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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 17.11.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-11-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-191111179
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19111117
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19111117
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1911
- Monat1911-11
- Tag1911-11-17
- Monat1911-11
- Jahr1911
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 17.11.1911
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Beilage zum „Riesaer Tageblatt". Rotatioutdruck und Verlag von Langer t Winterlich in Riesa. — Für die Redaktion »«antwortlich! Arthur Hiihnel in Riesa. .1° S68. Freitag, 17. Rovemver litll, abends. «4. Jahrg. Sächsischer Landtag. Original-Vericht. )( Dresden, 16. November. Zweite Kammer. (Fortsetzung de« Bericht« in voriger Nummer.) Im wetteren Verlauf der Sitzung weist Abg. Opitz darauf hin, batz die Sozialdemokraten durch den Eid auf die Verfassung ver. pflichtet seien, dem Könige nach 8 ? der Verfassung Gelegenheit zu geben, dir Kirche zu schützen; sie müßten also wohl in diesem Punkte ihre Grundsätze revidieren. An der weiteren Debatte, in di« auch dir Minister Dr. Beck und v. Seydrwitz nochmal« ein griffen, beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Böhme (kons), Niem (Doz.), Dr. Loebner (natl ), Opitz und Heyman» (kons > und Brodaus (fort. Vk«p ). Die Gesetzentwürfe wurden schließlich auf Antrag Loebner an die Gesetzgebungsdeputation in Verbindung mit der Finanzdeputation verwiesen. Nächste Sitzung Freitag vormittag S'/, Uhr. Allgemeine Vorberatung über da« Dekret betr. di« Ver- waltupz der LandeSbrandoersicherüngSanstalt. Schluß nach 2 Uhr. Deutscher Reichstag. 207. Sitzung, 16. November, 1 Uhr, «in Bimdesratstiju-e: Dr. Delbrück, v. Breikenbacy, Dr. Peter«. Zweite Lesung de« SchiffahrtsabgabengesetzeS. (Zweiter Tag.) Aba. Dr. Heinze (nl.): ES handelt sich um eine agrarische Maßnahme. DaS ist tue allgemeine Ueberzeugnng in meiner sächsischen Heiinat. Weshalb sollen die Wasserstraßen nicht weiter aus Kosten der Allgemeinheit ausgcbant werden? Jedenfalls darf man doch nicht in dieser allgemeinen Weise die Schiffahrt belasten. Dem Produzentenstandpunkt muß endlich einmal der der Konsumenten entgegengestellt werden. Kein Mensch in Sachsen will etwas von der Vertiefung der Elbe wissen. Ist die Sache erst einmal eingesührt, dann ist nachher die Ausdehnung der Abgaben nicht abzusehen. Abg. Günther (Vp.) spricht in gleichem Sinne. Der Auf schwung des Handels beruht aus der Abgabenfreiheit. Ob Württemberg die erhofften Vorteile habe» wird, bezweifle ich sehr. Warum hat man Sachsen nicht das gleiche Interesse ent- gegengebracht? Tie Württemberger hoffen vielleicht auch auf Heilung ihrer Eisenbahnschmerzen; auch wir können von solchen erzählen. Das Preußische Abgeordnetenhaus ist nicht eine Ver tretung der Mehrheit des preußischen Bolls. Der nationale Ein heitsgedanke wird durch die Vorlage schwer geschädigt. Abg. Winckler (k.): In der sächsischen Opposition steckt ein gut Teil Partikularismus, den man sonst immer uns Preußen vorwirst. Ich mache aber keine Vorwürfe, denn sonst müßt^ ich auch in meine nächste Nachbarschaft greisen. Der Redner stimmt dem vom Zentrum eingebrachten Antrag zu, die Interpretation der künstlichen Wasserstraßen ganz zu streichen; die Wasserstraßen sind ja in der jetzigen Fassung der Vorlage ausdrücklich be zeichnet worden. Der Redner spricht auch gegen die in der Kommission beschlossene Erweiterung des Kreises der Strom beiräte. Herr Gothein hat hier wie in den 38 Sitzungen der Kommission seinen sachlichen Widerstand in persönliche An griffe gegen den Ministerialdirektor PeterS gekleidet. Um den preußischen Staat wird es immer gut bestellt sein, wenn in seinem Beamtentum, einer der Säulen seiner Kraft, sich alle Zeit Männer sinden, die den Platz, auf den ihr König sie gestellt hat, mit solcher Pflichttreue aussüllen, wie Herr Peters. (Bei fall rechts.) Solche Männer stehen turmhoch über den An griffen oes Herrn Gothein. (Beifall rechts.) Ministerialdirektor Peters wendet sich gegen die Aus- sührungen der Gegner über die Verteueruim der Produktion und über die Belastung des Mittelstandes im Schiffahrtsgewerbe. Bayerischer Bevollmächtigter, Ritter v. Graßmann: Die Bayerische Regierung hat sich kür die Vorlage erklärt, weil sonst die Vollendung wichtiger, dringender Strombauten erschwert, verzögert, vielleicht unmöglich gemacht wird. Die Vorlage ist durch die erfolgten Aenderungen uns annehmbar geworden. Von einer Stärkung des Partikularismus ist nicht die Rede. Bei uns bestand eine sehr starke Strömung für die Fortsetzung der Mainkanalisation über Aschaffenburg hinaus. Wir haben mit schwerem Herzen darauf verzichtet. Die Gegner der Vorlage sind, wenn auch nicht absichtlich» so doch tatsächlich Gegner des Ausbaues der deutschen Nüsse. Jas Geheimnis der Akuten. Roman von Jenny Hirsch. 43 Freilich, die Erzählung klang abenteuerlich, und so oft sie sich bemüht hatte, für verschiedene Punkte eine Erklärung zu finden, war sie ihr in den Gesprächen mit der Mutter, wie auch heute in der Unterredung mit dem Bruder, doch dunkel geblieben. Wer war aber die Leiche, die man aus dem Kellersee gefischt und die alle Welt mit Ausnahme ihrer Mutter, ihres Bruders und der alten Köchin für die Lydia von Ruffer «rklärt hatte? Weshalb hatte Lydia, als Ludolf sie auS dem Wasser gezogen, darauf bestanden, daß niemand von ihrem Unfall und von ihrer Rettung erfahre, wie hatte das sonst so ver ständige Mädchen den abenteuerlichen Plan einer gemein samen Flucht mit Ludolf fassen können, für die Christine gar keine zwingende Notwendigkeit einzusehen vermochte? Wie hatte Ludolf darauf so schnell eingehen können? Und wenn sie dafür eine Erklärung in seiner grenzenlosen Liebe zu Lydia fand, wie hatte ihre Mutter, ihre besonnene, allem Extravaganten abholde Mutter, ihre Zustimmung geben und LieHand zur Ausführung bieten können? Sie hatte, wenn sie der Mutter eine solche Frage vor gelegt, immer Antworten bekommen, bei welchen sich ihr die Wahrnehmung aufdrängen wollte, jene wisse etwas, das sie nicht sagen dürfe oder das sie sich zu sagen scheue. Die gleiche Bemerkung hatte sie zu machen geglaubt, so oft sie ihre Per- mutungen darüber aussprach, auf welche Weise Lydia in den See geraten sei, und ihre Verwunderung äußerte, daß Mut ter und Bruder sich darüber nicht Gewißheit verschafft hätten. Die sonst so sanfte Försterin konnte dann geradezu heftig werden und mit einer gewissen Anzüglichkeit, über welche die Tochter im stillen lächeln mußte, erwidern, sie sei nicht unzart genug gewesen, in das zum Tode erschöpfte Mäd chen zu dringen, um Dinge zu erfahren, über die sie jedenfalls einen Schleier zu breiten wünschte. Allen diesen Fragen gesellte sich die weitere zu, wie es gekommen sei, daß Lydia, die nach Ludolfs Aussage kaum «ine Stunde vorher noch vom tiefsten Mißtrauen gegen ihn Aba. Stolle (Svz ): Dar preußische Jänkerparlament ist die treibende Kraft. Der Widerstand der anderen Regierun gen ist durch den Druck gebrochen. Daran ändern die Erklärun- nichts" iliegierungSvertreter von Bayern und Württemberg Abg. Graf Praschma (Z.): Dieses Gesetz soll die letzte schwarze Tat der Ritter uno Heiligen zur Bedrückung oe» Voltes sein. Zu diesen Rittern und Heiligen gehören aber auch die meiste» Nationalliberalen und einig« Freisinnige. Sogar einige Sozialdemokraten sollen dafür sein, falls da« Gesetz etwa gefährdet werden sollte. Dr. David nannte die Vorlage ein Brotverteuerungsgesetz. Um wieviel Pfennige wird denn die Semmel dadurch teurer werden? Der Redner fordert den völligen Ausbau der Oderstrecke unterhalb BreSlauS. Dieser sei aber erst möglich nach Einführung des SchiffahrtSabgaben- gesetzeS, da früher der preußische Landtag keine Mittel be willigen würde. Preußischer Minister v. Breitenbach «rklärt, daß die Preußische Regierung unmittelbar nach Verabschiedung des SchiffahrtSabgabengqetzeS vom Landtage Mittel für die Oder regulierung unterhalb BreSlauS fordern werde. Die Frage soll nicht auf die lange Bank geschoben werden. Die Kosten würben ungefähr 40 Millionen Mark ausmachen. Abg. Dr. Hahn (k): Die Schiffer werden di« Abgaben gern zahlen, wenn die Flüsse reguliert werden. ES sind.bei dieser Vorlage viele aus einem SauluS zum Paulus gewor den. Nur Herr Gothein verharrt in seiner Ungläubigkert. Er hat seinem Heimatstaate Preußen ein schlechtes Zeugnis aus gestellt. Ich muß dagegen protestieren, obgleich ich als Han noveraner nur annektierter Preuße bin. Die Moselkanalisie rung lehnen wir ab, sie würde die Konkurrenzfähigkeit der Ruhrindustrie schädigen. De» Hauptnachteil würde die Berg- arbeiterschast haben. , Abg. Dr. Frank (Soz.): Die Rede deS Dr. Hahn war an die falsche Adresse gerichtet, denn jetzt sagt man sich: Wenn er mit seiner hinreißenden Beredsamkeit es nicht fertig bringt, seine eigenen Freunde zu überzeugen, dann muß cS schlecht um seine Gründe stehen. (Zuruf rechtS: Die Sachsen sind zu Helle!) Dem Dr. Hahn kann ich diesen Vorwurf nicht machen. (Heiterkeit^ Der Redner verwahrt sich gegen den Vorwurf, daß die Opposition gegen das Gesetz eine Verkehrsfeindschaft in sich schließe. Nach der Geschichte der konservativen Partei braucht nicht auSgesührt zu werden, wo die VerkehrSfeind- schajt ist. Ihr die Sorge für den Verkehr anznvertrauen, heißt den Fuchs zum Wächter über den Entenstall zu machen. Wenn der Reichstag dieses Gesetz annimmt, so läßt er sich zugunsten großagranscher Interessenten mißbrauchen. Abg. Zehnter (Z.) bittet um Annahme seines Antrags auf Streichung der Definitton deS Begriffes der künstlichen Wasserstraßen. Abg. Gothein (Vp.) wird von der Rechten mit lebhafter Unruhe empfangen: Wenn eS Ihnen nicht paßt, so verlassen Sie doch das Lokal. (Heiterkeit.) Der Ministerialdirektor PeterS hat als Schriftsteller in den Streit eingegriffcn. Da muß er sich eine Kritik gefallen lassen. Ich habe gegen ihn nur das wieder- holt, was Männer wie Laband und Wach gesagt haben. Ich hänge mit Begeisterung an Preußen. Gerade desivcgen wünsche ich, daß es sich stets ferner großen Geschichte würdig zeigt. Abg. Haußmann (VP.) spricht im Namen einiger süd deutscher Mitglieder der Vollspartet für die Vorlage. ES han delt sich um ein nationales Werk; gegenüber den großen Vor teilen, die erreicht werden, müssen andere Bedenken zurück treten. Damit schließt die Aussprache. Die Artikel 1 und 3» werden angenommen, die NbSnderungsanträge abgelehnt. Wciterberatung Freitag 1 Uhr, außerdem noch das Hans- arbcitsgesetz, Schluß 6V-Uhr. Was «ns am Kongo erwartet. CK. Nach einer ununterbrochenen Tätigkeit von 34 langen Jahren im Kongogebietc und am Tschadsee ist der französische Monseigneur Augouard, der bisherige Bischof von Französischf-Kongo, soeben in Paris cingc- tvoffen. Der Bischof Angouard, der als Leiter der Mis sionstätigkeit während eines Lustrums das Land seiner Wirksamkeit nach allen Richtungen durchreist hat, muß zweifellos als einer der gründlichsten Kenner des Kongo- gcbieteS gelten, und damit gewinnen die Aeußcrungcn, die er einem Mitarbeiter deck Gaulois gemacht hat, auch für uns besondere Bedeutung. „Wenn wirtlich der deutsch-französische Vertrag in seinem Endergebnis einen Eintausch Marokkos gegen die zedierten Kongogebiete darstellt, so zögere ich nicht, zu sagen, daß der Abschluß für uns ein ausgezeichnetes Geschäft bedeutet. Mau braucht nur einen Blick auf die Karte zu werfen, nm meine Einschätzung nachzuprüfcn. Deutschland erhält zwar an der Grenze von Spanisch-Guinea in der Bai von Tomba einen trefflichen natürlichen Hafen, aber wir behalten Libreville. So weit tväre alles gut, wenn nicht gerade der Landstrcifcn von der Bai von T.omba bis zum Ubangi jenes Gebiet des Kongo wäre, das am wenigsten pazisiziert ist. Erst kurz vor meiner Abreise hatten sich ein Marincfähnrich und ein Schiffsarzt 20 Kilometer von der Küste zu entfernen gewagt: sie wurden sofort ange griffen und schwer verletzt. Tie Wege sind äußerst ge fährlich, und ich glaube nicht, daß die Tentschen dort die erträumte Eisenbahn gar zu schnell bauen werden. Sic wissen, daß Tcntschländ ursprünglich einen großen Teil des rechten llbangiufers forderte; aber dieses Gebiet ge hört nun endgültig Frankreich und hat bereits einen be sonderen Namen empfangen: nach unserem Berliner Bot schafter heißt es Cambonicn. In diesem Gebiet haben die Deutschen drei Zipfel erhalten, drei „Inseln", die ihnen Zugang zum Ubangi gewähren. Aber diese Kombi nation wird beiden Teilen Nachteile und eine peinliche Enttäuschung bereiten. Jeder der Deutschland abgetre tenen Zipfel hat am Ufer eine Breite von 10 Kilometer. Tas ist so viel wie gar nichts, denn das arniseligste Schiff kann diesen Gcbictsstrcifcn passieren, ohne anzuhalten, und damit bleiben wir Herren der Schiffahrt, und unsere vom Tschadsee und vom oberen Kongogebiet kommenden Waren brauchen keinen fremden Hafen anzulausen. Die Deutschen aber werden bald bemerken, daß die 20 Kilo meter Ubangiufer, die wir ihnen abgetreten haben, fast das ganze Jähr über überschwemmt sind und infolge dessen für den Handelsverkehr nicht zu gebrauchen sind. Doch sie werden uns keine Vorwürfe machen können, denn der Teil des berühmten Entenschnabels, den sie uns abgetreten haben, bietet uns nur verpestete Sümpfe. Dafür haben wir uns revanchiert, indem wir ihnen am Ubangi Sumps- und Moorgeländc abtraten. Jeder hat bei diesem Handel versucht, den anderen zu bluffen; den Nachbarn zu überlisten. Keiner hat den anderen so überlistet, wie er ihn zu überlisten glaubte, und im Grunde hat hier in Mittelafritä keiner Grund, zufrieden zu sein." Auf die Frage über die Bodenbeschaffenheit und die Bevölkerung der Tcntschländ abgetretenen Länderstrcifcn antwortet der Bischof: „Tie Deutschen werden steile, zerklüftete Berge und undurch? dringliche Wälder vorfinden. Sie erhalten als. Unter tanen Kannibalen, denn trotz aller Bemühungen unserer Missionen ist es nicht gelungen, die Menschenfresserei zu unterdrücken. Tie Kvngobcvölkerung teilt sich in drei soziale Klassen: Fürsten, freie Männer und Sklaven. Für die Klasse, der das Neugeborene angehört, ist der Stand der-Muttcr entscheidend. Denn die Kongobewohner haben wenig Vertrauen zur ehelichen Treue, und niemand weiß genau, wer sein Vater ist. Infolgedessen herrscht eine Art Mutterrecht, das Kind einer Fürstin ist Fürst, das Kind einer freien Frau frei und das Kind einer Sklavin Sklave. Nur die Sklaven arbeiten, und sic sind cs auch. erfüllt gewesen war und ihn schroff zurückgewiescn hatte, so plötzlich ihr Unrecht eingesehen, ihn um Verzeihung gebeten und nun im Gegenteil bereit gewesen war, in schranken losem Vertrauen ihr Schicksal nut dem seinen zu vereinigen? Ihr klarer Verstand sagte ihr, daß hier vielleicht daS Rätselliege, von dessen Lösung Freiheit und Leben ihres Bruders aohänge. Aber wo diese Lösung finden? Die Mutter und Ludolf mußten sie doch nicht geben oder doch nicht genügend geben können, denn es war nicht anzunehmen, daß nur ein Lydia gegebenes Versprechen ihre Zunge binde, die Notwendigkeit war viel zu eisern, um hier nicht den Bruch des verpfändeten Wortes zu rechtfertigen. Je niehr Christine sann, desto mehr verschürzten sich die Fäden, sie sah keinen Ausweg aus dem Wirrsal. „Nur