Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.04.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-04-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190404036
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19040403
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19040403
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- unvollständig, S. 2277-2280, S. 2287-2290 fehlen (2. und 5. Beilage)
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-04
- Tag1904-04-03
- Monat1904-04
- Jahr1904
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.04.1904
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezugS-PreiS tu der Hauptexpedition oder deren Ausgabe stellen abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» ./l 3.7k. Durch di» Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.K0, für di» übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Reduktiv« «ul» Sx-edttiv«: JohanniSgasse 8. Fernsprecher 1KS u. 222. Ktltvlerpedittvnen: AlfredHahn, Buchhandlg., UniversttätSstr. S iFernspr.Nr. 4046), L. Lösche, Katharinen straße 14 (Fernsprecher Str. 293b> u. Königs platz 7 (Fernsprecher Nr. 7b0b). Haupt-Filiale Dresden: Marteustraße34(Fernsprecher Amt INr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker, Herzg l.Bayr.Hofbuckbandla.. Lützowstraße 10(Fern>precherAmtVI Nr.4603.) WpMer.TagMM Anzeiger. Ämtsvkatt -es ÄönigNchen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Volizeiamles der Ztadt Leipzig. Anzeigeir-Prel- die 6gespaltene Petttzeile 28 Reklamen nntrr d»m Redaktiontstrich (»gespalten) 7b -L, nach den Familiennach- richten (6gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lfsertenannahm» 2b Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrfvrderung 60.—, mit Postbesvrderung 70.—. Annahmeschluß für Anrei,e«: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abends 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pvlz in Leipzig (Inh. vr. V„ R. L W. Kltnkhardt). dir. 170. Sonntag den 3. April 1904. 98. Jahrgang. Var Mcdtigrte vom rage. * Zu dem Leipziger Streite zwischen Aerzten und Ortskrankenkassen ist in den beiden amt lichen Organen des Landes eine gleichlautende Dar stellung erschienen, in welcher die Verordnungen der Kgl. Kreishauptmannschaft Leipzig gebilligt werden. * Der gestern erschienene Bericht der Gesetz gebungs-Deputation der Zweiten Kam mer befürwortet die Annahme des Gesetzentwurfs, be treffend die Organisation des ärztlichen Standes, stellt aber besondere Bestimmungen über die Wahlberechtigung und Wählbarkeit zu den Ehren räten auf und verlangt gesetzlicheRegelung des Wahlverfahrens für die Aerztekammern. * In Ruppertsgrün bei Werdau brannte die Vigogne-Spinnerei von Bergner L Walther nieder. * Ter Kaiser spendete als Zeichen seiner besonderen Befriedigung mit den Leistungen des Norddeutschen Lloyddampfers „König Albert" während der Seereise von Bremerhaven nach Neapel, sowie mit allen auf dem Dampfer getroffenen Einrichtungen, den Wohl tätigkeitsanstalten für die Angestellten des Norddeutschen Lloyds 15 000 * Die französische Regierung ordnete die Ent fernung aller Glaubenssinnbilder aus denGerichtssälenan. poMirche Ottergeäansten. Denken Politiker überhaupt an Fest- und Feiertage? Sicher nicht alle, z. B. ein bekannter gräflicher Professio nal nicht, der seine politischen Nechenexempel nur nach den vier Spezies anstellt und mit den Variabeln und dem Begriffe « — unendlich nichts anzufangen weiß. Schade, daß ihm die höhere Mathematik nicht geläufig ist. Nun ist es freilich nicht mit dem Gc^nken getan. Ganz so leicht ist die Sache nicht, wie in den üblichen Osternovellen, welche ihre Existenzberechtigung davon ab leiten, daß man sich in ihnen zu Ostern verlobt, aus gerechnet zu Ostern. Es must schon ein wenig von Feier tagsstimmung in dem Politiker selbst vorhanden sein, im Notfälle tuts auch die Erinnerung an frühere Gefühle — aber etwas Eigenes must es sein. Sonst geht es dem po litischen Objekt wie dem ausgewachsenen Leser eines Marlittschen Romans: er liest fortwährend von Leuten, die als erstaunlich geistreich gerühmt werden, und kommt auf der letzten Seite dahinter, daß die Herrschaften ebenso erstaunlich sparsam mit ihrem Reichtum gewirtschaftet haben. Nun kommt in schöner Pose das schöne Wort: Real politik. „Habt ihr uns nicht vorgeworfen, wir han delten nach Sentiments? Habt ihr nicht gefordert, wir sollten stark werden und Rückgrat zeigen? Hat nicht auch Bismarck gegen die öffentliche Meinung gekämpft und sie überwunden?" Ja, das hat er, und wir danken es ihm. Aber er wußte zu unterscheiden zwischen Ver stimmungen und tiefinnerlichen Erregungen, zwischen 1866 und 1870. Und Kraftproben auf Kosten des Volks vertrauens liebte er nicht. Heute aber hält man sich für einen Realpolitiker, wenn man erklärt: Es gibt keine öffentliche Meinung. Weil man die Imponderabilien nicht wägen kann, sind sie nicht da. Das ist auch eine An sicht, wenn sie auch falsch'ist. Feuilleton. Zur Matthäuspassion. Ein Vorschlag. Bon Heinrich Zoellner. - Leipzig ehrt seinen großen Thomaskantor durch eine alljährliche Aufführung der Matthäuspassion am Kar freitag. Dieser Brauch ist sehr schön, aber weniger schön ist, daß diese Aufführung in einem wichtigen Teile der Chöre meist nicht genügend vorbereitet ist. Während die beiden imposanten Ecksätze des- Werkes, die Choräle wie auch teilweise die Chöre der ersten Hälfte gut studiert sind - das sind also, wenn ich mich so ausdrücken darf, in der Hauptsache die lyrischen Chorpartien — so ist bei einer nicht geringen Anzahl der dramatischen kurzen Chöre des zweiten Teiles ersichtlich, daß das Studium derselben nur ein oberflächliches gewesen sein kann. Das Dramatische ist aber der Lebensnerv der Passion — das war es schon vor Bach (ich erinnere an die hochdramatischen kurzen Chöre in den Schützschen Passionen) — und der Charakter dieser Kunstform leidet auf das entschiedenste, »venu diese wichtigen, meist höchst erregten Meinungsäußerungen der Menge In unvollkom mener, wenig plastischer Weise zu Tage treten. Das ist nun keineswegs etwa eine Erscheinung der letzten Jahre - leider war es vor 25 Jahren auch schon so, und wird in der Zwischenzeit nicht viel anders gewesen sein. Der Hauptgrund daran liegt wohl in der Schwierigkeit dieser Pni-Kso-Sätze, liegt darin, daß sflbstein gutes musikalisches Studium in gewöhnlichen: Sinne nicht ansreicht, sondern daß der spezifisch fanatische Charakter dieser Musikstück» vorauSsetzt, daß die Sänaer ganz und gar über den tech- Nischen Schwierigkeiten stehen müssen. Zu einer solchen Ist es denn schon gar so lange her, daß Graf Zedlitz zum Städtelein Berlin hinaus mußte, der öffentlichen Meinung wegen, daß die lex Heinze ein elendes Ende nahm, auch dieser Meinung wegen? Man sollte meinen, an diesen Beispielen wäre etwas zu lernen gewesen, näm lich daß die Berücksichtigung der Wirkung eines Vor ganges auf das Volk eine notwendige Voraussetzung zum Betreiben einer Politik großen Stils ist. Wer den An spruch macht, ein moderner Mensch zu sein, sollte auch wissen, daß die Zeit der Kabinettspolitik endgültig vor über ist. Das Volk feiert die Feste mit großer Gewissenhaftig keit und läßt sich das auch durch alle klugen Toren nicht nehmen. Zu Weihnachten zündet der rote „Genosse" sein Bäumchen an, ohne noch mehr zu erröten, und die Oster glocken klingen den Ohren unserer Zeitgenossen immer noch weihevoll. Auf den einsgmen Höhen kühler Blasiert heit freilich stopft man sich die Ohren mit Watte zu. Man sieht die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit solcher Schallerzeugung nicht ein. Diese Art „Realpolitiker" hat ganz recht: man kann sich nichts dafür kaufen. Ist das österliche Feiertagsgefühl darum aber wertlos? Sind