitung der japanischen Landstreitkräfte an 53 Berichterstatter, 29 Eng länder, 17 Amerikaner, 5 Franzosen und 2 Deutsche, erteilt worden. DaS Datum der Adresse sei jedoch noch nicht be stimmt worden. Schiffe unter»»«»«. „Reuter" meldet aus Port Said, 3. März: Hier find fünf russische Torpedoboote aus Suez eingetroffen. Drei Torpedoboote, welche sich im mittelländischen Meer aufgehalten haben, sind, durch Sturm stark be schädigt, in den hiesigen Hafen eingelaufen, haben aber Befehl erhalten, den Hasen zu verlassen. Man wird ihnen daS Laden von Kohlen verweigern. Ein anderes russisches Torpedoboot hat im Kanal einen Zusammenstoß mit einem Feuilleton. 101 Die Freundin aus Nusfisch-Polen. Bon Elsbeth Meyer-Foerster. Der herbe Duft des Herbsttages lag bereits in der Luft — die -wehmütige Stimmung, >die das sich rötende Laub der Bäume, das Schweben der Sommerfäden hec- vorruft, — eine Ahnung davon, daß diese lächelnden, kürzer werdenden 'Septembertagc schon die Borboten des großen Abschieds sind. Ich hatte Wein kommen lassen, und wir atzen und tranken, und ich freute mich, datz Helka fürs erste von dieser Beschäftigung ganz eingenommen schien, ohne sich zu zieren, und ihre traurigen Reminiszenzen somit für diesen Augenblick unterbrach. Aber ihr Appetit schien nach dem ersten, heftigen Anlauf mit ein paar reichlichen Gabelbissen gestillt. Sie schob den Teller -urttck, warf die Serviette achtlos aus den Stuhl und starrte vor sich hin. „Seltsam", — murmelte sie. „Seltsam doch, dieses Leben!! — Also dir geht cs gut?!" Ich nickte mit >dem Kopf, fast verlegen vor ihrem ge- spannten Blick. Fühlte ich doch dieser Armen gegenüber fast wie Dchuldbewuhtsetn, wie gut es mir nn Grunde ging. Doch nur einen Augenblick dauerte Hellas Teil nahme am anderen Schicksal. Die -Frage in ihrem Blick erlosch. Ihre Gedanken kehrten zu ihrem eigenen Schick sal zurück. Ich weitz die Reihenfolge nicht mehr, in der sie von ihren Erlebnissen sprach. Ich erinnere mich nicht der einzelnen Momente mehr, — kaum noch in großen Zügen des Zusammenhangs. Es kam alles so abgerissen, stoß weise über ihre Lippen hervor; mitunter von einem zornigen Lachen, dann wieder von einem Achsel zucken, auch wieder einmal von einem Theater fluch unterbrochen. — Es klang so erbittert und verwundet, so für ewige Zeiten hoffnungslos, was sie da sagte, und so schonungslos offen, aus dem Synismus jener Frauen heraus, die sich längst als die Deklassierten fühlen, datz sch fürs erste nichts wie Mitleid, tiefes, be greifliches Mitleid dieser Verwirrten gegenüber empfand, ehe ich ansing, bei ruhigerer Ucberlcgung den Maßstab für» Verschulden awzulegen. Mit der Heilung des Riffes ihrer Ehe be- gann's; — jenem Zurückkehren zu Conrad Mark wart, von dem sie mir dann noch in einem flüchtigen Briese Kunde gegeben hatte. Ein trockenes, ödes Ehejahr mutzte es gewesen sein, welches die beiden ungleichen Gatten diese Frist über wieder zusam menhielt. Dann war Pan Lubowsky am Firmament erschienen, der beredte Pole und Wahlmann aus dem Krakauer Kreise, der seinerzeit den Verdacht der anarchistischen Verschwörung auf das Restaurant gelenkt hatte. Der „tapfere Ladwenka" selbst war zwar geschlossen worden, aber Pan Lubowsky fand in das Prtvatheim der alten Glescankys ungehindert Zutritt, wie vordem in das Restaurant, und da er als wohlhabender Agrariersohn einen hübschen Anhang von wohlhabenden Freunden und jungen, freiheitsdürstigcn Schmarotzern um sich hatte, war das schwache, alte Ehepaar bald zu den weitcstenZugeständ- niflen beschwatzt und eine Art „Tcmpelchen" wurde bei ihnen abgehalten, ein gewerbsmäßiges Glücksspiel, das eines Tages entlarvt, an die große Glocke gehängt und zu einem Prozeß erhoben wurde, der den politischen weit in den Schatten stellen sollte. , Die leichtsinnigen und unverbesserlichen alten Leute wurden stehenden Fußes in Haft genommen. Gegen Pan Lubowsky schwebte das Verfahren erst. Am Tage, da er in Untersuchungshaft genommen werden sollte, fahndete man umsonst nach ihm. Er war verschwunden; mit ihm Helka Glescanka Ob und wie oft, auf welchen Wegen und bis zu welcher Vertraulichkeit sich die beiden während dieser Vorgänge gesehen hatten, darüber sagte Helka nichts. Mit hastigen, gleichsam gepeitschten Worten eilte sie über die Zeit des Treuverrats hinweg. In Salzburg, auf dem Wege nach der Schweiz, wurde Lubowskn von Kriminalbeamten ein geholt und nach Berlin zurückgefiibrt; sie selbst, die Ver blendete, dem Gatten wieder zngebracht. Er weigerte sich, sie aufzunchmcn. Er hatte bereits die Scheidungsklage eingercicht. Seine Geduld, seine Zärtlichkeit, seine großen Morte waren ausgclöscht, — endgültig. Er hatte jene Härt» schwacher Naturen, die, einmal erwacht, grausamer ist, als die der Starken. Sie bettelte auch nicht länger an seiner Schwelle. Inmitten ihrer Bedrängnis schon wieder von Abentenrcrplänen erfüllt, ging sie ins Unbekannte hinaus. Ihre Lage war aber bald trostlos. Die Eltern in Untersuchungshaft, vom Gatten vcrstvtzcn, ohne Mittel und Wege zum Fortkommen stand sic hülflos da, ein Opfer ihrer törichten Leidenschaft. Und wäre es ein solche gewesen! Doch im Grunde fühlte sie keinen Schmerz, keinen Jammer um diesen ihr Entrissenen, dem sie sich in ihrem trotzigen Abentcurersinne hingegebcn, einer ein tönigen Ehe müde, müde des täglichen Einerlei ihres Lebens. Ein Agent, eine ziemlich dunkle Existenz, an den sie sich wandte, brachte sie zu einer Theatertruppe; ein Wander leben begann. „O, frage mich nicht nach diesem Leben: es ist ein Hundedascin, das der Wanderkomödianten!" So kam sie bis nach Warschau. Es war zwei Jahre nach dem Scheidungsprozeß. Sie hatte durch einen Brief der Eltern, die in Berlin ein kümmerliches Leben führten, erfahren, daß Conrad Markwart nach Warschau berufen worden war, um die Leitung des Geschäftshauses, in dem er einst die Prokura geführt, nach dem Tode des Chefs für die Hinterbliebenen zu übernehmen. Sie beschloß ihn anfzusuchen, ihn noch einmal um Gnade anzuflehen. Es wurde ihr erspart, sich die fürchterlichste Demütigung ihres Lebens zu holen. Schon vom Portier des Hauses — eines der elegantesten Gebäude der Billenvorstadt — erfuhr sic, daß Conrad Markwart bereits wieder verheiratet sei, mit der jüngsten Tochter seines verstorbenen Chefs. Sie kannte das hagere, blaffe, häßliche Mädchen, über dessen steifes Aussehen sie sich in früheren Zeiten so oft moquiert hatte, dem Bilde nach, und ein verzehrender Groll erfaßte sie bei dem Gedanken an die Nachfolgerin, die der berechnende Kaufmann ihr nach Abbüßung seines Lcitcnsprunges nun doch gegeben. Nun folgten die Jahre des Rausches — jene Jahre, welche die am Dasein Verzweifelnden doppelt leben, diese gehetzten Jahre, in denen die Nächte dem Lachen, die Tage dem Weinen gehören. Helka war der Stern der Orel- Truppe geworden, sie bereiste mit ihr den Kaukasus; sie war aber noch etwas anderes zugleich — eine der ge feiertsten Lebedamen der kaukasischen Hauptstadt. Als ihr dies Dasein Kopf und Herz genug vergiftet batte und sic im Begriff war, durch eine rasche Tat zn enden, ver liebte sich ein kleiner Schauspieler des Barik-tes in sie und schwur ihr, sic zu heiraten. Er t>at es, sie waren ein Jahr lang glücklich in Armut, und elend in gegenseitiger Eifer sucht, und nach einem Jahre riß ihn der Typhus von ihrer Seite. Sie pflegte den, der sic die Liebe in ihrer ivahrlmstigen Gestalt zum ersten Male kennen gelehrt hatte, mit ganzer Hingabe, deren sic fähig war im Guten wie im Bösen. Ihre Eltern waren von Norddeutschland hcrbcigeeilt, um mit ihr um diesen endlichen Halt und die Stütze ihres Lebens zu ringen. Sie siel. Im Fallen riß sie die andern mit sich. Die furchtbare Seuche, die ganz Tiflis zu einem Brut herd der Vernichtung machte, riß das Leben deS jungen Mannes mit sich und vernichtete Helkas Schönheit für immer. Als sie nach Fieberwochen erwachte, glich ihr neues Dasein einem fieberhaften Traume. Anstatt des Ehchimmels — draußen auf dem Jeschuffskyer Kirchhofe ein Grab. An ihrem Lager saßen zwei, die Eltern, um sic zu pflegen. Doch die Mutter glich selbst einem Schatten. Der Bater war grau geworden über Nacht. Sie schwieg in ihrer Erzählung und ich war aufge sprungen und ritz sie in meinen Arm. „Nicht weiter! Ach, erzähle nicht mehr." Sie zog sanft meinen Arm beiseite und sah mich mit ihrem bitteren Lächeln an. „Was gäbe es da auch noch weiter zu sagen, -atz Matz des Bechers war voll. Mama starb bald, die gute, arme, aber ich in meiner Sinnesabwescnhett, in meiner völligen Stumpfheit, die fast dem Tiefsinn glich, merkte noch kaum, datz sie nicht mehr da war. Sie hatte sich ja stets so beiseite geschoben, verkleinert und untergeordnet, arme, törichte, gute Mama. Und wenn ich geworden bin, was ich bin, so bin ich ja schließlich ein Produkt ihrer Schwäche. Ja", fuhr üc fort, indem sic meine Hände krampfhaft drückte, „das hast du ja gesehen, schon damals, als wir noch Mäd chcn waren und du mich im Gasthaus besuchen kamst und eine Baroneß in mir zu finden glaubtest; an mir ist grau sam gebandelt worden von Kindesbeinen an, diese arme, schwache, gedankenlose Mutter hat mich, ohne es zu wollen, so tick binabgedrängt. Sie wollte mein Glück von Anfang an, und sie stellte mich unzähligen jungen Männern zur Schau. Wenn du ein Kind hast, ein Mädelchen, eine Tochter, halte sie, hüte sie — schlage sie eher tot, ehe du sic den Männern läßt." Sie hatte in furchtbarer Erregung gesprochen. Neber die Blatternarben in ihrem Gesicht war ein tiefes Rot ge- gangen, gleichsam die glühende Scham ihres ganzen zer tretenen Lebens. Jetzt wurde sic wieder ruhiger, glättete das Rollenbcft, daS vor ihr lag und griff nach Handschuhen und dem Sommcrhiit. „Und so bin ich denn Sonsfleusc geworden, und du bist Dichterin", sagte sie, „ich sähe es lieber umgekehrt Doch Souffleuse, das ist für die Blatter narbigen, dort unten im dunklen Kasten ist für sic noch der beste Ort." Ihre Stimme schnitt mir ins Herz. ,„Kvmm, laß mich
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