eine könnte diesen Knoten lösen: Lydia! Aber wo ist sie geblieben? Was ist aus ihr geworden?" sagte sie fast mit denselben Worten, die sie von Ludolf gehört hatte, aber, wie sie sich nicht ohne Beschämung einaestand, aus weit egoistischeren Beweggründen. Sie hatte Lydia von Ruffer stets sehr gern gehabt, die Vorstellung, daß sie hier dem Tode in den Fluten entgangen sei, um in der Ferne einem finsteren Schicksal anheim zu fallen, bedrückte sie tief, dennoch ersehnte sie sie in erster Linie herbei um des Bruders willen. Aber Lydia von Ruffer, immer vorausgesetzt, daß sie wirk lich noch lebte, war wie vom Erdboden verschwunden. Sobald die Anklage dem Gefangenen zugestellt worden war, hatte er sich den Dr. Seifert, einen jüngeren Rechts anwalt, der sich vor nicht langer Zeit in Eutin niederge lassen zum Verteidiger erwählt. Dessen nächstes Geschäft war es nach seiner ersten Unterredung mit seinem Klienten ge wesen, einen Aufruf an Lydia von Ruffer in deutschen und englischen Zeitungen zu erlassen, durch welchen sie ersucht wurde, sich zu melden, und durch welchen auch an alle Leser die Aufforderung erging, sofern man etwas von ihr wisse, eS an zuständiger Stelle anzuzeigen. Doktor Seifert hatte manche Neckerei und manche Stachel rede wegen seines Appells an «ine längst Gestorbene und Begrabene hinnehmen müssen, er ließ sich das wenig anfech ten, viel schlimmer wareS, daß dieseMaßregel sich als völlig unwirksam erivieS. „Könnten wir die Verschwundene zur Stelle schaffen," hatte er zu Christine gesagt, die ihn, nachdem sie ihren Bruder verlassen, ausgesucht hatte, „so brauchte Herr Pöplau keinen Verteidiger, so fiele die Anklage gegen ihn in nichts znsam- men, können wir das nicht, daun fürchte ich, wird ihm auch die scharfsinnigste Verteidigung nicht viel helfen können." Sie und der Förster hatten eifrig nach jenem Fremden geforscht, der, wie Horn seiner Zeit dem jungen Mädchen be richtet hatte, in der Gegend gesehen worden sein und nach einer verschwundenen junger:Dame geforscht haben sollte. In der Tat erklärten auch verschiedene Personen, damals einen älteren Herrn gesehen zu haben und von ihm ausgefragl worden zu sein, dann plötzlich aber ivar er verschwunden ge wesen. Jedenfalls mußte er also doch wohl ein Beamter der Polizei gewesen sein, der nach Lydias Verbleib Nachforschun gen angestellt hatte. Von einem zweiten verschwundenen weib lichen Wesen war ja nirgendwo die Rede gewesen. „Und wenn man nun bewiese, daß die aufgefundene Leiche nicht die Lydia von Rusfers war?" fragte Christine weiter. „DaS wäre wenigstens ein negativer Beweis, aber wie ihn erbringen?" lautete die Antwort, „da alle bis auf die Beteiligten die Identität anerkannt haben." „Man müßte nachforschen, ob man nicht entdecken könnte, wer die Tote gewesen sei," bemerkte Christine. „Ich habe auch dafür meine Maßregeln getroffen, aber bis jetzt leider ohne den geringsten Erfolg," hatte der wenig trostreiche Bescheid gelautet, mit dem das junge Mädchen entlassen wurde, und diese Worte klangen ihr auf dem Heim wege noch immer in den Ohren. „Es steckt noch etwas ganz anderes dahinter," flüsterte sie, während sie den Regenschirm, den sie geschloffen in der Hand trug, fester auf den eingeweichtcn Boden fetzte. „Die Mutter ahnt es, doch keines traut sich mit der Sprache her aus. Ich will cs ans Licht bringen," rief sie plötzlich laut, indem sie stehen blieb und mit tiefen, durstigen Zügen den würzigen Odem des Waldes einsog. „Ich will Lydia zur Stelle schaffen, ich will...« WaS Christine sonst noch wollte, blieb für diesmal un ausgesprochen, denn eS ertönte Hundegebell, in großen, mnn- teren Sprüngen kam Diana daher, ihm folgte eilfertig För- ster Horn im Jagdrock, die Büchse über die Schuller, die geflochtene Jagdtasche an der Seite. 1L1,2E
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