Suche löschen...
Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 06.02.1915
- Erscheinungsdatum
- 1915-02-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-191502063
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19150206
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19150206
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1915
- Monat1915-02
- Tag1915-02-06
- Monat1915-02
- Jahr1915
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 06.02.1915
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
2. Beilaqe znm „Riesaer Tageblatt". Rotationsdruck und Verlag von Langer L Winterlich in Riesa. — Für di« Redaktion verantwortlich: Arthur Hähnel in Riesa. AO. Sonnabend. «. Februar llNS abends K8. Aahrg. Die Ariegsbrrichterftatter in den Karpathen. Aelh»srsch«k-Le«tuav1 Ezurmay Aber seine Truppen. Februar 1915. ölen. Nach 3V, tägiger Eisenbahnfahrt kamen wir auf »er Station FengyeSvoelgv koch oben im Ungtale an. Nur bis hierher geht der Bahnbetrieb, da weiter auf wärts zwei Viadukte gesprengt sind, die jetzt erst von un seren Eisenbahnern wieder hergestellt werden. Wir mußten daher mit anderer Fahrgelegenheit auf einem Lastenauto zum Hauptauartier des Feldmarschall- Leutnants Szurmah fahren, dem bekannten Staatssekre tär deS ungarischen Honvedministeriums, der erst vor nicht allzu langer Zeit seinen Schreibtisch und sein Büro mit dem Schlachtfelde vertauscht und bereits bei Limano- wo einen großen Teil zum glücklichen Ausgang des erbit terten Ringens beigetragen hat. Jetzt kommandiert er Truppen, die in den mit großer Bravour geführten Kämpfen der letzten Woche den wich tigen USzokerpaß von Russen gesäubert haben. Er empfing meine Kollegen und mich mit großer Liebenswürdigkeit, wieS aber unsere Glückwünsche zu seinem Erfolge mit echter Soldatenbescheidenheit zurück, indem er alles Lob für seine Truppen in Anspruch nahm. „Ich freue mich", sagte er in der Ansprache, die er an uns hielt, „daß sie selbst die Schwierigkeiten kennen lernen werden, mit denen unsere braven Truppen hier zu kämpfen haben. Aber so groß die Schwierigkeiten sind, sie lassen sich nicht dadurch aufhalten. Sie sind so ausgerüstet, daß sie auch unsere grim migsten Feinde, den Frost und die Kälte, überwinden kön nen, und wenn der Schnee anderthalb Meter hoch ist, dann marschieren sie eben durch anderthalb Meter hohen Schnee. Sie sind voll Begeisterung und Siegesgcwißheit. Mit diesen Truppen wirft man jeden Feind nieder." Heute führte uns Keldmarschall-Leutnant Szurmah selbst, damit wir mit eigenen Augen sehen, wie wahr seine Worte sind. Ernst Klein, Kriegsberichterstatter. Der Geist -es Heeres. Don Dr. AlfonS Goldschmidt, Unteroffizier der Landwehr. oken. Wenn irgend Zeit war. versammelten sich die Kameraden im Felde und besprachen.die Kriegslage. Kar ten, namentlich Zeitungen waren die Hilfsmittel. Es wal tete kein vorgetäuschter Optimismus, aber das Ceterum censeo war stets: „Wir müssen, wir werden — durchkom men, wir haben in Frankreich und Rußland breite Land strecken besetzt und sind nicht rauszubringen." Als ich krank in die Heimat fuhr, waren mir die letzten leisen Kanonenschläge eine Bestätigung dieser Zuversicht und im Soldatenabterl war keiner, der anders empfand oder dachte. Dann war ich wieder zu Hause. Es kamen die Skeptiker, die Kopfschüttler, die Strategen frei von Stroh und Granaten, die politischen Kombinierer, die Leute mit „Verbindungen", die „Gerüchtgläubigen". Sie