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01-Frühausgabe Dresdner Nachrichten : 23.04.1930
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1930-04-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-19300423014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-1930042301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-1930042301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Nachrichten
- Jahr1930
- Monat1930-04
- Tag1930-04-23
- Monat1930-04
- Jahr1930
- Titel
- 01-Frühausgabe Dresdner Nachrichten : 23.04.1930
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Segen -en Lvt-erfpruch Deutfchlanös Bafel, 22. April. Nach der vorbereitende« Fühlung- »ahm« trat der BerwaltungSrat der Bank für internationale Zahlungen am Dienstag kurz nach 11^0 Uhr zu einer ersten -Itzling zusammen, die bis wenige Minuten vor 2 Uhr dauerte. Der Vizepräsident des OrgantsattonSkomttre», der englische Delegierte Dir Charles Addis, erstattete den Be- eicht über die bis jetzt vollzogenen OrganisationSarbetten, die so wett gediehen sind, bah die Bank ihre Tätigkeit ausnehmen kann. Der Bericht wurde vom Verwaltungsrat einstimmig genehmigt. Sodann erfolgte die einstimmige Wahl von Mae Garrah zum Präsidenten des vermal» tnngSrateS. Der BerwaltungSrat trat sodann in eine Aussprache über die Wahl des Generaldirektors des neuen Instituts ein, wobei Reichöbankpräsident Dr. Luther eine Erklärung abgab. t« der die dentsche Delegation sich gegen die Wahl «iueS Franzosen »um Generaldirektor anSsprach. Dr. Luther betonte, daß diese Stellungnahme eine grundsätz liche sei und sich nicht gegen die Person des Direktors Pierre QueSnay von der Bank von Frankreich richte. Die Sitzung wurde dann nach kurzer Besprechung weiterer OrgantsattonS- sraaen abgebrochen. Um 8 Uhr wurde die Sitzung wieder eröffnet. Kurz vor 1 Uhr wnrd« Direktor Onesnaq ln» riftongSzimmcr dcS BerwaltungSrat«» gerufen» «o ihm mit» geteilt wurde, daß er zu« Generaldirektor er» »an nt sei. Die Wahl Ouesnay» zum Generaldirektor er» folgte mit allen gegen eine Stimme. « Wie der Vertreter der schweizerischen Dcpcschenagentur erfährt, galt die Fühlungnahme unter den verschiedenen Dele gationen, die der Sitzung des Verwaltungsrates der BIZ. oorausging, weniger personellen Fragen, die man im allgemei nen als geklärt betrachtet, als vielmehr gewissen Fragen finanz- technischer Natur, wobei das Problem der Unterbringung der Aktien der BIZ. eine wichtige Rolle spielt. ES bestehen ge rade in dieser Frage insofern Meinungsverschiedenheiten, als kincrseitS gewünscht wird, die nationalen Emissionsbanken möchten die Aktien der BIZ. übernehmen und den inter essierten übrigen nationalen Banken zutetlen, während «ine andere Gruppe eher dafür wäre, dah die Aktien zur öffent lichen Zeichnung aufgelegt werden. Besondere Sorgfalt erheischt auch die Prüsung der Frage, zu welchem Zeitpunkt die Emission erfolgen soll. Dem offiziellen Empfang, zu dem der Baseler Magistrat für den Dienstagabend im Stadtkasino eingeladcn hat, kommt insofern große Bedeutung zu, als auch BundcSrat Motta eingeladen wurde, zu diesem Zweck nach Basel zu kommen. Dr. Melchior Vizepräsident öffentlich« Subskription aus eine Gruppe von Banken ver teilen werden. Dem Generaldirektor sind vier Abteilungsleiter für die Reparationen, die übrigen Bankgeschäfte und die Zusammen arbeit der Notenbanken unterstellt. Ihre Wahl dürste voraud- hchilich Mittivoch erfolgen. Ob Deutschland mehr als einen Abteilungsleiter zugebtlligt erhält, ist sehr fraglich. Die Parität ist verletzt Basel, 22. April. Im Wortlaut der von Dr. Luther ab- gegebenen Erklärung heißt es unter anderem: Ans dem Wege, der zur Entstehung der Bank gesührt ha«, Ni der Grundsatz der Parität zwischen Deutschland als dem einzigen Schuldnerland und Frankreich als dem hauptsächlichen Glanbigerland zum deutlichen Ausdruck gekommen. Beiden Ländern weisen der Boungplau und die Statuten der Bank rin« bevorzugte» aber gleichberechtigte Stellung in der Bank zu. GeradeausdiesenGrundsatzderParitäthat das deutsche Bolk in seiner dem Boungvlan zustimmenden Mehrheit die Erwartung gegründet, daß die neue Bank ein nutzbringendes Instrument nicht nur der Weltwirtschaft im allgemeine«, sonder« namentlich auch der Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland sein würde. Wir drei deutschen Mitglieder deS BerwaltungSrateS geben unter keinen Umständen unsere Bemühungen aus, die neue Bank in dem soeben genannten Ginne zu entwickeln. Im Ein klang mit der Anschauung des deutsche« Volkes müssen wir jedoch nufere Auffassung aussprechen dahin, dah die Wahl deS Herrn Pierre Ouesnay zum Generaldirektor dem vor erwähnten Grundsatz der Parität nicht entsprechen würde. Wir sehen «ns daher zu unserem Bedauern ans ernsten nnd grund» sätzlichen Erwägungen gezwungen, gegen die Wahl d«S Herrn Pierre Ouesnay zum Generaldirektor zu stimmen. Ae Reitbsbanknelea wleter eialisimgSvMti- vrabtmalcknng unsoror Avrllnar Svbrlttloltnng Berlin, 22. April. Durch eine Verfügung des Reich»- bankdirektoriums wird angevrdnct. daß gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des „Neuen Plans" der 8 bl des Reichsbank- gefetzcs vom SO. August l»24 in Geltung gesetzt wird, der die Verpflichtung zur Einlösung der Reichsbänknoten auöspricht. Dieser Paragraph mar im Jahre 1024 vorläufig außer Kraft gesetzt und es war in dem Gesetz bestimmt worden, daß es für fein Inkrafttreten eines übereinstimmenden Beschlusses des NeichsbankdtrektoriumS und des Gcneralrats der NetchSbank bedürfe. Dieser Beschluß ist nunmehr ergangen, nachdem das Zustandekommen dcS Neuen Plans die Vorbedingungen dazu gegeben hat. Nach 8 81 erfolgt die Einlösung nach Wahl der NetchSbank entweder in deutschen Goldmünzen oder in Gold- barren oder schließlich in Schecks oder Auszahlung in auS- ländischer Währung. Nach Lage der Dinge wird vorläufig wohl die letztgenannte Einlösungsart allein praktisch in Be tracht kommen. Ser Berhandlungsstreit im „Kalke" Prozeß Rechteamvalt Dr.Albberg droht mit Mandatsniederleguug Nlganar vratzldartotz» ckar „vroockoor kiaobrietztao" Hamburg, 22. April. Im „Falke"-Prozeß kam e» am DienStag, wie bereits gemeldet, zu einem schweren Streit zwischen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung, der damit endete, daß der Vorsitzende mit de» Worten: »Ich habe die Sitzungspolizei" eine etnstündtge Pause einlegte. Nach der Pause zögert sich der Wiederbeginn der Ver- hapblungen lange Zeit hinaus, weil die Verteidigung noch Besprechungen über ihre Stellungnahme zu den Vorfällen vom Vormittag hat. Da die Herren nicht erscheinen, wird die Verhandlung zunächst ausgesetzt. RA. Dr. Alsberg weigert sich weiter, vor diesem Gericht auszutreten. Nach kurzer Pause erscheint das Gericht wieder im Saal. Dr. Alsberg läßt bestellen, die Verteidigung sei noch nicht so wett. Vors.: Ich lasse Herrn Dr. Alsberg bitten, ich habe eine private Frage an ihn. Der Saalwachtmeister kommt wiederum zurück: Dr. Alsberg sagt, er sei noch nicht so wett. St.-A. Rose: Ich bitte um Vertagung bis morgen, da in dieser Stimmung ein Verhandeln doch nicht möglich ist. Das Gericht beschließt nach dem Antrag der Staatsanwalt schaft. * RA. Dr. Alsberg gibt bann der Presse nachfolgende Erklärung ab: Der Herr Generalstaatsanivalt hat mich vor der Sitzung zu sich rufen lassen, um mir zu erklären, daß er mir sein Bedauern auSsprcchen müsse, daß er das Vorgehen des IustiziuspektorS Tolksdors nicht billigen könne und dafür Sorge tragen werde, daß dieser Beamte den Saal nicht mehr betritt. Er müsse anerkennen, baß Dr. AlSberg über die Vorgänge frappiert gewesen sein müsse, denn er hätte nicht wissen können, daß Tolksdors aus eigene Faust gehandelt habe. RA. Dr. Alsberg erwiderte, er stehe auf dem Standpunkt, die Staatsanwaltschaft sei verpflichtet gewesen, von sich aus von der erneuten Vernehmung des Zeugen Gietz Kenntnis zu geben, und daß er seiner Verwunderung Ausdruck geben müsse, daß die Staatsanwaltschaft versucht habe, bei den Vor haltungen über Widersprüche in den Aussagen den Zeugen zu decken. Er habe auch kein Verständnis dafür, daß die Staatsanwaltschaft aus Grund der Auszeichnungen von Justiz- tnspektor Tolksdors Fragen an den Zeugen Gietz gestellt habe. Der Verteidigung sei zur Kenntnis gekommen, daß vorher schon andere Zeugen nach ihrer Vernehmung von Tolksdors auf sein Dienstzimmer bestellt oder weiter befragt und für den folgenden Tag wieder bestellt worden seien. Die Ver teidigung könne sich nicht denken, daß dieses Vorgehen -er Staatsanwaltschaft unbekannt gewesen sein solle. RA. Dr. Alsberg erklärte anschließend, er werbe die 8er» teidigung nicht «eitersühren, wenn das Gericht die au feinem Verhalten geübte Kritik nicht abändere. Die RA. Dr. Levt und Dr. Bach mann werden morgen bei Beginn der Verhandlung eine Erklärung überreichen, baß sie nach Form und Inhalt Dr. Alsbergs Standpunkt ver treten. Basel, 22. April. Der BerwaltungSrat der BIZ. ernannt« la seiner Nachmittagssitzung auf Wunsch des Berwaltungsrats- »räsidentcn Mc. Garrah noch zu Vizepräsidenten deS Ber» waltnngorates den Engländer Charles Addis und de» Deut» scheu Dr. Melchior. In der Wahl eines Deutschen z»rm Vizepräsidenten eine Genugtuung für die Wahl eines französischen Finanzmannev »um Generaldirektor erblicken zu wollen, ist völlig falsch, denn das Amt des Vizepräsidenten ist mehr oder minder ein reiner Dekorattonspostcn. Seine Ausgabe besteht nur darin, den Vorsitzenden bet BerwaltungSratssttzungen zu vertreten, wenn derselbe an der Teilnahme verhindert sein sollte. Aber in den Funktionen des Verwaltungsratspräsidcnten selbst kann Mc. Garrah durch einen Vizepräsidenten nicht vertreten werden. Die deutschen Vertreter hätten es. wie Melchior bei einem Empfang ber deutschen Presse sagte, lieber gesehen, wen, die Ernennung des Vizepräsidenten erst in der nächsten Verwaltungsratssitzung vorgenommen worden wäre. Nur um Mc. Garrahs ausdrücklichem Wunsch nachzukommen, der diese Frage nicht noch einmal habe anschneiden wollen, habe sich die deutsche Abordnung mit der Wahl in der DienStag- sitzung einverstanden erklärt. Der VcrwaltungSrat beschloß ferner, außer den sieben Hauptnotenbanken zur Zeichnung der Aktien der BIZ. noch die Niederländische Bank, die Schweizerische Nattonalbank und die Schwedische Notenbank aiifzusorbern, da der Ftnanzmarkt der Länder dieser Banken für die Ausnahme ausländischer Anleihen besonders aktiv war. Der zweiten Verwaltungsratssitzung soll es Vorbehalten bleiben, noch weitere Zcntralnotenbanken zur Zeichnung auf- »usordern. England. Frankreich, Belgien und Italien wer den die Aktien öffentlich auSgebcn. Deutschland behält sie im Portefeuille, während Japan und Amerika dieselben ohne Nie Katastrophe im Zuchtdaus »«> Kolumbus Llntersuchuno -urch die Behörden Kolumbus lOhio), 22. April. Die Behörden haben be- reits die ersten Schritte getan, um zu ermitteln, worauf eS zurückzuführen ist, daß die Branükatastrophe im StaatS- gefängnts eine so außergewöhnlich hohe Zahl von Todes- opfern gefordert hat. Die darüber vernommenen Zeugen er klären, anscheinend sei den Schließern des oberen Zellenblocks erst dann klar zum Bewußtsein gekommen, baß Gefahr für das Leben der Gefangenen bestand, als zahlreiche Sträflinge erstickt vom Rauch in ihren Zellen zusammenbrachen. Das Oeffnen der Zellentüren durch die Schließer hat anscheinend erst begonnen, nachdem die Feuerwehr in das Gebäude herctngelassen worden war. Bon den Sträflingen, die in de« Zellen für di« »«« Tode BerurteUteu «nteraebracht waren» ist keiner umgekommen. Die Größe des Unglücks ist in der Hauptsache auf die Anstaltskonstruktton zurückzussühren. Die amerikanischen Zuchthäuser und Gefängnisse sind im wesentlichen Hallen bauten. In einem riesigen Käfig, der sich inmitten der großen Halle befindet, sind die einzelnen Zellen untergcbracht. Die gewaltigen Rauchschwaden, die ein großer Brand entwickelt, haben ohne weiteres Zutritt zu sämtlichen Zellen. Hinzu kommt, daß man cs bei den amerikanischen Strafanstalten vielfach noch mit Holzbauten zu tun hat, während in Deutsch land nur Eisenkonstruktion verwandt wird. 317 Todesopfer SolnmbnS» 22. April. Nach den letzten Feststellungen find bei dem Brande des Zuchthauses 817 Personen ums Leben gekommen. In den Ruinen -es vom Feuer zerstörten Zellenblocke» flammte DienStag früh abermals ein Brand auf, konnte jedoch alsbald gelöscht werden. Ueber die Schreckensszenen beim Brande werden noch folgende Einzelheiten gemeldet: Sträflinge rüsteten sich mit Seilen, Aexten und Hämmern aus und beteiligten sich an dem Rettungswerk inmitten des Flammenmeeres. Wie Augen zeugen berichten, warf ein strafgefangener Neger ein Seil in das Zellenfenster eines um Hilfe rufenden Sträflings, kletterte an dem Seil hinauf und zertrümmerte die Eisen tür. Eines ber grauenhaftesten Einzelbilder bet dem Brande war das, wie eine Gruppe von KO Strafgefangenen des oberen Stockwerkes schreiend in den Flammen umkam, wäh rend die Wärter verzweifelte Befreiungsversuche machten. Snrfettwiys Kuren tm Frühling sind besonder» empfehlenswert. Nehmen Sie dreimal täglich 2—8 Toluba-Kerne, die fettzehrende Stoffe enthalten. Die echten Toluba-Kerne erhalten Sie in Apotheken. Ernst von Molzvgen Zu seinem 75. Geburtstag am LS. April Die Zeit hat ein kurzes Gedächtnis, zumal die Zeit ber hastenden, rasenden Großstadt. Ihr Tempo, voll Erlebnis- tnhalt, zeigt praktisch so recht die Relativität des Zcitbegrisss, und nirgendwo wie hier gilt das heute rot, morgen tot. Vor einigen Wochen sprach ich mit jemanden von Ernst von Wolzogen, und plötzlich fragt der andere: „Ja, lebt denn Wolzogcn noch?" Ich mußte es tm Augenblick selber nicht zu sagen. Aber bas ist hier nicht gemeint: diese Frage war durchaus möglich, da der Dichter „reichlich reif zur Einsam keit" sich selbst aus der Zeit zurückgezogen hat. Gemeint ist das schnelle Vergessen der Persönlichkeit und ihrer Leistung. Gemeint ist das Vergessen des Vergangenen, das doch auch einmal Gegenwart war, vor dem nichts als Gegenwärtigen. Wir leben zu wirbelhaft, um ausbewahren zu können. Wie lange ist das her, daß Ernst von Wolzogen ganz lebendige Gegenwart war, daran alle Anteil nahmen? Der Humor seiner Bücher beglückte alle Welt: seine Darstellung des Friedrichshagener Bohemebctriebs: „D a S Lumpen gesindel", sein lachender Liszt-Roman: „Der Kraft- Mayr", seine vielgclcsene Satire: „D a S dritte Ge- schlecht", sein köstlicher Roman: „Der Bibel Hase" und wie die Werke alle heißen. Um 1000 stand er tm Brennpunkt des Interesses, als er den „ScktauSschank sttr deutsche Schwer- blüter", das Ucberbrettl in die Welt setzte. Aber das ist alles heute so fern, und der Mensch ber Nur-Gege»wart ist schnell mit den Worten „Ucbcrlcbt" und „Altmodisch" bei der Hand. DaS Gestern ist, als ob es gar nicht dagcwcscn wäre, und noch bedeutendere Erscheinungen als Wolzogen sind voll kommen versunken. Diese Dinge haben den seclenheiteren Wolzogen nicht un- verbittert gelassen, trotz der ihm „angeborenen leicht ironi schen Skepsis", die ehedem seine Darstellungen so anmutig färbte. Immerhin sucht er in seiner Selbstdarstellnng „Wie ich mich ums Leben brachte" nach Gründen, nnd wie der Skeptiker immer der Gerechte ist, sucht nnd findet er di« Gründe zum Teil in sich selber, in seinen Anlagen. Sr nennt sich humoristisch den ständige» Selbstmörder nnd meint: „Es waren wohl meine eigensinnige Verbissenheit nnd meine beson deren Begriffe von Anstand, verbunden mit einem Mangel von Behcrrschungsvermögen. völliger Unfähigkeit zur Lüge und einer verhängnisvollen Vielseitigkeit, was mich dazu trieb, mein« schönsten Dummheiten immer an den Wende punkten mein-» Leben» zur Ausführung zu bringen." Diese Worte gehen über das rein Literarische hinaus auf das Lcbenöschicksal, aber bas Wort von der verhängnisvollen Vielseitigkeit betrifft auch das Literarische: Wolzogcn hat sich als schriftstellerische Persönlichkeit nie ganz und ausschließlich erfüllt. Er blieb, mit Anmut meist, mehr oder minder spiele- risch, hatte vielfach zu wenig Schwergewicht. Als dt« Gesichts- züge aber ernster wurden, wie in dem Roman „Der Erz ketzer". erkannte die Zeit sie nicht. Er spricht einmal von seiner Fontaneschen Verwandtschaft: „Zum Nachfolger Fon tanes konnte ich schon deshalb nicht werden, weil mir eben der straffe Halt der Wurzelhaftigkeit und freiwilligen Be schränkung fehlte. Ich ahnte schon damals, daß meine Viel- settigkett mir zum Verderben werden würde." Dennoch ist das Vergessen ein Unrecht. Die Vielseitigkeit scheint tatsächlich etwas wie da» LebenS- unglück Wolzogens geworden zu sein, das ihn hinderte, sich in einem völlig zu erfüllen. Sieht man seine Persönlichkeit, so Ist sie von einer rastlosen Ouecksilbrtgkett, und das war einst mals der große Reiz ber Erscheinung. Die Wolzogen» ge hören zum österreichischen Uradel. Die Gegenreformation vertrieb sie aus der Heimat. Durch die Heirat des Groß onkel», der Schillers Schwager wurde, kam die Familie in Be ziehung zur Welt der Klassiker. Der Großvater Ludwig war Adjutant des Zaren Alexander I. und preußischer General der Infanterie. Im Vater vollzieht sich dann „der Ueber- gang aus den traditionell adligen Gebieten in das künst lerische". Die letzte Komplikation aber bringt die Mutter, Engländerin aus hugenottischem Blut. Aus dieser Mischung wird Ernst von Wolzogen. Wolzogen» Vater, Regierungsrat in Breslau, wird Theaterintendant in Schwerin, und zwar einer, der in ber Tat Außergewöhnliches leistet. Der Sohn hat von ihm da» künstlerische Temperament: aber dieses Temperament weist nach verschiedenen Anlagen -es Künstlerischen. Die ganz große Liebe Wolzogen« ist eigentlich das Theater. Schrift steller wird er zunächst aus der Not des Erwerbs. Aber 'da» Theater ist seine Sehnsucht, und als Theaterleiter hätte er sicher seine Erfüllung gefunden. In München ist er Jahre hindurch Spielleiter beim akademisch-dramatischen Verein nnd schasst Erstaunliches. Aber es findet sich kein Theater, baS ihm Platz bietet. Als er, nach der Ueberbrettlzeit. am Thalia- theater eine neue Aera des Singspiels heraussühren will, ende« ber Versuch mit einer Pleite. Ein großer Erfolg ist zunächst bas Ueberbrettl, mit dem er die französische Kabarettkunst, die Kleinkunst, nach Deutsch land überträgt. Hier ist er aus seiner durch die BlutmMung bedingten Agilität, aus seiner Leichtigkeit ber rechte Mann. Er findet Talente wie OSkar Strau», Bozena vradsky, Koggel usw. Aber als da» Unternehmen vom Alexanderplatz nach dem Osten übersiedelt, nach der Köpenicker Straße, ist eS zu Ende mit dem Erfolg. Wolzogen hat an seinem Teil eine Anzahl achtbarer Dramen geschrieben, bewegt und leb haft tm Dialekt: aber er meint, daß seine Begabung „weniger eine dramatische als eine schauspielerische" sei. Das lebendige Theater ist eigentlich seine Welt. Wenn Wolzogen einmal von den Hemmungen seine» Lebens spricht, die ihn in seiner Existenz immer wieder zu „Selbstmorden" führen, so ist die Ursache dazu in seinem er erbten aristokratischen Bewußtsein gegeben. Hier ist die Spannung gegen das freiere Künstlertum: „So schön es ist, als Grandseigneur mit der Pflege der Künste und eigenem Kunstbetrteb schmückend sein Leben zu durchstecht««, so ent würdigend ist es für den Künstler, für die Kunst, sie zum Zwecke des Broterwerbs zu betreiben." Der Aristokrat muß Dilettant, Liebhaber bleiben. An seinem aristokratischen Be wußtsein scheitert immer wieder Wolzogens Existenz: er findet nicht das Kompromiß. Wolzogen ist al» Künstler eine unruhige Erscheinung, reich, anregend, vielseitig und eigentlich ohne „Beharrungs vermögen". Er weiß das selber. Aber er ist auch eine adlige Erscheinung, voll vom Gefühl ber rassischen Verantwortlich keit Das ist ein durchaus Erfreuliches an ihm. Er schätzt die Persönlichkeit und den Führer, wo er ihm begegnet: den Führer freilich, der Vorbild zu sein vermag in gewissenhafter Pflichterfüllung und reinem Willen zur Gerechtigkeit auS innerer Güte des Herzens. Seit dem Kriege ruft er nach dem Erneuerer des deutschen Wesens. Sein Leben hat er zurückgezogen aus ber Welt und dem Treiben. Immerhin gibt es ein paar Bücher von ihm, voll humortger Lebens betrachtung, die man nicht vergessen sollte. Peter Hamecher. Kunst «n- Wissenschaft f- Dresdner Theaterspielplan für heute. Opernhan»: „HoffmannS Erzählungen" (8): Schauspielhaus: ,,Wa» Ihr wollt" s8): Slberttheater: „Menschen im Hotel" s8s: Nestdenztheater: «Der wahre Jakob" s8i: Dt« Komödie: „Die heilige Flamme" s8.1S): Zentral- theater: „Da» Land dcS Lächeln»." , s Veranstaltung«». Heute 7,80 Uhr tm Palmengarten: Kammer abend de» Tonkünstler-eret»». Um 8 Uhr Vortragsabend Pont» t« Sünstlerhan». >
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