01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.07.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030703015
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Die Pachtung -es Ktautschau-GebieteS, das in der Provinz Schantung sein natürliche« Hinterland hat, war allerdings Bor« bebingung eine- regen Ausbaue« unserer wirtschaftlichen Interessen; Hafenbauten, Bahnanlagen, Dampferlinien, Kohlengewinnung schienen unsere wichtigsten Aufgaben. Der Grundsatz der „offenen Tür", den Deutschland von Anfang an für feine Einflußsphäre in China verkündet hatte, wurde durch bas Borgehen Ser Vereinigten Staaten von Nordamerika, dem Deutschland lebhaft zustimmte, für das ganze Riesenreich erweitert: die Märkte tn China sollten dem Handel der ganzen Welt geöffnet werden, unter Aufrechterhaltung der Integrität Chinas. Der Eröffnung eines intensiven Wettbewerbes der Nationen auf diesem noch kaum berührten Weltmärkte aber stellten sich innere Unruhen entgegen, die im Laufe des Frühlings 1000 weite Gebiete des chinesischen Reiches erschütterten und in eine gefährliche Verfolgung der Fremden und Christen aus liefen. Gemeinsam war die schwere Bedrohung und Schädigung der Angehörigen und der Interessen aller Kulturvölker in China, gemeinsam war auch bie Abwehr. Die alten Großmächte Europas wie bie neuen Großmächte der Vereinigten Staaten von Amerika und Japan, die Seemächte wie die Festlandstaaten erschienen sämtlich auf dem Plane, um ihre Rechte zu wahren. Durch besondere Umstünde, namentlich durch die Er mordung des kaiserlichen Gesandten v. Kettel er in Peking, war das Deutsche Reich an die Spitze der Aktion in China geführt worben. Aber die Zukunft Chinas wird nicht durch Deutschland, sondern durch den Gegensatz von Rußland und Großbritannien bestimmt werben. Wie in ganz Asien, stehen sich auch hier diese Weltmächte gegenüber: Rußland mit seinem ungeheuren Gewichte der durch Schienen stränge verbundenen Landmassen vom Norden und vom Westen her auf die Zentralregierung des Riesen- reiches drückend, während Großbritannien im weiten Pangtsebecken, dessen Zugang es mit seiner Flotte be herrscht, ein Feld unermeßlicher Fruchtbarkeit für seinen Handel auszunutzen bestrebt ist. Beide Weltmächte haben sich für ihre Position in Ostasicn Bundesgenossen zugesellt: Großbritannien und Japan haben in aller Form eine Allianz geschloffen, und Rußland hat darauf geantwortet, indem es sein Bündnis mit Frankreich auch auf Ostasicn ausgedehnt hat. So steht Deutschland nicht nur räumlich, sondern auch politisch zwischen den großen Rivalen Ruß- land und England, deren Gegensatz >die Zukunft des asia tischen Weltteils beherrscht. Es ist klar, daß nur eine starke Macht auf bie Dauer diese Position erfolgreich in Unabhängigkeit, zum Nutzen ihrer eigenen Interessen und zum Ausgleich bei Reibungen, behaupten kann. Ist das Deutsche Reich, selbst bei blühender Entfaltung seines Handels und Verkehrs, politisch ohnmächtig in Ostasien, so fehlt ihm jede Möglichkeit, als Bundesgenosse oder Gegner sein Gewicht in die schwankenden Wagschalen zu werfen; ja seine Schwäche müßte die starken Mächte geradezu reizen, über Deutschland hinweg zum AuStrage der Gegensätze zu schreiten. Stark kann aber das Deutsche Reich in Ostasien niemals durch sein Lanbheer sein — auch eine noch so große Garnison in Tsingtau würbe keinerlei Entscheidung bringen können. Das vermag einzig und allein die deutsche Kriegsflotte, die jeder Land macht eine wertvolle Ergänzung, jeder Seemacht eine nicht minder wertvoll« Verstärkung bringen würbe. In allen Großstaaten, die Weltpolitik treiben, ist eine von Jahr zu Jahr sich steigernde Intensität im Ausbau der Kriegsflotte bemerkbar. Und es ist eine Tatsache von allergrößter Bedeutung, daß diese Rüstungen in Groß britannien Frankreich und den Vereinigten Staaten — in Rußland herrscht der souveräne Wille des Zaren — im Volke selbst und in den Parlamenten nicht nur bie un bedingte Unterstützung finden, sondern noch von weiter gehenden nationalen Forderungen Überboten werden. Macht in Frankreich der Marineminister einmal den Versuch, im Hinblick auf die Finanzlage den Bau einiger Panzerschiffe einzustellen, so bringen Kammer und Senat energisch und erso'or- -st aus die Wiederaufnahme und Be schleunigung dieser Bauten. In Großbritannien ist kein Schlagwort populärer als der Ruf nach weiterer Verstärkung der Verwehr: England müsse, mit welchen Lpsern auch immer, unter alten Umständen di« Herrschaft zur See behaupten: sollte die politische Weltlage sich der art gestalten, daß der Ivo povo.r «tanckarck nicht mehr aus reiche, so müsse man eben zum tluvs pover «ianclarck über gehen — bas heißt allo: die englische Flotte, deren Stärke *) Au« dem demnächst erscheinenden „NautieuS", Jahrbuch für Deutschlands S e e i n t»r r sse n IVOS (L. S. Mittler L Lohn, verltn SW. 12). Freitag den 3. Juli t903. 97. Jahrgang. jetzt der Kombination der Marinen zweier beliebiger an- derer Mächte überlegen ist, soll künftig auch der Ber einigung dreier Mächte gewachsen sein. Nirgends aber werden die maritime» R istungen mit größerem Enthu siasmus ausgenommen, als in den Bereinigten Staaten. Die Vorgänge der letzten Wochen beweisen, daß die politischen Führer sie geradezu zur Wahlparole für die nächste Präsidentschafts kampagne machen. Darüber kann kein Zweifel bestehen, baß jede, selbst die riesigste und schnellste Verstärkung der Flotte, ohne Rücksicht auf die Kosten, im Kongreß willige Aufnahme finden würde. In Amerika wie in England und Frankreich bat eben das ganze Volk die ausschlaggebende Bedeutung der Seemacht für bie Weltpolitik und den Welthandel mit dem natürlichen In- stinkt für große nationale Aufgaben völlig erfaßt, während in Deutschland diese Kenntnis noch breiten Schichten verschlossen bleibt. In Großbritannien, Rußland und den Bereinigten Staaten ist man gewillt, die einzelnen Schlachtschiffe immer größer, schneller und stärker zu bauen, um so ihren Ge- fcchtswert zu erhöhen. Auch dringt man nachdrücklich darauf, bie Bauzeit abzukürzen, um die Flotte schneller auf die volle Höhe der Leistung und Macht zu bringen. Vermehrung des ^annschaftsstandes geht mit Be strebungen auf bessere Gestaltung des Offiziercrsatzcs und einheitlichere Formen der obersten Leitung Hand in Hand. DemAusbau berHäsen,Werften,Arsenale unbMerkstätten des Staates wird die größte Aufmerksamkeit zugcwendet. England bat die Errichtung eines neuen Kriegshafens in der Nordsee, an der Ostküste Schottlands, also mit dem Gesicht gegen Deutschland. Skandinavien und Rußland, be schlossen; die Heimatflotte ist organisatorisch leistungs fähiger gemacht, eine stärkung deS Kanal"elchwgders steht in Aussicht. DaS Marincbudg^t für 1008/04 über steigt das vorjährige nm 04 Millionen Mark (davon 45 Millionen Mark mehr kür Neubauten, die im ganzen gegen 230 Millionen erfordern) und hat mit 703 Millionen Mark eine bisher unübertroffene Höhe erreicht, wobei in Paranthese zu bemerken ist, daß das HeereSbudget genau den gleichen Betrag aufweist. In Frankreich ist nach manchen Schwankungen mehr Einheitlichkeit in den Aus bau der Flotte gekommen: die Kammer hat au' die schleu nige Fertigstellung von Linienschiffen gedrungen; durch den Ausbau der Kriegsbäfen von Toulon und Biserta im Verein mit einem stattlichen Geschwader ist Frankreichs Stellung im Mittelmeere sehr stark geworben. Dazu kommt, datz die Oeffnung der Dardanellen für die russische Kriegsflotte wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, sodaß ein Zusammenwirken der gesamten Marinen beider verbündeten Reiche im Kalle eines Krieges in den europäischen Gewässern in Rechnung zu setzen ist. In den Bereinigten Staaten hat der letzte Kongreß die Forde rungen der Regierung für Neubauten beträchtlich erhöht: 3 neue Schlachtschiffe zu 10 000 Tonnen und zwei neue Schlachtschiffe zu 18 000 Tonnen Deplacement sind für daS laufende Jahr bewilligt morden. Ferner hat auf An- regung aus dem Kongreß das Marineministerium ein Pro gramm für den Ausbau der Flotte in Vorbereitung, das nach den bisherigen Veröffentlichungen die Schaffung einer Flotte von 48 Linienschiffen, 42 Panzerkreuzern und einer entsprechenden Anzahl von Schiffstypen geringerer Qualität in einem Zeiträume von zehn Jahren vorsieht. SS unterliegt keinem Zweifel, daß der Kongreß diesem Plane zustimmen wird; bie Entscheidung wird noch in diesem Jahre fallen. Zieht man das Fazit, so wird man zu dem Ergebnisse kommen müssen, daß im besten Falle bis Ende des Jahres IWO das im deutschen Flottengesetz von 1900 zu Grunde ge legte TtärkeverhältniS zwischen der deutschen und den Marinen der Hauptseemüchte aufrecht erhalten bleibt, daß aber bann vornehmlich in England und Nordamerika mit wachsender Geschwindigkeit Fortschritte der Seemacht ein treten werben, die unsere eigenen, durch den Rahmen des Gesetzes begrenzten und sestgelegten Rüstungen zur See stark in den Hintergrund dränge«. De« Deutschen Reiche« Großmachtstellung in Europa beruht auf der Kraft seiner Waffenmacht, der Ehrlichkeit seiner FriedenSvolitik, der Arbeit seiner Bürger. Zur Sicherung gegen Angriff« stehen ihm Oesterreich- Ungarn und Italien zur Veite. Auch in einem europäischen Konflikte — und eö fehlt nicht an dunklen Wolken am Himmel, nament lich im östlichen Wetterwtnkel auf dem Balkan — wird künftig nach allgemeiner Ueberzeugung die Seemacht eine weit bedeutsamere Roll« spiel«», al« in den großen Kriegen von 1848 bis 1871, die durch bas Landhcer allein entschieden worden sind. In der Weltpolitik aber steht Deutschland allein und ohne Bundesgenossen. Nur die Kriegsflotte ist hier da« Werkzeug der Macht, da« Frieden gebieten und Kriege entscheiden kann. Ohne stark zur See zu sein, kann Deutschland weder sein« wirtschaftlichen Interessen verirrten, noch s«in politische« Ansehen ve- haupten, weder als Freund begehrt noch als Feind ge fürchtet sein, weder den Frieden sichern, noch in schicksals schwerer Stunde siegen. Eine Weltmacht ohne starke Flotte ist ein Unding, Weltpolitik ohne Seemacht birgt tausend Gefahren. Und Deutschland hat gar keine Wahl: die aus dem unerschöpflichen Born der Nation aufquellen- den Kräfte treiben es aus den Weltmarkt, und als Groß macht müssen wir in der Weltpolitik auftreten. Die ersten Folgerungen aus den Tatsachen, die in dem Umschwünge der Ereignisse in den letzten zwanzig Jahren wurzeln, haben wir in dem Flottengesetze gezogen. Aber politisch wie wirtschaftlich und militärisch vollziehen sich mit un geheurer Wucht und eilenden Schrittes große und feste Entwicklungsreihen. Eine schwache Rüstung ist teuer und wertlos, sicheren Schutz verleihen kann nur die volle Kraft. Ist daS Reich als Weltmacht und Welthandels staat bereits im Besitze dieser Kraft zur See? Oder kann cs hoffen, in kurzer Frist die nötige Stärke zu erlangen? Die vorstehenden Ausführungen haben versucht, eine Ant wort auf diese Fragen zu finden. An Regierung, Parla ment und Nation wirb es sein, die Antwort in die Tat umzusctzen. Es gilt dem Dasein und der Zukunft des Reiches. Deutsches Reich. H Berlin, 2. Juli. (Der sozialdemokratische Feldzugsplan für die nächste Reichstags tagung.) Herr Bebel, der sich schon im vorigen Herbste das Verdienst erworben hat, durch die Ankündi gung des sozialdemokratischen FeldzugSplans in seiner Hamburger Rede die Ueberwindung der Obstruktion gegen das Zvlltarifgesctz zu erleichtern, hat jetzt wiederum unter dem Eindrücke -er sozialdemokratischen Erfolge bei der Hauptwahl zum Reichstage den sozialdemokratischen Feld- zugSplan für die nächsten Reichstag-taguNgen verrate«; er hat in Karlsruhe neben anderen bemerkenswerten Aeußerungen verkündet: „Wir wollen ketneHandels- vertrage, eö sei denn, daß die Tarife revidiert werdet«. Wir sind stark genug, um im Reichstage die Re vision zu erzwingen." Diese Kundgebung verdient unter zwei Gesichtspunkten Beachtung. Zunächst stellt sie völlig klar, daß die Sozialdemokraten als entschiedene Gegner aller Handelsverträge auf der Grundlage des neuen Zolltarife?, also auch als entschiedene Gegner der Handelsvertragspolitik der Negierung anzu sehen sind. Sie werben nichts unversucht kaffen, um daS Zustandekommen neuer langfristiger Handelsverträge im Reichstage zu verhindern. Da die baldige Beseitigung der Unsicherheit in Bezug auf unsere Handelsbeziehungen zum Auslands im dringenden Interesse deS deutschen Erwerbs- lebens, insbesondere der deutschen Industrie liegt und eS davon wesentlich abhängt, ob die seit einiger Zeit wahr nehmbare Besserung des Absatzes und damit der wirt schaftlichen Lage im ganzen als Dauergewinn ober nur als eine vorübergehende Wellenbewegung anzusehen sein wird, unterliegt es schon jetzt keinem Zweifel, daß die So. zialbcmokraten im Reichstage ihre Stimmen gegen die wichtigsten Interessen des heimischen Erwerbslebens, der heimischen Industrie und demzufolge auch gegen die Inter, essen der Arbeiter selbst, deren Arbeitsgelegenheit und Arbeitsverdienst von der Lage der Industrie abhängt, zu verwerten gedenken. Der zweite beachtenswerte Gesichts, punkt ist in der Ankündigung zu erkennen, daß die Sozial- bemokratie, wenn sie anders ihr Ziel in Bezug auf di« Neuordnung der Zoll, und Handclsverhältniffe zum Aus- lande nicht erreichen kann, auch im neuen Reichstage vor Obstruktion nicht zurückschrecken wirb. Das und nichts anderes ist der Sinn des Satzes, baß die Sozial demokratie stark genug sei, die Revision de« Zolltarifs vor dem Abschlüsse von Handelsverträgen zu erzwingen. Da eS aber bei d«r Zusammensetzung de« Reichstages nicht dem mindesten Zweifel unterliegt, datz die Sozialdemo kratie auf anderem Wege als dem der Obstruktion nicht dazu gelangen kann, ihren Willen in Bezug auf die Zoll- und Handelsverträge burchzusetzen, so liegt in der Bebel- schen Programmrede von Karlsruhe unzweifelhaft di« Ankündigung neuer und planmätziger Obstruktionsver suche der sozialdemokratischen Fraktion. Ob, nachdem der Abgeordnete vr. Barth dem Reichstage nicht mehr ang«. hört, daS Häuflein seiner Partei auch im neuen Reichstage der Sozialdemokratie bei ihren neuen Obstruktionsver- suchcn sekundieren wirb, kann füglich dahingestellt bleiben. Sicher aber ist, datz in dieser Ankündigung deS sozialdemo. kratischen Parteiführers für alle übrigen Parteien de« Reichstages bie bringende Mahnung liegt, sich zur wirk, samen Abwehr solcher Attentate auf die Mehrheit des Reichstage« und demzufolge aus den Reichstag selbst zu rüsten und zu gemein, samer Niederkämpfung dieser Bestrebungen sich zusammen zuschließen. Wie Herrn Bebel« Hamburger Rede im vorigen Herbste sehr wesentlich dazu beigrtragen bat, dir Mehrheit zur Berständigung sowohl über den Antrag Kardorff wie über die sonstigen zur Ueberwindung der Obstruktion notwendigen Maßnahmen zu bewegen, darf auch von der Ankündigung der bevorstehenden Obstrut- tionSversnche der Sozialdemokratie im neuen Reichstage mit Sicherheit di« Wirkung erwartet werden, daß alle anderen Parteien auf ihrer Hut sind und zu einer festen Phalanx gegen die sozialdemokratischen ObstruktionSver. suche sich vereinigen werben. Berlin, 2. Juli. (Zentrum und Welfen.) Nach einer Meldung der „Köln. VolkSztg." hat der »el fisch« Reichstagsabgeordnete für Celle-Gifborn, Frei herr v. Hodenberg, seine Bereitwilligkeit erklärt, den Zentrum betzutreten. Ob dieser Beitritt sich in der Form vollziehen wirb, datz Frhr. v. Hobenberg Mitglied der Zentrumsfraktion wird, oder ob Frhr. v. Hobenberg „Hospitant" b«S Zentrum« wirb, darüber sagt bar rheinische Zentrumsorgan noch nicht«, aber das ist auch nur von unwesentlicher Bedeutung. Bisher ge hörte Frhr. v. Hodenberg zu den drei welfischen Reichs- tagsabgeorbneten, die al« Deutsch-Hannoveraner keiner Fraktion bettraten. Wenn Frhr. v. Hodrnbrrg sich jetzt dem Zentrum anschließt, so begeht er damit einen Akt recht demütigender Selbstverleugnung. Ist doch Frhr. v. Hobenberg durch einen katholischen ZentrumSagrarter au« seinem Wahlkreise Hildesheim verdrängt wordenl Der heftige Streit, der zwischen Zentrum und Welfen wegen der Hildesheimer Wahlvorgänge getobt hat, mußte zu der Frage führen, ob eS in Zukunft den vier wel- fischen Hospitanten der ZentrumSpartei möglich sein werde, das alte Verhältnis zum Zentrum aufrecht zu er- halten. Tritt jetzt selbst Frhr. v. Hobenberg dem Zen- trum bei, bann ist diese Krage gelüst. Und wirb Frhr. v. Hobenberg unmittelbar Mitglied der Zentrums fraktion, dann besitzt letztere wieder einen Renom mier-Protestanten, der „schlagend" beweist, daß das Zentrum — keine konfessionelle Partei ist! Durch Frhrn. v. Hodenberg als Medium scheinen sich bie Be ziehungen zwischen dem hannoverschen Zentrum und den Welfen noch inniger als bisher gestalten zu solle«; die Nationalltberalen Hannovers dürften hiervon ^-a« Gegenteil eines Schadens zu erwarten haben, ^va« Hannoversche Bündlertum aber darf sich jetzt rühmen, daß es durch seine Hilde-Heimer Wahltaktik zwei Zentrumsleute in den Reichstag geschickt hat. L. Berlin, 2. Juli. (Die proletarische» Frauen im Wahlkampfe.) Unter der vorstehen den Ueberschrift gibt das Organ der sozialdemokratischen Arbeiterinnen, die „Gleichheit", überaus lehrreiche Aufschlüsse über die Rolle, welch« bie soztaldemo- kratischen Krauen im letzten Wahlkampfe gespielt haben. Seit Monaten lieben e« sich bie Agitatorinnen Tietz und Kähler angelegen sein, fast an jedem Wochentage eine, an Sonn- und Feiertagen zwei bi« drei Bersanunlnngen abzuhalten. Sehnlich agitierte „Genossin" Ihrerin der Umgegend von Berlin, »Genossin" Gradnauer eben dort und in Sachsen, „Genossin" Luxemburg in Posen, Oberschlesien und in Sachsen, „Genossin" Greifenberg in Bayer» usrv. Ungenlwi« wirksam hab«» sarnae bi« weiblichen Vertrauen-Personen und die besahen, den Krauenorganisationen der Betätigung im Wahlkampfe vorgearbeitet. In dieser Beziehung ver- zeichnet die „Gleichheit" bie folgenden charakteristischen Einzelheiten für die größeren Städte und Industrie- zentren: „Genossinnen halfen fleißig beim Abschreiber und Führen der Wählerlisten, beim Abressen schreiben, beim AuStraaen und Verteilen -er Stimm zettel, beim Verbreiten der Wahlslugblütter usw. Sie beteiligten sich eifrig an dem Sammeln von Geldern, agitierten für den Besuch der Versamm lungen, suchten im Privatverkehr der Sozial demokratie Stimmen und Anhänger zu werben und waren am Wahltage unermüdlich, umsäumigeWähler auf zuspüren und zur Urne zu führen. Sie kletterten in -en großen Mietskasernen treppauf, treppab und wanderten, sozialdemokratische Flugblätter und Broschüren ver- teilend, vor die Tore -er Fabriken, hinaus tn die Vor- ort«, die Dörfer. Gerade bei Verteilung der Wahl literatur hat sich gezeigt, welch äußerst wertvolle Mtthülke die Frau leistet. AuStbrerHanb.auf ihren freund lichen, überzeugenden Zuspruch hin wurden Flugblätter und Schriftchen in gar mancher kleinbürger lichen und bäuerlichen Wohnung ent- gegengenommen, deren Tür einem „Genoffen" vor der Nase -»geschlagen worden wäre." — Daß artt diese umfangreiche und rastlose Tätigkeit der „Genossinnen" nicht nur der Andrang von Frauen und Mädchen zu so- zialdemokratischen Versammlungen zurückzusühren ist, sondern datz auch ein erheblicher Teil de« sozialdemokratt- schen Stimmenzuwachses der in der „Gleichheit" so plastisch geschilderten Agitation sozialdemokratischer Frauen zu- geschrieben werden kann, dafür spricht die innere Wahr- scheinlichkeit in hohem Maße. I« mehr voraussichtlich die sozialdemokratische Frauenagitation -»nehmen und je größere Erfolge sie demgemäß erzielen wird, um so ernst- Hafter sehen sich die bürgerlichen Parteien vor die Frag« gestellt, ob sie nicht ihrerseits der sozialdemokratischen Frauenagita tion durch entsprechend« Organisation der bürgerlichen geeigneten weiblichen Kräfte begegnen sollen. G Berlin, 2. Juli. (Telegramm.) Die „Nordd. Allgem. Zeitung" bSrt, der im Januar al« Gesandter in außerordentlicher Mission nach Washington entsandte bis herige Generalkonsul für Britisch-Jndien, Frhr. Speck ». Stern bur«, sei zum Botschafter bei den Bereinigten Staaten «raannt wordru. — Ueber die Beruf«arten der ReichStagSabge- ordneten veröffentlichen Berliner Blatter eine statistisch« Zusammenstellung. Danach sitzen im Reich«tag 92 Guts besitzer und Landwirt« gehen 112 im alten Reichstag. Davon entfallen 41 auf die beiden konservativen Parteien. 8l Juristen sind im Reichstag vorhanden gegen 111 im alten, ferner 30 Redakteure und 20 Schriftsteller, zusam men 50 bei der TageSprefl« beschLstigte Abgeordnete gegen 40 im alten Reichstag. — Die verllner Kürschairg«hülf»a habe, infolge der un günstigen Bericht«, di« au« dan einzelnen Plvvinzorten gekommen sind, beschlosien, von dem geplanten Sleneralslretk Abstand »» nehmen: man will jetzt gegen einzeln» Firmen Vorgehen, um sie »ur Anerkennung ihrer storoeruna zu zwing«». Mau versvricht sich viel von der Verhängung der Sverre. E« soll«» g«g«a 800 Kürschner und HÜliSarbeiterinnen ausständig sein. — Ueber die Einrichtung von Haus apotheken bei den preußischen Straf anstalten wird in einem Erlass, d«r Minister de» .Kultu» und deS Innern bestimmt: Bei den Straf anstalten und größeren Gefängnissen in d«r Verwaltung de» Innern sind Hausapotheken ernzurichten, in denen Arznei- mittel vorrätig zu halten sind, welch« in größer«! Menge ge braucht werden und dem verderben nicht ausgesetzt sind. Die Reglerunospräsidenten können, nach Anhörung d«S Regierung«, und Medizinalrack, bestimmen, rvalch« Arzneimittel hierfür zu
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