sagten: „Wir kennen das schon. Du kommst von der Front, Du hast nur in Deinem Kriegseckchen gelebt, Du bist sol datisch eiriseitig. Du bist noch ganz im Banne Deiner Eindrücke, Deiner besonderen Erlebnisse. — Wir aber haben — die Möglichkeit und das Recht der Kritik. Nur aus der Entfernung läßt sich urteilen." Läßt sich wirklich nur aus der Entfernung urteilen? Ich möchte das bezweifeln: Ge rade das Dürchdrungensein von einer Stimmung, das Miterleben gibt die Gewähr für das Erreichen oder Nicht- erreichen eines Zieles. Der Soldat weiß, welche Wider standskraft, welche Angriffsgewalt im Heere stecken, weil er selbst ein Teil von ihnen ist. Wir hören von sich ver breitender Mutlosigkeit unter den russischen Soldaten, von einem wachsenden Erlahmen ihrer Kampfeslust,. die Gefangenen erzählen cs immer wieder. Die Stimmung ist wie eine Luft oder eine Seuche in der Arm e, auf die Dauer kann sich keiner ihr entziehen. Eo ist der Einzelne mit seinen Kriegsgesühlen ein Barometer der Gesamtempfindung. Ich habe nicht einen mutlosen deut schen Soldaten gesprochen. Wohl vom Schicksal erfüllte, schmerzdurchkrampfte: wohl ernstgewordene Kämpfer, aber keinen ohne Zuversicht. Sie wird positiv und negativ zum Ausdruck gebracht: „Wir werden, wir müssen siegen" sagen sie oder „Wenn wir geschlagen würden, so möchten wrr nicht lebend bleiben." Mußte irgend einmal ein Schützengraben geräumt werden, so machten sich die Trup pen nicht die geringste Sorge über Vie Wiedereroberung. Sie sind eben überzeugt von ihrer Stoßgewalt, sie ver trauen sich und der Führung, weil sie selbst kämpfen und die Kampfresultate direkt sehen. Die Daheimkri tiker haben nur die Karte und die Zahl, sic wissen nichts von dem Aneifernden all der kleinen und großen Herois men, der Kameradschaft, der Auszeichnungen, der rühmen den Erzählungen. Sie kennen nicht die Liebe zum einmal besetzten Platze, den man, obwohl er Feindeserde ist, als Krieyerheimat betrachtet. Die Zähigkeit des FesthaltcnS ist eine tiefgewurzelte deutsche Soldateneigenschaft. Man braucht wahrhaftig keine Sorge zu haben, daß eine ge wonnene breite Front wieder aufgegeben wird. Da müßte eS schon sehr schlimm kommen. . Die Art des Kriegergcistes stuft sich und wechselt mit der Veranlagung der Felogewöhnung, dem Alter, der Hei matstellung: der Lanowehrmann, der Landstürmer geht nicht mit Düsterkeit aber mit ernster Besonnenheit in den Krieg. Das durch die Friedensübung in ihm aufgezogene Soldatische verliert an grüner Frische, gewinnt aber durch die im Leven erreichte Reife. Er übt den Krieg mit der Sorgsamkeit des Handwerkers, ist umsichtig, material sparsam, kräfteökouomisch. Seine Disziplin ist die des bewußten Mannes. Er weiß, was für das Land und für ihn auf dem Spiele steht. Er ist so ein furchtbarer Feind. Dtzr Jungmann ist vielleicht rascher, hastender, doch wird er bald erzogen, wie denn die Kameradschaft von Alten und Jungen eine prachtvolle Kriegsschule für die Sol datenneulinge ist. Der Jungmanu lernt hundert Dinge, die der „gesetzte" Krieger kann, die er mit einer gewissen Innigkeit pflegt. Behandlung der Pferde, der Fahrzeuge, der Montur, der Munition, des Menschen selbst. Aus diese Weise verbreitet sich auch eine Hhgiei^, die äußerst wertvoll ist. Mit der Zeit verliert sich daS Schnelle und Stolpernde des jüngeren Soldaten, er begreift die Trag weite deS Gemäßigtscins. Er läßt auch die blindschäu mende Wut abebben und erhält dafür ein gleichmäßiger temperiertes Pflichtgefühl, das im Augenblick der Aktion in einen besonnenen Karnpseszorn umschlägt. Er hat dann nichts mehr von dem Gemisch aus Verachtung und Grau samkeit, mit dem der Kampsferne an Biertischen und in schlechten Witzblättern arbeitet. Die Ehrfurcht vor der Gefahr vernichtet zu Gunsten einer dauerhaften Kraft den von EmpsindungSbanausen anfgepeitschten Taumel. Eine ungeheure Wirkung auf den Geist der Truppe hat daS Bewußtsein eines ununterbrochenen Zusammen hanges mit der Heimat. Der Soldat freut sich über Liebesgaben nicht so sehr des Genusses als des wieder genährten Gefühles der Freundschaft und Liebe wegen. Er empfindet mit jedem Paketchen das Bangen seiner Hei matteuren um ihn und steigert seinen Pflichtdrang, um dieses Bangen wirklich zu verdienen. Er erzählt ost von seinem Zuhause und denkt noch mehr daran. Jeder Bries ist ihm ein süßes Erleben, er braucht dieses Weiche, Tröstend« im Kriege. Man muß das versonnene Lächeln lesender Feldsoldaten gesehen haben, dann begreife man den Wert der Post für den Krieger. Wir haben ein Heer, das sich fortwährend und warm an die Heimat klammert, aus ihr, die es schützen soll und will, durch Liebe An feuerung zur kraftvollen Erfüllung der hohen Vertei digungsaufgabe erhält. Je mehr wir unseren Kriegern die Versicherung unserer Anhänglichkeit und Sorge zu strömen lassen, um so kampffester machen wir das Heer. Als Lokomotivführer in Feindesland. Abdruck genehmigt. Stellvertr. Generalkommando IS. Armeekorps. Prefseabteilung. 4. dn. Nochmals will ich versuchen den verehrten Lesern interessante Vorkommnisse und Begebenheiten aus meinem Wirkungskreis zu schildern. Am 13. Dezember 1914 war Feldgottesdienst. Schon am Freitag vorher war dies von der Etappenkommandan tur bekannt gegeben worden. Wir rüsteten uns, so weit wir abkömmlich waren, zu dieser Feier, denn nur selten bietet sich Gelegenheit dazu, eiuem Fcldgottesdienst hinter der Front beizuwohnen. In einem katholischen Gottes haus, das von außen eher einer Turnhalle glich, da es nicht wie die der Heimat mit einem Turm geziert war, versammelten wir uns. Auch im Innern war das Turn hallenartige in der Dachkonstruktion zu sehen. Jin klebri gen war die Ausstattung die der katholischen Kirchen. Statt der Bänke fanden wir Stühle vor. die sehr niedrige Sitze, dabei aber Lehnen von faßt Meterhöhe hatten, welche oben noch mit einem Querbrctt versehen waren und zum Auflegen der Gebetbücher angebracht erschienen. In jedes dieser Auflegebrettchen war der Name des Besitzers jeden Stuhles aufgemalt oder eingeschnitzt, auch waren vergol dete Nägel den Linien der Buchstaben entsprechend ein geschlagen. Manche Stühle waren Kunstwerke, alle standen mit der Lehne nach dem Altar. Wir haben sie einfach hernmgedrebt und uns darauf gesetzt. — Wie ich am I. Jan. 1915 in einer katholischen Kirche in Maubeuge ge sehen habe, sind diese Stühle aber garnicht zum Sitzen da. Die Franzosen stellen sich hinter diesen Stuhl, knieen mit einem Beine auf den Sitz vielleicht auch mit beiden und stützen die Unterarme auf die Lehne. — Dnrch unser Umdrehen waren die Reihen etwas in Unordnung geraten. Nach Erscheinen des Feldgeistlichen und des Etappenkvm- mandeurs begann der Gottesdienst mit einem Lied ohne Orgelbegleitung. Hierauf folgte der Gottesdienst in ge wöhnlicher Art. Der Predigt war der bekannte Bibelspruch „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dast der König der Ehren einziehet", zu Grunde gelegt. Im Felde stehend und auf den Frieden wartend, war dies wohl ein äußerst schwieriges Thema, welches vom Feldgeistlichen meisterhaft erledigt wurde und in die Adventsbotschaft ausklang: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen". Die Worte deS Feldgeistlichen wirkten ergreifend, be sonders aber, als er das Zusammentreffen mit einem fran zösischen Geistlichen schilderte. Die Erzählung sei den ver- ebrlichen Lesern nicht vorenthalten: Brüder der beiden Geistlichen standen in der Front, waren verwundet worden und dadurch in Gefangenschaft geraten. Die Geistlichen hatten sich beim Zusammentreffen ihr Leid geklagt. Die Unterredung fand ihr Ende mit den Worten des fran zösischen Geistlichen: „Wenn wir Beiden auch feindlichen Völkerstämmen angehören, in Christo sind wir Brüder. Beten wir ein „Vater unser", ich bete zuerst für ihren Bruder, dann für den Meinigen." Wahrlich ein schöner, echt christlicher Sinn. Nach dem Gottesdienst war Gelegenheit geboten, zum Tisch des Herrn zu treten, welche von vielen in Anspruch genommen wurde. Als wir das Gotteshaus verließe«, Ivar dasselbe von vielen Einwohnern, meist Frauen, umstellt, welche ihren Gottesdienst achhalten wollten. Freund und Feind waren kurz hintereinander in ein und demselben Gotteshaus, mit dem gleichen Verlangen, ihrer« Gott zu dienen. Das sind Ereignisse, wie sic der Krieg mit sich bringt. Bald darnach nahte Weihnachten mit seiner Feier für die Bediensteten der hiesigen Betriebswcrkmeisterei. Es werden wohl viele Bericht- von den Weihnachtsfeiern in Feindesland gedruckt worden sein, sodaß ich unsere Feier zu schildern wohl unterlassen könnte. Nur kurz will ich dieselbe streifen. Die Vorbereitung erstreckte sich auf das Suchen eines geeigneten Lokales, Besorgung und Schmük- kung eines Baumes. Die Auffindung eines Lokales war mit Schwierigkeiten verbunden, denn Säle wie in der Heimat gibt es hier nicht. Tanzbclustigungen finocn allem Anschein nach auf dem Dorfplatz statt, auf welchem ein Podium für 4—7 Personen errichtet ist, wahrscheinlich für die Musikanten, denn vorn ist eine Lhra an den meisten dieser Gerüste angebracht. — Wir hatten ein größeres leeres Zimmer, in welchem früher Ausschank stattgcfuuden hatte, nach längerem Suchen gesunden. Aus eiuem Kino — jetzt außer Betrieb wie in den anderen kleinen Ort schaften auch — wurden Tische und Stühle herbeigeschafft, sowie Lanipen und Kohlen nach jenen: Lokal besorgt. Den Baum, eine große Fichte, hatte ein Lokomotiv führer bei einer Leerfahrt im Walde abgesägt. Hier gibt es keine Verkaufsstände für WeihnachtSbäumc, aber auch keine rächende Nemesis und — es werden wohl noch mehr mitgcbracht worden sein, denn es haben am heiligen Abend mehrere Bäume gebrannt, welche Staunen und Bewun derung bei den hiesigen Einwohnern hervorgerufen haben. Die deutsche Weihnachtsfeier macht uns kein Volk nach. Unsere Feier nahm gegen 8 Uhr ihren Anfang. Zur selben Zeit hat wohl auch daheim der Weihnachtsbaum ge brannt. Jedoch, bei uns fehlten die Geschenke, die daheim von liebenden Angehörigen hingelegt werden. Ganz ohne diese sind wir ja auch nicht ausgegangen. Für den 24. Dez. ^erhielten wir pro Mann 1 Mark Ver- pflegungszuschuß, außerdem für 6 Tage einen solchen an Rauchfleisch und Wurst, welche als Liebesgaben aus der Heimat gesandt worden waren. Dank den edlen Gebern. Bei der großen Aurakl Fcldzuastcilnehmer sind, den Gaben nach zu urteilen, enorme Summen in Liebesgaben angelegt worden. Die deutsche Opserwilligkeit scheint nicht zu erlah men. Auch waren wir von unserem Etappen-Komman- deur mit einer Weinspende erfreut worden. Ein großes Fak edlen Rebenblutes harrte seiner Entleerung bei der Feier. Wir haben eS nicht geschafft, sondern noch Silvester davori gefeiert. Es waren vorzügliche Tropfen, die die Eigenschaft besaßen, Straßen wankend zu machen. Im Glanze des Lichterbanms habe» wir unsere WeiknachtS- lieder gesungen. Da aber Wcibuachtslieder von Männern gesungen, nicht die Wirkung hervorbringen können, wie Kelle Kinderstimmen, so haben wir diese durch halblautes Singen im Doppclquartett vorgctäuscht. 9 Mann hatten sich zusammen gefunden und einigermaßen klangfähig die Lieder „Es ist ein RoS entsprungen", „Tochter Zion freue dich", „Heilge Nacht o gieße du" und „Sonntag ist'S" eingeübt. Die anderen Weihnachtslieder sind im Chor ge sungen worden. Während der Gesangspausen ist manch ernstes und würziges Wort gesprochen worden. Ich hielt es der Mühe wert, daran zu erinnern, der Verbreitung des Deutschtums im Ausland Rechnung zu tragen, ein gedenk der Tatsache, baß wir hier die Pioniere sind und für Verbreitung deutscher Sitten und Gebräuche — der Küche — sowie der deutschen Sprache besorgt sein müssen und nicht mehr französisch sprechen, als zur Verständigung nötig ist. Bald schieden wir mit dem Bewußtsein, eine ange nehme Feier hinter uns zu haben, wenigstens den Um ständen angemessen. Am Silvester waren wir wieder in dein beschriebenen Lokal vereinigt, um deS Jahres Wende zu begrüßen, leider nur wenige, denn an jenem Tage hatten wir starken Ver kehr. Der noch vorhandene Rebensaft half über die trübe Stimmung hinweg. Des Jahres Wende nahte. Die übliche Beglückwünschung fand statt mit den Rufen: Prosit Neu jahr 1915 und baldigen Frieden. Leider ist dabei auch Unfug getrieben worden, denn es wurden viele Revolver im Freien abgeschossen, wodurch der Landsturm alarmiert wurde und auf Patrouille zog, denn jeder Schuß ist ein Alarmzcichen. Der Sache ist aber Verständnis entgegen gebracht worden, sodaß keine üblen Folgen eingctreten sind. Die Einwohner aber, denen dieses Freudenschießen unbekannt war, sind in Helle Angst geraten und viele haben in dieser Nacht nicht mehr geschlafen. Im großen und ganzen sind die Franzosen in hiesiger Gegend nicht gegen uns eingenommen. Einige Starrköpfe natürlich ausgenommen, diese aber können nichts machen. Während wir im Anfang als Eindringlinge angesehen wurden, ist e§ uns jetzt schon gelungen, im Quartier Unsere Lebenshaltung zu verbessern. Wir haben auf Oeffnung der Vorratskammern hingewirkt und gegen Bezahlung schon manches gute Abendessen für wenig Geld bekommen. Unsere sonstige Verpflegung kommt noch immer aus der Massen küche. Rosenkohl gedeiht hier vorzüglich und bietet Gelegen heit zur Abendkost. Das Wetter eignet sich auch zum Wachstum von Spinat und Rapünzchen, denn feit Anfang Dezember haben wir noch keinen Frost wieder gehabt. In den Gärten steht noch Kraut und Kohlrüben. Ersteres, ist durch Herausnahme eines Spatenstiches Erde etwa wage recht gelegt und harrt der Abholung und Verwendung. Daheim liegt das Kraut sicher verwahrt im Keller. Auch sonst sind die Lebensmittel billig. Ein Stück Butter kostet 72 Pf. Ein Ei 8—10 Pf. und bei der großen Anzahl von Hühnern, die hier noch Herumlaufen, kann man auch damit rechnen, daß die Eier frisch sind. Die Wohnungen sind allerdings nicht dem Ideal der deutschen Hausfrau entsprechend, denn sie bestehen meist aus Einfamilienhäusern, die paarweise entstanden sind. Ein Haus ist so schmal wie daheim eine Stube. Der Eingang ist direkt von der Straße aus in die Wohnküche oder Stube, wenn diese hinten ist. Oben sind die Schlas- räume. Der vordere Raum wird sehr oft noch als Laden, Werkstatt oder Schankraum verwendet. Der Satz im Lied „Die Kneipe selbst ist gar nicht groß, es stehen drin 3 Tische bloß", muß hier entstanden sein. Hinter den Häu sern befinden sich Schuppen für Holz, Kohlen und Klein vieh, sowie ein ziemlich großes Stück Garten. In den Wohnküchen steht ein Ofen so lang wie unsere Küchenherde, dabei aber um Vz schmäler. Er ist von Guß eisen und ebenso hoch wie daheim. Das vordere Teil, welches drehbar ist, gleicht dem einer großen Urne. Der Behälter für die Glnt ist kugelförmig, die Feuertür fehlt. Sollen Kohlen aufgeworfen werden, dann müssen die Töpfe weggenommen werden, die Ringe hcrausgehvben und nun erst ist die Beschickung des Feuers möglich. In der Heimat bilden die Kochtöpfe den Stolz der Hausfrau. Auf diesen müssen die Französinnen verzichten. Sic haben meist gerade aufsteigcndc Eimer, die an den Seiten mit Oesen ver sehen sind und oben einen von Draht gebogenen Henkel haben. Möbel wie bei uns findet man wenig. Vor allem habe ich das daheim in mehrfachen Exemplaren vorhan dene „Kanapee" bis jetzt in Frankreich noch nirgends gefunden. Ein Schrank, Tisch, eurige Stühle und mehrere Bilder gehören zur Einrichtung, auch einige Lampen ohne Schirm, vervollständigen die Ausstattung. Das ganze Familienleben spielt sich in der Küche ab. Alles hockt um diesen ruppigen Ofen. Abends nimmt die Mutter ihr Jüngstes auf den Schoß und kippelt so lange mit dem Stuhle, bis das Kind eingcschlafen ist. Auch m Schankräumen ist dieses zu beobachten und schon vielfach ist gegen diese Unsitte ausgetreten worden. Die französischen Stühle sind fester als unsere. Noch kurz eine Wanderung in die Umgebung. Am 10. Januar nachmittags war ich dienstfrei. Diesen benutzte ich mit einem gleichgesinnten, wandcrsrohen Kollegen zu einer Wanderung nach dem Tale des Sainbre. Bei herr lichstem Wetter erreichten wir nach halbstündiger Wan derung einen Höhenzug, der das Tal einsäumt. Weiter schreitend dnrch die Dörfer wurde dieser Anblick immer herrlicher. Der Sambrc war infolge der letzten Regen güsse weit über seine Ufer getreten. Bis zum gegenüber liegenden Höhenzug war alles überschwemmt, sodaß eine Wasserfläche von 2 Kilometer Breite zu sehen war, aus welcher Bäume, Sträucher und die Hecken, welche die Um grenzung der Viehweiden bilden, hcrvorragten. Das Wasser war ohne Strömung und vom herrlichsten Sonnengold überstrahlt, was eine majestätische Wirkung hervorries. Wir gingen bis zum Wald. In diesem weiter zu wanderu. wäre zu Zweien zu gewagt gewesen. Die Gegend wurde von rresigen Vogelscharen belebt. Dem Aufstiegen nach können cs Stare gewesen sein. Die Möglichkeit, die bei uns im Februar erscheinenden Ziemer oder Krammetsvögel vor uns zu sehen, haben wir ebenfalls in Erwägung ge zogen. Bei der nächsten Wanderung werde» wir der Sache schon näher kommen. In der Hossnung, meinen lieben Riesaern wieder einen Einblick in ein Stück Feindesland gegeben zu haben, schließt aus baldigen Frieden hoffend, alle bestens grüßend, P. Schmidt, Lokomotivführer. Mil.-Eil.-Dir. 3. Betriebswerkmstret, Aulnope.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder