Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.05.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-05-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040518014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904051801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904051801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-05
- Tag1904-05-18
- Monat1904-05
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis Kl der Lauptexpedttiou oder deren Ausgabe stelle» avgehoit: vterteljShrltch S.—, bei zweimaliger tügltcher Zustellung int HauS -4! 3.75. Lurch die Pvsl bezogen für Deutsch land n. Oesterreich vierteljÄrlich 4.50, für die übrigen Lander laut ZeitvagSpretSItste. JohanuiSgafle 8. Sprechstunde: 5—6 Uhr Nachm. Fernsprecher: 153. Grpe-ttio«: JohanntSgassr 8. Fernsprecher: 222. Filtalexpedttione»: Alfred La h»,Buchhandlg.,UniversitSttstr.8 sFeruspr. Nr. 4O46),L. Lösche, Katharinen straße 14 (Fernsprecher Nr. 2935) u. KvntgS- Platz 7 (Fernsprecher Nr. 7505). Lannt-Filtale Dresden: Marienstraße 84 (Fernsprecher AmtINr. 1713). Haupt-Filiale Bersin: CarlDuncker,Her^l.Bayr.tzofbuchbandlg., Lützowstraße 10(FernsprecherAmt VI Nr.4603.) Morgen-Ausgabe. MpMer TagtlilM Anzeiger. Amtsblatt -es Höniglichen Land- und des -königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Volizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen» Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedaktionSftrich (4gespaltrn) 7b nach de» ffamiltenoach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ztffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossrrtenaunahme Ä 4- Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSaabe, ohne Postbeförderuug SO.—, mit Postbesördernng ^tz 70.—. > Snnahmeschlutz für Anzeigen: Nbend-Au-gabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgab«: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zn richten. Di« Expedition ist wochentags nnunterbrocheu geöffnet von früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pal, in Leipzig (Inh. Dr. «., R. L W. LltukhardK Nr. 25V. Mittwoch den 18. Mai 1904. 98. Jahrgang. Var Mchtigrte vom lagt. * An maßgebender Stelle wird die Nachricht vom Abschluß der deutsch.russisch en Handel s- vertragSverhandlungen sür verfrüht erklärt. * Der Reichstag wird, wie verlautet, am 20. Juni vertagt werden. * Das preußische Abgeordnetenhaus überwies gestern die Kleinbahnvorlage der Budgetkommission und vertagte sich alsdann bis zum 7. Juni. (S. Bericht.) * Die Arbeitgebervercinigunaen, die bisher der Zentralstelle des Vereins Deutscher In dustrieller noch fern standen, haben eine eigene freie Vereinigung gegründet, die zu der „Zentralstelle" in ein Kartellverhältnis treten wird. * Die Räumung Niutschwangs durch die Russen wurde gestern vormittag 10 Uhr beendet. (D. russisch-japanischer Krieg.) ver Kampf um Oar sintt. Seit der Rückkehr dcS Kaisers von seiner Mittelmeer reise kriselt es in den höchsten Regionen der Reichs- regierung, oder, bestimmter ausgedrückt, ist die Stellung des Reichskanzlers Grafen Bülow schwer erschüttert. Die Gründe dafür sind nicht weit zu suchen: man kann sie in das Schlagwort zusammenfassen, das unter dem Fürsten Bismarck während der letzten Jahre seiner Aintsführung aufkam: Es gelingt nichts mehr. Aber was vor fünfzehn Jahren doch nur die Meinung eines verhältnismäßig kleinen Teiles des Volkes war, das ist hellte communis opinio. Es gelingt nichts mehr, weder in der äußeren, noch in der inneren Politik. Tie äußere Lage, die sich an. gesichts des russisch-japanischen Krieges so günstig anließ, ist gründlich verfahren. Englands schlaue Politik hat uns sozusagen die Butter vom Brote genommen; und Herr Telcasss, der verständnisvoll in die englische Kerbe schlug, hat unS völlig matt gesetzt. Wir sind heute