Millionen frohe Gesichter nach arbeitsreicher Winterszeit kein Gewinn an Volkskraft? Wir wünschen unserm Volke zu Führern seines poli tischen Lebens Männer, die nicht die Erinnerung an ihre Jugendtorheiten als lästig empfinden, die nicht in ge fühlsarmer „Abgeklärtheit" die warmen Impulse der Masse mißachten, sondern ihrer Zeit den Puls zu fühlen verstehen. Wir wünschen zu Führern der Nation keine Kalkulatoren, sondern Staatsmänner. Dem Volke soll bekanntlich die Religion erhalten bleiben, aber wenn die Jesuiten kommen, wundert und ärgert man sich über das „Geschrei". Der 8 2 des Jesuitengesetzes hat bekanntlich nicht die geringste Be deutung, fein Ver^hwipden ändert, nichts an den gegen wärtig herrschenden Zuständen, aber dieser so nichtiges Sache willen läßt man cs auf ein solches Zerwürfnis mit dem evangelischen Teile des deutschen Volkes ankommen. Ist das staatsmännisch? Also Ostern kommt in ein politisch nicht sonderlich glückliches Deutschland gezogen. Aber auch der Politiker soll die Feste feiern, wie sie fallen, und deshalb wollen wir mit großem Vergnügen fest- stellen, daß die leidigen Jesuiten uns wenigstens wieder einmal gezeigt haben, wie fest in unserm lieben Deutschland doch der Wille zur Aufklärung und der Glaube an ihre Macht sitzt. Der Herr Reichskanzler täuscht sich, wenn er die Bewegung durch Titulaturen degradieren zu können meint. Diese Bewegung ist an sich geradezu wertvoll gewesen, denn sie hat gezeigt, wie eng doch noch immer die Interessengemeinschaft zwischen reli giös und kirchlich Gesinnten einerseits und der unbestreit- bar großen Menge der in diesen Dingen Indifferenten anderseits ist. Auch die religiös Gleichgültigen und die Irreligiösen sind warm geworden in der Erkenntnis der Gefahr, die der geistigen Freiheit droht durch das Berliner System. Denn das ist das Gefährliche: bei aller sonstigen Unklarheit steckt System in der Art, wie ohne Bedenken mit den Garantien der geistigen Freiheit und des kon fessionellen Friedens verfahren wird. Und wenn es kein System sein sollte, sondern nur typische Verständnislosig keit in Permanenz, so wirkt es doch als System, denn es Vorbereitung aber gehört vor allein die gehörige Zeit, die nötige Anzahl der Proben, gehört ein festes Zusam- menstudieren und Sich-einsingen des gewaltigen Chores. Und an den letztgenannten Vorbedingungen für ein sicheres Gelingen scheint es mir zu hapern. Man hat zu wenig Proben für die Matthäus passion ! Tas soll nun keineswegs ein Vorwurf für den Dirigenten, für den Chor, für das Orchester sein. Der Fehler scheint in den Verhältnissen zu liegen. Nur fragt es sich, ob diese Verhältnisse nicht geändert wer den können. Den Stamm des Passionschores bildet der Chor des Gewandhauses, abzüglich der demselben zugehörigen, zur Osterzeit in den Ferien weilenden Studenten. Ter Ge wandhauschor hat nun meist zwei oder drei Wochen vor her die neunte Sinfonie von Beethoven zu bewältigen gehabt: die Zeit für das Studium der Matthäuspassion von Seiten dieses wichtigen Teiles des Chores ist also eine äußerst knappe. Daher kommt es wohl auch, daß, wie ich höre, in diesem Jahre nur^v i e r Proben für die Passion stattgefunden haben. In vier Proben aber die Matthäus- Passion zu bewältigen, das ist ein Kunststück, welches der genialste Dirigent, der bestgeschulteste Chor nicht fertig bringt, selbst wenn nian voraussetzt, daß ein großer Teil der Sänger das Werk schon wiederholt Mitgesnngen hat. Nun wirkt aber außer dem Gcwandhauschor noch eine große Menge anderer Sänger mit — Sänger, über deren musikalische Qualitäten sowohl der Dirigent wie auch die Veranstalter der Aufführung (das städtische und Gewand- Hausorchester) sich keineswegs im klaren sind. Ungeprüft wird diese Freiwilligenschar zugelassen: man setzt eben nurvorautz, daß sie etwas leisten. Daß diese Voraussetzung sebr oft getäuscht werden muß, liegt auf der Hand Wie der eben erst eingetretcne Soldat beim besten Willen, beim tapfersten Mute in der Feldschlacht schon wegen der ihm noch nicht in Fleisch und Blut über ist so ziemlich der einzige Faden, dessen Lauf man durch Jahre zurückverfolgen kann. Wenn uns die politischen Ostern also auch keine Freude bereitet haben, so haben doch die Nebenumstände und Folgeerscheinungen den betrüblichen Vorgängen manches von ihrer Bedenklichkeit genommen. Und das genugtuendste Moment liegt eben in der Tatsache, daß sich große Teile unseres Volkes, die sonst politische Bekennt nisse trennen, sich einmal in dieser antirömischen Be wegung verstanden und geeinigt haben. Unter dem Zeichen dieser Einigung wollen wir Ostern feiern. 8. Der russisch-japanische Krieg. Vte Leiftungsunfähigkeit -er fibirischen unk mandschurischen Eisenbahn. In militärischen Kreisen Petersburgs herrscht große Verstimm- ung über die starke Verzögerung, welche die Fertigstellung des B.ahnbaues um den Baikalfee erleidet. Man halte voraus gesetzt, daß die Anwesenheit des Eisenbahnministers Fürsten Chilkow den Bau so fördern werde, daß die Bahn schon am 1. April dem Verkehr übergeben werden könne, aber oie zuletzt eingelangten Berichte versichern, daß die Arbeiten kaum vor August beendigt sein werden. Auch die Leistungsfähigkeit der mandschurischen Eisenbahn hat sich, wie einige russische Blätter, darunter der „Sibirskij Wjestnik" und der Petersburger „Herold", melden, als un zulänglich erwiesen. Statthalter Alexejew hat die Miß stände aus dieser Eisenbahn einer scharfen Kritik unter zogen. Während der Fahrt des Statthalters von Port Arthur nach Mulden mußte der Zug wiederholt wegen Heißlausens der Räder anhalten: außerdem versagte sehr ost die elektrische Beleuchtung der Waggons, so daß wiederholt in den Waggons Finsternis herrschte. Dem Generaldirektor der Bahn wurde daher eine strenge Rüge erteilt. Außerdem wurden die Stationsvorstände von Mulden und Da-Sebitschao wegen Vernachlässigung ihrer Amtspflichten entlassen. Die größte Unzufriedenheit des Statthalters wurde jedoch durch die langsame Beförderung dex Truppen hervorgerufen. Uv ter., Auorohuug Strafen verlangte Admiral Alexejew die sofortige und unve- dingte Beseitigung aller bemerkbaren Uebelstände, um die Bahn in die Möglichkeit zu versetzen, den an sie durch den Krieg gestellten ?lnfordcrungen völlig entsprechen zu können. Ein neuer Angriff nuf Fort Arthur. Wie das „New Kork Journal" aus Tokio erfährt, er folgte in der Nacht vom Mittwoch aus Donnerstag ein neuer Angriff aus Port Arthur. Er hatte hauptsächlich den Zweck, durch Lotungen und Vermessungen zu ermitteln, wie weit durch die versunkenen Schiffe die Hafeneinfahrt ge schlossen sei. Deutsches Keich- * Berlin, 2. April. * Die Gefahre« der Bleivergiftung. Im Neichsamtc des Innern schweben schon feit längerer Zeit Er wägungen darüber, wie der Gefahr der Bleivergif tung im Maler- und A n st r e i ch e r g e w e yb e am besten vorzubeugcn ist. In Frage kommen zwei Wege, der Erlaß eines gesetzlichen Verbots der Verwen dung des Bleiweißes als Anstrichsfarbe, oder der Erlaß einer BundesratSverordnung auf Grund des 8 120« der Gewerbeordnung, welche Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Gewerbekrankhcit anvrdnet. Auf dem ersteren Wege würde der Gesähr zweifellos am besten vorgebeuzt werden. Einer solchen Maßnahme stünden indes ge wichtige sozialpolitische und volkswirtschaftliche Bedenken entgegen. Durch das Verbot der Verwendung von Blei weiß würden die zur Zeit etwa 1300 Arbeiter be schäftigenden Bleiweißfabriken Deutschlands bis aus einige wenige für -en Export arbeitende Fabriken zur gegangenen Disziplin, wegen Mangel an Uebung ver sagen muß, das haben zur Genüge die in Selbstaufopfe rung sich auszeichuendeu Heere der jungen französischen Republik 1870/71 bewiesen. Und so gehts auch Chor massen, denen die Disziplin, die Uebung, der gewohnte Zusammenhang abgeht. Daß einzelne darunter sind, die viel, sehr viel leisten, soll ja nicht bestritten werden — eine solche zusammengewürfelte Gesamtheit aber wird nie die Garantie einer guten Aufführung bieten können. Wie wäre dem nun in dem Falle der Matthäuspassion abzuhelfen? Natürlich — durch mehr Proben! Soll aber Professor Nikisch, der Vielbeschäftigte, welcher in diesem Falle ja nur eingeladener Dirigent ist, der seine wahrlich schon überstark in Anspruch genommenen Kräfte dem guten Zweck unentgeltlich widmet, soll unser Ge wandhausdirigent diese unbedingt nötigen Vorproben ad- halten? Ich glaube, das tväre zu viel verlangt, wäre wahrscheinlich gar nicht möglich. Könnte sich aber nicht das Orchester-Count« an eine andere jüngere Kllnstlerkraft wenden, welche etwa ein halbes Dutzend tüchtige Vorproben hält, bevor Nikisch das letzte halbe Dutzend zu leiten hätte? — Ich glaube, es würde sich leicht ein junger talentvoller Musiker finden, der ein solches Amt gar gern unentgeltlich versehen würde. Natürlich hätte dieser Hülfsdirigent darauf zu sehen, daß die zu dem Gewaudhauschore tretende« Kräfte auch geeignet wären, daß also Elemente, die musikalisch zu wenig leisten, unbedingt ferngehalten würden. Denn daß einigermaßen Gewandtheit im Blattlescn nötig ist, um in 10—12 Proben die Matthäuspassion zu bewäl tigen, ist fraglos. Nach den sechs Vorproben — welche circa sechs Wochen vor Ostern zu beginnen hätten bei zwei Proben pro Woche — würde dann der Hülfsdirigent zu entscheiden haben, ob einzelne Personen für die Auf- führung auSzuschließen wären. Einstellung des Betriebes gezwungen werben. Ferner wird etwa zwei Drittel der deutschen Bleiproduktton zur Herstellung non Blciweiß verwendet. Fiele dies« Ver wendung fort, so würden neben den Bleiweißarbeitern auch der größere Teil der aus den Bleihütten beschäftigten 3000 Arbeiter entlassen werden müssen. Die Ein schränkung des Bleichüttenbetriobes würbe weiter eine entsprechende Einschränkung der Bleierzförderung nach sich ziehen. Der deutsche Bleierzbergbau 'beschäftigte im Jahre 1902 7108 Arbeiter unter Tage und 5281 Arbeiter über Tage, zusammen 12 389 Arbeiter. Gs würden auch vou diesen zwei Drittel oder etwa 8000 Bergleute ab gelegt werden müssen. Hierzu käme der große Schaden, der durch die Entwertung der Bleiwetßfabrtken und der Blerhütten, deren Einrichtungen zu anderen Zwecken nicht verwendet werben können, sowie durch die Ent wertung der Bleierzbergwerke eintreten würde. Ein anderes Bedenken ist, daß bisher noch nicht erwiesen ist, ob Bleiweiß für alle Zwecke durch andere Farbstoffe, wie z. B. durch Zinkweiß und Lithopone, technisch ersetzt werden kann. Für das Streichen von Eisenkon- strnktioncn, eisernen Schiffen und anderen Metallgigcn- ständen wird dies von sachverständiger Seite entschieden bestritten, für den Anstrich von Gebäuden und anderen Gegenständen, die dem Einflüsse der Witterung ausgeseyt sind, von vielen Seiten angezweifelt. Auch in Frank reich ist man sich darüber noch nicht klar. Das dort im vergangenen Jahre erlassene Gesetz verbietet zwar die Verwendung von Bleiweiß für den Jnnenanstrich von Gebäuden, läßt sie ober für den Außenanstrich vorläufig noch zu. Die Regierung ist nur ermächtigt, das Bleiwcitz auch von der Verwendung zum Außenanstrich auszu- schließen. Zwecks Klarstellung der Frage, ob das Bleiweiß auch für den Außenanstrich ersetzt werden kann, ist man in Frankreich zur Zeit mit Versuchen im großen beschäftigt, die eine Zeit von noch etwa 2 Jahren in Anspruch nehmen werden. Gegenüber diesen Bedenken muß reiflich er wogen werden, ob ein so tief einschneidendes Verbot zum Schutze der Arbeiter durchaus nötig ist, oder ob man einen hinreichenden Erfolg auch durch Anordnungen er- ,zielen kann, welche das Anreiben des Oel-Bleiweißes mit der Hand, das staüberzengende trockene Abschleifen alter und neuer Farbenanstriche, das Rauchen bei der Arbeit, das Einnöhmen der Mahlzeiten mit besudelten Händen und im Arbeitsraume verbieten und die Benutzung be sonderer Arbeitskleider, Waschgelegenhcit an der Arbeits stätte, besondere Speiseräume u. a. vorschretben. Die Erhebungen und Erwägungen im Reichsamte des Innern find noch nicht abgeschlossen. Es ist aber zu hoffen, daß die Entscheidung darüber, welches Borgeben dem Bundesräte emrnohlen werden soll, in nächster Zeit ge troffen werden kann. * Aus positiven Kreise». Gegen die Aufhebung des 8 2 des Icsnitengesetzes wendet sich in sehr scharfen Worten L. Krolen Potsdam in der Stöckerschen Zeitschrift „Reformation" (Nr. 13). Zugleich richtet Krolen an die deutschen Protestanten folgende sehr beherzigenswerte Mah nung zur Einigkeit: „Jede Sonderbündelei, jeder kleine Hader muß jetzt schweigen. Die voraussichtlich sich mehrenden Versuche Roms, dogmatische und politische Zankäpfel zwischen die Träger der evangelischen Welt anschauung zu werfen, oder gar einen sogenannten Kampf gegen Unglauben und Umsturz unter päpstlichem Banner zu inscenieren — als ob nicht Luther selbst der ärgste Ungläubige und Häresiarch, die Reformation aber die Quelle aller Revolutionen in den Augen Roms wäre! — muß auf gemeinsame eisige Ablehnung stoßen. Den staatserhaltenden Kämpf gegen die Revolution in Ehren; aber mit klerikalen Zielen und Mitteln läßt er sich nicht führen, es sei denn, man wolle die klerikalen Gase durch eine nicht viel bessere klerikale Stickluft ersetzen. Zum Schluß beißt es: „daß jetzt auch die Aufhebung des 8 166 im Reichsstrafgesetzbuch (Bestrafung der Be schimpfung kirchlicher Einrichtungen) zu erwägen sei, den wir Evangelischen entbehren könnten, der aber vielfach vom Ultra- montanismuü als Deckung gegen jede Kritik auch in seinen schändlichen Auswüchsen mißbraucht wird." — UcbrigenS hat auch früher schon ein namhafter Jurist sich in der Stöckerschen „Reformation" für Aufhebung des H 166 ausgesprochen. Man wird mir nun einwenden können: der Chor würde daun wahrscheinlich nicht so zahlreich sein. Als wenn dies ein besonderes Unglück wäre! Dafür wird ec durch Sicherheit und Festigkeit um so mehr wirken. Und außerdem gewährt es den Mitwirkenden bedeutend mehr Freude und Befriedigung, wenn sic die innere Ueber- zeugung haben, daß nicht bloß die breiteren Chöre und die Choräle schön klangen, sondern daß auch die Chöre der fanatischen Menge wie „auS der Pistole geschossen" herauskamen. Ich habe mich bei der gestrigen Aufführung der Matthäuspassion in die Seele eines in Leipzig fremden, mit den Verhältnissen nicht vertrauten Künstlers oder Kunstliebhabers versetzt. Was würde eine solche Person wohl über die Aufführung denken? Er würde sich gewiß fragen: Ist das eine Aufführung, welche gewissermaßen als Vorbild für die andern deutschen Musikvereine gelten soll? Denn darauf muß doch Leipzig als große Musik- stadt, als Ort der Entstehung dieses Riesenwerkes An spruch machen! Die Thomaskirche war die ureigenste Stätte der Wirksamkeit I. S. Bachs — mir ist immer, wenn ein Bachsches Werk in der Thomaskirche aufgeführt wird, als hörte der Geist Bachs mit zu, einmal freundlich und mild lächelnd, ein andermal mit strengerem, sogar mit kritischen, Gesicht. Und gestern abend sah ich ihn einige- male ganz bedenklich den Kopf schütteln. Also — man ändere die ungenügenden Maßnahmen der Chorvorbcreitung für die Karfreitagsaufführung — und zwar schiebe man die Sache nicht auf die lange Bank, sondern das Orchcster-Comit6 trete möglichst bald zu einer Beratung zusammen, um zu überlegen, wie diesem immer mehr fühlbar werdenden Uebelstände für nächste- Jahr abgeholfen werden kann. Sie sind das sich selbst, sic sind das dem Rufe Leipzigs als Stadt Joh. Seb. Bachs schuldig.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite