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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.05.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-05-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040517027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904051702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904051702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-05
- Tag1904-05-17
- Monat1904-05
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Anzeigen-PreiS die 6gespaltene Petitzeile 25 ^s. Reklamen unter dem RedakttonSstrich (4 gespalten) 7b nach den Familirauach- richte» («gespalten) KO Tabellarischer und Ziffrrnsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 4- Ertra-Veiiagen (gesalzt), »ur mit der Margen-Auegabr, ohne Postbesvrderuug 60.—, mit Postbeförderung ^ll 70.—. Aunahmeschlutz Mr N»zei»e»r Abend-Ausgab«: vormittag» 10 Uhr. Marge»-Ausgabe: aachmtttag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richte». Die Erpedition ist wochrniag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend« 7 Uhr. Druck und Berlag von G. Pal» in Leipzig (Zah. Dr. R. L W. Kltnthardt). 98. Jahrgang. vsr Aictstigrir vom läge. * E» wird erwartet, in der Kommission zur Revision de» Strafprozesses werde dir Einführung der Berufung beschlossen werden. (S. Dtsch. Reich.) * Generalleutnant v. Trotha bat sich gestern von der Garnison Trier verabschiedet. (S. Aufstand v. Herero.) * In den Eiseubahnwerkstätten zu Madrid kam eS zu Zusammenstößen zwischen Streikenden und Arbeits willigen. * Äu Baues uv er «»getroffenen brieflichen Berichten zufolge find unlängst auf den Admiralitätsinseln fünf Menschen vou Eannibalen getötet und aufaefressen worden, worauf das deutsche Kriegs- schiff „Eondor" vor dem betreffenden Dorfe erschien und es m Braud steekte. Hierauf lieferten die Bewohner die Schuldigen au», di« sofort erschossen wurden. Untere Zeemscbt in Ortarien. Ein Notschrei aus Ostasien kommt mit der letzten Nummer des „Ostasiatischen Lloyd", der folgendes aus- führt: „Nach der Haltung der deutschen Regierung mutz man annehmen, daß sie die hier stationierten Seestreit kräfte für genügend erachtet. Denn, während fast sämt liche übrigen europäischen Mächte Verstärkungen mr ihre ostasiatischen Streitkräfte herausschicken, scheint man in Deutschland an eine Verstärkung gar nicht zu denken. Wir aber, die wir hier draußen die Sache wohl mit interessierterem, aber auch mit einsichtigerem Urteil zu überblicken vermögen, müssen erklären, daß die deut schen Streitkräfte in Ostasien durchaus nicht ge- nügen. Deutschlands Anteil am Handel in Ostasien ist nächst -em Englands der größte; er wächst schnell von Jahr zu Jahr. Dasselbe ist der Fall mit der deutschen Schiffahrt. Mit Bedauern müssen wir bekennen, daß die Streitkräfte Deutschlands zur See, deren Ausbau mit Wachsen unserer Handelsmarine leider niemals Schritt gehalten hat, so kümmerlich schwach sind, daß sie, wie nirgendwo auf der Erde, so auch in Ostasien den aus gebreiteten Handel Deutschlands und seine weitverzweigte Schiffahrt nicht zu schützen vermögen. Man mache sich doch einmal klar, welche Rolle das deutsche Kreuzer geschwader überhaupt in einem Kriege spielen könnte. Das Deutsche Reich hat zur Zeit in Ostasien stationiert einen Panzerkreuzer: „Fürst Bismarck"; zwei Große geschützte Kreuzer: „Hansa" und „Hertha"; einen moder- neu Kleinen Kreuzer: „Thetis"; vier ältere Kleine Kreu zer: „Geier", „Bussard", „Seeadler" und „Sperber"; vier Kanonenboote: „Iltis". „Jaguar", „Tiger" und „Luchs"; zwei Flußkanonenboote: „Tsingtau" und „Vor wärts", später für letzteres das noch in der Zusammen setzung begriffene „Vaterland", sowie zwei Torpedoboote: „8 90" und „Taku". Der Zahl nach scheint das auf den ersten Blick eine beträchtliche Kriegsmacht zu sein. Faßt man jedoch den Wert der einzelnen Schiffe näher ins Auge, so ändert sich das Bild ganz wesentlich. „Fürst Bismarck" ist, abge sehen von seiner geringen Geschwindigkeit, wohl als voll wertiger Panzerkreuzer zu rechnen. Aber schon „Hansa" und „Hertha" genügen nicht annähernd mehr den An- sprächen, die heutzutage an Große geschützte Kreuzer gestellt werden. In der Heimat sind sie deshalb auch schon aus der Front verschwunden. Von den Kleinen Kreuzern ist nur „Thetis" als vollwertig anzusehen; die Schiffe der „Geier"-Klasse sind wohl geeignet, Dienst als Statio näre zu tun, vielleicht auch in Afrika oder in der Südsee die deutsche Flagge zu zeigen, aber als Vertreter des Deutschen Reiches in Ostasien sind sie — vor allem seit dem Ausbruch des Krieges — als veraltet und, da ihnen jeder Schutz fehlt, als unbrauchbar zu bezeichnen. Die Kanonenboote kommen für einen großen Krieg über haupt nicht in Frage. Wohl wird gelegentlich der An sicht Ausdruck verliehen, daß auch die anderen Nationen in Ostasien alte Kreuzertypen hätten und sie auf den Missen und als Stationäre aufbrauchten; was die anderen täten, könne aber auch Deutschland tun. Demgegenüber muß man sich jedoch klar machen, auf welche Macht gestützt die anderen Nationen ihre alten Schiffe in Ostasien fahren lassen. England kann im Vertrauen auf fünf Linienschiffe und sechs Große Kreuzer, die ständig in Ostasien in Dienst sind, sehr wohl auch seine Kleinen ungeschützten Kreuzer und Sloops hier ver wenden. Frankreich hat ständig fünf Große Kreuzer als ostafiatisches Geschwader in Dienst, während eine ganze Anzahl Schiffe als Reservedivision in Saigon klar liegt. Die Vereinigten Staaten haben sogar ein Panzer- und ein Kreuzergeschwader ständig auf der Station. Neben ihnen, von Rußland und Japan ganz zu schweigen, ver schwindet Deutschland vollständig. Augenblicklich ist Tsingtau noch nicht einmal in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Tas wird vielleicht in einem Jahrzehnt der Fall sein. Bis dahin würde den deutschen Schiffen, da sie sich keinem Gegner zur Hoch seeschlacht stellen können, ein ähnliches Schicksal, wie dem „Mandschur", bevorstchen; sie müßten einen neutralen Hafen auksuchen und sich hier rühmlos entwaffnen lassen! Es scheint uns daher eine dringende Aufgabe des Reiches zu sein, dafür zu sorgen, daß Tsingtau sofort so, wie es den Verhältnissen entspricht, in Verteidigungs zustand gesetzt wird. Es ist geradezu ungeheuerlich, daß die für den Ausbau dieses Platzes angelegten Millionen verteidigungslos irgend einem Feinde preisgegeben bleiben. Aber die deutschen Seestreitkräfte haben keines wegs allein die Aufgabe, Tsingtau zu verteidigen. Diese kommt erst in zweiter Reibe hinter der viel wichtigeren, den gesamten deutschen Handel und die deutsche Schiff fahrt zu schützen. Die Stationierung einer Panzer division, vielleicht vorläufig der „Brandenburg"-Klasse, und der Ersatz der veralteten Kreuzer durch moderne, so wie die Aufstellung einer Torpedobootsdivision sind das Mindestmaß, das gefordert werden muß. ver Zuirtancl der Herero. Da» Gcfrcht bei Owikekorer». Ueber das unglückliche Gefecht bei Owikokorero, wo am 14. Mürz die Kolonne des Majors v. Glasenapp 7 Offiziere und 19 Mann an Toten und 3 Offiziere und 2 Mann an Verwundeten verlor, veröffentlicht Major v. Barsewisch, Kommandeur des 1. Seebataillons, einen nichtamtlichen Bericht, den Hauptmann Fische! vom Ma rineexpeditionskorps an ihn gerichtet hat. Der Bericht ist datiert: Befestigtes Lager Onjatu, 25. März: . . . Am 18. März zogen wir, einer breiten Spur folgend, nach Onjatu. Am nächsten Tage ritt der Major v. Glasenapp mit 30 Reitern, 1 Maschinengewehr mit Bedienung und 9 Offi zieren, 1 Medizinwagen dieser Spur nach auf Owikokorero. Vor dieser Wasserstelle fand man viel Vieh ohne Bedeckung, was den Schluß zuließ, daß die Herero in größerer Anzahl in ter Nähe sein müßten. Bald fielen die ersten Schüsse aus den Büschen, man saß ab und nahm das Feuergefecht auf, die Offiziere ebenso wie die gemeinen Reiter, denn der Gegner verstärkte sich und suchte nach seiner Gewohnheit die Flanken zu fassen. Die Pferde standen dicht hinter den Schützen, das Maschinengewehr auf SO bis 60 Schritte dem Gegner gegen über. Nun hatten die Unseren erhebliche Verluste, fast jeder Schuß der Herero saß. Die Bedienungsmannschaft wurde am Maschinengewehr zweimal erschossen, ein Offizier nach dem anderen wurde verwundet. Tgiobek erhielt einen Schuß durch Lie Beine, was ihn aber nicht abhielt, aufs mutigste mit seinem Karabiner weiter zu feuern, indem er sich zu jedem Schuß zum Knien erhob. Die Verluste wurden nun aber so groß, und der Gegner erschien in solcher Ueberlegenhcit, daß v. Glasenapp Befehl gab, auf den Medizintvagen zurückzugehen. Jetzt be kamen die Herero erst recht Mut; sie drängten nach, und die Verluste steigerten sich noch mehr. Dziobek ging noch mit zurück, äußerte dann zu Schäfer, er könne nicht weiter, schrie dann plötzlich auf, stürzte zur Erde und blieb liegen. An ein Fortschaffen der Verwundeten und Toten war nicht zu denken, v. Glasenapp fand glücklicherweise mit Schäfer und Hermann den Medizinwagen, lud diese beiden wie noch einige andere Verwundete auf und fuhr unter dem lebhaften Feuer der Herero zurück, wie durch ein Wunder gerettet I Ein Geschoß batte seinen Mund, eins den Hinterkopf gestreift. Ihm vor aus ritt Oberleutnant zur See ^Mansholt, der um 9 Uhr abends bei mir im Lager einrraf und mir die Meldung von dem furcht baren Verlust brachte, den Sie in der Zeitung schon gelesen haben werden. Einen solchen Verlust hatte es überhaupt hier noch nicht gegeben. Von v. Glasenapp glaubte Mansholt be stimmt, daß er gefallen sei, und cs war an mir, einen Entschluß zu fassen, denn ich war der Aclteste. Nachdem wir Mansholt auf meine Frage gemeldet, daß er die Herero etwa auf 400 schütze und daß die Artillerie in dem dortigen Gelände zu ver wenden sei, befahl ich sofort den Vormarsch des gesamten De tachements auf 11 Uhr, um die Herero mit Tagesgrauen an Ort un- Stelle anzugreifen. Aber Major v. Glasenapp traf nun kurz vor 11 Uhr im Lager ein und hob meinen Befehl auf, tveil wir zu schwach seien; wir bezogen ein befestigtes Lager, in dem wir jetzt noch liegen, und warten anscheinend, bis die Hauptabteilung in Okahandja fertig ist. Sie werden sich denken können, daß wir uns in keiner gehobenen Stimmung befinden. Das Maschinengewehr mit Diunitton, viele Gewehre, Pferde ustv. sind in die Hände der Herero gefallen. Es bleibt uns nur zu hoffen, daß wir noch Gelegenheit finden, die Scharte wieder auSzugleichen. General v. Lrvtha» Abschied vs« Trier. Die Garnison von Trier brachte am Montag währen des Abschiedsessens, das dem zum Höchstkommandierenden von Südwestafrika ernannten Generalleutnant v. Trotha gegeben wurde, diesem eine Fackelserenade. Der Gc feierte erschien mit seinen Söhnen auf dem Balkon des Offizierkasinos und rief mit lauter Stimme: „Adieu Trier!" Die tausendköpfige Menge brach in begeisterte Hurrarufe aus. ver ruttirch.iapanirche Weg. D«r japanische Vormarsch in der Mantschnrei. Die jüngsten Nachrichten vom Kriegsschauplätze geben als Gesamtbild das allgemeine Vorrücken der Japaner in Richtung auf Haitscheng-Liaujang. Die 1. japa nische Armee hat am 11. Mai ihre Avantgarde: ein Regiment Kavallerie, ein Regiment Infanterie und vier Geschütze, 27 Kilometer weit in das Motienling-Defilee bis zum Dorfe Wönnkiatai vorgeschoben und die russische Nachhut (einige Sotnien Kosaken) in leichtem Scharmützel zurückgedrängt. Sie wird seitdem weiter Terrain im Defilee gewonnen haben. Die Straßen östlich des De- filees im oberen Zaoho- und Aihotal sind dagegen von den Japanern geräumt worden. Die Umgehung des Defilees in Richtung des oberen Taitsyeho-Tal ist somit aufgegeben. Dre 2. j a p a n i s ch e A r m e e, von der in Takuscha« nicht zwei, sondern drei Divisionen gelandet zu sein scheinen, hatte am 11. Mai Hsiuyen am oberen Tayangho und den Straßenknoten Hwanghwatien im Unseanho- Tal, einem linken Nebenflüsse des Tayangho, 30 Kilo meter nordöstlich Hsiuyen, erreicht. Sie wird seitdem den Marsch auf den Bahnknoten Taschikiau bezw. über Schimutschöng auf Haitscheng fortgesetzt haben. Die Avantgarden können daselbst in den ersten Tagen dieser Woche eintreffen, um dann längs der Bahn den Vormarsch auf Liaujang fortzusetzen und den Westausgang deS Defilees von Motienling für die 1. Armee freizumachen. Die Nachricht, daß schon am 13. eine japanische Division an jenem Bahnknoten eingetroffen sei, ist nicht glaubhaft. Die bei Pitzewo gelandeten Truppen haben endlich die Bahn Port Arthur-Liaujang gründlich zerstört, hatten aber am 13. noch nicht Dalnij und Talienwan in Besitz ge nommen. Die Besatzung der Kwantung-Halbinsel, auf die sich ein großer Teil der auf der Halbinsel Liautuna verteilten Truppen und die Schutzwachen der Bahn zurück gezogen haben, scheint dem Vordringen der Japaner ernsteren Widerstand entgegenzusetzen, so daß es zweifel haft wird, ob von den Landungstruppen von Pitzewo noch stärkere Abteilungen für den Entscheidungskampf bei Liaujang herangezogen werden können. Dagegen ist die Mobilmachung der 8. japanis chen Armee (5., 10. und 11. Division unter General Nodzu) am 10. Mai beendet worden und dann sogleich ihre Ein- schiffung ins Werk gesetzt. Es ist zu erwarten, daß die selbe in den nächsten Tagen an der Westküste der Üiautung- Halbinsel, vermutlich in der Nähe von Kaiping, landet und dann den Vormarsch über Niutschwang auf Liaujang bewirkt. Trifft diese Kombination zu, so würde Kurv- patkin von drei japanischen Armeen mit im ganzen neun Divisionen oder 140 000 Mann bei Liaujang angegriffen werden und einen folgenreichen Kampf zu bestehen haben. Jedenfalls zieht sich über seinem Haupte ein schweres Ge witter zusammen. Feuilleton. Tamms Garten. Ls Roman von Wilhelm Jensen. Nachdruck verboten Christoph Schloto, der Alte an die Siebzig, hatte sich mühselig durch s lange Leben gearbeitet, zwei Frauen ge habt und von jeder ein halbes Dutzend Kinder. Die zu ernähren und rechtschaffen grobzuziehen, hauste für einen kleinen Hufenbesitzer eine immer neue Fülle von TageS- druck und Sorgen an, hinter denen unablässig das vorher Gewesene wegschwand, wie im Bach ein Wellenschwall den andern verdrängte, keine Erinnerung an die früheren be- ließ. Wenn er am Sonnabend auf der alten Bank vor seiner Klinktür saß un- sich den Genuß einer kleinen Kalkpseife erlaubte, konnte er sich beim Betrachten der Ranchrinael dunkel auS dem Gedächtnis heraufholen, TammS Garten trage seinen Namen nach Einem, der ihn angelegt und Tamm — ihm kam » auch vor, Martin — geheißen hatte. Ob er den einmal mit Augen gesehen, darauf vermochte er sich sticht zu besinnen; jedenfalls mußte der Tamm viel älter als er gewesen und ohne Zweifel nicht mehr am Leben sein. Er hatte wohl al» junger Mensch hier in der Gegend gelebt, war dann aber einmal verschwunden und nicht wiedergekommen. So ungefähr um die Zeit oder vielleicht etwas früher, als auf der andern Seite von dem großen Wasser tm Land, woher der Tabak kam, sich etwa» Besondere» zugetragen haben sollte, wovon damals die Leute öfter gesprochen hatten. Aber für gewiß wußte Christoph Schloto da» nicht mehr, und was damals in jenem Lande geschehen sei, hatte er auch vergessen. Da» Leben war schwer und mühsam, und Dinar, die nichts damit zu tun hatten, konnte man nicht sin Kopf behalten. Unter den Bauernfrauen und dem Gesinde im Dorf lief das Gerücht um, eS gehe in TammS Garten bei Nacht und sogar in Hellem Tageslicht nicht recht geheuer zu: mit eignen Augen hatte zwar niemand etwas davon wahr genommen, aber die Kunde stammte schon au» Miitter- Ueberlieserung und konnte darum nicht angezweiselt werden. Da» hauptsächlich hielt auch die Kinder ab, eS Hund und Katze beim Durchkriechen der altersgebrcch- lichcn Hecke nachzumachen, vor allem natürlich die kleinen Dirnen, die lieber einen beträchtlichen Umweg ein schlugen, als daß sic im Dämmern dicht an der alten Ein friedigung entlang gingen. Doch die Mehrzahl ihrer Brüder handelte ebenfalls gegen den ihnen eingeborenen Naturtrieb, selbst zu der Jahreszeit, in der sich die Zacken falter um die lockende Obsternte versammelten. Nur dann und wann brach einmal ein waghalsiger Junge durch eine Lücke de» morschen Geheges, raffte, vom bunten Geflatter -er anfgescheuchten Schmetterlinge umstobcn, hastig einige Handvoll Birnen und Pflaumen zusammen, stopfte sich hurtig die Taschen damit und rannte, rascher klopfenden Herzens, wieder zum nahen Durch schlupf zurück. Was er drinnen gesehen und gehört, konnte er seiner fragenden, bereitwillig die Beute mit ihm teilenden Kameradensippe nicht in klaren Worten angsben, aber unheimlich war» gewesen, wie's um Mitternacht auf einem totenstillen Kirchhofe sein sollte, und Verstärkte bei den hinter einem Feldknick tapfer dreinbeißenden Zuhörern noch mehr die Bewunderung vor des Heldenmut« de» Erzähler- und das Gruseln vor Tamms Garten. So hatte dieser nur einen einzigen regelmäßigen Be sucher an Dietger Lindenholz, den indes bald seit einem Jahrzehnt lang, denn schon al» Quintaner war er ein mal, ob zufällig oder au» Knabenneugier, durch die vuchenhecke hineingeschlüpft. Wie'S zuerst geschehen, wirkte er nicht mehr, aber seitdem war, auch während des Winter», kaum jemal» eine Woche vergangen, die ihn nicht wieder dorthin gebracht hätte. Wie beim ersten Mal benutzte er stet» eine Zugang-Möglichkeit an -er von den Dorshäusern abgekehrten, gewöhnlich völlig einsamen, freien Aeldseit« der Umzäunung, wohin keine Augen sahen; ein Bewußtsein war in ihm, baß er Unerlaubtes tue. Doch er konnte nicht ander», der Trieb dazu überwog seine Willenskraft, und mit den Jahren beschwichtigte ihr» auch ein Gefühl, al» habe er ein altes Recht, den Garten »u besuchen, wo er nicht» wollte, al» darin gehen und stehen und »m sich her »licken; seine Füße «nd Hände schädigten dort nicht», er pflückt« keine Blume, rührte keine abgesallene Frucht, geschweige denn am vaumgczweig an. Die Heckenlücke, die er al» kleiner Junge ausfindig gemacht, batte er wohl mittel» seiner stetigen Wiederkehr so erweitert, daß sie ihn auch setzt noch, al» bockgewachsenen Primaner, ohne Beschwerlichkeit hindurch ließ; doch faß'» fast au-, als habe sie selbst sich beflissen, ihm jedes Hindernis auS dem Wege -u räumen und den leichten Zutritt für ihn freizuerhalten. Einmal war er an der andern Seite der Einfriedigung vorübergekommen, als eine der Torpforten offen gestanden, weil die beiden alten Mannsleute mit dem Kortschaffen des Herbstlaubes beschäftigt gewesen. Da hatte er sich ein Herz gefaßt, zu fragen, was sie machten und wem TammS Garten gehöre, doch die ihm unverständliche Antwort bekommen: „Dat weet ich nich, dat iS dato utsett". Was das bedeute, eS sei dazu ausgesetzt, konnte er sich nicht erklären, aber auch danach noch weiter zu fragen, fehlte ihm der Mut; denn er fürchtete, die Männer sähen seinem Gesicht an, er kenne genau jeden Schritt «nd Tritt im Innern des verschlossenen Gartens. Im Taufbuch der Stadtkirche stand sein Rufname als Dietger verzeichnet, doch wurde er gemeintglich oder auS- nahmslos Dieter genannt und schrieb seinen Namen selbst auch so auf seine Schulhefte. Er war der einzige Nach komme eine- kleinen städtischen Magistratsbeamten, der beim Heranwachsen deS Knaben im Dorfe eine billigere Wohnung gesucht, um die Mittel zu ersparen, daß er seinen Sohn aus die gelehrte Schule bringen und über den Stand seiner Borfahren hinaufhebcn könne. Das war dem Bater bet viel sonstiger Einschränkung auch ge lungen, doch vor mehreren Jahren hatte ihn plötzlich der Tob weggerafft, so daß er die Hinterbliebenen in noch engeren Berhältniffen zurückbelassen. Die Witwe richtete sich zur Unterstützung ihrer geringfügigen Pension einen kleinen Laden mit allerhand für weibliche Bedürfnisse im Dorfe absetzbaren billigen Waren ein; sie hätte lieber ge. jehen, daß Dieter ihr dabei als Gehlilfe zur Han- ge- gangen ober sonst in ein Geschäft als Lehrling ein- getreten wäre, um selbst sich seinen Unterhalt zu ver dienen. Doch ein Testament deS BatcrS hatte al» unan rührbare Bestimmung verfügt, die von ihm nach und nach zurückgelegte Geldsumme solle für seinen Sahn zur Be streitung der Kosten des Gymnasiumbesuches und, so weit sie noch darüber htnauSreiche, für sein Universitäts studium verwendet werden; daran ließ sein in der Stabt ansässiger Vormund, der den nachgelassenen Betrag in Verwahr hatte, ein alter Advokat und ehemaliger Freund de» Verstorbenen, nichts deuteln und ändern. So lebten Mutter und Sohn in zwei engen Stuben eines der kleinen, währenb be» letzten Jahrzehnt- in die ländliche Umgebung hinetngebauten, mit Zicgelpfannen über, dachten Häuser, dessen andere Hälfte der Dorftischler mit seiner Werkstatt einnahm, und Dieter LindenHolz ging wie vor dem Abscheider» seines Vaters täglich zweimal mit seinen Büchern zum Gymnasium in die Stadt hin un wieder. Nicht leicht war's ihm gemacht, zumal im Winter, an einem schmalen Ecktisch bei trübseliger Beleuchtung seine Schularbeiten zu stände zu bringen, aber er tat'», nicht anders gewöhnt, unverdrossen und ebenso mit gutem Erfolge. Seine Lehrer maßen ihm für die Mehrzahl -er Fächer, besonders für die griechische Sprache und Mathe matik, nicht sonderliche Begabung zu, -och ordnungsmäßig rückte er ohne Stocken von Klaffe zu Klaffe auf und war so bis nicht weit mehr vom Abgang auS der Prima ge- langt. Bon dem Dohne eines unstubierten Subaltern- beamten, der nicht den Kreisen wirklicher Bildung an- gehört hatte, ließ sich nicht mehr erwarten und verlangen. Eine kärgliche Lebensführung war'» bei den geringen Mitteln im Hause, allein die knapp bemessene Kost brachte ihn doch auch leiblich zum Gedeihen; er kannte nicht andere und trug kein Begehren nach reichlicherer oder schmackhafterer. Bei schlankem Wüchse gebrach'- ihm nicht an voller jugendlicher Kraft, schwächende Krankheiten hatte er nie zu überstehen gehabt. Mit blauen Augen und braunblondcm Haar ähnelte er seinem Vater wohl etwas, doch der Ausdruck des Gesichte- war freier und geistiger belebt, nicht von Sorgen und täglich wieder kehrender, ermüdender Arbeit in dumpflustigem Bureau bedrückt. Als kleinerer Knabe hatte er den Anschein einer oberflächlichen und zur Leichtfertigkeit geneigten Natur er. regt ober wohl in Wirklichkeit solche in sich getragen, die ihn nur an lautem Umtriebe mit andern Jungen Ge- fallen finden und für nichts sonst ein Interesse fassen ließ. Aber -a- war tm Gange der Jahre ander- geworden, eher zu einem Gegensätze stiller Zurückziehung von seinem früheren Treiben umgcartet. Bet Gelegenheiten konnte er wohl noch Frohsinn bezeigen, doch machte er im ganze» den Eindruck eines ernsthaften innerlichen Wesens. Diese Aenderung fiel seinen Lehrern und denen, die ihn sonst kannten, begreiflich: denn mit zunehmender Einsicht mutzte auch ein Verständnis deS Ernste- seiner Lage und Leven-zukunst in ihm reifen, für die seine Mittellosigkeit ihn später nur auf eigene- Weiterkommen Lurch erworbene Kenntnisse und Tüchtigkeit anwies. Diese Wandlung hatte indes ihren ersten Ursprung doch auS etwa-anderem genommen, dem in ihm erwachten Gefühl und der Einwirkung einer Zwitterstellung, in der er sich nach zwei Richtungen befand. Zunächst im Haus«,
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