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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.03.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-03-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040314021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904031402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904031402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-03
- Tag1904-03-14
- Monat1904-03
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1774 -en BoSfor Wostotschnüj, -en östlichen Bosporus, auch die Hamelin-Straße genannt, getrennt ist, und mit der durch mehrere tief eingeschniltene Buchten gegliederten Murawiew-Amurskij-Haibtnsel die Reede und den Zu» gang zum Hasen von Wladiwostok bildet. Der innere Hafen wird durch die von West nach Ost tief in das Fest land eindringende Bucht des Goldenen Horns, Solotvj Rog, gebildet, an dessen nördlicher Seite die Stadt selbst sich hinzieht. Das Goldene Horn hat vom Kap Galdobiu bis an fein östliches Ende eine Länge von Wer 6 Kilo meter bei einer Breite bis zu 1 Kilometer. Bei der für die größten Kriegsschiffe genügenden Tiefe, dem sicheren Grunde und d,em günstigen Zugänge macht die Lage dieser Bucht, wie oben angedeutet, Wladiwostok zu einem von der Natur außerordentlich begünstigten Hasen, der dir stolze Bezeichnung „Beherrsche den Osten" wohl ver dient. Leider ist der Hafen, dessen geographische Breite etwa der von Venedig entspricht, rm Durchschnitt von Ende Dezember bis Anfang April, d. h. IlO Tage, mit EiS bedeckt. Dieser Nachteil ist in neuester Zeit durch die Ueberweisung eines Eisbrechers, soweit es tatsächlich überhaupt durchführbar, beseitigt. Die mittlere Jah.es- tomperatur des „nordischen Venedig" beträgt 4,6 Grad Celsius, die höchste Temperatur des Wahres -s- 30,6 Grad, die niedrigste — 25,6 Grad Celsius. Diese schroffen Gegensätze machen das Klima der Stadt ungünstig für -en an Qstastcns Klima nicht Gewöhnten und ver ursachen im Winter große Eissperrungen. Anderseits soll in manchen Wintern kaum Schnee fallen. Für den Bau der Befestigungen, die Anlage von Marine etablissements, Kasernen, die Sicherung des Fahrwassers und die Bezeichnung desselben durch Leuchttürme und Schiffahrtszeichen aller Art hat Rußland großartige Mittel verwandt. Die Höhen, welche sich rings um das Goldene Horn erheben und, die Anlage der Befestigungen be- günsligend, der Lage der Stadt so viel Malerisches geben, waren, als die Russen von diesen Küsten Besitz ergriffen, von dichtem Urwald bedeckt. Mit diesem ist — wie das -ie Geschichte vieler Kolonien aufweist — von den Neu ankommenden in einer rücksichtslosen Weise aufgeräumt worden, so daß die Umgegend der Stadt einen vege tationsarmen Eindruck macht, und man mit großer Mühe Baumpflanzungen zu schaffen sucht. Die russische Städte ordnung wurde 1876 eingesührt; mit der Erhebung von Wladiwostok zur Stadt im Jahre 1880 begann auch die regelmäßig:, unmittelbare Verbindung durch die Schiffe der „Freiwilligen Flotte" mit Odessa; einige Jahre darauf wurde das in einzelnen Teilen aus Europa hcrübcrgeichaffte schwimmende Dock vollendet, dem seit jener Zeit eine stattliche Reihe ähnlicher Bauten gefolgt ist, die allmählich Wladiwostok von dem Mutterlande nach dieser Richtung unabhängig machen werden. Seit 1888 Sitz der Verwaltung des Gebietes und eines Hafen kommandanten, wurde es 1889 auch Festung. Im Jahre 1891, bei Anwesenheit des jetzigen Kaisers auf seiner Reise durch Asien, wurde der Grundstein zu dem nun vollendeten großen, den Namen „Zefarewitsch Nikolas" tragenden Trockendock gelegt, sowie die Bauten der Bahn, welche heute Wladiwostok mit Chabarowsk einer» und mit der Mandschurei anderseits verbindet, be gonnen. Der Grundstein des 1897 vollendeten Denk mals des kühnen Newelskif wurde damals auch vom Zefarewitsch gelegt. Ter Stadt selbst wurde bei der Ver leihung städtischer Rechte ein sehr großer Besitz an Grund eigentum Überwissen. Neuerdings hat man auch das Ver- fügungSrecht über den Grund und Boden, namentlich den Marinebehörden gegenüber, dessen nicht klare Feststellung früher zu vielen unerquicklichen Verwickelungen führte, bestimmter abgegrenzt. Tie Bevölkerung der Stadt weist eine eigenartige Zusammensetzung auf. Von den 29185 Einwohnern waren nur 4580 Frauen, von den Ange hörigen des männlichen Geschlechtes gehörte fast die Hälfte der Armee und der Marine an, etwas mehr als die Hälfte der nichtrussischen Bevölkerung, unter der wieder die Clsincscn die weitaus größere Mehrzahl ausmachen, eine Zahl, welche zur warmen Jahreszeit noch durch das Zuströmen der Arbeit suchenden und auch findenden chine sischen und japanischen Handwerker und Arbeiter be deutend zu wachsen pflegt, wenn diese auch zumeist nach Eintritt der kalten Jahreszeit in ihre Heimat zurückzu kehren pflegen. Die Ausdehnung der Stadt mit ihren 6 Plätzen und 45Straßen längs des Goldenen Horns beträgt 7 Kilometer, da man bei der Erbauung namentlich der vielen dem Handel, Verkehr und der Marine dienenden Wohn- und anderer Baulichkeiten das Streben hatte, möglichst Füh lung mit -em Hasen zu haben, und die umgebenden Höhen die Anlage von Straßen und den Bau von Häusern er- schwelten. Tie Straßen sind meist nicht gepflastert, teil weise aber mit hölzernen Steigen für Fußgänger ver sehen. Bon -en mehr als 2000 Häusern der Stadt find nur etwa 260 Privatleuten und gegen 80 dem Fiskus gehörende aus Steinen oder Eisen erbaut, alle andern aus Holz. An Kirchen besitzt Wladiwostok, wie alle russischen Städte, eine verhältnismäßig große Zahl; darunter drei griechisch- orthodoxe, je eine evangelische und katholische. Ziemlich groß ist auch die Anzahl der wissenschaftlichen Vereint- gungen und Lehranstalten. Das Offizierkorps der Land armer hat wie das -er Marine ein Kasino. Von den zahlreichen Werften und Docks haben wir bereits einiger Erwähnung getan. Auch -ie Freiwillige Flotte und die Ostchinesische Bahn haben unweit der zum Teil groß artigen Verwaltungsgebäude der Ussuri-Eisenbahn und des Eisenbahn-Bataillons ihre eigenen Hafeneinrich- tungcn. Tie industrielle und gewerbliche Tätigkeit der Stadt ist nicht bedeutend, im wesentlichen beschränkt sie sich ans Ziegeleien, Holzschneidemühlen, Brauereien, Mineralwasserfabriken, Maschinenwerkstätten und Schmie den. Tic Einfuhr besteht außer Eisenbahnmaterial wesent lich aus Zement und anderm Baumaterial, Roggen, Kohlen, Mehl, Reis, Tee, Manufaktur» und Eifenwaren; ausgesührt werden Renntierhürner, Trepang, getrocknete Fische, Hölzer, Pelze und Felle usw. politische Tagesschau. * 1'cipzia, 14. März. K 2 und -aS Stimmenverhältnis im Bundesräte Artikel 6 der Verfassung des Deutschen Reiches besagt: Ter Bundesrat besteht aus den Vertretern der Mitglieder des Bundes, unter welchen die Stimmsülirung sich in der Weise verteilt, daß Preußen mit den ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt 17 St. führt, Bayern .... 6 - Lachsen 4 . Württemberg .... 4 - Baden 3 - Hessen 3 - Mecklenburg Schwerin . 2 . Sachsen Weimar . , . 1 - Mecklenburg-Strelitz . . 1 - Oldenburg 1 . Braunschweig 2 - Saäisen-Meiuingcn. . . 1 - Sachsen-Altenburg . . . 1 - Sachsen Coburg-Gotha . 1 St. Anhalt 1 - Schwarzburg-Rudolstadt . 1 - Schwarzburg-Sonders- hauien 1 - Waldeck. ..... 1 - Reuß älterer Linie . . 1 - Reuß jüngerer Linie . . 1 - Schaumburg-Lippe. . . 1 - Lippe 1 - Lübeck 1 - Bremen 1 - Hamburg . . . ... I - zusammen 58 St. Nun ist viS jetzt bekannt geworden, daß gegen die Auf-t Hebung von L 2 des Jesuitengeletzes gestimmt haben:! Sachsen (4i, Württemberg l4 , Sachien-Weimar (1>, Mei-! ningen (I>, Altenburg (l^, Coburg-Gotha Z), Schwarzburg-j Rudolstadt (1', Schwarzburg-SonderSbauien ll >, Reuß ä. 8. > M, Reuß j. L. (l), zusammen also lk Stimmen. Wahr scheinlich tamen noch dazu Hessen «3), Braunschweig (2^, sowie Oldenburg (1>, allo noch 6 Stimmen, so daß dann 22 Stimmen dagegen abgegeben worden wären. Es würden demnach schon in diesem Falle nur 7 Stimmen an Stimmen gleichheit fehlen. Ter Deutsche Kaiser gegen den König von Preußen. Damit auch der Humor bei der Erörterung des bundes- rätlichen Jesuitenbeschlusses nicht fehle, druckt die agrarisch-konservative „Hallesche Ztg." unterm 12. Mär; folgendes ab: „Kaiser Wilhelm II. gegen die Jesuiten? Wie uns von einem langjährigen Freunde unseres Blattes, der mit dem Ber liner Hofe Fühlung hat, mrtgeteilt wird, hält man es dorr nicht für ganz ausgeschlossen, daß der Kaiser dem Bundes- ratsbeschluß über die Aufhebung des 82 des JesuitcngesetzeS die Sanktion versage. Man erzäbll sich am Hofe, daß der Kaiser vor einiger Zeit gesagt habe, so lange er König von Preußen sei, würden die Jesuiten nicht wieder hereinkommen." Wer auch sich mit dem Blatte diesen gröblichen verfrühten Aprilscherz geleistet habe: Er muß ein arger Schalk sein. Und das hinemgeleate Blatt scheint sehr erstrebenswerte Posten für Journalisten mit großem Rubebedürfnis zu bieten. Also Wilhelm ll. soll als Kaiser gegen die Aushebung sein — als König von Preußen ist er natürlich dafür, denn sonst hätten die preußischen Stimmen nicht so, wie geschehen, abgegeben werden können. Dieser Konflikt bat nun den Kaiser sogar, angeblich, zu Er wägungen veranlaßt, ob er nicht dem vom Könige gebilligten Bundesratsvotum seine Sanktion versagen solle, was chm nämlich gar nickt Hüstelst. Es fei oenn, er erachte een Beschluß nickt für bindend, worüber ja tatsächlich in diesem Falle Zweifel bestehen. Aber davon ist in der „Halleschen Ztg." nicht die Rede und diese Entschuldigung ist auch schon aus dem einfachen Grunde nicht stichhaltig: Die Veröffentlichung der Aushebung ist ja schon am Freitag im „Reichsanzeiger" erfolgt und zwar natürlich mit der nötigen Unterschrift deS Kaisers. Bei dieser Sachlage ist eS unbedingt notig, die bekannten drei Kategorien der Bewohnerschaft von Halle a. S. noch um eine zu vermehren — um die der Hall-Laien. Arbciterschutz und Gewerbcanfsichtsbeamte. Im neuesten Hefte der ,„Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik" werden die Jahresberichte der Gewerbeaufsichts. beamten Preußens, Sachfens, Württem bergs, Badens und Meiningens, wie sie für die Jahre 1900 bezw. 1902 vorliegen, von Elisabeth Jaffs besprochen. In dieser sachkundigen Beurteilung ist das Eingehen auf die in den Jahresberichten sestgestellten Uebertretungen der Arbetterschuy gesetzt und auf -aS Verhältnis zwischen den Ge- w e r b e a usfi ch t sb e am t en und den Unter- nehmern von besonderem Interesse. In ersterer Hin- sicht tritt Frau Jasfä der Meinung entgegen, daß die in den Jahresberichten enthaltenen niedrigen Zahlen nur Stichproben seien und die tatsächlichen, aber nicht fest- gestellten Uebertretungen viel zahlreicher wären. Im Gegensatz zu einer derartigen Auffassung betont Frau Jaffö den Standpunkt, gröbere Verletzungen der Ge werbeordnung entzögen sich selten der Kenntnis der Auf- fichtsbeamten. Formale oder unbedeutende Vergehen könnten vielleicht längere Zeit unbemerkt fortdauern, im übrigen aber sorge meistens die Aufmerksamkeit der Arbeiter, unter Umständen auch die Konkurrenz dafür, daß ungesetzliche Zustände schnell ein Ende fänden. Die mitgeteilten Zahlen gäben also «in zuverlässiges und nicht unerfreuliches Bild: „Man darf wohl sagen, daß unsere Avbeiterfchutzgesetze . . . jetzt unserer industriellen Bevölkerung in Fleisch und Blut übergegangen sind." — Dem entspricht es, wenn das Ver hältnis der Aufsichtsbeamten zu den Unternehmern aus Grund der angeführten Jahresberichte gleichfalls als durchaus erfreulich bezeichnet werden kann. Schwierig keiten im Verkehr mit den Arbeitgebern kommen nur wenig vor. Wo solche erwähnt werden, handelt es sich meist um Zusammenstöße mit den ungebildeten Besitzern kleiner Betriebe. Der moderne Großunternehmer rechnet schon lange mit den Arbeiterschutzgesetzen als einer notwendigen Gröhe, ost genug werden die Auf sichtsbeamten zu Ratgebern, wie dies auch ihre häufige Inanspruchnahme durch Industrielle beweist. Weniger freundlich stellen sich im allgemeinen -ie Unternehmer ve rbän de, die die Fühlung mit der Gewerbe inspektion vermeiden. — Im Laufe der Zeit wird ver mutlich auch darin eine Aenderung eintreten. Fürst Erzbischof vr. Koh« hat demissioniert. Wie der ultramontanen „Köln. Volksztg." auS Rom unterm heutigen Datum depeschiert wird, hat der Fürst Erzbischof von Olmütz, vr. Kohn, sein Amt als Bischof niedergelegt. Ueber die letzten Phasen der viel erörterten Angelegenheit wurde der Wiener „Pol. Korrespondenz" vor einigen Tagen noch aus „durchaus zuverlässiger" römischer Quelle geschrieben: Man hatte im Vatikan seit mehreren Jahren volle Klarheit über die Uebelstände der Vermal- tung der Diözese Olmütz und mar zur Erkenntnis gelangt, daß eine Aenderung an der Spitze dieser Verwaltung er forderlich wäre Infolge seines eigentümlichen und schroffen Charakters ist Fürsterzbischof I)r. Kohn mit allen leitenden Körperschaften seiner Diözese, mit dem Dom kapitel, der Geistlichkeit, mit den Staatsbehörden und auch mit einem Teile der Bevölkerung in Gegensatz, ja geradezu in Zwist geraten. Bezüglich des gegen ihn beim Vatikan angestrengten Prozesses wegen Verletzung des Beicht- gehcimnifses ist festzustellen, daß diese Beschuldigung als unbegründet erkannt worden ist. Dieser Prozeß bildere jedoch bloß eine unbedeutende Episode der Angelegenheit, und sein Ausgang vermag an der Beurteilung der ge- samten Lage in der Diözese Olmütz nicht das geringste zu ändern. In den hohen kirchlichen Kreisen Roms herrscht die Ueberzeugung, daß die Wiederherstellung des Friedens und der Einigkeit in der genannten Diözese nur unter der Voraussetzung, daß der jetzige Fürsterzbischof durch eine andere Persönlichkeit abgelöst wird, erreicht werde, könne. Bedauerlicherweise will sich vr. Kohn zu einem freiwilligen Rücktritt nicht verstehen. Da mm anderer seits die Bedingungen für eine kanonische Absetzung nicht gegeben sind, so kann die Angelegenheit vorläufig keinen Abschluß finden. Man hofft jedoch, der Fürsterzbisjof werde sich schließlich von der Einsicht durchdringen lassen, daß sein Verbleiben an der Spitze der Olmützer Diözese eine Quelle sehr ernster Schwierigkeiten bildet, und die Notwendigkeit erkennen, im Interesse des Friedens ein Opfer zu bringen. Unter allen Umständen steht es iest, daß zwischen dem heiligen Stuhl und der österreichischen Negierung in dieser Frage keinerlei MeinungSverschiedcn. heit besteht, und -aß man im Vatikan gewillt ist, auch weiterhin in vollem Einklänge mit der genannten Regie- : rung vorzugchen. Deutsches Reich. * Berlin, 14. März. * Tie „Vorwärts"-Ente von der RcichStagSauflösnng. Der „Vorwärts" schrieb am Sonnabend morgen spöttisch: „Bon besonderer Wichtigkeit ist die Tatsache, daß die Festungen der Regierung, insbesondere die Nordd. Allg. Ztg." zu unserer Mit- teilung nicht ein Wort sagen. Die Redaktion des Blattes hat noch nicht Ordre empfangen, wie sie über die Aufdeckung des Regierungs planeS schreiben soll. Vielleicht wird sie nach weiteren 24 Stunde» dazu befähigt werden." Darauf antwortet die „Nordd. Allg. Ztg." in ihrer „Rückblick" betitelten Wochenrückschau: Wenn der „Vorwärts" die Geduld gehabt hätte, bis zum Er scheinen der vorliegenden Rückblicke zu warten, so hätte er gesunden, was er so schmerzlich vermißt. Wir hatten bereits die Absicht, dem , Vorwärts" den Rat zu geben, sich ein besonderes Archivfach mit der Aufschrift: „Eigene Erfindungen nach Art deS KaiferichlosseS auf Pichetswerder" anzulegen. Ein zukünftiger Geschichtsforscher könnte aus den dort aufgespeicherten Belegen manchen Beitrag zur Beurteilung der von der Sozialdemokratie gepredigten Abart „ethischer Kultur" herausholrn. * Der gemeinsame Abendmahlskelch. Der Präsident des kaiserlichen Gesundheitsamtes hat nach Mitteilnng der Stettiner „Volksztg." über die Frage der Ueber- tragung ansteckender Krankheiten durch den gemeinsamen Abendmahlskelch einen Bericht an den Staatssekretär deS Innern erstattet; dieser Bericht lautet: „Seit einiger Zett ist in der Tages- und Fachpresse wiederholt auf die Gefahr hingewtesen worden, daß durch die gemeinschaftliche Benutzung der Kelche bet der Austeilung des Abendmahls im evangelischen Gottes dienst ansteckende Krankheiten übertragen werden können. Wenn auch diese, wahrscheinlich nicht selten in tendenziöser Absicht geäußerten Bedenken in der Regel als übertrieben bezeichnet werden müssen, so ist doch die Möglichkeit einer derartigen Uebertragung nicht ganz von der Hand zu weisen; in vereinzeltenF allen sind tatsäch. lich Erkrankungen an Tuberkulose un anderen ansteckenden Krankheiten auf den Gebrauch gemeinsamer Trinkgefäße — wenn auch nicht gerade der Abendmahlskelche — zurückzuführen gewesen. Nach meiner persönlichen Erfahrung pflegt bei der Spen- düng des Abendmahls in evangelischen Kirchen Berlins der betreffende Geistliche den Kelch nach jedesmaliger Dar- reichnng um ein weniges z» drehen, so daß die Mund- fläche der nächstfolgenden Person eine reine Stelle des Ge fäßrandes berührt und den letzteren öfter mit einem reinen Tuch abzmvischen; doch dürfte nicht in allen Kirchen mit der gleichen Vorsicht verfahren werden. Eurer Excellenz Ermessen stelle ich gehorsamst anheim, ob es nicht angezeigt erscheint, die Bundesregierungen auf den Gegenstand auf- merksam zu machen und ihnen die möglichst allgemeine Einführung der erwähnten einfachen, aber meines Erachtens vollkommen genügen, den Vorsichtsmaßregel zu empfehlen." * Tie Missionare in Deutsch-Tüdwcstafrika. In einer Missionszeikschrift war kürzlich mit Stolz darauf hingewiesen worden, daß bei dem Ausstande in Deutsch-Südwestafrika die Herero keinem Missionar ein Haar gekrümmt hätten. Einen Kommentar dazu bietet folgende Mitteilung der „Deutsch- Südwestasrikanischen Ztg." aus einem vom 19. Januar datierten Brief aus Okahandja, in dem eS heißt: „Okahandja fieht furchtbar aus, alles zerstört, ver wüstet; Stores und Häuser geplündert und zum größten Teil ver brannt. Alle Weißen sitzen bier zusammengepfercht auf der Feste, und können Sie sich denken, wie wir Haufen; die Kleider bekommt man nie vom Leibe, und selbst waschen man sich kaum. Tabei werden wir fortwährend von allen Seiten beschossen. Die Miskioare sitzen unversehrt in ihrem Hause, und von der Kirche und dem Missionshause aus beschießen uns die Herero! Es herrscht allgemeine Wut auf die Missionare." * Den Bankerott der jüdischen Deutsch-Nationale« verkündet ein Berichterstatter in der „Tägl. Rundschau: „Der Versuch, eine deutsch-nationale Bewegung in jüdi. schen Kreisen ins Leben zu rufen, ist vollständig gescheitert. Der „Verein deutsch-nationaler Juden" hat seit Monaten nichts mehr von sich hören lassen; sein Organ „Die Tole. ranz", ein „Jüdisches Blatt für deutschvölkische Interessen", ist aus Mangel an Unterstützung in -en Kreisen, auf die es rechnete, eingegangen. Ter Verein, der lediglich, wie man uns erzählt, aus ein paar jungen jüdischen Literaten und Referendaren bestand, beschränkte sich darauf, einen Aufruf zu erlassen, wagte es aber nachher nicht, in ösfent- licher Versammlung für sein Programm Anhänger zu werben Vielleicht hat er von vornherein gefühlt, daß er keinen Boden unter den Füßen hatte." — Unter der Spitzmarke „Das Hofbeamten-Viertel", schreibt die „Staatsb.-Ztg.": Die neuen Wohnhäuser für die Beamten der Königlichen Hofhaltung in der Prinz-Friedrich- Karl-Straße werden jetzt bezogen, und zwar von denjenigen Beamten, die bisher in der Stadt zerstreut wohnten. Bon jetzt ab werden alle Personen, die am Königlichen Hofe bedienstet sind, in ein und derselben Gegend wohnen. Tenn dem Königlichen Kronfidei- Kommiß gehören in der nahen Georgenstraße die Häuser 40 bis 43 und außerdem Nummer 45, wo außer Unterbeamten auch einige der höheren Beamten wohnen, während das große Haus Nr. 5 s. in der Prinz-Louis-Ferdinand-Straße für die königlichen Kuischer, Reitknechte und Bvrreirer bestimmt ist. In der Bauhosstraße nennt die Krone vier Häuser ihr Eigentum, in denen zahlreiche Hof- beamten, wie Kammerdiener, Kellermeister, Silberdrencr, Kuchen- hörte, ging er, die Tür hinter sich dröhnend inS Schloß werfend, wütend nach seinem Zimmer. Erich eilte zur Mutter. „Seine Angst, liebe Mama, es kann gar nicht so weit kommen" — suchte er sie zu berulpigen. — „Dem Grafen wird es ja gar nicht einfallen, für solch eine Gemeinheit, die er sicherlich streng ahnden wird, einzustehen! Er wird Papa seinen Abscheu über das Vorgefallene ausdrücken, und damit wird er sich zufrieden geben müssen!" „Wenn du doch Recht behieltest" — klagte Frau von Höchslseld. — „Angenommen, es ginge wirklich alles so auS, und ich glaube es fast selbst — wie soll eS aber nur Mit dem Pfarrer enden?" „Da sehe ich für den Augenblick selbst keinen Ausweg" entgegnete Erich, düster vor sich hiustarrend — „er müßte ja kein Mensch, er müßte ja der reine Engel sein, wenn er diese unglaubliche, dic'c ganz unfaßbare Insulte verzeihen könnte. Papa hat in einer Weise gewütet, die geradezu " „Nein, nein, mein Kind, du darfst deinen Vater nicht so kurzer Hand verurteilen" — nahm sie ihren Gatten gegen den Sohn in Schutz — „Vergiß nicht, in welch' schrecklicher Aufregung er sich befunden haben muß. Mit zwei Landstreicherinnen, die sie vor seinen Augen auS» peitschten, sperrten sie ihn in ein Loch und drohten ihm noch obendrein mit derselben Züchtigung! Es ist ja haar» > sträubend! Bedenke doch, wenn du nicht noch rechtzeitig hinübcrgekommen wärst und dieses Gesindel sich tätlich an ihm vergriffen hätte?!" „Das hätten sie keinesfalls gewagt!" — widersprach Erich. „Kann man das wissen?! Tiefem Volk ist alles zuzu trauen" — fing sie von neuem zu jammern an. — „Vater muß ja furchtbare Stunden durckgemacht haben, und da ihm dieie Kerle des Pfarrers Acußerung absichtlich in falschem Zusammenhang hinterbrachten, so ist seine namenlose Wut nur zn begreiflich." Erich bot ihr seinen Arm, sic nach ihrem Zimmer zu geleiten. „An uns aber ist eS" — sagte er dabei — „des Vaters Schuld so viel als möglich gutzumachcn. Ich reite jeden falls soqlkich hinüber. lind wenn du erlaubst, werde ich I ihm auch deine Lnmpatbie auödrücken." „Ach, Kind, ach, Kind" — seufzte sie. — „Tu ahnst eS I nicht, wie wehe eS mir tnt, mich nicht offen und frei aus * die Sette meines Mannes stellen zu können. Aber du hast i recht, es ist dies das mindeste, was wir ihm schuldig sind — I sage ihm also, wie herzlich ich das Bprgesallene beklage." j Der Major war indes etwas ruhiger geworden. Erichs unerschrockenes Eintreten für den Pfarrer, noch mehr aber die unverblümte Parteinahme seiner Frau gaben ihm doch zu denken. Er war aber in seiner Wut noch zu befangen, um die Möglichkeit eines Irrtums von seiner Seite zuzugcbcn, war vielmehr — je länger er darüber grübelte — um so fester davon überzeugt, daß sie sich in ihrer Beschränktheit von dem scheinheiligen Getue dieses Erzfeindes seines Haukes hatte übertölpeln lasten. Frei lich, daß er ihn direkt hinausgeworfen hatte, tat ihm nun fast leid, zum mindesten verdroß es ihn, da vorauszusehen war, daß sich die ganze Gesellschaft nun erst recht auf die Seite des Beschimpften stellen würde. „Und wenn!" — brummte er dann zornig — „ich pfeife aus dieie Gesellschaft, mich verlangt nicht nach ihr — ich bin froh, wenn sie mich ungeschoren läßt." Pferdegetrampel lockte ihn ans Fenster. Es waren indes nicht die schon ungeduldig erwarteten Herren, sondern Erich, der eben zum Tor hinauSritt. Wohl ahnend, wohin der Weg den Jungen führte, wollte er ihn schon zurückrufen, als er eS sich noch im letzten Moment ander- überlegte. „Nein, sie sollen sehen" — sagte er sich — „daß ich nie- mandem, selbst meinem eigenen Sohn nicht, meinen Willen aufzwinge. TteS wird ihnen wohl klar vor Augen führen, daß ich keineswegs ein Hitzkopf bin, sondern ruhig und fachlich überlege." Und dann zog auch noch so etwas wie Mitleid für den Jungen durch sein Herz, dem er seine Träume von Liebe und Glück so grausam hatte zerstören wüsten. Wenn nicht dieses Mitleid gewesen wäre, würde er wohl auch schwerlich Erichs Auftreten so verhältnismäßig ruhig hingenommen haben; aber da eS ihm das Mädchen in seiner ungezwungenen Urwüchsigkeit selbst angetan hatte, so begriff er den Schmerz und die bitter« Enttäu schung keines Sohnes nur zu sehr und wollte deshalb nicht zu streng mit ihm ins Gericht gehen. Am meisten ärgerte ihn noch Erichs Begriffsstutzigkeit, der noch demjenigen die Stange hielt, der einzig und allein an seinem Unglück schuld war. Wenn nicht diese dunkle Geschichte mit dem Pfarrer gewesen wäre, in welche dieser auch noch den Grafen hineinzuziehen verstanden hatte, dann würde Erichs Werbung von Anfang an nichts im Wege gestanden haben. Aber nicht genug daran, hatte dieser Mensch, den Vetter Karl so genau durchschaut hatte, seine Netze immer weiter über die seinem Haste verfallene Familie ausgeworfen. Selbst das Kind seines besten Freundes schonte er nicht, wenn es gatt, seine Rache zu befriedigen. Mit schein heiliger Biederkeit begünstigte er sogar noch diese Liebe, und dann, als er sah, daß der Junge mit ganzem Herzen und ganzer Seele an ihr hing, ergriff er mit grausamer Ueberlegung die günstige Gelegenheit, eine Aussöhnung für alle Zeiten zu hintertreiben. Ja, ja, so war eS, es konnte gar nicht anders sein, und die ihm zugebrachten Worte deS Pfarrers bestätigten dies nur allzu deutlich. — Das ganze war also fein Werk, und Graf Stepenaz war dabet nichts weiter als fein willenloser Handlanger. Derjenige aber, der sich zu einer Schlechtigkeit miß brauchen ließ, war in seinen Augen ebenso, fast noch ge- meiner als derjenige, dem sie sein blindwütiger Haß dik tierte, und schon deshalb sollte ihm der wohlverdiente Denkzettel zu teil werden. Er konnte die Ankunft seiner Zeugen kaum mehr er- warten, und als diese endlich anqeritten kamen, mußte er sich mit aller Macht zur Ruhe zwingen, um nicht am Ende gar bei den Herren den Gedanken aufkommen zu lasten, als ob ibn das bevorstehende Duell so sehr aufrege. Daß die Sache friedlich beigelegt werden könnte, lag ihm so himmelfern, daß er des Obersten Erklärung über den wahren Zusammenhang erst gar nicht begriff. „Aber das geht ja nicht — das ist ja nicht möglich" — stotterte er ganz verwirrt. Graf Stepenaz ist natürlich mit Vergnügen bereit, Ihnen, wo und wie Sie es nur wünschen sollten, sein herzlichstes Bebauern auszudrücken" — fuhr indes der Oberst in seinem Bericht fort. „UebrigenS hat er den Waldhüter nach einer reichlichen Tracht Prügel sofort auS dem Dienst gejagt, und dem ganzen Dorfe ist zur Strafe auf ein Jahr das Recht entzogen worden, im Walde Holz zn sammeln und ihre Schafe und Schweine auf die herr schaftlichen Stoppelfelder zu treiben. Noch dieser wahr heitsgetreuen Darlegung" — schloß der Oberst — „blieb »ns natürlich nichts Anderes übrig, als die Forderung zurttckzuziehen »nd uns in Ihrem Namen für befriedigt zu erklären." „Und wir freuen uns herzlich" — fügte Major von Vranac hinzu — „daß sich das Mißverständnis so glatt löste und sich zwei Ehrenmänner ohne die geringste Demütigung die Hände reichen können." Herr von Höchstfeld war ganz fassungslos. Nach diesen Erklärungen noch aus seiner Forderung zu bestehen, wäre nicht nur Tollheit, nein, eS wäre Wahn sinn gewesen, denn nach all dem Gehörten mußte er sich ja einqestehen, eine grandiose Eselei begangen zu haben. „Und -em Pfarrer hast du ja dann — wenigstens in diesem Falle — auch unrecht getan!" — schoß es ihm plSy- lich durch den Kopf, so daß er ganz erschrocken aufstöhnte. „Fehlt Ihnen etwaS?^ — fragte ihn der Oberst ver wundert. Mit gewaltsamer Willensanstrengung richtete sich Herr von Höchstfeld in die Höhe. „Oh nein, oh nein" — sagte er verlegen — „ich danke den Herren vielmehr für den kameradschaftlichen Dienst, den Sie mir geleistet haben" — und sich seiner Hausherrn- pflicht erinnernd, bat er: „Sie schenken unS natürlich daS Vergnügen zu Tisch — eS ist ohnehin bald Mittags zeit." Die Einladung wurde angenommen, und Herr von Höchstfeld ging, seine Frau persönlich von dem Besuch zu verständigen, welche Gelegenheit er auch gern benutzte, der schon halb zu Tode Geängstigten zu ihrer Beruhigung mitzuteilen, daß alles beigelegt sei. Auf dem Rückweg kam ihm der glückliche Gedanke, wie er sich wenigstens eine kleine Genugtuung verschaffen konnte, deren Erfüllung Stepenaz immerhin peinlich sein mußte. „Ich möchte an deS Grafen Erklärung eine Be dingung knüpfen" — wandte er sich, im Zimmer ange kommen, an die beiden Herren. — „Wie Sie wissen, wurde ich mit zwei Zigeunerinnen zusammengesperrt — eS liegt mir also daran, daß mir auch in ihrer Gegenwart Genug, tuung gegeben wird." „Ich glaube kaum, daß Graf Stepenaz dagegen etwas einzuwenden haben wird" — meinte der Oberst, und mit behäbigem Schmunzeln setzte er hinzu — „es fragt sich nur, welche Gegend die beiden Damen augenblicklich un sicher machen — ob sie überhaupt noch einzufangen sein werden." fFortsetzung folgt.»
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