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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.05.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-05-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040518028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904051802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904051802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-05
- Tag1904-05-18
- Monat1904-05
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Lrrzeigerr-PreiA die «gespaltene Petitzeile 25 Reklame, rurtrr dem Redaktionsftrich («gepalt«,) 7V »ach da» Familieuoach- richten (8 gespalten) KO 4 Tabellarischer und Ziffernlatz entsprechend höher. — Sebührrn für Nachweisungen und Ofsertrnauaa-am LK Grtra-Veila,e« (gesalzt), »nr mit der Morgen-Au-gab«, obue Poftbefördernug SO.—, mit Postbrsürdrnutg 70.—. Auuahwefchluß s«r >»zei«e»r Abend-Autgab«: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: uachmtttagS 4 Uhr. Anzeigen find st«» an di, Expedition zu richt«. Die LrvedUion ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend« 7 Uh«. Druck «nd Verlag von G. Pott in Leipzig (Inh. Or. v, R. K W. Klinkhardt). Nr. 251. Mittwoch den 18. Mai 1904. 98. Jahrgang. Var Lsicdtigrte vom Lage. ' In Wermsdorf bei Hubertusburg ermor- dete die Kutschersehefrau Keßner ihre beiden Kinderim Alter von 13 und 7 Jahren. * Gegen den flüchtigen italienischen Exminister Nasi und seinen Kabinettschef ist auf Ersuchen Italiens auch von deutscher Seite ein Steckbrief erlassen. * Der japanische Vormarsch auf Haitscheng und Liaujang geht ununterbrochen vor sich, eine große Schlacht steht anscheinend u n - mittelbar bevor. (S. russ.-jap. Krieg.) gras 6olucdolv5lil über «sie Lage. Vor der österreichischen Delegation hat der Minister des Auswärtigen Graf Goluchowski über die allgemeine politische Lage eine Darlegung gegeben, die wir unfern Lesern mitgeteilt haben. Tas alljährlich fällige Expos« des Grafen Goluchowski trägt niemals einen sensatio nellen Charakter; indessen sah ihm diesmal das Inland und das Ausland insofern mit Spannung entgegen, als man, wenn auch nicht im Wortlaut, so doch zwischen den Zeilen der Ausführungen eine Erklärung für die außer- gewöhnlichen militärischen Mchrforderungen erwarten durfte, über die wir unsere Leser ebenfalls bereits des näheren unterrichtet haben. Diese Aufklärung ist aus geblieben; der Minister hat vielmehr die Beziehungen, die Oesterreich mit allen übrigen Mächten verbinden, als „ganz vortrefflich" bezeichnet. Unter diesen Umständen müßten die Delegierten, um ein klassisches Wort des ver storbenen Johannes v. Miquel zu gebrauchen, „die größten Esel" sein, wenn sie die Forderungen der Regierung ohne weiteres bewilligten. Das berühmte Wort: 8i vin pavom, p.-irr, bellum!", das der österreichische Kaiser in einem Privatgcspräch zitiert hat, genügt in keiner Weise zur Rechtfertigung der Vorlage; denn schließlich ist dieses Wort doch nur halb richtig, und man kann sich nicht ver hehlen, daß die Last der Rüstung in einem gegebenen Zeit punkte so schwer, so drückend werden kann, daß die Völker einen Krieg, ein Ende mit Schrecken, dem bewaffneten Frieden, dem Schrecken ohne Ende, vorziehen. Unter diesem Gesichtspunkte ist es gefährlich, die Schraube immer schärfer anzudrehen und eine Volksvertretung hat Heuzutage die unabweisbare Pflicht, militärische Forde rungen besonders sorgsam zu prüfen und sie erst dann zu bewilligen, wenn die politische Lage sie als unumgänglich notwendig erscheinen läßt. Am meisten trifft dies natür- lich in einem Staate zu, der, wie Oesterreich-Ungarn, so ziemlich am Ende seiner finanziellen Leistungsfähigkeit angelangt ist, und in dem ferner die Militärverwaltung bereits bewiesen hat, daß sie auf angeblich unumgängliche Forderungen wenige Monate später zu verzichten wußte. Der Minister hat dann konstatiert, daß die Be ziehungen Oesterreichs zu Italien sich gebessert haben und diese Feststellung berührt uns im Interesse des Drei bundes durchaus angenehm. Sie würde uns noch ange nehmer berühren, wenn nicht Graf Goluchowski das eng lisch-französische Abkommen ebenso phrasenhaft und optimistisch behandelt hätte wie Graf Bülow. Doch muß hierzu bemerkt werden, daß, wenn zwei dasselbe tun, dies keineswegs dasselbe ist. Oesterreich ist in der Tat durch dieses Abkommen in keiner Weise betroffen, und so kann Graf Goluchowski mit einigen bedeutungslosen Redensarten darüber hinweggehen. Hinsichtlich des ostasiatischen Krieges rechnet der Graf damit, daß der Kampf lokalisiert bleiben wird und nur die durch den Krieg entstehenden handelspolitischen Folgen machen ihm einige Sorge. Einen überaus scharfen Ton schlägt der Minister der Türkei gegenüber an, und innerhalb des ersten Ver handlungstages hat er sein Expos« noch dahin ergänzt, daß die Türkei noch immer „Schwierigkeiten mache, um sich der loyalen Ausübung des Reformprogrammes zu entziehen". Wir entnehmen auS den Ausführungen des Grafen im Gegensatz zu den rosenroten Meldungen, mit denen wir in letzter Zeit aus Oesterreich überschwemmt wurden, nur das eine, daß die Reformaktion außerordent lich langsam von statten geht. Oesterreich sieht sich nun eben genötigt, energischer aufzutreten und gewissermaßen die Rolle zu übernehmen, die sonst Rußland zugefallen wäre. Bei der Entwicklung der ostasiatischen Ereignisse ist eS selbstverständlich, daß Rußlands Einfluß im kleinen Orient nachgelassen hat und daß der Sultan die Situation dilatorisch ausnutzt. Graf Goluchowski hat dann auch noch festgestellt, daß Deutschland die Reformaktion mit seinem Einflüsse bei der Pforte unterstützt hat, und ob wohl kein vernünftiger Mensch an dieser Haltung im ge ringsten zweifeln konnte, so ist es doch gut, daß sie von autoritativer Seite anerkannt worden ist, weil somit den Quertreibereien einer gewissen ausländischen Presse ent gegengearbeitet werden kann. In Bezug auf den entscheidenden Punkt, nämlich auf die Beantwortung der Frage: „I st Kr i e g in S i ch t ?" sind wir nach dem Expos« des Grafen Goluchowski ebenso klug wie vorher. Sehr wahrscheinlich, daß der Graf dem verschleierten Bild zu SaiS gleicht und daß wir, wenn wir den Schleier lüften würden, nur das eine erblicken wür- den: daß nichts dahinter ist. ver Rutttanö öer Herero. Da» Obsrkommands für Südureftafrika. Das Oberkommando für Südwestafrika, das am Freitag die Ausreise nach Swakopmund antreten wird, ist in folgender Weise zusammengesetzt: Oberkommandierender: Generalleutnant von Trotha, früher Kommandeur der 16. Division; Chef des Stabes: Oberstleutnant Thales de Beaulieu vom Generalstab der Armee; General st ab: Major Quade, früher im Großen Generalstab, Hauptmann Salzer, früher im Großen Generalstab, und Hauptmann Bayer, früher im Großen Generalstab; die drei lederen Herren befinden sich schon in Afrika und treten nach der Landung zum Stabe über. Adju - tantur: Hauptmann v. Lettow-Vorbeck vom Königin Eli sabeth-Regiment und Oberleutnant v. Trotha vom Leib- Grenadier-Regiment Nr. 8;Signalabteilung: Führer: Leutnant Ruckforth vom Ulanen-Regimenl Nr. 7; außerdem treten zur Truppe hinzu: Leutnant Auer v. Herrenkirchen vom 2. Garde-Dragoner-Regiment, Leutnant v. Asseburg vom Httsaren-Regiment Nr. 14, Leutnant v. Hoffmann vom 2. Garde-Ulanen-Regiment, Leutnant Fürbringer vom Husaren- Regiment Nr. 8, Leutnant v. Plehwe vom 1. Leib-Husaren- Regiment; Feldintendantur: Intendantur-Rat Leut nant d. L. Nachtigal von der Militärintendantur des Garde- korp«, Feldintendantur-Rat vr. Müller vom XV. Armeekorps Kriegsgerichtsbarkeit: Ober-KriegsgerichtSrat Bolley von der 6. Division. Pferdedepot: Oberleutnant Graf KönigSmarck vom Leib-Garde-Husaren-Regiment, Leutnant v. Kleist vom Ulanen-Regiment Nr. 5, Leutnant v. Vollard- Bockelberg vom Ulanen-Regiment Nr. 10, Leutnant Nolte vom Ulanen-Regiment Nr. 6, Leutnant Jäschke vom Feldartillerie- Regiment Nr. 28 und Leutnant Fuhrmann vom Dragoner- Regiment Nr. 1. Artillerledepot: Feuerwerksleutnant Engel und Zeugleutnant Lindt. Bekleidungsdepot: Oberleutnant Friedrichs vom Infanterie-Regiment Nr. 15S. Proviantamt: Feld-Proviantmeister Karst. Außerdem treten noch hinzu: zum Etappcnkommando: Major v. Redern vom Infanterie-Regiment Nr. 78, Major Lequis vom Großen Generalstab, Oberleutnant Stark vom Infanterie- Regiment 40; zur Kolonnenabteilung: Hauptmann Beck, Hauptmann Nortzick vom Feldartillerie-Negiment Nr. 30, Rittmeister Hagele vom 16. Train-Bataillon, Rittmeister von Fritsche vom Ulanen-Regiment Nr. 1, Rittmeister Helm, Ober leutnant Wrzodek und Leutnant Heise. Von Sanitätsoffizieren gehören dem Transport an: Stabsarzt l)r. Eggert vom Infanterie-Regiment Nr. 93, Oberarzt Vr. Hintze vom Bezirkskommando l Berlin, Oberarzt vr. v. Hasselberg vom Infanterie-Regiment Nr. 151, Assistenz arzt vr. Koppen von: Füsilier-Regiment Nr. 38, Assistenzarzt vr. Kahle vom Feldartillerie-Regimcnt Nr. 62 und Assistenz, arzt vr. v. Ortenberg vom Infanterie-Regiment Nr. 162. ver nirrisch-japanircdr Weg. Zahl und Verteilung -er ruffischen Truppen in der Mantschurel. Seit Beginn deS Krieges sind bis heute an Truppen aus Rußland etwa 100 000 Mann nach der Mantschurei befördert worden. Dazu kommen die Reserven auS Sibirien, Trans baikal, Amur-Bezirk und Mantschurei. Im ganzen schätzt man zur Zeit die Land-Streitkräste in der Mantschurti auf etwa 300 000 Mann. Davon entfallen auf Wladiwostok, Port-Artbur, Dalny und Bahnwache etwa 110 000 Mann. AIS nächste Verstärkung sollen da« X. und XVII. Armee korps (Moskau und Charkow), von denen je zwei Regimenter bereits nach Osten gesandt worden sind, abgehen. Ferner 4 Kavallerie-Divisionen, Orenburger und Donsche Kosaken, etwa 16 000 Mann, im ganzen etwa 100 000 Ge wehre, die aber schwerlich vor Mitte Juli an Ort und Stelle sein können. Zwei Kosaken-Regimenter, die von Nertschinsk den Weg zu Pferde zurückgelegt hatten, sind bereit« an ihrem Be stimmungsort angelangt. Der Skandal im russischen Rete« Areuz. Dem Londoner „Daily Expreß" wird au« Petersburg be richtet: „Hier herrscht großer Unwillen über die falsche Ver wendung der Fonds der Roten Kreuz-Gesellschaft. Eine ganze Anzahl mittelloser Aristokraten, Hofdamen, Gardeofsiziere und anderer Günstlinge der hohen Kreise hat mit abnormen Gehältern, die sich teilweise auf Tausende von Pfund Sterling im Jahre belaufen, Sinekuren erhalten. DieS ist um so bedauerlicher, al« eS nicht an geeigneten Organisatoren fehlt, die gern bereit wären, die Arbert umsonst zu über nehmen. Die Zeitung „Revolutionaja (?) Rossija" sagt: ,^Der sensationellste Fall ist derjenige des Generals Schwedoff, eine« Mitgliedes de« Petersburger Komitees, der 100 000 Lstrl. aus dem Fonds der Roten Kreuz-Gesellschaft borgte, um damit an der Börse zu spekulieren. Seine Spekulationen schlugen fehl und da« Defizit ließ sich nicht verheimlichen. Die Zarin bezahlte aus eigener Tasche die fehlende Summe, um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden und den General, der ein besonderer Liebling des Hofe« ist, zu retten. Der General wurde sogar als Komiteemitglied berbehalte», aber man traf Maßnahmen, um ein zukünftiges Borgen zu verhindern. Aehnliche skandalöse Vorgänge kamen in Moskau vor, wo ein Fürst Galitzin und ein Graf Lanski Gelder, die für das Rote Kreuz gesammelt worden waren, in der eigenen Tasche behielten. Graf LanSki weigerte sich, Gelder abzuliefern oder auch nur die Subskriptionsliste zurück zugeben, während Fürst Galitzin 100 Lstr. einzahlte, aber den Einblick in die Subskriptionsliste verweigert. Diese Vor kommnisse haben den Argwohn des Publikums wachgerufen, und die Folge ist, daß sich viele reiche und wohltätige Leute einfach weigern, Geld für die Gesellschaft herzuaeben." — Nun ist es freilich ein revolutionäre« russische- Blatt, das von diesen Dingen berichtet. Aber daß derartige« in Rußland unmöglich sei, wird niemand bebaupten können. Japanische Landung bei Raitsche«. Eine größere japanische Landung hat wieder am Montag bei Kaitschou südöstlich von Niutschwang stattgefunden. Nach einer Meldung deS General« Kuropatkin an den Zaren näherten sich Montag mittag gegen 12 Uhr 17 Dampfer Sseniutschen und eröffneten en« Feuer auf die Stadt, während 5l Dampfer am Ufer anzuleqen begannen. Um N/z Uhr zeigten sich am Kap beim Dorfe Guantstatun 3 große Dampfer. Um 3 Uhr 20 Min. landete der Gegner beim Dorfe Guantstatun und begann in der Richtung auf Kaitschou vorzurücken. — Ein Telegramm de« Generals Ssacharow an den Generalstab vom 17. Mai besagt: Wie General Ssamssonow am 1k. Mai 11>/, Uhr abends meldet, beschränkten sich die Japaner darauf, nur eine demonstrative Landung in der Umgebung von Ssenintschen und Kaitschou auSzufÜhren. Ihre Schiffe eröffneten das Feuer auf die Stadt Ssenintschen, auf d«e russischen Streifwachen und auf die Küste. Um 5»/, Uhr entfernte sich das Geschwader, indem es Kurs nach Süden nahm. Vor Anbruch der Dunkelheit waren mehrere Schiffe desselben am Horizonte zu sehen. Wie ein weiteres Telegramm de« Generals Kuropatkin an den Kaiser vom 1k. Mai berichtet, hatten Kosaken bei Kuandiansan ein Scharmützel mit einer japanischen Abtei lung, die aus etwa einem Bataillon und zwei Eskadron«, anscheinend GardeeSkadron«, bestand. Da« Gefecht dauerte Iff, Stunden. Da« Feuer der japanischen Reiterei und Infanterie zeichnete sich nicht durch Treffsicherheit au«. Ein Kosak wurde verwundet, zwei Kosaken werde» Feuilleton. Tamms Garten. 3j Roman von Wilhelm Jensen. Nachdruck verboten. Tenn seine Heimat hatte er hier gefunden, die ihm immer bereit stand, ihn niemals enttäuschte. Und mehr und mehr bedurfte er keiner anderen, verlor jedes frühere Verlangen danach. In ihr fand er alle-, wonach eine unbestimmte Sehnsucht in seinem Innern suchte, war er nicht einsam, entbehrte keine Freunde und Ge- führten. Was ihn bedrückte, mit Unruhe und Sorge anfaßte, trug er hierher und ließ es beim Weggange ge mindert und zerronnen zurück. Als ob eine unsichtbare Hand es von ihm genommen, kehrte er still beschwichtigt nach Hause. Doch noch eine andere Wirkung war vor« dieser eigen artigen Heimatstätte auf ihn ausgegangen, ihm als noch reichere Gabe von ihr zu teil geworden. Dunkel nur hatte er's im Anfang empfunden, bi» sich'« ihm nach und nach zu deutlicher Erkenntnis gestaltet, und als Zweifel- los wußte er's fetzt schon seit manchem Jahre. Klar er hellt, wie das Bild und Wesen eines anderen, stand in der Erinnerung sein eigenes vor ihm aus der Zeit, ehe er den Zugang zu Tamms Garten und in diesem eine unbekannte Welt gefunden. Er war ein oberflächlicher, gedankenloser Knabe gewesen, der ohne Anteilnahme und Verständnis, ohne Auge und Ohr durch die Tage hin- und an allem ooriibergegangcn, nur einem nichtig leeren Treiben und Vergeuden seiner schulfreien Stunden zugewandt. Doch sein Verweilen hier in der Einsamkeit hatte ihn wie aus dumpfem Schlafe -um Sehen und Hören aufgeweckt, nicht allein mit den äußeren Sinnen, ihm auch einen inneren Blick und Gehörsinn verliehen, hatte ihn gelehrt, nachzuüenken, und wo dies an eine für sein Vermögen noch nicht ibberwindliche Schranke geriet, mit dem Gefühl zu ersoffen. Bon hier war cs entsprungen, daß die Dinge, die er täglich, doch vordem unbeachtet, um sich gewahrte, seiner Empsindung lebendig geworden, in einer lautlosen Sprache zu ihm redeten, die Ucberreste alter Vergangenheit in der Stadt, Tore, Türme und seltsam wie greisenhaft an blickende Häuser. Er konnte nicht mehr an ihnen vorübergehen, ohne anzuhalten und sie zu betrachten, und sie erzählten ihm von Begebenheiten au« lang überlebter Zeit, die sic gesehen und gehört. Ob in Wirklichkeit ge schehen oder nur von seiner Vorstellung erschaffen, ver mochte er oft nicht zu scheiden, aber er suchte eifrig auf der städtischen Bibliothek nach Büchern, die davon be richteten, ihm ermöglichten, geschichtlich Uoberliefertes von Erzeugnissen seiner Einbildungskraft zu sondern. Nicht weniger aber hatten sich alle Gegenstände und Er scheinungen der Natur für sein Gefühl mit Leben begabt, Tiere und Pflanzen, ihre Stimmen, Gestaltungen und Karben, die Sonne, die ziehenden Wolken und der Wind, der Wechsel deS Sommers und des Winters. Auch von allem dem bemühte er sich, Kenntnisse zu erlangen, zu denen ihm das Gymnasium nicht verhalf; sein Verstand trachtete überall nach wissenschaftlicher Anschauung und Belehrung, doch seine Empfindung behanptete daneben ihr eigenes Recht; getrennt, ohne sich zu befehden, gingen beide nebeneinander her. Sein leibliches Dasein hatte Dieter Lindenholz von den Eltern empfangen, aber mit seiner Geistes- und GemütSentwickelung, Phantasie und Richtung zu poetischem Auffaflen aller Dinge war er ein Geschöps von Tamms Garten. Ueber diesen, den Ursprung und das Gewordensein desselben vermochten seine Nachforschungen nichts in Er fahrung zu bringen, doch eigentlich wünschte und wollte er'« auch nicht. Ihm lag im Gefühl, jede Bereicherung seines Wissens darüber würde in Wirklichfett eine Ver armung für ihn mit sich führen, könne nur den ge- heimni-vollen Zauberbuft seiner Heimatwelt zerstören, wie rauh «»fassende Hand den wundersamen Schmelz eine- Falterflügels. Durch Zufall ward ihm allein ein mal kund, was die Aeutzerung de» alten Laubzusammrn- kehrer», „dat i» dato utsett", bedeutet habe. Bei der Amts- kasse einer städtischen Behörde lag seit, wie e» hieß, unvor denklicher Zett eine erhebliche Legatssumme hinter legt, von deren Zinsertrag der Garten jährlich zweimal soweit gesäubert werden mußte, daß die Wege in Stand erhalten blieben, um dann mit dem Ueberschuffe da« Armenhaus der Stadt »u unterstützen. Wetter sollte nichts geschehen, alles in ungehemmter Freiheit auf wachsen oder vom Alter verfalle«. Wer eS gewesen, der diese Bestimmung getroffen, wußte der Erteiler der Auskunft nicht zu sagen: au» einer zu lang verschollenen Zett stammte sie her, jedenfalls als TestamentSichrulle eines Sonderlings, aber di» Stadt war im Interesse ihres Armenhauses auch an die Erfüllung des ersten Teiles der Verfügung gebunden. a . Nicht weit von dort, wo Tamms Garten mit seinem Obstgehegen ins leere Feld hinauslief, lag ziemlich am Oberrande des Dorfes eine ländliche Wirtschaft, die seit Menschengedenken den Namen ,Lur Hoffnung" trug. Ein altes weitläufiges Bauernhaus war's mit dem ver- witterten hölzernen Pserdckopf auf dem Gicbelfirst; ur sprünglich wohl nur „Der Dorfkrug" zum Ausspann für Fuhrwerke aus der weiteren Umgegend gewesen, doch im Gange der letzten Jahrzehnte hatten die Nähe der Stadt und Neugewöhnungen der Zeit allmählich ver ändernd auf ihn eingewirkt. Auch andere Besucher als friiher kehrten dort zum Einnehmen eines Stchtrunkes vor oder ließen sich seßhaft nieder, besonders in ge selliger Bereinigung umschweifende Studenten der Uni versität; indes an schönen Sommernachmittagcn stellten sich noch sonstige Gäste, uranchmal in größerer Anzahl, ein. Die in der ,Hoffnung" bereitete Dickmilch, wir der Ruhm dazu, ebenso das Schwarzbrot und die Butter standen in vorzüglichem Rufe, und wohl daher war's entsprungen, daß die Wirtschaft bei den Städtern als auf dem freien Lande belegen und ein zeitweiliger Aufent halt in ihr auch für die Krauen und Töchter angesehener Familien nicht als unschicklich galt. Dem schon lang- jährigen Kruginhaber Till Kröger war dies« gesellschaft liche Zulassung seines Hause» und die Möglichkeit guten Gewinne» daraus nicht entgangen, er hatte in richtiger Einsicht unter nahe stehenden alten Linden einen Garten mit schattigen Sitzplätzen, Tischen und Lauben hergestellt und den Zuzug seiner vornehmen Gäste dadurch er freulich vergröbert. Diesen ahmte die untere bürger liche Bevölkerung, wenn auch andersartig, nach; ihr stand nur der Feiertag für Vergnügungen zu Gebote, und auch das mit kluger Bedachtsamkeit einschätzend, hatte Till Kröger die alte große Dreschtenne seines Hofe» zu einem Tanzboden umgestaltet, auf dem am Sonntag- abend zur Musik von etn paar Geigen und Flöten sich die städtischen Ladcngehülfen und Handwerkersöhne mit ihren Tänzerinnen au» den gleichen oder noch niedrigeren Ständen unermüdlich bis zur mitternächt lichen Polizeistunde umschwangrn. Eine sehr von der sommernachmittägtgen verschiedene Gesellschaft mit anderem Wesen, Behüben und Stimmenfchall füllte dann die Räume, doch fehlte e» trotzdem dabet zuweilen nicht an Teilnehmern auS den gebildeten Kreisen der Stadt. Selbstverständlich allerdings enthielten sich männliche Angehörige der in ihr seßhaften guten Familien des Be- sucheS der am Sonntagabend als ordinär schlecht beleu mundeten „Hoffnung", doch manchem der von auswärts herstammenden Studenten lag die Aufrechterhaltung seines soliden Rufes nicht allzusorglich am Herzen, so daß sie von ihren abendlichen Trinkstuben oder „Kneipen" aus nicht selten noch spät den Weg nach der Dorfwirtschaft einschlugen, um sich dort mit an dem Umschwenken der tanzlustigen, mehr oder minder das Beiwort von „Schönen" rechtfertigenden Mädchen zu beteiligen. Nicht sonderlich viele von den sogenannten „Musen söhnen" mochten den Goetheschen „Faust" gelesen haben, allein wenn sie auch den Ausspruch des Schüler» au» dem Osterspaziergangsauftritt: „Ein starke» Bier, ein beizender Toback, und eine Magd in Putz, da» ist nun mein Geschmack", nicht kannten, so traf doch der Inhalt der Worte vielfach noch gleicherweie bei den Studenten der Gegenwart wie bei dem jener Vergangenheit zu. Mit dieser Krugwirtschaft „Zur Hoffnung" stand Dieter Lindenholz, obwohl sie in weiterem Ginne zur Nachbarschaft seiner Wohnung gehörte, außer allem Ver band, hatte nie den Kuh dort in die Tür oder in den Garten hineingesetzt. Die Schulvorschrift verbot ihm, sie zu betreten, und seine geringe Tafchengeldbarfchaft, di« nicht Über wenige Schillinge htnauSging, hätte die» ebenso untersagt; doch übten das ländliche Gasthaus, d«r Verkehr und die Vergnügungen darin auch keinerlei leiseste Anziehungskraft auf ihn au», die da» Gefühl eine» EntsagungSzwange» in ihm aufkommen lassen konnte. Nicht gleicherweise dagegen verhielt sich'» mit einer anderen Wirtschaft, an der fein Schulweg ihn täg lich viermal vorüberführte und die über dem Rundbogen ihrer Tür ein mythologische« Bildnis mit der Umschrift „Zur Fortuna" trug. DaS Gemälde zeigte eine antik gewandete, auf rollender Glaskugel schwebende weib liche Gestalt, wie» indes durch seine Farbenverblichen, heit zum mindesten um ein paar Menschenalter zurück. Ebenso tat dies auch da» Gebäude selbst, augenscheinlich der UebergangSzeit au» dem Rococo -um Zopfstil ent stammend, noch zierlich verschnörkelt, mit gewundenen Säulensi-äften an den Seiten de» Eingänge», und unter dem Kuppeldach von einer Balustrade umlaufen; doch
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