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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.04.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-04-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040419024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904041902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904041902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-04
- Tag1904-04-19
- Monat1904-04
- Jahr1904
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 2?» Reklamen unter dem RedaktionSstrich (4gespalten) 7b nach den Familirnuach- richten (6 gespalten) SO Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offrrtenannahme 25 -H. Extra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ^4 60.—, m i t Postbeförderung 70.—. Atinahmeschlutz für Anzeige«: Abeud-AuSgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgeu-Au-gabr: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen find stet« a» die Expeditton zu richte«. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol« in Leipzig (Inh. vr. B., R. L W. Kltukhardt). Nr. 198. Dienstag den 19. April 1904. 98. Jahrgang. Var Wichtigste vom läge. *KaiserWilhelmhat seinen Besuch in Korfu telegraphisch abgesagt. * Die wasserwirtschaftlichen Vorlagen werden am 29. d. M. im preußischen Abgeordnetenhaus? zur ersten Beratung kommen. * Der von Brooke entdeckte Komet wurde in der vergangenen Nacht auf der Remeissckien Sternwarte in Bamberg wieder beobachtet. * Nach einer Mitteilung des „Petit Parisien" aus Petersburg hat der Zar sein in einer auswärtigen großen Bank (Bank von England?) deponiertes Ver mögen von 800 Millionen Rubeln in Monatsfrist zu- rückgefordert, um es seinem Lande ohne Zinsen und ohne Bürgschaft zu leihen. Vie rchmirerirche steranätrcdast i» Sellin. öl. Bern, 18. April. ES macht der Schweiz große Schwierigkeiten, für den frei gewordenen Gesandtschaftsposten in Berlin, der durch den verstorbenen Minister Dr. A. Roth so vortrefflich be setzt war, eine geeignete Persönlichkeit zu finden. Nicht daß es etwa allzu auffällig an Männern, befähigt für diesen Posten, fehlte, wohl aber an solchen, die auch in der Lage und Willens sind, zum Gesandtengehalt noch jährlich einige Tausend Franken zuzulegen, um standes- gemäß auftreten zu können. Die Schweiz besitzt Gesandt- schäften in Berlin, Paris, Wien, Rom, London und Washington, welche je mit 40—50 000 Franken dotiert sind, insgesamt also jährlich einen Aufwand von 300 000 Franken beanspruchend Gegen diese-Ausgaben hat das Volk große Abneigung, obwohl deren Notwendigkeit an erkannt wird. Aber trotzdem wäre das Volk nicht dazu zu bewegen, Gehaltserhöhungen zu bewilligen. Als im Jahre 1882 Oberst Emil Frey Gesandter in Washington war und um eine jährliche Gehaltserhöhung von 10 000 Franken einkam, hat das Volk gegen diese Forderung eine Volksabstimmung veranlaßt, in welcher die Gehaltszulage mit gewaltiger Mehrheit abgelehnt wurde. Wäre diese Gehaltsfrage allein zur Volks- abstimmung gelangt, würden die Kosten der Abstimmung allein mehr als das Fünffache betragen haben. Heute, nach 22 Jahren, denkt das Volk nicht anders und der Schweizer Bundesrat würde es nicht wagen, eine Er höhung der Gesandtengehälter in Vorschlag zu bringen, da er über deren Ablehnung nicht i'm Zweifel sein kann. Bei der Besetzung des Berliner Gcsandtschaftspostens kommt also nicht allein die staatsmännische Befähigung des Kandidaten in Frage, sondern namentlich auch der Umstand, ob es ihm seine Mittel erlauben. Gerade um dieser Verhältnisse willen ist der ernste Vorschlag auf getaucht, den Basler Isaak Jselin zum Gesandten zu ernennen. Jselin ist Mitglied der Basler Regierung, Mitglied des Nationalrates, bekleidet in der Armee einen hohen Rang und war Delegierter der Schweiz zum Anarchistenkongreß, den die mitteleuropäischen Staaten im Jahre 1896 nach Rom einberiefen. Dazu gehört er einer konservativen Familie an und ist Millionär. Nun soll Herr Jselin abgelchnt haben. Dem wird auch so sein, allein das hindert nicht, daß er immer noch an erster Stelle genannt wird. G. Ador - Genf ist durch seinen franzö sischen Orden etwas in Mißkredit gekommen, der frühere Appenzeller Pfarrer Engster, der jetzt Land- ammann des Heimatkantons Roths ist, wird seinen Vor schlag selbst nicht ernst auffassen, und Ober st E. Frey, der die diplomatische Laufbahn längst verlassen und nun einen internationalen Direktorsposten in Bern inne hat, wird die Bundcsstadt in seinem hohen Alter nicht mehr verlassen wollen. Der neue Gesandte für Berlin muß also erst noch gesucht werden, und es ist nicht aus- geschlossen, daß ein Mann gefunden wird, der bisher noch diplomatischer Neuling war und selbst am meisten von seiner Ernennung überrascht sein wird. ver ffuktana cier herers. Die Ursachen der Unruhen werden in einem der „Frkft. Ztg." zur Verfügung ge- stellten Privatbriese aus Südwestafrika folgendermaßen geschildert: Die Ursache ist nicht in einem einzigen Punkt zu suchen. Zwei der Hauptpunkte sind die Otavibahn und die rück sichtslose Eintreibung der Schulden durch die Händler. Was die Otavibastn betrifft, so fürchteten die Herero durch sie eine weitere Beschränkung ihrer Reservate-, da fff mit Recht annahmen, daß sämtliches Gebiet in der Nähe der Vahn an die Weißen fälli, die, natürlich die günstige Lage, ihre Pro dukte auf günstige Weise in den Handel zu bringen, sofort be nutzt hätten. Um den anderen Punkt zu beleuchten, so muß man die Angewohnheit der Eingeborenen kennen, die aus nahmslos ihre Bedürfnisse auf Schuld kaufen, selbst wenn sie den Preis, der immer sehr hoch ist (und auch sein muß), ganz gut sofort entrichten können. Die Bezahlung geschieht in Vieh. Nun hängt der Herero mit außerordentlicher Liebe und Zähigkeit an seinem lebenden Inventar. Hat er eine Kuh, so denkt er: nein, die muß ich behalten, ich warte auf das Kalb und werde mit dem bezahlen. Nun ist das Kalb aber ein Ferskalb, das heißt Kuhkalb, das darf natürlich nicht weg gegeben werden, er wartet also auf das nächste Kalb. Der Händler, der aber nicht so lange warten will, wird schließlich ärgerlich und — nun kommt der springende Punkt — fängt an zu drohen, indem er für jeden Tag, den er warten muß, ein Entgelt verlangt. Dabei gehen manche nun ganz gemein vor. Mir ist erzählt worden und ich habe einen sich rühmen hören, daß er für jede 'Stunde, die er hätte warten wüsten, 1 Pfund Sterling verlangt habe; auf diese Weise wäre sein Guthaben von 11 Schilling auf 210 angewachsen, und daraufhin habe er sich einfach die drei besten Kühe aus dem Kraal her ausgetrieben. Die Eingeborenen, die von Natur feige sind, lassen sich das in der Meinung, es sei erlaubt, gefallen, werden aber dadurch nakürlicb kolossal erbittert. Dieses Wirtschaften durch die Händler soll gerade .in letzter Zeit besonserS stark gewesen sein. Damit im Zusammenhänge steht, daß die Ein geborenen alles um ein Drittel höher bezahlen müssen als die Weißen, auch Nahrungsmittel, was ihnen natürlich nicht paßt. «Souvernerrr Leutwein über die Kriegführung in Veutfch-SüdMeftafrika. Sehr wertvoll für die richtige Beurteilung der Vor- gänge und der von der deutschen Kriegsleitung ge troffenen Maßregeln in Teutsch-Südwestafrika ist ein Vortrag, den der jetzige Oberst Leutwein 1898 in der Ber liner Militärischen Gesellschaft über die Kämpfe der Schutztruppe 1894—96 gehalten hat. Der Graudenzer „Gesellige" erinnert an diesen Vortrag und wiederholt daraus folgendes: „Lcutwein bezeichnet die kriegerischen Eingeborenen als den deutschen Truppen nahezu ebenbürtige Gegner. So sagt er z. B. von den Hottentotten, zu welchen die vor kurzem nieder geworfenen Bondelzwarts im Süden des Schutzgebietes und die Leute des jetzt auf deutscher Seite fechtenden WitboiS ge hören: Sie sind gute Reiter, gewandte 'Schützen und sehr bedürfnislos, mithin ein geborenes Soldatcnmaterial. Man brauchte ihnen nur die deutsche Disziplin beizubringen, um sie deutschen Soldaten nahezu ebenbürtig, in den beson deren afrikanischen Verhältnissen sogar in manchen Dingen überlegen zu machen. Die Eingeborenen kennen den Hinterlader schon seit zwanzig Jahren, wogegen Pfeil, Bogen und Wurfspieß längst verschwunden sind. Sobald man den Eingeborenen energisch auf den Leib rückt, wird ihr Schießen schlecht, wogegen sie, wenn gar nicht oder aus unwirksamer Entfernung beschossen, eine bedeutende Schieß fertigkeit an den Tag legen. Demzufolge müssen wir im afrikanischen Kriege von der Theorie des AusnützcnÄ der größeren Schußweiten unseres Gewehrs, d. h. dem Heran schießen von der Grenze der Leistungssähigkeit ab, absehen und an den Gegner, sobald er fick lediglich verteidigungsweise ver hält, sofort so nahe wie möglich 'heranrücken und die Verluste in den Kauf nehmen. Andernfalls riskieren wir, daß nach einer nutzlosen Schießerei auf weite Entfernungen der Feind spurlos verschwindet und wir das Nachsehen haben. Einem Gegner, der sich wie unsere Eingeborenen ausgezeichnet zu decken ver steht und dessen dem Erdboden gleichende Farbe ihn hierin unterstützt, sind auch mit unserem vorzüglich schießenden Gewehr ordentliche Verluste nur auf den nächsten Entfernungen bei zubringen." — Ein nach europäischen Begriffen durchaus un richtiges Verfahren, die Artillerie dicht hinter der Infanterie aufschließen zu lassen, begründet Leutwein wie folgt: „Erstens haben wir dort auf gegnerischer Seite Artillerie nicht zu be fürchten, sodann zeigen die Eingeborenen vor den Geschützen eine ivahnsinnigc Angst. Schon der Anblick des,, großen Rohrs", wie sie es nennen, genügt, um ihr Feuer abzuschwächen. Bei der Artillerie ist daher erst recht kein langsames Heran schießen von weiten Entfernungen, sondern ein sofortiges Heran fahren in die wirksamste Schußweite, womöglich dicht hinter die Schützenlinie, erforderlich." Arktik -<r Ariegrnachrichte« wird mit auffallender Schärfe von der „Kreuzztg." ge- übt. Zu dem Telegramm Leutweins über den Kampf bei Okakumba und Oviumbo bemerkt das Blatt: Wir erfahren zu unserem Erstaunen, daß die eben erst geschlagenen und zersprengten Herero sich stark genug fühlten, unsere Truppen anzugreifen. Die Depesche meldet zwar, daß der überlegene Gegner abgewiesen sei und zahlreiche Verluste gehabt habe, doch ist Oberst Leutwein wieder nach Otjosasu zurückgekehrt. Die Gründe, die er anführt: die Heranziehung von Munition und Verpflegung sei nicht möglich gewesen und weiteres Vorgehen habe in diesem Gelände auch Seinen Erfolg versprochen, sind dieselben, mit denen man sonst Mißerfolge zu erklären pflegt. Eine Kriegsdepesche der Herero würde viel leicht lauten: „Nachdem wir in den Onjatibergen einen Angriff der Deutschen blutig zurückgewiesen und ihren Versuch, uns den Rückweg abzuschneiden, vereitelt hatten, find wir nach Oka- tumba marschiert. Hier haben wir den erneut vorrückenden Feind angegriffen und ihn nach zehnstündigem Gefecht zum Rückzüge nach Otjosasu gezwungen. Er hat große Verlust« erlitten." * Ein Urlaubsgesuch des Obersten Leutweiu liegt bis jetzt an amtlicher Stelle nicht vor. ver nirrizch-laprmirche Weg. wie man in Japan gefallene tapfere Arieger ehrt. Nach japanischer Sitte sind den in den bisherigen Kämpfen gefallenen Offizieren besondere Ehren zuteil geworden, indem sie vom Kaiser in höhere Rangklassen noch nach ihrem Tode erhoben wurden. Auch eine andere alte Auszeichnung der früheren japanischen Samurai (Kriegerkaste) ist aufs neue ins Leben gerufen worden, das „Kanjo Kisoka". Berühmte Feldherren stellten solchen Kriegern, die sich ausgezeichnet hatten, besondere Bescheinigungen mit eigenhändiger Namensunterschrift ans, die den Besitzern eigene Vorrechte und Ehren ver liehen. Solche Kanjo werden auch jetzt wieder ausgestellt, und zwar von jedem unabhängigen Führer bei irgend ' einer Aktion. Die Kanjo werden vor versammelter Mannschaft verlieben, dem Kaiser wird darüber be sonderer Bericht erstattet, was für jeden Japaner etwas Ungeheueres zu bedeuten hat. Bei unehrenhaftem Be nehmen können sie den Besitzern auch wieder genommen werden. Gewöhnlich ist zugleich damit eine Geldgabe verbunden. Die Kanjo können gleichfalls nach dem Tode verliehen werden und werden dann den Angehörigen der gefallenen Soldaten zugleich mit der Geldgabe auSge- liefert. Es ist das bereits bei dem einzigen in der Ver senkungsaktion gefallenen Matrosen der Fall gewesen, dem außerdem von den Bewohnern seines Heimatsortes ein besonders ehrenvolles Begräbnis gegeben wurde. Lin russische» Dementi. * Aus Petersburg liegt heute folgende Meldung der „Rufs. Telegr.-Ag." vor: GeneralPflug meldet, daß alle Berichte und Depeschen von Telegraphenagen- turen bezüglich einer Belagerung und Einnahme Port Arthurs ebenso wie die Nachricht, wonach russische Kosaken in Korea zu Gefangenen gemacht wor- Feuilleton. 2ij Das Testament des Bankiers. Roman von A. M. Barbour. Nachdruck verboten. „Da bin ich doch neugierig", sagte Fräulein Carleton anscheinend leichthin, aber eine ganze Welt voll Fragen lag in ihren Augen. „O, können ihn gleich sehen. Schauen Sie mal dort hin, da steht er, Herr Mainwaring. Spricht eben mit Leutnant Cohen. Er und icli sprangen Ihnen neulich zu Hülfe. Er war zu meinem Bedauern flinker als ich. Als er wieder heraufkam, sagte er, er hätte Sie für eine Fremde gehalten, dann aber in Ihnen eine Bekannte er kannt. Wird also vermutlich stimmen." „Ja, wir lernten uns kennen", bestätigte Fräulein Carleron ruhig. „Nun also die Passagierliste! Kommen Sie, ich werde Sie begleiten." „Sie sind sehr freundlich." Unterwegs fragte sie wie beiläufig: „Kennen Sie Herrn Mainwarmg schon länger?" „Hab' ihn mein Lebtag nicht gesehen, als hier an Bord. Als ich zuerst seinen Namen hörte, meinte ich, er gehörte zu Ihrer Familie, erfuhr aber bald, daß das nicht der Fall wäre." Einen Augenblick später studierte sie die ihr vorgeleqte Liste und sand schnell, was sie suchte. Schon die erste Seite zeigte ihr in der bekannten Handschrift des Sekre tärs den Namen: „Harold Skott Mainwaring." Aufschlüsse. Nachdem Lizzy dem freundlichen Kapitän gedankt hatte, begab sie sich wieder auf ihren gewohnten Platz auf Deck, wo sie Muße hatte, sich ungestört ihren Gedanken zu überlassen. > Sie vermochte kaum ihren Ohren und Augen zu trauen. „Harold Skott Mainwaring!" Wie sollte sie sich das erklären? War es möglich, daß der Sekretär, nachdem er sich mit der Familiengeschichte der Main- warings bekannt gemacht hatte, jetzt unter einem ange nommenen Namen irgend welche versöulichc Zwecke ver folgte? Nein, das war ein zu ungeheuerlicher Gedanke. In Schöneiche hatte sie ihm versichert, daß sie ihn jeder Lüge, jeder Ehrlosigkeit unfähig hielte, und daran wollte sie festhalten, bis unwiderlegliche Beweise sie vom Gegen teil überzeugten. Aber wenn er wirklich ein Mainwaring war, welche Absicht hatte ihn dann geleitet, unter dem Namen Skott eine Sekretärstelle anzunehmcn? Welcher Name war echt und welcher angenommen? Wer konnte es sagen? Wie in Beantwortung ihrer Gedanken, sah sie den Gegenstand derselben auf sich zukommen. Er war allein. Als er sich erkannt sah, da leuchtete es in seinen Augen so freudig auf, daß bei ihr jeder Schatten von Groll und Argwohn verschwand Ebenso heiter, wie sie ihn in Schöneiche immer begrüßt hatte, streckte sie ihm die Hand entgegen und sagte bedeutsam: „Herr Mainwaring, das ist in der Tat eine Uebcr- raschung!» Sic beobachtete ibn scharf, aber auch nicht das leiseste Zucken einer Wimper war bemerkbar, als er in ungewöhn lich warmem Ton erwiderte: „Und ich darf hinzufügen, gnädiges Fräulein, daß es die angenehmste Ueberraschung ist, die mir je im Leben zuteil wurde." Sie errötete, und er fuhr fort: „Ich habe Sie bis heute nicht auf Deck gesehen." „Nicht am Freitag Abend?" fragte sie schelmisch. „Nein", gab er zurück, „denn ich wußte erst, wen ich in meinen Armen gehalten hatte, als ich von unten wieder heraufsticg. Erkannten Sie mich?" „Ich glaubte, Ihre Stimme zu erkennen, und wünschte deshalb nm so mehr, meinem freundlichen Helfer danken zu können. Erst jetzt finde ich Gelegenheit dazu, denn ich bin bis heute nicht oben gewesen." „Bitte, sprechen Sic nicht von Dank. Hätte ich ge ahnt, wer so tapfer dem Sturme trotzte, würde ich meinen Beistand früher angcboten haben. Sie werden sich meine Ueberraschung denken können, als sch Sie plötzlich er kannte, und auäi jetzt kann ich es noch gar nicht fassen. Sie vor mir zu sehen." „Wirklich?" lachte Lizzy. „Ich denke indessen, die Ueberraschung war gegenseitig." „Wirklich?" echote Mainwaring in übermütiger Laune. „Nun, dann meine ich, müssen auch gegenseitige Erklärungen folgen. Ich weiß sehr wohl", fuhr er ernst- baffer fort, „daß vieles in meinem Benehmen Ihnen un- verständlich erscheinen muß: Klarheit darüber wird erst der Lauf der Dinge in einigen Wochen bringen. Wenn es Sie aber interessiert, so würde es mir eine Beruhigung gewähren, Ihnen, Fräulein Carleton, jetzt schon einen Aufschluß geben zu dürfen." „Ich würde einen solchen Beweis des Vertrauens zu schätzen wissen." „Sehr gütig. Wenn es Ihnen recht ist, lassen Sie uns auf die andere Seite gehen; ich kenne dort ein Plätzchen, wo wir ungestört sein können." Als sie sich auf zwei Stühlen behaglich niedergelassen hatten, begann Mainwaring: „Es ist eine lange, sonder bare Geschichte, die ich Ihnen zu erzählen habe, aber ich will versuchen, mich kurz zu fassen. Heute vor acht Tagen, als ich durch die Halle in Schöneiche ging, hörte ich zu fällig, wie Sie Herrn Whitney von der unheilvollen Liebe und dem Tode meines Vaters, Harold Skott Main waring, erzählten." Lizzy machte eine Bewegung höchster Ueberraschung, sagte aber nichts, und Mainwaring fuhr fort: „Meine früheste Erinnerung ist das Haus meiner Pflegeeltern in Australien, die mir die Liebe und Für sorge wirklicher Eltern schenkten. Erst im Alter von fünf zehn Jahren offenbarten sie mir, daß ich nicht ihr Kind sei. Mein Vater hatte mich gleich nach meiner Geburt der Obhut meiner Pflegeeltern mit der Bestimmung über geben, daß, wenn er nicht selber vorher käme, ich erst mit meinem fünfzehnten Jahre von seiner Vaterschaft er- fahren sollte. Zu derselben Zeit vernahm ich, daß seine Trennung von mir ihren Grund in einem schweren Kummer hatte, worüber mir erst mit Eintritt meiner Großjährigkeit Aufklärung werden sollte. Diese erhielt ich dann in einen« kleinen versiegelten Päckchen, das mein Pater meinen Pflcgeeltcrn mit der Weisung übergeben hatte, es mir an memem einundzwanzigsten Geburtstage auszuhändigen, falls er mich bis dahin nicht zurückge- wrdert hätte. Solange ich noch zu klein war, eine Er innerung an ihn zu bewahren, hat er mich oft besucht, wie man mir sagte, und die größte Liebe für mich be kundet, aber als ich älter wurde, blieb er fort und schrieb nur gelegentlich an meinen Pflegevater. In dem lebten Briefe, den dieser von ihm empfing, als ich etwa fünf Jahre alt war, teilte er ihm mit, er würde nach Afrika gehen und dort für mich em Vermögen zu erwerben suchen Von da an ließ er nichts mehr hören. Erst später kamen Nachrichten, daß er auf der Seereise den Tod in den Wellen gefunden habe, so wie Sie neulich er zählten. .Dies alles erfuhr ich. wie gesagt, als ick fünfzehn Jahre alt war, über meine Mutter a-er nickt das ge ringste. Für meinen Vater, den so viel Geheimnisvolles zu umgeben schien, erfaßte mich eine Liebe und Ver ehrung, die an Anbetung grenzte, und ich ersehnte den Tag, da mir sein hinterlassener Brief mit dem Geheimnis seines traurigen Lebens ausgeliefert werden sollte. „Mein einundzwanzigster Geburtstag kam, und ich erhielt das kleine Paket, das einige wertvolle Andenken und den Brief meines Vaters barg — einen Brief, der unter den bitteren Qualen eines gebrochenen Herzens ge schrieben war. Er berichtete mir über seine Enterbung. Doch der Verlust des Vermögens erschien ihm gering im Vergleiche mit dem Verluste der Liebe seines Vaters. Aber selbst dieser Kummer trat bald weit in den Hinter grund vor dem neuen Schmerz, der ihm das Herz brach. Und dieses letzten, tiefsten Schmerzes wegen — um mich der treulosen Fran zu entziehen, die mich geboren hatte und mich für tot hielt — vertraute er mich den Händen bewährter Freunde an. Ich sollte auf immer für meine Mutter tot bleiben und niemals etwas von ihr erfahren." Er hielt einen Augenblick inne, und Lizzy rief: „Und Sie haben in der Tat bis jetzt nie etwas von Ihrer Mutter gehört?" „Nie. Ich weiß nicht, ob sie tot oder noch am Leben ist, und wünsche auch, daß der Himmel es verhüten möge, daß ich dieses falsche Herz, diese schwarte Seele jemals kennen lerne." Sein Gesicht sah so streng aus, wie Lizzy es noch nie mals gesehen hatte. Allmählich besänftigten sich seine Mienen wieder, und er fuhr fort: „Mein Vater drückte in dem Briefe den Wunsch aus, ich solle meine Studien in England beenden. Infolge dessen ging ich einige Wochen nach meinem einund- zwanziqsten Geburtstage nach England. „Dort ongekommen, empfand ich nach kurzer Zeit den Wunsch, das alte Stammgut der Mainwarings zu be suchen. Um nicht durch meinen Namen aufzufallen, reiste 'ch unter dem Namen Skott. Ich fand den Besitz in fremden Händen. Wie ich erfuhr, hat der jüngere Bruder meines Vaters, nachdem mein Großvater zwei Jahre nach der.Heirat meines Vaters gestorben war, den Besitz ver kauft, worauf er nack Amerika ging. Zufällig wurde ich an einen alten Diener meines Großvaters gewiesen, der im Ort geblieben war und mir aus jener Zeit er- zählen konnte. Dieser Diener war James Wilson, der Vater von Jobn Wilson, Ralph Mainwarings jetzigem Kamuierdicner." „Ack!" siel Fräulein Carleton freudig ein, „dies« alte ireue Seele habe ich wohl hundertmal gesehen. Ja, der
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