auf dem Ge biete der sogenannten Weltpolitik, so ziemlich beiseite geschoben und sehen mit einer nicht ganz freiwilligen Un- eigennützigkeit zu, wie die übrigen Großmächte ihre Machtsphären erweitern. Die ungemütliche Stimmung wird durch die Jehl- schlage im Innern verschärft. In Preußen ist selbst der Torso deS Mittellandkanals noch längst nicht „ins Trockne" oder vielmehr unter Wasser gebracht. Die Konservativen machen immer neue Schwierigkeiten, weil sie die Schwäche der Regierung nur zu gut fühlen und des halb den Preis ihrer Zustimmung immer höher schrauben. Auf der anderen Seite kommen die neuen Handels verträge nicht recht vom Fleck, und zwar wieder, weil man die Konservativen nicht vor den Kopf stoßen will. Denn es ist ein offenes Geheimnis, daß Rußland nicht zugleich die Minimalzölle auf Getreide und die höheren Fleisch, zölle bewilligen will. Nimmt man dazu, daß auch die Arbeitsleistung des Reichstages wohl nicht quantitativ, aber qualitativ sehr gering ist, daß besonders jeder große Zug in unserer inneren Gesetzgebung vermißt wird, so ist die allgemeine Unzufriedenheit nur zu verständlich. Das politische Leben stagniert eben, und Stagnation ist heute mehr als je gleichbedeutend mit Versumpfung. Dieser bedenkliche Zustand ist natürlich auch dem Kaiser nicht verborgen geblieben. Aber es scheint doch, als ob diese allgemeinen Zeichen des Niederganges nicht allein für die Depression verantwortlich sind, die in den höchsten Regionen der Reichsregierung herrscht. Viel mehr sicht es so aus, als ob, wie so oft, auch diesmal ein kleiner Stein die Lawine ins Rollen gebracht hat. Man erinnert sich, daß Graf Caprivi, der eben noch so fest im Sattel saß, über einen Artikel der „Köln. Ztg." zu Fall kam. Diesmal scheint der „Berl. Lok.-Anz.", der zu einem Moniteur des Reichskanzlers aufgerückt ist, seinem Herrn und Meister den Bärendienst geleistet zu haben. Es handelt sich um die Meldung, daß Leutwein die Flinte ms Korn werfen wollte, wenn Throta käme. Trotha aber ist der Mann des Kaisers. Nun wäscht freilich der Reichs- kanzler in sämtlichen offiziösen Blättern — es gibt deren heute eine stattliche Zahl — seine Hände in Unschuld. Er wußte von nichts, und Leutwein wußte auch von nichts; Leutwein will auch gar nicht von seinem Posten weichen; so wird immer wieder versichert. Vielleicht stimmt das sogar, so weit Lcutwein in Betracht kommt und man von der Gegenwart redete. Das gutmütige Publikum wird es auch wohl glauben; aber ob es auch an der Stelle ge- glaubt wird, auf die es ankommt, das ist die große Frage. Bei solchen Geschichten bleibt erfahrungsgemäß immer etwas hängen, besonders wenn sie mit der nötigen Be tonung vorgetragen werden. Immerhin ist Graf Bülow kein zweiter Caprivi. Er beugt vor, so lange es noch Zeit ist. Und man muß zu- gestehen, daß er es mit Geschick getan hat. Seine Rede, die er am Mittwoch im preußischen Herrenhause hielt, war ein kleines Meisterstück — immer von seinem Stand punkte auS. Er verteidigte gegenüber dem Frhrn. von Manteuffel und dem Grafen Mirbach seine bisherige Politik, er rechtfertigte sich gegen die Vorwürfe, daß er noch immer die Handelsverträge nicht gekündigt und noch immer kein Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie eingebracht, auch das Reichstagswahlrccht noch nicht ab- geändert habe. Und doch wußte er den Beifall der hohen Herren der ersten preußischen Kammer zu finden. Der Grund ist nur scheinbar dunkel. In Wirklichkeit liegt er auf der Hand. Denn die Argumentation des Grafen Bülow ging doch dahin: Wenn ich gehen muß, dann wird es noch viel schlimmer, schlimmer natürlich im Sinne der konservativen Mitglieder des Herrenhauses; dann kommen „ernste Zeiten", natürlich wieder sür die konservative Partei. Die Konservativen werden sich noch einmal nach den „Fleischtöpfen" des Grafen Bülow zurücksehnen. Kurzum, Graf Bülow sagte: Ihr müßt mich schon nehmen, wie ich bin, zumal da ich ja unter Umständen auch anders kann; wenn es gar nicht anders geht, dann kann ich mich auch zur Kündigung der Handelsverträge ent schließen; wenn das Volk einen gar zu zukunftsstaats freundlichen Gebrauch von dem Reichstagswahlrcchte macht, dann kann ich das Wahlrecht auch ändern; mit mir könnt ihr immer noch leben; ich habe für euch eine sanfte Hand; aber nach mir kommt die Sintflut. Diese geheimnisvolle Drohung mit künftigem Unheil hat offenbar die geborenen Gesetzgeber der preußischen Monarchie mürbe gemacht. Aber dabei blieb eS nicht. Was der Kanzler im Herrenhause begonnen, das mußte die Presse vollenden. Und so liest man denn jetzt in allen Blättern, die für die Inspirationen des auswärtigen Amtes empfänglich sind, geheimnisvolle Hinweise auf den kommenden Schrecken, der mit einem Kanzlerwechsel untrennbar verbunden sein würde. Dabei wird natür lich auf die Richtung der Leser gebührend Rücksicht ge nommen. In der Zentrumspresse wird es so dargestellt, als ständen die Männer, die den.Grafen bfnaus- tragen, schon in den Personen der Ballin und Wiegand, Witting und Goldberger vor der Tür. In der mehr liberal gerichteten Presse wird der Popanz eines starken Mannes an die Wand gemalt, der rücksichtslos Recht und Gerechtigkeit mit Füßen tritt; oder man droht auch wohl damit, daß die Agrarier, deren Ansturm Graf Bülow niit Mühe abgewehrt habe, künftig Oberwasser ge- Winnen und unseren ganzen Außenhandel ruinieren werden. Diese Gemälde der Zukunftsgefahren wider- sprechen einander gründlich. Wenn die eine Eventualität eintritt, so kann die andere nicht verwirklicht werden, und umgekehrt. Sie alle aber können sich mit einem Schein von Recht auf die HerrenhauSrede deS Grafen Bülow be- rufen, die vieldeutig ist wie die Bibel und jedem etwas bringt. Ob diese eifrige Arbeit mit verteilten Rollen Erfolg haben wird, kann dahingestellt bleiben. Unseres Er achtens kommt es bei der eminent persönlichen Politik von heute überhaupt nicht so sehr darauf an, ob der vierte Kanzler noch eine Zeitlang bleibt oder bald einem Nachfolger Platz machen muß. Deshalb bedeutet ein neuer Mann an seinem Platze auch mehr, daß sich der Wind gedreht hat, als daß er selbst anderes Wetter machen sollte. Es war uns nur darum zu tun, auf diesen recht interessanten Kampf um das Amt hinzuweisen, der sich augenblicklich abspiclt. Man kann dabei nicht umhin, die große diplomatische Geschicklichkeit des Grafen an- zuerkennen, eine Geschicklichkeit, die in der auswärtigen Politik vielleicht goldene Früchte hätte zeitigen können, wenn sie angewandt worden wäre. Dabei kann natürlich die Amtsdauer des vierten Kanzlers noch nach Wochen und Monaten rechnen. Viel- leicht soll er erst noch sein Pensum aufarbeiten, daS in der Hauptsache in der Durchsetzung der Kanalvorlagc und in dem Abschluß der Handelsverträge besteht. Bis diese Aufgaben gelöst sind, könnte die Krisis vertagt werden. Erweist sich ihre Lösung als unmöglich, dann freilich hilft dem Grafen Bülow auch die geschickteste Taktik zur Hinausschiebung der Scheidestunde nichts mehr. ver vnMsno Ser Herero. Die Reihenfolge de« Abgang« der deutschen Truppen- transporte ist nunmehr wie folgt festgesetzt: Zunächst werden am 20. d. M. die beiden Dampfer „Eleonore Woermann" und „Montevideo" mit 24 Offizieren, 40 Unteroffi zieren und 500 Mann, sowie 800 Pferde nach Ewakopmnnd von Hotabiug iLgeü - 1 folgt' am 7. Juni der Norddeutsche Llo:,d- dampfer „Schleswig". DaS Schiff liegt znrzeit in Bremerhaven und erhält Pferdcställe eingebaut, es wird am 3. Juni in Hamburg erwartet, um die Pferde und Truppen an Bord zu nehmen. End lich ist noch der Hamburger Danipfer „Palatia" gechartert worden der am 17. Juni 39 Offiziere und 671 Mann sowie ca. 900 Pferde nach Südafrika bringen soll. Wie nach dem „B. T." verlautet, hatte Generaldirektor Ballin von der Hamburg-Amerika-Linie und der Direktor Amsinck von der Hamburg-Südamerika-Dampfschiffahrts- Gelellschaft dieser Tage eine Audien z bei dem Kaiser. E« handelte sich hierbei um Besprechungen über weitere größere Truppentransporte für Vüdwest-Afrika. General leutnant von Trotha, der neue Oberbefehlshaber des Feuilleton. DieDirigentenlaufbahn Heinrich Zöllners. Don Eugen Segnitz (Leipzig). „Es gibt zwei feindliche Gewalten, das Recht und die Schicklichkeit", meinte Goethe einmal. Statt Schicklichkeit könnte man auch sagen: die Musik. Jurisprudentia und Musika sind zwei Damen, die sich gar ost ihrer Jünger und Söhne halber in den Haaren liegen. Denn nicht jeder, der sich als Mulus wissenschaftsdürstend in die Arme der Rechtsgelahrtheit stürzte, blieb ihr treu, sondern ging mit Sang und Klang hinüber ins feindliche Lager, über dem ihm symbolischer Weise der Himmel voller Geigen zu hängen schien. Nicht allen ist's geglückt, dieses oKüMsr und oromc-r, wie mans wohl inl zierlichen Reigentänze benamset — im Gegenteil, aus manchem ist nichts geworden als sein eigenes Minus, und das Aeml- lein lebte mehr von ihm als er vom Aemtlein, sintemalen Jurisprudentia als echte Frau zu mehreren Malen leichter daS Herz als den Magen des Mannes zu erraten pflegt. Und es wäre wohl ein löblich Geschäft, zu Nutz und Frommen für manchen, am Scheidewege stehenden Pseudo-Herkules, Leben, Taten und Meinungen aller derer auf- und herzuzählen, so es vorzogen, ihre Nasen statt in die Institutionen, Pandekten, in den 0oä«x von- kUtutionum und die Novellen lieber in die Lehrbücher der Harmonie, des Kontrapunktes, der Fuge und Jnstrumen- tationslehre zu stecken. Die schlechtsten Früchte sind eS nicht, woran die Wespen nagen, und Frau Musika weiß nur zu gut, wenn sie das jus avocancki auSübt und ihrer Feindin einen besonders begabten Anhänger abspenstig macht. Noch eine gute Weile könnte unterzeichnetes Schreiberlein über besagtes Thoma weiter predigen, in dessen bedräuen ihn drei Möglichkeiten: zum ersten möchte ihm der wohlgeneigte Leser (freilich zum eigenen Schaden und Verlust!) ungeduldig werden, zum andern streicht ihm etwa die löbliche Redaktion, Platzmangels und hoher Papierpreise wegen, seine besten Gedanken weg und zum dritten möchte er gar vielleicht auf dem langen Wege der Vorrede zum Artikel eine» schnellen und unverhofften Todes erbleichen. Keines aber von diesen dreien wäre ihm sonderlich erwünscht. Zu denen, die dereinst au? den Banden der Jurispru- denz echappierten und M der sröhlichen Wissenschaft zu- wandten, gehört auch Heinrich Zöllner. Am 1. Julr 1850 als Leipziger Kind geboren, noch dazu Sohn Carl Friedrick: Zöllners, den: der Männergesang seine hohe Stellung im deutschen Kunstleben verdankt — eS '.väre schier verwunderlich gewesen, hätten die Musen nicht Pat-enstelle an ihm vertreten! Und e» kam, wie es geschehen sollte. Nachdem Zöllner das Gymnasium in Bautzen absolviert hatte, kehrte er zu den heimatlichen Penaten zurück, um sich an der Universität als stuäiosns juris immatrikulieren zu lassen. Zugleich aber trat er in den Universitätsgesangverein zu St. Pauli ein, leitete unter vr. Hermann Langer einige Semester hindurch (1875 und 1876) als Vizedirektor die Uebungen des Dec- eins und studierte am Königlichen Konservatorium die Musik unter Anleitung von Reinecke, Judassohn, Wenzel und Richter. Anderthalb Jahre nach Abgang von Uni versität und Konservatorium folgte Zöllner (im Ok tober 1878) einen: Rufe als Musikdirektor an die Uni versität Dorpat. Seine offizielle Tätigkeit bestand in der Leitung des dortigen akademischen Gesangvereins und eines gemischten Chors. Dorpat war damals noch eine durchaus deutsche Universität, deren Lehrkörper nur aus Dozenten deutscher Nationalität bestand, während jetzt bekanntlich schon die überwiegende Mehrzahl der Professoren Rusten sind und auch die Kollegien meist in russischer Sprache gelesen werden. Die ersten Proben und Uebungen leitete der Künstler in: No vember des genannten Jahres, das erste Konzert aber am 18. Mai 1879. Energisch trat Zöllner gleich für die deutsche Kunst ein — es war die erste Aufführung des „Messias" von Händel, die im größten Gotteshause der Stadt, der Johanniskirche, stattfand und unter solistischer Mit wirkung der Frau Baronin von der Osten-Sacken, der Frau Staatsrat Mithoff und des Herrn von Schulmann von großen: Erfolge begleitet war. So hatte sich Zöllner mit einer wirklich künstlerischen Tat in seinen Wirkungs kreis eingeführt. Zum 400jährigen Jubiläum von Luthers Geburtstage hatte der Künstler ein (bis heute noch Manuskript gebliebenes) Oratorium „Luther" kom poniert, das an: 31. Oktober 1882 gleichzeitig in drei Städten, nämlich Dorpat, Reval und Petersburg, zur Aufführung gelangte. Ueber sechs Jahre, bis zum Sommer 1886, verblieb Zöllner in Dorpat, wo er sich vor allem auch die Pflege des » oappellL-Gesanges an gelegensein ließ und sowohl die Werke älterer ita lienischer wie auch deutscher Meister berücksichtigte. Don modernen Meistern wurden insbesondere Brahms und Rob. Schumann bevorzugt, von Letztgenanntem auch z. B. zwei ungemein selten gehörte Werke, das Requiem und die Messe (beide für gemischten Chor und Orchester), vorgeführt. Zudem hatte Zöllner auch die Leitung der „Musikalischen Gesellschaft" übernommen. Dorpat be saß kein großes, vollbesetztes Orchester und daher mußten die fehlenden Instrumente den Händen mehr oder weniger kunstgeübten Dilettanten anvertraut werden. Zur Ueber- nähme dieser Aufgabe erklärten sich die Vorstände des Vereins, meist UniversitätSprofestoren, dann mit Freuden bereit, und so trat hier der gewiß seltene Fall ein, daß » B. die Schlaginstrumente, nämlich große Trommel, Becken und Triangel, in Zöllners Orchester durch drei Exzellenzen besetzt waren! Ein anderes Mal bedauerte man lebhaft, daß das zweite Fagott nicht be setzt werden könnte. Nach vier Wochen bereits trat Plötz- lich ein junger Dozent der Universität, dessen Stärke sonst das Diolaspiel ausmachte, wohlbewaffnet zu neuen Kunsttaten mit einem Fagott an. Innerhalb eines Monats hatte er sich die Technik dieses Instrumentes angeeignet, doch kehrte er, nicht zum Unsegen der Klangfarbe des Orchesters, bald zur Bratsche zurück und ist auch heute noch, als Professor der Universität Leipzig, selbiger treu geblieben. Dorpat lag ziemlich abseits des eigentlichen großen Kunstlebens und seine musikalischen Verhältnisse mußten, so erfreulich sie an sich auch waren, doch immer hin auf einen kleinen Kreis beschränkt bleiben, so daß Zöllner im Sommer 1885 seine Entlassung nahm. Hauptsächlich wurde dieser Schritt durch einen Besuch bei Franz Liszt veranlaßt, der für Zöllners damals im Entstehen begriffenes Musikdrama „Faust" das leb hafteste Interesse bekundete. Der Künstler folgte nun gern der Aufforderung des berühmten Kölner Männer gesangvereins, sein D:rektorat zu übernehmen, und trat auch in das Lehrerkollegium des dortigen Konser vatoriums ein. Als drittes Amt wurde ihm die Leitung des vordem unter Ferdinand Hiller ^stehenden „Städtischen Gesangvereins" übertragen. Schließlich widmete Zöllner auch noch dem Richard Wagner-Verein seine Kräfte, der sich unter ihm aufs beste entwickelte. Gelegentlich der Tonkünstlerversammlung des All gemeinen Deutschen Musikvereins zu Köln war Zöllner einer der Festdirigenten und errang bei dieser Gelegen heit mit seinem Männergesangverein durch die außer gewöhnlich schöne Wiedergabe je eines Chores von Cornelius, Rheinberger und Schumann einen großen, um so schwerer wiegenden Erfolg, als ihm der auf dem Gebiete des » cappella - Gesanges eine der größten Autoritäten darstellende Professor Franz Wüllner mit seiner Schar gegcnüberstand. — Auch ging von Zöllner gelegentlich großer patriotischer Feste die erst malige Vereinigung sämtlicher Männergesangvereine der Stadt Köln vor sich. So z. B. an dem 90. Geburtstage Kaiser Wilhelms I., ferner bei dessen und Kaiser Fried- richs Totenfeier. Einen Glanzpunkt von Zöllners Wirken als Dirigent deS Kölner Männergesangvereins bildete die berühmte Reise dieser Korporation nach Italien (1889). Es fan den Konzerte statt in Mailand, Turin, Genua, Venedig, Bologna, Florenz, Neapel und Rom. In letzterer Stadt brachte man es sogar auf fünf musikalische Veranstal- tungen, deren zwei öffentlichen, drei privaten Charakters waren. So ziemlich auf allen sieben Hügeln der ewigen Stadt musizierte damals der Verein unter Meister Zöll ners Leitung; in der seit Palestrina» Zeiten -er berühm ten Musikalischen Akademie, in dem der deutschen Bot schaft gehörigen, auf dem Kapitol befindlichen Palazzo Caffarelli und im königlichen Palaste auf dem Quirinal spendete der ausgezeichnete Verein seine Sangesgaben. Diese Sängerfahrt brachte Zöllner auch die persönliche Be- kanntschaft mehrerer bedeutender Komponisten, unter ihnen Verdi, Sgambati und Boito. Infolge der hervor ragenden Erfolge des die deutsche Sangcskunst repräsen- tierenden Vereins wurde Zöllner nach der Heimkehr vom Kaiser von Deutschland durch das Prädikat Königlicher Musikdirektor und vom König Humbert von Italien durch die Ernennung zum Ritter der italienischen Krone aus gezeichnet. Im Jahre 1890 wurde Zöllner die Leitung des größ ten Chors der Vereinigten Staaten angetragen. Es war der deutsche Verein „Liederkranz" in New Aork, dessen Ruf Zöllner Folge gab, um auch einmal ein paar Jahre in dem viclgelobten Dollarlande zu verbringen. Aber aus den „paar Jahren" wurden deren acht. Der „Liederkranz" besteht aus einem Männerchor und einem gemischten Chor. Seine Konzerte finden stets unter Mitwirkung der besten Orchester New Aorks statt. Auch hier fand Zöllner einen bedeutenden und umfangreichen Wirkungskreis und Gelegenheit, mancher interessanten musikalischen Neuheit Eingang in das Land der Aankees zu verschaffen. Und zwar um so mehr, als ihm des öfteren die Leitung großer Musikfeste übertragen wurde. So dirigierte er teilweise die nordamerikanischen Sängerfeste zu Cleveland und New Aork, dasjenige in Pittsburg (1896) aber als Haupt- festdirigent. Wie vorher mit dem Kölner Männergesang verein, so unternahm Zöllner auch jetzt mit dem New Aorker „Liederkranz" eine große Konzertreise, die ihn im Wcltausstellungsjahre 1893 nach Cincinnatt, St. Louis, Chicago, Milwaukee, Cleveland und Buffalo führte. Als Professor Hermann Kretzschmar in Leipzig im Sommer 1897 durch Krankheit verhindert war, das 75. Stiftungsfest des von ihm geleiteten Universitäts gesangvereins zu St. Pauli zu dirigieren, ersuchte die Korporation Zöllner, ihren „alten Herrn", um Ueber- nahmc der Leitung der beiden geplanten Festkonzerte. Zöllner verließ Amerika, kam, dirigierte und wurde ein Jahr darauf, nach Kretzschmars definitiv erfolgtem Rück tritte, als Universitätsmusikdirektor nach Leipzig berufen, woselbst er auch die Leitung des „Paulus" dauernd über nahm. — Wie die Ideen, sagt Jean Paul, so werden die Lebensbahnen vom Zufall angewiesen. Die Norn hat es freundlich gefügt, daß Zöllner einen Kreislauf auf seiner Lebensbahn beschrieb und als Dirigent wieder zu dem Vereine zurückkehrte, von dem er vor 25 Jahren auSging. Möge der verdienstvolle Künstler ihm und dem Qmst- leben Leipzigs fernerhin erhalten bleiben!
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite